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LOGIK.
EQffi 1IHTEB8UCEDN& DDR FMCMEN DIR EBEEMNISS
UND DER
METHODEN WISSENSCHAFTLICHER FORSCHUNG
VON
WILHELM WUNDT.
Z'WEI BÄNDE.
ZWEITER BAND.
METHODENLEHRE.
ZWEITE ABTHEIIÜKO.
Zweite umgearbeitete Auflage.
•M«M<
STUTTGART.
VERLAG VON FERDINAND ENKE.
1895.
Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart
Eine Untersuchung der Principien der Erkenntniss und der Methoden
wissenschaftlicher Forschung.
Von Prof. Dr. Wimelm Wnndt.
Zwei Büfide»
Zweite umgearbeitete Auflage.
I. Band : ErkenntniBBlehre. gr. 8. 1893. geh. M. 15. —
II. Band: Hethodenlehre. I. Abtheilung. gr. 8. 1894. geh. M. 13.—
KTMIK.
Eine Untersuchung der Thatsachen und Gesetze des sittlichen Lebens.
Von Wllbelm Wandt.
Z'^welie u.zxxgea.r'beltete .^^Txflage.
gr. 8. 1892. geh. M. 15. —
Die physikalischen Axiome
und llire Sezleliiizigf zum Oausalprinolp.
Ein Kapitel aus der Philosophie der Naturwissenschaften.
Von Wimelm Wandt.
8. 1866. geh. M. 2.40.
Die Ethik des Stoikers Epictet.
Anhang:
Exkurse über einige wichtige Punkte der stoischen Ethik.
Von Adolf Bonböffer.
gr. 8. 1894. geh. M. 10. —
Epictet und die Stoa.
Von Adolf Bonbftffer.
gr. 8. 1890. geh. M. 10.—
Die Naturwissenschaft
und die socialdemokratische Theorie.
Ihr Verbältniss,
dargelegt auf Grund der Werjce von Darwin und Bebel.
Zugleich ein Beitrag zur wissenschaftlichen Kritik der Theorien der derzeitigen
Socialdemokratie.
Von Prof. Dr. H. £• Ziegler.
8. 1894. geh. M. 4. —
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LOGIK.
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UND DER
METHODEN WISSENSCHAFTLICHER FORSCHUNG
VON
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ZWEI BÄNDE.
ZWEITER BAND.
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ZWEITE ABTHEILUire.
Zweite umgearbeitete Auflage.
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VERLAG VON FERDINAND ENKE.
1895.
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VON
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Ztoeite nMigearbeUete Auflage.
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VERLAG VON FERDINAND ENKE.
1895.
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Das Recht der Uebenetzung wird TorbehaJten.
Drack der Union Deutsche YerlagsgesellBohait in Stuttgart.
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1
Inhalt.
Vierter Abschnitt.
Von der Logik der GtoiBteswiBBenschaften.
Seite
Erstes Capitel. Die allgemeinen Grundlagen der Qeistes-
wissenschaften.
1. Die Entwicklung und Gliederung der GeisteswissenBchaften . . 1
a. Die Entwicklung der Geisteswissenschaften 1
b. Das System der Geisteswissenschaften 10
c Das Yerhältniss der Geisteswissenschaften zur Philosophie . 24
2. Heuristische Principien der Geisteswissenschaften 27
a. Das Prindp der subjectiven Beurtheilung 27
b. Das Princip der Abhängigkeit von der geistigen Umgebung 34
c. Das Princip der Naturbedingtheit der geistigen Vorgänge 41
d. Causale und teleologische Betrachtung innerhalb der Geistes-
wissenschaften 46
3. Die allgemeinen Methoden und Hülfsmittel der Greisteswissen-
Schäften ^ 51
a. Verhältniss zu den naturwissenschaftlichen Methoden ... 51
b. Die psychologische Analyse und Abstraction 57
c. Die vergleichende Methode 64
d. Die Interpretation 81
e. Die Kritik 113
f. Der Begriff des Gesetzes in den Geisteswissenschaften. . . 129
Zweites Capitel. Die Logik der Psychologie.
1. Die allgemeinen Richtungen der Psychologie 151
a. Die materialistische Psychologie 158
b. Die intellectualistische Psychologie 156
c. Die Yoluntaristische Psychologie 164
VI Inhalt.
Seite
2. Die Individualpsychologie 168
a. Die Aufgaben der Individualpsychologie 168
b. Die zufUllige innere Wahrnehmung 170
c. Die allgemeine Bedeutung der experimentellen Methode für
die Psychologie 172
d. Die Methoden der psychischen Grössenmessung 178
e. Die elementare psychische Analyse 196
f. Die caueale Analyse der Vorstellungen . .* 201
g. Die Analyse der Qeföhle, Affecte und Willensvorg&nge . . 215
h. Die Physiologie als psychologische Hülfswissenschaft und die
Psychophysik 227
3. Die Völkerpsychologie . 231
4. Die Principien der Psychologie 241
a. Der Begriff der Seele 241
b. Das Princip des psychophysischen Parallelismus 250
c. Das Princip der psychischen Actualität 259
d. Das Princip der schöpferischen Synthese 267
e. Das Princip der Contrastverstärkung 282
f. Das Princip der beziehenden Analyse 28^
g. Das Grimdgesetz der psychischen Causalität 289
h. Der Begriff der geistigen Gemeinschaft 291
5. Die Anwendungen der Psychologie 297
Drittes Capitel. Die Logik der Geschichtswissenschaften.
1. Die Philologie 303
a. Philologie und Geschichte 303
b. Die philologische Interpretation 307
c. Die philologische Kritik 813
2. Die Geschichte 318
a. Aufgaben und Richtungen der Geschichtsforschung . . . . 318
b. Die historische Kritik 333
c. Die historische Interpretation 340
8. Die philologisch-historischen Wissenschaften 358
a. Die Sprachwissenschaft 353
b. Die Mythologie 361
c. Die Ethologie 369
4. Die Principien der Geschichtswissenschaft 376
a. Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie .... 376
b. Die allgemeinen Bedingungen der geschichtlichen Entwicklung 378
c. Die historischen Gesetze 382
d. Der Zweckbegriff in der Geschichte 421
Viertes Capitel. Die Logik der Gesellschaftswissenschaften.
1. Die allgemeinen Gesellschaftswissenschaften 436
a. Die Sociologie 436
b. Die Ethnologie 448
c. Die Bevölkerungslehre 455
d. Die Staatswissenschaft 477
Inhalt. VII
Seite
2. Die Volkswirth8chaft«lehre 499
a. Aufgaben und Richtungen der Volkswirtbachaftalehre . . . 499
b. Die abstracte Wirthschaftstheorie 508
c Die concrete Yolkswirthschaftslehre 522
d. Theoretische und praktische Nationalökonomie 529
3. Die Rechtswissenschaft 533
a. Die Entwicklung des Rechts 533
b. Der Begriff des Rechts und die Aufgaben der Rechtswissen-
schaft 542
c. Die civilistische und die publicistische Methode 561
d. Rechtsnormen und Rechtsdefinitionen 577
e. Die Rechtsdeduction und der juristische Thatsachenbeweis . 585
4. Die Principieu der Sociologie 589
a. Gesellschaft und Gemeinschaft 589
b. Die Organisation der Gesellschaft 602
c. Die socialen Gesetze 614
d. Die socialen Normen 626
FQnftes Capitel. Die Methoden der Philosophie.
1. Die methodologischen Richtungen der Philosophie 631
2. Die empirische Methode 638
8. Die dialektischen Methoden 634
a. Die antithetische Methode 634
b. Die ontologische Methode 635
c Die Methode der immanenten Begriffsentwicklung .... 638
4. Die Philosophie als Wissenschaftslehre 641
Vierter Abschnitt.
Von der Logik der Geisteswissenschaften.
Erstes Gapitel.
Die allgemeinen Grundlagen der Geisteswissenschaften.
1. Die Entwicklung und Gliederung der GeisteswiBsen-
Bchaften.
a. Die Entwicklung der Geisteswissenschaften.
Aehnlich der Mathematik und Naturforschung sind auch die
Geisteswissenschaften aus der Philosophie hervorgegangen. Sittliche
Lebensregeln, die, der Beobachtung des menschlichen Handel^^ und
seiner JlAfotive entnommen, in einer uralten Spruchweisheit nieder-
gelegt sind, bilden neben einer naiven Reflexion über den allge-
meinen Zusammenhang der Naturerscheinungen überall den Anfang
des wissenschaftlichen Nachdenkens. Aber zunächst ist dieses be-
herrscht von dem Interesse an den kosmologischen Problemen. Dies
hat lange Zeit vor allem darin noch nachgewirkt, dass die Wissen-
schaft von den geistigen Eigenschaften des Menschen, die Psycho-
logie, von der man denken sollte, dass sie stets als die Grund-
lage der andern Geisteswissenschaften hätte gelten sollen, sehr spät
erst zu einem selbständigen Forschungsgebiet geworden ist, vor-
her aber zunächst als ein Zweig der Naturphilosophie und dann als
ein Anhang zur Metaphysik behandelt wurde. Nicht von ihr ist
darum auch die Entwicklung der Geisteswissenschaften ausgegangen,
sondern von einzelnen Arbeitsgebieten, deren Zusamengehörigkeit
zu einem der Gesammtheit der Naturwissenschaften analogen Ganzen
Wundt. Logik. II, e. 2. Aull. 1
2 Allgemeine Gnmdlagen der Geisteswiflsenschafben.
man spät erst erkannt hat. Schon der Ausdruck «^eist^^sseji-
Schäften** ist daher neuesten Ursprungs. Er ist wohl zum ersten
Mal in einigen Versuchen einer allgemeinen Classification der Wissen <^
Schäften zu finden, die den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhundert»
angehören *),
Das erste, was aus dem Gebiet des geistigen Lebens die Auf-
merksamkeit fesselte, war der Reflex dieses Lebens in den Hand-
lungen der Völker. Doch selbst die Geschichtschreibung lag
anfänglich in den Banden jener kosmologischen Auffassung, welche
das geistige Geschehen aus einer äusseren Naturordnung ableitete,
die sich in den Gestalten rächender und lohnender Schicksalsgötter
verkörpere. Noch die Geschichtserzahlung eines Herodot trägt
diesen mythologischen Charakter an sich. Schon in Thukydides
hat aber die geschichtliche Darstellung eine Form erreicht, die in
der kritischen Prüfung des üeberlieferten nicht minder wie in der
psychologischen Auffassung des historischen Geschehens noch späteren
Zeiten als Vorbild dienen konnte.
In näherer Verbindung mit der Philosophie blieb ein anderer
Zweig der Geisteswissenschaften, der neben der historischen Forschung'
allmählich heranreifte: die Staatslehre. Li den ethischen Sen-
tenzen, die eine sagenhafte Ueberlieferung den ältesten Weisen
Griechenlands zuschreibt, vereinigt sich praktische Lebensklugheit
mit dem ernsten politischen Sinn, der auch die Gesetzgebung der
Zeit beherrschte. Von einer wissenschaftlichen Reflexion über diV
ethischen und politischen Aufgaben kann aber weder hier noch in
der Pythagoreischen Schule, trotz ihrer tieferen philosophischen An-
schauungen, die Rede sein. Erst als im 5. Jahrhundert in den
Sophisten ö£Eentliche Lehrer der politischen Beredsamkeit auf*^
traten, die, alle Speculationen über den Zusammenhang der Natur-
erscheinungen als nutzlos verwerfend, ihre Dienste dem Bedürfnis»
des Lebens nach praktischer und vor allem nach politischer Aus-
bildung der Einzelnen widmeten, erwachte auch das Interesse an den
theoretischen Problemen, die mit der rhetorischen und politischen
*) So trennt Bentham in Reiner «Ghrestomathia* (Oeuvres de J. Bent-
ham, Brnzelles 1829, III, p. 811) alle Wissenschaften in Somatologie und
Pneumatologie , Ampere (Essai sur la Philosophie des Sciences, Paris 1834)
in Kosmologie und Noologie. Hegel bezeichnet als «Greisteslehre* das ganze
den Geisteswissenschaften entsprechende Gebiet der Philosophie (Encyklopädie III,
§. 886). Eine «Log^k der Geisteswissenschaften* hat wohl zuerst John Stuart
Hill der Log^k der Naturwissenschaften gegenübergestellt.
• •
Entwicklung der Geisteswissenschaften. 3
Thätigkeit in Verbindung standen. In der Frage, ob die wichtigsten
Erzeugnisse des gesellschaftlichen Lebens, Sprache, Sitte, Staat, von
Natur oder durch Satzung entstanden seien, kündet sich zum ersten
Mal ein Gegensatz an, der bis in die neuesten Zeiten auf den rer-
schiedensten Gebieten die Anschauungen entzweit hat. Einen ent-
scheidenden Wendepunkt für die Entwicklung der gesammten Geistes-
wissenschaften bildet dann die Stiftung der Platonisch en Akademie.
In ihr ist, wahrscheinlich nach Pythagoreischem Vorbild, zum ersten
Mal jene Organisation wissenschaftlicher Arbeit erstrebt worden, deren
entfernte und freilich auch verblasste Abbilder noch unsere heutigen
Akademien sind. Aber in Plato selbst überwog allzu sehr der
reformatorische Trieb, in dem der Sokratische Einfluss bei ihm nach-
wirkte, als dass es ihm möglich gewesen wäre, die gestellten Auf-
gaben im empirischen Sinne zu lösen. Nicht wie die Dinge sind,
sondern wie sie sein sollen, suchte er in seinem zum Theil nach
dorischem Vorbild entworfenen Staatsideal zu zeigen. Die Politik
hat daher bei ihm, wie die Physik, nicht die Aufgabe die wirkliche
Welt zu begreifen, sondern eine ideale Welt dichterisch nachzu-
erzeugen. Erst Aristoteles forderte auf allen Gebieten eine um-
fassende Sammlung empirischer Thatsachen als Vorbereitung für
die allgemeine philosophische Betrachtung. Seine Staatslehre war
eine verstandesmässige Abstraction aus den Verhältnissen seiner Zeit
und Umgebung, gegründet zugleich auf eine verhaltnissmässig ein-
gehende Eenntniss der geschichtlichen Vergangenheit seines Volkes.
War die Platonische Akademie auch darin vorangegangen, dass sie
das Princip der gemeinsamen Bearbeitung grosser Wissensgebiete
einfQhrte, das von da an für die Entwicklung der griechischen Wissen-
schaft fruchtbar wurde, so kam doch innerhalb der Platonischen
Schule diese wissenschaftliche Arbeitstheilung nur der Mathematik
und Astronomie zu gute. In der Aristotelischen Schule erst wurde
jene sorgfaltige Untersuchung des Einzelnen, in der sich die Sonde-
rung der Einzel Wissenschaften aus der Philosophie vorbereitet, auf
fast alle Gebiete der Natur- wie der Geisteswissenschaften übertragen.
Wie dem Lehrer Alexanders des Grossen zu seinen zoologischen
Forschungen Thiere aller Zonen zu Gebote standen, so verfügte
er ak der Erste über eine Büchersammlung, aus der er und seine
Schüler eine eindringende Kenntniss der Literatur und Philosophie
der Vergangenheit zu schöpfen vermochten. Und wie er diesen
literarischen Forschungen die Anregung zu seiner Rhetorik und Poetik
und die kritische Methode seiner philosophischen Arbeiten verdankte,
4 Allgemeine Grundlagen der Geuteswissenschaften.
so waren sie es insbesondere, aus denen das reifste seiner Werke,
die „Politik*^, hervorging. Gerade hier hat in neuester Zeit erst
die Entdeckung der Schrift ^üeber den Staat der Athener*^ , die
sichtlich nur einen Ausschnitt aus einer grösseren Sammlung ähn-
licher „Politien" und mit diesen eine historisch-kritische Vorarbeit
zu der mehr philosophischen Untersuchung der „ Politik '^ bildet, eiii
neues Licht auf die Methode der Aristotelischen Forschung ge-
worfen. Für die weitreichende Bedeutung der Aristotelischen Staats-
lehre ist es aber bezeichnend, dass die in ihr aufgestellte Classifi-
cation der Staatsformen mit geringen, durch den üebergang des
griechischen Stadtestaats in den Volksstaat und durch die Entwick-
lung der Repräsentativsysteme bedingten Modificationen vielfach noch
heute unsere Auffassung des Staatslebens beherrscht.
Gleichwohl fehlte dem griechischen Philosophen die Vertiefung
in ein auch fQr das staatliche Leben überaus wichtiges System socialer
Normen: das Recht. Erst der eigenthümlichen Beanlagung des
römischen Geistes verdankt man die Ausbildung dieses Gebietes,
das zunächst völlig unabhängig von der Philosophie aus den Be-
dürfnissen der praktischen Gesetzgebung heraus entstand. Auf die
wissenschaftliche Bearbeitung des im Privatrecht der Römer ent-
haltenen Stoffs, die im 1. Jahrhundert vor Chr. beginnt und im
6. Jahrhundert nach Chr. in der Codification Justinians vorläufig
endet, hat aber wiederum die griechische, namentlich die Aristotelische
und Stoische Philosophie, mächtig eingewirkt.
In die gleiche Zeit der hellenistisch-römischen Cultur fällt end-
lich die Entwicklung eines weiteren, auf lange hinaus für das ge-
sammte wissenschaftliche Leben wichtigen Zweiges: der Philologie.
Schon bei den Sophisten hatte die Beschäftigung mit der Rede und
ihrem Hülfsmittel, der Sprache, ein Interesse an grammatischen und
namentlich an etymologischen Fragen erregt, das freilich noch ganz
des Zügels wissenschaftlicher Methodik entbehrte. Aristoteles mit
seiner Schule hatte dann zum ersten Mal planmässige literargeschicht-
liche Sammlungen ausgeführt. Die Weiterbildung dieser Anfänge
und ihre Verbindung zu einem regelmässigen wissenschaftlichen
Betrieb gehört der hellenistisch-römischen Zeit an. Da die philo-
logische f^orschung ihren Hauptantrieb dem Bestreben verdankt, die
geistigen Erzeugnisse einer fremd gewordenen Vergangenheit in dem
Bewusstsein der Gegenwart neu zu beleben, so ist es begreiflich,
dass ihre Entwicklung verzugsweise den üebergangsepochen, die aus
einer älteren in eine neue Cultur hinüberführen, anheimfällt. Darum
Entwicklung der Geisteswisaenschaiten. 5
hat nach jener ersten Begründung eine zweite Blüthe der Philologie
in der Zeit der Wiedererneuerung der Wissenschaften begonnen, als
die Scholastik, die in einseitiger Weise und mit unhistonschem Sinn
die Schatze der Vergangenheit gepflegt, in Verfall gerathen war und
der Geist der Zeit an der Ideenwelt der Griechen und Römer sich
zu verjüngen strebte. Jetzt stand die Philologie auf der Höhe ihres
Einflusses: sie erweckte selbst Philosophie und Naturwissenschaft zu
neuem Leben.
Alle andern Geisteswissenschaften sind dann erst in der neuesten
Zeit als einzelne Abzweigungen der Geschichte, der Staats- und
Kechtswissenschaft sowie der Philologie entstanden. So löste sich
allmählich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts von der Staats-
lehre ein Forschungsgebiet ab, das zu ihr in ein ähnliches Ver-
hältniss zu treten bestimmt war wie die Philologie zur Geschichte:
die Wirthschaftslehre. Sie umfasste zunächst die Untersuchung
der Ton der politischen Theorie ausser Betracht gelassenen Verhält-
nisse der Güterproduction, des Waaren- und Geldverkehrs. Aber in
der messenden Richtung, die eine solche Untersuchung allmählich
vermöge ihrer Gegenstände einschlug, lag eine Nöthignng zu ihrer
Anwendung auf noch andere Seiten des menschlichen Daseins. Dem-
nach begann die Statistik die Verhältnisse der Lebensalter, Ehe-
schUessungen, Geburten und Sterbefälle, des Berufsstandes und der
Verbrechen einer numerischen Auswerthung zu unterwerfen und auf
diese Weise das Material für den Aufbau einer Bevölkerungskunde
zu sammeln, die gegenwärtig im Begriff ist, sich zu einer allge-
meinen Gesellschaftslehre zu erweitem. Diese steht aber wieder
in naher Beziehung zur Geschichte, da die geistigen Eigenschaften
der Völker und die Zustände der Gesellschaft auf geschichtlicher
Entwicklung beruhen und zugleich als wichtige Factoren in diese
Entwicklung eingreifen. So treten sich schliesslich Geschichte
und Gesellschaftslehre als zwei nahe verbundene allgemeine
Wissenschaften gegenüber, von denen jede wieder eine Anzahl von
Einzelwissenschaften unter sich enthält, deren Trennung grossentheils
von praktischen Bedürfnissen bestimmt wird. Unter ihnen scheiden
sich verhältnissmässig am selbständigsten von der eigentlichen Ge-
schichte die Philologie, von der allgemeinen Gesellschaftslehre die
Wirthschaftslehre und die Rechtswissenschaft.
Ein analoger Scheidungsprocess hat sich im Gebiet der Philo-
logie vollzogen. War diese in der Alezandrinischen Periode aus-
schliesslich auf die literarischen Denkmale des griechischen Alter-
^
»
6 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
thums gerichtet gewesen, so begann sich schon in der Renaissancezeit
ihr Gesichtskreis nicht bloss auf die römische Literatur der Ver-
gangenheit, sondern auch, vornehmlich angeregt durch die Sprache
des alten Testaments, auf die semitischen Culturen des Orients aus-
zudehnen. Zugleich zog dieses Zeitalter neben der Sprache und
Literatur die Kunst des Alterthums in den Umkreis seiner Inter-
essen. Damit beginnt eine doppelte Ausdehnung der philologischen
Arbeit, die zu zwei neben einander hergehenden Verzweigungen
der ursprünglich ungetheilten philologischen Mutterwissenschaft führte.
Auf der einen Seite sondert sich die Philologie in die Philologien
der einzelnen Sprach- und Literaturgebiete und Zeitalter; auf der
andern gliedert sie sich in die verschiedenen philologischen Special-
gebiete, die in mehr oder minder umfassender Weise die einzelnen
geistigen Erzeugnisse vergleichend und geschichtlich behandeln: so
die Sprache, die Kunst, den Mythus, die Sitte, das Recht. In Folge
des ersten dieser Scheidungsprocesse ist im Laufe namentlich des
letzten Jahrhunderts eine FoUe philologischer Specialwissenschaften,
wie die deutsche, englische, französische, italienische, femer die
semitische, indische, ägyptische, chinesische Philologie entstanden.
Der zweite, der noch keineswegs abgeschlossen ist, hat eine Anzahl
vergleichender Geisteswissenschaften entstehen lassen, die hier
den ungefähr in der gleichen Zeit emporgekommenen vergleichen-
den Naturwissenschaften gegenüberstehen (vgl. Abschn. I, S. 53) : so
die vergleichende Sprachwissenschaft, Mythologie, Jurisprudenz u. s. w.
Da sich alle diese geistigen Erzeugnisse geschichtlich entwickelt
haben, so liegt es übrigens in der Natur der Sache, dass in keiner
dieser vergleichenden Wissenschaften der vergleichende Gesichts-
piuikt ausschliesslich festgehalten werden kann, sondern dass sich
derselbe stets mit dem genetisch-geschichtlichen verbindet. Hier-
bei ist es bemerkenswertb , dass die Vergleichung einen um so
breiteren Raum einzunehmen pflegt, je mehr die Geisteserzeugnisse
selbst durch die unvrillkürliche oder mindestens der geschichtlich
zu verfolgenden Wirksamkeit des Willens entzogene Art ihrer Ent-
stehung einigermassen Naturproducten ähnlich sind: so bei der
Sprache, dem Mythus, der Sitte, bis zu einem gewissen Grade wohl
auch bei dem Recht; wogegen die rein geschichtliche Behandlung
um so mehr vorherrscht, je ausschliesslicher die Gegenstände will-
kürlichen und namentlich auch individuellen Ursprungs sind : so bei
der Kunst und den Werken der Literatur. Darum g^bt es zwar
eine Kunst- und Literaturgeschichte, aber keine vergleichende Kunst-
EstwickluBg der GeisteswisBenschaften. 7
and Literaturwissenschaft, während aUe die vorher genannten ver-
gleichenden Disciplinen immer zugleich der historischen Behandlung
zQgangUch sind und sogar einer solchen neben der Vergleichung
bedürfen: neben der vergleichenden Sprachwissenschaft besitzen wir
4aher eine Sprachgeschichte, neben der vergleichenden Mythologie
eine Geschichte des Mythus u. s. w. Hierbei bringt es der Charakter
der Untersuchungen mit sich, dass die vergleichenden Wissenschaften
immer zugleich die universelleren sind, indem sie sich über ein
grosses Gebiet, wenn nicht über die Gesammtheit der Geisteserzeug-
nisse derselben Art erstrecken, indess die geschichtliche Betrach-
tung nothwendig auf einen Zusammenhang beschränkt bleibt, dessen
einzelne Theile noch in irgend einer historischen Wechselwirkung
mit einander stehen, und innerhalb dieses Zusammenhangs wieder
beinahe jede beliebige engere Gruppe von Erscheinungen heraus-
greifen kann. So bildet beispielsweise die Geschichte der indo«*
germanischen Sprachen eines der weitesten Gebiete, das als eine
historische Sprachwissenschaft möglich ist. Aus einem engeren Um-
kreis, wie der deutschen Sprache, lässt sich aber ein noch engerer,
wie das Niederdeutsche, das Neuhochdeutsche oder selbst der Dialekt
«mer einzelnen Landschaft, für die geschichtliche Betrachtung aus-
sondern.
Wie nun die so entstandenen Gebiete als Theile der Philologie
im weiteren Sinne gelten können, so sind sie natürlich nicht minder
als Einzelgebiete der Geschichte anzusehen. Zu diesen philologi-
schen Geschichtsdisciplinen sind dann aber noch andere, der eigent-
lichen Geschichte durch ihre engen causalen Beziehungen zu den
politischen Vorgängen näher stehende hinzugetreten, die sich aus
der Staatslehre und aus der Rechtswissenschaft abzweigten: so die
Verfassungs-, die Bechtsgeschichte und die an die Wirthschaftslehre
sich anlehnende Wirthschaftsgeschichte. Diese Gebiete, die mehr die
Zustände, aus denen die geschichtlichen Begebenheiten hervor-
gehen, als diese selbst untersuchen, hat man zusammen mit der
Kunst- und Literaturgeschichte in neuerer Zeit auch unter dem etwas
mehrdeutigen Namen der Gulturgeschichte zusammengefasst und
der politischen Geschichte gegenübergestellt.
Auf diese Weise hat namentlich die Entwicklung des gegen-
wärtigen Jahrhunderts eine Fülle einzelner Geisteswissenschaften
entstehen lassen, so dass man angesichts dessen wohl zweifelhaft
sein könnte, ob unsere Zeit nicht in höherem Grade noch den Namen
eines Zeitalters der Geisteswissenschaften als den des Zeitalters der
8 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
Naturwissenschaften, der für sie vorgeschlagen worden ist, verdient*
Wenigstens wenn man den wissenschaftlichen Geist einer Periode
nach der Menge eigenartiger Ideen und Arbeiten und neuer
Forschungsrichtungen, die in ihr hervortreten, bemisst, so will es
mir scheinen, dass die Naturwissenschaften bei allem Reichthum
und trotz neuer, durch ihre praktische Bedeutung blendender Ent-
deckungen doch im Ganzen nur dieselbe Bahn weiterverfolgen, die
sie im 17. Jahrhundert bereits eingeschlagen haben. Die Geistes*
Wissenschaften aber haben, seitdem die vergleichende und die ge-
schichtliche Behandlung der Probleme in sie eingedrungen sind und
allmählich auf alle möglichen Gegenstände geistigen Interesses aus-
gedehnt wurden, so ungeheure innere Wandlungen erfahren, dass
sich deren Bedeutung heute noch kaum ermessen l'ässt, um so mehr
da die allgemeinen Gesichtspunkte und namentlich die Pflege der
grundlegenden psychologischen Disciphnen mit der in den einzelnen
Gebieten verarbeiteten Fülle des Steffis kaum Schritt halten konnten"").
Dieser im Gknzen noch unfertige Zustand der Geisteswissen-
schaften bringt es mit sich, dass die logische Ordnung derselben,
bis jetzt weit hinter der systematischen Verfassung der Natur-
forschung zurücksteht. Zwei besondere Schwierigkeiten tragen daran^
neben der späten Ausbildung der zuletzt genannten vergleichenden
und historischen Disciplinen, wohl die Hauptschuld. Erstens ist
das Ineinandergreifen der verschiedenen Gebiete hier ein noch un-
gleich mannigfaltigeres als in den Naturwissenschaften. Dasselbe
lässt heute noch schwer entscheiden, wo die eine Wissenschaft
anfangt und die andere aufhört, ja es macht diese Frage über-
haupt vielleicht zu einer ziemlich nichtigen, weil sich zwischen ein-
zelnen der Hauptdisciplinen, wie zwischen Philologie und Geschichte,,
Gultur- und politischer Geschichte, endlich sogar zwischen Gesell-
schaftslehre und Geschichte überhaupt, keine festen Grenzen ziehen
lassen. Zweitens fehlt es innerhalb der Geisteswissenschaften heute
*) Dass, wie H. v. Treitschke (Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert,
Bd. b, S. 425) annimmt, in unserem Jahrhundert die Entwicklung der Natur-
wissenschaften von der exacten historischen Forschung aus heeinflusst worden
sei, scheint mir freilich nicht nur unerweishar zu sein, sondern in völligem
Widerspruch mit der wirklichen Geschichte der neueren Naturforschung zu stehen.
Wohl aber hat umgekehrt diese und hahen namentlich, wie wir unten (Cap. III
und IV) sehen werden, gewisse aus ihr hervorgegangene naturphilosophisch e
Strömungen auf einzelne Richtungen der Geschichts- und Gesellschaftswissen-
schaften einen bedeutenden Einfluss ausgeübt.
Entwicklung der Geisteswissenschaften. 9
noch an einer ähnlich grundlegenden Disciplin, wie eine solche für
die Naturwissenschaften zweifellos die Mechanik ist, weniger da-
durch, dass sie etwa die allgemeingültigen Voraussetzungen dar-
geboten hätte, mittelst deren alle physikalischen, chemischen und
biologischen Probleme zu lösen sind — mindestens kann man darüber
verschiedener Meinung sein — , als vielmehr deshalb, weil sie die
Methoden an die Hand gab, mittelst deren die einzelnen Probleme
exact zu behandeln waren. Innerhalb der Geisteswissenschaften sind
wir Yon der sicheren Anerkennung einer derartigen Grundwissen-
schaft noch weit entfernt. Wenn man heute unter den Vertretern
dieser Wissenschaften Stimmen darüber sammeln wollte, welche der
vorhandenen sie als eine solche anzuerkennen geneigt seien, so
würde wahrscheinlich das Elesultat äusserst widersprechend lauten:
die einen würden wohl die Philologie, die andern die Geschichte,
noch andere die sogenannte Sociologie als dieselbe ansehen; eine
verschwindende Minderheit würde vielleicht auch auf die Psychologie
rathen. Nicht minder widersprechend sind die Meinungen über das
Verhältniss zur Philosophie. Dass die Geistes- so gut wie die
Naturwissenschaften aus der Philosophie hervorgegangen sind, weiss
man. Ob aber diese, nachdem nun einmal Geschichte, Philologie,
Jurisprudenz und Staatswissenschaften theils aus ihr abgezweigt, theils
durch die Verbindung philosophischer Lebren mit gewissen Normen
des praktischen Lebens entstanden sind, nicht ihre Schuldigkeit gethan
und daher ein für allemal zu verschwinden habe, oder ob sie nun
den einzelnen Geisteswissenschaften gegenüber einen neuen Zweck
und eine unter den geänderten Bedingungen nicht minder unerläss-
liche Aufgabe erfüllen solle wie jene, die ihr im Anfang der wissen-
schaftlichen Entwicklungen zugefallen, — darüber herrscht nicht die
mindeste Einmüthigkeit der Ueberzeugungen; und selbst da, wo man
der Philosophie in der Gemeinschaft der Geisteswissenschaften nicht
entraihen möchte, ist man doch durchaus uneins darüber, welche
Stelle ihr eigentlich anzuweisen, ob sie inner- oder ausserhalb der-
selben, über oder unter sie zu ordnen sei. Diese Schwierigkeiten
machen es wünschenswerth , zunächst auf den systematischen Zu-
sammenhang der Geisteswissenschaften unter einander und sodann
auf ihre Beziehungen zur Philosophie einen orientirenden Blick zu
werfen.
10 Allgemeine Grundlagen der GeisteBwissenschaften.
b. Das System der Geisteswissenschaften.
Ohne Zweifel besitzt das System der Geisteswissenschaften das
vornehmste Zeugniss seiner Berechtigung darin, dass die einzelnen
Wissenschaften, die wir zu diesem System rechnen, die Geschichte,
Philologie, Nationalökonomie, Jurisprudenz u. s. w., wirklich existiren,
und dass sie von Anfang an in enge Beziehungen zu einander ge-
treten sind. Wenn darum auch der zusammenfassende Name «Geistes-
wissenschaften* neueren Ursprungs ist, so kann man doch von ihnen
sagen, dass sie thatsächlich eine ähnliche Verbindung verwandter
Gebiete bilden wie die Naturwissenschaften oder die verschiedenen
Zweige der Mathematik. Eine solche Verbindung schliesst ja nicht
aus, dass die Glieder derselben auch Beziehungen zu ausserhalb ge*
legenen Disciplinen darbieten, ähnlich wie solche schon zwischen
Mathematik und Naturforschung bestehen. Aber die engere Ver*
wandtschafb wird sich doch immer darin verrathen, dass zwischen
den zusammengehörigen selbständigeren Wissenschaften üebergangs-
gebiete sich einschieben, über deren Zugehörigkeit man zweifelhaft
sein kann, oder dass für das eine Gebiet theils die Ergebnisse, theils
die Methoden und Hülfsmittel des andern unerlässlich sind. Dass bei
den Geisteswissenschaften solche Uebergänge und Beziehungen überall
stattfinden, ergibt sich nun schon aus ihrer geschichtlichen Entwick-
lung, in der eine grössere Anzahl der heute selbständig bestehenden
Gebiete aus der Theilung einer ursprünglich einheitlichen Mutter-
wissenschafb hervorgegangen ist und auch nach dieser Abzweigung die
Verwandtschaft mit jener und mit den andern aus ihr entsprungenen
Tochterdisciplinen nicht verleugnen kann.
Gleichwohl enthebt die that«ächliche Existenz der Geisteswissen-
schaften und ihrer wechselseitigen Beziehungen nicht der Verpflich-
tung, den Ursachen nachzuforschen, die ihrer Zusammenfassung in
ein einziges grosses Arbeitsgebiet zu Grunde liegen, und aus denen
sich eben jene im Laufe der geschichtlichen Entwicklung hervor-
getretene genealogische Verwandtschaft ergeben musste. Diese Ver-
pflichtung erscheint im vorliegenden Fall um so dringender, da es
nicht nur einer weit längeren Zeit bedurft hat, um hier den all-
gemeineren Zusammenhang zu deutlichem Bewusstsein zu bringen,
sondern da auch heute noch Zweifel darüber bestehen, ob eine Ver-
bindung mittelst irgend einer grundlegenden Wissenschaft möglich
sei, und welche unter den bestehenden man etwa als eine solche
Syatem der Geisteswissenschaften. 11
anzuerkennen habe. Da nun überdies die geschichtliche Entwick-
lang der Wissenschaften von mancherlei zufälligen und äusseren
Einwirkungen beeinflusst werden kann, die den logischen Zusammen-
hang trQben, so wird es für die Untersuchung der tieferen Ursachen
jenes Zusammenhangs erspriesslich sein, hier von allen geschicht-
lichen Bedingungen abzusehen, um, bloss die thatsächlichen Auf-
gaben der einzelnen Gebiete im Auge behaltend, zu fragen, worin
denn wohl der ihnen allen gemeinsame Zug besteht, der sie zunächst
mehr instinctiv als in Folge bewusster üeberlegung als ein Ganzes
erscheinen liess.
Die Hauptschwierigkeit dieser Frage liegt offenbar darin, dass
wir hier nicht, wie bei den Objecten der Naturforschung, auf be-
stimmte Erscheinungen hinweisen können, deren Zusammenhang
sich ohne weiteres durch ihre räumlichen Beziehungen der Beobach-
tnng aufdrangt und daher frühe schon in der Annahme eines allen
Naturerscheinungen gemeinsamen Substrates seinen Ausdruck fand.
Vielmehr sind uns die ,, geistigen Erscheinungen*^ oder, besser gesagt,
die Erscheinungen, aus denen wir auf geistige Vorgänge schliessen,
immer nur an Objecten gegeben, die zugleich der Körperwelt an-
gehören und in dieser Eigenschaft dem Untersuchungsgebiet der
Naturwissenschaften zufallen. Für die naturwissenschaftliche Be-
trachtung besteht eine analoge Schwierigkeit deshalb nicht, weil es
eine unendliche Anzahl von Erscheinungen gibt, bei deren Betrach-
tung wir gar keinen Anlass haben, irgend welche Factoren des
geistigen Geschehens vorauszusetzen. In Folge dessen sind wir dann
in der Lage, bei der verhältnissmässig kleinen Anzahl von Objecten,
wo dies der Fall ist, für die Zwecke der naturwissenschaftlichen
Untersuchung von dieser Coexistenz geistiger Factoren zu abstrahiren ;
und wir thun dies zweifellos mit Recht, insofern wir eben die Be-
rücksichtigung dieser Factoren einem ausserhalb der Naturforschung
gelegenen Gebiet überlassen wollen. Die Objecte der Oeisteswissen-
sehaften dagegen sind stets zugleich Naturobjecte. Jene für die
Naturwissenschaften erlaubte und innerhalb der von ihnen selbst
gezogenen Grenzen nothwendige Abstraction ist darum hier ein Ding
der Unmöglichkeit. Die Naturwissenschaft würde etwa dann in einer
ähnUchen Lage sein, wenn der Mensch und die ihm ähnlichen be-
seelten Wesen die einzigen Objecte der Natur wären, so dass die
Naturforschung mit der menschlichen Physiologie statt mit der
Mechanik schwerer Körper ihren Weg hätte beginnen müssen. Es
ist sehr zweifelhaft, ob unter solchen Bedingungen die Trennung
12 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
der Natur- und der Geisteswissenschaften überhaupt zu Stande ge-
kommen wäre; jedenfalls aber würde sie in ganz anderer Weise
erfolgt sein, als es thatsächlich geschehen ist.
Man umgeht diese Schwierigkeit, wenn man mit den grossen
Classificatoren aus dem Anfang unseres Jahrhunderts, einem Bentham
und Ampere, von der Fiction ausgeht, es gebe körperliche und
geistige Objecte, die ähnlich einander gegenüberzustellende Gegen-
stände der Eintheilung seien wie etwa die Pflanzen und Thiere oder
unter diesen die Wirbelthiere und die Wirbellosen. Geistige Objecte
in demjenigen Sinne, in dem wir von Naturobjecten reden, gibt es
überhaupt nicht; sondern es gibt nur Naturobjecte, an denen wir
Erscheinungen wahrnehmen, die uns auf geistige Vorgänge zurück-
schliessen lassen. Nicht minder aber heisst es das Ziel verfehlen,
wenn man nun auf Grund dieser unumstösslichen Thaisache der
Naturbedingtheit des geistigen Geschehens mit Auguste Gomte
die Geisteswissenschaften den einzelnen Naturwissenschaften coor-
dinirt, da ihre Objecte von denen der Physiologie nur dadurch
verschieden seien, dass diese den lebenden Organismus als einen
einzelnen untersuche, während Geschichte, Nationalökonomie, Juris-
prudenz u. s. w. es überall mit einer Vielheit gleichartiger mensch-
licher Wesen zu thun haben*). Diese Betrachtungsweise, nach der
sich die „Sociologie** bloss als höheres Glied an die Stufenleiter der
Naturwissenschaften anschliesst und von ihnen nicht principiell,
sondern nur durch die grössere Coraplication der Erscheinungen ver-
schieden ist, steht genau unter dem nämlichen Vorurtheil, aus dem
jene Eintheilung der Dinge in Körper und Geister entsprungen ist.
Weil es solche selbständige und unabhängig von den Körpern
existirende Geister nicht gibt, deshalb wird hier die relativ selb-
ständige Existenz der Geisteswissenschaften überhaupt geleugnet.
Gewiss wäre dies zutreffend, wenn diese Wissenschaften specifische,
von den Naturobjecten toto genere verschiedene Objecte haben
müssten. Aber da es solche Objecte nicht gibt, während doch die
einzelnen Geisteswissenschaften wirklich existiren, so sollte man
daraus vielmehr den Schluss ziehen, dass diese ganze Scheidung der
Wissenschaften nach Gegenständen unhaltbar ist. Das einzige Motiv,
das von Anfang an die Theilung der wissenschaftlichen Arbeiten
bestimmte, war die Unterscheidung der verschiedenen Classen der uns
in der Erfahrung gegebenen Vorgänge, theils mit Rücksicht auf die
*) Comte^ Philosophie positive, I, Le9. 1, III, Le9. 46.
System der GeisteswiflsenBchaflen. 13
an diesen Vorgingen selbst objectiv hervortretenden Merkmale,
theÜB mit Rflcksicht auf die von uns subjectiv mit dieser Unter-
scheidung verbundenen WerÜibestimmungen. Erst nachdem der
Sonderung der einzelnen Vorgänge eine Zusammenfassung gewisser
wichtiger Erscheinungsgebiete gefolgt war, wurde dann, namentlich
in der Naturwissenschaft, in untergeordneter Weise in der Mathematik
und den Geisteswissenschaften, die Unterscheidung bestimmter Ob-
jecte ein nebenhergehendes Hülfsprindp für die Sonderung der
Gebiete, wobei jedoch der steigende Werth, den man im letzteren
Fall auf die Entstehung der Objecte legt, auch hier eine Reduction
auf differente Vorgänge als die eigentliche Triebfeder der Unter-
scheidung erkennen lässt.
Suchen wir uns nun, von dem Gesichtspunkte aus, dass die
ursprüngliche Unterscheidung von Erfahrungsgebieten in der Unter-
scheidung gewisser Glassen von Vorgängen ihren Grund haben
muss, über die Sonderung der einzelnen Wissenschaften Rechenschaft
zu geben, so erscheint es vollkommen begreiflich, dass ein und
dasselbe Object Gegenstand ganz verschiedener Wissenschaften
sein kann. Beruht doch jede solche Arbeitstheilung auf einer durch
den Inhalt der Erfahrung nahe gelegten und sodann willkürlich
durch das logische Denken weitergeführten Abstraction. Diese zerlegt
zunächst den einheitlichen Thatbestand des Wirklichen mehr oder
minder künstlich, um dann durch eine darauf folgende Determination
der gewonnenen abstracten Begriffe diese durch ein rückwärts ge-
kehrtes Verfahren wieder so viel als möglich der Wirklichkeit an-
zunähern. Durch jenes Verfahren isolirender Abstraction hat sich
schon die Mathematik als ein System von Begriffen und Ope-
rationen, die auf Grund der formalen Eigenschaften der wirklichen
Dinge zu Stande kommen, von den realen Wissenschaften, die
neben der Form zugleich den Inhalt der empirischen Wirklichkeit
zu erfassen suchen, getrennt. Innerhalb der dem realen Inhalt
der Erfahrung zugewandten Forschungen hat sich dann wieder das
System der Naturwissenschaften durch seine ausschliessliche Richtung
auf die der äusseren Wahrnehmung zugänglichen Erscheinungen als
ein im allgemeinen wohl definirbares ausgesondert, falls man dabei
nur im Auge behält, dass sich diese Beschränkung auf die äussere
Wahrnehmung nicht bloss auf die Objecte, sondern namentlich auch
auf den Zweck der naturwissenschaftlichen Untersuchung selbst be-
zieht. Dieser Zweck ist erftült, sobald die Frage beantwortet ist,
wie bestimmte unserer sinnlichen Wahrnehmung gegebene Erschei-
14 Allgemeine Orundlagen der Geisteewisieiiscliafteii.
nungen sich in den gesammten Zusammenhang dieser Wahrnehmung
widerspruchslos einordnen. Darum nimmt die Naturwissenschaft zur
Erklärung der Naturerscheinungen immer nur andere Naturerschei-
nungen zu Hülfe; und wo sie etwa genöthigt wird, hypothetische
Objecte oder Vorgänge einzuf&hren, die selbst gar nicht wahr-
genommen werden können, da geschieht dies doch immer nur in der
Absicht, die objectiv wahrnehmbaren Erscheinungen in eine logische
Verbindung zu bringen.
Lässt sich demnach die Naturwissenschaft kurz definiren als
ein System widerspruchsloser Interpretation der sinn-
lichen Wahrnehmung, so scheint es nahe zu liegen, im Gegen-
sätze hierzu die Geisteswissenschaftien als ein wissenschaftliches System
aufzufassen, welchem die Interpretation der sogenannten inneren
oder seelischen Wahrnehmungen obliege. Nun ist aber unschwer
zu erkennen, dass diese Gegenüberstellung nicht nur unzulänglich,
sondern fehlerhaft ist. Sie beruht, gerade so wie die Unterscheidung
des äusseren und des inneren Sinnes in der älteren Psychologie, die
sich in ihr wiederspiegelt, nicht auf einer berechtigten Abstraction,
sondern auf einer falschen Analogie. Wie es, so oft auch von ihnen
geredet wurde, keine «Gegenstände des inneren Sinnes'', sondern nur
solche der äusseren Sinne gibt, so sind auch die Vorgänge, die wir,
bildlich gesprochen, auf die Existenz einer „geistigen Welt*^ beziehen,
ganz und gar in der sinnlichen, körperlichen Welt mit enthalten.
Schon für die Psychologie trifiFt darum jene Begriffsbestimmung einer
nur der sogenannten inneren Erfahrung zugewandten «reinen'' Geistes-
wissenschaft nicht zu ; denn keine Psychologie kann von den physi-
schen Bedingungen und Aeusserungen des Seelenlebens absehen. Wie
viel weniger vollends lässt sich eine solche Abstraction bei den
Problemen der Geschichte, Philologie, Wirthschafbslehre , Juris-
prudenz u. s. w. ausführen, die alle erst durch das Vorhandensein
der physischen Welt und durch die Bedingungen, die diese für das
menschliche Leben herbeiführt, ihren eigenthümlichen Inhalt ge-
winnen! Hier überall bestätigt sich eben, dass es keine geistigen
Objecte, sondern nur Vorgänge gibt, die wir auf geistige Factoren
beziehen, wobei aber mit diesen letzteren immer zugleich physische
Factoren unauflöslich verbunden sind. Selbst die Annahme geistiger
Vorgänge bleibt daher eine Abstraction, bei der wir von begleitenden
physischen Vorgängen absehen. Freilich aber darf man dabei nicht
vergessen, dass die Voraussetzung rein physischer Vorgänge im
Grunde eine ähnliche Abstraction ist, die uns nur durch die Be-
System der GeisteflwiMenschafben, 15
dingiingen der sinnlichen Wahrnehmung erleichtert wird. Da wo
diese beiden zu einem falschen realen Gegensatz erhobenen Er-
fahrongen, die äussere und die innere, zusammentreffen, beim Menschen
mid den ihm verwandten Wesen, sehen wir in die physischen Vor-
ige gerade so gut psychische Factoren wie in die psychischen
physische eingehen. Es bleibt daher stets der begründete Verdacht,
dass eine bloss physische Welt ebenso wenig irgendwo eine reale
Existenz besitze, wie diese einer bloss geistigen Welt zukommt.
Können wir nun weder Objecte noch Vorgänge aus dem 6e-
sammtinhalt unserer Erfahrung aussondern, die sich als Aufgaben
der Geisteswissenschaften ohne weiteres erkennbar den Gegenständen
der Naturerkenntniss gegenüberstellen Hessen, ähnlich etwa wie die
Objecte des Oehörssinnes von denen des Gesichtssinnes zu trennen
sind, ohne dass dabei eine nähere Aufzeigung unterscheidender Merk-
male ndthig oder im letzten Grunde überhaupt möglich wäre, so
bleibt nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass uns an dem im
übrigen der allgemeinen Erfahrung angehörenden Inhalte dessen,
was wir auf eine Betheiligung geistiger Vorgänge zurückführen,
irgend welche Eigenschaften entgegentreten, die auf eine wesentliche
Unterscheidung solcher Erscheinungen von blossen Naturerscheinungen
drangen. Gerade das, was der Unterscheidung von Eindrücken ver-
schiedener Sinne fehlt; die Existenz bestimmt zu definirender Merk-
male, muss also hier entscheidend sein. Denn diese ganze Ent-
wicklung bringt es mit sich, dass die Unterscheidung des Geistigen
und des Physischen keine Sache unmittelbarer Empfindung ist, wie
es die irreführende Gegenüberstellung der äusseren und der inneren
Wahrnehmung erwarten liess, sondern dass sie aus einer Reflexion
über den Erfahrungsinhalt hervorgeht, mag auch die klare Ver-
g^enwärtigung der logischen Motive dieser Reflexion verhaltniss-
mässig spät erst eingetreten sein, so dass ihr die praktischen Motive
der wissenschaftlichen ArbeitsÜieilung lange vorangingen und ihre
Ei^ebnisse vorausnahmen. Freilich darf man aber, wenn wir von
unterscheidenden Merkmalen zwischen Geist und Natur reden, nicht
Ton vornherein erwarten, dass auf beiden Seiten positive Eigen-
schaften einander gegenüberstehen, von denen die einen der Natur
zukommen und dem Geistigen fehlen, die andern aber umgekehrt
diesem zukommen und jener fehlen, sondern es wird dem Unter-
scheidungsbedürfniss vollkommen Genüge geleistet sein, wenn nur
auf der einen Seite Merkmale existiren, die auf der andern nicht
Torbanden sind. Dies ist denn auch nicht nur das wirkliche Ver-
l(j Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
hältniss, sondern auch dasjenige, das von vornherein erwartet
werden muss, weil eben die geistige Welt nicht der körperlichen
äusserlich gegenübersteht, wie die Cartesianische Metaphysik an-
nimmt, wenn sie die Materie das Ausgedehnte und Nichtdenkende,
den Qeist das Denkende und Nichtausgedehnte nennt, sondern weil
das Geistige überall ein zu dem physischen Sein Hinzukommendes
ist, welches darum auch begrifflich niemals von diesem gesondert
werden kann.
In der That gibt es drei allgemeine Merkmale, die wir überall,
wo sie uns an einem Erfahrungsinhalte entgegentreten, auf einen
geistigen Theilinhalt desselben beziehen. Diese drei Merkmale, die
wieder innig unter einander zusammenhängen, indem jedesmal das
vorangehende auf das folgende als seine innere Bedingung hinweist,
sind: die Werthbestimmung, die Zwecksetzung und die
Willensbethätigung.
Das Moment der Werthbestimmung bildet das nächste ent-
scheidende Merkmal des Geistigen gegenüber dem bloss Physischen.
Die naturwissenschaftliche Betrachtung verzichtet geflissentlich auf
Werthbestimmungen. Wo sie sich einmengen, da bleiben sie ein
von aussen Hinzugekommenes: die Erscheinungen an und für sich
betrachtet sind aber weder gut noch böse, weder schön noch häss-
lich. Selbst ihr Nutzen bleibt für die theoretische Wissenschaft
ausser Frage. Die geistige Welt dagegen ist die Welt der
Wert he. Diese können in den mannigfaltigsten qualitativen Modi-
ficationen und in den verschiedensten Graden vorkommen. Die sinn-
lichen, ästhetischen, ethischen und intellectuellen Werthe bilden nur
stärker hervortretende Hauptgruppen derselben, zwischen denen die
mannigfaltigsten üebergänge und Verbindungen stattfinden. Ihnen
allen ist es gemeinsam, dass sie sich zwischen Gegensätzen bewegen.
Hierdurch weisen sie auf das Gefühl als die subjective Bedingung
ihres Daseins hin. In dem Werthurtheil verbindet sich diese
zunächst im Gefühl vor sich gehende Werthbestimmung mit der
intellectuellen Abw's^ng der Werthgrade und Werthqualitäten. In
der geistigen Welt hat alles seinen positiven oder negativen, seinen
grösseren oder geringeren Werth : die Indifferenzlage zwischen jenen
beiden Richtungen bezeichnet, wie die Indifferenzlage des Gefühls
im subjectiven Bewusstsein, immer nur eine augenblickliche Wirkungs-
losigkeit bestimmter Motive oder, wenn die intellectuelle Betrach-
tung hinzukommt, eine absichtliche, von mangelndem Interesse oder
auch von Zweifel oder Vorsicht zeugende ürtheilsenthaltung.
System der Geisteswissenschaften. 17
Jede Werthbestimmung beruht nun aber auf Zwecksetzung:
nicht auf einer subjectiven Zweckbeirachtung , wie sie aus rein
logischen Motiven auf jeden beliebigen Causalzusammenhang an-
gewandt werden kann, sondern auf mit OefühlsmotiYen, also Werth-
bestimmungen verbundenen Zweckvorstellungen, die dem Zweck selbst
die Bedeutung einer objectiv wirkenden Ursache verleihen. (Vgl.
Bd. I, S. 646.) Die geistige Welt ist das Reich der Zwecke.
Darum sieht sich schon die naturwissenschaftliche Betrachtung vor-
nehmlich da zur Anwendung des Zweckbegriffs als einer Umkehrung
des Causalprincips gedrängt, wo bei der Entstehung physischer Objecte
oder physischer Vorgänge geistige Factoren mitwirken : so die Mechanik
bei der künstlichen Maschine (Bd. II, Abth. 1, S. 302) und die Biologie
bei den lebenden Organismen (ebend. S. 537 ff.).
Die Zwecksetzung in dieser Bedeutung einer auf Werthbestim-
mungen beruhenden objectiven Realisirung vorher vorhandener Zweck-
YorsteUungen ist endlich stets das Erzeugniss einer Willens-
thätigkeit. Denn nicht die Vorstellung als solche vermittelt die
Zwecksetzung, sondern der Wille, der von Anfang an mit der Werth-
bestimmung aufs engste verknüpft ist. Das Gefühl, dem die Werth-
bestimmung entspringt, ist selbst nichts anderes als das Wollen in
dem Anfangsstadium seiner psychologischen Entwicklung*). Die Natur
gilt uns überall da als willenlos, wo sie uns als ein Zusammenhang
passiver, nur durch äussere Kräfte mit einander in Wechselwirkung
tretender Gegenstände erscheint. * Wo uns aber in ihr Vorgänge
entgegentreten, die wir auf ein wirkliches, unserem eigenen gleichendes
Wollen beziehen, da schliessen wir auch auf das Vorhandensein
geistiger Factoren, und da fallen demnach solche Erscheinungen
ganz oder theilweise in den Umkreis der Geisteswissenschaften. So
ist das Merkmal der Willensbethätigung das letzte und zugleich das
entscheidende, das die beiden andern als nähere Bestimmungen in
sich schliesst. Das Geistige ist das Reich des Willens.
Nicht die Vorstellung, nicht die Intelligenz oder das Denken geben
den Ausschlag. Die Vorstellung, losgelöst gedacht vom Willen und
von den ihm anhängenden Zwecksetzungen und Werthbestimmungen,
fallt unterschiedslos mit ihrem Objecte zusammen, das getrennt von
allen jenen geistigen Eigenschaften lediglich ein Gegenstand natur-
wissenschaftlicher Betrachtung ist. Die Intelligenz aber ist die ein-
heithche Verbindung von Wollen und Vorstellen in ihren zusammen-
*) Grundzüge der physiol. Psychologie, 4. Aufl., II, S. 498.
Wundt, Logik. H, 2. 2. Anfl.
lg Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
gesetzten, auf die Erkenntniss der Naturrorgänge wie des geistigen
Lebens und auf die zweckmässige Beherrschung der eigenen Hand-
lungen gerichteten Bethätigungen. Darum ist die Intelligenz ei»
Merkmal des Geistigen eben nur insofern, als sie die elementaren
Merkmale der Willensthätigkeit, Zwecksetzung und Werthbestimmung
in sich vereinigt. Erst indem zu diesen allgemeinen Gesichtspunkten
der weitere hinzutritt, dass die Gegenstände wissenschaftlicher Be-
trachtung in dem Masse an Wichtigkeit zunehmen, als ihre Zwecke
bedeutender und die an diese Zwecke geknüpften Werthurtheile in-
haltsvoller werden, ergibt sich die denkende Bethätigung des
Willens als ein Kriterium jener Erscheinungen, die vorzugsweise die
Objecto der Geisteswissenschaften bilden. Deshalb ist der fast aus-
schliessliche Gegenstand dieser der Mensch, freilich nicht der Mensch
in seiner abstracten Isolirung von der ihn umgebenden und zugleich
sein eigenes Wesen mitbestimmenden Natur, sondern der wirkliche
Mensch. Die Thiere besitzen für die Geisteswissenschafben nur ein
beschränktes, überall erst durch die Rücksicht auf den Menschen
bestimmtes Interesse, theils indem sie mit zu jener Naturumgebung
gehören, in der sich menschliches Handeln bethätigt, theils weil sie
für die psychologische Entwicklungsgeschichte des Geistes bedeutsame
Vorstufen menschlicher Entwicklung bilden. Hiernach kann die
Scheidung der Geistes- und der Naturwissenschaften schliesslich da-
hin bestimmt werden, dass die Aufgaben der ersteren überall be-
ginnen, wo der Mensch als wollendes und denkendes
Subject ein wesentlicher Factor der Erscheinungen ist, und dass
dagegen alle die Erscheinungen, bei denen diese Beziehung zu der
geistigen Seite des Menschen ausser Betracht bleibt, den Gegen-
stand rein naturwissenschaftlicher Betrachtung bilden. Hierin ist
zugleich ausgesprochen, dass die Objecte der Geisteswissenschaften
von andern Gesichtspunkten aus stets auch Gegenstände natur-
wissenschaftlicher Betrachtung sind, und dass jene Objecte der Rück-
sicht auf die Naturbedingungen des geistigen Geschehens niemals
entrathen können.
Zunächst ist uns nun der einzelne Mensch als denkendes
und wollendes Subject in der Erfahrung gegeben. Ohne die Er-
kenntniss des Einzelmenschen würde die Erkenntniss der Erschei-
nungen, die an irgend welche menschliche Vereinigungen gebunden
sind, ein unlösbares Problem bleiben. Die Erkenntniss des Einzel-
menschen muss femer zwar von concreten und individuellen Er-
fahrungen ausgehen; zu einer allgemeineren Anwendung wird aber
System der GeisteswiBsenschaften. 19
nur das geeignet sein, was sich unter diesen Erfahrungen als allgemein-
gültig, als eine solche Eigenschaft oder Thätigkeit des Einzelnen
herausstellt, die in den allgemein menschlichen Trieben und Fähig-
keiten ihre Quelle hat. Nicht der Einzelmensch als Individuum
sondern als Gattung ist daher das Object, dessen Erkenntniss die
nächste Bedingung jeder Art von Untersuchungen im Qebiete der
Geisteswissenschaften ist. Die wissenschaftliche Disciplin, die den
Menschen in diesen seinen allgemeingültigen Eigenschaften zu ihrem
Gegenstande hat, ist die Psychologie. Principiell muss es demnach
als eine selbstverständliche Voraussetzung gelten, dass die Psycho-
logie gegenüber allen andern Oeisteswissenschaften die Bedeutung
einer grundlegenden Disciplin besitzt; und zwar ist es die Individual-
psychologie, die eben insofern, als sie die allgemeingültigen gßistigen
Functionen des Einzelmenschen erforscht, zugleich allgemeine
Psychologie ist. Wenn sich dies Verhältniss, so einleuchtend es
anch an und für sich zu sein scheint, bei den Vertretern der Oeistes-
wissenschaften keineswegs allgemeiner Anerkennung erfreut, so liegt
der Grand hiervon wahrscheinlich darin, dass man in der Psychologie
bis dahin keine sonderliche Hülfe für die besonderen wissenschaft-
lichen Zwecke glaubte finden zu können, und dass man deshalb
zwar nicht auf psychologische Begründungen verzichtete, aber sich für
diese doch mit dem zu behelfen suchte, was die allgemeine Lebens-
erfahrung Jedem ohne weitere Mühe zur Verfügung stellt. Die
Psychologie theilt hier einigermassen mit der Politik, in der bekannt-
lich ebenfalls beinahe jedermann sachverständig ist oder zu sein
glaubt, das Schicksal, dem ein Oebiet anheimfallen muss, in dem
ein gewisses, wenn auch geringes Mass von Kenntnissen allverbreitet
und zugleich für Jedermann in gewissem Grade unerlässlich ist.
Dazu kommt, dass in Wirklichkeit das, was man zumeist wissenschaft-
liche Psychologie nennt, für die Lösung psychologischer Probleme
kaum etwas geleistet hat, woraus der Einzelforscher auf dem Oebiet
der Geisteswissenschaften hätte Nutzen ziehen können. Gilt doch
Vielen noch heute die Psychologie für eine „ philosophische '^ Disciplin
und wird dem entsprechend von Solchen behandelt, die nicht aus
der Beschäftigung mit Aufgaben der psychologischen Erfahrung,
sondern besten Falls aus der Beschäftigung mit Erkenntnisstheorie
oder mit metaphysischen Systemen ihre Competenz zu einem sach-
verstimdigen ürtheil ableiten. Gerade diese noch jetzt bestehende
innere, nicht bloss äussere Verbindung mit der Philosophie — die
letztere würde ja als eine Art Personalunion verhältnissmässig un-
20 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
schädlich sein können — ist es aber, in der sich in Wahrheit die
rückständige Beschaffenheit dieser von Philosophen gepflegten Psycho-
logie verräth. Ist die Psychologie von allen Geisteswissenschaften
die einzige, fUr die noch immer diese Verbindung existirt oder doch
nur langsam in der Gegenwart sich zu lösen beginnt, so ist damit
auch gesagt, dass sie eine selbständige Methodik positiver Forschung,
deren sich jene längst schon erfreuen, erst zu erwerben im Begriffe
steht. Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen, dass
die Psychologie nur als eine Summe populärer Abstractionen , die
auf den Namen einer Wissenschaft keinen Anspruch erheben kann,
in dem heutigen System der Geisteswissenschaften eine Rolle spielt.
Darum würde es aber auch nicht berechtigt sein, nach solchen zwar
begreiflichen, aber doch nothwendig iransitorischen Bedingungen die
Stellung zu bestimmen, die der Psychologie nach der Natur ihrer
Aufgaben zukommt. Nach dieser kann es nicht zweifelhaft sein,
dass sie in Wirklichkeit die allgemeinste Geisteswissenschaft und
zugleich die unentbehrliche Grundlage ftlr alle andern ist. Je mehr
aber die falsche Verbindung mit der Philosophie, die geschichtlich
betrachtet nur die fortdauernde Erhaltung eines von den andern
Natur- wie Geisteswissenschaften längst zurückgelegten Stadiums der
Entwicklung ist, mit diesem rückständigen Charakter der Psychologie
zusammenhängt, um so mehr erscheint es in der Gegenwart als
nächste Aufgabe dieser Wissenschaft, jene ihre selbständige Ent-
wicklung schädigende Verbindung zu lösen. In der That ist es klar,
dass logisch betrachtet die Psychologie mit der Philosophie unmittel-
bar ebenso viel oder ebenso wenig zu thun hat wie die Physik oder
die Geschichte. Die Bildung unserer Vorstellungen, die Entwicklung
des Willens, die Beschaffenheit der Gefühle und ihre Verbindung
mit andern Bewusstseinsvorgängen — alles dies sind einzelne Probleme
der Erfahrung, gerade so gut wie die Erscheinungen von Wärme
und Licht oder die historischen Ereignisse. Warum es bei jenen
psychologischen Aufgaben der Erleuchtung durch irgend eine Meta-
physik bedürfe, um sich mit ihnen zu beschäftigen, ist nicht einzu-
sehen. Wohl aber ist es begreiflich, dass die Ausbildung empirischer
Methoden, die zur Analyse dieser besonderen Erscheinungen geeignet
sind, sowie die Unbefangenheit der Beobachtung unter jenen meta-
physischen Anticipationen Noth leiden mussten. Indem die folgende
Darstellung die Psychologie, wie sie es verdient, als eine gänzlich
ausserhalb der Philosophie stehende Geisteswissenschaft behandelt,
die zu der specifisch philosophischen Psychologie in keinem andern
System der Geisteswissenschaften. 21
Verhälinisse steht als etwa die wirkliche Geschichte zur Philosophie
der Geschichte, wird es zugleich ein Hauptaugenmerk derselben sein,
auf diejenigen Anschauungen und Methoden der neueren Psychologie
näher einzugehen, mittelst deren sie hoffen darf, der Gesammtheit
der andern Geisteswissenschaften eine gesichertere Grundlage zu
bieten.
Neben dieser Beziehung zu den andern Geisteswissenschaften
ist jedoch für die Stellung der Psychologie nicht minder der Um-
stand massgebend, dass der Mensch als Naturwesen zugleich Object
der Naturwissenschaften, speciell der Physiologie ist. In Folge der
engen Verbindung, die zwischen den psychischen und den physischen
Vorgängen im Organismus besteht, bildet daher die Psychologie
zugleich eine Art von Grenzgebiet zwischen den Natur- und Geistes-
wissenschaften, ein Gebiet auf dem einerseits noch eine der natur-
wissenschaftlichen verwandte Methodik mit Erfolg angewandt werden
kann, anderseits aber die für die Geisteswissenschaften massgebenden
Gesichtspunkte in ihren fundamentalsten Formen zur Geltung kommen.
Dieser nahen Beziehung zu beiden grossen Wissenschaftsgebieten
entspricht es, dass sich schon innerhalb der Psychologie aus der
allgemeinen oder Individualpsychologie gewisse psychologische Special-
gebiete aussondern, die jenen Uebergang nach der einen wie nach
der andern Seite vermitteln helfen. So beschäftigt sich die Psycho-
physik mit den Wechselbeziehungen der körperlichen und geistigen
Vorgänge, während sich die Völkerpsychologie die Untersuchung
derjenigen Erscheinungen zur Aufgabe nimmt, die, wie Sprache und
Sitte ; aus der Verbindung menschlicher Individuen zu engeren oder
umfassenderen geistigen Gesammtheiten hervorgehen. Dazu kommt
endUch die Pädagogik als eine praktische Disciplin, die sich in
ihren Mitteln ganz und gar auf die Psychologie stützt, indess ihre
Zwecke ethischer Art sind und ausserdem auf dem besonderen
Felde der Unterrichtspädagogik in die verschiedensten andern Wissens-
gebiete übergreifen.
Diesen allgemeinen Geisteswissenschaften, die wir wegen der
centralen Stellung der Psychologie inmitten derselben unter dem
Gesammtnamen der psychologischen Wissenschaften vereinigen
können, treten nun alle jene vorhin kurz in ihrer geschichtlichen
Entwicklung verfolgten Gebiete, Geschichte, Philologie, Jurisprudenz,
Nationalökonomie u. s. w. als specielle Geisteswissenschaften
gegenüber, insofern es stets einzelne Seiten geistiger Entwicklung
oder einzelne Formen geistiger Schöpfungen sind, die sie heraus-
22 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
greifen und entweder in ihrem allgemeinen Zusammenhang oder in
bestimmteren geschichtlichen oder ethnologischen Sonderungen der
Betrachtung unterwerfen. Dabei entwickelt sich nothwendig ein
bis jetzt freilich nur wenig zur Ausbildung gelangtes Wechselver-
hältniss zwischen ihnen und den allgemeinen psychologischen Dis-
ciplinen, insbesondere der Völkerpsychologie. Einerseits nämlich über-
liefern alle jene einzelnen Gebiete selbst dieser letzteren zu einem
grossen Theil den Stoff zu ihren Untersuchungen, andererseits werden
die Resultate der psychologischen Wissenschafben wieder frucht-
bringend und wegweisend für die Interpretation der einzelnen geistigen
Erscheinungen.
Bei der Gliederung der speciellen Geisteswissenschaften
kann man sodann von zwei Gesichtspunkten ausgehen. Entweder
lassen sich, analog wie die Naturwissenschaft Naturvorgänge und
Naturobjecte und danach erklärende und systematische Wissen-
schaften einander gegenüberstellt, so auf dem Gebiet des Geistes
geistige Entwicklungsvorgänge und geistige Erzeugnisse und danach
geschichtliche und systematische Wissenschaften unterscheiden'*').
Oder man kann davon ausgehen, dass die Objecte der einzelnen
Geisteswissenschaften theils vorübergehende Erscheinungen sind, die
in der Form geschichtlicher Vorgänge verlaufen, theils aber
mehr oder minder bleibende oder doch als bleibend betrachtete
Zustände, die als Bestandtheile eines allgemeinen gesellschaft-
lichen Zustandes erscheinen. Mag nun auch die erste dieser Ein-
theilungen, namentlich wenn man auf die Wechselbeziehungen und
die Zwischenformen zwischen den beiden dort entstehenden Wissen-
schaftsclassen Rücksicht nimmt, die logisch zutreffendere sein, so
entspricht doch die zweite unmittelbarer dem praktischen Bedürfnisse,
da sich ihr die thatsächlich vorhandenen Wissenschaften in ihren
natürlichen Verwandtschaftsbeziehungen ohne Zwang einordnen,
während im ersten Fall der Umstand, dass jede systematische Dis-
ciplin zugleich einen geschichtlichen Theil enthält, wie die Rechts-
wissenschaft die Rechtsgeschichte, die Nationalökonomie die Wirth-
schaftsgeschichte u. s. w., eine gewisse Incongruenz zwischen logischer
Eintheilung und praktischer Arbeitstheilung herbeiführt. Das tritt
*) Diesen für eine allgemeine logische Behandlung strengeren Eintheilongs-
grund habe ich nebst einigen weiteren die speciellere Classification bestimmen-
den Momenten angewandt in meiner Abhandlung über die Eintheilung der
Wissenschaften, Phil. Studien V, S. 44 flF.
System der Geisteswissenscliaften. 23
fiun freilich auch bei der zweifceu Eintheilung insofern ein, als die
gesellschaftlichen Zustände stets Producte einer geschichtlichen Ent-
wicklung und ihrerseits wieder der Veränderung durch diese unter-
worfen sind. Aber hier wird dann der praktische Gesichtspunkt
massgebend sein können, ob für ein bestimmtes Qebiet mehr das
Moment der Entwicklung oder das des relativ beharrenden Zustandes
ins Gewicht fällt. Dies gibt sich unmittelbar darin zu erkennen,
dass dort die Zustandsschilderungen , hier die geschichtlichen Be-
trachtungen bestimmten Hülfsdisciplinen überlassen bleiben, die dann
zugleich die Bedeutung von Uebergangsgebieten besitzen. Sonach
scheiden wir die Gesammtheit der speciellen Geisteswissenschaften in
die beiden grossen Classen der Geschichtswissenschaften und
der Gesellschaftswissenschaften. Zu den ersteren gehört ausser
den historischen Disciplinen im engeren Sinne die Philologie. Da
sich diese ihrem allgemeinsten Begriff nach die Untersuchung der
werthvoUeren geistigen Erzeugnisse jeder Art, insbesondere aber die
der literarischen Denkmäler, zur Aufgabe macht, so ist sie nament-
lich durch ihre Methodik eine Hülfsdisciplin für alle Geisteswissen-
schaften. Ihrem eigensten Inhalte nach steht sie aber doch in der
nächsten Beziehung zur Geschichte, weil sie durchgehends ihre Gegen-
stände unter dem Gesichtspunkte der geschichtlichen Entwicklung
betrachtet. Die Gesellschaftswissenschaften begreifen unter sich als
Einzelgebiete, die sich durch ihre praktische Wichtigkeit eine selb-
ständige Stellung errungen haben, die Ethnologie, die National-
ökonomie und die Jurisprudenz, neben denen gegenwärtig noch eine
die Erscheinungen des Zusammenlebens in ihren wechselseitigen Be-
ziehungen untersuchende allgemeine Sociologie in der Entwicklung
begriffen ist. Sie steht durch ihre Richtung auf den ganzen Zu-
sammenhang des socialen Daseins der allgemeinen Geschichte gegen-
über; durch den Inhalt ihrer Untersuchungen aber ist sie vorzugsweise
auf das von den einzelnen Theilen der Gulturgeschichte dargebotene
Material angewiesen und hat zugleich ihrerseits dieser vorzuarbeiten.
Diese Wechselbeziehungen zusammen mit dem gegenwärtig noch
wenig ausgebildeten, namentlich durch philosophische Richtimgen
beeinflussten Zustand der Sociologie bedingen es, dass sie von anderen
Gebieten, wie der Gulturgeschichte und Nationalökonomie, noch wenig
sicher abgegrenzt ist.
Da alle gesellschaftlichen Zustände Erzeugnisse geschichtlicher
Entwicklung sind, so wird in der folgenden Darstellung die Logik
der Geschichts- derjenigen der Gesellschaftswissenschaften voran-
24 Allgemeine Grundlagen der GeiBteswissenschaften.
zustellen sein. Der nahe Zusammenhang beider Gebiete findet
übrigens darin seinep Ausdruck, dass jede sociale Wissenschaft zu-
gleich historische Disciplinen oder mindestens eine solche, nämlich
die Geschichte ihres eigenen Gegenstandes, wie der Volkswirthschaft,
des Rechts, des Staates, in sich schliesst. Bei der gewählten An-
ordnung erscheinen dann die historischen Theile der Gesellschafts-
wissenschaften in systematischer Hinsicht als Verbindungen mit dem
vorangegangenen Gebiet, in methodischer als Anwendungen der ge-
schichtlichen Betrachtung auf bestimmte, aus der Gesammtheit der
gesellschaftlichen Bildungen ausgesonderte Cultursysteme.
c. Das Verhältniss der Geisteswissenschaften zur Philosophie.
Bilden die Geisteswissenschaften, wie soeben darzuthun versucht
wurde, eine den Naturwissenschaften coordinirte und sie ergänzende
Classe von Erfahrungswissenschaften, der insbesondere auch die
Psychologie als ihre allgemeinste Disciplin zugehört, so liegt darin
eigentlich schon ausgesprochen, dass das Verhältniss zur Philosophie
hier kein anderes sein werde als dort. Keine ^vissenschaftliche
Philosophie kann dieser Erfahrungsgebiete entbehren : sie selbst aber
können an und für sich ohne alle philosophische Voraussetzungen
an ihre speciellen Aufgaben herantreten, und je mehr sie es thun,
um so erspriesslicher wird dies im allgemeinen für die Untersuchung
selbst sein. Aber diese Forderung der Freiheit von jeder Art
metaphysischer Anticipationen , die erst möglich geworden ist, seit
sich die einzelnen Gebiete vollständig von der Philosophie getrennt
haben , schliesst doch keineswegs ein , dass Erwägungen , die den
Boden der Erfahrung und der direct aus Erfahrungen abzuleitenden
Folgerungen verlassen, und die also ihrem ganzen Charakter nach
dem Bereich philosophischer Untersuchung angehören, ein für alle-
mal in diesen Wissenschaften keine Stelle finden dürfen. Wer dies
verlangen wollte, der müsste in der That aus dem Bestand der
positiven Wissenschaften, wie sie gegenwärtig sind, und wie sie
nach ihrer definitiven Trennung von der Philosophie sich gestaltet
haben, wesentliche Stücke als ungehörig beseitigen ; und beim Lichte
besehen würde nach der Beseitigung dieser philosophischen Bestand-
theile wenig mehr übrig bleiben als ein todter empirischer StofiF»
an dem gerade das, was vorzugsweise den Charakter der Wissen-
schaft ausmacht, am meisten zu vermissen wäre. Denn so wichtig
und wünschenswerth die Erfüllung der Forderung ist, dass man
Verhältniss der Geisteswissenschaften zur Philosophie. 25
ohne philosophische Vorurtheile an die Bearbeitung der Erfah-
rung herantrete, so sch'ädlich und vielleicht auch unmöglich würde
die der anderen sein, dass man auch ohne Philosophie die Arbeit
abschliesse. Vielmehr lehrt die Geschichte dies als einen wichtigen
Zug in der Entwicklung der Erfahrungswissenschaften kennen, dass
in dem Masse, als sie dem Einäuss bestimmter philosophischer
Schulen entzogen werden; nun innerhalb der Einzelforschung selbst
eine philosophische Behandlung der Probleme entsteht, die nur des-
halb verborgener bleibt, weil sie sich zunächst nicht für Philosophie,
sondern meist für ein Ergebniss rein empirischer Erwägungen aus-
gibt. Der Unterschied dieser neuen, den Einzelwissenschaften imma-
nenten Philosophie von jener alten, die ihnen von aussen aufge-
zwungen war, besteht daher theils in ihrem unsystematischen
Charakter, wie nach diesem Ursprung erklärlich ist, theils darin,
dass sie das Ende, nicht den Anfang der Untersuchung zu bilden
pflegt. Indem sie sich so als das Resultat der letzteren darstellt,
bereitet sie aber eine entsprechend veränderte Stellung der Philo-
sophie vor. Hat diese ihre dereinstige Aufgabe, die Wissenschaft
überhaupt in sich zu vereinigen, eingebüsst, so kann sie, will sie
nicht auf einem verlorenen Posten zurückbleiben, nichts anderes
thun, als nun den Einzelwissenschaften wiederum nachzufolgen, sorg-
fältig zu sammeln, was diese an allgemeinen Erkenntnissen ge-
wonnen haben, das Gesammelte kritisch zu sichten, von den zwischen
den einzelnen Betrachtungsweisen etwa zurückbleibenden Wider-
sprüchen zu reinigen und ihm so die Eigenschaft zu verleihen, die
ihm jene den Einzelgebieten immanente Philosophie nicht in zu-
reichender Weise geben kann : die endgültige systematische Ordnung.
Da wir zu jenem philosophischen Theil der Wissenschaft alles das
rechnen müssen, was einen principiellen und, insofern es sich
als ein directes Ergebniss der Untersuchung nicht betrachten lässt,
zugleich einen hypothetischen Charakter an sich trägt, so ist
an diesen beiden Kriterien ohne Schwierigkeit der philosophische
von dem positiven Bestandtheil der Einzel Wissenschaften zu sondern.
In der That haben sich jene Kriterien in der Logik der Natur-
wissenschaften durchweg bewährt, indem sich hier die axiomati-
schen Hülfssätze des Causalprincips, wie das Trägheits-, das Energie-
princip u. a. , sowie die Voraussetzungen über die Eigenschaften
der Materie als metaphysische Annahmen herausstellten, die sämmt-
lich principiell und hypothetisch zugleich sind, wenn auch bei den
causalen Axiomen mehr die principielle , bei den Substanzbegriffen
2ij Allgemeine Grundlagen der GeiBteflwisaenschafleii.
mehr die hypothetische Seite herrortritt. (Vgl. Abschn. III, S. 427,
447 ff.)
Nun wird man freilich aa die Geisteswissenschaften nicht von
vornherein mit der Forderung herantreten dürfen, dass sieb bei ihnen
alles ähnlich verbalten müsse, wie auf dem in so mancher Beziehung
auf andern Erkenntnissbedingungen beruhenden Gebiet der NatiJr-
forschung. Doch ist das eine zweifellos, daas philosophische Be-
trachtungen nicht nur in der Geschichte der Geistes wissenacbaften
eine grosse Rolle gespielt haben, sondern dass sie auch heute noch
tiberall in ihnen anzutreffen sind. In der That ist die historische
Bedeutung der Philosophie hier eine so ungeheure, dass sich der
Kampf widerstreitender Lehren zumeist durchaus nicht um Fragen
des thatsächlichen Verhaltens, sondern um allgemeine, durch den
philosophischen Standpunkt bestimmte Anschauungen dreht. Zwar
ist gegenwärtig auch unter den Vertretern der einzelnen Geistes-
wissenschaften, und am meisten vielleicht unter den Historikern, noch
immer die Meinung anzutreffen, dieses philosophische Stadium sei
gänzlich Überwunden und durch eine positiv gewordene Wissenschaft
abgelöst worden. Aber wer sich vergegenwärtigt, was im Grunde
heute noch der Inhalt aller Erörterungen über das Wesen von
Recht, Staat, Wirthschaft und Gesellschaft sei — Fragen, deren
sich auch die einzelnen Gesellschaflswissenschaflen nicht völlig ent-
schlagen können — , der wird in solchen Debatten den nie erlöschen-
den Streit zum Theil uralter phil.isophiseiier Gegensätze nicht ver-
kennen, wobei nur diese neue Fonuen annehmen, weil sie sich jeweds
der Waffen bedienen, die ihnen dus Wissen der Zeit zur VerfQgung
stellt. Und auch in der Geschichtswissenschaft darf man sich da-
durch, dass gewisse Systeme der Geüchichtsphilosophie, die sich aus-
drücklich diesen Namen beileglin. als überwunden gelten, nicht
darüber hinwegtäuschen lassen, (hiss es schliesslich Unterschiede der
philosophischen Geschichtsauffaesniif; sind, die heute noch die Haupt-
richtungen der historischen Forsi iuiug bestimmen. So scheint denn
hier Oberhaupt der eigenthümliclü^ Unterschied der Geistes- von den
Naturwissenschaften wesentlich iliirin zu liegen. das,s sich in den
letzteren bereits bestimmte phil'i-Hphische Principini und Voraus-
setzungen zu allgemeiner Geltuiig liurchgerungen haliLu, während
in den ersteren noch verschiedim- Weltanschauung-'u ■"■'*
streiten. Da in dieser Beziehung d'- ''■—•^—A i.
Schäften von heute einigermass^^ii i
im Zeitalter ihrer Erneuerung erin
Verhältnias der Geisteswissenschaften zur Philosophie. 27
annehmen, dass es bloss ein unterschied verschiedener Entwicklungs-
stadien sei, der uns hier entgegentritt.
Kann es nun auch erst an einer spateren Stelle unsere Auf-
gabe sein, die philosophischen Begriffsbildungen, die in jedem der
Hauptgebiete der Geisteswissenschaften hervorgetreten sind, und dabei
zugleich den Zusammenhang der einzelnen Theorien mit den psycho-
logischen Grundanschauungen über das geistige Leben und mit be-
stimmten metaphysischen Doctrinen der Philosophie nachzuweisen, so
ist doch auf eine Art philosophischer Voraussetzungen schon hier
einzugehen: auf gewisse leitende Maximen nämlich, die auch in den
Geisteswissenschaften überall den speciellen Problemen entgegen-
gebracht werden, und die schon deshalb dem Arsenal philosophischer
Betrachtung entnommen sein müssen, weil sie jeder Analyse des
Einzelnen vorausgehen und demnach die Entwicklung der positiven
Wissenschaften von ihrem Ursprung aus der Philosophie her begleitet
haben. Obgleich also vorwissenschaftlichen Ursprungs, können doch
diese heuristischen Principien, wie wir sie in Analogie mit
den leitenden Maximen der Naturforschung (Abschn. in, S. 272)
nennen wollen, niemals entbehrt werden; und wenn auch jedes
einzelne dieser Principien in seiner einseitigen Ausprägung zu einer
umfassenden Würdigung der geistigen Vorgänge und Erzeugnisse
unzureichend ist, so bilden sie in ihrer Verbindung doch ein unent-
behrliches Werkzeug der Reflexion über die Erscheinungen, welches
fortan den wichtigen Dienst leistet, dass es die Untersuchung der
Probleme in Fluss bringt.
2. Heuristische Principien der Geisteswissenschaften.
a. Das Princip der subjectiven Beurtheilung.
Von den früher betrachteten analogen Grundsätzen der Natur-
forschung unterscheiden sich die leitenden Principien der Geistes-
wissenschaften wesentlich dadurch, dass jedem derselben innerhalb
gewisser Grenzen eine unbestreitbare Geltung zukommt. Ein Kampf,
wie er dort um Sein oder Nichtsein gewisser Voraussetzungen geführt
*^V|e, ist darum hier von Anfang an unmöglich gewesen. Dass wir
'^ selbst Andere und ihre Handlungen beurtheilen, dass die
■% der geistigen Welt nicht bloss Handlungen Einzelner, son-
"^W|^o^K^ mindestens zum Theil Erzeugnisse der geistigen
28 Allgemeine Grandlagen der Geisteswissenschaften.
Umgebung sind, in der sie entstehen, endlich dass die Einzelnen wie
die Gemeinschaften von der Natur und den besonderen Naturbedin-
gungen, die auf sie einwirken, bestimmt werden, — diese Sätze haben
sich zu jeder Zeit einer so allgemeinen Zustimmung erfreut, dass sie
beinahe für selbstverständliche Wahrheiten gelten könnten. Augen-
scheinlich steht diese Evidenz im engsten Zusammenhang mit dem
Charakter unmittelbarer Thatsächlichkeit, der der psychologischen im
Unterschiede von der Naturerkenntniss zukommt. (Vgl. Bd. I, S. 436.)
Alle jene heuristischen Principien der Geisteswissenschaften sind eben
im Grunde psychologische Maximen, da sie jeder psychologischen
Beurtheilung, insbesondere schon der des praktischen Lebens zu
Grunde liegen. Nichtsdestoweniger fehlt es auch hier nicht an einem
Streit der Anschauungen. Dieser bezieht sich aber nicht auf die
Geltung irgend eines jener Principien, sondern auf den relativen
Geltungsbereich derselben. In der Frage nach dem Gewicht, das
jedem Princip im Verhältniss zu den andern zukomme, besteht in der
That ein so grosser Zwiespalt der Meinungen, dass Einflüsse, die den
Einen als die ausschliesslich massgebenden erscheinen, von Andern
als verschwindende Grössen angesehen werden; und dieser Streit, weit
entfernt ausgeglichen zu sein, scheint heute auf allen Gebieten der
Geisteswissenschaften lebhafter zu sein als jemals, vielleicht vornehm-
lich deshalb, weil man sich allmählich der streitigen Punkte selbst
deutlicher bewusst geworden ist. Dies zeigt sich schon bei dem
ersten der hier in Frage kommenden Principien, das trotz seiner
Selbstverständlichkeit hinsichtlich der Art und des Grades seiner
Anwendung vielleicht am meisten verschiedener Deutung fähig ist:
bei dem Princip der subjectiven Beurtheilung.
Wo immer wir Erscheinungen ausser uns wahrnehmen, die wir
mit geistigen Vorgängen, welche den in uns erlebten ähnlich sind,
in Verbindung bringen, da ist an und für sich das eigene innere
Erlebniss der nächste Massstab der Beurtheilung. Die ursprüngliche
Unterscheidung des Geistigen ist stets ein mehr instinctiv als plan-
mässig geübtes Verfahren, das nach dem Gesammteindruck, nicht
nach klar erfassten einzelnen Merkmalen urtheilt, und das daher in
der mannigfaltigsten Weise fehlgreifen kann, indem es die Grenzen
bald zu weit bald zu eng zieht. Schon für den ersten rohen Ge-
sammteindruck ist aber das eigene innere Erlebniss massgebend.
Wo sich auch nur theil weise die objective Erfahrung mit diesem
zu decken scheint, da ist der Mensch sofort bereit, sie der ihm ge-
Princip der subjectiven Beurtheilang. 29
läufigsten aller Erfahrungen, der subjectiven, einzuordnen. Darum
ist von jenen beiden Fehlern der Grenzbestimmung der erste, die
Erweiterung des Psychischen über alle erlaubten Grenzen hinaus,
der nächstliegende. Das mythologische Denken umspannt auf diese
Weise die Gesammtheit des äusseren Geschehens mit einem Netz
geistig wirkender Kräfte. Um so mehr ist dann eine fortschreitende
wissenschaftliche Reflexion geneigt, in den entgegengesetzten Fehler
zu verfallen : sie verlangt ein Mass intellectueller Leistungen, wie es
erst auf einer •höheren Stufe geistiger Entwicklung anzutreflPen ist.
Zwischen diesen Extremen die richtige Mitte zu finden, wird endlich
die Aufgabe einer besonneneren empirischen Forschung, — eine um so
schwierigere Aufgabe, da sie verlangt, nicht nur nach eigenen psycho-
logischen Erfahrungen die Dinge zu beurtheilen, sondern auch wo
nöihig von dem eigenen Erlebniss alles das in Abzug zu bringen,
was mit dem objectiven Eindruck nicht übereinstimmt.
Auf diese Weise geht aus jener naiv und instinctiv nach sub-
jectiven Motiven erfolgenden Auffassung der geistigen Erscheinungen
allmählich das Princip der subjectiven Beurtheilung als ein be-
wusstes und planmässig geübtes Hineinversetzen des
Subjectes in die Objecte hervor. Schon die psychologische
Selbstbeobachtung wendet dieses Princip in gewissem Masse auf das
Subject selbst an, indem es dieses in einer der Vergangenheit an-
gehörenden und insofern objectiv gewordenen Lebenslage wie ein
Object behandelt. Denn auch für die gewöhnliche, objectiver Hülfs-
mittel entbehrende psychologische Selbstbeobachtung bildet niemals
die unmittelbare Gegenwart, sondern irgend ein sei es soeben, sei
es vor längerer Zeit verflossenes Erlebniss den Gegenstand der Be-
trachtung, da es völlig unmöglich ist, naiv, ohne Störung durch die
Absicht der Beobachtung, etwas in uns zu erleben und zugleich das
Erlebte zu beobachten. In das frühere Erlebniss muss sich also der
Beobachtende zurückversetzen, und er muss dasselbe auf Grund dessen,
was ihm die unmittelbare subjective Wahrnehmung darbietet , be-
urtheilen. Die Psychologie erweitert dann ihren Beobachtungskreis,
indem sie das nämliche Verfahren auf andere Menschen oder über-
haupt auf andere geistige Wesen überträgt. Die übrigen Geistes-
wissenschaften aber bedienen sich desselben successiv in drei Formen.
Zunächst beurtheilen sie nach ihm, der zuletzt erwähnten objectiven
psychologischen Beobachtung folgend, handelnde Persönlich-
keiten mit Rücksicht auf die von ihnen ausgehenden geschicht-
lichen und gesellschaftlichen Wirkungen. Sodann betrachten sie nach
30 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
seiner Anleitung collective Ereignisse, die an und für sich
auf eine Mehrheit betheiligter Personen zurückweisen, und aus denen
es gilt, die individuellen Einflüsse auszusondern und in ihren ursach-
lichen Beziehungen zu; dem Gesammtereigniss zu begreifen. End-
lich unterliegen dem nämlichen Princip geistige Erzeugnisse
rgend welcher Art, wie literarische Schöpfungen, Kunstwerke, histo-
rische Denkmäler u. s. w. , mögen sie nun sonst geschichtlich be-
kannte Persönlichkeiten zu ihren Urhebern haben oder nicht: in
beiden Fällen beruht das Verständniss auf einer sufojectiven Beur-
theilung, wobei nur diese im ersten Fall sich noch auf Thatsachen
stützen kann, die ausserhalb der untersuchten Erzeugnisse stehen,
während sie sich im zweiten ganz und gar durch diese selbst muss
leiten lassen. Die Probleme dieser Art, wo der psychologische
Charakter eines geistigen Schöpfers selbst erst aus seiner Schöpfung
construirt werden muss, sind begreiflicher Weise die schwierigsten,
wie die bekannten Streitfragen, welche sonst geschichtlich bekannten
Pelrsonen die Urheber bestimmter Erzeugnisse seien, oder ob man
gewisse Schöpfungen auf eine einzige Persönlichkeit oder auf eine
Mehrheit solcher zurückführen solle, beweisen.
So unentbehrlich das Princip der subjectiven Beurtheilung ist,
so augenfällig ist es hiernach, dass dasselbe durch die Art und den
Umfang seiner Anwendung theils zu Fehlem theils mindestens zu
einseitiger Auffassung der Dinge verfahren kann. Gerade um es
in fruchtbringender Weise anwenden zu können, muss man sich
daher diese Fehler und ihre psychologischen Quellen gegenwärtig
halten. Solcher Quellen sind aber vornehmlich zwei zu unter-
scheiden, die aus der eigenthümlichen Bethätigungsweise des Princips
selbst entspringen. Die eine besteht in der Uebertragung der bei
der subjectiven Beurtheilung stattfindenden Geistesthätigkeit auf die
zu beurtheilenden Erscheinungen: so entsteht die Neigung zu einer
einseitig intellectualisti sehen Erklärung und Motivirung der
geistigen Vorgänge und Handlungen. Die zweite besteht in der
Uebertragung der individuellen Eigenschaften des Beurtheilenden auf
das beurtheilte Object: hieraus entspringt die Neigung objectiv ge-
gebene geistige Vorgänge und Erzeugnisse durchgehends auf be-
stimmte Einzelpersönlichkeiten zurückzuführen, also die Tendenz zu
einer einseitig individualistischen Auffassung der Dinge, sowie
ausserdem die Nichtbeachtung der mit den geschichtlichen Bedingungen
wechselnden Eigenschaften der Menschen oder die ungeschichtliche
Beurtheilung der Zeiten und Individuen.
Princip der Bubjectiven Beurtheilung. 31
Von den genannten drei Fehlem ist der erste, der einseitige
Intellectualismus, vielleicht der yerbreitetate. So bemüht sich
überall die rationalistische Erklärung der wichtigsten Erscheinungen
des geistigen Lebens, der Sittlichkeit, des Rechtes, der Religion,
diese ausschliesslich als die Erzeugnisse von Zweckmässigkeitserw'ä-
gungen begreiflich zu machen. Wenn ferner Boeckh „die Erkennt-
niss des Erkannten ** als die Aufgabe der Philologie bezeichnet, so
zeigt dies nicht minder, dass nicht bloss fdr das Yerständniss der
geistigen Erzeugnisse, sondern auch fllr diese selber der Erkenn tniss-
werth Ton ihm als der massgebende angesehen wird'*'). Wie oft
endlich im einzelnen namentlich bei der Interpretation historischer
Ereignisse als Product planmassiger Absicht betrachtet werden mag
was mindestens nur theilweise aus logischer Reflexion, zumeist aber
aus sehr zusammengesetzten, die mannigfachsten Gefühlselemente in
sich schliessenden Motiven hervorging, oder wie oft ein wirklich
vorhandener Wille in Folge des Hinzutritts secundärer Motive statt
des erstrebten Ziels ein völlig anderes erreichte, aus dem nun auf
ursprünglich gar nicht vorhandene Zweckvorstellungen zurück-
geschlossen wird — alles das entzieht sich wohl in den meisten
Fällen unserer den Ereignissen nachfolgenden Deutung derselben **).
So anerkannt häufig solche Fehler sind, so wird aber dabei meist
nicht beachtet, dass es gerade der zur Unbefangenheit des Urtheils
erforderliche Zustand des ürtheilenden selbst ist, der sie herbei-
ftihren hilft. Je kühler abwägend dieser den Ereignissen gegenüber-
steht, um so leichter ist er geneigt, den gleichen Zustand rein
*) A. B ö c k h , Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissen-
schaften, herausgegeben von E. Bratuscheck. Leipzig 1877, S. 52.
**) Sehr anschaulich, wenn auch nicht frei von dem ihm eigenen Mysti-
cismus und Fatalismus, hat Leo Tolstoj diese nachträgliche ümdeutung der
Erfolge in Zwecke in seinem grossen geschichtsphilosophischen Roman «Krieg
nnd Frieden' geschildert. Er zeigt, wie alle die Ereignisse des Jahres 1812
bis znm Brande von Moskau mit innerer Nothwendigkeit kommen konnten, ohne
da« bei der Vorbereitung der Ereignisse bei irgend einem der Handelnden jene
planmässige Absicht, die man ihnen zuschrieb, bestanden hätte. , Während der
ganzen Zeit des Krieges hatten die Russen nicht im geringsten den Wunsch
gehabt, die Franzosen in die Tiefen Russlands zu locken, sondern alles dafQr
gethan, sie bei ihrem ersten Einfall in Russland aufzuhalten. . . . Die Russen
beschuldigten die Franzosen, die Franzosen die Russen, Moskau absichtlich ver-
bnumt zu haben; Moskau aber verbrannte, weil es, verlassen von seinen Ein-
wohnern, occupirt von unvorsichtig mit dem Feuer umgehenden Soldaten, in
einer Lage war, in der jede hölzerne Stadt verbrennen musste' u. s. w.
32 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
intellectueller Erwägung in den betheiligten Personen vorauszusetzen
und so aus erschlossenen Zwecken und Absichten abzuleiten, was
entweder ohne solche oder aus völlig abweichenden Bestimmungs-
grUnden entsprungen ist.
Der zweite Fehler, die individualistische Auffassung, ist an
die subjective Beurtheilung so innig gebunden, dass er, da diese
immer zunächst gefordert wird, von Anfang an der Betrachtung
objectiver geistiger Vorgänge und Erzeugnisse anhaftet. Einer naiven
Reflexion erscheinen die Zustände und Schicksale der Völker als
unmittelbare Erfolge der Handlungen einzelner hervorragender
Menschen, und diese Betrachtung fühlt sich wieder um so befriedigter,
je mehr sie es vermag, eine zusammenhängende Reihe von Begeben-
heiten oder von geistigen Erzeugnissen auf eine einzige schöpferische
Persönlichkeit zurückzuführen. Der Trieb zu dieser Individualisirung
des gesammten geistigen Lebens reicht aber noch weit in eine fort-
geschrittene Reflexion hinein. Die Ereignisse erscheinen dem Be-
obachter klarer, in sich zusammenhängender, wenn er das was sich
objectiv als ein Ganzes von Gründen und Folgen darstellt auch
subjectiv auf die unmittelbare Einheit der Motive und Zwecke eines
individuellen Willens zurückführen kann. Indem die Hineinversetzung
in • einen geistigen Zusammenhang eine Verbindung im Bewusstsein
des Urtheilenden fordert, strebt dieser naturgemäss die auf solche
Weise in ihm zur persönlichen Einheit verknüpften Motive des Ge-
schehens auch wieder zu objectiviren. Darum gehört die Ein-
schränkung dieser Individualisirung des historischen Geschehens und
der geschichtlich gewordenen Erzeugnisse in die ihr gebührenden
Grenzen zu den schwierigsten , die grösste Selbstüberwindung ein-
gewurzelter psychologischer Neigungen fordernden Aufgaben der
Forschung.
Aber das Princip der subjectiven Beurtheilung treibt nicht
bloss dazu an, jedes objective geistige Geschehen überhaupt zu
subjeetiviren und zu individualisiren, sondern der natürlichen Neigung
des Beobachters entspricht es auch, seine eigene individuelle Persön-
lichkeit, wie sie durch die besonderen Zeit- und Culturbedingungen
in denen er lebt bestimmt ist, in seine Objecte hineinzudenken.
Das Thun und Denken, das Fühlen und Wollen von Menschen, die
einer entfernten Zeit oder auch nur einem uns fremden Lebenskreise
angehören, ist eine zwar in gewissen allgemein menschlichen Be-
dingungen mit der unseren übereinstimmende und darum unserer
Beurtheilung zugängliche Welt, in die sich hineinzudenken aber eine
Princip der subjectiven Beurtheilung. 33
Selbstentäusserung fordert, die Wenigen nur annähernd, vollkommen
sicherlich Keinem gelingen wird. Nur die anhaltende Beschäfti-
gung mit den geistigen Erzeugnissen einer solchen fremden Welt
kann jenem Ziel einiger massen nahebringen, dessen Erreichung
überdies noch durch äussere Hindemisse, wie mangelhafte üeber-
lieferung der Zeugnisse, ünkenntniss gewisser äusserer und innerer
Culturfactoren . die als selbstverständliche Bestandtheile des Lebens
durch keine Tradition aufbewahrt bleiben oder nur aus zufallig
erhaltenen Zügen errathen werden müssen, erschwert wird. Wenn
trotzdem die Lösimg dieser Aufgabe selbst bei einer nur lücken-
haften Eenntniss der Thatsachen manchmal in verhältnissmässig
vollkommener Weise gelingen mag, so verdanken wir das wesentlich
dem glücklichen umstände, dass jede der mannigfachen Abweichungen
des menschlichen Charakters eine durch den psychologischen Zu-
sammenhang des Seelenlebens bedingte innere Einheit besitzt, aus
der sich auch dem subjectiven Beurtheiler, wenn er nur erst einzelne
ZQge der fremden Individualität richtig erfasst hat, die übrigen
Eigenschaften von selbst ergeben.
Die Einseitigkeiten und Mängel, denen das Princip der sub-
jectiven Beurtheilung durch die Hereintragung der eigenen, durch
besondere Zeit- und Culturbedingungen bestimmten Persönlichkeit in
die Individuen, Ereignisse und Schöpfungen einer andern Cultur unter-
worfen ist, bringen jene Fehler des Urtheils hervor, die man speciell
im ßebiet der Geschichte als die der unhistorischen Auffassung
bezeichnet. Unhistorisch ist jedes ürtheil, das an eine gegebene
Zeit den Massstab einer andern anlegt. Die hierbei zum allgemeinen
Massstabe dienende Zeit ist aber in der Regel die eigene, weil sie
es ist, die nach dem Princip der subjectiven Beurtheilung jede
historische Auffassung nothwendig in gewissem Grad bestimmen
muss. Doch ist es nicht allein die Geschichte, die diesem Mangel
unterUegt: der Ethnologe, der Nationalökonom, der Jurist und der
Aesthetiker, welche die Culturen, Wirthschafts- und Rechtsformen
oder künstlerischen Leistungen anderer Völker untersuchen, können
mehr oder minder dem nämlichen Fehler anheimfallen, wenn ihnen
auch in der Regel die Entschuldigung einer lückenhaften Beschaffen-
heit der Zeugnisse nicht in gleichem Grad zur Verfügung steht.
Der Fehler des ünhistorischen ist also nur ein Specialfall des all-
gemeineren Fehlers mangelhafter Objectivität. Dieser weist
aber in noch höherem Grade als die andern dem Princip der sub-
jectiven Beurtheilung anhaftenden Mängel eines einseitigen Intellec-
Wnndt, Logik. 11, >. ».Aufl. 3
34 Allgemeine Grandlagen der Geisteswissenschaften.
tualismus und Individualismus darauf hin, dass dieses Princip über-
haupt andere es ergänzende Maximen voraussetzt. In der That
schliesst die zuletzt erhobene Forderung der objectiven, nament-
lich die geschichtlichen Thatsachen im Lichte ihrer eigenen Zeit und
Cultur erfassenden Betrachtung schon vollständig das folgende Princip
in sich.
b. Das Princip der Abhängigkeit von der geistigen Umgebung.
Dieses Princip steht anscheinend in einem Gegensatz zu dem
vorangegangenen. Verlangte jenes ein Hineinversetzen des urtheilen-
den Subjects in eine andere handelnde Persönlichkeit und eine auf
Orund dieser üebertragung sich vollziehende Ableitung der Ereig-
nisse und Erzeugnisse aus individuellen, in ihrem geistigen Wesen
dem Beurtheiler ähnlichen Persönlichkeiten, so fordert dieses, bei den
Einzelnen und ihren Schöpfungen solle vor allen Dingen nach dem
geistigen Medium gefragt werden, das sie umgibt, um so viel als
möglich aus den Einflüssen dieses Mediums alles Geschehen, die
Handlungen der Einzelnen wie der Gemeinschaften verstehen zu
lernen. Aber dieser Gegensatz ist doch nur ein scheinbarer. Da
die geistige Umgebung selbst immer wieder aus Einzelnen und ihren
Erzeugnissen besteht, bei deren Auffassung wir kein anderes Hülfs-
mittel als das der subjectiven Beurtheilung besitzen, so bedeutet
dieses neue Princip eigentlich nur eine Verlegung der AngriflBspunkte
jenes ersten. Und da zu dem geistigen Medium eines Zeitalters,
Volkskreises oder eines Erzeugnisses schliesslich Jeder gehört, der
an ihm Theil nimmt und jedenfalls nicht zum wenigsten der, der
etwa die in Frage stehende That selbst vollbracht hat, so handelt
es sich schliesslich in diesem Fall nur um eine Erweiterung des
Princips der subjectiven Beurtheilung, durch die wir angewiesen
werden, es sei dasselbe nicht bloss auf einzelne wenige, sondern so
viel als möglich auf alle geistigen Factoren anzuwenden, die zum
Verständniss bestimmter Thatsachen der geistigen Welt dienen können.
Besonders augenfällig ist dieses Verhältniss im Gebiet der geschicht-
lichen Betrachtungen. Hier findet die individualistische Tendenz,
zu der die einseitige Anwendung des Princips der subjectiven Be-
urtheilung anregt, ihre vollkommenste Befriedigung in der indivi-
duellsten Form der Geschichte, in der Biographie. Sie wird daher
mit Vorliebe von solchen Historikern gepflegt, die auf die herrschende
Bolle der Individuen in der Geschichte einen entscheidenden Werth
Princip der Abhängigkeit von der gdstigen Umgebung. 35
legen. Nichts desto weniger gehört es zu den regelmässigen Eigene
Schäften aller, und zumeist auch derjenigen Biographen, denen in
Folge jener historischen üeberzeugung die Biographie im Ghninde
genonunen als die vollendetste Form der Geschichte gilt, dass sie
auf das geistige Medium einen hohen, in manchen Fällen vielleicht
einen übertriebenen Werth legen*). Diese Eigenschaft des Bio-
graphen ist offenbar gerade an die Beschäftigung mit der Einzel*
Persönlichkeit auf das engste geknüpft. Jeder Versuch, sich ihre
Entwicklung. zu vergegenwärtigen, muss hier noth wendig zu einem
wesentlichen Theile in der Erinnerung an die Bedingungen bestehen,
unter denen diese Entwicklung erfolgte. Je mehr man sich selbst
in die fremde Persönlichkeit hineinversetzt, um so mehr muss ja
hier deren Leben als ein unter steter Wechselwirkung mit äusseren
Kraften ablaufender Process erscheinen. So kommt es, dass die
dem Princip der subjectiven Beurtheilung entspringende Einseitigkeit
gerade da, wo diese das ihrer eigenen Neigung adäquateste Object,
die Einzelpersönlichkeit wählt, nothgedrungen in diesem Gegenstand
ihrer Studien selbst eine Correctur findet.
Indem das Princip der Abhängigkeit von der geistigen Um-
gebung zu einer Ausdehnung der subjectiven Beurtheilung über zahl-
reiche in geistiger Wechselwirkung stehende Individuen führt, er-
geben sich nun aber zugleich vielfach geistige Einflüsse, die überhaupt
nicht mehr individueller Art sind oder sich wenigstens nicht auf
bestimmte einzelne Persönlichkeiten zurückführen lassen. Sprache,
Sitte, Qlaube bilden um jeden Menschen eine geistige Atmosphäre,
ohne die er in der ihm eigenen geistigen Individualität nicht existiren
würde, und die, so sehr sie sich einer genaueren quantitativen Ab-
schätzung ihrer Bedeutung entzieht, doch wahrscheinlich das Ganze
seines Charakters in höherem Masse als irgend einer der speciellen
Einflüsse bestimmt. Zu ihnen treten dann aber noch mannigfache
Bedingungen hinzu, die zwar schliesslich an sich individueller Art
sind, deren individueller Ursprung aber nirgends mehr aufgefunden
*) Ich erinnere» um nur wenige Beispiele zu nennen, an Max Lehmanns
Biographie Schamhorsts mit ihi'er eingehenden Schilderung der kriegerischen
Einflüsse, die den Helden «fast von der Wiege an" umgaben (Bd. I, S. 6), und
an R. Hayms »Hegel und seine Zeit", in welchem Werk die scholastische und
zugleich streng architektonische Darstellungsform der HegeFschen Logik auf
den damaligen Beruf des Philosophen als Gymnasiallehrer und auf sein Leben
in Nürnberg, einer Stadt, .wo er von Bau- und Skulptui-werken deutscher Kunst
umgeben war', zurückgeführt wird (S. 290 und 301).
36 Allgemeine Grandlagen der Geisteswiflsenschaften.
werden kann, so dass sie als besondere, für jede einzelne Persön-
lichkeit wechselndere Bestandtheile jenem geistigen Medium, das den
Einzelnen umgibt, ebenfalls zugehören. Indem nun die rein indivi-
duellen Eigenschaften den einer öesammtheit mehr oder minder ge-
meinsamen gegenüber als ein Wechselndes und Zufalliges erscheinen,
führt das Princip der Abhängigkeit von der geistigen Umgebung
zu dem Streben, dieses Medium einer bestinmiten Zeit und Gultur
als den über allen Einzelnen stehenden geistigen Gesammtcharakter
einer Gesammtheit nach seinen wesentlichsten Eigenthümlichkeiten
zu untersuchen und andern ähnlichen Gesammterscheinungen gegen-
über wissenschaftUch zu definiren. Eine solche in dem Begriff des
geistigen Mediums wurzelnde Betrachtungsweise kann dann wieder
bald den Charakter eines bestimmten Zeitalters bald den eines be-
stimmten Bevölkerungskreises herausgreifen, oder sie kann wohl
auch die hauptsächlichsten geistigen Erzeugnisse der einzelnen Zeit-
alter und Gulturkreise, wie Sprache, Sitte, Literatur, Kunst, zu ihren
Gegenständen nehmen. Dabei wird dann aber selbstverständlich bei
solchen Gebieten, in denen, wie in Literatur und Kunst, die be-
sondere Wirksamkeit individueller Persönlichkeiten eine wichtige Rolle
spielt, eine Rücksichtnahme auf die Verbindungen und Wechsel-
wirkungen beider Einflüsse, des allgemeinen und des individuellen,
unerlässlich , während diese bei einem Objeet wie der Sprache, das
uns unmittelbar als eine geistige Gesammtschöpfung gegeben ist,
fast ganz zurücktritt. Nichts desto weniger muss man im Auge
behalten, dass es sich hier überall nur um Grad- nicht um Wesens-
unterschiede handeln kann. Mag uns die Literatur eines Volkes
zunächst als das Erzeugniss der Schriftsteller gelten, die an ihr
mitgearbeitet haben, und ,von denen jeder dem von ihm herrühren-
den Antheil seine Eigenart mittheilte, sie trägt doch auch überall
wieder das Gepräge ihrer Zeit und der specifischen nationalen Cultur
derselben. Und mag dagegen eine Sprache in ihrem Wortvorrath
wie in ihrem Bau und in ihren geschichtlichen Wandlungen so sehr
die individuellen Einflüsse abgestreift haben, dass sie fast wie ein
Naturerzeugniss erscheint, eine den einzelnen Thatsachen auf den
Grund gehende Forschung vermag doch überall zugleich bestimmte
Persönlichkeiten nachzuweisen, die auf die Sprachen der geschicht-
lichen Völker als Bildner und Umbildner einwirkten.
Nun bringt es schon die verschiedene Richtung wissenschaft-
licher Interessen und Begabungen mit sich, dass der einzelne Forscher
bald die eine bald die andere Betrachtungsweise bevorzugen, und
Piincip der Abhängigkeit von der geistigen Umgebung. 37
dass demoacli unter Umständen ein und dasselbe Gebiet von entgegen-
gesetzten Standpunkten aus bearbeitet werden kann: entweder mit
Rücksicht auf den geistigen Gesammtcharakter der Erscheinungen,
oder in der Absicht den Antheil einzelner Persönlichkeiten an dem-
selben nachzuweisen. In diesem Verhältniss liegt an und für sich
noch kein Gegensatz, sondern eher eine wechselseitige Ergänzung
von Untersuchungen, die beide nothwendig sind, aber wegen ihrer
abweichenden Eigenthümlichkeiten in der Kegel nicht in einem und
demselben Zusammenhang ausgeführt werden können. Zu einem
Gegensatz wird das Verhältniss erst, wenn jede dieser Betrachtungs-
weisen sich selbst als die einzig berechtigte hinstellt, wenn also auf
der einen Seite behauptet wird, die allgemeinen geistigen Zustände
seien Nichts und die Persönlichkeiten Alles, oder wenn auf der
andern Seite diese als die bloss zufälligen Träger von Ideen gelten,
die ausschliesslich in der Gesammtheit wurzeln, und als die YoU-
bringer von Handlungen, die auch ohne sie hätten geschehen müssen.
Begreiflicher Weise bildet die eigentliche Geschichte einen besonders
geeigneten Tummelplatz für den Kampf dieser Gegensätze, weil sich
in ihr individuelle und allgemeine Wechselwirkungen zu einem so
verwickelten Gewebe verflechten, dass der Antheil der einzelnen
Factoren schwer mit Sicherheit nachzuweisen ist*). Dennoch durch-
zieht der nämliche Widerstreit der Beurtheilungen alle Gebiete der
Geisteswissenschaften, und er wird bei den concreten Fragen, bei
denen thatsächlich jene verschiedenen Einflüsse neben einander be-
stehen, immer wieder actuell: in der Psychologie und Pädagogik
nicht weniger wie in der Nationalökonomie und Jurisprudenz. 5n
jenen dreht er sich um die alte Frage, ob äussere Einflüsse oder
innere Anlagen bei der Charakterentwicklung des Einzelnen die
hervorragendere Rolle spielen ; in diesen entsteht er, wenn entweder
der letzte Ursprung einer Massregel der Gesetzgebung oder ihr Ein-
finss auf die allgemeine Lage in Erwägung gezogen wird.
Natürlich ist auch dieser Streit leichter im allgemeinen und
principiell als in den concreten Fällen zu entscheiden, in denen er
eben deshalb nie aufhören wird, weil beide Gesichtspunkte der Inter-
pretation sich nicht ausschliessen sondern ergänzen, so dass von einer
endgültigen Beseitigung des einen durch den andern niemals die
*) In der That ist es daher ein Historiker, nämlich H. Taine, der dem
Prindp der geistigen Umgebung seine schärfste Ausprägung gegeben hat. üeber
Taines Theorie des , Milieu" vgl. unten Cap. III, 1 und 4.
38 Allgemeine Grundlagen der GeisteswiMenschailen.
Rede sein kann. Immerhin darf man wohl erwarten, eine Anerkennung
dieses ergänzenden Verhältnisses werde allmählich überall dahin
führen , dass jede Betrachtungsweise die andere auf ihrem Gebiete
gelten lässt An und für sich ist es ja klar, dass die individuelle
Persönlichkeit niemals vollständig aus den Beziehungen zu ihrer
geistigen Umgebung lösbar ist, und dass sie daher ebensowohl durch
diese in ihren Handlungen mitbestimmt wird, wie sie ihrerseits wieder
auf sie zurückwirkt. Da nun die geistige Umgebung eines Menschen
selbst in eine Summe individueller Persönlichkeiten zerfallt, so bleibt
es schliesslich wahr, dass alles Thun und Denken der Einzelnen,
auch da wo sie selbst von aussen bestimmt sind, doch immer wieder
auf Einzelne zurückführt. Aber indem die individualistische Be-
trachtung auf diese Erwägung die Yeraussetzung gründet, alles geistige
und insbesondere alles geschichtliche Geschehen sei als die That
Einzelner zu betrachten, übersieht sie gerade die zwei Thatsachen,
aus denen das Princip des geistigen Mediums in der ihm nicht abzu-
streitenden Bedeutung hervorgegangen ist. Die erste dieser That-
sachen besteht darin, dass eben jene Summe einzelner Persönlichkeiten,
die wir zur geistigen Umgebung eines Menschen rechnen, fttr uns
unanalysirbar ist oder doch nur insofern analysirt werden kann,
als wir diese Umgebung als ein Ganzes betrachten, dessen einzelne
Eigenschaften nicht durch die Einzeluntersuchung der Individuen,
sondern durch die Betrachtung der geistigen Schöpfungen und Rich-
tungen sowie der durchschnittlichen Gharaktereigenthümlichkeiten des
Ganzen selbst gewonnen werden können. Neben dieser die mannig-
faltigsten Wege einschlagenden und, wo es sich um gewisse in
bestimmten Daten festzustellende Erscheinungen handelt, wo möglich
die statistische Methode befolgenden collectiven Untersuchung bildet
der Theil der geistigen Umgebung, der sich selbst wieder aus Indi-
viduen von bekannten Eigenschaften zusammensetzt, einen geradezu
verschwindenden Theil, um so verschwindender, je allgemeiner die
Ereignisse sind, um deren Untersuchung es sich handelt. So ist
jene individuelle Umgebung ein wichtiger Factor für den Biographen,
ein minder erheblicher fllr den politischen oder gar fllr den Wirth-
schafts- und Rechtshistoriker, für den nicht nur überhaupt die ein-
zelnen Persönlichkeiten hinter den allgemeinen Erscheinungen und
Zuständen zurücktreten, sondern für den auch wiederum, wo für ihn
das persönliche Wirken von Einzelnen in Frage steht, als Umgebung
dieser Einzelnen der vorhandene allgemeine Zustand ungleich wich-
tiger ist als ihr Verkehr mit andern Individuen. Die zweite That-
Princip der Abhängigkeit von der geistigen Umgebung. 39
Sache, die wo möglich noch zwingender als die soeben besprochene
darauf hinweist, dass die geistige Umgebung nicht bloss als eine
unbestimmte Summe betrachtet werden kann, deren Analyse in indi-
viduelle Factoren als letzte Aufgabe der Untersucliung gelten müsse,
besteht in der auf allen Gebieten des geistigen Lebens wieder-
kehrenden Erscheinung, dass die Lebens Vorgänge und Erzeugnisse
der Gemeinschaften Eigenschaften besitzen, die auf das engste an
ein organisches Zusanunenwirken einer Vielheit Einzelner geknüpft,
und dass sie in Folge dieser Gebundenheit an die Gemeinschaft Ent-
wicklungsgesetzen unterworfen sind, die in erster Linie von dem
Leben imd den Lebensschicksalen der Gesammtheit und nur in ver-
schwindender Weise von dem Eingreifen bestimmter Individuen ab-
hängen. Bei der Sprache, dem Mythus, der Sitte liegt dies auf der
Hand. Keine dieser Formen und Normen gemeinsamen Lebens
würde jemals von einem Einzelnen oder von einem absichtlichen
Zusammenwirken Einzelner hervorgebracht werden können. Aber
in gewissen Ghrenzen verhält sich dies nicht anders bei allen sonstigen
Erscheinungen des gemeinsamen Lebens, wie dem wirthschaftlichen
Verkehr, dem Recht, wenn auch hier individuelle Einflüsse neben
den coUectiven eine grössere Rolle spielen. Nun können wir aller-
dings ein psychologisches Verständniss dieser socialen Erscheinungen
überall nur mittelst der individuellen psychologischen Erfahrung
gewinnen. Dennoch muss ihre Literpretation stets auf die besonderen
Bedingungen Rücksicht nehmen, die sich aus jener allgemeinen,
dem Willenskreis des Einzelnen entzogenen Entstehung ergeben;
und was für die psychologische, das gilt nicht minder für jede andere
wissenschaftliche Betrachtung dieser Erscheinungen. Es entspricht
diesem Verhältniss beider Principien, dass sich schon innerhalb der
Psychologie eine entsprechende Scheidung vollzieht in die Individual-
psychologie, welche den individuellen, und in die Völkerpsycho-
logie, welche den an die Gemeinschaft gebundenen Erscheinungen
des geistigen Lebens zugewandt ist. Wie die erstere die allgemeine
Grundlage der Geisteswissenschaften, so bildet die letztere die specielle
Vorbereitung zu jenen Gebieten, die sich mit den Erscheinungen
des gemeinsamen Lebens beschäftigen. Die Forderung der Reduction
der geistigen Thatsachen auf individuelle Ursachen ist demnach auch
f&r die einzelnen Socialwissenschaften genau nur in dem Umfange
erfüllbar, in dem sie es fUr die Völkerpsychologie in Bezug auf die
von ihr untersuchten allgemeingültigen Erscheinungen des gemein-
schaftlichen Lebens, wie Sprache, Sitte u. dgl., ist: die geistigen
40 Allgemeine Grundlagen der GeisteswissenBchaften.
Kräfte, die in der Gemeinschaft wirksam sind, müssen den Vorgängen
des individuellen Bewusstseins conform sein, und es können in der
Gemeinschaft keine geistigen Anlagen wirksam werden, die nicht
schon in jedem Einzelnen der ihr angehört liegen. Aber die Gemein-
schaft führt für die Wirksamkeit dieser Kräfte und Anlagen neue
Bedingungen mit sich, durch welche eigenthümliche Erscheinungen
auftreten, deren Yerständniss immer eine Berücksichtigung beider
Factoren, des individuellen und des allgemeinen, erfordert. Hiermit
ist zugleich das Verhältniss der beiden Principien der subjectiven
Beurtheilung und der Berücksichtigung der geistigen Umgebung zu
einander bestimmt. Das erste ist das fundamentalere, das bei der
Anwendung des zweiten immer zugleich vorausgesetzt wird; dieses
zweite ist aber nicht minder unerlässlich, und es kann nicht einmal
für das Yerständniss der Einzelpersönlichkeit entbehrt werden, weil
die Gemeinschaft der Menschen eine ebenso ursprüngliche Thatsache
ist wie die Existenz der Einzelnen.
Das Princip der Abhängigkeit von der geistigen Umgebung
führt nun aber femer, indem es die der einzelnen Persönlichkeit
immanenten Bedingungen durch die Einflüsse zu ergänzen sucht,
die von aussen auf sie einwirken, zugleich zu einem dritten Princip,
welches erst mit den beiden genannten zusammen alle empirischen Be-
dingungen erschöpft, denen das geistige Geschehen überhaupt unter-
worfen ist. Hatte das Princip der subjectiven Beurtheilung durch seine
ausschliesslich psychologische Richtung zunächst bei der Ausdehnung
auf die Umgebung die geistige Seite dieser in den Vordergrund
treten lassen, so führt nun die Beachtung der Umgebung wieder
von selbst die Unterscheidung in eine geistige und in eine materielle
Aussen weit mit sich, die zwar in Wirklichkeit ebenso unlösbar ver-
bunden sind wie in der Einzelpersönlichkeit selbst die physischen
und die geistigen Eigenschaften, die aber doch dort wie hier ver-
möge der Verschiedenheit der zu Grunde liegenden Thatsachen von
frühe an der Beobachtung sich aufdrängen, so dass jene Unter-
scheidung einmal entstanden durch ihren praktischen Nutzen fortan
ihre Geltung behauptet. Auf diese Weise findet die Summe der von
den Geisteswissenschaften befolgten heuristischen Maximen in dem
Princip der Naturbedingtheit der geistigen Vorgänge iliren
Abschluss.
Princip der Naturbedingtheit der geistigen Vorgänge. 41
c Das Princip der Naturbedingtheit der geistigen Vorgänge.
Da der Mensch ein Naturwesen ist, so ist er in allem was er
denkt, fÖhlt und thut den Einflüssen der physischen Natur unter-
worfen, und zwar sowohl denen seiner eigenen physischen Natur,
wie denen seiner natürlichen Umgebung. Auch ist es einleuchtend,
dass sich diese Natureinflüsse nur in Folge einer zwar naheliegenden
und zweckmässigen, aber im letzten Grunde doch willkürlichen Ab-
straction von den geistigen Einflüssen sondern lassen. Der Mensch
ist ja keine Vereinigung von zwei verschiedenartigen Substanzen,
sondern ein einheitliches Ganzes, dessen Eigenschaften unsere unter-
scheidende Begriffsbildung zu einer Sonderung physischer und psy-
chischer Erscheinungen veranlassen. Aber wie diese in der Wirk-
lichkeit niemals getrennt vorkommen, so lassen sie sich nicht einmal
getrennt denken. Unser Vorstellen, Fühlen und Handeln schliesst
flberall einen sinnlichen Inhalt ein, den es nur aus dem Zusammen-
hang mit der physischen Natur empfangen kann. Dieser Zusammen-
hang, der den einzelnen Menschen beherrscht, gilt nicht minder für
die Verbindung der Einzelnen. Die Organisation der Gesellschaften
und Gemeinschaften beruht auf physischen Lebensbedingungen, und
auch sie ist daher nie eine bloss geistige, sondern immer zugleich
eine physische Organisation.
Wie nun die geistigen Einflüsse in innere und äussere unter-
schieden werden konnten, so auch die Natureinflüsse. Während
aber dort keine Art wissenschaftlicher Betrachtung der gleichzeitigen
Rücksicht auf beide Factoren, den individuellen und den allgemeinen,
entrathen kann, zeigt es sich hier, dass von den entsprechenden
beiden Formen des Natureinflusses je nach den Aufgaben der einzel-
nen Geisteswissenschaften bald der eine bald der andere eine über-
wiegende Rolle spielt. Das Princip der Abhängigkeit von der phy-
sischen Natur des Einzelnen steht in fast beinahe ausschliesslicher
Geltung in der Psychologie und in den durch die psychologische
Interpretation bestimmten Disciplinen, die sich, wie die Pädagogik,
die Erforschung ästhetischer, ethischer und intellectueller Erzeug-
nisse, vorzugsweise mit individuellen psychischen Leistungen be-
schäftigen, so dass auch für sie der psychologische Standpunkt mass-
gebend ist. Das Princip des äusseren Natureinflusses dagegen kommt
Tornehmlich in den Gebieten zur Geltung, die in der Untersuchung
gemeinsamer Leistungen und gesellschaftlicher Zustände und Vor-
42 Allgemeine Grundlagen der GreisteswiBsenschaften.
gänge ihre Hauptaufgabe sehen, also in der eigentlichen Geschichte
sowie in den Socialwissenschafben. Das erste dieser Principien führt
einseitig durchgeführt zu einer materialistischen Psychologie, das
zweite zu einer materialistischen Geschichts- und Gesellschaftslehre.
Doch ist zu bemerken, dass beide Formen des Materialismus nicht
nothwendig mit einander verbunden sind, und dass die zweite eigent-
lich mit Unrecht diesen Namen führt, da man möglicher Weise an
eine Beherrschung der menschlichen Cultur durch äussere materielle
Factoren glauben kann, ohne deshalb auch im psychologischen Sinne
dem Materialismus zu huldigen. Dagegen ist allerdings nicht zu
verkennen, dass zwischen beiden Anschauungen um so mehr, je ein-
seitiger sie ausgeprägt sind, eine innere Wahlverwandtschaft besteht,
indem sich namentlich der psychologische Materialist stets auch
einem socialen Materialismus zuneigen wird, während die Tendenz
des socialen zum gleichzeitigen psychologischen Materialismus aller-
dings nicht von gleicher allgemeiner Geltung ist.
Das Princip der physischen Bedingtheit des Einzelnen durch
seine eigene physische Natiu* wird uns, als ein specifisch psychologi-
sches Princip, erst im folgenden Capitel näher beschäftigen. Dagegen
ist das Princip des Einflusses der äusseren Naturumgebung eine für
die Gesammtheit der Geisteswissenschaften geltende Maxime, die,
innerhalb der zulässigen Grenzen angewandt, jedenfalls ebenso be-
rechtigt und sogar unerlässlich ist wie die beiden vorangegangenen.
Freilich aber ist nicht zu verkennen, dass die Anwendung dieses
Princips grössere Schwierigkeiten macht, weil die Thatsachen, die
man auf dasselbe zurückführen kann, häufig vieldeutiger Art sind,
so dass es ungewiss ist, wie viel oder wie wenig von ihnen zugleich
auf andere Einflüsse zurückzuführen sei. Gerade diese Vieldeutig-
keit der zu Grunde liegenden Erscheinungen ist es aber, die hier
bald eine unbillige Nichtbeachtung bald eine einseitige Uebertreibung
des Princips veranlasst hat. Allgemein kann nun dieses in zwei
wesentlich verschiedenen Formen Anwendung finden, die zugleich
mit abweichenden psychologischen Auffassungen verbunden zu sein
pflegen. Die erste dieser Formen lässt sich als die des ästhetischen,
die zweite als die des teleologischen Einflusses der Naturum-
gebung bezeichnen.
Aesthetisch wirkt die Naturumgebung auf den Menschen durch
die Vorstellungen und Gefühle, die sie in ihm erzeugt, und durch
die dauernden Gemüths- und Charaktereigenschaften, die diese Vor-
stellungen und Gefühle durch ihre fortwährende Wiederholung her-
Princip der Naturbedingtheit der geistigen Vorgänge. 43
vorbringen. Nach den ihm aus der Umgebung zufliessenden Ein-
drücken denkt er sich nicht bloss den Zusammenhang der sinnlichen,
sondern auch den einer übersinnlichen Welt, die er als freies Er-
zeugniss seiner Phantasie jener hinzufügt. Besonders das vorige
Jahrhundert hat unter dem Eindruck der theils übertriebenen theils
irrigen Schilderungen, in denen die Entdecker der polynesischen
Inselwelt die Bewunderung der Naturschönheiten dieser auf ihre
Bewohner übertrugen, einen solchen äsÜietischen Einfluss der Natur
in weitgehendem Masse angenommen*). Ein in gewissen Grenzen
zweifellos berechtigter Rest dieser Theorie des ästhetischen Einflusses
ist in den {mythologischen Theorien zurückgeblieben, die nament-
lich für den Naturmythus eine umfassende Betheiligung ästhetischer
Factoren annehmen. Dennoch ist man auf Grund psychologischer
Erwägungen und gründlicherer ethnologischer Kenntnisse allmäh-
lich zu einer EinschriLnkung dieses natürlich nicht ganz abzu-
leugnenden Einflusses übergegangen. Psychologisch nämlich liegt
gegen denselben der Einwand nahe, dass bekanntermassen eine tiefer
gehende ästhetische Wirkung erst einer Höhe der Cultur zukommt,
bei der die wesentlichsten geistigen Eigenthümlichkeiten des Menschen
auch in ihrer specifisch nationalen Richtung bereits ihr festes Ge-
präge empfangen haben. Die ethnologische Forschung aber hat
mehr und mehr jene imponderabeln ästhetischen Wirkungen durch
die gröberen und zwingenderen Einflüsse der materiellen Existenz-
bedingungen zu ersetzen gesucht. Dies gilt insbesondere auch für
das am längsten jenen Wirkungen noch ofiTengehaltene Gebiet der
Mythologie mit ihren Ausstrahlungen in die Sitte. Theils treten
hier statt des Naturmythus andere Vorstellungsformen, die an all-
gemein menschliche Verhältnisse, den Tod, den Traum, die Ver-
ehrung der Verstorbenen und die Furcht vor ihnen, anknüpfen, in
den Vordergrund; erweisen sich doch selbst bei dem classischen
Volk des Naturmythus, bei den Griechen, solche Ideen als die letzten
Trager des gesammten mythischen Vorstellungskreises**). Theils
spielen auch in dem Naturmythus Hoffiiungen und Befürchtungen,
die an das Walten wohlthätiger und schädlicher Naturmächte, also
wieder an allgemein menschliche Verhältnisse oder an die äusseren
Lebensbedingungen geknüpft sind, eine überwiegende Rolle.
*) Man vergleiche z. B. Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte
der Menschheit, Buch YIII, II.
**) Vgl. Erwin Rhode, Psyche, Seelencult und Unsterblichkeitsglaube
der Griechen. 1894, S. 1 ff.
44 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
Anders verhält es sich mit dem teleologischen Einfluss der
Naturumgebung. Er bezieht sich nicht auf den Wahmehmungs-
inhalt als solchen, wie er theils unmittelbar theüs durch die Gefühle
die er anregt das mehr theoretische Verhalten der Seele bestimmt,
sondern auf die Bedingungen, die durch die Naturumgebung dem
überall auf die Erreichung bestimmter Lebenszwecke und vor allem
auf die Erhaltung und Verbesserung des Daseins gerichteten Streben
des Menschen gestellt sind. Dass diese Einflüsse einen äusserst
wichtigen Factor physischer wie geistiger Entwicklung abgeben, kann
nicht zweifelhaft sein; nur über den Umfang in dem sie wirken
und darüber, wie sie sich etwa mit noch anderen Bedingungen kreuzen,
kann man natürlich verschiedener Meinung sein*). In der Art und
Weise aber, wie man sich diese Einflüsse wirksam denkt, lassen
sich deutlich wieder zwei Entwicklungsstadien der Anschauungen
unterscheiden. Zunächst überträgt man, wie in so vielen andern
Fällen, auch hier den Zweck von der menschlichen Thätigkeit, die
durch die äussern Bedingungen bestimmt wird, auf diese Bedingungen
selbst : die Natur erscheint als eine Veranstaltung, die zur Erreichung
der letzten Zwecke menschlicher Cultur den Menschen durch äussere
zwingende Ursachen in der ihm vorbestimmten Richtung in mannig-
facher Weise erzieht. Das ist die Art, wie sich das vorige Jahr-
hundert gemäss seiner allgemeinen Bevorzugung anthropocentrisch-
teleologischer Betrachtungsweise den Einfluss der Naturumgebung
verständlich zu machen suchte. Herders Geschichtsphilosophie, die
überall auf die Nachweisung dieser Wechselwirkungen zwischen der
Natur und der menschlichen Cultur ausgeht, ist das reifste Er-
zeugniss dieser Art. Die heutige Natur- und Geschichtsbetrachtung
hat diesen Standpunkt verlassen: sie nimmt die Natur in ihren durch
Klima und andere Eigenschaften bestimmten Eigenschaften als eine
gegebene Reihe von Ursachen hin, die, wie sie in ihrem ursprüng-
lichen Sein der Herrschaft des Menschen entzogen, so auch ohne
Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse entstanden sind. Dagegen
bricht sich unter dem Einflüsse des der Biologie entlehnten Begriffs
der Anpassung allmählich die entgegengesetzte Auffassung Bahn:
nicht die Natur ist bestimmten, zur Erziehung des Menschen und
zugleich zu seiner Differenzirung nach verschiedenen Richtungen
geeigneten Zwecken angepasst, sondern der Mensch passt sich überall
*) Vgl. die allgemeine Würdigung dieser Einflüsse in meiner Ethik,
2. Aufl., S. 237 ff".
Princip der Naturbedingtheit der geisügen Vorgänge. 45
der Naturumgebung an, und die Art dieser Anpassung ist es, die
dann wieder direct auf die Zwecke die er sich setzt und indirect
auf die Cultur die er sich gibt zurückwirkt.
Nachdem es die zuletzt erwähnte mit den sonst gültigen Normen
wissenschaftlicher Forschung allein vereinbare Form angenommen,
hat das Princip der Abhängigkeit von der Naturumgebung seine
fruchtbarste Anwendung zunächst auf dem Gebiet gefunden, das
schon durch die Beschaffenheit seiner Aufgaben auf dasselbe hin-
gewiesen und zu einer Prüfung seiner Wirksamkeit genöthigt wird,
auf die Nationalökonomie. Insofern sich das wirthschaftliche
Leben in einer Reihe von Processen bewegt, die in letzter Instanz
darauf ausgehen, die in der Natur vorhandenen Hülfsquellen zur
Befriedigung menschlicher Lebensbedürfnisse zweckmässig zu ver-
werthen und die so entstandenen Nutzungsproducte zweckmässig zu
Tertheilen, lässt sich eigentlich die ganze Wirthschaftslehre als eine
Doctrin betrachten, die einerseits den Einäuss der Natur auf die
socialen Verhältnisse und anderseits den Einfluss dieser auf die Yer-
werthung der Naturkräfke zu ihrem Inhalte hat. Da nun der erste
dieser Factoren der primäre, der zweite der von ihm abhängige
ist, so ist es begreiflich, dass sich jener zur Alleinherrschaft drängt,
um so mehr da der Versuch die Erscheinungen möglichst aus einem
Princip zu deduciren vor dem der Analyse einer verwickelten Com-
bination von Bedingungen immer den äusseren Vorzug der Einfach-
heit voraushat. Auf diesem Standpunkte erscheint zunächst das
wirthschaftliche Leben und dann die ganze auf diesem sich erhebende
Cultur lediglich als ein Product der äusseren Existenzbedingungen
des Menschen. Obgleich nicht selten mit grosser Energie als all-
gemeines Princip betont, ist übrigens diese Anschauung des socialen
Materialismus niemals folgerichtig durchgeführt worden, da der Ver-
such dies zu thun regelmässig daran scheitert, dass die zweite Seite
der hier stattfindenden Wechselwirkungen, die Rückwirkung der
socialen Verhältnisse auf die Auswerthung der Natur, stets eine
Mitberücksichtigung heischt. In der That findet diese Rückwirkung
auch in den praktischen Programmen ihren Ausdruck, die nicht
selten gerade an die materialistische Gesellschaftslehre geknüpft
werden, namentlich in der Forderung bestimmter socialer Reformen
zum Behuf der angemesseneren Gewinnung und Vertheilung der
durch die Ausnützung der Natur gewonnenen Güter.
Aus der Nationalökonomie geht dann das nämliche Princip in
die Geschichte über. Entweder dient es hier nur als ein all-
46 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
gemeiner Leitfaden, um in ähnlicher Weise wie in der Ethnologie die
allgemeinen Charaktere der Völker, so die historischen Eigenschaften
und Schicksale derselben aus den Einflüssen der Naturumgebung
verständlich zu machen "*"). Oder es sind wiederum speciell die wirth-
schaftJichen Zustände, die als die Bedingungen betrachtet werden,
deren Veränderungen wesentlich die Schicksale der Völker bestimmt
haben. Hier gilt dann die Wirthschafbsgeschichte zunächst als
Grundlage der Gulturgeschichte und mit dieser als der wesentlichste,
weil den eigentlichen Causalmomenten des historischen Geschehens
zugewandte Theil der Geschichtsforschung überhaupt. So zweifellos
es ist, dass diese Auffassung in ihrer einseitigen Geltendmachung
der Mannigfaltigkeit der Bedingungen der historischen Entwicklung
nicht gerecht wird, so wenig kann verkannt werden, dass sie in der
Betonung des Einflusses der Naturbedingungen ein Moment zur
Geltung bringt, das früher allzu sehr vernachlässigt wurde, und das
darum zusammen mit den andern heuristischen Principien der Geistes-
wissenschaften ein gutes Recht für sich in Anspruch nehmen darf.
d. Causale und teleologische Betrachtung innerhalb der
Geisteswissenschaften.
Dass die drei oben erörterten Principien die einzig möglichen
sind, die in den Geisteswissenschaften von Anfang an und ehe noch
bestimmtere Ergebnisse der Untersuchung zu Gebote stehen, befolgt
werden können, darf man nach dem Gesetz des ausgeschlossenen
Dritten annehmen, sobald die Gegenüberstellung von Geist und Natur,
von Innen- und Aussenwelt als massgebend für die erste Auffassung
der Erscheinungen anerkannt wird. Denn unter dieser Voraus-
setzung sind offenbar die Bedingungen, unter denen menschliches
Denken, Wollen und Handeln, diese allgemeinen Objecte der Geistes-
wissenschaften, stehen, entweder geistige oder materielle, und, in-
sofern sie das erstere sind, gehören sie entweder der Innenwelt oder
der Aussenwelt einer Persönlichkeit an, rühren also entweder von
den geistigen Einflüssen Einzelner oder von denen geistiger Gemein-
schaften her. Mit diesen drei in der mannigfaltigsten Weise in
einander eingreifenden und zuweilen in der Herrschaft einander ab-
lösenden heuristischen Principien kreuzt sich nun aber ein Streit der
*) In dieser Weise hat z. B. noch Max Duncker in seiner Alten Ge-
schichte namentlich die Geschichte der altorientalischen Völker behandelt
Caoiale und teleologische Betrachtung innerhalb der Geistesvrissenschaften. 47
Anschauungen f der, den Geistes- mit den Naturwissenschaften ge-
meinsam, in diesem Fall auf das engste an die Entwicklung der
übrigen Prindpien geknüpft ist: der Streit der causalen mit der
teleologischen Betrachtung der Erscheinungen.
Da innerhalb der Naturerklärung die ursprüngliche Anwen-
dung des Zweckbegriffs auf einer üebertragung menschlicher Zweck-
Torstellungen auf die Objecto beruht (Abschn. III, Cap. I, S. 274 f.),
so liegt hierin schon angedeutet, dass auf geistigem Gebiet die
Zweckbetrachtung von Anfang an den Vorzug der üebereinstimmung
mit gewissen fundamentalen Thatsachen des geistigen Lebens selber
besitzen wird. In der That erscheint sie hier als eine unmittelbare
Folge der Anwendung desPrincips der subjectiven Beurtheilung.
Indem wir uns mit unserem eigenen Selbst in die zu beurtheilenden
objectiTen Vorgänge hineinversetzen, verlegen wir damit auch unsere
Zweckvorstellungen und unsere zwecksetzenden Thätigkeiten in sie;
und diese Betrachtungsweise erweist sich an der Erfahrung ge-
messen überall da im allgemeinen als eine berechtigte, wo jenem
Hineinversetzen des Subjectes in die Objecto selbst sein Recht zu-
kommt. Freilich aber zeigt es sich schon hier, dass diese in dem
unmittelbaren inneren Erleben zweckthätiger Wirkungen begründete
Teleologie nicht einmal für den Inhalt des eigenen Bewusstseins
zureicht. In der Entstehung und Verknüpfung der Vorstellungen
und Gefühle treten uns fortwährend seelische Vorgänge entgegen,
die zwar auf das mannigfaltigste unsere zweckthätigen Willenshand-
lungen beeinflussen können, an sich selbst jedoch ein Geschehen sind,
das, wo überhaupt seine Bestandtheile in eine Beziehung nach
Gründen und Folgen zu einander treten, analog der Verknüpfung
der Naturerscheinungen eine rein causale Interpretation heraus-
fordert. So kann denn auch die teleologische Auffassung dieser Er-
scheinungen nur durch eine ähnliche willkürliche Zweckübertragung
wie die teleologische Naturbetrachtung zu Stande kommen. In der
Psychologie selbst findet diese Üebertragung vornehmlich in der
Annahme zweckthätiger Kräfte, der Seelenvermögen, ihren Aus-
druck, denen der Charakter von Zweckursachen dadurch gewahrt
wird, dass man sie nicht fortwährend oder nach fest gegebenen
Bedingungen, wie die Naturkräfte, sondern nach Analogie freiwillig
handelnder Wesen wirksam denkt, so dass immer erst aus dem
Eintritt eines Erfolgs auf ihre Thätigkeit zurückgeschlossen werden
kann, während ohne dies ein Unterbleiben des Erfolgs ebenso gut
denkbar gewesen wäre. So wird hier an eben dem Merkmal, welches
48 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
das Vermögen von der Kraft unterscheidet, der Ursprung dieses
teleologischen Begriffs aus der Uebertragung des eigenen Willens
sichtbar, und da jenes Merkmal jedem einzelnen Vermögen zu-
geschrieben wird, so verwandelt sich dadurch die Seele eigentlich
in eine Vielheit handelnder Subjecte, die eine Art freier Gesellschaft
mit einander bilden. Obgleich nun diese Lehre fast zu allen Zeiten
Gegner fand, so verliessen doch auch diese meist nicht den Boden
teleologischer Anschauungen. Vielmehr bestand der Unterschied
ihres Standpunktes im wesentlichen nur darin, dass sie die Einheit
des Subjectes der inneren Erfahrung stärker betonten und demnach
alles, was dort als ein Handeln verschiedener zweckthätiger Kräfte
gedacht war, auf die verschiedenen Stufen der Thätigkeit einer ein-
zigen Kraft zurückführten. Dazu boten namentlich im vorigen Jahr-
hundert die Ideen der Leibni zischen Philosophie den metaphysischen
Anhaltspunkt. Entsprechend der Stufenreihe dunkler und klarer
Vorstellungen konnten hier die scheinbar passiv erlebten oder durch
äussere Ursachen bestimmten Empfindungen und Gefühle als ein
Geschehen gedeutet werden, das von den zweckbewussten Hand-
lungen nicht der Art, sondern nur dem Grade nach verschieden sei.
Erst durch die Uebertragung der naturwissenschaftlichen Causalitäts-
lehre auf die psychologische Erfahrung ist die teleologische Richtung
in beiden Gestaltungen allmählich erschüttert worden. Am frühesten
geschah dies durch die freilich ganz im Gebiet metaphysischer
Theorien verbleibende materialistische Deutung der psychischen Vor-
gänge, die bis ins Alterthum zurückreicht. Vom 18. Jahrhundert
an begann dann aber die aus der neueren Aera der Naturwissen-
schaften entsprungene streng empirische Richtung in den Formen
der Association Erscheinungen herauszugreifen, die der Forderung
nach causaler Interpretation des psychischen Geschehens vor andern
zu entsprechen schienen. Hatte die Vermögenslehre und derLeibniz-
sche Unitarismus die Associationen als dunkle Entwicklungsstufen
der höheren zweckthätigen Handlungen aufgefasst, so betrachtete
umgekehrt die Associationspsychologie diese als die Erzeugnisse
jener, denen man eine analoge mechanische Nothwendigkeit psychi-
scher Art zuschrieb wie auf physischer Seite den einfachsten
Naturgesetzen, so dass man in diesem Sinne, freilich mit starker
Ueberschätzung ihrer Bedeutung, die so genannten Associations-
gesetze sogar auf gleiche Linie mit dem Gravitationsgesetz gestellt
hat. Einen andern Versuch causaler Begründung der Psychologie
machte endlich Herbart in seiner „Mechanik des Geistes", der
Causale und teleologische Betrachtung innerhalb der Geisteswissenschaften. 49
übrigens den vorigen dadurch ideenverwandt ist, dass er sich an
die naturwissenschaftliche, hier, wie der Name schon andeutet,
speciell an die mechanische Betrachtung anlehnt. In der Form der
eiacteste ist dieser Versuch einer streng alle Teleologie aus-
schliessenden Auffassung des psychischen Geschehens freilich auch
wegen der gänzlich hypothetischen Natur der Voraussetzungen der
fragwürdigste von allen.
Auf völlig abweichenden Wegen bewegte sich von Anfang an
die Zweckbetrachtung in den historischen Wissenschaften. Hier
entwickelte sich schon bei den Griechen aus jeuer ursprünglichen
naiven und transcendenten Zweckerklärung, welche die Geschicke
der Menschen als Fügungen übersinnlicher Mächte betrachtet, eine
immanente Teleologie, die aus dem zweckthätigen Willen der
historischen Persönlichkeiten selbst die Dinge erklärt. Dieser letzteren,
freilich durchweg individualistischen und intellectualistischen Ge-
schichtsauffassung der Griechen, welche die objective Wirksamkeit
des Zwecks schon völlig auf das ihm durch die unmittelbare Er-
fahrung gesicherte Gebiet einschränkte, stellte die christliche Welt-
anschauung ein planvoll ausgearbeitetes System einer transcendenten
Geschichtsphilosophie gegenüber, in welchem die Weltgeschichte
als eine von der Vorsehung in Scene gesetzte grosse Tragödie er-
scheint, die mit dem Sündenfall Adams beginnt, in dem Erlösungs-
werk Christi ihren Höhepunkt erreicht und im jüngsten Gericht ihre
Lösung findet. Die Reste dieser Teleologie erstrecken sich bis in
die Geschichtsphilosophie der neuesten Zeit. Selbst eine Schrift wie
Lessings „Erziehung des Menschengeschlechts ** ist gewissermassen
nur eine Umdichtung dieses Plans der christlichen Welttragödie in
die Ideen des Aufklärungszeitalters. In der Geschichtsforschung
aber wurde, in dem Masse als in ihr die Frage nach dem realen
lohalt der Begebenheiten die nach der transcendenten Bedeutung
derselben verdrängte, wieder jene immanente Teleologie vorherrschend,
die sich durch den Einfluss einzelner Persönlichkeiten auf das histo-
rische Geschehen von selbst der Beobachtung aufdrängt. Neben sie
traten dann zugleich mit der Berücksichtigung der geistigen Um-
gebung und des Natureinflusses Bruchstücke einer causalen Inter-
pretation. So ist diese hier eng gebunden an die Ergänzung, die
das Princip der subjectiven Beurtheilung durch die beiden andern
Principien findet. Freilich vollzieht sich auch bei diesen die Ueber-
windung einer rein teleologischen Anschauung nicht widerstandslos,
lässt sich doch die geistige Umgebung wieder in Individuen zer-
WoD dt, Logik, n, 2. 2. Aofl. 4
50 Allgemeine Grandlagen der Geisteswissenschaften.
legen; die NaturumgebuDg aber wird zumeist als ein nebensäch-
licher Factor betrachtet.
So kommt es, dass erst von einem dritten Gebiet, dem der
Gesellschaftswissenschaften her allmählich diejenige Auf-
fassung zur thatsächlichen Herrschaft durchgedrungen ist, die heute
als die massgebende fOr alle Geisteswissenschaften angesehen werden
darf, wenn es ihr auch noch nicht völlig gelang, sich gegen wider-
strebende Richtungen und gegen einseitige Uebertreibungen ihres
eigenen Princips zu behaupten. Indem nämlich die Socialwissen-
Schäften in ungleich höherem Masse als die Geschichte über die
allgemeinen Einflüsse Rechenschaft geben müssen, die von dem Zu-
sammenwi]4:en einer grossen Zahl von Persönlichkeiten sowie von
den Naturbedingungen des menschlichen Daseins ausgehen, kommt
nothwendig in ihnen die causale Betrachtung zum Uebergewicht.
Sie verfällt aber leicht in Folge der vorwiegenden Rücksicht auf
die materiellen Existenzbedingungen ihrerseits in ein Extrem, indem
sie, unterstützt durch den gleichzeitig verbreiteten psychologischen
Materialismus, das menschliche Dasein in allen seinen Formen bloss
als eine verwickelte Gestaltung der allgemeinen Naturcausalität auf-
fasst, eine Annahme die dann auch auf die Geschichte über-
tragen wird. ,
Diese ganze Entwicklung zeigt, dass den Geisteswissenschaften
in allen ihren Theilen der reine, von der Zweckvorstellung völlig
gelöste Causalbegriff ursprünglich von der Naturwissenschaft über-
liefert worden ist, in der er ja vermöge der eigenthümlichen Er-
kenntnissbedingungen der Naturerscheinungen ein ungleich günstigeres
Gebiet vorfand. Aber die Wissenschaften des Geistes würden doch
nimmermehr diesen Begriff als einen auch ihren Gegenständen ad-
äquaten aufgenommen haben, hätten sich nicht auch ihnen zahlreiche
Thatsachen dargeboten, auf die teleologische Betrachtungen nur ver-
mittelst einer willkürlichen Uebertragung anwendbar sind. So be-
gegnet schon die Psychologie neben den aus Zweckmotiven ent-
springenden Handlungen zahlreichen Vorgängen im Bewusstsein, die
unter einander in causalen Verbindungen stehen, für die aber das
Zweckprincip nur in jener Form subjectiver Umdeutimg möglich ist,
in der schliesslich jede Causalreihe in eine Zweckverknüpfung um-
gewandelt werden kann. In den specielleren Geisteswissenschaften
forderte ebenso die steigende Geltendmachung der Einflüsse der
geistigen Umgebung und der Naturbedingungen eine Ergänzung der
auf die bloss menschliche Zweckthätigkeit gerichteten ursprünglichen
Cauale und teleologische Betrachtung innerhalh der Geisteswissenschaften. 51
Betrachtungsweise. Bei diesem Punkte angelangt bietet nun aber
TOD selbst das allgemeine logische Verhältniss der beiden Begriffe
die Gesichtspunkte dar, die es möglich machen dem Zweck in der
Welt des geistigen Geschehens seine ihm hier zukommende Bedeu-
tung zu wahren, ohne damit in den cäusalen Zusammenhang der
Erscheinungen heterogene Elemente einzuführen, und hinwiederum
der Causaliföt auch auf diesen Gebieten ihre ausnahmslose Geltung
zu sichern, ohne die thatsächlich vorhandenen Zweckvorstellungen
und Zweckhandlungen für einen täuschenden Schein zu erklären.
Denn vermöge jenes logischen Zusammenhangs ist die Zweckthätig-
keit nur eine besondere Form causaler Wirksamkeit, die an bestimmte
psychologische Bedingungen geknüpft ist, also auch schliesslich mit
den allgemeinen Eigenschaften der psychischen Causalität vereinbar
sein muss. Hieraus ergibt sich das heuristische Princip, dass alle
geistigen Vorgänge und demnach auch alle Objecte der Geistes-
wissenschaften causal zn interpretiren sind, und dass innerhalb dieser
allgemeinen Gausalerklärung jedem Bestandtheil , also ebensowohl
den Einwirkungen der Naturcausalitat wie den einer specifischen
Zweckbedeutung entbehrenden psychischen Wirkungen und endlich
den Zweckhandlungen selbst, die ihnen nach Massgabe der Erfah-
rung gebührende SteUe anzuweisen ist. Demnach erscheinen die
Zweckmotive hier lediglich als jene in der allgemeinen Untersuchung
des Zweckbegriffs bereits hervorgehobenen Fälle der Causalität des
Geschehens, in denen der Zweck unmittelbar eine objective
causale Bedeutung gewinnt (vgl. Bd. I, S. 646 ff.). Der Zu-
sammenhang dieses objectiven Zweckprincips mit der psychischen
Cansahtät, von der es nur einen besonderen Bestandtheil bildet,
gehört aber vor das Forum einer speciellen Untersuchung des psycho-
logischen Causalprincips und wird uns daher im folgenden Capitel
beschäftigen.
3. Die aUgemeinen Methoden und Hlüfsmittel der
Geisteswissenschaften.
a. Verhältniss zu den naturwissenschaftlichen Methoden.
Gleichförmigkeiten des Geschehens, die es uns gestatten die
^ielgestaltigkeit der Erfahrung vereinfachenden Regeln unterzuordnen,
treten uns im Gebiet des geistigen Lebens nicht weniger entgegen
^e in dem der Natur. Aber sobald wir uns das Verh'ältniss dieser
52 Allgemeine Grandlagen der Geisteswissenschaften.
Regeln, der Natur- und der Geistesgesetze, zu den wirklichen That-
sachen vergegenwärtigen, so beginnt ein tiefgreifender Unterschied
fühlbar zu werden. Die Naturgesetze beherrschen bis ins einzelnste
den Gang der Ereignisse. Wo ihre Anwendung auf diese vollständig
gelungen ist, da gestatten sie darum eine Voraussage des zukünf-
tigen Geschehens. Nur die lebende Natur widersetzt sich, insoweit
künftige Entwicklungsformen derselben in Frage kommen, einer
solchen Vorausbestimmung; wir haben aber mehrfach darauf hin-
gewiesen, dass eben hier die Grenze liegt, wo geistige Kräfte in das
natürliche Geschehen einzugreifen beginnen (Bd. I, S. 649, Bd. II, 1,
S. 579). Und je freier diese sich entfalten, um so nichtiger wird
die Hoffnung, aus den allgemeinen Gesetzen des geistigen Lebens
die einzelnen Thatsachen auch nur für die kürzeste Zeitstrecke vor-
ausbestimmen zu wollen.
Den singulären Charakter der geschichtlichen und eines grossen
Theils der socialen Ereignisse hat man nun im allgemeinen auf
zweierlei Art zu erklären gesucht. Auf der einen Seite wird der-
selbe dadurch seiner Eigenthümlichkeit entkleidet, dass man, etwa
an die Meteorologie mit ihren zweifelhaften und kurzdauernden
Wetterprognosen erinnernd, die ungeheure Complication der geistigen
Thatsachen betont, die unsere Erkenntniss zwinge, hier mindestens
vorläufig auf der Oberfläche der Erscheinungen zu bleiben*). Eine
andere Partei, der sich zumeist die Vertreter der speciellen Geistes-
wissenschaften zuneigen, verwirft jede Anwendung des Causalbegriffs
auf das geistige Leben; insbesondere erblickt sie die Freiheit des
Willens in seiner Causalitätslosigkeit. So entnimmt die erste dieser
Anschauungen in logisch ungerechtfertigter Weise einer speciellen
Anwendungsform der Causalität deren allgemeingültige Eigenschaften.
Die zweite ist in dem nämlichen naturalistisch verengten Begriff der
Ursache befangen; nur weil sie keinen andern kennt, sieht sie sich
genöthigt, an die Stelle der vollendetsten Gesetzmässigkeit ein gesetz-
loses Spiel des Zufalls zu setzen. Das Resultat ist in beiden Fällen
das nämliche, und wenn es auf die Behandlung der speciellen Geistes-
Wissenschaften meist nicht so schädlich gewirkt hat, als man erwarten
sollte, so beruht dies nur auf dem glücklichen Umstand, dass In-
consequenz des Denkens, wenn sie zu tiefer liegenden Irrthümem
hinzutritt, zu einer schätzbaren Eigenschaft werden kann.
*) Mi 11, Logik, Buch VI, Cap. III. Deutsche Ausg. von Schiel, 2. AuB.
II, S. 449.
Yerhäliniss zu den natorwissenschafUichen Methoden. 53
Noch leidet hier die wissenschaftliche Logik wie die Wissen-
schaft überhaupt unter den üebeln eines IJebergangszustandes. Das
Aufblühen der Naturwissenschaften hat der Philosophie bis in dieses
Jahrhundert hinein ihren vorherrschenden Charakter aufgeprägt. Auf
den spiritualistischen Richtungen lastete der Druck der mechanischen
Weltanschauung darum nicht minder schwer, weil sie sich desselben
oft nicht bewusst waren. So ist besonders auch Kant noch ganz
Ton dem mechanischen Causalbegriff beherrscht; sein Versuch, für
das menschliche Handeln eine Art doppelter Buchführung anzuwenden,
wird nur unter diesem Gesichtspunkt yerständlich*). Doch unver-
kennbar verschiebt sich allmählich der Schwerpunkt der wissen-
schaftlichen Forschungen. Die Naturwissenschaften haben ihre Blüthe
hinter sich, die Geisteswissenschaften gehen ihr entgegen. Die Ein-
flüsse des Naturalismus auf diese, die noch überall in geschichts-
philosophischen Systemen, in sociologischen und naturrechtlichen
Theorien zu spüren sind, werden damit von selbst verschwinden.
Freilich ist es ein Irrthum vieler Specialforscher, wenn sie in d^r
Beschränkung auf das Thatsächliche, in der rein historischen Auf-
fassung der geistigen Erscheinungen das wirksame Hülfsmittel gegen
jene Einflüsse gefunden zu haben meinen. Der skeptische Empirismus
ist hier ebenso undurchführbar wie in der Naturforschung. Ohne
Psychologie, Erkenntnisslehre und Ethik bleibt die historische Geistes-
wissenschaft ein steuerloses Fahrzeug, das von dem Wellenschlag
zufalliger Tagesmeinungen hin- und hergeworfen wird. Insbesondere
ist die Psychologie dazu berufen, ihre Rechte als grundlegende
Geisteswissenschaft geltend zu machen. Dem Einfluss der mechani-
schen Physik vermag sie aber nur dann die Wage zu halten, wenn
sie der Methodik der exacten Naturforschung die Wafl'en entlehnt,
am, so weit es möglich ist, selbst zur exacten Wissenschaft zu
werden.
Vermöge ihrer Stellung zwischen Natur- und Geisteswissen-
schaften verfügt in der That die Psychologie selbst über einen grossen
Reichthum methodischer Hülfsmittel. Während ihr auf der einen
Seite die experimentelle Methode zur Verftlgung steht, bieten sich
ihr auf der andern in den objectiven Geisteserzeugnissen zahlreiche
Gegenstande einer vergleichenden psychologischen Analyse. Dies
ändert sich einigermassen in den speciellen Geisteswissenschaften.
Die singulare Natur der Thatsachen schliesst hier insbesondere im
♦) Vgl. hierzu Bd. I, S. 553 ff.
54 Allgemeine Qnindlagen der GeiBteBwisseiiBcliafteii.
Gebiet der eigentlichen Geschichte alle die Holfsmittel aus, die eine
unabänderliche Gleichförmigkeit des Geschehens voraussetzen. Darum
bleibt die vergleichende Methode die hier allein mögliche. Wenn
man zuweilen von einer üebertragung des experimentellen Ver-
fahrens namentlich auf die Socialwissenschaften gesprochen hat, so
konnte dies nur mittelst einer Verallgemeinerung des Begriffs ge-
schehen, die diesen gerade der dem Experiment charakteristischen
Merkmale, der willkflrlichen Herbeiführung und Variirung der Be-
dingungen beraubte. Empirisch soll natürlich die Methodik der
Geisteswissenschaften ebenso gut wie die der Naturforschung in dem
Sinne sein, dass sie in erster Linie auf eine FeststeUung der Er-
fahrungsthatsachen und in zweiter auf eine Verknüpfung derselben
unter einander ausgeht, wobei die letztere unserem logischen Er-
klarungsbedürfnisse genügen soll, ohne dass etwas zu den Thatsachen
hinzugefügt wird, was in diesem Bedürfniss keine zureichende Recht-
fertigung findet. Die Art aber, wie diese empirische Methode anzu-
wenden ist, muss sich selbstverständlich nach der Beschaffenheit der
Gegenstände richten. Nun gibt es in dem ganzen Umfang der
Geisteswissenschaften nur ein Gebiet, das innerhalb gewisser Grenzen
einer planmässigen experimentellen Einwirkung im Interesse der
Untersuchung zugänglich ist: das individuelle Seelenleben. Die
Geschichte, geschichtliche Erzeugnisse und Zustände müssen wir hin-
nehmen so wie sie sind: wir können sie in ihrer Entstehungsweise
und in ihrem gegenwärtigen Bestand analysiren, und wir können
die Bedeutung innerer und äusserer thatsächlicher Bedingungen für
ihre Entstehung festzustellen suchen; aber wir können in keiner
Weise die Bedingungen selbst im Interesse unserer Untersuchung
verändern. Es ist darum bezeichnend, dass, wo man bei Gesetzen,
Staatsverfassungen u. dergl. gelegentlich von Experimenten redet,
dies in der Regel in einem missbilligenden Sinne geschieht, weil
wir eben der Ueberzeugung sind, dass sich das geschichtliche Leben
mit allen seinen Erzeugnissen aus seinen eigenen Bedingungen heraus
entwickeln müsse und darin nicht durch Eingriffe, die nicht in jener
Entwickelung selbst begründet sind, gestört werden solle. Wenn
wir darum allenfalls ein politisches Experiment durch das praktische
Interesse, aus dem es entstanden ist, gerechtfertigt finden mögen,
als blosses Mittel unsere theoretische Wissbegierde zu befriedigen
würden wir es stets verwerfen.
Mit der Sammlung und Vergleichung der Thatsachen ist nun
aber auf dem Gebiet der Geistes- ebenso wenig wie auf dem der
Yerhältniüs za den naturwissenschaftlichen Methoden. 55
Naturwissenschaften alles getban, sondern hier wie dort müssen von
Anfang an bestimmte Grundlagen vorhanden sein, die als mass*
gebend für die Beurtheilung und Verknüpfung der Thatsachen gelten.
In der Naturwissenschaft hat seit lange die Mechanik die Bedeu-
tung einer solchen grundlegenden Disciplin errungen. Dass für die
Geisteswissenschaften die Psychologie die ähnliche Stellung einzu-
nehmen habe, kann nach deren Aufgabe nicht zweifelhaft sein, ja
darf an und für sich für weit gesicherter gelten als die entsprechende
Beziehung der Mechanik zur Physik, Chemie und Biologie. In beiden
Fällen beruht nämlich diese Stellung auf der Anerkennung der für
die verschiedenen Wissensgebiete massgebenden heuristischen Prin-
cipien. Hier haben nun aber die für die Naturwissenschaften gel-
tenden Principien dieser Art, insbesondere das Princip der Anschau-
lichkeit und der Einfachheit, von Anfang an einen einigermassen
hypothetischen Charakter, wie dies aus den allgemeinen Bedingungen
der Naturerkenntniss leicht erklärlich ist und namentlich in der
hypothetischen Beschaffenheit der letzten Voraussetzungen über das
Substrat der Naturvorgänge, die der Forderung der Reduction auf
Mechanik auf das engste angepasst sind, seinen Ausdruck findet.
Ganz anders verhält es sich mit den heuristischen Principien der
Geisteswissenschaften. Dass wir die geistigen Vorgänge ausser uns
nach unseren eigenen inneren Erlebnissen beurtheilen müssen, kann
an und für sich niemals zweifelhaft sein; ebenso entspricht die
Annahme des Einflusses der geistigen Umgebung und die Natur-
bedingtheit alles geistigen Lebens unseren geläufigsten Erfahrungen,
Darum bewegt sich ja auch hier aller Streit der Meinungen im
Grunde nicht um die Gültigkeit der Principien an sich, sondern um
den relativen Werth der einzelnen und höchstens noch um die Frage,
ob nicht eines derselben auch für die andern bestimmend sei, ein
Gesichtspunkt der namentlich bei dem Princip des Natureinflusses
geltend gemacht wurde. Wenn demnach die Naturwissenschaft in
der hohen Ausbildung ihrer Orundwissenschaft, der Mechanik, einen
Vortheil vor den Geisteswissenschaften voraushat, so besitzen dagegen
diese wieder den Vorzug, dass sie der gioindlegenden Bedeutung der
psychologischen Principien sehr viel sicherer sein können. Diese
Bedeutung spricht sich schon darin aus, dass nicht nur die allgemeine
Unterscheidung der Geisteswissenschaften und ihre Gliederung in
Terschiedene Gebiete, sondern auch die Untersuchung im einzelnen
durchaus von psychologischen Erwägungen geleitet wird. Auf diese
Weise bildet die psychologische Analyse und Abstraction ein
56 Allgemeine Grondlagen der Geisteswissenschaften.
fundamentales Hülfsmittel der Geisteswissenschaften, das die Anwen-
dung der vergleichenden Methode überall regelt, indem es theils
dieser ihre Richtung anweist theils zur Interpretation ihrer Ergeb-
nisse überführt.
Vollzieht sich die vergleichende Methode im wesentlichen
innerhalb der Geisteswissenschaften in einer dem gleichbenannten
naturwissenschaftlichen Verfahren ähnlichen Weise, nur modificirt
durch die eigenthümliche Verschiedenheit der üntersuchungsobjecte,
und findet die psychologische Analyse und Abstractiou in der An-
wendung der mechanischen Abstractionen und Analysen auf die
einzelnen naturwissenschaftlichen Gebiete wenigstens ein Analogon,
so treten uns nun aber schliesslich in der Kritik und Interpre-
tation zwei complexe Methoden entgegen, die man als die specifisch
geisteswissenschaftlichen bezeichnen könnte. Wohl reden wir auch
von einer Eü-itik naturwissenschaftlicher Ergebnisse und Methoden
oder auch nach dem Vorbilde Bacons von einer «Interpretatio
naturae''. Aber im ersten dieser Fälle behandelt die Kritik jene
Ergebnisse und Methoden im Sinne von geistigen Erzeugnissen be-
stimmter Forscher oder des intellectuellen Entwicklungsganges der
Wissenschaft; und im zweiten ist der Ausdruck Interpretation eigent-
lich nur ein bildlicher. Die Erklärung ist der allgemeinere Begriff:
sie kann auf jeden beliebigen, auch auf einen an sich selbst nicht-
geistigen Inhalt Anwendung finden und wird daher vorzugsweise in
diesem Sinne gebraucht. Nur wo ein geistiger Inhalt erklärt werden
soll, da wird die Erklärung zur Interpretation oder Auslegung. Der
Dolmetscher, Ausleger oder Interprete substituirt nicht erst, wie der
Erklärer thun kann und in der Regel thut, dem natürlichen Zu-
sammenhang einen logischen, der mindestens nicht mit jenem identisch
ist, sondern er will möglichst unverändert einen an und für sich
schon vorhandenen geistigen Zusammenhang verdeutlichen oder, wo
er verloren gegangen ist, wiedererwecken. Eben darum redet Bacon
bildlich von einer Interpretation der Natur: sie soll nach ihm nur
den Zusammenhang der Natur selbst wiedergeben, nicht fremde
Ideen in sie hineinlegen. Diese Aufgabe aber ist eben für die Natur-
wissenschaft im eigentlichen Sinne unlösbar, wie aus der hypotheti-
schen Beschaffenheit ihrer allgemeinsten Voraussetzungen ohne wei-
teres hervorgeht. In den Geisteswissenschaften dagegen kann sie
wenigstens als ideale Aufgabe festgehalten werden, deren Lösung
man hoffen darf näher und näher zu kommen, weil ihr hier wesent-
liche innere Hindernisse nicht im Wege stehen.
Verhältnisfl zu den naturwiBsenschaftlicben Methoden. 57
Hiernach ist der Reichtfaum der Geisteswissenschaften an logi-
schen Hülfsmitteln kein geringer. Die psychologische Abstraction
and Analyse ist unter allen umständen anwendbar ; denn sie fordert
nicht, wie die Reduction der Naturerscheinungen auf Mechanik, eine
relativ umfassende Eenntniss des Zusammenhangs der Erscheinungen.
Ferner ist die Durchbildung der vergleichenden Methode, aus deren
Anwendung wieder Kritik und Interpretation entspringen, hier eine
ungleich grössere als in der Naturforschung, deren Erfolge fast aus-
schliesslich auf dem Experimente beruhen. Eine zureichende Kennt-
niss der logischen Verfahrungsweisen, die der vergleichenden Methode
zur Verfügung stehen, lässt sich daher allein aus dem Studium der
Geisteswissenschaften gewinnen. Die Methodik der letzteren ver-
dankt aber diese Vollkommenheit wiederum der EigenthQmlichkeit
des psychologischen Causalprincips , das, indem es den Reichthum
und die Yielgestaltigkeit der Oeistesschöpfungen begründet, zugleich
die Beziehungen vermehrt, die der Vergleichung als Anknüpfungs-
pmikte dienen können. Diese Vielseitigkeit der Beziehungen ver-
leibt den Vermuthungen und Gedankenverbindungen, die überall der
eigentlichen Untersuchung den Weg bahnen, eine grosse Beweglich-
keit und Fruchtbarkeit, ein Umstand der bei Naturforschem zu-
weilen der Ansicht Vorschub leistet, in den Geisteswissenschaften
herrsche überhaupt weniger eine klar bewusste Methodik als eine Art
instinktiver Intuition. Diese Meinung ist aber irrig. Das Glück des
bstinktes ist in den Geisteswissenschaften ebenso wenig ausreichend
wie in der Naturforschung, und es ist in dieser, wie die Beispiele
eines Kepler oder Faraday zeigen, nicht minder fruchtbar wie
dort. Je verwickelter und vielseitiger die Thatsachen werden, um
80 wichtiger wird es freilich, dass rascher Ueberblick und reiche
Combinationsfahigkeit von Anfang an das richtige Ziel ins Auge
fassen, während auf exactem Gebiete die zu jenen Eigenschaften
in einem gewissen Gegensatze stehende Kraft der Abstraction das
mächtigste Werkzeug glücklicher Entdeckungen zu sein pflegt.
b. Die psychologische Analyse und Abstraction.
Wo immer geistige Vorgänge oder Objecte, die wir auf solche
zarQckfQhren , der Untersuchimg gegeben sind, da hat diese noth-
wendig zunächst die Aufgabe, festzustellen inwiefern ihrem Gegen-
stande wirklich ein geistiger Inhalt zukommt, und welche allge-
meinen Merkmale ihm eigenthümlich sind. Diese Aufgabe ist eine
58 Allgemeine Grundlagen der Greisteswiasenachaften.
psychologische : sie setzt eine von psychologischen Begriffen geleitete
Analyse der Erscheinungen und eine Abstraction von denjenigen
physischen Bestandtheilen derselben voraus, denen vermöge ihrer
Beschaffenheit weder unmittelbai' noch mittelbar eine geistige Be-
deutung zugeschrieben werden kann. Eine solche Untersuchung
stellt überall erst fest, dass der Gegenstand in den Umkreis der
Geisteswissenschaften gehört; und die unmittelbar daran geknüpfte
Bestimmung der ihm eigenthümlichen psychologischen Merkmale
pflegt ihn dann auch sofort dem ihm adäquaten Gebiet dieser Wissen-
schaften einzuordnen.
In diesem ihrem ersten Stadium kommt nun allerdings der
Untersuchung in der Hegel der Umstand zu statten, dass die geistigen
Vorgänge und die geistigen Erzeugnisse so augenfällig als solche
gekennzeichnet und schon in der äusseren Erscheinung mit dem
Gebiet zu dem sie gehören verbunden sind, dass jene psychologische
Analyse und Abstraction im allgemeinen bereits dem vorwissenschaft-
lichen Denken angehört, so dass meist ohne nähere Motivirung
irgend ein neu auftretendes Problem einer bestimmten einzelnen
Geisteswissenschaft zugewiesen wird. Aber in schwierigeren Fällen
ist doch eine solche, die specielle Zuordnung des einzelnen Objectes
vermittelnde Untersuchung unerlässlich. So ist in manchen Fällen
ein Streit darüber entstanden, ob gewisse an einigen Orten im
Diluvialsand gefundene, anscheinend künstlich bearbeitete Steine
wirklich Producte einer frühen menschlichen Gultur oder zufallige
Naturproducte seien. Ebenso ist es eine bei vielen Gelegenheiten
von den Historikern erörterte Frage, ob gewisse Ueberlieferungen
ganz oder theilweise als historische Zeugnisse oder aber als Mythen-
bildungen anzusehen, ob sie also der Geschichte oder der Mythologie
zuzurechnen seien. In allen solchen Fällen sind die entscheiden-
den Kriterien, welche die Einordnung des Gegenstandes bestimmen,
schliesslich psychologischer Art, wenn auch natürlich andere Beur-
theilungsmomente, z. B. sonstige historische Zeugnisse oder im zweiten
der obigen Beispiele der Zusammenhang mit andern Mythenbildungen,
eine entscheidende Bolle spielen können. Gleichwohl bleiben diese
Momente nur Hülfsmittel, welche die psychologische Analyse unter-
stützen. Denn ob z. B. einem vorgeblichen Steinwerkzeug seine
Form durch die Kunstfertigkeit eines primitiven Menschen möglicher
oder wahrscheinlicher Weise gegeben wurde, das vermögen wir nur
zu beurtheilen, indem wir uns in die Bedür&isse und in die Fällig-
keiten eines solchen zu versetzen suchen. Und ob eine Ueberliefe-
Psychologische Analyse und Abstraction. 59
niDg mythisch sei, darüber entscheiden zu einem wesentlichen Theile
die Gesetze der mythenbildenden Phantasicthätigkeit.
Aber noch in einer andern Weise bestimmt die psychologische
Analyse der Erscheinungen schon die erste Ordnung der Wissens-
objecte. Auch ftir die Geisteswissenschaften ist der Gesichtspunkt
massgebend, dass im allgemeinen die Gegenstände nicht von selbst
in bestimmte, durch die ihnen objectiv zukommenden Merkmale fest
charakterisirte Ghruppen aus einander treten, sondern dass es der
Standpunkt des Betrachtenden und namentlich die von ihm her-
rührende Einfahrung verschiedener Gesichtspunkte der Betrachtung
ist, die einen und denselben Gegenstand an ganz verschiedenen Orten
und zu verschiedenen Zwecken der Untersuchung überliefert. So
kann eine Sage als Zeugniss für frühe Culturzustände ein histori-
sches, durch den Zusammenhang mit dem Mythus ein mythologisches
und endlich durch die sprachliche Bedeutung bestimmter in ihr vor-
kommender Namen ein sprachgeschichtlich-etymologisches Document
sein. Ein Bechtsinstitut kann bald unter dem Gesichtspunkt der
socialen und wirthschaftlichen Verhältnisse die es voraussetzt, bald
unter dem der Verfassungsverhältnisse, bald endlich im Zusammen-
bang mit der allgemeinen Rechtsentwicklung betrachtet und so gleich-
zeitig in der Wirthschafts- und der Culturgeschichte, der historischen
Nationalökonomie, der politischen und der Rechtsgeschichte, und in
jedem dieser Gebiete wieder zum Theil von andern Gesichtspunkten
ans in Betracht gezogen werden. Ein jeder derartige Gesichtspunkt
repiäsentirt aber ein Ergebniss psychologischer Abstraction, das eine
psychologische Analyse der complexen Erscheinung voraussetzt, auf
Grund deren die wechselnde Zuordnung der Erscheinung zu andern^
in ahnlicher Weise mittelst der Analyse gewonnenen Theilphänomenen
rotgenommen wird.
Ueber alle diese Gebietstheilungen erstreckt sich nun diejenige
Unterscheidung, die in der Reflexion über jene Vorgänge, zu denen
psychologische Analyse und Abstraction selbst gehören, ihre Quelle
hat Wo immer in den speciellen Geisteswissenschaften diese psycho-
logischen Hülfsmittel zur Anwendung kommen, da geschieht solches
in der Absicht, den geistigen Gehalt bestimmter Thatsachengruppen
tfaeils an und fOr sich theils in seiner Beziehimg zu bestimmten
Naturbedingungen zu erforschen. Aus diesen mannigfachen An-
wendungen entsteht dann allmählich die Forderung, die geistigen
Erscheinungen überhaupt ohne Rücksicht auf die besonderen Fälle
ihres Vorkommens nach ihren allgemeinen Eigenschaften zu unter-
(30 Allgemeine Grandlagen der Oeisteswissenschaften.
suchen. So wird es begreiflich, dass die Psychologie, obgleich
ihrer Aufgabe nach die Grundlage der Geisteswissenschaften, doch
spät erst aus den in diesen vorhandenen einzelnen Anwendungen als
eine ihnen gleichgeordnete empirische Wissenschaft entstanden ist.
An die mehr auf Grund einer vorläufigen als einer planmässig
ausgeführten psychologischen Analyse entstandene Gebietstheilung
der Geisteswissenschaften schliesst sich dann jene tiefer eindringende
Bethätigung dieser Methode, die sich die Untersuchung der ein-
zelnen Probleme mit Rücksicht auf ihre ursächlichen Bedingungen
und Zusammenhänge zum Ziel setzt. So tritt zunächst die Psycho-
logie selbst ihren eigenen Objecten vor allen Dingen mit der Ab-
sicht gegenüber, den complexen Thatbestand des Einzelbewusstseins
in seine Bestandtheile zu zerlegen, um dann die functionellen Be-
ziehungen der Elemente zu einander festzustellen. Dann wendet sie
sich in erweiterter Betrachtung solchen psychischen Erscheinungen
zu, die als Erzeugnisse des Zusammenlebens der Einzelnen entstehen,
wie Sprache, Mythus, Sitte. Indem sie diese nur mit Rücksicht auf
die in ihnen zur Wirkung gelangenden psychischen Thätigkeiten
berücksichtigt, unterscheiden sich auch hier ihre Probleme durchaus
von denen der historischen Disciplinen, in deren Gebiet gleichfalls
jene Erscheinungen des gemeinsamen Lebens gehören. Bei allen
diesen Untersuchungen folgt die Psychologie der Maxime, dass jeder
Bestandtheil des psychischen Geschehens als ein fttr sich wirksames
Element desselben angesehen werden dürfe , der entweder relativ
unverändert bleiben könne, während die andern mit ihm verbundenen
Inhalte wechseln, oder der umgekehrt wechseln könne, während die
andern constant bleiben. Diese Maxime wird dann auch in allen
Untersuchungen der speciellen Geisteswissenschaften zum Grundsatz
der Analyse. Es unterscheidet sich aber dadurch die psychologische
Analyse und Abstraction wesentlich von den entsprechenden Ver-
fahrungsweisen der Naturwissenschaft und speciell von den Analysen
und Abstractionen der Mechanik. Während hier von gewissen
Eigenschaften der Körper oder der Bewegungsvorgänge abgesehen
wird, die wir an den wirklichen Körpern und bei den wirklichen in
der Natur vorkommenden Bewegungen immer wahrnehmen, isolirt
die psychologische Analyse The ilinh alte des Bewusstseins , deren
jeden sie als einen unlösbaren Zusammenhang von Eigenschafben
festhält, die stets an einander gebunden und daher in diesem Sinne
unanalysirbar sind. Die Mechanik verwandelt ferner mit Hülfe ihrer
Abstractionen relative in absolute Eigenschaften, indem sie die
Psjchologische AnalyBe und Abstraction. 61
Begriffe des starren Körpers, der absolut verschiebbaren Flüssig-
keit, der absolut geradlinigen und gleichförmigen Bewegung bildet.
Die Psychologie dagegen denkt sich jene Theilinhalte, wie Gefühle,
Vorstellungen, Willensacte, als selbständige Vorgänge, denen sie
zwar Beziehungen zu den übrigen Bestandtheilen, dabei aber doch
eine für sich bestehende Realität zuschreibt. Diese Differenz der
beiden Abstractionsweisen hängt mit den Grundunterschieden des
naturwissenschafÜichen und des psychologischen Erkennens auf das
engste zusammen. Das erstere wird von den Eigenschaften der
Baum- und Zeitanschauung von Anfang an geleitet und daher ver-
anlasst diese in abstract begrifflicher Form erfassten Eigenschaften
auf das Substrat der Naturvorgänge zu übertragen. Die psycho-
logische Erfahrung muss die Bewusstseinsinhalte als ein Gegebenes
hinnehmen, das sie zwar in Theile zerlegen, niemals aber auf einen
in sich homogenen Begriff zurückführen kann, aus dessen Modi-
ficationen dann die übrigen empirischen Bestandtheile abzuleiten
wären. Dieser Umstand ist es, der die Psychologie immer und
immer wieder veranlasst hat, im Widerspruch mit ihrem Erkenntniss-
princip und ihrer eigenthümlichen Aufgabe, eine der naturwissen-
schaftlichen nachgeahmte Abstractionsmethode auch auf ihren Gegen-
stand zu übertragen. Dies ist im allgemeinen in doppelter Weise
geschehen: erstens indem man die einzelnen durch die Analyse ge-
wonnenen Theilinhalte unter gewisse Generalbegriffe ordnete und
demnach jede Glasse psychischer Vorgänge als die Wirkung einer
specifisch eigenthümlichen seelischen Kraft ansah, die mit den übrigen
auf ähnliche Weise gewonnenen Kräften nur in einer äusseren
Functionsbeziehung stehe ; und zweitens indem man, älinlich wie die
Mechanik die Raumerfüllung als die allen andern zu Grunde liegende
Eigenschaft der Materie betrachtet, so einen jener psychischen
Theilvor^lnge als denjenigen ansah, der alle andern hervorbringe
oder dieselben doch in ihrer Wirkungsweise bestimme. In der Regel
verbanden sich sogar diese beiden Voraussetzungen mit einander.
Aas dieser Verbindung ist die bis in die neueste Zeit in der Psycho-
logie und in den Interpretationen der speciellen Geisteswissenschaften
noch gegenwärtig vorherrschende intellectualistische Auffassung
des geistigen Lebens hervorgegangen. Die specielle Ausbildung, die
gerade die intellectuellen Processe in der logischen Technik des
Denkens gefunden haben, begünstigte diese Einseitigkeit, und sie
bewirkte, dass die psychologische und die erkenntnisstheoretische
Analyse der Thatsachen, die nachträglichen Reflexionen des wissen-
(32 Allgemeine Grundlagen der GeiBieswifieenschafben.
schaftlichen Beobachters und die psychischen Motive der Erschei-
nungen selbst häufig in ein unentwirrbares Gemenge zusammen-
flössen. Falsche psychologische Abstraction und einseitig beschränkte
Anwendung des Princips der subjectiven Beurtheilung unterstützen
sich hier, um die objective Auffassung der Thatsachen durch eine
subjective und sogar durch eine bloss auf eine Richtung subjectiver
Thätigkeit beschränkte Auffassung zu ersetzen. Die teleologische
und die causale Interpretation der Erscheinungen sind beide geeignet,
eine solche Umwandlung der für die Beurtheilung unerlässlichen
logischen Principien in eine den Objecten selbst immanente Logik
zu unterstützen. Der Fehler selbst ist aber in diesem Fall um so
schwieriger zu überwinden, weil die logischen Vorgänge, wenn auch
nicht in der abstracten Form, in der wir sie der Ableitung der
logischen Normen zu Grunde legen, doch immerhin in einer alle
andern psychischen Elemente durchdringenden concreten Bethätigung
wirklich zu den Grundbestandtheilen des seelischen Lebens gehören,
so dass die intellectualistische Auffassung nicht absolut unrichtig,
sondern eben nur partiell richtig ist, und es daher an scheinbar
triftigen Bestätigungen derselben nicht fehlen kann.
Gerade dies ist nun ein Punkt, wo die aus einer sorgsameren
Analyse der psychischen Vorgänge erwachsenen Anschauungen der
neueren Psychologie den speciellen Geisteswissenschaften weniger
durch einzelne Methoden als durch ihren gesammten Inhalt forder-
lich werden können. Die hier gestellte Aufgabe ist freilich um so
schwieriger, je mehr jene logisirende Tendenz der natürlichen Eigen-
schaft des Beurtheilers einer Erscheinung entspricht, nicht nur seine
Subjectivität überhaupt, sondern auch das besondere Stadium der
Reflexion, in dem er sich bei der Untersuchung befindet, als Mass-
stab an die geistigen Objecte anzulegen. Dem kann nur die imauf-
hörliche Vergegenwärtigung der Wahrheit entgegenwirken, dass alle
jene Theilinhalte des Bewusstseins, welche die psychologische Analyse
unterscheidet und zum Zweck der wissenschaftlichen Verständigung
noth wendig unterscheiden muss, nicht real getrennte oder auf ein
einziges gleichartiges Element zurückführbare Thatsachen, sondern
dass sie unauflöslich an einander gebundene Bestandtheile unseres
geistigen Lebens sind, so dass irgend ein psychischer Erfolg nie-
mals aus einem der Theilinhalte allein, sondern immer nur aus
ihrer aller Verbindung abgeleitet werden kann. Jener psychologi-
schen Abstraction, die versuchsweise aus bloss einem Factor des
gesammten psychischen Thatbestandes Folgerungen zieht, muss da-
Pajchologiache Analyse nnd Abstraction. 68
her stets zunächst die ähnliche Betrachtung der übrigen Factoren
und dann die Rücksichtnahme auf deren wechselseitige Beziehungen
nachfolgen. In dieser successiven Behandlungäweise trägt erst die
psychologische Analyse ihre Früchte. Sie vermeidet den Fehler einer
Umwandlung der Abstractionsproducte in reale Vorgänge dadurch,
dass sie das nämliche Verfahren auf alle Producte der abstrahiren-
den Zerlegung anwendet und durch die nachfolgende Synthese die
anfaDghche Sonderung wieder aufhebt.
Dagegen gibt es in der Anwendung der psychologischen Ana-
lyse auf specielle Probleme der Geisteswissenschaften eine andere
Schwierigkeit, die durch eine solche Vervollständigung und üm-
kehrung des analytischen Verfahrens nicht beseitigt wird. Sie be-
steht in dem grossen Spielraum individueller Anlagen und Gharakter-
entwicklungen des Menschen. Würde doch jeder Beurtheiler histori-
scher Persönlichkeiten , auch wenn er den oben gerügten Fehler
einseitiger Abstraction vermeiden sollte, immer noch leicht irre
gehen, wenn er nur das eigene subjective Bewusstsein zum Masse
jeder fremden Persönlichkeit machen wollte. Zwar gibt es für ihn
schliesslich kein anderes Hülfsmittel psychologischen Verständnisses
als die eigene seelische Erfahrung. Aber er muss es zugleich ver-
stehen die Stärke der verschiedenen Elemente, die er in sich selbst
findet, auf das mannigfachste abgeändert zu denken und sich so das
lebendige innere Anschauungsbild einer andern Persönlichkeit zu
erzeugen, die durchaus von der eigenen verschieden und dieser über-
haupt nur deshalb verständlich ist, weil es eben wegen jenes reichen
Ineinanderspielens seelischer Kräfte, die mit irgend einer einseitigen
Ableitung unverträglich ist, gar keine individuellen Entwicklungen
gibt, zu denen nicht in irgend einem Grade die Anlagen auch in
jedem andern Subjecte vorhanden wären. Die psychologische Ana-
lyse objectiver geistiger Vorgänge und geistiger Erzeugnisse fordert
daher neben dem Hinübertragen des eigenen subjectiven Bewusst-
seins stets zugleich ein Umdenken der eigenen Persönlichkeit
nach den dem Beobachter entgegentretenden äusseren Merkmalen.
Der Ethnologe und der Historiker sollen hier die ähnliche Kunst
txL üben wissen, wie sie dem grossen Schauspieler zu Gebote steht.
der sich für kurze Zeit mit der Rolle die er spielt eins weiss, so
Terschieden auch an sich der Charakter dessen sein mag den er
darstellt.
Nun ist es zweifellos, dass hier ursprüngliche Begabung und
glücklicher Instinkt schliesslich das beste leisten müssen, und dass
(34 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
ohne diese Gaben eine auf dem vollen Hineindenken in das psy-
chische Object beruhende psychologische Analyse nicht möglich ist.
Aber damit ist doch nicht gesagt, dass wissenschaftliche Ueberlegung
und Uebung nicht im Stande sein sollten, auch dieser ümdenkung
der eigenen Persönlichkeit nach gewissen objectiv gegebenen Merk-
malen wesentliche Dienste zu leisten. Das würde die Aufgabe einer
praktischen Psychologie, speciell einer Charakterologie sein, die
auf der Grimdlage der allgemeinen theoretischen Psychologie die
Grundformen des individuellen Charakters an typischen Beispielen
zu untersuchen und aus der Verbindung und Wechselwirkung der
psychischen Elemente abzuleiten hätte. Eine solche Charakterologie
hat schon Bacon als eine Art Vorschule der Politik und Geschichte
gefordert""). Man kann leider nicht sagen, dass seit Bacon die
Aufgabe wesentliche Fortschritte gemacht hätte. Aber man darf
wohl voraussagen, dass einer Lösung derselben vor allem die
Ueberwindung der metaphysischen und der einseitig intellectualisti-
schen Richtungen der Psychologie sowie nicht minder die Vervoll-
kommnung der psychologischen Analyse überhaupt zu statten
kommen wird.
c. Die vergleichende Methode.
Die vergleichende Methode bildet denjenigen Bestandtheil der
Methodik der Geisteswissenschaften, in welchem diese am meisten
mit den entsprechenden Verfahrungsweisen der Naturforschung über-
einstimmen. Begreiflich daher, dass wo immer man den Versuch
gemacht hat, gemeinsame Forschungsprincipien für alle Wissens-
gebiete aufzustellen, die vergleichende Methode den geeigneten Stoff
für solche Verallgemeinerungen darbot. In diesem Sinne hat sie
von Bacon an bis auf John Stuart Mill die Grundlage für die
*) Bacon, De dignitate et augmentis scient., VII, 3. Auch J. St. Mill
legt grossen Werth auf eine derartige angewandte Psychologie, die er als
, Ethologie* bezeichnet und freilich wohl etwas einseitig als eine streng deductive,
überall das Einzelne aus allgemeinen psychologischen Gesetzen ableitende Dia-
ciplin auffasst (Logik, II, Buch VI, Cap. V). Manche Beiträge zu diesem Gebiet
lieferte die deutsche «Erfahrungsseelenkunde* des vorigen Jahrhunderts; sie
werden aber durch die Mängel der psychologischen Grundanschauungen ent-
werthet und sind daher nicht ganz mit Unrecht fast völlig der Vergessenheit
anheimgefallen.
Vergleichende Methode. 65
allgemeine Theorie der Induction gebildet. Dabei wird aber über-
sehen, dass sie an und für sich nur ein Hülfsverfahren der Induction
ist, dem in der Naturwissenschaft die experimentellen Methoden und
die Bildung von Hypothesen auf 6rund allgemeiner Voraussetzungen,
namentlich auf Orund der mechanischen Principien, zur Seite treten,
während in den Geisteswissenschaften psychologische Analyse und
Abstraction stets mit der Vergleichung Hand in Hand gehen. Bilden
dort alle jene Bestandtheile zusammen das, was wir eine natur-
wissenschaftliche Induction nennen, so setzen sich hier aus der
psychologischen Analyse und dem vergleichenden Verfahren erst die-
jenigen Methoden zusammen, die den Geisteswissenschaften in logi-
scher Hinsicht ihr charakteristisches Gepräge verleihen: die Kritik
und die Interpretation.
Die logischen Normen, auf welche die vergleichende Methode
zurückführt, sind hier die nämlichen wie in der Naturforschung; sie
bestehen in der Feststellung von üebereinstimmungen und Unter-
schieden, wobei die letzteren wieder entweder in Merkmalen bestehen
können, die in gewissen Fällen vorhanden sind und in andern mangeln,
oder aber in Gradabstufungen d. h. in solchen Unterschieden, die
nicht bloss qualitativer sondern zugleich quantitativer Art sind. (Vgl.
Bd. n, 1, Abschn. HI, S. 339 S.) Ebenso kehren die beiden Grund-
fonnen der individuellen und der generischen Vergleichung
in wesentlich unveränderter Weise wieder. Nicht auf diesen der ver-
gleichenden Methode an und für sich zukommenden Normen, sondern
auf den besonderen Bedingungen denen sie begegnen beruhen da-
her die Eigenthümlichkeiten ihrer Anwendung. Die Objecte der
naturwissenschaftlichen Vergleichung sind vor allem Gegenstände,
erst in zweiter Linie Vorgänge die an Gegenständen beobachtet
werden. Darum spielt die vergleichende Methode ihre Hauptrolle
in den descriptiven Zweigen der Naturforschung. Wo es sich
dagegen um die Erklärung der Erscheinungen durch den Nachweis
ihres causalen Zusammenhangs handelt, da wird wo irgend möglich
das Experiment zu Hülfe gerufen. Die blosse Vergleichung der
Beobachtungen kann hier überhaupt nur in den einfachsten Fällen,
wie im Gebiet der Astronomie, zu einer Theorie der Erscheinungen
gelangen; und auch dann gelingt dies nur dadurch, dass sich eine
solche Theorie auf physikalische Thatsachen stützen kann, die der
experimentellen Beobachtung zugänglich sind (Abschn. HI, S. 340).
Die Objecte der Geisteswissenschaften dagegen, die der vergleichen-
den Methode unterworfen werden, sind in letzter Instanz immer
Wandt, Logik. 11,8. 2. Aufl. 5
66 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
geistige Vorgänge, Gegenstände nur insofern als diese die Er-
zeugnisse geistiger Vorgänge sind, so dass der eigentliche Endzweck
des Verfahrens nie auf die Gegenstände als solche, sondern auf die
zu ihrer Hervorbringung erforderlichen Vorgänge gerichtet ist.
Wenn z. B. zwei Denkmäler, die sich auf ein und dasselbe Ereigniss
beziehen oder muthmasslich aus der nämlichen Zeit herrühren, oder
wenn zwei Handschriften, die den nämlichen Text überliefern, die
Gegenstände der Untersuchung des Philologen oder Historikers bilden,
so sind es nur die in diesen Objecten verkörperten geistigen Leistungen,
die das Interesse erregen. Weist etwa die Gestalt der Schriftzüge
auf verschiedene Jahrhunderte der Abfassung hin, verräth sich in
einzelnen Merkmalen die Abhängigkeit von einer älteren Vorlage
oder das unzureichende Verständniss des Abschreibers u. dergl. , so
ist hier offenbar der Gegenstand überall nur das Mittel, aus dem
wir auf die Leistungen eines Urhebers zurückschliessen, und nur
diese Leistungen selbst bilden den eigentlichen Inhalt der Unter-
suchung, mag diese nun ein für sich selbst bestehender Zweck sein
oder, wie in den angeführten Beispielen, ihrerseits nur als Mittel zu
weiter zurückliegenden Zwecken dienen. Auch diese tragen dann
immer und im allgemeinen um so mehr, je näher sie an die end-
gültigen Probleme der Geisteswissenschaften heranreichen, das Ge-
präge des Actuellen, in einem Ereigniss oder einer zusammen-
hängenden Reihe von Ereignissen sich vollziehenden, nicht des
Gegenständlichen an sich. Denn das geistige Leben in seinen
mannigfachen Gestaltungsformen ist eben nicht ein ruhendes Sein,
als welches die Natur wenigstens in vielen ihrer Bildungen erscheint,
sondern ein unablässiges Werden und Geschehen, so dass jene für
die Aussenwelt in einem weiten Umfang zutreffende Abstraction
eines Beharrenden hier auch nicht für einen Augenblick festgehalten
werden kann.
Mit dieser ersten hängt eine zweite Eigenthümlichkeit auf das
engste zusammen. Sie besteht darin, dass die individuelle Ver-
gleichung in diesem Fall durchaus nicht bloss ein die umfassendere
generische Methode vorbereitendes und einleitendes Verfahren ist,
sondern dass sie stets einen selbständigen Werth und nicht selten
eine endgültige Bedeutung hat. Diese Bevorzugung der indivi-
duellen Vergleichung liegt darin begründet, dass die geistigen Vor-
gänge und Leistungen, mögen sie nun einen allgemeinen Charakter
besitzen , wie Sprachen , Staatenbildungen , Wirthschaftszustande,
Rechtsanschauungen, oder mögen sie individuellster Art sein, wie
Vergleichende Methode. 67
Handlungen Einzelner, Kunstschöpfungen, wissenschaftliche Arbeiten,
Qberall Erzeugnisse einer geschichtlichen Entwicklung sind. Die
Erzeugnisse der Geschichte haben aber durchweg eine singulare
Bedeutung, das heisst: mag eine einzelne Thatsache auch noch
so sehr einer andern in ihrer eigenen Beschaffenheit wie in den
Bedingungen aus denen sie hervorging ähnlich sein, identisch sind
niemals zwei geschichtliche Vorgänge, und zwar sind sie nicht
bloss in gewissen äusseren und unwesentlichen Merkmalen ver-
schieden, sondern jede Thatsache hat ihre selbständige Bedeutung
und ihre eigenen, sie von jeder andern noch so ähnlichen unter-
scheidenden Werthbestimmungen. Dies ist der Punkt, wo sich die
Erzeugnisse der geistigen Entwicklung von Grund aus unterscheiden
von den Producten der Natur. Wohl mag es auch von diesen wahr
sein, dass kein Gegenstand und kein Vorgang völlig dem andern
gleich ist. Zwei Thier- oder Pflanzenindividuen der nämlichen Species,
selbst zwei Krystallindividuen des nämlichen Minerals werden vor-
aussichtlich niemals identisch sein, an irgend welchen qualitativen
oder quantitativen Differenzen wird es nie fehlen. Aber das unter-
scheidende ist hier, so weit es als bloss individuelle EigenthQm-
lichkeit zu gelten hat, durchgängig von unwesentlicher Bedeutung,
80 dass es gegenüber den generischen Merkmalen vernachlässigt
werden kann. Darum subsumiren wir nicht nur die unzähligen Er-
scheinungen des Falls der Körper oder gewisser Schall-, Wärme-,
Lichterscheinungen übereinstimmenden Grundgesetzen, ohne uns um
die besonderen Modiflcationen der individuellen Erscheinungen zu
kümmern, sondern auch die sänmitlichen wesentlichen Eigenschaften
eines Thier- oder Pflanzenindividuums gelten uns für erschöpft durch
die allgemeinen Merkmale der Species, es sei denn dass die indivi-
duellen Abweichungen ihrerseits wieder eine allgemeine Bedeutung
besitzen, so dass sich zahlreiche solche Abweichungen abermals
einem Allgemeinbegriff unterordnen. Wo der Mensch selber nur
als Naturwesen in Betracht kommt, bei der Untersuchung seiner
anatomisch-physiologischen Eigenschafken oder seiner Stammes- und
Gattungscharaktere, da verliert daher auch bei ihm das Individuelle
und Singulare seine Bedeutung. Umgekehrt dagegen gibt es einen
Fall, wo auf dem Gebiet der Naturwissenschaft der Unterschied
individueller und generischer Betrachtung hinfällig ist, oder wo,
wie man hier wohl treffender sagen könnte, die individuelle von
selbst zur generischen Betrachtung wird : er ereignet sich da, wo das
Object der naturwissenschaftlichen Untersuchung an und für sich
68 Allgemeine Grundlagen der GeisteswiBsenschaften.
nur ein einzelnes ist. So ist die Erde ein individueller Gegen-
stand, und jedes auch nur einmal auf ihr vorkonunende Object hat
daher für die Physik der Erde seine Bedeutung. Aber während
sich auf geistigem Gebiet das Allgemeine fortwährend in einer Fülle
einzelner Bildungen, deren jede ihren besonderen Werth hat, in-
dividualisirt, erhebt sich hier umgekehrt das Einzelne erst durch
sein ausnahmsweise bloss individuelles Vorkommen zu einem Gene-
rellen.
Insofern nun die singulare Bedeutung geistiger Vorgänge und
Leistungen wesentlich an ihre Entstehungsbedingungen ge-
bunden ist, wird es begreiflich, dass es in erster Linie die histori-
schen Wissenschaften im engeren Sinne des Wortes sind, in denen
entweder ausschliesslich oder doch in ganz überwiegender Weise das
Verfahren der individuellen Vergleichung herrscht. Jedes ge-
schichtliche Ereigniss steht unter bestimmten Bedingungen der Zeit
und des Ortes, die sich zu keiner andern Zeit und an keinem andern
Orte völlig übereinstimmend wiederholen. Demnach sind schon die
Zeugnisse, auf Grund deren der Historiker den Verlauf eines Er-
eignisses feststellt, individueller Art: sie bestehen in Denkmälern,
Ueberlieferungen, Wirkungen auf die Folgezeit, die sämmtlich an
der singulären Natur des Vorganges auf den sie sich beziehen theil-
nehmen. Nicht minder gilt dies von den einzelnen Thatsachen, aus
denen sich der geschichtliche Vorgang zusammensetzt, sowie von
der eigenthümlichen Verknüpfung' der Bedingungen, die ihm voran-
gehen und ihn begleiten.
Dies Verhältniss ändert sich einigermassen bei den Objecten
philologischer Untersuchung. Da die Erzeugnisse der Literatur
und Kunst ebenfalls geschichtlich geworden, zu einer bestimmten
Zeit imd an einem bestimmten Orte entstanden sind, so werden natür-
lich die nämlichen Regeln individueller Vergleichung auf sie an-
gewandt, die für das geschichtliche Werden überhaupt gelten. Aber
dabei fordern doch zugleich solche in dauernden Formen erhaltene
Erzeugnisse geistiger Thätigkeit die Vergleichung mit andern Er-
zeugnissen ähnlicher Art heraus, zunächst mit solchen die der Zeit
wie dem Ort der Entstehung nach jenen nahe liegen, dann aber
weiterhin mit beliebig zeitlich und räumlich entfernten, bei denen
nur der verwandte geistige Charakter des Objectes eine Vergleichung
anregt. So gehen hier die individuelle und die generische Methode
neben einander her: sucht die erstere die geschichtliche Stellung
und die specieUen Entstehungsursachen des Objectes zu bestimmen,
Vergleichende Methode. 69
so tritt die zvf eite der Frage nach seiner allgemeinen Bedeutung
innerhalb der ganzen Summe menschlicher Geistesschöpfungen näher.
Darum bereitet die generische Methode gegenüber der durch die
individuelle geübten einseitig historischen Betrachtung eine philo-
sophische Würdigung des Gegenstandes vor. So gründet sich
z. B. die ästhetische Erklärung und Kritik eines dichterischen Werkes
auf die generische Vergleichung mit Werken ähnlicher Art, während
das Yerständniss der geschichtlichen Entstehung eines solchen die
individuelle Vergleichung seines Inhaltes mit andern geschichtlichen
Thatsachen und Erzeugnissen der nämlichen Zeit verlangt. Für die
Reihenfolge der Methoden ist hierbei massgebend, dass das geschicht-
liche Yerständniss im allgemeinen der philosophischen Würdigung
vorausgehen muss, dass aber sodann diese wieder die geschicht-
liche Beurtheilung beeinflusst. Daraus ergibt sich, dass zunächst
die individuelle Methode den Vortritt hat, dass sie aber ausserdem
der Anwendung der ihr folgenden generischen Methode wieder
nachfolgen und deren Ergebnisse unter geschichtliche Beleuchtung
bringen kann.
Naturgemäss wird nun, je nach dem Zweck den eine einzelne
Untersuchung verfolgt, die eine oder andere dieser vergleichenden
Methoden im Vordergrund stehen. Die hierdurch bedingten Unter-
schiede treten besonders deutlich dann hervor, wenn ein und das-
selbe Object in neben einander hergehenden Untersuchungen von
verschiedenen Gesichtspunkten aus behandelt wird. Da bei der in-
dividuellen Vergleichung das logische Verfahren selbst hinter der
Hervorhebung der historischen Thatsachen einigermassen zurück-
tritt, so pflegt man hierbei insbesondere dann von vergleichender
Methode zu sprechen, wenn speciell die generische Vergleichung
im Vordergrund steht. In diesem Sinne ist die Scheidung in eine
geschichtliche und eine vergleichende Behandlung für ganze
Wissensgebiete herrschend geworden. So gibt es neben der Sprach-
geschichte eine vergleichende Sprachwissenschaft, neben der histori-
schen eine vergleichende Mythologie, u. s. w. Wie schon diese
Beispiele zeigen, sind es besonders geistige Erzeugnisse von all-
gemeingültiger Art, die eine solch doppelte Untersuchung zu-
lassen und fordern. Natürlich kann es sich aber dabei immer nur
am ein Uebergewicht, niemals um eine Alleinherrschaft der einen
oder andern handeln. Die vergleichende Sprachwissenschaft z. B.
kann ebenso wenig der geschichtlichen Betrachtung mit ihrer in-
dividuellen Vergleichung wie die Sprachgeschichte der generischen
70 Allgemeine GniDdlagen der Geisteswissenschaften.
Vergleichung der Sprachformen entbehren. Immerhin prägt sich
die abweichende Richtung darin aus, dass die vergleichende Behand-
lung einer Wissenschaft, also das Vorwalten der generischen Ver-
gleichung, zu einer Erweiterung der Betrachtung auch über solche
Objecte antreibt, die geschichtlich gar nicht mit einander zusammen-
hängen, während die geschichtliche Forschung an und für sich der
Bedingung unterworfen ist, dass ihre Gegenstände in einer wirk-
lichen historischen Verbindung stehen müssen. Darum gibt es eine
Geschichte der griechischen, lateinischen, deutschen Sprache und im
äussersten Fall auch noch eine solche des Gesammtgebiets des indo-
germanischen Sprachstamms, aber keine allgemeine Sprach-
geschichte. Ja eine Geschichte im eigentlichen Sinne des Wortes,
gegründet auf eine stufenweise die sprachlichen Erscheinungen ver-
folgende individuelle Vergleichung, ist sogar nur bei den beschränkteren
Gebieten möglich: schon die indogermanische Sprachgeschichte sieht
sich vielfach genöthigt an die Stelle der historischen die bloss ver-
gleichende Betrachtung treten zu lassen. Vollends können solche
Sprachen, die nicht irgendwie stammverwandt sind, also an keinem
Punkte ihrer geschichtlichen Entwicklung mit einander zusammen-
hängen, zwar in beliebigem Umfange den Inhalt einer vergleichen-
den, niemals aber den einer geschichtlichen Behandlung bilden.
Hat hiernach die vergleichende vor der historischen Methode
den Vorzug der unbeschränkteren Anwendbarkeit, so ist dagegen
diese dadurch gegenüber jener im Vortheil, dass der äussere 'ge-
schichtliche Zusammenhang der Ereignisse in der Regel auch einem
inneren Zusammenhang derselben entsprechen wird, so dass die
individuelle Vergleichung, die diesem nachgeht, leichter im Stande
ist den wirklichen Bedingungen des Geschehens auf die Spur zu
kommen, während eine bloss von der allgemeinen Aehnlichkeit ge-
leitete generische Vergleichung zunächst bei AllgemeinbegriJBFen stehen
bleibt, die erst durch eine hinzukommende psychologische Analyse
oder eine Reihe individueller geschichtlicher Untersuchungen in ihrer
Bedeutung erkannt werden. Dieser Nachtheil macht sich am aller-
meisten da geltend, wo die generische Vergleichung auf das ihr
ursprünglich inadäquateste Gebiet, auf das der eigentlichen Geschichte,
angewandt wird. Eine solche vergleichende Geschichtsbehandlung,
die sich über alle Grenzen von Zeit und Raum hinwegsetzt, um die
den verschiedensten Perioden angehörigen Ereignisse und Zustände
nach gewissen generischen Merkmalen in denen sie übereinstimmen
in Parallele zu bringen, bildet nicht zum geringsten Theil den In-
Vergleichende Methode. 71
halt dessen was man Philosophie der Geschichte zu nennen
pflegt. Aber auch in der Geschichte selbst spielt sie überall da
eine Rolle, wo zu der historischen Untersuchung der Versuch einer
Beurtheilung und einer Kritik des allgemeingültigen Werthes der
Vorgänge oder Zustände hinzutritt. Damit geht freilich stets zu-
gleich in gewissem Masse die historische in eine philosophische
Betrachtungsweise über, die je nach den besonderen Bedingungen
wieder einen ethischen, politischen oder sociologischen Charakter
besitzen kann. Einer derartigen immanenten Geschichtsphilosophie
hat sich in der That die Geschichtsforschung selten nur ganz zu
entaussern gesucht. Sie findet hauptsächlich ihren Ausdruck in
historischen Analogien, bei denen mit Absicht nicht geschicht-
lich zusammenhängende, sondern entlegene, ausserhalb jeder directen
Causalbeziehung stehende Vorgänge auf Grund gemeinsamer Merk-
male verglichen werden.
Sobald wir nun die in solcher Weise zur unmittelbaren Unter-
suchung der Geistesobjecte hinzutretende allgemeinere philosophische
Betrachtung als einen berechtigten Bestandtheil der Untersuchung
selbst gelten lassen, so lösen demnach bei den Objecten der Geistes-
wissenschaften die individuelle und die generische Methode durch-
gängig in nicht anderer Weise einander ab, als bei den Objecten der
naturwissenschaftlichen Untersuchung. Zugleich ist es aber unver-
kennbar, dass die Ergänzung der individuellen durch die generische
Vergleichung um so mehr zu einem integrirenden Bestandtheil der
einzelnen Geisteswissenschaft selbst wird, je vollkommener sich diese
methodisch entwickelt hat, und je mehr sie sich auf geistige Ent-
wicklungen von allgeraeingültiger Bedeutimg bezieht, Bedingungen
die in der Regel mit einander verbunden sind, da die allgemein-
gültige Beschaffenheit der Objecte ihre Untersuchung wesentlich zu
erleichtem pflegt. In dem Umkreis der historischen Disciplinen
steht daher in dieser Beziehung die eigentliche Geschichte erheblich
zurück gegenüber solchen Gebieten, welche die geschichtliche Ent-
wicklung gewisser Arten geistiger Schöpfungen zu ihrem Inhalte
haben. Insbesondere dürfte die Sprachgeschichte unter allen
historischen Wissenschaften die sein, in der die vergleichende Methode
nach ihren beiden Richtungen bis jetzt am vollkommensten aus-
gebildet ist. Das einfachste Object, das diese historische Disciplin
der geschichtlichen Betrachtung unterwerfen kann, ist das einzelne
Wort. Dasselbe ist in doppelter Beziehung, nach seiner Lautform
und nach seinem Bedeutungsinhalt, zunächst Gegenstand einer
74 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
Geschichte. Da die politischen Wandelungen diejenigen sind, die
sich am meisten in einer Reihe auf einander folgender Ereignisse
darstellen, in diesem Sinne also dem Begriff der „Geschichte* als
dem Inbegriff des Geschehenen zunächst zu entsprechen scheinen,
während sich Culturzustände stetiger und allmählicher zu ändern
pflegen, so entspringen aus der mehr oder minder starken Betonung
dieser verschiedenen Factoren der Geschichte Unterschiede, die auch
in methodischer Beziehung von entscheidenden Folgen sind. (Vgl.
unten Cap. III.) Fasst man die Geschichte in der Weise, wie es
die Geschichtswissenschaft fast durchgängig bis zur neuesten Zeit
gethan hat, als den Verlauf des Geschehenden und insbesondere als
die Aufeinanderfolge der politischen Ereignisse auf, so kann
innerhalb einer solchen Geschichtsdarstellung selbst von einer An-
wendung der vergleichenden Methode überhaupt nicht die Rede sein,
sondern diese gehört einzig und allein der philologischen Vorunter-
suchung an: sie besteht hier in einer individuellen Vergleichung
der Zeugnisse, durch welche die Data der Geschichte beglaubigt und
in ihrer thatsächlichen Beschaffenheit festgestellt werden können.
Sobald diese Feststellung erfolgt ist, hat dann die methodische
Arbeit des Historikers ihr Ende erreicht. Demgemäss wird von
diesem Standpunkte aus in der Regel auch als die Aufgabe der
Geschichte die bezeichnet, die Ereignisse so zu schildern,
wie sie wirklich gewesen sind. Eine solche Schilderung ver-
langt vor allen Dingen scharfe Beobachtung und Kritik der Quellen
und XJeberlieferungen ; sie kann auch, wo sie, über die Schilderung
hinausgehend, die Handlungen der geschichtlichen Personen nach
ihren Motiven und Zwecken berücksichtigt, der psychologischen Ana-
lyse und Abstraction nicht entrathen; aber eine Anwendung der ver-
gleichenden Methode kommt hier nirgends in Frage. Darin liegt
der Grund, dass sich die namentlich in technischer Beziehung hoch
ausgebildete Methodik dieser Geschichtswissenschaft eigentlich durch-
weg nur auf die Mittel und Wege bezieht, die zur Feststellung
der Thatsachen dienen, niemals aber auf die Art und Weise, wie
diese Thatsachen selbst methodisch zu verarbeiten sind. Diese Be-
schränkung ist, sobald man jenen Standpunkt der einseitig politischen
Historie einnimmt, nicht etwa eine bloss zeitweise vorhandene und
vorübergehende, sondern eine sachlich nothwendige, da die ver-
gleichende Verfolgung der Objecte in der Aufeinanderfolge ihrer
Zustände, die das Wesen der individuellen Vergleichung und damit
die Grundlage der vergleichenden Methode in allen geschichtlichen
Vergleichende Methode. 75
Wissenschaften ist, schlechterdings unanwendbar bleibt, so lange als
Gegenstande der Beobachtung nur Ereignisse gegeben sind, deren
jedes einen neuen Erkenntnissinhalt darstellt. Damit eine wirkliche
Vergleichung des Zusammengehörigen stattfinden könne, müssen
Objecte existiren, die mindestens nach ihren Haupteigenschaften
stetigen, nicht sprungweisen Veränderungen unterworfen sind.
Solche Objecte können nun auf historischem Gebiet nur Zustände
sein. Nur insoweit die eigentliche Geschichte Zustandsgeschichte ist
und als solche in einer Verbindung der einzelnen Gebiete der Wirth-
ächafts-, Verfassungs-, Rechts- und Culturgeschichte ihre Wurzeln
hat, kann sie daher auch über die zur Feststellung der Thatsachen
dienende Voruntersuchung hinaus, in der Verwerthung der histori-
schen Thatsachen selbst, an den Vortheilen der vergleichenden Methode
theilnehmen.
Dass eine Berücksichtigung der stetig veränderlichen Zustände
der Völker in der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft im all-
gemeinen noch nicht die Berücksichtigung gefunden hat, die eine
umfassende Anwendung der vergleichenden Methode auf die Geschichte
ermöglicht, dies beruht nun aber zweifellos zu einem nicht geringen
Theile auf einem Umstände, der die natürliche Tendenz zu einer
Individualisirung der historischen Ereignisse von frühe an begünstigt
hat. Geschichtliche Ereignisse, die plötzlich weitgreifende Verände-
rungen herbeiführen, insbesondere Handlungen einzelner Personen
die an solchen Ereignissen betheiligt sind, prägen sich ohne weiteres
der Beobachtung auf und werden daher durch directe und indirecte
Zeugnisse von mancherlei Art dem Gedächtniss überliefert. Aber
stetig veränderliche Zustände verrathen sich zumeist nur in einzelnen
Zügen, die mehr durch Zufall als durch Absicht auf die Nachwelt
kommen, oder die doch immer erst aus einer grossen Summe indivi-
dueller Leistungen erschlossen werden können. Mehr oder minder
handelt es sich also stets, wo Zustände in Betracht kommen, nicht
um individuelle und darum leicht fixirbare Thatsachen, sondern
um Massenerscheinungen, die selbst erst aus der Vergleichung
und Verbindung einer grossen Anzahl individueller Thatsachen ge-
wonnen werden können. Frühere Zeitalter haben diesen Massen-
erscheinungen keine oder doch keine von geschichtlichem Interesse
geleitete Aufmerksamkeit zugewandt. In vielen ihrer Theile ist also
die Geschichte schon um deswillen eine blosse Kunde der Ereignisse,
weil sie eine solche der Zustände nur in verhältnissmässig geringem
Grade sein kann.
7(5 Allgemeine Grundlagen der GeisieswisBenschaften.
Um so mehr fordert dagegen der Theil der Geschichte, der
vou uns an und für sich als ein relativ beharrendes Sein, als
ein Zustand oder als eine Verkettung mannigfacher Zustände, hin-
genommen wird, die Gegenwart, eine methodische Behandlung,
der andere historische Perioden immer nur in lückenhafter Weise
zugänglich sind. Auf die Zustände der Gegenwart angewandt bildet
nun die vergleichende Methode das Haupthülfsmittel der Gesell-
schaftswissenschaften. Allerdings greifen diese nicht nur
deshalb in die Geschichte ein, weil die Gegenwart aus der Vergangen-
heit hervorgegangen, in diesem Sinne also eben nur der uns nächst-
liegende Theil der Geschichte ist, sondern auch insofern, als die
socialen Zustände irgend welcher Gemeinschafben und Epochen der
Vergangenheit an und für sich ebenso gut wie die der Gegenwart
Objecte der socialen Wissenschaft sein können. Aber gerade der
Umstand, dass wir erst in der Gegenwart oder mindestens in einer
der Gegenwart nalierliegenden Zeit über die zur Untersuchung der
Massenerscheinungen erforderlichen Daten in zureichender Weise
verfügen, hat hier die Ausbildung der Methoden zumeist auf die
Gegenwart eingeschränkt. Sie haben hier in den Verfahrungsweisen
der Statistik ihre scharfe und den verschiedensten Arten der
Massenerscheinungen zweckmässig angepasste Ausbildung empfangen.
In der That ist die statistische Methode nichts anderes als
eine exacte Anwendung der vergleichenden Methode überhaupt. Das
statistische Verfahren erstreckt sich daher an und für sich über alle
Gebiete, die einer solchen Anwendung zugänglich sind, und sie ist
also keineswegs den socialen Wissenschaften allein eigenthümlich.
Aber die Statistik steht allerdings unter zwei Bedingungen, die es
bewirken, dass die Socialwissenschaft, speciell die Bevölkerungslehre,
das vornehmste Gebiet ihrer Anwendungen ist. Erstens kann die
statistische Methode nur da rein in die Erscheinung treten, wo nicht
zugleich das experimentelle Verfahren Anwendung fin det, dessen
Methoden von vornherein so eingerichtet sind, dass sie ohne Samm-
lung zahlreicher Beobachtungen, schon auf wenige entscheidende Be-
obachtungen hin zu Ergebnissen führen. Darum sind es nur wenige
Naturwissenschaften, in denen, wie in der Astronomie und Meteoro-
logie, statistische Methoden oder doch solche, die ihnen verwandt
sind, benützt werden. Neben ihnen bildet die Psychophysik ein
Gebiet, in welchem die Unsicherheit der Einzelurtheile und zugleich
das selbständige psychologische Interesse, das die Schwankungen der
Urtheile unter verschiedenen Bedingungen beanspruchen, zu einer
Vergleichende Methode. 77
innigen Verbindung statistisclier Abzahlungen mit dem experimentellen
Verfahren geführt hat. Zweitens setzt die statistische Methode
überall eine grosse Anzahl von Beobachtungen gleicher Art voraus :
dies aber ist ein Fall, der in den historischen Wissenschaften im
engeren Sinne niemals und selbst in den Naturwissenschaften nicht
immer vorkommt, dagegen bei den Massenerscheinungen der Gesell-
schaft durchgangig verwirklicht ist, so dass im letzteren Fall nie
der Gegenstand an sich, sondern nur unter Umständen die unvoll-
standige Sammlung der Beobachtungen der zureichenden Anwendung
der Methode ein Ziel setzt, üeberall da, wo es sich um die Analyse
individueller Erscheinungen handelt, kann nun die statistische
Methode höchstens in indirecter Weise, dadurch dass sie auf eine
Häufung der Beobachtungen eines und desselben individuellen
Phänomens angewandt wird, eine gewisse Hülfe leisten. In letzterem
Sinne bedient sich namentlich die naturwissenschaftliche Beobachtung
derselben : dabei ist es aber eigentlich weniger die statistische Methode
selbst, die hier benützt wird, als das ihr an und fQr sich mit jeder
Sanmdung einer grossen Anzahl von Beobachtungen gemeinsame
Abzählungsverfahren nebst den an das letztere sich anschliessenden
Erwägungen über die aus solchen Abzahlungen zu gewinnenden
Durchschnittswerthe. Im ersten Fall, dem der eigentlichen Statistik,
handelt es sich also um wirkliche Massenerscheinungen, im
zweii.en, der namentlich in der Astronomie sowie bei physikalischen
Beobachtungen und in der Psychophysik eine wichtige Rolle spielt,
um oft wiederholte Beobachtungen individueller Erschei-
nungen. Dieser Umstand rechtfertigt es zugleich, zwischen der
Statistik als Methode und der Statistik als Wissenschafts-
gebiet zu imterscheiden. Die Statistik als Methode ist schlechter-
dings nur eine Anwendung der vergleichenden Methode auf eine
sehr grosse Anzahl von Fällen gleicher und verschiedener Art, mag
nun die Vielheit der Fälle durch eine Wiederholung der Beobach-
tung individueller Erscheinimgen oder aber dadurch entstehen, dass
sich die Erscheinungen selbst in sehr grosser Zahl wiederholen.
Dieser letztere Fall, der dem engeren Begriff der Statistik ent-
spricht, hat aber, wenn man von den Anwendungen auf die so-
genannten Glücks- und Zufallsspiele absieht, die wissenschaftlich nur
als praktische Beispiele der Wahrscheinlichkeitstheorie ein gewisses
hiteresse besitzen, sein einziges umfassenderes Anwendungsgebiet in
der Bevölkerungslehre, so dass der Begriff der Statistik als Wissen-
schaft mit dieser sich deckt. Auch sind es immerhin eigenthüm-
78 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
liehe Modifieationen, welche die Statistik als Methode auf diesem
wichtigsten Gebiet ihrer Anwendungen erfahrt, da die Beobachtung
von Massenerscheinungen und die Sammlung massenhafter Beobach-
tungen zwar ähnliche, aber doch keineswegs identische geistige
Functionen sind.
Gerade auf diesem engeren Gebiet der Statistik bieten sich
nämlich für die Ausbildung der vergleichenden Methode besonders
günstige Bedingungen dar, weil hier — vorausgesetzt dass nicht
äussere Hindernisse der Verwerthung der Hülfsmittel und der Samm-
lung der Beobachtungen im Wege stehen — die Herrschaft des
Beobachters über sein Material in doppelter Beziehung ein unum-
schränktes ist : erstens ist er meist in der Lage, seine Beobachtungen
über beliebig viele Fälle auszudehnen, und zweitens vermag er
wieder beliebig die Classen allgemeiner Erscheinungen in besondere,
ihm zweckmässig erscheinende Gruppen zu gliedern. Er ist also
unbeschränkt sowohl in der Art der Generalisirung wie in der
Individualisirung der Beobachtungen, eine Willkür die auf
diesem an und für sich jedem experimentellen Eingriff entzogenen
Gebiete gleichwohl dem Verfahren etwas von der willkürlichen
Variirung der Umstände beim Experimente gibt. Nur ist es so zu
sagen ein umgekehrtes Experimental verfahren, das hier vorkommt:
während bei dem eigentlichen Experiment die Bedingungen variirt
werden, die an der Entstehung der Erscheinungen betheiligt sind,
werden bei dem statistischen Verfahren die Erscheinungen selbst
willkürlich in variabler Weise mit einander verknüpft, um hieraus
auf die bei ihnen wirksamen Bedingungen Rückschlüsse machen zu
können. Durch die kunstgerechte Handhabung dieses Verfahrens
ist die vergleichende Methode der Statistik zu einem hohen Mass
der Vollendung gebracht worden, durch das sie sich in mancher
Beziehung ebenbürtig der Ausbildung der Beobachtungsmethoden in
der Astronomie oder der experimentellen Verfahrungsweisen in Physik
und Chemie an die Seite stellen kann. Da diese methodische Aus-
bildung aber durchaus an die Bedingungen gebunden ist, die speciell
den Massenerscheinungen der menschlichen Gesellschaft eigenthüm-
lich sind, so widerlegt dieser Umstand zugleich die noch immer
verbreitete Meinung, als sei die Ausbildung einer exacten Methodik
von den specifischen Eigenthümlichkeiten und der verhältnissmässig
einfachen Beschaffenheit der Naturerscheinungen abhängig. Daneben
zeigt freilich auch dieses Beispiel, dass jedem Wissenschaftsgebiet
wieder besondere Gestaltungen exacter Methodik eigen sind, und
Vergleichende Methode. 79
dass in Folge dessen namentlich in gewissen Geisteswissenschaften
solche Methoden zu einer hohen Entwicklung gelangen, die in den
gewöhnlich so genannten exacten Wissenschaften, in Mathematik
und Naturforschung, relativ unausgebaut bleiben.
Natürlich kann sich nun auf statistischem Gebiet in der regel-
mässigen Aufeinanderfolge der Bestandtheile der Vergleichungs-
methode nichts wesentliches ändern. Auch hier muss zunächst die
individuelle Vergleichung der generischen vorausgehen. Durch jene
werden die einzelnen Fälle gewonnen, die einer einzelnen Gruppe
statistischer Data als Unterlage dienen. Die generische Methode
setzt dann verschiedene auf solche Weise gesonderte Gruppen zu
einander in Beziehung, indem sie die den räumlichen, zeitlichen und
qualitativen ünterschiedsmerkmalen parallel gehenden numerischen
Werthe feststellt. Dabei ist aber das vergleichende Verfahren des
Statistikers durch zwei Eigenschaften, die nahe mit einander zu-
sammenhängen, vor sonstigen Anwendungen der gleichen Methode
ausgezeichnet. Erstens muss die auf Grund der individuellen Ver-
gleichung vorgenommene Gruppirung der Thatsachen auf präcis be-
stimmte Merkmale gegründet sein; und zweitens müssen die so
bevorzugten Merkmale leicht abzählbare Gruppen ergeben, deren
Wahl zugleich dem Zweck der Untersuchung angepasst ist. Durch
diese Eigenschaften der exacten Unterscheidung und der numerischen
Ausmessung der Gruppen ermöglicht die vergleichende Methode in
diesem Fall eine ähnliche Anwendung der für Messungen und
Zählungen gültigen Principien der Wahrscheinlichkeitstheorie, wie
sie filr oft wiederholte Beobachtungen bestimmter Phänomene statt-
findet, wobei nur der für den letzteren Fall aufgestellte Begriff des
Beobachtungsfehlers aus seiner subjectiven in eine objective Bedeu-
tung übergeht, indem er hier den Spielraum bezeichnet, innerhalb
dessen die imtersuchten Massenerscheinungen schwanken können.
Eine weitere wichtige Eigenschaft der statistischen Anwendung
der vergleichenden Methode besteht sodann darin, dass sich dieselbe
nicht auf eine einmalige Aufeinanderfolge der beiden Vergleichungs-
modi, der individuellen und generischen, beschränkt, sondern dass
sich das nämliche Verfahren fast beliebig an einem und demselben
Gegenstände wiederholen kann. Auf diese Weise bedient sich die
Statistik namentlich bei allen irgendwie verwickeiteren Problemen
gewissermassen einer potenzirten Anwendung der Vergleichungs-
methode. So kann z. B. die Moralstatistik zunächst durch eine erste
Aufeinanderfolge individueller und generischer Vergleichungen die
80 Allgemeine Grundlagen der GeisteswiBsenschaften.
in einer gegebenen Zeit und in einem bestimmten Territorium be-
gangenen Verbrechen, geordnet nach gewissen ünterschiedsmerkmalen,
mit ihren numerischen Werthen feststellen. Hierauf kann sie jede
Gruppe durch eine Umkehrung des Verfahrens specialisiren, indem
sie innerhalb derselben eine neue individuelle Vergleichung, eventuell
in mehrfacher Wiederholung dieses umgekehrten Verfahrens, vor-
nimmt, also z. B. die untersuchte Bevölkerungsgruppe nach Geschlecht,
Lebensalter, Berufsstand oder auch nach den einzelnen Theilen der
in Frage stehenden Zeit- und Raumgebiete gliedert, um schliesslich
die so gewonnenen Gruppen abermals nach ihren numerischen Werthen
zu vergleichen.
Besonders bemerkenswerth unter diesen Wiederholungen des
Verfahrens sind diejenigen, bei denen das Ergebniss einer ersten
generischen Vergleichung von neuem als ein individueller Fall be-
handelt wird, der mit andern in ähnlicher Weise künstlich geschaffenen
Individualbegriffen abermals einer Vergleichung unterworfen wird.
Es entstehen so im eigentlichen Sinne generische Vergleichungen
zweiter Ordnung. Ueberall wo die Statistik Durchschnitts-
werthe für gewisse Eigenschaften oder für Complexe von Eigen-
schaften feststellt, da repräsentiren solche Werthe in der That neue,
künstlich gebildete Individualbegriffe. Bestimmt man z. B. durch
eine Folge individueller und generischer Vergleichungen die durch-
schnittlichen Eigenschaften verschiedener Gruppen von Menschen, so
lässt sich die Summe dieser Durchschnittswerthe als ein neuer In-
divi^ualbegriff behandeln, der bei der Vergleichung mit weiteren
in ähnlicher Weise entstandenen Begriffen ganz und gar die Rolle
des ursprünglich gegebenen Individuums spielt, also auch wie dieses
abermals einer individuellen und generischen Vergleichung unter-
worfen werden kann, üebrigens darf man niemals ausser Acht
lassen, dass solche künstlich gebildete Individualbegriffe, eine so
wichtige Hülfe sie auch der vergleichenden Methode leisten, doch
niemals, wie die wirklichen Individuen, die Bedeutung realer Objecte
gewinnen können. Quetelet, der sich in seinen statistischen
Arbeiten um die in Rede stehende Behandlungsweise der Durch-
schnittswerthe manche Verdienste erworben hat, ist dieser Ver-
wechselung in der That nicht ganz entgangen*). Der „mitÜere
Mensch" erscheint bei ihm nicht bloss als ein Hülfsbegriff der ver-
*) Quetelet, Sur rhomme et le developpement de ses facultas ou essai
de physique sociale. 2 vol. 1885. 2. Aufl. u. d. T. Phjaique sociale. 1869.
InterpretAtion. 81
gleichenden Methode, was er in Wahrheit ist, sondern zugleich als
ein reales Wesen, dessen Eigenschaften für sich allein schon zu*
reichen sollen, über die physischen, intellectuellen und moralischen
Eigenschaften der Gesanuntheit, von der jener Durchschnitts werth
gewonnen ist, ein entscheidendes ürtheil abzugeben. Eine solche
Bedeutung hat aber der ,ymittlere Mensch '^ deshalb nicht, weil in
allen jenen Richtungen die Bedeutung einzelner wirklicher Indi-
Tidnen ftir die Gesammtheit ein Factor ist, der sich nicht in Rech-
Qung ziehen lässt, und der in solchen allgemeinen Durchschnitts-
werthen völlig verschwindet. Es wiederholt sich also hier in anderer
Form der nämliche Fehler, wie er auf naturwissenschaftlichem Ge*
biete begangen wurde, wenn man Classen- und Gattungsbegriffe
fär eine höhere Ordnung realer Individuen ansah. (Vgl. Bd. II,
Abschn. 1, S. 57 f.) In der That sind die statistischen Durch*
schnittswerthe in dieser Verwendung genau so wie die Allgemein-
begrifPe der Naturgeschichte lediglich Hülfsbegriffe der vergleichen-
den Methode, nur darin zu ihrem Vortheil von diesen verschieden,
dass sie noch in viel höherem Masse Producte willkürlicher Bildung
sind und daher fast fortwährend nach den augenblicklichen Zwecken
der Untersuchung abgeändert werden können. Freilich bringt es
aber dieser methodische Vorzug auch mit sich, dass ihre reale Be-
deutung nooh hinter der der naturwissenschaftlichen Gattungsbegriffe
zurücksteht.
d. Die Interpretation.
Als die Hauptaufgabe der Wissenschaften, deren Objecto geistige
Vorgänge und geistige Erzeugnisse sind, betrachten wir es, dass sie
ans diese Objecte verstehen lehren. Die Methode aber, die ein
solches Verständniss vermitteln soll, nennen wir die Interpretation.
Nach ihrer ursprünglichen Bedeutung setzt diese, ebenso wie die
synonymen Begriffe der Hermeneia und der Exegese, zwei erkennende
Subjecte voraus, den Interpreten, der das Verständniss des Objectes
besitzt, und den Hörer oder Leser, dem es durch jenen vermittelt
wird. Indem die Aufgaben der Interpretation sich erweiterten und
vertieften, musste aber mehr und mehr der Schwerpunkt dieser ver-
mittelnden Thätigkeit in die vorbereitenden Erkenntnissfunctionen
des Interpreten verlegt werden, durch die dieser zunächst für sich
selbst das Verständniss dessen gewinnt, was er dann nachträglich
auch Andere verstehen lehrt. So hat der Begriff der Interpretation
Wundt. Logik. II, 2. 9. Anfl. 6
82 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
in seiner meihodologisclien Anwendung schliesslich die prakidsch-
pädagogische Bedeutung, die ihm ursprQnglich anhaftete, abgestreift
und sich auf die in ihm zuerst nur als Yorbeding^gen des eigent*
liehen Geschäftes der Auslegung vorausgesetzten intellectuellen Func-
tionen des Auslegenden selber zurückgezogen. Als Interpretation
bezeichnen wir daher allgemein den Inbegriff der Methoden, die
uns ein Yerständniss geistiger Vorgänge und geistiger
Schöpfungen yerschaffen sollen.
Aus dieser Begrifisbestimmung erhellt ohne weiteres, dass die
Interpretation nicht nur eine allen Oeisteswissenschaften unentbehr-
liche, sondern dass sie auch diejenige Methode ist, der dieselben
wesentlich ihre Eigenthümlichkeiten und ihre charakteristischen
logischen Unterschiede von der andern grossen Abtheilung realer
empirischer Wisseuschaftien, von den Naturwissenschaften, verdanken.
Die Natur wollen wir erklären: dieses Ziel ist erreicht, wenn die
uns in der sinnlichen Wahrnehmung gegebenen Erscheinungen in
einen widerspruchslosen Zusammenhang gebracht sind, der mit den
allgemeinen Voraussetzungen und Forderungen unseres logischen Er-
kennens in üebereinstimmung steht. Die Erscheinungen aber, die
uns entweder unmittelbar als geistige Vorgänge gegeben sind, oder
die wir nach bestimmten objectiven Merkmalen auf solche beziehen^
wollen wir nicht bloss erklären sondern auch verstehen. Erklären
wollen wir sie nicht weniger wie die Nahirerscheinungen. Wir wollen
begreifen, wie sie unter einander und mit den Naturerscheinungen
zusammenhängen. Dass dieser Zusammenhang ein widerspruchsloser
und den allgemeinen Gesetzen unseres Erkennens conform sei, for-
dern wir hier nicht weniger wie dort. Aber auch verstehen woUen
wir die geistigen Objecte: das heisst wir wollen wissen, wie sie
wirklich sind oder gewesen sind. Eines solchen Verstehen»
können wir uns — mindestens so lange wir auf dem Boden der
empirischen Forschung bleiben — innerhalb der Naturwissenschaft
nicht anheischig machen. Warum die Natur im Ganzen und darum
schliesslich auch im Einzelnen so geworden ist wie sie ist, das ent-
zieht sich unserem Verständnisse. Wir nehmen die Naturobjecte als
thatsächlich gegebene hin, die wir in ihrer Verbindung mit der
gesammten Erscheinungswelt zu begreifen suchen, die wir aber, eben
darum weil die Natur eine uns gegebene Erscheinungswelt ist und
bleibt, niemals in ihrem eigenen Sein verstehen können. Sollte uns
das letztere möglich werden, so müssten wir uns in die Naturobjecte
selbst hineinversetzen können, ähnlich wie wir uns in einen andern
Interpretation. 83
Menschen, den wir nach bestimmten psychischen Motiven handehi
sehen, versetzt denken, um die Vorstellungen und Triebe, die ihn
bewegen, innerlich nachzuerleben. Es ist daher klar, dass dieser
fundamentale Unterschied der Zwecke der Naturerklärung von denen
der Interpretation in dem unterschied der unmittelbaren Auffassung
onserer psychischen Erlebnisse von der Naturerfahrung seinen Grund
hat (vgl. Bd. I, S. 422 f.). Da aber dieser Unterschied ein erst
durch die wissenschaftliche Reflexion entstandener, nicht in der ur-
sprOngKchen Erfahrung selbst schon vorhandener ist, so wird es zu-
gleich begreiflich, dass das unausgesetzte Bestreben der Philosophie,
die sich an jene Schranken der empirischen Reflexion nicht gebunden
glaubt, darauf gerichtet ist, jenes Verstehen, das die Interpretation
f&r die Geisteswissenschaften zu leisten sucht, und auf das die
empirische Naturwissenschaft verzichten muss, einer philosophi-
schen Naturbetrachtung vorzubehalten'"). Wie man nun auch über
solche Versuche denken, ob man sie für berechtigte halten mag
oder nicht, jedenfalls gehören sie der Metaphysik an, und aus der
Naturwissenschaft sind sie unwiderruflich verschwunden, seit diese
auf das System der teleologischen Naturerklärung verzichtet hat,
welches eben seiner Grundtendenz nach nichts anderes war als der
Versuch, ein subjectives inneres Verstehen an die Stelle der objectiven
äusseren Erklärung zu setzen.
Ist die Interpretation geistiger Objecte von der Erklärung der
Naturerscheinungen ihrem letzten Zwecke nach verschieden, weiter
gehend, deshalb aber auch in mancher Beziehung unsicherer als
diese, die in ihrer Beschränkimg leichter nach exacten Normen zu
rer&hren vermag, so ist von vornherein zu erwarten, dass die Inter-
pretation in ihren wesentlichen logischen Eigenthttmlichkeiten nicht
ohne weiteres den Methoden, die der Naturerklärung dienen, gleichen
werde. Da sie jedoch immerhin selbst dem Begriff der „ Erklärung*'
sich unterordnet und nichts anderes als eine durch die besonderen
Eigenschaften der geistigen Objecte bedingte Erklärungsweise sein
will, so kann es gleichwohl an bestimmten logischen Beziehungen
zwischen beiden Gebieten nicht fehlen. So zweifellos es darum ein
Fehlgriff war, wenn Mi 11 den Grundsatz aufstellte, dass die in den
Naturwissenschaften bewährten Methoden in der form, in der sie
sich in diesen erprobt haben, auch auf die Objecte der Geistes-
*) Vgl. hierzu die charakteristischen Bemerkimgen Lotzes am Schlüsse
seiner Logik, S. 597.
84 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
Wissenschaften anwendbar sein müssten*), so ist es gewiss nicht minder
fehlerhaft, wenn man ohne weiteres von der Voraussetzung ausgeht,
dass beide Gebiete überhaupt eine total yerschiedene logische Grund-
lage besässen*'"). Vollends wenn eine solche Structurverschiedenheit
nicht etwa aus einer wirklich ausgeführten Analyse der Methoden,
sondern bloss aus der freilich nicht zu bestreitenden geschichtlichen
Thatsache gefolgert wird, dass die Naturwissenschaften viel später
als die Geisteswissenschaften ihrer heutigen Ausbildung nahe gekommen
sind. Denn die logische Vollkommenheit einer Wissenschaft hängt
nur wenig von den relativen Fortschritten, die sie seit ihrem Anfang
gemacht hat, sondern sie hängt vor allem von der Natur ihres
Gegenstandes und von der absoluten Ausbildung ab, die sie in Folge
dessen erreichen konnte. Die Erkenntnissfunctionen aber sind schliess-
lich immer und überall die nämlichen: die des Historikers oder
Aesthetikers können nicht wohl andere sein als die des Physikers
oder Physiologen ; und mag auch die abweichende Natur der Gegen-
stände wichtige Modificationen der Methoden mit sich führen, ge-
wisse mit den allgemeingültigen Normen des Denkens zusanmien-
hängende Verfahrungsweisen werden doch überall wiederkehren. In
der That wäre es seltsam, wenn die Art, wie der Sprach- oder Ge-
schichtsforscher aus einzelnen Thatsachen allgemeine Sätze ableitet
oder aus vorausgesetzten Principien einzelne Erfahrungen erklart,
mit der Art und Weise, wie der Naturforscher auf seinen Gebieten
das nämliche leistet, gar nichts zu thun hätte. Freilich dürfen diese
Beziehungen nicht dazu verführen, die Methoden der Wissenschaften
nach einer von aussen an sie herangebrachten Schablone zu con-
struiren, sondern hier wie überall können jene nur ihren wirklichen
Anwendungen entnommen werden. Nur unter dieser Voraussetzung
kann zugleich die Feststellung der üebereinstimmimgen und Unter-
schiede in den logischen Grundlagen der verschiedenen Gebiete zur
Beleuchtung der einzelnen Erkenntnisswege selbst dienen***).
*) Mill, Logik II, Buch VI, Cap. L Uebers. von Schiel, S. 435 f.
**) W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Bd. I. Leipzig
1883, 8. 136.
***) Dass übrigens die allgemeinen Regeln, welche die Baconische In-
ductionslehre aufstellt, auch mit den wirklichen Methoden der Naturforschung
nur zu einem geringen Theil übereinstimmen, hat uns der vorige Abschnitt
(vgl. Bd. II, Abth. 1, S. 363, Anm.) gelehrt. Die Fortbildung der Baconischen
Inductionslehre hat daher bei der üebertragung der gleichen Regeln auf die
Geisteswissenschaften nur den ursprünglich begangenen Fehler wiederholt, dass
sie ihre Vorschriften nicht aus den wirklich von der Wissenschaft geübten
Interpretation. 85
Auf eigenthümliche Unterschiede in den Erkenntnissmethoden
der Geistes- von denen der Naturwissenschaften weist nun schon
der äussere Umstand hin, dass den beiden Methoden der Induction
und Deduction, in denen die Naturerklärung wesentlich verschiedene
Gestaltungen annimmt, bei der Untersuchung der geistigen Objecte
die Interpretation als ein einheitliches Verfahren gegenübertritt.
Aber dieser äussere Unterschied wird sofort wieder dadurch ermässigt,
dass sich ja auch innerhalb der Naturforschung jene beiden Methoden
keineswegs so von einander absondern, wie man, verführt durch die
Uebertragung der inductiven und deductiven Schlussformen auf die
ihnen entsprechenden zusammengesetzten Methoden , anzunehmen
pflegte. Wie vielmehr in die naturwissenschaftliche Induction de-
ductive Bestandtheile eingehen, die sich theils an einzelne bereits
feststehende Sätze theils an provisorische Hypothesen anschliessen,
so verläuft anderseits keine zusammengesetzte Deduction ohne irgend
welche inductive Hülfsoperationen (vgl. Bd. U, 1, Abschn. I, S. 25 ff.
und Abschn. III, S. 359 ff.). Nur die vorherrschende Rich-
tung des Verfahrens ist es daher, die als Kriterium für die Unter-
scheidung beider Methoden festgehalten werden konnte. Nun ist
von vornherein zu erwarten, dass auf die Objecte der Geistes-
wissenschaften vermöge der Verschiedenheit ihrer Bedingungen nicht
genau die nämlichen Operationen unseres Erkennens anwendbar sein
werden, zu denen die Gegenstände der Natur herausfordern. Aber
diese Operationen müssen doch schliesslich in ihren Grundbestand-
theilen die nämlichen bleiben, und insbesondere werden jene beiden
Hauptrichtungen des Denkens, die in der naturwissenscbaftlichen
Induction und Deduction ihren Ausdruck finden, auch hier nicht
fehlen. Wie sollten wir auch anders zu einer Erkenntniss einzelner
Thatsachen kommen als dadurch, dass wir entweder aus ihrer Ver-
bindung allgemeine Erfahrungssätze ableiten, oder dass wir auf Grund
ii^end welcher als feststehend geltender Principien das Einzelne zu
begreifen suchen? Wenn wir die Methoden des Verstehens und der
Erklärung im Gebiet der Geisteswissenschaften unterschiedslos als
Interpretation bezeichnen , so werden wir also in dieser als ihre
Bestandtheile wiederum inductive und deductive Operationen zu
erwarten haben. Die Einheit der Bezeichnung legt nur die Ver-
muthung nahe, dass hier in jeder einzelnen Erklärung beide innig
Methoden abstrahirte, sondern philosophischen Voraussetzungen entnahm, wobei
eich dann freilich das entworfene Scliema von dem wirklichen Verfahren immer
weiter entfernen musste.
gt) Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
an einander gebunden sind, so dass sich das Bedürfhiss sie nach
bestimmten vorherrschenden Richtungen des Denkens zu trennen
nicht Alhlbar gemacht hat. In der That bestätigt sich diese Voraus-
sage bei jedem Schritt, den wir in der Analyse irgend welcher
Leistungen höherer oder niederer Interpretationskunst thun mögen.
Die Aufgabe einer Logik der Interpretation ist es daher, zunächst
die eigenthümliche Verwebung elementarer logischer Operationen
nachzuweisen, die diese Methode einschliesst, und sodann die speci-
fischen Voraussetzungen zu ermitteln, unter denen in diesem Fall
die Anwendung der Denkgesetze steht, und von denen schon wegen
der abweichenden Anforderungen, die der Zweck des Verstehens
zu dem allgemeineren der Erklärung hinzubringt, erwartet werden
darf, dass sie wesentlich andere sein werden als auf dem Gebiet des
Naturerkennens.
Mit Rücksicht auf die äusseren unterschiede der Aufgaben der
Interpretation sondern sich mm zwei Anwendungsweisen derselben,
die wir als die niedere und die höhere Form bezeichnen können.
Die erstere entspricht dem vul^lren Begriff der Interpretation. An
die ursprünglichste Wortbedeutung sich anlehnend, umfasst sie alle
die Verfahrungsweisen , durch die ein geistiges Object mittelst der
Subsumtion unter bereits vorhandene Begriffe verständlich gemacht
wird. Die Uebersetzung aus einer fremden in die eigene Sprache
kann, als der einfachste Fall, zugleich als typisch für diese niedere
Form der Interpretation überhaupt gelten. Bei der uebersetzung
wird jedes Wort und jede Wortverknüpfung einem geläufigen Begriff
und einer bekannten Begriffsverknüpfung subsumirt: das unverstan-
dene wird also verständlich, indem man es auf ein Bekanntes, auf
die geläufigen Formen der eigenen Sprache, zurückführt. Dieses
Verfahren wird im Princip nicht geändert, wenn an die SteUe der
Subsumtion unter bekannte sprachliche Formen eine solche unter
bekannte mythologische, geschichtliche oder technische Gesichts-
punkte tritt, oder wenn sich diese verschiedenen Hülfsmittel zu jenem
Zweck, das unbekannte durch seine Zurückfbhrung auf Bekanntes
verständlich zu machen, verbinden. Die verschiedenen Arten der
Interpretation, die die philologische Hermeneutik zu unterscheiden
pflegt, wie die grammatische, historische, individuelle und generische,
oder die grammatische, historische und technische u. a.*"), haben im
*) Vgl. Boeckh, Encjklopädie und Methodologie der philologischen
Wissenschaften. Herausgegeben von E. Bratuschek. Leipzig 1877, S. 79 fF.
InterpretatioQ. g7
allgemeinen vorzugsweise diese niedere Form im Auge, ohne jedoch
die Ghrenzen, die ihr zu ziehen sind, deutlich zu bezeichnen oder
strenge einzuhalten'*'). Dies wird daraus verständlich, dass die philo*
logische Hermeneutik die praktisch*pädagogische Nebenbedeutung,
die ihr ursprünglich eigen war, immer noch bis zu einem gewissen
Grade beibehalten hat. Für die logischen Eigenschafben der Methode
sind jene philologischen Unterscheidungen ohne Bedeutung, da sie
sich nur auf die Hülfsmittel der Erklärung beziehen, nicht auf das
logische Verfahren, das diese einschlägt. Jene Hülfsmittel sind mm
in hohem Gh*ade von den betrachteten Objecten abhängig, auf die
logischen Operationen der Untersuchung haben sie keinen oder doch
nur einen indirecten Einfluss. Ueberhaupt aber hat jene niedere
Interpretation, auf Grund deren zumeist diese Unterscheidungen ge*
macht wurden, an sich zwar ein hohes technisches, aber nur ein
geringes logisches Interesse. Wo sie in ihrer unvermischten Gestalt
vorkommt, wie bei der Uebersetzung , da besteht sie eben nur in
einer Reihe einzelner Subsumtionen. Sobald dagegen der den ge-
läufigen Begriffen subsumirte Inhalt selbst zur Vervollständigung der
bereits vorhandenen Erkenntnisse beiträgt, so ist damit der Anlass
zur Verbindung dieser niederen mit der höheren Interpretation ge-
geben, die wir auch die productive nennen können, weil sie allen
Erweiterungen unserer Erfahrung auf diesen Gebieten zu Grunde
liegt. Sie ist es in der That allein, die mit den allgemeinen Methoden
der naturwissenschaftlichen Forschung auf gleiche Linie gestellt
werden kann, während die bloss subsumirende Interpretation etwa
Fr. Bla8 8, Hermeneutik und Kritik in Iwan Müllers Handbuch der klassischen
Alterihamswissenschaft, Bd. I. NOrdlingen 1866, S. 150 ff.
*) Auf dieser Verwischung der Grenzen beruht es, wenn B o e c k h (a. a. 0.
S. 85 f.) von einem Cirkel spricht, den die Aufgaben der Hermeneutik zuweilen
enthalten sollen, weil die Interpretation einerseits den Gegenstand erkennen
wolle, anderseits aber ihn als bekannt voraussetze. Der Girkel verschwindet,
wenn man erwägt, dass die Subsumtion des unbekannten unter Bekanntes und
die Erkenntniss neuer Thatsachen zwei verschiedene Aufgaben sind, die sich
aber freilich in der Regel bei einem und demselben Problem mannigfach durch-
kreuzen. Blass (a. a. 0. S. 158) bezeichnet nach dem Vorgang von Ast als
höhere Interpretation diejenige, die das geistige, also bei einem philosophi-
schen Werk das philosophische, bei einem medicinischen das medicinische, bei
«inem Werk der Kunst das Ästhetische Verst&ndniss vermittle, und schliesst
diese Aufgabe von der eigentlichen Interpretation aus. Da sich dieser Begriff
der höheren Interpretation auf den speciellen Inhalt, nicht auf den methodi-
schen Zweck derselben bezieht, so fällt er logisch mit dem oben festgehaltenen
nicht zusammen.
gS Allgemeine Orondlfigen der Creisteswissenschaften.
nur in den Yerfahrungsweisen der Exemplification bekannter Natur-
gesetze und «der Classification von Naturobjecten nach allgemeinen
Merkmalen gewisse Analogien hat. Immerhin zeichnen sich jene
InteipretatioDsformen vor diesen naturwissenschaftlichen Methoden
dadurch aus, dass sie in ihrer Ausübung auf das engste mit der
höheren Interpretation verflochten sind, so dass sie mit dieser bei
allen irgendwie verwickelten Problemen in ein einziges Verfahren
verschmelzen.
Diese höhere Interpretation geht nun darauf aus, neue geistige
Inhalte, die den vorhandenen Begriffen nicht einfach subsumirt werden
können, zum Verständnisse zu bringen. Die so vermittelte Erwei-
terung der Erkenntniss kann wiederum nur durch die Verbindung
mit gegebenen geistigen Inhalten zu Stande kommen, und diese Ver-
bindung muss, da sie sich nur auf Obereinstimmende Eigenschaften
gründen kann, welche die der einfachen Subsumtion im Wege
stehenden unterschiede begleiten, nothwendig auf Beziehungen
der Analogie beruhen. Fassen wir also die sich überall durch-
dringenden und ergänzenden Aufgaben beider Formen zusammen, so
lässt sich die Aufgabe der Interpretation überhaupt dahin bestimmen^
dass sie geistige Vorgänge und geistige Schöpfungen theils durch
die Subsumtion unter bereits vorhandene Erkenntnisse theils durch
die Ausdehnung dieser letzteren auf neue, ihnen analoge Inhalte zu
erklären und zu verstehen sucht. Der Subsumtions- und der
Analogieschluss sind so die beiden logischen Fundamentalopera-
tionen, auf die das Interpretationsverfahreu hinweist.
Doch diese beiden Schlussformen bezeichnen durchaus nur die
allgemeinen Richtungen, in denen sich die Interpretation be-
wegt. Innerhalb dieses allgemeinen Verlaufs setzt sie sich aber aus
einer Anzahl einzelner Methoden zusammen, die, im allgemeinen mit
einer bestimmten Regelmässigkeit auf einander folgend, ihre wesent-
lichen unterschiede von andern wissenschaftlichen Methoden aus-
machen. Einerseits nämlich muss das objective Material zu den
Subsumtions- und Analogieschlüssen auf methodischem Wege ge-
wonnen werden: es ist neben der unmittelbaren Beobachtung der
Thatsachen oder der Zeugnisse, auf denen die Annahme gewisser
Thatsachen beruht, vor allem die vergleichende Methode, die
diesem vorbereitenden Zweck dient. Anderseits gründen sich jene
Schlüsse auf gewisse allgemeine und für das Gesammtgebiet der
Geisteswissenschaften allgemeingültige Voraussetzungen. Solche Vor-
aussetzungen, die, wie früher (S. 56) bemerkt, vor den analogen all-
Interpretation. 89
gemeinen Prämissen der naturwissenschaftlichen Untersuchung den
grossen Vorzug haben, dass sie auf die unmittelbare Erfahrung zurück-
gehen, können aber nur der psychologischen Analyse und Ab-
straction entnommen werden. Auf diese Weise sind es die beiden
zuvor erörterten einfacheren Methoden, die als wesentliche Bestand-
theile in die Interpretation eingehen, und die durch die Art, wie sie
angewandt und mit einander verknüpft werden, den einzelnen Ge-
staltungen des Verfahrens ihr Gepräge verleihen. Zunächst haben
nämlich jene beiden Bestandtheile in dem Ganzen der Methode eine
je nach dem Object und dem Zweck der Untersuchung verschiedene
Bedeutung. Zu ihrer vollen Entfaltung gelangen sie beide begreif-
licher Weise nur bei der höheren oder productiven Interpretation,
auf die wir uns daher auch im folgenden vorzugsweise beziehen
werden. Die niedere Methode bedient sich abgekürzter Formen: die
Subsumtion unter feststehende Begriffe gestattet es hier, das ver-
gleichende Verfahren auf eine kleine Anzahl von Gliedern, eventuell
auf bloss zwei, nämlich auf den zu erklärenden und auf den erklären-
den Factor, einzuschränken, und der psychologische Theil des Ver-
fahrens pflegt zumeist in dem blossen Hinweis auf den zu dem Ver-
ständnisse unerlässlichen psychischen Thatbestand zu bestehen. Auch
die Interpretation eines bis dahin noch nicht verstandenen geistigen
Objectes, die zu der Subsumtion in mehr oder minder weitgehendem
Masse die Analogie hinzunimmt, zeigt jedoch noch wesentliche Unter-
schiede und Eigenthümlichkeiten nach den besonderen Bedingungen
der Probleme. Je singulärer die Thatsachen sind, um deren Ver-
ständniss es sich handelt, d. h. je weniger sie zu andern ihnen ähn-
lichen in Beziehung gesetzt werden können, um so geringer ist natür-
lich der Spielraum, der der vergleichenden Methode zur Verfügung
steht. Das absolut Alleinstehende würde ja überhaupt nicht mehr
verglichen werden können. Nun gibt es solch absolute Isolirung im
geistigen Leben so wenig wie in der Natur. Anlässe zu irgend
welchen Vergleichungen sind daher immer vorhanden. Aber es be-
gründet doch einen wesentlichen Unterschied, ob diese auf ein bloss
individuelles Vergleichen beschränkt bleibt, wie bei den Thatsachen
der eigentlichen Geschichte, oder ob sie von da aus zu einer generi-
schen Vergleichung nach natürlichen oder Entwicklungsmerkmalen
übergehen kann, wie in der Geschichte der meisten geistigen
Schöpfungen, oder endlich ob sie diese Vergleichung auf eine bis zu
einem gewissen Grade willkürliche Gombination der Einzelthatsachen
zu grQnden vermag, wie bei den von der Statistik behandelten
90 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
Massenerscheinungen. Je mehr sich die Untersuchung auf eine
individueUe Vergleichung von Ereignissen beschränken muss, um so
spärlicher wird naturgemäss der Antheil, den die yei^^leichende
Methode überhaupt an der Interpretation nimmt. Diese geht daher
in solchen Ffillen fast ganz in der psychologischen Analyse und Ab-
straction auf. Will z. B. der Biograph eine Handlung seines Helden
erklären, so wird er nach kurzer Vergleichung der vorausgehenden
und der begleitenden Umstände sofort mit Hälfe der psychologischen
Analyse des Falls sein Ziel zu erreichen suchen. Dies ändert sich
sobald die generische Vergleichung hinzukommt. Es pflegen sich
dann von vornherein die der vergleichenden Methode zufallenden
Bestandtheile der Interpretation ungleich schärfer von der nachher
kommenden psychologischen Untersuchung zu sondern, so dass das
ganze Verfahren deutlich in zwei Hälften zerfallt. So kann der
Sprachforscher die Bedeutungsentwicklung einer Glasse von Wörtern
mittelst auf einander folgender individueller und generischer Ver*
gleichungen zunächst ganz unbekümmert um die psychologische
Natur der Processe studiren. Soll aber die Interpretation voll-
ständig sein, so wird allerdings eine hinzukommende psychologische
Analvse nicht fehlen können. Denn es ist klar, dass diese überall
erst das wirkliche Verstehen der Erscheinungen vermittelt, während
die Vergleichung immer nur zur Verallgemeinerung gewisser That-
Sachen und zur Subsumtion neuer Erscheinungen unter die so ge-
wonnenen empirischen Regeln führen kann. In diesem wechselnden
Verhältniss der beiden Bestandtheile liegt es zugleich begründet,
dass in den Gebieten, in denen die vergleichende Methode in weiterem
Umfange angewandt werden kann, nicht selten der psychologische,
das eigentliche Verständniss erst vermittelnde Theil des Verfahrens
zurückstehen muss, so dass die höhere productive Interpretation in
solchen Fällen eine unvollständige bleibt, indem sie sich auf die Fest-
stellung bestimmter empirischer Regeln beschränkt, ohne deren eigent-
liche Ursachen anzugeben. Die niedere Interpretation pflegt dann
aber um so exacter ausführbar zu sein, da das Einzelne ohne
weiteres einer solchen Regel subsumirt werden kann. In einem
Gebiet, auf dem die vergleichende Methode überhaupt von geringer
Bedeutung und namentlich nur in der Form einer die äusseren Ver-
änderungen verfolgenden individuellen Vergleichung möglich ist, würde
dagegen von dem Versuch einer Interpretation nicht mehr die Rede
sein können, wenn man auf die psychologische Analyse der Fälle
verzichtete. Auf diese Weise erklärt sich die auf den ersten Blick
Interpretation. 91
paradoxe Erscheinung, dass Versuche endgültiger psychologischer
Erklärung im allgemeinen in den Geisteswissenschaften eine um so
grössere Rolle spielen, je unexacter diese sind, d. h. je weniger sie
eine umfangreichere Anwendung der vergleichenden Methode zulassen,
und dass man sich um so häufiger mit vorläufigen empirischen
Regeln begnügt und auf endgültige psychologische Deutungen ver-
zichtet, je mehr schon in der Aufstellung solcher Regeln eine werth-
ToUe wissenschaftliche Leistung besteht. Immerhin macht sich dann
das Bedürfniss nach einer ergänzenden psychologischen Analyse
meistens sehr lebhaft geltend, und dasselbe pflegt in mancherlei vor-
läufigen Hypothesen seinen Ausdruck zu finden.
Von den beiden hier hervorgehobenen Bestandtheilen der Inter-
pretation zieht nun der erste, die vergleichende Methode, durch-
weg die Erscheinungen, nur in den ihnen zukommenden objectiven
Eigenschaften in Betracht. Die psychologische Analyse und Ab-
straction dagegen versucht es, die so gewonnenen objectiven Ergeb-
nisse zu deuten, theils indem sie dieselben unmittelbar den aus
eigenen inneren Erlebnissen zu Gebote stehenden psychologischen
Erfahrungen subsumirt, theils und vornehmlich aber indem sie, durch
das oben angedeutete productive Analogieverfahren geleitet, diese
Erfahrungen selbst durch die Ausdehnung auf die neuen objectiven
Thatsachen erweitert. Sind es demnach zunächst objective Merk-
male, auf die sich die beiden Bestandtheile der Interpretation stützen,
so wird nun aber das Yerhältniss dieser Merkmale zu einander da-
durch näher bestinmit, dass der Vergleichung die vorbereitende, der
psychologischen Analyse die endgültig erklärende Function zukommt,
und dass die Art, wie die erstere in den beiden Formen der indi-
viduellen und generischen Vergleichung angewandt wird, mit den
Objecten der Untersuchung wechselt. Dem entsprechend sind die
Ton der Vergleichung benützten Merkmale durchgängig concrete:
sie gehören unmittelbar den untersuchten Erscheinungen selbst an.
Die psychologische Analyse hingegen verwerthet erst die Merkmale,
die ihr die vergleichende Methode zur Verfügung stellt: sie sind
demnach allgemeine und mehr oder minder abstracte, wenn die
Analyse auf Grund einer generischen Vergleichung vorgenommen
wird; sie bleiben concrete, wenn sich dieselbe sofort oder nur auf
Grund einer individuellen Vergleichung der Erscheinungen bemächtigt.
Das erste findet sich, wie aus den früheren Erörterungen hervorgeht,
in den eben nach dieser die Analyse vorbereitenden Vergleichung so
genannten vergleichenden, das zweite in den im engeren Sinne
92 Allgemeine Grandlagen der Geisteswissenschaften.
historischen Geisteswissenschaften. So knüpft die vergleichende
Sprachwissenschaft ihre psychologische Analyse der allgemeinen Ur-
sachen der Veränderungen der Laute und der zusammengesetzten
sprachlichen Formen an allgemeine Regeln, die durch ein umfassen-
des vergleichendes Verfahren gewonnen sind. Das Substrat der den
Gründen der Erscheinungen nachgehenden psychologischen Analyse
besteht also hier in allgemeinen, nicht in individuellen Merkmalen ,
und auf die letzteren geht die Analyse immer nur dann zurück,
wenn sie die allgemeine Erscheinung durch den einzehien Fall be-
leuchten, oder auch wohl wenn sie den besonderen Bedingungen
nachspüren will, die eine scheinbare Ausnahme von einer allgemeinereu
Gesetzmässigkeit bedingt haben. Die politische Geschichte dagegen
stützt sich bei der Analyse der ursächlichen Verkettung der Begeben-
heiten unmittelbar auf die individuellen Thatsachen mit den ihnen
zukommenden concreten Merkmalen. Dass jedoch zwischen diesen
beiden äussersten Fällen die mannigfachsten Uebergänge vorkommen,
versteht sich nach dem früher über die Unterschiede der Standpunkte
und Methoden in den einzelnen Gebieten Bemerkten von selbst. So
nähert sich die specifisch sprachgeschichtliche Behandlung durch
ihre grössere Beachtung der individuellen Fälle und ihrer Bedingungen
der gewöhnlichen individuellen Methode des Historikers, ebenso wie
auf der andern Seite der Versuch, mittelst der Vergleichung der
Zustände eine Unterlage für die Analyse der geschichtlichen Ver-
änderungen zu gewinnen, die Methode der Geschichtsforschung theil-
weise in die der vergleichenden Wissenschafben übergehen lässt.
Abgesehen von diesen durch die Standpunkte der Auffassung und
die abweichenden Behandlungsweisen entstehenden Unterschieden
folgt übrigens die Interpretation in allen Gebieten den nämlichen
hier in ihren allgemeinen Grundzügen entwickelten Normen. Selbst
die Psychologie macht hiervon keine Ausnahme. Denn die
wissenschaftliche Psychologie kann der objectiven Hülfsmittel nicht
entbehren. Zwar tritt in ihr gerade in dem Theil, der für die all-
gemeine Erkenntniss der psychischen Vorgänge und damit für die
in allen Geisteswissenschaften geübte psychologische Analyse grund-
legend ist, in der Individualpsychologie, die vergleichende
gegenüber der experimentellen Methode zurück. Aber sowohl
die praktischen Anwendungen der Individualpsychologie auf das Stu-
dium der typischen Unterschiede der geistigen Charaktere wie die
Gebiete der Völker- und der Thierpsychologie machen in so vor-
waltender Weise von der vergleichenden Methode Gebrauch, dass
Interpretation. 93
man sie nicht mit unrecht als die beiden Theile einer „vergleichen-
den Psychologie* betrachtet hat. Unter ihnen ist die Völkerpsycho-
logie insbesondere ein Gebiet, das den einzelnen vergleichenden
Geisteswissenschaften parallel geht und den Interpretationen derselben
als Grundlage dienen sollte. Uebrigens darf man wohl darin, dass
die Individualpsychologie an Stelle der vergleichenden die experi-
mentelle Methode zur Verfügung hat, um mit ihrer Hülfe die in
ihrer unmittelbar gegebenen Form überaus unsicheren und schwanken-
den Thatsachen der inneren Wahrnehmung einer ezacten Analyse zu
unterwerfen, eine für die Methodik der gesammten Geisteswissen-
schaften überaus glückliche und zugleich in dem allgemeinen logi-
schen Zusammenhang der Methoden tief begründete Fügung erblicken.
Dass die Thatsachen unserer psychischen Erfahrung in ihrer inneren
Structur aufgehellt und einem causalen Verständnisse lediglich da-
durch zugänglich gemacht werden sollten, dass man viele Thatsachen
vergleicht und zu Allgemeinbegriffen verbindet, dies ist absolut aus-
geschlossen. Denn die vergleichende Methode kann mit Erfolg ihre
Hebel überall erst ansetzen, sobald die einzelnen Thatsachen selbst
genau beobachtet und analysirt sind. Eine generische Vergleichung,
die, ehe diese Vorbedingung erfüllt ist, eine logische Ordnung vor-
nehmen will, kann nicht mehr leisten, als dass sie aus ungenau be-
kannten Thatsachen unbestimmte Allgemeinbegriffe von zweifelhaftem
Werth bildet, ein Schicksal dem die Vermögenspsychologie früherer
Tage verfallen ist. Soll jene psychologische Analyse, die in allen
speciellen Geisteswissenschaften zu einem mehr oder minder aus-
gebildeten vergleichenden Verfahren hinzutreten muss, um eine Inter-
pretation zu Stande zu bringen, wirklich einen wissenschaftlichen
Charakter haben, so muss daher das Gebiet, das die Ghnindlagen
dieser Analyse hergibt, die Psychologie, über andere Hülfsmittel
verftLgen, die den Ergebnissen einen exacten Charakter geben. Das
einzige Hülfsmittel, das aber, wenn die vergleichende Methode aus-
geschlossen ist, möglich bleibt, ist das experimentelle Verfahren, das
in der That, wie wir sehen werden, in der Individualpsychologie die
spedfische Bedeutung annimmt, dass es nicht, wie in der Regel in
der Naturwissenschaft, die durch exacte Beobachtung bekannten
Erscheinungen willkürlich varürten Bedingungen unterwirft, um sie
dadurch in ihren causalen Beziehungen zu erkennen, sondern dass
es überhaupt erst die Bedingungen herstellt, unt^r denen eine exacte
Beobachtung möglich ist. (Vergl. unten Gap. II, 2.)
Diese Zwischenstellung, welche die Psychologie durch ihre Me-
94 Allgemeine Grundlagen der G^eisteswiasenschaften.
thodik zwischen den Natur* und Oeisteswissenschaften einnimmt, ist
wesentlich darin begründet, dass die psychischen Vorgänge nicht
bloss unter einander, sondern dass sie immer zugleich mit physi-
schen Vorgängen zusammenhängen, da sie allgemein betrachtet nur
einen Theil der Lebensvorgänge ausmachen, die in allen ihren Be-
standtheilen eng mit einander verknüpft sind. Indem nun die physi-
schen Organe als Naturobjecte unserer willkürlichen experimentellen
Beeinflussung zugänglich sind, kann eben damit indirect auch das
psychische Leben der nämlichen willkürlichen Variation seiner Er-
scheinungen unterworfen werden. Dieses Verhältniss hat weittragende
Bückwirkungen auf alle geistigen Objecte und damit auf die Geistes-
wissenschaften selbst zur Folge, Bückwirkimgen die auch in den
allgemeinen Methoden derselben zu Tage treten. Wie das Object
der Individualpsychologie , das individuelle Bewusstsein , ein überall
nur durch Abstraction zu gewinnender Bestandtheü eines die physi-
schen wie die psychischen Lebensvorgänge umfassenden Processes
ist, so gibt es auch in der Oesammtheit der geistigen Vorgänge und
Schöpfungen, in deren Interpretation die einzelnen Geisteswissen-
schaften ihre Aufgabe sehen, nichts was dieser physischen Bedingt-
heit völlig entzogen wäre. Das Princip der Naturbedingtheit bildet
darum eine in verschiedenen Gebieten in verschiedenem Masse zur
Anwendung kommende, nirgends aber ganz zu entbehrende heu-
ristische Maxime der Forschung. (Vergl. oben S. 41.) In me-
thodischer Beziehung begründet aber dieser Umstand von vornherein
Schwierigkeiten und Verwicklungen, die den Naturwissenschaften
wenigstens in ihren fundamentalen Gebieten, in der Mechanik, Physik
und Chemie, unbekannt sind. Hier überall ist es möglich, nur auf
die Naturseite der Erscheinungen zu reflectiren, selbst da wo diese
nebenbei noch als Objecte der Geisteswissenschaften in Betracht
kommen sollten. Auch die Physiologie macht daher von diesem
Princip in weitem Umfange Gebrauch, obgleich freilich hier bei den
letzten Problemen die nämliche durch keine Abstraction zu beseiti-
gende Wechselbeziehung sich aufdrängt. Was innerhalb der Natur-
wissenschaften nur als ein letzter Grenzfall sich ereignet, das ist
nun in den Geisteswissenschaften von der Psychologie an eine nirgends
aufzuhebende Bedingung der Untersuchung. Es liegt aber in der
Natur der Verfahrungsweisen, dass sich dieses Verhältniss innerhalb
der vergleichenden Methode weniger geltend macht als in der end-
gültig die Interpretation abschliessenden psychologischen Analyse.
Indem sich jene auf die Sammlung, Sichtung und nöthigenfalls auf
Interpretation. 95
die Yerallgemeinerung concreter Erscheinungen beschränkt, kann sie
TÖllig dahingestellt lassen, ob überhaupt oder in welchem Umfang
die festgestellten Thatsachen oder die durch generische Yergleichung
gew^onnenen Regeln eine physische oder eine psychische Bedeutung
besitzen. So fallen z. B. die Laut-, Bedeutungs* und Formverglei-
chungen der Sprachwissenschaft in das Gebiet der Geisteswissen-
schaften, weil die Sprache an sich eine geistige Schöpfung ist. Aber
da sie, wie alle geistigen Schöpfungen, zugleich physisch bedingt
ist, so sind für die auf Grund der Yergleichung gewonnenen Laut-
regeln ebensowohl physiologische wie psychologische wie gemischte,
aus physischen und psychischen Elementen zusammengesetzte Deu-
tungen möglich. Je mehr es sich um eng begrenzte Erscheinungen
handelt, um so leichter wird es im allgemeinen geschehen können,
dass sich auch die Erklärung auf einen dieser Bestandtheile be-
schrankt. Bei irgend umfassenderen Problemen ist aber von vom-
herein zu erwarten, dass die zusammengesetzte psychophysische
Natur der sprachlichen Functionen filr die einzelne Erscheinung eine
Deutung fordert, die diese verschiedenen Factoren einschliesst. So
weist z. B. der Lautwandel zunächst auf bestimmte physische Yer-
änderungen der Sprachorgane hin; aber unter den Bedingungen für
diese Yeränderungen werden Yerhältnisse der allgemeinen geistigen
Cultur oder Einflüsse anderer Sprachgemeinschaften, die wir im all-
gemeinen als psychische Factoren aufzufassen haben, nicht auszu-
schliessen sein. Das nämliche gilt fttr alle geistigen Objecte. All-
gemein besteht daher der psychologische Theil der Interpretation in
einer Analyse dieser sämmtUchen physischen wie psychischen Fac-
toren mit Rücksicht auf ihre Beziehungen und Wechselwirkungen.
Der Ausdruck «psychologische Analyse" fttr dieses Geschäft bedeutet
also nicht eine rein psychische Analyse — eine solche gibt es
nirgends, und vor allem ist sie auch innerhalb der Psychologie selbst
unmd^ch — sondern er will eben diejenige Analyse bezeichnen,
deren sich die Psychologie auf Gnmd der ihr gegebenen Erfahrungs-
inhalte bedient, imd die sich von ihr aus auf alle geistigen That-
sachen erstreckt, an denen ähnliche Erfahrungsinhalte betheiligt sind.
Wenn wir diese Analyse eine psychologische und nicht etwa eine
psychophysische nennen, so hat dies seinen guten Grund darin, dass
die endgültigen Bedingungen der Erscheinungen dem Gebiet des
Psychischen zufallen, weil bei der Entstehung geistiger Yorgänge und
geistiger Enseugnisse zwar überall physische und psychophysische
Factoren als nähere oder entferntere Bedingungen wirksam sind, die
96 Allgemeine Grundlagen der Geist eswiseenschafben.
für die Eigenthümlichkeit der Erscheinungen entscheidenden Ur-
sachen aber stets in psychischen Motiven gesucht werden müssen.
Da nun die psychologische Analyse auf alle diese Elemente Bück-
sicht nimmt, so muss sie sich zugleich mit einer isolirenden
Abstraction verbinden, welche die Thatsachen in ihre einzelnen Be-
standtheile zerlegt, um die Wirkungen eines jeden zunächst fOr sich
allein, dann die einzelnen unter ihnen in ihrer Verbindung und
endlich die Wirkungen aller in ihrer Beziehung zu dem Ganzen der
Erscheinungen abzuwägen. Bei jeder dieser durch die Abstraction
ermöglichten Einzeluntersuchungen pflegt aber das Verfahren dem
allgemeinen Gang psychologischer Analyse darin zu entsprechen, dass
von physischen Bedingungen ausgegangen, hierauf deren Einfluss
auf die entscheidenden psychologischen Ursachen erforscht und
schliesslich von diesen wieder auf die physischen Wirkungen zurück-
gegangen wird, die ihnen nach allgemeinen psychophysischen Er-
fahrungen zukommen müssen. So wird eine auf die Thatsachen der
Lautgeschichte angewandte psychologische Analyse zunächst auf
Grund der Ergebnisse der vergleichenden Methode die physischen
Veränderungen in den Bewegungen und Bewegungstendenzen der
Sprachorgane ermitteln, dann über die nächsten psychophysischen
und die weiter zurückliegenden psychologischen Ursachen dieser all-
mählich eingetretenen Veränderungen Rechenschaft geben und end-
lich die Rückwirkungen betrachten, die diese psychischen Vorgänge
auf den physischen Mechanismus der Sprache ausüben mussten. Oder
die psychologische Analyse der Verfassungsänderungen einer staat-
lichen Gemeinschaft wird die in diesem Fall durch individuelle Ver-
gleichung gewonnenen geschichtlichen Thatsachen in erster Linie in
Beziehung setzen zu den äusseren Schicksalen, den wirthschaftlichen
und sonstigen Cidturveränderungen. Diese sämmtlichen Factoren,
die wieder theils physischer theils psychophysischer Art sind, wird
sie dann in ihrer Bedeutung als psychische Motive für die handeln-
den Individuen und Gemeinschaften betrachten, und sie wird end-
lich weiterhin die aus den so motivirten Handlungen residtirenden
physischen und psychophysischen Erfolge abzuleiten und mit den in
der Erfahrung gegebenen Thatsachen zu vergleichen suchen. So
besteht die psychologische Analyse aus einem hin- und hergeben-
den, von der Breite der psychophysischen Erfahrung zu den psychi-
schen Ursachen aufsteigenden und hierauf von diesen wieder zu
jener Erfahrung zurückkehrenden Verfahren, das an den verschiedenen
durch Abstraction gewonnenen Bestandtheilen einer Erscheinungs-
Interpretation. 97
gruppe zuerst isolirt, dann so viel als möglich an mehreren vereint
vorgenommen wird. Dabei ist aber der absteigende Theil dieses
Verfahrens seinem Inhalte nach keineswegs eine blosse Umkehrung
der vorangehenden aufsteigenden Motivirung, sondern es pflegt sich
dabei ziemlich regelmässig der Umfang der in Betracht gezogenen
empirischen Thatsachen zu erweitem. So kann etwa ein aus einer
bestimmten sprachlichen Veränderung gewonnenes psychologisches
Motiv zugleich den Erklämngsgrund für andere ursprünglich gar
nicht in Betracht gezogene Thatsachen der Sprachgeschichte ergeben.
Oder ein aus bestimmten geschichtlichen Vorgängen abgeleitetes
politisches Motiv kann auf weitere Folgen schliessen lassen, die,
fiäUs sie empirisch nachweisbar sind, auf diese Weise ebenfalls
psychologisch erklärt werden. Eine solche Erweiterung des Gebiets
ist z. B. in der Sprachgeschichte bei der psychologischen Analyse
der so genannten „Analogiebildungen** eingetreten. Ursprünglich
verstand man unter ihnen lautliche Veränderungen der Wörter, die
den allgemeinen Gesetzen des Lautwandels nicht entsprechen, in
diesem Sinne also scheinbare Ausnahmen von den Lautgesetzen sind.
Indem man nun die Einwirkung der Lautformen anderer, in ihrer
formalen Bedeutung verwandter Wörter, nach deren Analogie sich
die den regelmässigen Lautgesetzen widerstreitenden Formen gebildet
hatten, als die Ursachen dieser Erscheinung erkannte, musste als
das psychologische Motiv derselben der Vorgang der Association
angesehen werden: die „Analogie** wurde demnach als eine specielle
Form der Lautassociation interpretirf*"). Einmal eingeführt
musste aber unvermeidlich das Princip der Association seine Herr-
schaft weiter imd weiter ausdehnen. In diesem Sinne wurde es denn
auch bald als Erklärungsprincip für alle die Thatsachen der Formen-
lehre und Syntax angesehen, bei denen überhaupt eine Wirkung
gewisser Wortgruppen auf andere muthmasslich angenommen werden
konn*^. Das von einer beschränkten Erscheinungsgruppe aus auf-
gefundene psychologische Motiv erwies sich also für ein unendlich
weiteres Gebiet fruchtbar, als aus dem es ursprünglich gewonnen
worden war. So hatte man femer zunächst aus den bei Katur-
Tölkem gesammelten Beobachtungen und aus den im Aberglauben
der Culturvölker erhalten gebliebenen mythischen Rudimenten er-
schlossen, dass der „Animismus**, der Glaube an Dämonen und
*) Osthoff und Brngmann, Morpholog^che Untersuchungen auf dem
Gebiete der indogermanischen Sprachen. I. Leipzig 1878. Vorwort
**) H. Paul, Prindpien der Sprachgeschichte, 2. Aufl. Halle 1866, S. 85 ff.
Wuttdi, Logik, n, S. 2. Aufl. 7
98 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenscliaften.
Geister mit den an ihn gebundenen Cultfonnen, die primitive Gestalt
der Religion sei, und hierauf die Annahme gegründet, dass das ur-
sprüngliche religiöse Motiv nicht in der Verehrung übermenschlicher
Mächte, sondern in dem Wunsch bestehe, die Geister der Ver-
storbenen als Schutzm'achte zu gewinnen oder durch ihnen wohl-
gefällige Leistungen zu versöhnen*). Dieses animistische Motiv
primitiver Religionen hat man dann aber mit Erfolg angewandt, um
zahlreiche Bestandtheile in den Religionen der orientalischen Cultur-
völker sowie der Griechen, Römer und Germanen zu erklären**).
Der in diesen Interpretationen zu Tage tretende Grundsatz,
dass die letzten Gründe der Erklärung psychische Vorgänge und
Motive sind, gilt nun ausnahmslos : er kann daher als das Kriterium
betrachtet werden, an dem sich das Erklärungsgebiet der Geistes-
wissenschaften von andern Gebieten, insbesondere von dem der
Naturforschung unterscheiden lässt. Mögen nach den besonderen
Bedingungen der Untersuchung die Interpretationsmethoden noch so
sehr abweichen, dadurch dass einzelne Bestandtheile des allgemeinen
Verfahrens ganz gegen andere zurücktreten, oder dass, wie bei der
Herbeiziehung statistischer Vergleichungen, Hülfsmethoden erfordert
werden : daran ist stets das Object als ein den Geisteswissenschaften
zugehöriges zu erkennen, dass die Untersuchung schliesslich auf
eine psychologische Analyse hinausführt, mittelst deren allein der
Endzweck jeder Interpretation, ein mit der Erklärung sich ver-
bindendes Verstehen des Gegenstandes, erreicht werden kann. Dass
es innerhalb der physiologischen Forschung Probleme gibt, zu deren
Erklärung psychische Factoren nicht entbehrt werden können, und
dass sich auf der andern Seite die Psychologie vielfach physiologischer
Erklärungsgründe bedienen muss, ändert an jenem Verhältnisse
nichts. Findet doch in allem dem nur die Thatsache ihren Aus-
druck, dass die geistigen Objecte immer zugleich Objecte der physi-
schen Welt sind, weshalb zwar die Grenze, wo die biologische in
die psychologische Untersuchung überführt eine fliessende ist, nicht
aber die allgemeine Forderung umgestossen wird, dass die Objecte
der Geisteswissenschaften auf psychische Motive als ihre entschei-
denden Bedingungen zurückführen. Ebenso wenig darf es an der
Allgemeingültigkeit dieses Merkmals irre machen, wenn es vorkommt,
*) E. Tylor, Anfänge der Cultur, I, S. 70, 411 ff.
**) Ed. Meyer, Geschichte des Alterthums, I, S. 4, 71 ff. Mogk, Mytho-
logie, in Pauls Grundriss der germanischen Philologie, I, S. 998. £. Roh de.
Psyche, Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. 1894, S. 5 ff.
Interpretation. 99
dass sich die endgültige psychologische Motivirung hinter objectiven
Erwägungen verbirgt. Die nähere Analyse wird hier, sofern es sich
wirklich um Objecte der Geisteswissenschaften handelt, stets nach-
weisen können, dass die psychologischen Motive stillschweigend hin-
zngedacht worden sind. Dieser Fall pflegt namentlich dann einzu-
treten, wenn die psychischen Ursachen der Erscheinungen verhältniss-
mässig einfacher Art, die objectiven Bedingungen aber, unter denen
die Ursachen wirksam werden, von mehr oder minder verwickelter
Beschaffenheit sind. Am häufigsten wohl ereignet sich dies bei
nationalökononüschen Untersuchungen, wo die mannigfachen objec-
tiven Factoren der Ereignisse eine umfassende Anwendung der ver-
^eichenden Methode, meist unter Zuhülfenahme der Statistik, und
eine darauf folgende Abschätzung der Bedeutung und des relativen
Einflusses jedes einzelnen jener Factoren erfordern. Hier spielt in
den zuletzt erwähnten Theil der Untersuchung stets die Erwägung
psychischer Motive hinein, ja eigentlich ist diese ganze Betrachtung
nur eine psychologische Analyse, bei der die psychischen Elemente
als selbstverständlich verschwiegen werden. So würden z, B. die
Preisschwankungen eines Handelsartikels nicht möglich sein, wenn
das menschliche Bedürfniss diesen nicht zu einem Object des Be-
gehrens machte, und wenn nicht das Streben nach Besitz und nach
äusseren Vortheilen als letzte Motive die Production und den Ver-
trieb der Waaren regelten. Aber diese Motive werden bei allen
volkswirthschaftlichen Untersuchungen in so gleichförmiger Weise
als naturgemäss wirkende Kräfte vorausgesetzt, und es wird dabei
von andern psychischen Ursachen, die sich etwa imregelmässiger
und darum unberechenbar in den Process einmischen, so allgemein
und, falls eine Ausgleichung dieser Bedingungen anzunehmen ist, mit
Recht abstrahirt, dass die psychologischen Grundlagen einer solchen
wirthschaftlichen Analyse unerwähnt bleiben können.
Vergegenwärtigen wir uns hiemach den allgemeinen logischen
Charakter der Interpretation, so ist es augenfällig, dass diese Methode
in ihren ersten grundlegenden Bestandtheilen eine besondere, der
Eigenthümlichkeit der Probleme und Hülfsmittel der Geisteswissen-
schaften entsprechende Modification der inductiven Methode ist,
and dass sie in ihrem abschliessenden Theil, in der auf Grund der
psychologischen Analyse unternommenen Erklärung der Thatsachen,
ein deductives Verfahren darstellt. Gegenüber der naturwissen-
schaftlichen Untersuchung liegt also der eigenthümliche logische
100 Allgemeine Qrundlagen der Geisteswusenschaften.
Charakter der Interpretation darin, dass sie Induction und De-
duction zugleich ist. Dabei entspricht aber die Aufeinanderfolge
dieser beiden Theilmethoden in dem Ganzen der Interpretation der
Stellung, die dieselben auch in der Naturforschung zu einander ein-
nehmen: die inductiven Bestandtheile haben die Materialien herbei-
zuschaffen, auf Grund deren die Deduction, die in diesem Fall stets,
wenn sie einen endgültigen Werth haben soll, eine psychologische
sein muss, ausgeführt werden kann. Insofern nun auch in die natur-
wissenschaftliche Induction Hülfsdeductionen eingehen, nähert sich
demnach die Interpretation mehr der inductiven als der deductiven
Methode der Naturforschung, und es beruht durchaus auf einer
Yerkennung des wahren Charakters dieser Methoden, wenn man die
Geisteswissenschaften im Gegensatze zur Naturforschimg deduetiv
genannt hat*). Eher ist das Gegentheil richtig. Während die
exacteren Naturwissenschaften fast vollständig deduetiv geworden
sind und dies werden konnten, weil sie im letzten Grunde auf
Hypothesen über das Substrat der Erscheinungen und auf hypo-
thetisch-axiomatische Principien aufgebaut sind, werden die Geistes-
wissenschaften niemals der inductiven Grundlegung entbehren können.
Diese wird zugleich um so umfassender, die inductiven Bestandtheile
der Interpretation nehmen einen um so grösseren Raum ein, in je
weiterem Umfang die der psychologischen Analyse vorausgehende
vergleichende Methode zu Rathe gezogen und für die besonderen
Zwecke ausgebildet wird. Gerade dies ist aber die Tendenz, die
sich unverkennbar allmählich von den socialen auch auf die histori-
schen Wissenschafken auszubreiten beginnt. Während daher die
Naturwissenschaften immer mehr einer deductiven Entwicklung zu-
streben, suchen umgekehrt die Geisteswissenschaften inductiver zu
werden. Ein Historiker, der die Ereignisse nach bestimmten ihm
vorliegenden Zeugnissen schildert und aus den auf Grund dieser
Zeugnisse angenommenen Motiven der handelnden Individuen ab-
leitet, verfährt, abgesehen von der vorausgehenden philologischen
Untersuchimg der Quellen, vollständig deduetiv. Ein Historiker da-
gegen, der mittelst einer umfassenden Erwägung materieller und
geistiger Vorbedingungen und Zustände ein Ereigniss zu verstehen
sucht, bedarf umfassender Inductionen. Im vollen Gegensatze zu dem
ofb behaupteten, aber einseitig aus einzelnen Gebieten der Natur-
forschung abstrahirten und selbst fttr diese nur halbwahren Schema
•) J. St. Mill, Logik, II. üebers. von Schiel. 2. Aufl., S. 479, 512 ff.
Interpretation. 101
von der Aufeinanderfolge der wissenschaftlichen Methoden kann man
also sagen, dass die Geschichte zur Zeit des Thukydides fast ganz
eine deductive Wissenschaft gewesen ist, und dass sie heute immer
mehr zu einer inductiven zu werden strebt. Gleichwohl behält sie
hier wie dort den der Interpretation eigenen, aus jenen beiden
logischen Methoden zusammengesetzten Charakter: nur zieht sich
im einen Fall die Induction auf eine beschränkte Vergleichung
individueller Beobachtungen zusammen, während sie sich im andern
über zahlreiche, in näherer und fernerer Beziehung zu den Ereig-
nissen stehende Objecte ausdehnt. Was aber dabei stets die Inter-
pretation von der naturwissenschaftlichen luduction trennt, das ist
die Terschiedene Stelle, welche die in sie eingreifenden Deductionen ein-
nehmen. Die Hülfsdeductionen der naturwissenschaftlichen Induction
können an den verschiedensten Pimkten des Verlaufs derselben ein-
setzen ; die Interpretation dagegen schliesst regelmässig mit der durch
die psychologische Analyse vermittelten Deduction ab, und diese
spielt darum hier nicht bloss die Rolle einer Hülfsoperation, sondern
die eines wesentlichen, für jede vollständige Interpretation unent-
behrlichen Verfahrens. Darin liegt wohl auch der Grund und eine
gewisse, freilich sehr beschränkte relative Berechtigung dafür, dass
man den Geisteswissenschaften im allgemeinen, abgesehen von der
Psychologie, den deductiven Charakter zugeschrieben hat. In der
That verbietet diese regelmässige und wesentliche Stellung der ab-
schliessenden Deduction die Zurechnung zu der einen oder andern
Methode. Denn von einer Gesammtrichtung des Verfahrens kann
hier nicht mehr, wie bei den Methoden der Naturforschung, die
Rede sein. Vielmehr spaltet sich die Methode in zwei Richtungen:
in die im allgemeinen vorausgehende inductive Sammlung und Ver-
arbeitung der Thatsachen, und in die abschliessende psychologische
Deduction. Die Interpretation im ganzen kann man also nur als
ein aus beiden Methoden zusammengesetztes Verfahren auffassen,
in dem je nach den besonderen Bedingungen bald der eine, bald
der andere dieser Bestandtheile überwiegt. Dabei vertheilt sich nun
aber das inductive Stadium der Untersuchung wieder auf zwei
£inzelmethoden : auf die vergleichende Methode in ihren beiden in
der Regel auf einander folgenden Formen der individuellen und
generischen Vergleichung, und auf jenen aufsteigenden Theil der
psychologischen Analyse, der in einer Zerlegung der durch Beobach-
tung und Vergleichung gewonnenen individuellen und generellen
Thatsachen in ihre einzelnen physischen und psychischen Bestand-
102 Allgemeioe Gnmdlagen der Geisteswissenschaften.
theile besteht. Das deductive Stadium des Verfahrens beschränkt
sich dann auf die durch diese Analyse und Abstraction vorbereitete
Deutung der Erscheinungen. Schematisch lässt sich demnach der
vollständige Oang der Interpretation durch die folgende üebersicht
darsteUen :
{Individuelle Vergleichung
Generische Vergleichung
Vergleichende Methode.
Psychologische Analyse
und Abstraction.
Endgültige Induction Aufst. psychol. Analyse
Psychologische Deduction Abst. psycho!. Analyse
Modificationen dieses Verfahrens können bald dadurch ver-
anlasst werden, dass die generische Vergleichung vermöge der Be-
dingungen des Gegenstandes hinwegfällt, bald dadurch, dass die
endgültige psychologische Deduction von sehr verschiedenem Um-
fange ist. Wichtiger als dies sind die Abänderungen, die die Methode
durch die AufsteUung leitender Hypothesen erßLhrt, die an
den verschiedensten Stellen eingreifen können. Diese Hypothesen
spielen hier eine ähnliche Rolle wie die provisorischen Hypothesen
innerhalb der naturwissenschaftlichen Induction. Sie können näm-
lich, sobald sie auftreten, zu einem deductiven Verfahren Anlass
bieten, welches durch die versuchte Ableitung der Thatsachen ent-
weder die Hypothese in eine gültige Voraussetzung umwandelt oder
sie widerlegt und so nach andern Voraussetzungen zu suchen auf-
fordert. Aber diese Hülfshypothesen der Interpretation haben ausser-
dem noch eine andere Bedeutung, die mit der eigenthümlichen
Verwebung psychologischer Motive zusammenhängt und in ihrer
Bezeichnung als leitende Hypothesen seinen Ausdruck findet. Bei
geistigen Vorgängen und geistigen Erzeugnissen erschöpft fast nie-
mals eine Voraussetzung die Summe der entscheidenden Bedingungen.
Doch um diese aus ihrer complexen Verbindung zu lösen, ist es
erforderlich, dass man unter den sich als möglich bietenden An-
nahmen eine nach der andern prüfe, um auf diese Weise schliesslich
diejenige unter ihnen zu finden, die zu einem endgültigen Verständ-
niss nothwendig ist. Je verwickelter und in ihrer Mannigfaltigkeit
unerschöpflicher die Erscheinungen sind, um so wünschenswerther,
ja unerlässlicher wird es, von Anfang an, noch ehe die planmässige
Sammlung und Verarbeitung der Thatsachen beginnt, solche leitende
Hypothesen aufzustellen und nach ihnen die Ordnung und Samm-
lung der Thatsachen einzurichten. Diese genügt aber ihren Zwecken
InierpretaÜoD. 103
wiederum am besten, je weniger die leitenden Hypothesen starr oder
einseitig festgehalten werden. Darum ist das Verfahren im all-
gemeinen dann erst ein einwandfreies, wenn alle irgendwie wahr-
scheinlichen Annahmen sowohl einzeln wie in den verschiedenen
Yerhindungen , die zwischen ihnen möglich sind, geprüft und mit
der Erfahrung verglichen werden.
Schon bei der niederen, erst das thatsächliche Material ftir die
eigentliche Untersuchung herbeischaffenden Form der Interpretation
kann die Hypothese in dieser Weise ihre führende und sichtende
Rolle spielen. So sind die philologische Gonjectur, die in eine lücken-
haft oder verderbt überlieferte Textstelle grammatisch und logisch
einen sachgemässen Sinn zu bringen sucht, und die zur Erklärung
des Widerspruchs zweier diplomatischer Aktenstücke aufgestellte
Annahme, dass bei einem derselben eine Fälschung vorliege, inter-
pretatorische Hypothesen, die erste von einfachster, die zweite schon
von etwas verwickelterer Art. In beiden Fällen ist die Hypothese
leitend für die sich anschliessende, die Hülfsmittel der vergleichenden
Methode und der psychologischen Analyse benützende Untersuchung.
Dort muss durch diese nachgewiesen werden, dass die angenommene
Lesart mit dem allgemeinen und dem individuellen Sprachgebrauch,
sowie mit dem aus historischen, logischen oder sonstigen allgemeinen
Gründen zu erwartenden Sinn der Stelle übereinstimmt. Hier muss
gezeigt werden, dass auf irgend einer Seite eine starke Tendenz zu
der begangenen Fälschung vorhanden war, dass Persönlichkeiten
existirten, denen sie sich aus bestimmten Oründen zuschreiben lässt,
und dass sonstige Indicien mit der Yermuthung übereinstimmen.
Zu ihrer voUen Entfaltung gelangt aber doch die Bedeutung
der leitenden Hypothesen erst bei jener höheren Interpretation, die
den Zusammenhang geistiger Vorgänge und Entwicklungen dem
Verständnisse näher zu bringen sucht. Nicht selten wird hier die
Geschichte ganzer Wissensgebiete durch den Charakter der sie be-
herrschenden Hypothesen bestimmt, und zumeist muss in solchen
Fällen zwischen einer Mehrheit zuerst in einseitiger Bevorzugung
einander ablösender oder bekämpfender Voraussetzungen eine Aus-
gleichung stattfinden, die jeder zu einer gewissen partiellen Geltung
verhilft. So war es ein überaus fruchtbarer Gedanke, ohne den ein
so dunkles und in directen Ueberlieferungen unzugänglich gewor-
denes Gebiet vielleicht immer der Untersuchung verschlossen ge-
blieben wäre, als Jacob Grimm in seiner „Deutschen Mythologie^
TOD der Hypothese ausging, dass in Sitte, Sage, Märchen, Volks-
104 Allgemeine Grundlagen der GeisteswünenBchaften.
aberglauben die Reste eines mythologischen Systems der Urzeit ent"
halten seien, die, unter Mithülfe der Vergleichung mit den üeber-
lieferungen stammverwandter Nationen und durch psychologische
Vertiefung in ein ursprüngliches naives Denken, die Göttervorstellungen
der alten Germanen wiederherstellen liessen. Aber bei der Fort-
führung der mythologischen Forschungen erwies sich diese Hypothese
zum mindesten als eine einseitige. Nicht nur war bei ihr das
namentlich im Aberglauben deutlich erkennbare selbständige Fort-
wuchern einer primitiven Mythologie, die keiner historischen Ueber-
lieferung bedarf, weil sie überall wieder neu entstehen kann, ausser
Betracht geblieben, sondern auch den geschichtlichen Wechsel-
wirkungen der Völker und den mannigfachen Uebertragungen mythi-
scher Ueberlieferungen war keine zureichende Rechnung getragen.
Ueber beide Bedingungen verbreitete dann die umfassendere An-
wendung der vergleichenden Methode ein neues Licht. Sie führte
aber wieder zu abweichenden Gesichtspunkten, je nachdem entweder
auf die Ergebnisse einer allgemeineren generischen Vergleichung. oder
auf die der individuell-historischen der Hauptwerth gelegt wurde.
Geschah das erste, so wandelte sich die leitende Hypothese Grimms
in ihr Gegentheil um: was er in Sitte, Sage und Volksglauben als
Reste eines dereinst lebendigen mythologischen Systems angesehen
hatte, wurde zur primitiven mythologischen Form, aus der sich alle
ausgebildeten Mythologien entwickelt haben, und die nach deren
Absterben wieder zurückbleiben*). Führte man dagegen das Werk
Grimms in der Richtung der historischen Vergleichung weiter, so
konnten hier zwei bis zu einem gewissen Grade entgegengesetzte
und darum meist einander bekämpfende Anschauungen zu leitenden
Hypothesen erhoben werden. Entweder erweiterte man die von
Grimm auf die Völker germanischer Abstammung beschränkte Ver-
gleichung, den Spuren der vergleichenden Sprachwissenschaft folgend,
auf alle indogermanischen Stämme: so entstand der in seinen Er-
gebnissen freilich spärliche und zum Theil recht zweifelhafte Ver-
*) Auf die germanische Mythologie hat diese Auffassung wohl zuerst
W. Schwartz angewandt (Der Volksglaube und das alte Heidenthum. 2. Aufl.
1862. Ursprung der Mythologie. 1860.) In noch allgemeinerem Umfang und
mit entsprechend ausgedehnterer Anwendung der vergleichenden Methode liegt
sie den Arbeiten von A. Bastian (Der Mensch in der Geschichte, 3 Bde. 1860»
Beiträge zur vergleichenden Psychologie. 1868, u. a.) und von E. Tylor (Ur-
geschichte der Menschheit, deutsche Ausg. 1867, Die Anfänge der Cultur, 2 Bde.
1873), sowie vielen anderen neueren ethnologischen Arbeiten zu Grunde.
Interpretation. 105
such einer allen Indogermanen gemeinsamen mythologischen Ent-
wicklungsgeschichte*). Oder die durch die individueUe Vergleichung
gewonnenen Ergebnisse wurden unter dem Gesichtspunkt einer äussern
historischen Beeinflussung betrachtet: man suchte sie als Erschei-
nungen zu verstehen, die sich von bestinmiten Punkten, begünstigt
durch Wanderungen, Handelsverkehr und andere den geistigen Zu-
sammenhang der Völker unterstützende Verhältnisse, in mündlicher
oder literarischer Ueberlieferung ausgebreitet hätten. Ihre haupt-
sachlichste Stütze hat diese Annahme in einigen der verbreitetsten
mythischen Formen, der Thierfabel, zum Theil auch dem Märchen
gefunden, wobei besonders die Ausstattung der einzelnen Erzählungen
mit individuellen Zügen, die in dieser Verbindung weder durch Zu-
faU noch aus übereinstimmenden psychologischen Motiven mehrfach
entstanden sein können, auf einen einheitlichen Ursprung hinweist,
während doch das Vorkommen der gleichen Stoffe bei völlig stammes-
fremden Völkern die Zurückführung auf eine gemeinsame ürmytho-
logie unmöglich macht**). Aehnlich wie die Fabel- und Märchen-
sioffe können sich aber auch andere mythische und religiöse Vor-
stellungen durch äussere Mittheilung verbreitet haben, eine Annahme
die in der That in vielen Fällen in weitgehenden Uebereinstimmungen
scheinbar unabhängiger mythischer Vorstellungskreise eine Stütze
findet***).
Aus aUem dem ersieht man, wie sehr in diesem Fall die lei-
tenden Hypothesen die Untersuchung anregen, wie sehr sie aber
auch von vornherein die Verwerthung der durch die vergleichende
Methode gewonnenen Ergebnisse bestimmen können. Wenn gegen-
wärtig die mythologischen Theorien zumeist noch unsicher sind, so
beruht dies aber wesentlich darauf, dass sich die Erscheinungen
*) AoBgeftÜirt namentlich von Adalb. Kuhn (Die Herabkunfb des Feuers
und des Göttertranks. 1859. Entwicklungsstufen des Mythus. 1873).
*^ Dass der Ursprung der meisten über die Culturwelt verbreiteten Fabel-
Stoffe wahrscheinlich Indien ist, hat yomehmlich Th. Benfej gezeigt (Pantscha-
tantra, 2 Bde. 1859). Vgl. dazu Mankowski, Der Auszug aus der Pantscha-
tantra etc. Leipzig 1892.
*^) Abgesehen von der wohl als zweifellos anzusehenden Wanderung der
altbabjrlonischen Schöpfungs-, Paradieses- und Fluthsagen zu andern semitischen
Völkern und von manchen ähnlichen Beispielen gehört hierher als eine der
merkwürdigsten Thatsachen die üebereinstimmung vieler einzelner Züge der
nordischen Mythologie mit christlichen Legenden und antiken Sagenstoffen.
Vgl hierüber Sophus Bu gge, Studien über die Entstehung der nordischen
Gdtter* und Heldensage. Deutsch von Oscar Brenner. München 1889.
106 Allgemeine Grandlagen der GeiBteswissenichafien.
unter verschiedene leitende Hypothesen bringen lassen, und dass es
daher in der Regel dahingestellt bleibt, ob die in den einzelnen
Hypothesen aufgestellten Bedingungen neben einander wirkend an-
zunehmen, oder ob gewisse Hypothesen falsche ümdeutungen der
Erscheinungen sind. Nur eine umfassende Anwendung der histori-
schen sowohl wie der generischen Yergleichung kann hier allmählich
das Richtige treffen. Dabei ist zu beachten, dass in diesem Fall
die yerschiedenen Formen der vergleichenden Methode nicht gleich-
werthig, und dass daher die Reihenfolge ihrer Anwendung nicht
gleichgültig ist. Vielmehr sollte stets, wenn es sich um die Frage
nach der Herkunft irgend einer verbreiteten Yorstellungsform handelt,
die individuell-historische Yergleichung vorausgehen, bei ihr aber in
erster Linie wieder auf diejenigen Zeugnisse Rücksicht genommen
werden, die auf eine äussere Mittheilung schliessen lassen, weil
nur wenn solche Zeugnisse fehlen auf einen gemeinsamen Ursprung
zurückgeschlossen werden kann. Da der geschichtlichen Entlehnung
directe Zeugnisse zu Gebote stehen müssen, während für den ge-
meinsamen geschichtlichen Ursprung in der Regel nur indirecte
Merkmale zur Yerfilgung stehen, so ist eigentlich immer der Ver-
dacht der Entlehnung zuerst gerechtfei*tigt , und erst wenn er be-
seitigt ist, darf die Vermuthung der genealogischen Verwandtschaft
Platz greifen. Mit dieser tritt dann aber zugleich die durch die
genereUe Yergleichung zu prüfende Annahme eines unabhängigen,
in allgemeinen psychologischen Bedingungen begründeten Ursprungs
in Wettbewerb. Wie zwischen diesen verschiedenen Annahmen zu
wählen, oder, wenn sich eine Verbindung derselben als nothwendig
erweisen sollte, wie viel jedem einzelnen Factor zuzuweisen sei, das
kann dann nur durch weitere vergleichende Prüfungen entschieden
werden, bei denen so viel als möglich directe Zeugnisse für jeden
der vorausgesetzten Einflüsse aufgesucht werden müssen. Solche
ergeben sich z. B. für die Migrationstheorie des Mythus aus der bis
in die individuellsten Züge übereinstimmenden Beschaffenheit gewisser
mythischer Formen bei Völkern verschiedener Abstammung, be-
sonders aber aus der mit einer bestimmten Richtung der Uebertragung
übereinstimmenden Aufeinanderfolge in den einzelnen Literaturen;
für die Entwicklungstheorie in den in der Sprache erhalten ge-
bliebenen übereinstimmenden Bezeichnungen mythischer Gestalten
von analoger Bedeutung u. dgl. Die endgültige Entscheidung bei
dieser in einer fortgesetzten Anwendung der beiden vergleichenden
Methoden sich bethätigendeu Prüfung der leitenden Hypothesen
Interpretation. 107
kommt jedoch wiederum der psychologischen Analyse zu, da jede
Annahme nothwendig in letzter Instanz eine bestimmte psychologische
Ansdiauung in sich schliesst. So ist z. B. die historische Continuitat
der üeberlieferungen in einer Volks- oder Stammesgemeinschaft
ebenso gut ein psychischer Vorgang wie die äussere Wanderung
mythischer Stoffe ; und die Annahme einer selbständigen Entstehung
übereinstimmender mythischer Motive an verschiedenen Orten pflegt
sich ausdrücklich auf die allgemeine Uebereinstimmung psychischer
Anlagen zu berufen. Auch der Versuch eine Ausgleichung zwischen
den verschiedenen Auffassungen zu finden sucht daher überall die
objectiven Thatsachen an der psychologischen Möglichkeit oder
Wahrscheinlichkeit der vorauszusetzenden geistigen Vorgänge zu
messen. Wie unerlässlich eine solche auf Grund der objectiven
Thatsachen schliesslich vorzunehmende psychologische Analyse ist,
das zeigt sich gerade an dem Beispiel der Mythenentwicklung darin,
dass es Erscheinungen gibt, die, wenn man sie bloss objectiv be-
trachtet, hinsichtlich des Verhältnisses von Ursache und Wirkung
zweideutig sind. Wir treffen z. B. noch heute in der Sprache
eine Fülle metaphorischer Ausdrücke, die nach ihrer wörtlichen Be-
deutung einen mythologischen Sinn haben, wie etwa „die tod-
bringenden Pfeile der Sonne**, „der mild lächelnde Mond* u. dgl.
Es liegt daher nahe anzunehmen, dass sie, in manchen Fällen wenig-
stens, die verblassten Ueberreste ursprünglicher mythologischer An-
schauungen seien*). Man kann aber auch behaupten, der bewusste
metaphorische Gebrauch sei überall der ursprüngliche, und wo solche
Metaphern mit früheren mythologischen Vorstellungen zusammen-
treffen, da seien daher umgekehrt diese zu irgend einer Zeit aus
dem Missverstehen sprachlicher Metaphern hervorgegangen**). Die
objectiven Thatsachen dürften hier kaum eine Entscheidung zwischen
beiden Annahmen zulassen; dass aber die zweite psychologisch un-
haltbar ist, wird man nicht bloss aus allgemeinen psychologischen
Gründen, sondern auch angesichts einer Fülle anderer völkerpsycho-
logischer Erscheinungen, die geeignet sind auf die Stufe des mythen-
bildenden Bewusstseins Licht zu werfen, nicht wohl bezweifeln
können. So wichtig eine sorgfältige psychologische Analyse der
*) Dies ist in der That die Annahme von J. Grimm, W. Schwartz,
sowie der meisten andern Anhänger der Entwicklungstheorie des Mythus.
**) Diese Hypothese ist hauptsächlich von Max Müller in dem Aufsatze
«üeber vergleichende Mythologie* (Essays, II) ausgeführt, aher auch von A. Kuhn
angenommen worden (Entwicklungsstufen der Mythenhildung, S. 123).
108 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
objectiven Thatsachen ist, so wenig ist freilich das gerade im Gebiet
der Mythologie bis in die neueste Zeit so oil geübte Verfahren zu-
lässig, bloss auf Grund psychologischer Reflexionen ohne eine gründ-
liche Eenntniss der geschichtlichen Zusammenhänge allgemeine
Theorien aufzustellen.
Bei den Problemen, die der eigentlichen Geschichte an-
gehören, pflegt der Gegensatz der leitenden Hypothesen zumeist
darauf hinauszufahren, dass diese ganz verschiedene Bestaiidtheile
des untersuchten Zusammenhangs berücksichtigen, wodurch dann
immer zugleich die Vorstellungen, die man sich von den entschei-
denden psychischen Bedingungen macht, wesentlich abweichende
werden müssen. So stellt die politische Geschichtschreibung die
deutsche Verfassungsentwicklung im Mittelalter und im Beginn der
Neuzeit in der Regel als einen Vorgang dar, der durch die Fort-
setzung des ^Imperium Romanum" in das deutsche Kaiserthum und
durch das hierin begründete Verhältniss zur Kirche, zuletzt aber
durch das im Gefolge der Reformation sich allmählich stärkende
LandesfQrstenthum hauptsächlich sein Gepräge empfangen habe.
Eine vorzugsweise die socialen Zustände ins Auge fassende Ge-
schichtsbetrachtung dagegen sieht die entscheidenden Kräfte der
eingetretenen Wandelungen in den Wirkungen, welche die Verän-
derungen des wirthschaftlichen Lebens ausüben mussten, und sie
rückt daher jene äusserlich mehr hervortretenden politischen Ver-
hältnisse theüs in die zweite Linie, theils fasst sie dieselben als
Wirkungen der tiefer liegenden Lebensbedingungen auf. Natürlich
wird damit stillschweigend auch die psychologische Motivirung ver-
schoben: dort wird auf den Wettstreit der geistlichen und welt-
lichen Mächte sowie des Kaiserthums und des aus dem mittelalter-
lichen Lehensstaat entsprungenen Territorialfürstenthums , hier auf
die völkerpsychologischen Culturmotive , auf die Folgen des Ueber-
gangs der Naturalwirthschaft in den Geldverkehr, der Ständescheidung,
der Entstehung des Welthandels, endlich auf das im Gefolge dieser
Entwicklungen eintretende wachsende Selbstbewusstsein der An-
gehörigen aller Lebenskreise der Hauptwerth gelegt*).
Kann es in den historischen Gebieten oft schwer, ja unmög-
lich sein, die verschiedenen leitenden Hypothesen gerecht gegen
einander abzuwägen, weil das zureichende Material zur Entscheidung
*) K. Lamprecht, Deutsche Geschichte, 3. und 5. Band. Die Stufen der
deutschen Verfassungsentwicklung , Festschr. zur Versammlung der deutschen
Historiker in Leipzig. 1894, S. 165 ff.
Interpretation. 109
durch die vergleichende Methode kaum zu gewinnen ist, so befinden
sich in dieser Beziehung die socialen Wissenschaften in einer
ungleich günstigeren Lage. Ihnen steht dieses Material, da sie es
mit relativ dauernden Zuständen zu thun haben, meist leichter zu
Gebote. Darum pflegt hier die Untersuchung von Anfang an die
Form einer umfassenden Induction anzunehmen, in die aber eine
Menge einzelner HQlfsdeductionen eingehen. Ist durch unmittelbare
Beobachtung oder mittelst der vergleichenden Methode eine Er-
scheinung festgestellt, so werden durch eine vorläufige Refiexion
deren als möglich oder wahrscheinlich anzunehmende Bedingungen
Ä^ B, C, D . . . erwogen und, so weit es erforderlich scheint, die
aus diesen Bedingungen und ihren etwaigen Wechselwirkungen zu
erwartenden Erscheinungen zunächst hypothetisch deducirt. Dann
werden nach den durch diese Folgerungen dargebotenen Gesichts-
punkten die einzelnen Beobachtungen gesammelt und geordnet, um
schliesslich auf die Yergleichung derselben Schlüsse über die wirk-
lichen Ursachen der untersuchten Erscheinung zu gründen. Dieses
Verfahren ist bis zu dem Punkte, wo die letzte, immer auf die Mit-
wirkung psychischer Motive zurückgreifende Ableitung der Ereignisse
aus ihren Bedingungen eintritt, ihrer allgemeinen Richtung nach eine
Induction. Die Sammlung der Thatsachen, die Feststellung des
relativen Einflusses jeder einzelnen äusseren Bedingung ist ganz und
gar ein inductives Verfahren: dasselbe würde denkbarer Weise auch
ohne die vorangehende Reflexion vor sich gehen können; diese Re-
flexion und die durch sie vermittelten hypothetischen Hülfsdeductionen
erleichtem aber, darin ganz mit den deductiven Hülfsoperationen der
naturwissenschaftlichen Induction übereinstimmend, in hohem Masse
die Erledigung der Aufgabe, indem sie von vornherein die ent-
scheidenden Gesichtspunkte in den Vordergrund stellen.
Die nach diesen Gesichtspunkten vorgenommene statistische Ver-
gleichung spielt in diesem Fall eine vollkommen analoge Rolle wie
die experimentelle Prüfung in den Hülfsdeductionen der natiurwissen-
schafüichen Induction. Insbesondere kommt hierbei die oben (S. 78)
erwähnte Eigenschaft des statistischen Verfahrens, dass es zum Theil
nach selbstgewählten Begriffen die Thatsachen gruppirt, der Unter-
suchung in ähnlicher Weise zu statten wie die planmässige Variation
der Bedingungen bei der experimentellen Methode. Handelt es sich
z. B. darum, eine volkswirthschaftliche Erscheinung, etwa das Sinken
der Getreidepreise innerhalb eines bestimmten Territoriums und
während einer bestimmten Zeitperiode, zu untersuchen, so ist zu-
110 Allgemeine Gmndlagen der Geisteswissenschalten.
nächst die Thatsache, Yon der die Untersuchung ausgeht, in der
Regel selbst durch individuelle Vergleichung der die Periode zu-
sammensetzenden kleineren Zeitabschnitte gewonnen und mittelst
einer statistischen Zusammenstellung quantitativ fixirt. Nun ist von
vornherein klar, dass eine derartige Erscheinung mit einer Menge
anderer coexistirender wirthschaftlicher Vorgänge zusammenhängt,
und dass daher ihre Bedingungen nur ermittelt werden können,
wenn diese Vorgänge sämmtlich so viel als möglich in ähnlicher
Weise quantitativ untersucht sind. Die Statistik des ursprünglichen
Phänomens muss also durch die statistische Verfolgung der parallel
laufenden Phänomene, insoweit diese eine causale Beziehung zu
jenem erwarten lassen, ergänzt werden. Demnach hat die Erwägung
dieser möglichen causalen Beziehungen der Ausführung der weiteren
statistischen Ermittelungen voranzugehen. Jeder der Gesichtspunkte,
die auf solche Weise die statistische Untersuchung bestimmen, hat
den Charakter einer versuchsweise eingeführten leitenden Hypothese,
die zugleich als eine Frage betrachtet werden kann, auf welche die
generelle statistische Vergleichung die Antwort geben soll. Jede
derartige Frage pflegt sich aber wieder in eine Anzahl von Unter-
fragen zu gliedern, die sämmtlich besondere statistische Vergleichungeu
erfordern. So können z. B. der allgemeinen Frage nach den Ur-
sachen des Sinkens der Getreidepreise zunächst zwei leitende Hypo-
thesen zu Grunde gelegt werden. Dieses Sinken kann 1) bedingt
sein durch die Werthsteigerung des den Preis bestimmenden Zahlungs-
mittels, nehmen wir an des Goldes, oder 2) durch die Werthabnahme
der Waare. Natürlich können nun beide leitende Hypothesen neben
einander gelten, und die Untersuchung hat daher für diesen Fall zu
entscheiden, in welchem Grade die eine wie die andere herbeizuziehen
sei. Jede dieser Annahmen zeriallt aber wieder in eine Anzahl ihr
untergeordneter Fälle, für die im allgemeinen die nämliche Möglich-
keit der Coexistenz vorauszusetzen ist. So kann die Steigerung des
Goldwerthes verursacht sein: a) durch verminderte Goldgewinnung
(relative Erschöpfung der Goldminen); b) durch erhöhte Nachfrage
für Ausprägungs- und eventuell auch für Luxuszwecke, wie ersteres
z. B. beim Uebergang eines Landes zur ausschliesslichen Goldwährung
stattfinden wird; c) in Folge einer allgemeinen Erschütterung des
Credits, wie sie durch ungünstige politische und Handelsverhältnisse
verursacht sein kann und regelmässig in der Abnahme des den
directen Goldverkehr ersetzenden Creditverkehrs (Giroverkehrs) und
der Steigerung des Zinsfusses für kurze Darlehen (des Diskont-
Interpretation. 111
Satzes) ihren Ausdruck findet; endlich kann auch durch die Werth-
abnahme anderer Währungsmittel, des Silbers, des Papiergeldes
(welches letztere jedoch im allgemeinen mit den soeben erwähnten
Veränderungen des Credits zusammenfallen wird) der Goldwerth eine
bloss relative Steigerung erfahren haben. Nicht minder lässt die
zweite der an die Spitze gestellten leitenden Hypothesen eine mehr-
fache Deutung zu. Die Werthabnahme der Waare, in dem gewählten
Beispiel des Getreides, kann bedingt sein: a) durch vermehrte Pro-
duction an Ort und Stelle (Vermehrung der Arbeitskräfte, Ver-
besserung der Productionsmittel mittelst landwirthschaftlicher Ma-
schinen, rationellerer Ausnützung des Bodens); b) durch vermehrte
Zufuhr von aussen (in Folge der erhöhten Wirksamkeit der Ver-
kehrsmittel, der die Einfuhr erleichternden Handelsverträge u. s. w.);
c) durch verminderte Ausfuhr, wodurch die Waare auf den inlän-
dischen Markt beschränkt und daher das Angebot vergrössert werden
muss, eine Wirkung die wieder durch ungünstige Handelslagen, Zoll-
schranken u. dergl. herbeigeführt sein kann; endlich d) möglicher
Weise durch Abnahme der verzehrenden Bevölkerung; doch wird
hier bei der allgemeinen Tendenz zur Bevölkerungszunahme eher
diese als eine in entgegengesetztem Sinne wirkende Bedingung in
Betracht kommen; wie denn überhaupt, da die untersuchte Erschei-
nung eine Resultante aus vielen zum Theil entgegengesetzt wirkenden
Ursachen ist, auch unter den zuvor angeführten Factoren einzelne
derart wirken können, dass sie einen Theil der Gesammtwirkung
wieder aufheben. Jede der Einzelfragen, in die ein solches wirth-
sdiafUiches Problem zerlegt wird, ist nun principiell einer exacten
statistischen Untersuchung zugänglich. Wie sich die Production der
Edelmetalle, ihre Verwendung zu Münz- und zu Luxuszwecken, die
Ein- tmd Ausfuhr des Getreides, die Erzeugung desselben, endlich
Giroverkehr, Diskontsatz und Valuta verändert haben, lässt sich
nach Zahlenwerthen feststellen; weiterhin können aber auch noch
statistische Ermittelungen über andere, in ihrem Charakter verwandte
wirthschaftliche Erscheinungen zur Aufklärung herbeigezogen werden.
So wird es z. B. von entscheidender Bedeutung sein, ob das Sinken
der Preise eine auf die untersuchte Waare beschränkte Erscheinung
ist, oder ob andere Gattungen von Waaren ebenfalls von ihr be-
troffen werden. Je mehr das letztere zutrifft, um so wahrscheinlicher
wird es offenbar sein, dass die Erscheinung allgemeinere Ursachen
hat, mögen diese nun in einer Preissteigerung des Zahlungsmittels
oder in Veränderungen des gesammten Waarenmarktes oder in beiJ uaa
6
\
\
112 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
zugleich bestehen. Principiell wird es hiemach stets möglich sein,
auf die Frage nach den Bedingungen solcher in allen ihren beglei-
tenden Vorgängen statistisch auszuwerthender Erscheinungen min-
destens mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zu antworten.
Wenn dies gleichwohl in dem gegenwärtigen Stadium der Entwick-
lung der Statistik in der Regel thatsächlich noch nicht der Fall ist,
so liegt der Grund vielfach noch darin, dass manche statistische
Nachweise unvollständig oder wegen der Verbindung verschiedener
für den gegebenen Zweck zu trennender Factoren in den benutzten
statistischen Quellen unsicher sind. So ist es z. B. unmöglich den
für Münzzwecke alljährlich erforderlichen Vorrath neuen Metalls zu
ermitteln, wenn in den statistischen Angaben über die Summe der
Neuprägungen die Menge der umgeprägten alten Münzen nicht mit
angegeben wird. Vor allem aber sind es zwei Gründe, die es, selbst
wenn die statistischen Unterlagen solcher wirthschaftlicher Probleme
dereinst einmal viel vollkommener sein sollten als sie es heute sind,
trotzdem nur gestatten werden, die wirklichen Ursachen mit grösserer
oder geringerer Wahrscheinlichkeit qualitativ zu bestimmen, kaum
jemals aber sie einzeln in ihrem quantitativen Effect abzuschätzen.
Der eine dieser Gründe liegt in der Gomplication der mit verschie-
dener Stärke und zum Theil nach verschiedenen Richtungen wirkenden
Bedingungen; der andere und wichtigste darin, dass in diese Be-
dingungen als endgültig entscheidende Factoren psychische Motive
eingreifen. Die Wirkung solcher Motive können wir aber aus den
für sie bestehenden objectiven Bedingungen, die durch die statistische
Untersuchung zu ermitteln sind, höchstens in ihrer allgemeinen
Richtung voraussehen, in ihrem quantitativen Erfolg aber immer
erst aus der thatsächlich eingetretenen Wirkung nachträglich
bestimmen. Wo daher mehrere Bi^ngungen a, 6, o . . . nach einer
bestimmten, andere w, n, o, j? . .^^^^ch einer entgegengesetzten
Richtung wirken, da ist schlechterdin^d niemals im voraus zu ent-
scheiden, ob der Effect im Sinne der ersten oder der zweiten Reihe
erfolgen, oder um wie viel die eine "Bedingung durch die andere über-
troffen werde. Dabei pflegen zugh ?h aus nahe liegenden psycho-
logischen Gründen alle die Bedingung n, die mit constant andauernden
Trieben und Bedürfnissen zusammenhängen, gleichmässiger zu wirken
als solche, die mehr oder minder plötzliche Affecte hervorbringen.
Deshalb sind die Vorausberechnungen der Statistik unter gleichbleiben-
den Verkehrsbedingungen am sichersten. Plötzliche Erschütterungen
-^- Weltmarktes durch politische Ereignisse und bedenkliche Handels-
Interpretation. 113
conjuncturen pflegen aber in ihren Wirkungen, wenigstens was die
Grösse und Dauer der letzteren betrifft, unberechenbar zu sein.
Darum sind die Schwankungen der Börsencurse ein wahres QefUhlsr
barometer: sie sind so überaus schwankend und unzuverlässig, eben
weil das menschliche Handeln, auch im Oebiet des wirthschaftlichen
Lebens, nicht bloss von intellectuellen Erwägungen und kluger
Vorausberechnung, sondern nicht minder von dem Schwanken der
Gefühle, vor allem der Furcht und der Hoffnung abhängt, deren
Wirkungen sich zwar nachträglich verstehen, aber nie im voraus
sicher bestimmen oder gar mathematisch berechnen lassen. Darum
wird nun aber auch der erfahrene Statistiker diesen Momenten in
seiner Abschätzung der einzelnen Factoren wirthschaftlicher Ereig-*
nisse Rechnung tragen, er wird die wahrscheinlichen psychischen
Effecte der einzelnen von ihm untersuchten Bedingungen und die
verschiedene Intensität dieser Effecte je nach Art und Schnelligkeit
der verursachenden Bedingungen in ihren Bückwirkungen auf die
äusseren wirthschaftlichen Erscheinungen nie aus dem Auge ver-
lieren. So bewährt es sich auch auf diesem Gebiet, das auf den
ersten Blick ganz und gar in einer auf die Erwägung objectiver
Bedingungen gegründeten Induction aufzugehen scheint, dass die
bterpretation in einer psychologischen Analyse endet, die, indem sie
die Beziehung der objectiven Bedingungen zu den psychischen Mo*
tiven des wirthschafUich handelnden Menschen ins Auge fasst, ein
endgültiges Yerständniss der Erscheinungen zu gewinnen sucht.
e. Die Kritik.
Das Wort xpiveiv, das der Kritik ihren Namen gegeben hat,
vereinigt schon in seinen frühesten Bedeutungen die Begriffe des
Scheidens und des Entscheidens. Beide sind, zugleich in dem
Sinn einer Aufeinanderfolge von Denkhandlungen, auch in dem Be-
griff der kritischen Methode erhalten geblieben: diese scheidet die
Bestandtheile, aus denen sich die geistigen Objecte zusammensetzen,
sowie die Quellen und Hülfsmittel, mittelst deren Aufschluss über
ihre Entstehung Und über ihre Bedeutung zu gewinnen ist, um
dann auf Orund dieser sondernden Thätigkeit schliesslich über die
(Gültigkeit des Einzelnen oder ^es Ganzen zu entscheiden. Aber
diese Worterklärung gibt doch* nur eine ungefähre Vorstellung von
der Richtung, in der sich die?*- kritische Methode bewegt, und von
der allgemeinen Natur der logischen Functionen der Analyse und
Wnndt, Logik, n, 8. S. Anfl. 8
114 Allgemeine GrondlageB der Geiateswissenschaften.
des ürtheils, die bei ihr zur Anwendung kommen; sie erschöpft
nicht entfernt den Inhalt des Begriffs, wie er sich in Folge der
Ausbildung der Methode allmählich entwickelt und den Ausdruck
«Kritik" zu einem unübersetzbaren gemacht hat. Immerhin liegt
in jener unmittelbaren Wortbedeutung schon ein Hinweis auf die
berichtigende und ergänzende Stellung, welche die Kritik zur Inter-
pretation einnimmt. Diese sucht den Gegenstand zu verstehen, ohne
Bücksicht darauf, wie er etwa aus Echtem und unechtem, Wahrem
und Falschem gemischt ist, oder welcher Werth ihm selber zukommt.
Die Kritik dagegen will ihn auf Orund des gewonnenen Verständ-
nisses beurtheilen, über das was an ihm echt oder unecht, wahr
oder falsch ist und endlich über seinen Werth überhaupt entscheiden.
Wie von einem Verstehen im eigentlichen Sinne nur bei geistigen
Vorgängen und geistigen Erzeugnissen die Bede sein kann, so auch
von einer derartigen Werthbestimmung. Interpretation und Kritik
sind daher specifische Methoden der Geisteswissenschaften. In andern
Gebieten haben sie überall nur da eine Stelle, wo sich dieselben,
wie etwa in der Interpretation und Kritik der geübten Methoden,
insofern diese logische Operationen sind, mit den Geisteswissen-
schaften berühren. Die ergänzende Stellung, die beide zu einander
einnehmen, bringt es aber mit sich, dass zwar im allgemeinen die
Interpretation der Kritik vorausgeht, dass jedoch diese wieder auf
jene einen entscheidenden Einfluss ausübt: man muss einen Gegen-
stand verstehen, um ihn kritisch beurtheilen zu können, aber das
kritische Urtheil wirkt wieder zurück auf das Verständniss. So ent-
wickelt sich eine wiederholte Hin- und Herbewegung: nachdem ein
erstes, vielleicht noch mangelhaftes Verständniss gewonnen ist, be-
mächtigt sich die Kritik des Stoffes und übergibt ihn gesichtet, das
Falsche oder Werthlose ausscheidend, das Echte und WerthvoUe
in stärkere Beleuchtung rückend, der abermaligen Interpretation.
Das bessere Verständniss, das diese nunmehr auf kritisch gesicherter
Grundlage gewinnt, erlaubt dann der Kritik von neuem ihre Hebel
anzusetzen, feinere Unterscheidungen, eine tiefer eindringende Be-
urtheilung auszuführen. Dieser Process der allmählichen Vervoll-
kommnung der Interpretation durch die Kritik und der fortschreitenden
Läuterung der Kritik durch die Interpretation bringt es von selbst
mit sich, dass eine umfassende Interpretation erst geschehen kann,
wenn die Kritik alle ihre Hülfsmittel erschöpft hat, um den Gegen-
stand in seiner wahren Bedeutung zu würdigen, und dass hin-
wiederum eine erschöpfende Kritik erst möglich wird, nachdem die
Kritik. 115
Interpretation voUständig in das Verständniss des Gegenstandes ein-
gedrungen ist. Wie dieser zusammengesetzte Process nothwendig
mit der Interpretation beginnt, so hat er daher mit der endgültigen
Kritik des Gegenstandes aufzuhören, es sei denn dass man sich aus
iigend welchen Ghründen eines letzten ürtheils enthalten will und
sich damit begnügt den Gegenstand so wie er ist, wie er sich nach
kritischer Sichtung und Prüfung des über ihn zu Gebote stehenden
Materials darstellt, zu begreifen. Aus diesem Yerhältniss folgt mit
Notfawendigkeit, dass die Kritik, ebenso wie die Interpretation, nach
dem Zweck den sie erstrebt eine tiefere oder höhere Stufe einnimmt.
Gerade bei der Kritik gibt aber hierbei die Frage, ob sie bloss als
Holfsmittel einer nachfolgenden Interpretation zur Verwendung kommt,
oder ob sie einen selbständigen Zweck verfolgt, ein entscheiden*
des Kriterium ab. Die erste dieser Stufen, die der endgültigen
Interpretation vorausgeht, vermittelt ein richtiges Verständniss des
Gegenstandes; die zweite, die der endgültigen Interpretation nach-
folgt, nicht selten freilich auch zuvor schon versucht wird, erstrebt
auf Ghrund des gewonnenen Verständnisses eine Werthbeurtheilung
des Gegenstandes. Dass sich hierbei, namentlich auf der ersten
dieser Stufen, sehr oft Kritik und Interpretation innig verbinden,
so dass sie kaum oder doch nur innerhalb ganz beschränkter Grenzen
der Anwendung als successive Operationen dargestellt werden können,
ist selbstverstöndlich. Man kann daher das so entstehende gemischte
Verfahren auch als kritische Interpretation bezeichnen. Immerhin
lägst sich dasselbe stets in eine Summe einzelner interpretatorischer
und kritischer Akte zerlegen, die bei jedem Bestandtheil der Unter-
suchung mit einander abwechseln. Doch bringen es diese Ver-
bindungen mit sich, dass in solchen Fällen beide Verfahrungsweisen
oft mit einander vermengt oder mindestens einseitig benannt werden.
So sind die so genannte «Gonjecturalkritik'^ und die „divinatorische
Kritik '^ der Philologen gemischte Verfahrungsweisen, bei denen die
Interpretation eigentlich die Hauptrolle spielt. Bei der Gonjectural-
kritik sucht der Kritiker einen irgendwie mangelhaft oder verfälscht
überlieferten Text durch Conjeeturen über die richtige Lesart zu
Terbessem. Solche Conjeeturen sind aber, wie schon oben (S. 103)
bemerkt, hermeneutische Hypothesen, und die Kritik ist in diesem
Fall nur bei der Ausscheidung des Falschen sowie bei der Auswahl
unter den verschiedenen etwa denkbaren Hypothesen wirksam. Die
,divinatorische Kritik" ist eine höhere Stufe des nämlichen Ver-
fahrens: man redet von ihr dann, wenn es an bestimmten That-
116 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
Sachen zur Begründung einer hermeneutischen Hypothese mangelt,
so dass diese lediglich aus der allgemeinen Eenntniss der Objecte,
ihrer individuellen und geschichtlichen Bedingungen vermittelst der
psychologischen Vertiefung in dieselben zu Stande kommt. Auch
hier spielt die Kritik nur eine secundäre Rolle: sie prüft die innere
Wahrheit einer solchen hypothetischen Interpretation; man würde
daher dies Verfahren besser eine divinatorische Interpretation statt
einer divinatorischen Kritik nennen'*').
Von Philologen und Historikern ist mehrfach versucht worden,
die einzelnen Formen der Kritik nach ihrem Inhalt und nach ihren
specifischen Merkmalen zu unterscheiden und allgemeine Regeln für
die Handhabung der kritischen Methode zu geben'*''*'). Da hierbei
stets die methodische Technik der einzelnen Wissensgebiete im Vorder-
grund des Interesses steht, so wird aber begreiflicher Weise in
diesen Darstellungen auf jene Formen der Kritik, in denen dieselbe
als Hülfsmittel der Interpretation dient, der Hauptwerth gelegt und
dagegen ihre selbständige und abschliessende Aufgabe nur nebenbei
berührt oder auch ausdrücklich in andere Wissenschaften verwiesen.
Man theilt also z. B. der specifisch philologischen Kritik nur jene
sichtende. Echtes und Unechtes sondernde Thätigkeit zu, die zu
einer ausreichenden Interpretation erfordert wird; die auf diese
gegründete innere Kritik des Oegenstandes aber wird, ebenso wie die
entsprechende inhaltliche Interpretation, der Aesthetik, Philosophie,
Naturwissenschaft u. s. w. überlassen, je nachdem es sich um ein
Werk der Kunst, der Philosophie, der Naturwissenschaft handelt.
In der historischen Methodik hat man diesen Standpunkt zwar nicht
für die Interpretation eingehalten, wo das Verständniss nicht bloss
der zur Feststellung der Thatsachen dienenden Hülfsmittel, sondern
der Thatsachen selbst und ihres Zusammenhangs stets als eine
wesentliche Aufgabe gelten musste. Um so mehr wurde aber auch
hier die Kritik auf jene vorbereitende Thätigkeit beschränkt, die
das Verständniss selbst zu fördern, nicht das was einmal in seinem
causalen Zusammenhang verstanden sei besonderen kritischen Werth-
*) H. Usener, Philologie und Geschichtswissenschaft. Berlin 1882,
S. 33 f. F. Blas s, Henneneutik und Kritik, in Iwan Müllers Handhnch der
klassischen Alterthnmswissenschaft, I, S. 264 f.
**) Schleiermacher, Begriff und Eintheilung der philologischen Kritik,
Werke zur Philosophie, Bd. 3, S. 387 ff. Böckh, Encyklopädie, S. 169 ff.
Blass a. a. 0. S. 145, 226 ff. Bernheim, Lehrbuch der historischen Methode,
2. Aufl. 1894, S. 236 ff.
Kritik.. 117
nrtheflen zu unterwerfen habe. Inwiefern dieser Standpunkt hier
wie dort berechtigt ist, mag vorläufig dahingestellt bleiben *) ; that-
sächlich ist er jedenfalls fQr die Behandlungsweise der philologischen
wie der historischen Methodik bestimmend gewesen und hat als eine
naturgemässe Folge die hervorgebracht, dass sich diese Methodik
ausschliesslich mit jener vorbereitenden Kritik beschäftigt, die die
Unterscheidung des Echten und Unechten als Vorbedingung einer
endgültigen Interpretation zu ihrem Zweck hat. Diesem technischen
Charakter entsprechen auch die üblichen Unterscheidungen verschiede-
ner Formen der Kritik, die meist den Formen der Interpretation
paraUel gehen, wie grammatische, historische, individuelle und Gat-
tungskritik, oder grammatische, historische und technische Kritik,
Textkritik und Quellenkritik u. dgl. mehr. Es ist selbstverständ-
lich, dass eine solche im wesentlichen nach äusseren Merkmalen und
Hülfsmitteln ausgeführte Eintheilung für die specielle Untersuchung
werthvoll und für die technische Anweisung zur Handhabung der
Kritik unerlässlich ist. Davon sind aber die logischen Eigen-
thümUchkeiten der Methode im ganzen unabhängig. Sie können
bei verschiedenen jener äusseren Formen, z. B. bei der individuellen
und der historischen, übereinstimmen, und hinwiederum bei einer
und derselben Form je nach dem bespnderen Zweck, z. B. bei der
historischen Sjitik einer einzelnen Quelle und bei derjenigen einer
Anzahl einander widerstreitender geschichtlicher Ueberlieferungen,
sehr abweichend sein. Die Untersuchung der fundamentalen logischen
Operationen ist eben auch hier, gerade so wie bei den chemischen
oder physikalischen Methoden, nicht eine Aufgabe der vorherrschend
Ton technischen Gesichtspunkten geleiteten Methodik der Einzel-
wissenschaften, sondern der Logik, da eine solche Untersuchung
die ZurückfÜhrung auf die allgemeinen Denkoperationen und die
Vergleichung mit andern logischen Methoden erfordert.
Die Kritik hat gleich der Interpretation ihre letzte Quelle in
einer Gemüthslage des Untersuchenden, die in einem für jedes dieser
Verfahren charakteristischen Gefühl, dort in dem des Interesses
an dem Gegenstand, hier in dem des Zweifels, ihren Ausdruck
findet. Jedes Streben nach Verständniss wird von einem intellectuellen
Interesse geleitet. Sobald zu diesem Interesse der Zweifel an dem
Inhalt oder Werth des untersuchten Gegenstandes hinzukommt, so
wird die kritische Prüfung herausgefordert. Darin ist schon an-
^ Vgl. darüber unten Cap. 111.
118 Allgemeine Grundlagen der GeiBteswissenschaften.
gedeutet, dass dieser Zweifel eine doppelte Richtung haben kann:
bezieht er sich auf den Inhalt des Gegenstandes als solchen oder
einzelner Theile desselben, so regt er eine kritische Prüfung des
thatsächlichen Gehalts der durch die vorangegangene Inter-
pretation erschlossenen Erkenntnissobjecte an. Bezieht er sich auf
den Werth des Gegenstandes, so fordert er eine kritische Unter-
suchung seines Werthgehaltes. Jenes ist die niedere, nur der
Vervollkommnung der Interpretation dienende Form der Kritik : wir
können sie deshalb als die hermeneutische Kritik bezeichnen.
Dieses ist die höhere, endgültige Form, wo die Kritik, auf den
inneren Gehalt des erkannten Objectes gerichtet, sich selbst Zweck
ist: wir wollen sie die Werthkritik nennen. Haben aber auch
diese beiden Stufen der kritischen Methode einen verschiedenen mate-
rialen Zweck, so stimmen sie doch formal insofern überein, als
die Scheidung des Richtigen und Falschen und die Entscheidung
darüber, was nach Aussonderung des unechten oder Verwerflichen
als das- Wahre und zu Billigende anzusehen sei, in beiden Fällen
das Wesen der Methode ausmacht. Dem gegenüber ist es nur ein
nebensächlicher Unterschied, wenn bei der hermeneutischen Kritik
das als unecht Verworfene in der Regel für die weitere Untersuchung
keine wesentliche Rolle mehr spielt, während in der Werthkritik
die verworfenen Bestandtheile des untersuchten Objectes nicht weniger
wie die als werthvoll anerkannten bei der Beurtheilung des Ganzen
Beachtung finden. Für die Interpretationen des Philologen und des
Historikers existiren eine als falsch anerkannte Lesart oder ein als
völlig erfunden nachgewiesener Bericht nicht mehr; für die Beur-
theüung eines Kunstwerks sind die durch die Kritik nachgewiesenen
Fehler und Schwächen ebenso bedeutsam wie seine Schönheiten und
Vorzüge.
Hat die Kritik, wie ihr Ursprung aus dem Zweifel andeutet,
Gefühle zu ihrer psychologischen Grundlage, so entspricht es dem,
dass sie in der That in den einzelnen Fällen ihrer Anwendung überall
von Gefühlen der Uebereinstimmung und des Widerspruchs, des
Wahren und Falschen, des Schönen und Hässlichen und andern
Gegensätzen ausgeht — Gefühlen die zugleich im allgemeinen das
Gebiet bezeichnen, dem die Kritik angehört. Diese selbst besteht
aber in den durch solche Gefühle angeregten und die Ergebnisse
vorausgegangener Interpretation zu Hülfe nehmenden logischen
Denkoperationen. Für die letzteren bleibt dabei massgebend,
dass Werthbestimmungen die Gesichtspunkte sind, von denen sie
Kritik. 119
geleitet werden. Die Kritik will ttber die in jenen Gefühlen unvoll-
kommen anticipirten Wertliunterschiede logisciie Sechenschaft geben,
indem sie dieselben auf ihre intellectuellen Motive nrückfUhrt und
auf diesem Wege zugleich die ursprünglichen, bloss gefühlsmftnaigen
Werthbestimmungen berichtigt. Da Werthbestimmungen im eigent^
liehen Sinne bloss geistigen Vorgängen und geistigen Erzeugnissen
zukommen, und auf andere Objecte inmier nur übertragen werden
können, wenn diese zu zwecksetzenden Wesen, also zur geistigen
Welt in der weitesten Bedeutung des Wortes in Beziehung treten,
so gibt sich hierdurch auch die Kritik als eine den Geisteswissen-
schaften specifisch eigenthümliche Methode kund. Die Objecte der
Natur wollen wir erkennen, wie sie sind, oder, falls dies nicht
möglich sein sollte, wie sie von uns begriffen werden können. Bei
den geistigen Objecten wollen wir nicht bloss erkennen wie sie sind,
sondern immer zugleich, ob sie in sich selbst wahr oder falsch, gut
oder schlecht, schön oder h'ässlich sind, mit einem Wort, welcher
Werth ihnen in einem engeren oder weiteren Zusammenhang geistigen
Lebens und geistiger Schöpfungen zukommt.
Hier erhebt sich nun aber eine sachlich wie methodisch be-
sonders für die höhere Kritik entscheidende Frage, deren falsche
Beantwortung zu Zeiten für die Kritik selbst verhängnissvoll ge-
worden ist. Alle Werthbestimmung ist eine Art geistiger Grössen-
messung. Ein Vergleichen nach Gradunterschieden und ein Ein-
reihen der einzelnen Werthe in irgend eine Werthscala ist dabei
unerlässlich. Woher wird aber der Massstab genommen, mit dem
die einzelnen Werthe zu messen sind? Die nächstliegende Antwort
scheint die zu sein, dass dieser Massstab, ähnlich wie bei der räum-
lichen Messung, von aussen an das Object angelegt, also gewissen
allgemeingültigen Regeln des Denkens, Handelns oder künstlerischen
Schaffens oder auch mustergültigen Beispielen, in denen sich jene
Begeln verkörpert haben, enÜehnt werde. Eine solche transcen-
dente, nicht aus dem Gegenstand selbst hervorgehende, sondern
durch die äussere Yergleichung desselben mit Segeln oder Beispielen
gewonnene Kritik kann aber der unendlichen Mannigfaltigkeit des
geistigen Lebens niemals gerecht werden, und sie muss von vorn-
herein auf eine aus dem Gegenstand selbst geschöpfte und deshalb
allein individuell überzeugende Begründung verzichten. An deren
Stelle setzt sie den Zwang einer äusseren Autorität, die entweder
gläubig hingenommen oder deren Beglaubigung wenigstens ausser-
halb des betrachteten Gegenstandes, etwa in einer allgemeinen nor-
120 Allgemeine Grundlagen der GeisteswiBsenschaften.
Diativen Wissenschaft, wie der Logik, EÜiik oder Aeathetik, gesucht
werden soll. Mögen nun auch unter den Eigenschaften geistiger
Objebte manche vorkommen, die wir unter allen umstanden billigen
oder missbilligen, so empfängt doch ein solches ürtheil jedesmal
durch die besonderen Bedingungen des Falls seine eigenthümliche
Färbung und Abstufung, und im allgemeinen wird daher überhaupt
•erst ein kritisches ürtheil möglich, wenn der Gegenstand desselben
in seinem besonderen Zusanunenhang betrachtet wird. Auf alle Fälle
ist aber ein solches aus der eigenen Erkenntniss des Objectes ge-
wonnene ürtheil, das nun auch den Massstab seines Werthes aus
ihm selber und seinen Beziehungen nimmt, das überzeugtere und
überzeugendere, während die blosse Yergleichung mit äusseren Regeln
und Vorbildern eigentlich, um überzeugend zu sein, jedesmal des
Nachweises bedürfte, dass Regel und Vorbild nicht nur selbst richtig,
sondern auch für den besonderen Fall richtig angewandt seien. Qilt
dies doch sogar für Regeln von so unbestreitbarer Allgemeingültig-
keit wie die logischen: der Nachweis, dass ein Gedanke wahr oder
falsch ist, wird stets am einleuchtendsten aus seinem eigenen Zu-
sammenhang geführt werden ; der Hinweis auf die logischen Gesetze,
mit denen er übereinstinmit oder nicht, kann allenfalls nachträglicli
zur Verstärkung dieser üeberzeugung beitragen, nie aber jene innere
Begründung, die zugleich eine Exemplification der allgemeinen Normen
enthält, ersetzen* Dagegen führt die Gewohnheit, die geistigen
Objecte nach äusseren Massstäben zu messen, leicht dazu, dass con-
ventionelle und überlebte Regeln als unverletzbare Gesetze angesehen
werden, mag nun eine solche Regel in Denkgewohnheiten bestehen,
mit denen man neuen wissenschaftlichen Aufschlüssen gegenüber-
tritt, oder in selbstgewählten moralischen oder politischen Stand-
punkten, nach denen man über geschichtliche Ereignisse urtheilt,
oder endlich in ästhetischen Vorschriften, wie der von den drei Ein-
heiten des Dramas, nach denen sich ein Kunstwerk richten soll.
Alle Kritik soll daher eine immanente sein: wie das Verständniss, so
soll auch die Werthbestimmung des Gegenstandes zunächst und vor
^em ihm selber entnommen werden. Normen und Regeln können
als Führer dienen, um die Beurtheilung zu erleichtern; aber auch
diesen Werth haben sie doch nur insoweit, als sie selbst aus muster-
gültigen Beispielen und aus den allgemeinen Gesetzen der mensch-
lichen Natur abstrahirt sind, wie dies unübertrefflich Lessing*)
*) Hamburgische Dramaturgie, 100. bis 104. Stück, Ausg. Lacbmann-
Maltzabn VII, S. 420 ff.
Kritik. 121
an den Regeln dei* Aristotelischen Poetik dargelegt hat. Aber frei-
lich bringt es der allgemeine Zusammenhang der geistigen Objecte,
wie er theils durch jene Gesetze der menschlichen Natur theils
durch die unzähligen inneren Beziehungen des geistigen Lebens in
seinen mannigfachen Aeusserungsformen bedingt ist, nothwendig mit
sicbf dass was einmal als werthToll erwiesen ist, dies in der Regel
auch in andern und yor allem in analogen Fällen sein wird, und
dass der Werth des einzelnen Objectes yon seinen Beziehungen zu
andern gleichfalls mit bestimmten Werthprädicaten versehenen (jegen-
standen abhängt. Darum kann auch die immanente Kritik das be-
trachtete Object nicht von der Fülle jener Beziehungen gelöst denken,
in denen es sich der allgemeinen Entwicklung des geistigen Lebens
einordnet. Li dieser unyermeidlichen Projection des einzelnen Gegen-
standes auf einen allumfassenden geistigen Hintergrund geht daher
naturgemäss die immanente selbst in eine transcendente Kritik über.
Aber es hat doch eine ganz andere Bedeutung, wenn diese aus dem
Verstandniss und der Würdigung des Objectes selbst erwächst, als
wenn sie diesem als ein äusserer Massstab entgegengebracht wird,
bei dessen unveränderlicher Anwendung gerade auf das was für jene
rechtmassige Form einer transcendenten Kritik das werthvoUste ist,
auf die unendliche Mannigfaltigkeit und Entwicklungsfähigkeit der
geistigen Gestaltungen, keine Rücksicht genommen wird.
Da die Kritik sich auf jeder ihrer Stufen auf eine voraus-
gegangene Literpretation gründet, und da ihr eigenes Wesen in einem
von Werthgef&hlen getragenen logischen ünterscheidungsprocesse
besteht, der eine Entscheidung über Werth und Unwerth ermög-
lichen soll, so folgt daraus schon, dass sie in ihrer allgemeinen
Richtung ein der Interpretation entgegengesetztes Verfahren sein
muss. Verknüpft die Interpretation zunächst die Ergebnisse der
vergleichenden Methode, um dann durch psychologische Analyse und
Deduction diese Ergebnisse nach Gründen und Folgen zu ordnen,
so bemächtigt sich die Kritik des so hergestellten logischen Zu-
sammenhangs, um ihn mittelst psychologischer Analyse wieder zu
zerlegen, die durch die Interpretation aufgestellten Beziehungen auf
ihre Gültigkeit und ihren Werth zu prüfen und endlich die so ge-
wonnene Beurtheilung durch die Ausführung vergleichender Beob-
achtungen theils an dem untersuchten Gegenstand selbst theils an
andern die ihm ähnlich sind zu bestätigen. Konnte die Inter-
pretation im ganzen als eine Induction aufgefasst werden, die in
122 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
ihrem Verlaufe HülfsdeductioDen anwendet, so ist demnach der 6e-
sammtcharakter der Kritik der eines deductiven Verfahrens, dem
einzelne Inductionen zu Hülfe kommen. Dabei ist auch hier die
Deduction eine psychologische in dem früher betonten Sinne, in
dem jede psychologische Untersuchung zugleich über die psycho-
physischen und physischen Beziehungen ihrer Objecte Rechenschaft
zu geben hat, da nicht der Mangel dieser Beziehungen, der ja über-
haupt unmöglich, sondern die entscheidende Bedeutung psychischer
Elemente für den Charakter jener Objecte bestimmend ist Dag^en
werden die hinzutretenden Hülfsinductionen durchgängig mittelst der
vergleichenden Methode ausgeführt, und je nach der Beschaffenheit
der Aufgabe wird dabei wieder entweder eine bloss individuelle oder
zugleich eine generische Vergleichung angewendet. Demnach ist
die Kritik auch in der Aufeinanderfolge ihrer einzelnen Stadien eine
ümkehrung der Interpretation. Wie bei dieser, so kann übrigens
bei jener in Folge der Zerlegung einer kritischen Untersuchung in
mehrere Einzelkritiken, des grösseren oder geringeren Umfangs der
auf die psychologische Analyse folgenden Vergleichungen , endlich
der Verbindung mit interpretatorischen Elementen der Verlauf mannig-
fache Abweichungen darbieten. Von solchen besonderen Bedingungen
abgesehen bleibt die allgemeine logische Gesetzmässigkeit des Ver-
fahrens überall die nämliche. Insbesondere gilt dies auch für die
oben unterschiedenen beiden Hauptformen der kritischen Methode.,
die hermeneutische Kritik und die Werthkritik.
Diese logische Gleichartigkeit ist klar zu ersehen, wenn man
die kritische Methode auf den .verschiedenen Stufen ihrer Anwendung
innerhalb einer und derselben Wissenschaft verfolgt. Kaum ist eine
dazu geeigneter als die Geschichte. Einerseits hat in der histori-
schen Quellenkritik die hermeneutische Kritik eine besonders
hohe Ausbildung erreicht; anderseits spielt selbst bei den objectivsten
Historikern in der Würdigung der Motive und Handlungen nament-
lich in der politischen Geschichte und den mit ihr verbundenen Ge-
bieten, wie der Kriegsgeschichte, der praktischen Politik, die Werth-
kritik eine wichtige Rolle. Die Probleme der Quellenkritik werden
sämmtlich bestimmt von dem allgemeinen Zweck, den Werth einer
Quelle für irgend ein durch die geschichtliche Forschung aufzu-
hellendes Gebiet, also für eine interpretatorische Aufgabe zu be-
stimmen. Die Quellenkritik ist demnach ein Beispiel hermeneutischer
Kritik. Um den Werth einer Quelle, ihre Zuverlässigkeit und die
besondere Bedeutung, die ihr für die untersuchten historischen That-
Kritik. 123
Sachen zukommt, beurtheilen zu können, niuss man so viel als mög-
lich über Zeit und Ort ihrer Entstehung, über ihren Autor — sei
es dass dieser noch aus andern Leistungen bekannt ist oder nur aus
der BeschafPenbeit der Quelle selbst nach seiner subjectiyen Zuver-
lässigkeit geschätzt werden soll, — endlich über das äussere und
innere Verbältniss verschiedener Quellen zu einander Rechenschaft
geben können. Darin liegt eine ganze Reihe kritischer Fragen,
deren jede durch psychologische Analyse und durch eine von ihr
geleitete vergleichende Prüfung gelöst werden muss. Der deductive
Charakter jener Analyse verräth sich darin, dass sie stets von all-
gemeingültigen psychologischen Voraussetzungen und von einzelnen
psychologischen oder psychophysischen Erfahrungen ausgeht. So
sind für die Bestimmung des Alters einer als Quelle dienenden
Handschrift die aus sonstigen Thatsachen bekannte Sprache und
Schreibweise der verschiedenen Zeiten zunächst entscheidend; für
die kritische Unterscheidung einer echten Quelle von einer etwa
möglichen Fälschung kommt ausserdem neben manchen äusseren
Merkmalen , die das Alter eines Dokumentes bezeugen , eine Reihe
psychologischer Merkmale in Betracht, durch die sich die Absicht
der Fälschung verrathen kann; vor allem aber ist hier schon der
allgemeine psychologische Grundsatz massgebend, dass eine bloss
nachahmende Thätigkeit, z. B. die Nachahmung einer archaistischen
Sprech- oder Schreibweise oder individueller Eigenthümlichkeiten,
stets von der naiven Unmittelbarkeit eines Originals in kleinen Zügen
abweichen wird, weil sich die eigene Zeit und Individualität des
Autors und nicht selten auch eine in diesen Verhältnissen begründete
Unkenntniss der Thatsachen wider Willen geltend machen. Die so
ausgeftlhrte psychologische Analyse wird dann auf Schritt und Tritt
von der individuellen Vergleichung der sprachlichen Formen, der
Schriftzüge u. s. w. unterstützt: diese sind die inductiven Elemente,
die jener Deduction zu Hülfe kommen. In verwickelterer Gestalt
wiederholt sich der nämliche Gang der Untersuchung bei der kriti-
schen Prüfung der Frage nach dem Yerhältniss verschiedener Quellen
zu einander, also namentlich ihrer relativen Abhängigkeit oder Un-
abhängigkeit und, wenn sich die erstere ergeben sollte, nach ihrem
genealogischen Verhältnisse. Hier wird die Kritik in erster Linie
Ton dem psychologischen Princip der singulären Natur aller zu-
sammengesetzteren psychischen Functionen geleitet, nach welchem
Terschiedene Beobachter den nämlichen Thatbestand weder völlig
übereinstimmend beobachten noch beurtheilen noch auch darstellen
124 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
werden. Dazu kommen dann ausserdem tbeils die oben angedeuteten
für das Alter und die Originalität der einzelnen Quellen charakte-
ristischen Merkmale theils die auf den Inhalt gegründeten Folgerungen,
bei denen überall wieder die hinzutretende individuelle Vergleichung
sowohl der Bestandtheile jeder einzelnen Quelle wie der verschie-
denen Quellen mit einander und mit sonst bekannten Thatsachen
ihre Dienste leistet*).
So weit nun auch von diesen Beispielen hermeneutischer Kritik
auf historischem Gebiete die Werthkritik der Thatsachen ihrem
Inhalte nach entfernt ist, so verwandt ist sie doch in dem logischen
Charakter der Methode. Vor allem gilt dies von jener in der Ge-
schichte überall geübten und darum auch allein allgemein anerkannten
immanenten Kritik, welche die die Ereignisse bestimmenden Hand-
lungen nach den Motiven, die für sie massgebend waren oder mit
Wahrscheinlichkeit als massgebend vorausgesetzt werden können, in
Bezug auf ihre Zweckmässigkeit prüft imd beurtheilt. Diese Art
der Werthkritik ist freilich nicht die einzige, die der Historiker an-
wenden kann. Die endgültige Form historischer Kritik wird viel-
mehr stets in der Untersuchung und Werthbeurtheilung der Motive
selbst, die zur Setzung bestimmter Zwecke geführt haben, und in
der Beantwortung der Frage bestehen, inwiefern die so erstrebten
Zwecke den eine bestimmte Periode kennzeichnenden allgemeinsten
Bestrebungen oder gar allgemeingültigen humanen Forderungen ent-
sprechen oder zuwiderlaufen. Zweifellos können in diesem Sinne
grosse historische Ereignisse und Umwälzungen, wie die Reformation,
die französische Revolution, die Ausscheidung Oesterreichs aus dem
deutschen Reiche und ähnliche, einer Kritik unterzogen werden.
Aber da es schwierig ist für diese die Forderung zu erfüllen, dass
sie eine immanente sei, die Massstäbe der Beurtheilung vielmehr
in der Regel bestimmten von aussen an die Ereignisse heran-
gebrachten politischen, religiösen, ethischen oder allenfalls auch ge-
schichtsphilosophischen Ueberzeugungen entnommen werden, so hat
sich in der Geschichtsforschung selbst mit einem gewissen Recht
die Gewohnheit eingebürgert, nur jene Werthkritik, welche die
historischen Vorgänge auf das Yerhältniss der angewandten Mittel
zu den erstrebten Zwecken prüft und beurtheilt, im eigentlichen
Sinne historische Kritik zu nennen. Jedenfalls ist nun diese Art
*) Vgl. hierzu die eingehende Darstellang' der Methoden der Quellenkritik
bei Bernheim, Lehrbuch der historischen Methode, 2. Aufl., S. 236 ff.
Kritik. 125
der Werthkritik darauf angewiesen immanente Kritik zu sein. Da-
gegen bleibt sie im wesentlichen auf Ereignisse eingeschränkt, die
imt«r dem entscheidenden Einfluss einzelner handelnder Persönlich-
keiten entstanden sind, während sich eine direct auf die Zwecke
selbst und ihren Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwick-
lung gerichtete Werthkritik auch auf allgemeine, nicht oder wenig-
stens nicht bloss aus dem Eingreifen einzelner Persönlichkeiten her-*
vorgegangene Ereignisse und Zustände beziehen kann. Das eigent-
liche Terrain jener beschränkteren historischen Kritik oder, wie wir
sie nach ihrem psychologischen Charakter nennen können, jener
Kritik der Mittel zu gegebenen Zwecken ist daher die poli-
tische Geschichte, und in ihr wieder Tornehmlich die Geschichte
der diplomatischen Verhandlungen, der Staatsyerträge , der Mass-
regeln der Gesetzgebung und Verwaltung, endlich die Geschichte der
kriegerischen Unternehmungen. Unter allen diesen Gebieten ist es
die Kriegsgeschichte, in der die Kritik der Mittel wohl ihre schärfste
Ausbildung gefunden hat und die relativ exacteste Anwendung zu-
lasst. Aus begreiflichen Gründen : einmal sind die erstrebten Zwecke
hier in der Regel unzweideutig gegeben; sodann lassen sich die
möglicher Weise zur Erreichung eines Zweckes anwendbaren Mittel
meist klar übersehen ; und endlich entscheiden die Erfolge selbst in
einer selten misszuverstehenden Weise über die Zweckmässigkeit der
Massregeln. In dieser nachträglichen „Kritik der Thatsachen^ findet
daher die logische Kritik theils, wenn sie vorausgeht, ihre Probe,
theils, wenn sie nachfolgt, ihre Hauptstütze. Nur kann freilich auch
hier wie überall der Erfolg das Urtheil über die Zweckmässigkeit
der Mittel trüben. In allen Fällen entwickelt aber die strategische
and taktische Kritik aus dem vorgestellten Zweck, unter Voraus-
setzung allgemeingültiger psychologischer Motive, die zur Erreichung
desselben erforderlichen Mittel, indem sie zugleich die wirklich ge-
wählten oder, falls es sich um zukünftige Ereignisse handelt, die
vorgeschlagenen Massregeln auf ihre Uebereinstimmung mit jenen
Folgerungen sowie auf die aus ihnen selbst sich ergebenden Folgen
prüft. Hierbei fdhrt dann diese psychologische Deduction zu einer
hülfsweisen Verwerthung der vergleichenden Methode, die, je sorg-
faltiger und gründlicher die Kritik geübt wird, um so mehr in einer
vergleichenden Erwägung aller vorhandenen Möglichkeiten besteht.
Damit diese Erwägung eine hinreichend vielseitige werde, ist daher
die Ergänzung und eventuell die Berichtigung einer individuell ge-^
Qbten Kritik durch andere kritische Standpunkte hier wie auf poli-
126 Allgemeine Grundlagen der Geinteswissenflchaften.
tischem Gebiet ein wichtiges, freilich aber keineswegs ein unfehl-
bares Mittel zur Sicherung der Ergebnisse.
Bedeutsame Anwendungen findet die Werthkritik schliesslich
auf philosophischem Gebiete, wo sie sich in die drei Formen
der ästhetischen, der ethischen und der Erkenntnisskritik
spaltet. Unter ihnen sind die beiden ersteren so alt wie das Nach-
denken über die Kunst und über die sittlichen Begriffe überhaupt;
und wenn auch, mit besonderer Rücksicht auf die von ihm geübte
Kritik des Erkenntnissvermögens, Kant erst seine Philosophie eine
kritische nannte, so ist doch den Erkenntnissproblemen gegen-
über das Verhalten nicht nur der Philosophie, sondern der Wissen-
schaft überhaupt von frühe an im allgemeineren Sinne ein kritisches
gewesen. Denn der Widerstreit der Gegensätze schön und hass-
licb, gut und schlecht, wahr und falsch und das aus diesem Wider-
streit entspringende Schwanken des ürtheils fordert von selbst das
kritische Verhalten heraus. Dabei hat sich die logische Eigen-
thümlichkeit der kritischen Methode mehr als auf einem der andern
dieser Gebiete auf dem der ästhetischen Kritik ausgeprl^.
Vielleicht weil sich hier am frühesten die Forderung durchgesetzt
und trotz mannigfacher Störungen von Seiten der Philosophie im
ganzen auch siegreich behauptet hat, dass das ästhetische Object
selbst und das bei der Anschauung desselben erweckte Gefühl, nicht
aber irgend ein diesem Object transcendenter Gesichtspunkt, etwa
eine von aussen auf dasselbe übertragene philosophische Idee, zum
Ausgangspunkt der Kritik diene, und dass sich daher diese nicht
etwa von metaphysischen Dogmen, sondern ausschliesslich von all-
gemeingültigen psychologischen Motiven leiten lasse. Darum bieten
schon die Rhetorik und Poetik des Aristoteles, mehr als andere
seiner Werke, die Politik nicht ausgenommen, vortreffliche Beispiele
einer immanenten, aus der Natur des Gegenstandes und den all-
gemeinen psychischen Eigenschaften des Menschen deducirenden
Kritik, die als gelegentliches Hülfsmittel die vergleichende Betrach-
tung von Beispielen zu Hülfe nimmt. Vorbildliche Formen, selbst
Kunstwerke und doch zugleich in logischer Beziehung Beispiele von
mustergültiger E^arheit, hat sodann auf dem Gebiet der ästhetischen
Kritik L es sing geliefert. Die logischen Normen der kritischen
Methode lassen sich vielleicht, trotz der ungezwungenen Lebendigkeit
der Form, nirgends besser studiren als an der ^Hambiurgischen
Dramaturgie" und dem „Laokoon''. Die siegreiche Ueberzeugungs-
kraft, die diesen kritischen Erörterungen selbst da innewohnt, wo
Kritik. 127
wir iluiM heute nicht mehr in allen Stücken beipflichten können,
wie in den SiUzen des «Laokoon'" über das Verhältniss der Malerei
zur Poesie, bera^ in erster Linie auf der psychologischen Deduction,
in zweiter auf der RÜle treffender Beispiele, die zur Vergleichung
herbeigezogen werden. Wie schlagend ist z. B. in der Kritik der
Voltaire'schen „Semiramis^ dm Nachweis, dass ein Gespenst, bei
Tage und in einer grossen Yersaimnlung erscheinend, unmöglich
anders als lächerlich wirken könne. Und wie einleuchtend weiss
dann der Kritiker diese psychologische Folgerung durch die Ver*
gleichung des Yoltaire'schen Gespenstes mit den €Mstererscheinungen
bei Shakespeare, vor allem mit dem Geist im Hamlet, n veranschau-
lichen!*) Die hervorragende Bedeutung, die 'bei diesem grossen
kritischen Schriftsteller der psychologischen Analyse zukommt, tritt
besonders auch darin hervor, dass er die aus der Anwendung psycho-
logischer Gesichtspunkte auf den untersuchten Gegenstand gewonnenen
Resultate wieder in die allgemeinere Form psychologischer Erfahrungs-
sätze zu bringen pflegt. Man erinnere sich an die Betrachtungen
über das christliche Trauerspiel, über den Vortrag moralischer Sen-
tenzen, über die Verwendung des Wunderbaren ün Drama und vieles
Aehnliche, — ästhetische Verallgemeinerungen die, auf der Grund-
lage psychologischer Analyse und ästhetischer Vergleichung des
Einzelnen entstanden, deutlich den Weg zeigen, den eine productive
äsäietische Kritik zu gehen hat, wenn sie ästhetische Regeln flnden
wOL Solche Regeln müssen eben einerseits auf die allgemeine psycho-
logische Natur des Menschen, anderseits auf die besondere Beschaffen-
heit und die besonderen Zwecke des ästhetischen Gegenstandes ge-
gründet sein. Sie sind daher Producte, die in diesem Falle der
Werthkritik selbst einen schöpferischen Werth verleihen, weil hier
das Endziel der Ejritik nicht bloss in der WerthbeurtheUung des
Einzelnen, sondern in der Auffindung und Begründung allgemeiner
Principien der Werthbeurtheilung besteht. In diesem Sinne ist eben
die Aesthetik selbst eine auf Kritik gegründete Wissenschaft; und
dasselbe kann oder sollte wenigstens von der Ethik und von der
Philosophie überhaupt gesagt werden.
Indem so die Aufgaben der Kritik umfassendere und selbst im
wissenschaftlichen Sinne schöpferische werden, hängt nun hiermit
zugleich eine Eigenschaft zusammen, die nicht selten gerade auf
*) Hamburgische Dramaturgie, 10. und 11. Stück, Ausg.Lachmann-Maltzahn,
VII, S. 47 ff.
128 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
diesen Gebieten der Kritik zukommt: sie bestellt darin, dass der
Werthkritik des Objectes selbst eine Ejitik der bereits über dasselbe
vorhandenen Urtheile Torangeht. Eine solche Kritik der Mei-
nungen, in die dann immittelbar auch die kritische PrOfang der
vorhandenen Interpretationsversuche verflochten wird, setzt nicht nur
verhältnissmassig leicht in den Besitz der bis dahin gewonnenen
Ergebnisse und Anschauungen, sondern sie zieht überdies einen
grossen Theil ihres Nutzens daraus, dass wir fremden Ansichten
meist unbefangener gegenüberstehen als eigenen, und auf diesem
Wege daher leicht Standpunkte überwinden, die entweder an und
für sich falsch gewählt, weil aus einer einseitigen Betrachtung der
Sache gewonnen sind, oder aber wenigstens nur einen vorbereiten-
den, keinen endgültigen Werth haben. In diesem Sinne hat schon
Plato seine eigenen Lehren aus der Kritik der Meinungen und
Lehren seiner Vorgänger heraus entstehen lassen: der Dialog als
künstlerische Nachahmung des natürlichen Streites der Meinungen
in Rede und Gegenrede bot sich hier von selbst als die angemessene
Form einer solchen Kritik dar. Nicht minder hat dann Aristoteles
den Zugang zum Aufbau seines eigenen Systems überall durch eine
Kritik der vorhandenen Meinungen zu gewinnen gesucht, indem ihn
dabei nach seinen eigenen Aussprüchen die üeberzeugung leitete,
dass man sich zuerst einen üeberblick und ein ürtheil über die
möglicher Weise anzunehmenden Principien zu verschaffen habe,
diese aber im allgemeinen in bestimmten Lehren zum Ausdruck ge-
bracht finde*).
In der Scholastik ist dann diese Methode in ein äusserliches
und schablonenhaftes Verfahren ausgeartet, bei welchem sich zumeist
die eigene Dürftigkeit hinter einem Katalog fremder Meinungen ver-
schanzte. Hieraus ist das in den Geisteswissenschaften mehr als in
andern Gebieten heimische üebel geistloser Gompilation entsprungen,
in der sich die selbstverständliche Forderung, dass für jede wissen-
schaftliche Forschung die Kenntniss des bereite Erkannten nöthig
sei, in die Maxime umgewandelt hat, die Erkenntniss eines Gegen*-
Standes bestehe darin zu wissen, was alle Andern schon über ihn
gewusst haben. So ist es beinahe tragisch zu nennen, dass gerade
die entwickeltete Form der Kritik, die Kritik der Meinungen, in
ihren Auswüchsen der Kritiklosigkeit Vorschub leistet. In Wahr-
heit kann es für die Kritik der Meinungen als Regel g'elten, dass
') Vgl. Physik I, 2. Metaphysik I, 3.
Begriff des Gesetzes in den Geisteswissenschaften. ]29
sie niemals alle überhaupt über den Gegenstand vorhandenen Urtheile
extensiv erschöpfen, dass sie aber um so intensiver in diejenigen
eindringen soll, deren kritische Prüfung eine Förderung des eigenen
kritischen Urtheils verspricht, sei es positiv, durch bereits vor-
handene Ansätze zu einer richtigen Werthbeurtheilung, sei es negativ,
durch die ExempUfication kritischer Verkehrtheiten. Denn auch
die Kritik der Meinungen hat ja als letzten Zweck nur den, den
Werth des Gegenstandes selbst schätzen und verstehen zu lehren.
Die Auseinandersetzung mit einer einzigen kritischen Beurtheilung
von Bedeutung kann hier nützlicher sein als die Durcharbeitung
durch einen ganzen Berg kritischer Dutzendliteratur. Niemand hat
besser als wiederum Lessing die wegweisende Bedeutung einer
solchen hervorgehoben*).
f. Der Begriff des Gesetzes in den Geisteswissenschaften.
Der Begriff des Gesetzes ist ursprünglich der bürgerlichen
Rechtsordnung entnommen, also von einem Gebiet ausgegangen, das
selbst dem Umkreis der Geisteswissenschaften zugehört. Erst die
Naturwissenschaft , die das Wort seit den Anfängen ihrer neueren
Entwicklung aufnahm, hat ihm aber jene umfassendere Bedeutung ge-
geben, in der es gegenwärtig überhaupt auf Sätze angewandt wird,
in denen irgend ein allgemeingültiger Zusammenhang seinen Aus-
druck findet, mag dieser nun der [ßrfahrung entnommen oder auf
dem Wege der mathematischen Abstraction gewonnen sein. Da es
Tomehmlich das Inductionsverfahren ist, durch das solche allgemein-
gültige Sätze gefunden werden, so entsprechen demnach innerhalb
der Erfahrungswissenschaften den verschiedenen Stufen der Induction
zugleich Anwendungen des Begriffs von verschiedenem Umfang und
Inhalt, indem jede Induction zunächst zur Aufstellung concreter
empirischer Gesetze gelangt, dann eine Anzahl solcher zu allge-
meinen Erfahrungsgesetzen vereinigt, um schliesslich mit causalen
Oesetzen zu endigen, die als besondere Anwendungen des allgemeinen
Causalprincips angesehen werden können. (Abschn. I, S. 26 ff.)
*) Freüich hat selbst Lessing das grösste Hinderniss der Kritik, den
Antoritätsglanben, nicht völlig überwunden. Aristoteles gilt ihm als ein so zu-
Terlissiger Zeuge der Wahrheit, dass dessen Autorität unverkennbar seine eigene
Untersuchung beeinflusst. Hier trägt eben auch Lessing die Spuren seiner Zeit,
die es vor allem als ihren Beruf empfand, einen falschen durch einen echten
Claasidsmus zu überwinden.
Wnftdt, Logik, n, 2 9. Aufl. 9
130 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
XTuvermeidlich musste nun der so durch die Naturwissenschaft ver-
änderte Begriff auf die Geisteswissenschaften zurückwirken, in denen
nicht minder das Bedürfniss entstand, die durch die Interpretation
und ihre Hülfsmethoden gewonnenen Sätze einem allgemeinen Begriff
unterzuordnen, für den sich, da ihm im wesentUchen die nämlichen
Merkmale zukommen, von selbst auch die gleiche Bezeichnung dar-
bot. Oleich wohl sind dieser üebertragung Schwierigkeiten entgegen-
getreten, die noch heute nicht ganz überwunden zu sein scheinen.
Solche mussten sich in der That nicht bloss aus der Verschiedenheit
der Methoden, sondern auch daraus ergeben, dass die Causalität
des Geschehens in beiden Fällen eine wesentlich verschiedene Gestalt
annimmt. Ausserdem ist aber auf die Behandlung der Frage, in
welchem Umfange die Geisteswissenschaften von dem Begriff des
Gesetzes Gebrauch machen sollen, offenbar der Umstand von Einfluss
gewesen, dass den Bearbeitern dieses Gebietes jene ursprüngliche
Bedeutung des Gesetzes, nach der dasselbe eine von besonderen Zwangs-
ordnungen umgebene Norm ist, noch allzu lebendig vorschwebt und
sie sich daher versucht fühlen, davon so viel als möglich auch in
den neuen Begriff hinüberzuretten. Dies Streben ist um so begreif-
licher, als hier nicht, wie in so manchen andern Fällen, die alte
Bedeutung von der neuen verdrängt wurde, sondern auf ihrem Ge-
biete noch unverändert neben jener fortbesteht.
Bei der Beurtheilung solcher Bedenken ist es nun beachtens-
werth, dass die Naturwissenschaft keineswegs mit einem Male dem
Begriff des Gesetzes sein heutiges Gepräge gegeben hat. Vielmehr
lässt die Entwicklung desselben im Laufe der drei Jahrhunderte,
die seit dem Beginne jener Üebertragung verflossen sind, im allge-
meinen drei Stadien unterscheiden. In dem ersten ist auch das
Naturgesetz noch der Willensausdruck eines Gesetzgebers, in diesem
Fall des höchsten Gesetzgebers, der die ganze Naturordnung ein-
gerichtet hat. Darum gelten einem Descartes und Newton mit
ihren Zeitgenossen nur diejenigen allgemeinen Sätze als ^Gesetze''
(Leges naturae), die sich aus andern nicht ableiten lassen und darin
ihren unmittelbaren Ursprung aus dem göttlichen Willen verrathen.
In diesem Sinne ist das Gesetz dem mathematischen Axiom gleich-
geordnet. Wie das „Axioma** eine allgemeine, nicht aus weiteren
Voraussetzungen abzuleitende Norm des Seins nach den drei Daseins-
weisen des Raumes, der Zeit und der Zahl, so bezeichnet die
„Lex" eine ursprüngliche Norm des Geschehens in der Natur, eine
Kegel, die sich, wie Leibniz sagt, selbst nur teleologisch, aus den
Begriff des Gesetzes in den Geisteswissenschaften. 131
Absichten des Schöpfers, nicht mechanisch erklären lässt, aus der
dann aber alle einzelnen Regeln mechanisch mit mathematischer
Notwendigkeit abgeleitet werden können*). Darum werden nun
auch solche untergeordnete Regeln entweder als ^Erscheinungen*^
— 80 yon Newton die Kepler^schen Gesetze — oder aber überein-
stimmend mit den abgeleiteten Lehrsätzen der Mathematik als
, Theoreme'' bezeichnet. In dem zweiten Stadium, das etwa um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt, erweitert sich der Begriff
in doppelter Richtung: theils breitet er sich über die abstracten
Wissenschaften, die Logik und Mathematik, aus, indem man von
Zahl-, Raum- und allgemeinen Denkgesetzen zu reden beginnt, theils
wird er auf alle die naturwissenschaftlichen Sätze übertragen, die
irgendwie einen principiellen Charakter besitzen, insofern sie Anwen-
dungen des allgemeinen Causalprincips sind, denen andere Sätze oder
einzelne Erfahrungen subsumirt werden können. Nicht der axioma-
tische Werth, sondern die Allgemeinheit der Anwendung und die
causale Bedeutung ist es daher, die nunmehr noch das Gesetz unter-
scheidet. In gleichem Masse verschwindet die Zurückführung auf
eine unmittelbare göttliche Anordnung und tritt an ihre Stelle der
Gedanke an die Wirkung allgemeiner Naturkräfte: als Gesetz gilt
Qun jedes einzelne Princip der Naturcausalität, das als allgemeine
Regel eine grössere Anzahl einzelner Formen des Geschehens um-
fasst. Yon hier aus macht sich nun sehr bald der Drang fühlbar,
noch einen weiteren Schritt zu thun. Nicht jede Regel, die sich
als einheitlicher Ausdruck für eine Menge einzelner Erscheinungen
geben lässt, enthält auch schon eine causale Beziehung. Da diese
stets eine Aussage über die Existenz und Wirkungsweise bestimmter
Xaturkräfte in sich schliesst, so ist sie yon Voraussetzungen über
das materielle Substrat der Naturerscheinungen und dessen Eigen-
schaften abhängig, die sich erst aus einer umfassenden Yergleichung
mannigfacher gesetzmässiger Zusammenhänge gewinnen lassen. Lange
bevor es möglich ist, dieses Ziel zu erreichen, wird jedoch das Be-
düriniss fühlbar, die einzelnen Regelmässigkeiten, die die Grund-
lagen solcher causaler Verknüpfungen bilden, festzuhalten. So ist,
als letztes Stadium dieser Eutwicklung, der seit dem Anfang unseres
Jahrhunderts eine wachsende Bedeutung gewinnende Begriff des
.empirischen Gesetzes^ entstanden, bei dem der Zusatz empirisch
*) Leibniz, Princip. quoddam generale etc. Math. Schriften, heraus-
gegeben Ton Gerhardt. U, 2, p. 134» und an anderen Stellen seiner Abband-
losgen zar Dynamik.
132 Allgemeine Grundlagen der Geisteswifisenschaften.
nickt etwa in dem^Sinne einen Gegensatz zu dem Begriff des causalen
Gesetzes bezeichnet, als wenn dieses nicht auch empirischen Ur-
sprungs wäre, sondern wo jenes Attribut nur andeuten soll, dass
ein solches Gesetz bloss eine empirische Regel sei, die nicht auf
die allgemeinen Voraussetzungen über die Naturcausalität zurück-
geführt werden könne. Im Zusammenhange damit hat das zu-
nehmende Bedürfniss nach kurzer Unterscheidung der zahlreichen
so entstandenen empirischen Gesetze zu der Gewohnheit geführt,
€inem jeden derartigen Gesetze als einfaches Erkennungszeichen den
Namen des Forschers beizulegen, der es zuerst nachgewiesen. So
spricht man in der Elektricitätslehre vom Ohm'schen, Ampere^schen,
Weber'schen Gesetze u. s. w. Auch auf die Naturgesetze von
causaler Bedeutung hat dann diese Sitte übergegriffen: wir reden
nicht bloss von den Keple raschen Gesetzen, die in der That bloss
den Charakter „empirischer Gesetze" im engeren Sinn besitzen, son-
dern auch von dem Newton^schen Gesetz, dem Galilei^schen Träg-
heitsgesetz u. dergl. Ausdrücke wie Grimms Gesetz der Laut-
verschiebung, Malthus' Bevölkerungsgesetz, Comtes Gesetz der drei
Stadien und ähnliche zeigen, wie die nämliche Gewohnheit bereits
auf die Geisteswissenschaften übergreift. Die beiden letzten Bei-
spiele beweisen freilich zugleich, wie gerade hier die Grenze zwi-
schen Gesetz und Hypothese nicht immer eingehalten wird. Die
Benennung nach dem Urheber kann ja zu dieser letzten Erweiterung
leicht Anlass geben, weil nun die Verantwortung für die Wahrheit
des hypothetisch aufgestellten Gesetzes gewissermassen dem Urheber
zugeschrieben wird*).
Sehen wir von dieser Ausdehnung auf hypothetische Sätze
von mehr oder minder problematischem Werthe ab, so hat nun
zweifellos die allmähliche Erweiterung des Begriffs, wie sie hier im
Laufe der Zeit innerhalb der Naturforschung eingetreten ist, ihre
gute Berechtigung, ja sie erscheint als eine in der Entwicklung des
Oausalprincips selbst begründete; daher es denn auch heute völlig
unmöglich sein würde die wissenschaftliche Ausdrucksweise wieder
auf jene Stufe zurückzuschrauben, wo man die grosse Mehrzahl der
*) Vgl. meinen Aufsatz: «Wer ist l'der Gesetzgeber der Naturgesetze?*
Phil. Stud. lil, S. 498 ff. Die Antwort auf diese Frage wird hier im Hinblick
auf die oben kurz angedeutete Entwicklung des Begriffs in dem Satz zusammen-
gefasst (a. a. 0. S. 496): ,Im siebzehnten Jahrhundert gibt Gott die Natur-
gesetze, im achtzehnten thut es die Natur selbst, im neunzehnten besorgen es
die einzelnen Naturforscher.*
Begriff des Gesetzes in den Geisteswissenschaften. 133
heute unterschiedenen «Gesetze* noch als „Theoreme", „Regeln''
oder gar „Erscheinungen" bezeichnete. Denn alle diese Ausdrücke
haben heute andere Bedeutungen angenommen, da sie nach anderen
Richtungen an dem nämlichen Differenzirungsprocess theilnahmen,
aus dem der Begriff des Gesetzes in seiner gegenwärtigen Ausdehnung
hervorging. Augenscheinlich sind es nämlich drei Merkmale, die
sich in dem Begriff des Gesetzes nunmehr vereinigen, und die sich
in dieser Verbindung in keinem jener sonst verwandten Begriffe
wiederfinden. Ueberall bezeichnet das Gesetz 1) einen regelmässigen
Zusammenhang logisch selbständiger Thatsachen. Nie
also kann eine einzelne Thatsache oder der Zusammenhang einer
Eigenschaft mit dem Gegenstand dem sie zukommt, eines Zustandes
mit seinem Träger u. dergl. , kurz irgend eine Verbindung zweier
Denkinhalte, von denen der eine gar nicht ohne den andern gedacht
werden kann, auf die Bedeutung eines Gesetzes Anspinich erheben.
Demnach sind Sätze wie die, dass der Mensch 12 Brustwirbel hat,
oder dass durchschnittlich in Europa der Mann 168, das Weib
158 cm gross, oder dass die Blattstellung der Pflanzen spiralförmig
angeordnet ist, an und fUr sich noch keine Gesetze, wenn sie auch
manchmal missbräuchlich so genannt werden. Sie sind constante
Eigenschaften von Individuen oder von typischen Durchschnitts-
formen, die in Gesetze eingehen können, sobald sie mit andern That-
sachen, die zu ihnen direct oder indirect in causaler Beziehung
stehen, verbunden werden: so z. B. die Blattstellung mit dem
Wachsthum der Pflanze oder, indem man diese bloss empirische auf
eine causale Beziehung zurückzuführen sucht, mit den mechanischen
Wirkungen der Wachsthumsspannungen. Sodann muss 2) der Zu-
sammenhang, auf den der Begriff des Gesetzes Anwendung finden
soll, entweder direct oder indirect auf ein causales oder
auf ein logisches Verhältniss hinweisen; und zwar ist dies
Verhältniss ausschliesslich ein causales im Bereich der Erfahrungs-
wissenschaften, ein logisches in den abstract logischen Gebieten,
also in der Logik selbst und in der Mathematik. In diesen letzteren
ist zugleich der Hinweis auf den das Gesetz begründenden logischen
Zusammenhang im allgemeinen stets ein directer. In den Erfahrungs-
Wissenschaften dagegen findet das zu Grunde liegende causale Ver-
hältniss nur in den eigentlich causalen Gesetzen einen Ausdruck,
nicht in den im engeren Sinne sogenannten „empirischen Gesetzen *".
Hier beruht vielmehr die in dem Gesetz ausgedrückte Regelmässig-
keit auf einem causalen Verhältniss, das nicht zwischen den beiden
134 Allgemeine Grundlagen der Geisteswissenschaften.
in das Gesetz selbst eingehenden und in die äussere Form einer
causalen Abhängigkeit gebrachten Gliedern stattfindet, sondern das
entweder eines dieser Glieder oder beide mit irgend welchen im
Hintergründe bleibenden causalen Factoren verbindet. Hierbei macht
es keinen principiellen Unterschied, ob die jener bloss empirischen
Regelmässigkeit zu Grunde liegende causale Beziehung bereits be-
kannt ist oder nicht. So lange nur überhaupt mit Sicherheit er-
wartet werden kann, dass der beobachtete regelmässige Zusammen-
hang auf einem Causalverhältniss beruht, ist auch der Ausdruck
„empirisches Gesetz" auf ihn anwendbar, und begreiflicher Weise
empfängt daher dieser Ausdruck seine vorzugsweise Bedeutung gerade
von den Fällen, in denen sich die causalen Verbindungen selbst
nicht direct angeben lassen. Ein Zusammenhang dagegen, der weder
direct noch indirect auf eine Causalität zurückzuführen, und bei dem
sogar die Vermuthung einer solchen durch die Natur der Sache
ausgeschlossen ist, fallt nicht in das Gebiet des Gesetzesbegriffs.
So bilden zwei Erscheinungen, die sich regelmässig in einem be-
stimmten räumlichen oder zeitlichen Verhältniss zu einander dar-
bieten, wie z. B. zwei beliebige von einander unabhängige Fix-
sterne, zwei beliebige Perioden der Weltgeschichte, an und für sich
noch nicht den Inhalt eines empirischen Gesetzes. Endlich muss
3) jedem Gesetz ein heuristischer Werth für die Subsumtion
neuer Thatsacheu zukommen: das Gesetz soll nicht bloss zusammen-
fassen was tbatsächlich gegeben ist, sondern es soll auch die ent-
sprechende Zusammenfassung künftig zu beobachtender Thatsachen
ermöglichen. Begründen die beiden ersten Bedingungen die theo-
retische Möglichkeit des Gesetzes, so beruht auf dieser dritten sein
praktischer Erkenntniss werth. Manche Sätze würden wir, wenn
wir sie bloss nach jenen theoretischen Erfordernissen beurtheilten,
nicht anstehen dürfen empirische Gesetze zu nennen; aber wir ver-
sagen ihnen doch diesen Namen, weil sie einer heuristischen Be-
deutung ermangeln. So ist es im Sinne jener ersten Bedingungen
ein Gesetz, dass der Mensch der Nahrung bedarf, um zu leben.
Aber so wichtig diese Regel für unsere Lebensführung sein mag,
zu unserer wissenschaftlichen Erkenntniss trägt sie in dieser der
allgemeinen Erfahrung entnommenen Form zu wenig bei, als dass
wir sie unter die wissenschaftlichen Gesetzesforraulirungen werden
aufnehmen wollen. Diese Bedingung des heuristischen Werthes
bewirkt es, dass manche \regelmässige Beziehungen von Erschei-
nungen erst dann zum Rang anerkannter Gesetze erhoben werden,
Begriff des Gesetzes in den Greisteswissenschaften. 135
wenn sie zugleich die Bedeutung causaler Gesetze gewinnen. Eine
unmittelbare Folge der nämlichen Bedingung ist es ferner, dass
wir einen singulären Zusammenhang von Ereignissen, auch wenn
zweifellos die Glieder desselben ein directes causales Yerhältniss
bilden, niemals mit dem Namen eines Gesetzes belegen. So ist
ein einzelner Meteorsteinfall, der Tod eines einzelnen Menschen
AD einer unvermeidlich wirkenden Krankheitsursache, kurz jeder
Zusammenhang, der, mag er auch in seinen einzelnen Bestandtheilen
noch so sehr gesetzmässig begründet sein, doch in der bestimmten
Combination dieser Bestandtheile Tereinzelt bleibt, ausgeschlossen
Tom BegrifF des Gesetzes. Auf ein singuläres Ereigniss sind viele
Oesetze, empirische wie causale, anwendbar, um es in seinen einzelnen
Theilen begreiflich zu machen: es selbst aber kann nicht den In-
halt eines Gesetzes bilden. Denn so weit sich auch dieser Be-
griff von seinem Ausgangspunkte entfernt hat, das eine Merk-
mal ist ihm geblieben, dass das Gesetz eine Norm ist, nach der
wir eine Vielheit einzelner thatsächlicher Zusammenhänge beurtheilen.
In diesem Merkmal liegt die Bedingung, dass jedes Gesetz einen
heuristischen Werih gegenüber künftigen Erfahrungen, also eine
generelle Bedeutung beansprucht. Wird demnach auch der Be-
griff des Gesetzes seinem allgemeinen Umfange nach bestimmt durch
den der causalen Verbindung, da jedes Gesetz direct oder indirect auf
eine solche zurückweisen muss, so decken sich doch beide Begriffe
keineswegs, und zur Aufstellung von Gesetzen sind in Folge dessen
Bedingungen erforderlich, die nicht in jeder Wissenschaft in gleicher
Weise erfüllt sind. Namentlich ist es klar, dass in Gebieten, die
es vorzugsweise mit singulären Erscheinungen zu thun haben, oder
aach mit solchen, bei denen erst die in der wirklichen Erfahrung
nie anzutreffenden abstracten Bestandtheile der Erscheinungen eine
generelle Bedeutung besitzen, der Begriff des Gesetzes eine andere
Stellung einnehmen muss als in jenen, deren unmittelbare Objecte
allgemeingültige Erscheinungen sind.
Den mannigfachen Einwänden, die von vielen Vertretern der
Geisteswissenschaften gegen den Begriff des Gesetzes überhaupt und
namentlich des , empirischen Gesetzes^, wie ihn die Naturwissenschaft
anwendet, sowie gegen die üebertragung desselben auf das geistige
Gebiet, auf Geschichte und Gesellschaft, gemacht wurden, liegt nun,
wie ich glaube, durchgängig insofern ein Missverständniss zu Grunde,
ab diese Forscher die oben hervorgehobenen Merkmale nicht zu-
reichend beachtet haben. Meist ist man der Meinung, als das einzige
136 Allgemeine Grundlagen der Geisteewissenschafben.
logische Kriterium des empirischen Gesetzes werde von der Natur-
wissenschaft irgend ein regelmässiger Zusammenhang gefordert. Es
mag sein, dass da und dort irriger Weise auf solche Art das em-
pirische Gesetz definirt worden ist. Aber thatsächlich hat die Natur-
forschung den Begriff niemals in dieser Ausdehnung angewandt,
sondern, abgesehen von den oben angeführten Vermengungen mit
der Hypothese, die ja immerhin als ein im Denken anticipirtes,.
darum aber auch freilich der Gewissheit entbehrendes Gesetz an-
gesehen werden kann, stets an den drei Merkmalen der Ver-
knüpfung selbständig zu denkender Thatsachen, des directen oder
indirecten causalen Verhältnisses, sowie des heuristischen Werttfes
und der damit unmittelbar verbundenen generellen Bedeutung des
Gesetzes festgehalten. Die Einwände, die gegen den Begriff des
Gesetzes gemacht werden, richten sich daher durchgängig nur gegen
jene falsche Definition desselben und gegen Beispiele, die niemals oder
doch höchstens nur in Folge vorübergehender Begriffsvermengungen
mit dem Namen von Gesetzen belegt worden sind *). Freilich muss
aber zugestanden werden, dass die Anwendungen, die zuweilen int
Gebiet der Sociologie und vor allem der Geschichte von dem Begriff
des Gesetzes gemacht wurden, solche Einwände einigermassen recht-
fertigen oder doch entschuldigen. Nur zeigt die nähere Prüfung
derartiger statistischer oder historischer Gesetzesformulirungen, dass
sie durchweg den wesentlichen Kriterien des Begriffs nicht ent-
sprechen. Bald beziehen sich diese «Gesetze'' auf gewisse generische
Eigenschaften von Gegenständen, bald auf äussere Zusammenhänge^
für die sich weder ein directes noch ein indirectes causales Verhalt-
niss wahrscheinlich machen lässt, oder die mindestens keinen heuristi-
schen Werth besitzen, bald auf Verallgemeinerungen von durchaus
hypothetischem Charakter, bald endlich auf bloss singulare Zusammen-
*) Vgl. z. B. G. Rümelin, Ueber den Begriff eines socialen Gesetzes,
Reden und Aufsätze (1869), S. 1 ff. Noch skeptischer steht derselbe Verf. der
Uebertragung des Begriffs auf die Geisteswissenschaften in einem späteren
Aufsatze gegenüber: üeber Gesetze der Geschichte (1876), ebend. II, S. 118 ff»
Uebrigens ist das namentlich in der ersten Abhandluog Rümelins hervor-
tretende Bestreben den Begriff des Gesetzes überhaupt in einer Weise zu
beschränken, die seine Anwendung auf die Geisteswissenschaften von solchen
Bedenken befreien soll, noch weit verbreitet bei Schrifbstellem über Sociologie
und Geschichtsphilosophie. In der Regel sucht man diese Einschränkung da-
durch zu erreichen, dass man bloss directe causale Regelmässigkeiten als
»Gesetze* anerkennt: so G. Simmel, Die Probleme der Geschichtsphilosophie^
Leipzig 1892, S. 34.
Begriff des GesetseB in den Geisteswissenschaften. 137
hänge'*'). Nicht nach solchen verfehlten Beispielen oder nach un-
zureichenden logischen Definitionen, sondern allein nach den-
jenigen Anwendungen des Begriffs, die durch ihre
Fruchtbarkeit sich selbst rechtfertigen, hat sich aber unser
Urtheil zu richten. Hier treffen nun nicht nur stets die obigen drei
Merkmale zu, sondern es ist auch unzweifelhaft, dass den unter
solchen Bedingungen gewonnenen empirischen Gesetzen ebenso gut
ein wissenschaftlicher Werth zukommt wie den causalen. Erstens
Tennitteln sie die Zusammenfassung einer, wenn auch nur indirect,
auf ein causales Verfaältniss zurückzuführenden regelmässigen Ver-
bindung von Erscheinungen, und sie erleichtem so die logische
Einordnung aller ähnlichen, derselben Gesetzmässigkeit folgenden
Erscheinungen. Zweitens bereiten sie das causale Yerständniss der
in der Formel zusammengefassten Thatsachen vor, indem sie die
Vergleichung mit andern verwandten Zusammenhängen sowie Ver-
suche einer Ableitung aus den allgemeinen für das in Frage stehende
Erscheinungsgebiet vorauszusetzenden Bedingungen herausfordern.
Unschwer lassen sich auch im Bereich der Geisteswissenschaften
Gesetze finden, die diesen Ansprüchen genügen. Freilich wird man
gut thun, sich dabei zunächst nicht an Gebiete zu wenden, in denen
die obigen Forderungen wegen der überwiegenden Bedeutung singu-
larer ursächlicher Verbindungen besonderen Schwierigkeiten begeg-
nen, sondern an solche, wo im selben Sinne wie in der Natur-
wissenschaft causale oder empirische Gesetze in anerkannter Geltung
stehen. Derartige Gebiete sind z. B. die Sprachwissenschaft auf
der einen, die abstracte Wirthschaftstheorie auf der andern Seite.
Jene kennt eine Anzahl von Gesetzen des Laut-, zum Theil auch
des Bedeutungswandels, die durchgängig den Charakter rein em-
pirischer Gesetze besitzen ; diese stellt für die wichtigsten Zusammen-
liänge der Factoren des wirthschaftlichen Verkehrs, wie Preis, An-
gebot und Nachfrage, Einkommen, Capitalisirung und Credit all-
gemeine Gesetze fest, die, wenn sie auch in dem wirklichen Verkehr
der Menschen selten rein in der von der Theorie geforderten Weise
zutreffen, doch zweifellos insoweit gelten, als die gemachten Voraus-
setzungen gültig sind, und die, wie schon ihre deductive Entstehung
lehrt, jedenfalls causale Gesetze sein müssen. Nun dürften schwer-
hch diese beiden Wissenschaften die von ihnen gefundenen Gesetze
*) Specielleres über die historischen und die socialen Gesetze vgl. unten
in Cap. III und IV.
138 Allgemeine GruDdlagen der Geisteswissenschaften.
missen wollen. Auch hat sich ein Widerspruch gegen diese Gesetze
immer nur gegen ihre unrechtmässige Ausdehnung oder gegen die etwa
vorhandene Meinung gerichtet, dass neben ihnen nicht noch andere
gelten könnten, die ihre Wirkungen kreuzen. Natürlich kann hierin
ebenso wenig wie in irgend welchen sonstigen Eigenschaften ein
Grund gesucht werden, sie nicht als Gesetze in analogem Sinne wie
die Naturgesetze gelten zu lassen. Sie beziehen sich nicht auf
singulare, sondern auf generelle Erscheinungen, sie beruhen zweifel-
los auf causalen Verhältnissen, und sie bewähren neuen Erfahrungen
gegenüber fortwährend ihren heuristischen Werth. Wollte man
einwenden, hier handle es sich doch um Gebiete, die selbst halb
und halb noch der Naturwissenschaft angehörten, weil die Sprache
und namentlich der Sprachlaut zunächst eine physiologische Function
sei, und weil sich der wirthschaftliche Verkehr auf materielle Dinge
beziehe und auf materiellen Bedürfnissen beruhe, so lässt sich darauf
auch hier antworten, dass es reine Geisteswissenschaften in dem
bei diesem Einwand vorausgesetzten Sinne überhaupt nicht gibt —
nicht einmal die Psychologie ist eine solche — und dass die psycho-
physischen Wechselbeziehungen bei Sprache und Verkehr schliess-
lich weder qualitativ noch quantitativ andere sind als etwa bei einer
Sinneswahmehmung oder einem geschichtlichen Ereigniss. Mag auch
der Sprachlaut physiologisch entstehen, die Sprache selbst und damit
alles was sie zusammensetzt beruht jedenfalls auf psychischen Motiven ;
und mag es die Wirthschaft nur mit materiellen Bedürfnissen und
Gütern zu thun haben, das Bedürfniss selbst ist ein psychischer
Vorgang, und zum Gut wird ein Object nur vermöge einer psychi-
schen Werthbestimmung. Aber auch dagegen, dass auf diesen Ge-
bieten nur solche Begelmässigkeiten, die direct irgend ein psychisches
oder mindestens psychophysisches Causalverhältniss enthalten, ein
Anrecht auf den Namen von Gesetzen erheben können, sprechen
entschieden die der Sprachwissenschaft zu entnehmenden Beispiele.
Das so genannte Grimmische Gesetz der indogermanischen Laut-
verschiebung ist ein rein empirisches, ganz von der Art etwa wie
die Kepler'schen Gesetze bloss empirische Gesetze waren, ehe
Newton ihre causale Begründung auffand. Wir können zwar mit
Sicherheit annehmen, dass die Lautgesetze schliesslich auf irgend
welchen psychischen Bedingungen beruhen; so wie es uns heute
vorliegt, ist aber das Grimmische Gesetz ein rein empirisches, das
eine Fülle lautlicher Veränderungen in einen Ausdruck zusammen-
fasst, der dieselben nicht in ihrer Abhängigkeit von ihren noch
Begriff des Gesetzes in den Geisteswissenschaften. 139
unbekannten wirklichen Ursachen, sondern in ihrer Abhängigkeit
Ton der Zeit und der Nationalität darstellt. Da die letztere als
räumlich bestimmt angesehen werden kann, so wird also hier,
ganz ebenso wie in den empirischen Gesetzen der Naturwissen-
schaft, an Stelle einer causalen eine solche Beziehung eingeführt,
bei der die zu erklärende Erscheinung bloss als eine Function der
Coordinaten des Raumes und der Zeit dargestellt ist. Dieser Functions-
ausdruck verdient aber mit demselben Rechte wie irgend ein em-
pirisches Gesetz der Naturwissenschaft den Namen eines Gesetzes.
An heuristischer Kraft ist er jedenfalls vielen derselben weit über-
legen. So zeigt dieses Beispiel, wie wenig auch in logischer Be-
ziehung die Forderung gerechtfertigt ist, dass ein Gesetz directer
Ausdruck eines causalen Verhältnisses sei. Ja die Erfahrung lehrt,
dass Gesetze, bei denen wir dem ursächlichen Verhältniss, sei es
weil es noch unbekannt ist, sei es weil wir absichtlich von ihm
keinen Gebrauch machen wollen, ein äusseres räumlich-zeitliches
Functionsverhältniss substituiren , für die Anwendung überall die
fruchtbarsten sind. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich das
empirische Gesetz auf die direct in die Erfahrung eintretenden
Wirkungen beschränkt, während das causale dazu immer etwas
nicht-empirisches, in diesem Sinne also hypothetisches hinzufügt.
Objectiv nachweisen können wir daher im allgemeinen nur das
empirische Gesetz, welches der in die räumlich-zeitliche Functions-
form tungewandelte Ausdruck eines causalen Gesetzes ist, nicht
dieses selbst. Darum bedient sich die Astronomie bei der Bestim-
mung der Planetenbahnen noch heute der Eeple raschen Gesetze,
nicht des Newton'schen; und ebenso würde die Sprachwissenschaft
auch dann, wenn uns einmal die ursächlichen Bedingungen des
indogermanischen Lautwandels vollständig bekannt sein sollten,
zweifellos fortfahren, von dem Grimm'schen Gesetz in seiner heutigen
rein empirischen und darum allein objectiv an den sprachlichen
Erscheinungen selbst nachweisbaren Gestalt Gebrauch zu machen.
Bei den Erörterungen über den Gesetzesbegriff hat nun aber
meist noch ein weiteres Bedenken eine wichtige Rolle gespielt. Es
gründet sich auf den auf geistigem Gebiet überall vorhandenen Ein-
fluss der Freiheit des Handelns, der eine unveränderte Ueber-
tragung jenes Begriffs von der Natur auf das geistige Leben in
jeder Form, sowohl in der des empirischen wie in der des causalen
Gesetzes, verbieten soll. In Folge dieses Einflusses stehen, wie
man sagt, alle Regelmässigkeiten der geistigen Welt unter der
140- Allgemeine Grundlagen der Geieteswissenschafben.
Voraussetzung, dass es «keine Regel ohne Ausnahme"^ gibt. Das
bilde aber einen wesentlichen Unterschied von der Natur, in der
jedes Gesetz yermöge der Strenge dei^ Naturcausalität den Anspruch
auf ausnahmslose Geltung erheben könne. Die so genannten geistigen
Gesetze sollen demnach nur zu den , Regeln", nicht zu den , Ge-
setzen*^ zu rechnen sein. Für das logische Verhältniss dieses Stand-
punktes zu dem entgegengesetzten, der den Begriff des Gesetzes in
seiner vollen Strenge auch auf das geistige Gebiet übertragen möchte,
ist ein Streit, der innerhalb der Sprachwissenschaft über die Frage
der „Ausnahmslosigkeit" der Lautgesetze geführt wurde, überaus
bezeichnend*). Während man auf der einen Seite energisch für
eine solche Ausnahmslosigkeit eintrat, wurde auf der andern geltend
gemacht, dass den regelmässigen Formen des Lautwechsels andere
gegenüberstehen, bei denen die Veränderungen im Widerspruch mit
der allgemeinen Regel erfolgen, und dass speciell das Moment
individueller Willkür, dem sich die Sprache als eine geistige
Schöpfung nicht entziehen könne, vielfach solche Abweichungen ver-
schulde.
Hier ist nun von vornherein der eigentliche Streitpunkt nicht
zutreffend bezeichnet worden, wenn man ihn in der Frage nach der
ausnahmslosen Geltung der Gesetze sah. Eine solche wurde eigent-
lich von keiner Seite behauptet. Dass die Geltung eines Gesetzes
eingeschränkt oder aufgehoben werden kann, ist eine Voraussetzung,
die wir bei den Naturgesetzen ebenso gut wie bei den Lautgesetzen
und andern Gesetzen der Sprache oder sonstiger geistiger Schöpfungen
machen. Nur von einem Gesetz nehmen wir an, dass es wirklich
ausnahmslos gelte, weil ohne diese Annahme jede Erforschung der
Bedingungen der Erscheinungen gegenstandslos sein würde: das ist
das Gausalgesetz selbst. Aber dieses ist eben darum kein empiri-
sches Gesetz, weder in dem engeren Sinne, in dem ein solches bloss
eine empirische Regelmässigkeit enthält, noch auch in dem weiteren,
in dem alle Verknüpfungen, die direct in ein causales Verhältniss
gebracht werden, einen empirischen Inhalt haben müssen. Denn das
*) Zu diesem Streit vgl. namentlich Osthoff und Brugmann, Morpho-
logische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen. I,
Vorwort, S. XIII. G. Curtius, Zur Kritik der neuesten Sprachforschung.
Leipzig 1885. B rüg mann, Zum heutigen Stand der Sprachwissenschaft. Frei-
burg i. Br. 1885. Hugo Schuchardt, üeber die Lautgesetze. Berlin 1885.
Femer meinen Aufsatz: üeber den Begriff des Gesetzes mit Rücksicht auf die
Frage der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze. Phil. Stud. III (1886), S. 195 ff.
Begiiif des Gesetzes in den Geisteswissenschaften. 141
Causalgesetz hat keinen empirischen Inhalt, sondern es spricht nur
die logische Forderung aus, dass es Gesetze gibt, und dass alle Er-
scheinungen solchen unterworfen sind. (Vgl. Bd. I, S. 606 ff.) Da-
mit schliesst es aber natürlich nicht aus, dass die einzelnen Gesetze,
in denen direct oder indirect die durchgängige Gausalität der Er-
scheinungen ihren Ausdruck findet, gelegentlich mit einander in
Wecliselwirkungen treten können, in Folge deren innerhalb einer
und derselben Erscheinungsgruppe von zwei möglicher Weise zu
erwartenden Gesetzen bald das eine bald das andere, bald auch ein
aus ihnen zusammengesetztes complezeres Gesetz wirksam wird. In
der That hatte man nur in diesem Sinne die ^^Ausnahmslosigkeit**
der Lautgesetze verstanden. Man wollte damit ausdrücken, dass,
wenn z. B. irgend einmal ein Lautwandel im Germanischen nicht
nach dem Grimmischen Gesetze erfolgt sein sollte, daran die causale
Wirksamkeit irgend eines andern Gesetzes, wie des Gesetzes der
Association ähnlicher oder verwandter Formen (die so genannte Ana-
logie), die Schuld trage. Näher betrachtet war nun das auch die
Meinung Derer, die gegen die Gleichstellung der Lautgesetze mit
Naturgesetzen Einspruch erhoben: auch sie meinten, dass die Falle
eines so genannten , sporadischen' Lautwandels immer auf bestimmte,
nur wechselndere Ursachen zurückzuführen seien; und selbst wer
individuellen Einflüssen hier einen gewissen Spielraum zugestand,
wollte damit doch nicht behaupten, dass solche Einflüsse im psycho-
logischen Sinne ursachlos seien. Wird aber dies zugegeben, so fällt
jeder Ghrund hinweg, zwischen den Naturgesetzen und solchen regel-
mässigen Beziehungen, wie sie z. B. der Lautwandel oder der Auf-
bau der Wortformen und die syntaktischen Erscheinungen darbieten,
eine Scheidewand zu errichten. Denn auch unter den Naturgesetzen
gelten alle, die irgend eine Beziehung empirischer Erscheinungen
enthalten, nicht ausnahmslos, sondern nur so lange und in dem
Masse, als die Bedingungen zutreffen, unter denen sie aus Beobach-
tungen oder allgemeineren Sätzen abgeleitet worden sind. So gelten
selbst die Eeple raschen Gesetze nur unter der Voraussetzung, dass
das Verhältniss zwischen tangentialer Geschwindigkeit und centri-
petaler Beschleunigung der Planeten nicht über oder unter gewissen
Grenzwerthen liegt, und als nicht in merklicher Weise äussere Stö-
rungen stattfinden. Ausnahmslos gelten nur jene Naturgesetze, die
sich, ähnlich wie das Causalgesetz selbst, nicht auf bestimmte Er-
scheinungen, sondern auf die Gesammtheit der Naturerscheinungen
beziehen, und für die es eben aus diesem Grunde eine Interferenz
142 Allgemeine Grundlagen der Oeisteswissenschaften.
yerschiedener Gesetze, welche die Gültigkeit des einzelnen aufhebt,
gar nicht geben kann, wie z. B. das Tr'ägheitsgesetz , das Gesetz
der Zusammensetzung der Kräfte, der Erhaltung der Energie u. dergl.
Aber gerade Sätze dieser Art haben vielmehr den Charakter ab-
stracter logischer Voraussetzungen, die wir der Erklärung der Er-
scheinungen zu Grunde legen, als den von Gesetzen, die den Er-
scheinungen direct entnommen sind, so dass f&r sie meist der Aus-
druck „Axiome" oder „Principien" vorgezogen wird. Indem sie
Gesetze sind, die ausnahmslos gelten, sind sie zugleich solche,
die unmittelbar an keiner einzelnen Erscheinung beobachtet werden
können, also immer einen hypothetischen Charakter besitzen. In
dieser Beziehimg stehen sie in vollem Gegensatz zu den direct der
Beobachtung entnommenen ., empirischen Gesetzen ''. Für diese sowie
für die causalen Gesetze mit empirischem Inhalt gilt nicht eine
Ausnahmslosigkeit des in dem Gesetze zum Ausdruck kommenden
Effectes, sondern nur eine solche der ursächlichenBedingungen,
auf denen jener Effect beruht. Ob der Effect diesen Bedingungen
entspricht, das hängt dagegen von der Concurrenz mit den etwa
sonst noch vorhandenen Ursachen ab.
Hier besteht nun aber allerdings zwischen den Naturgesetzen
und den Gesetzen, welche die Entstehung geistiger Erzeugnisse be-
herrschen, ein Unterschied, der mit den Eigenthündichkeiten physi-
scher und psychischer Causalität auf das engste zusammenhängt. Die
Bedingungen, durch deren Wechselwirkung die Geltung irgend eines
einzelnen Naturgesetzes beschränkt oder aufgehoben werden kann,
besitzen nämlich einen generellen Charakter. Ein Naturgesetz gilt
daher ausnahmslos, insoweit es nicht durch die Geltung anderer
Naturgesetze beschränkt wird. Auf geistigem Gebiet kann dagegen
die Wirkung von Gesetzen nicht bloss durch andere Gesetze, sondern
auch durch singulare Ereignisse gestört oder aufgehoben werden.
Solche singulare Ereignisse sind aber selbst wieder causal be-
gründet und daher im letzten Grunde ebenfalls auf Gesetze zurück-
zuführen: ihre Ursachen sind regelmässig psychologische Motive,
ihre Gesetze also die allgemeinen psychologischen Gesetze. Wenn
z. B. ein einzelner Schriftsteller ein Wort anders gestaltet, als es
nach den regelmässigen Gesetzen der Sprache geschehen sollte, und
wenn er dann durch sein Beispiel die sprechende Gemeinschaft be-
einflusst, so werden ihn dazu stets irgend welche Motive veranlassen,
und diese Motive werden wieder die Wirkungen psychologischer Ge-
setze sein. Aber in der Art wie diese Gesetze zusammenwirken und
Begriff des Gesetzes in den Geisteswissenschaften. 143
die einzelne Handlung erzeugen, ist das Ereigniss selbst ein singuläres;
es bat sich genau in der Form und mit den Wirkungen, in denen
es sich in diesem einzelnen Fall vollzieht, nie und nirgends ander-
wärts zugetragen. Die Bedeutung, die den singulären Ereignissen
auf geistigem Gebiet zukommt, beruht demnach darauf, dass in der
menschlichen Persönlichkeit Handlungen entstehen, die zwar Wir-
kungen allgemeiner Gesetze sind, selbst aber wegen ihrer singulären
Natur nicht zu Gesetzen verallgemeinert werden können, weil eine
solche Verallgemeinerung stets Gleichförmigkeit des Geschehens vor-
aussetzt. Ein Gesetz auf geistigem Gebiete gilt also, soweit es nicht
durch die Geltung anderer Gesetze oder durch die Causalitat singulärer
geistiger Ereignisse beschränkt wird. Hierbei sind aber die letzteren
ebenso wenig ursachlose oder zufällige Erscheinungen wie die That-
sachen, die wir ihrer generellen Natur wegen auf Gesetze zurück-
fähren. Die Causalitat des Geschehens bleibt daher von dem vor-
Uegenden Unterschied unberührt. Dieser bezieht sich nur auf die
allgemeine Möglichkeit, für die einzelnen Erfahrungsgebiete empirische
Gesetze von specifischem Inhalte aufzustellen. Diese Möglichkeit
ist natürlich eine um so beschränktere, je weiter der Spielraum der
singulären Einflüsse ist. Da aber die letzteren stets auf die un-
mittelbare Wirkung psychologischer Gesetze zurückgeführt werden
können, so bedeutet dies, dass im selben Masse, in welchem die
singulären Einflüsse vorherrschen, an die Stelle der Zurückführung
der Erscheinungen auf bestimmte Gesetze die directe psycho-
logische Interpretation tritt. So operirt z. B. die Sprachwissen-
schaft zunächst mit specifischen Sprachgesetzen, die Geschichte da-
gegen durchgängig mit psychologischen Motiven. Dort liefern offen-
bar die singulären Einflüsse einen relativ geringen, hier den weit
überwiegenden Beitrag zu den causalen Elementen des Geschehens.
In der Mitte zwischen beiden Extremen liegen dann solche Fälle,
wo zwar für die einzelne Erscheinung die singulären Einflüsse über-
wiegen, diese aber bei einer Sammlung zahlreicher gleichartiger
Beobachtungen relativ zurücktreten. Hier können dann bestimmte
empirische Gesetze nicht unmittelbar aus der vergleichenden Be-
trachtimg der Erscheinungen, sondern erst auf Grund umfangreicherer
statistischer Erhebungen gewonnen werden.
Der eigenste Zweck der statistischen Methode ist diese
Elimination der singulären Einflüsse. Die Statistik ist in der Regel
überflüssig, wenn die allgemeine Gesetzmässigkeit schon in den
einzelnen Erscheinungen hinreichend deutlich hervortritt, wie z. B. bei
144 Allgemeine Grundlagen der Geisteswiasenschafben.
den Gesetzen der Sprache; sie ist gegenstandslos, wenn die singulären
Einflüsse absolut überwiegen, wie bei den historischen Ereignissen^
bei denen zwar gewisse allgemeine Bedingungen, wie Bevölkerungs-
und Wirthschaftszustände, nicht aber die historischen Vorginge selbst
einer statistischen Untersuchung zugänglich sind. Sie findet dagegen
ihre erfolgreichste Anwendung, wenn, wie bei den socialen Massen-
erscheinungen, eine Menge singulärer Einflüsse, die in verschiedenen
Richtungen wirken, und eine kleine Anzahl relativ constant bleiben-
der Gesetze sich durchkreuzen.
Auf die Regebnässigkeiten, welche die Statistik feststellt, findet
nun der Begriff des „empirischen Gesetzes '^ genau unter den näm-
lichen Bedingungen Anwendung, die für den Begriff des Gesetzes
überhaupt gelten. Eine statistische Regelmässigkeit ist ein Gesetz,
sobald die drei Merkmale der Verbindung logisch selbständiger That-
sachen, der möglichen Rückbeziehung auf ein causales Verhältniss und
des heuristischen Werthes zutreffen (S. 133 f.); sie ist kein Gesetz,
wenn eines jener Merkmale fehlt. Dass z. B. in einer Bevölkerung
die Zahl der Verbrechen nicht nur im ganzen annähernd constant
bleibt, sondern dass auch in der Frequenz der einzelnen Verbrechens-
formen ein regelmässiges Verhältniss besteht, ist kein Gesetz, sondern
eine Eigenschaft oder eine Zustandsbestimmung der betreffenden Ge-
sellschaft, gerade so gut wie es eine Eigenschaft des individuellen
Menschen ist 12 Brustwirbel zu haben. Wenn dagegen die Statistik
nachweist, dass die Frequenz der Verbrechen einer bestimmten Art
oder der Selbstmorde oder anderer Handlungen von Monat zu Monat
Schwankungen zeigt, die alljährlich in der nämlichen Weise wieder-
kehren, so hat eine solche Regelmässigkeit den vollen Anspruch auf
den Namen eines empirischen Gesetzes: die Veränderungen der Zeit
und die der statistischen Ziffern sind logisch selbständige Thatsachen;
das Verhältniss beider zu einander ist eine empirische Function, die
auf eine causale Abhängigkeit hinweist; und endlich fehlt diesem
Verhältniss keineswegs der heuristische Werth.
Freilich gelten auch die statistischen Gesetze nur so lange, als
die Ursachen auf denen sie beruhen wirklich constant bleiben, — eine
Bedingung; die bei der Wandelbarkeit der socialen Erscheinungen
immer nur zwischen engeren Raum- und Zeitgrenzen erfiillt sein kann.
Dabei ist aber zu beachten, dass jene Gesetze ihren Werth gerade
dieser Beschränkung verdanken, durch die sie sich von den meisten
Naturgesetzen unterscheiden. Indem sie nämlich nur innerhalb der
bestimmten Grenzen gelten, für die sie gefunden wurden, lassen
Begriff des Gleises in den GeisteswiMenschaften. 145
solche Gesetze, die ftlr verschiedene Territorien und Perioden auf-
gestellt werden, Vergleichungen zu, deren Ergebnisse in ethnologi-
scher, historischer oder auch in wirthschafblicher und politischer Be-
ziehung von hohem Interesse sein können.
Da allgemeine Regeln überall nur durch eine Yergleichung
vieler einzelner Fälle gleicher Art unter übereinstimmenden Be-
dingungen gefunden werden, so liegt stets die Anwendung der
vergleichenden Methode der Auffindung von Gesetzen zu
Grunde. Zugleich spielt in den Geisteswissenschaften diese Methode,
namentlich in der Form der generischen Yergleichung, eine noch
bedeutsamere Rolle als in der Naturforschung, wo die grössere
Oonstanz und Gleichförmigkeit der Erscheinungen und die umfassen-
dere Verwendung des experimentellen Verfahrens ofb eine wesent-
liche Abkürzung des vergleichenden Verfahrens gestattet. Die Stufen
der Entwicklung der Gesetze bleiben aber dort wie hier die näm-
Uchen: zunächst werden einzelne empirische Gesetze gewonnen, aus
diesen allgemeine Erfahrungsgesetze, und zuletzt, in Folge der
ZurückfÜhrung auf die causalen Bedingungen, causale Gesetze. (Vgl.
Abschn. I, S. 26.) So bildet jeder einzelne Lautwandel im Germani-
schen ein einzelnes empirisches Gesetz; Grimms Gesetz der Laut-
verschiebungen fasst dann für eine Reihe verwandter Erscheinungen
eine Anzahl solcher empirischer Eiuzelgesetze in einen gemeinsamen
Ausdruck zusammen: es hat also den Charakter eines allgemeinen
Erfahrungsgesetzes. In ein causales würde es übergeführt sein, wenn
es möglich wäre, in seinen Inhalt direct die psychophysischen Be-
dingungen aufzunehmen, aus denen die Erscheinungen entspringen.
Während demnach sowohl die einzelnen empirischen Gesetze
wie die allgemeinen Erfahrungsgesetze in den Gebieten der Natur-
und der Geisteswissenschaften darin übereinstimmen, dass sie that-
sächlich gegebene Beziehungen enthalten, tritt dagegen in den
causalen Gesetzen ein wesentlicher unterschied hervor: diese führen
innerhalb der Naturforschung stets auf allgemeine Voraussetzungen
über die Wirksamkeit des Substrats der Erscheinungen, in den Geistes-
wissenschaften auf allgemeine psychologische Gesetze zurück.
Dies letztere Ergebniss kann daher nun' auch als ein allgemeines
Merkmal für den Charakter der Gesetze benutzt werden : ein empiri-
sches Gesetz fällt in den Umkreis der Geisteswissenschaften, sobald
die Beschaffenheit der Erscheinungen uns zwingt, dasselbe als Aus-
druck einer noch unbekannten psychologischen Gesetzmässigkeit an-
W und t, Logik. II, 8. 2. Anfl. IQ
146 Allgemeine Grundlagen der Oeisteswutenschaften.
zusehen; fUr ein causales Qesetz ist erforderlich, dass es eine solche^
(Gesetzmässigkeit unmittelbar enthalt. Da nun die Kraft- und Energie*
gesetze stets quantitatiTer Art sind, die psychologischen (Gesetze da-
gegen im allgemeinen qualitative Beziehungen ausdrücken, so
folgt daraus der weitere äussere unterschied: Jedes Naturgesetz,
findet seinen ezacten Ausdruck in einer Gausalgleichung, oder^
sofern es ein rein empirisches Gesetz ist, in einer quantitativen
räumlich-zeitlichen Functionsbeziehung; jedes Gesetz auf geistigem
Gebiete aber enthält ein qualitatives Abhängigkeitsverhältniss, das,
sobald das Gesetz zu einem causalen wird, den (Charakter eines-
psychologischen Motivs annimmf^). Dies schliesst nicht aus,
dass auch hier quantitative Factoren in die Gesetze eingehen; doch
besitzen sie nur insofern eine Bedeutung, als sie den Grad der in
dem Gesetz ausgedrückten Abhäng^keitsbeziehungen oder die Fre-
quenz der beobachteten Erscheinungen abzumessen gestatten, indess-
das Hauptgewicht stets auf dem qualitativen Charakter der Er-
scheinungen und ihrer Abhängigkeit ruht. Schon bei den empiri-
schen Gesetzen pflegt diese qualitative Natur der geistigen Gesetze
klar ausgeprägt zu sein, so dass darin im allgemeinen ein Hinwei»
auf eine im Hintergrund stehende psychische Causalität liegt. Sa
enthalten die Lautgesetze als geschichtliche Vorgänge, die an be-
stimmte Territorien gebunden sind, selbstverständlich auch räumlich-
zeitliche Abhängigkeitsverhältnisse, die irgendwie quantitativ be-
stimmt werden können; aber das Wesentliche bei ihnen sind doch
die qualitativen Veränderungen der Laute und in letzter Instanz die
psychischen und psychophysischen Bedingungen, aus denen diese Ver-
änderungen entsprungen sind. Darum lässt sich ein Gesetz wie da»
Grimmische weder jetzt in die Form einer Gausalgleichung bringen,
noch wird dies jemals der Fall sein. Der ursprüngliche Zustand
der Laute im Indogermanischen und der spätere im Germanischen
sind qualitativ verschieden, und zwischen diesen qualitativen Unter-
schieden lässt sich ein quantitatives Aequivalenzverhältniss in keiner
Weise finden. Aehnlich verhält es sich mit den moralstatistischen
Gesetzen. Wenn sich z. B. innerhalb eines bestimmten Länder-
gebietes die statistische Begelmässigkeit herausstellt, dass die Zahl
der Verbrechen gegen das Eigenthum in den Sommermonaten ab-
und in den Wintermonaten zunimmt, und dass die Verbrechen gegen
*) Vgl. zu dem Obigen die Ausführungen über die Naturgesetze Ab-
schnitt III, S. 326 ff., 447 ff.
Begriff des GeseUes in den Geisteswissenschaften. 147
die Person die entgegengesetzte Bewegung zeigen, so mögen die
Zahlen, die dieses Gesetz belegen, f&r die Schätzung des Orades der
Eradieiniuigen selbst wie der naheliegenden psychischen und psycho-
physischen Motive die sie bestimmen yon einigem Werthe sein, —
das Hauptinteresse liegt aber doch in der qualitatiTen Bedeutung
der Thatsachen. Das hindert nicht, dass auch hier in gewissen
nUlen eine ex acte Formulirung von Gesetzen wünschenswerth sein
kann. Immerhin ist es bezeichnend, dass solche ezacte Betrach-
tungen nur in den zwei Fällen einen wissenschaftlichen Werth
gewinnen, die dem complexen Zusammenhang des wirklichen Ge-
schehens am fernsten stehen: erstens in der Psychologie, bei der
Untersuchung der Qualiföts- und Intensitatsgrade einfachster psychi-
scher Zustände, wie der Empfindungen, und sodann in der abstracten
Theorie gewisser socialer Erscheinungen, wie des wirthschaftlichen
Güterrerkehrs. In beiden Fällen wird die Subsumtion unter quanti-
tatiTe Gesichtspunkte durch eine weitgehende Abstraction von dem
wirklichen Zusaknmenhang des psychischen Geschehens ermöglicht,
an dessen Stelle man eigentlich ein einfaches, nie in der Wirklich-
keit vorkommendes Schema dieses Geschehens treten lässt.
Von diesem wesentlichen Unterschiede abgesehen, der eine
nothwendige Folge der verschiedenen Ghrundlegung beider Gebiete
ist, verhalten sich die causalen Gesetze der Geistes- und der Natur-
wissenschaften darin ähnlich, dass dort wie hier der ausdrückliche
ffinweis auf die causalen Bedingungen in der Regel unterbleibt,
weil vorausgesetzt werden darf, dass diese stillschweigend von Jedem
hinzugedacht werden. Dennoch ist die Art dieser Unterdrückung
in beiden Fällen wieder eine charakteristisch verschiedene. Die
Causalgleichungen der Naturwissenschaft enthalten unmittelbar nur
eine Relation zwischen gewissen intensiven und extensiven Ghrössen:
in diese Relation eine Causalität hineinzudeuten bleibt der nachträg-
Kchen Interpretation der Gleichungen überlassen, wo dann meist
schon in der Art, wie wir die Gleichungen in Worten ausdrücken,
eine solche Deutung lieg^. Bei den causalen Gesetzen der Geistes-
wissenschaften, die durchgängig ihres qualitativen Charakters wegen
überhaupt nur in Worten ausgedrückt werden können, unterbleibt die
Ausf&hrung der causalen Bedingungen deshalb, weil diese gar nicht
in dem knappen Ausdruck eines einzigen Satzes festgehalten werden
kömiten, sondern eine eingehendere Motivirung verlangen. Auf diese
Weise kommt es, dass hier meist causale und rein empirische Ge-
setze nicht im unmittelbaren Ausdruck, sondern nur entweder an
148 Allgemeine Grundlagen der Geisteswiasenschafben.
den Nebengedanken, die Jeder sofort damit verbindet, oder aber an
den nachträglich beigefügten Erläuterungen zu unterschäden sind.
So werden wir geneigt sein, den oben erwähnten moralstatistisch^n
Satz von der relativen Verschiebung der Eigenthumsvergehen und
der Vergehen gegen die Person im Sommer und Winter sofort als
ein Gesetz von causaler Bedeutung aufzufassen, da es nahe liegt an
die Ursachen zu denken, die den Menschen in der einen. Jahreszeit
mehr zu der einen, in der andern mehr zu der andern Kategorie
rechtswidriger Handlungen antreiben. Aber so einleuchtend dies
ist, so umständlich würde es sein, alle jene Bedingungen einzeln
aufzuführen, und einen wissenschaftlichen Werth würde eine solche
Aufzählung dann erst erhalten, wenn eine zureichende Scheidung der
Einflüsse möglich sein sollte, um allenfalls auch statistisch die
Wirkung derselben sondern zu können. Aehnlich verhält es sich
mit dem zuweilen ausgesprochenen politischen Oesetz, dass das natür-
liche Ende der entarteten Demokratie der Cäsarismus sei*). Auch
dieses Oesetz ist sicherlich kein bloss empirisches: dazu würden der
Fälle, aus denen es abstrahirt werden kann, viel zu wenige sein.
Als Oesetz glaubt man offenbar den Satz nur deshalb ansprechen
zu dürfen, weil die psychologischen Motive, die eine zügellose Volks-
menge einem absoluten Despoten in die Arme führen. Jedem hin-
reichend bekannt sind. Diese Gründe einigermassen erschöpfend an-
zugeben, würde aber eine umfassende und schwierige Aufgabe sein.
Man lässt also dem Oesetz seinen empirischen Ausdruck, um die
causale Bedeutung stillschweigend hinzuzudenken.
Doch nicht bloss ununterscheidbar im Ausdruck sind in der
Regel die causalen Gesetze der Geisteswissenschaften von den empiri-
schen, sondern — was zunächst befremden könnte — an Gesetzes-
werth sind jene im allgemeinen diesen untergeordnet. Unter dem
„Gesetzes werth" verstehe ich hier nicht den Werth überhaupt, son-
dern den besonderen Werth, den ein allgemeiner Satz iheils durch
seine AUgemeingültigkeit, theils durch seine heuristische Kraft neuen
Erfahrungen gegenüber beanspruchen kann. Hier ist offenbar ein
rein empirisches Gesetz, wie z. B. das der Lautverschiebungen, von
der grössten Bedeutung. Nicht bloss führt es eine Fülle ^nzelner
Erscheinungen auf eine einheitliche Regel zurück, sondern es ge-
stattet auch mit grosser Sicherheit Rückschlüsse zu machen auf die
etymologische Verwandtschaft äusserlich verschiedener wie nicht
♦) Röscher, Politik. 2. Aufl. Stuttgart 1893, S. 588 ff.
Begriff de» Gesetasefl in den. Greistesvissenscfaaften, 149
miBder manclunaL auf den abweichenden Ursprung, äujs^^lißb äli9-
licher Wortformen stammverwandter Sprachen; ja es. hat meist einen.
besonderen Werth gerade in. den Fällen, wo gewisse Erscheinungen
mcht mii ihm übereinstimmeni da solche Ausnahmen zur Entdeckung
intorcurrirender Gesetze verhelfen.. Das ist z. B. der Ursprung des
so genannten Verner^schen Gesetzes, das eine Anzahl von Fällen,
die der Grimmischen Lautverschiebung widerstreiten, zusammenfasst,
indem es die Art der eintretenden Verschiebung bei bestimmten
Yersehlusslauten von der Lage des Accentes abhängig macht. Auch
dieses besondere Gesetz erweist dann wieder darin seinen heuristi-
schen Werth, dass, nachdem es einmal festgestellt ist, nunmehr
umgekehrt mit sein^ Hülfe Bückschlüsse auf die zur Zeit der Laut-
verschiebung bestandenen Betonungsverhältnisse gemacht werden
koanen*). Vergleicht man nun mit diesen Gesetzen solche wie
etwa das oben erwähnte von dem Uebergang der absoluten Demo-
kratie in den Cäsarismus oder das Comt ersehe Gesetz der drei
Stadien^), so springt die ungünstigere Stellung dieser causalen
Gesetze in die Augen. Es ist klar, dass der Gäsarismus zwar eine
begreifliche, aber doch keineswegs eine so unbedingt nothwendige
Folge einer entarteten Demokratie ist, dass wir uns unterfangen
konnten, diesen Uebergang für jeden einzelnen Fall vorauszusagen.
Vielmehr wird man doch wohl im Hinblick auf Zustände, wie sie
etwa in modemer Zeit in Nordamerika, namentUch vor dem grossen
Bürgerkrieg, oder auch in der Schweiz vorgekommen sind, zugeben
müssen, dass auch noch andere Wandlungen, wie z. B. die innere
üeberwindung der politischen Schäden durch den verstärkten Ein-
ftoss besserer Elemente oder den Anschluss kleinerer entarteter Demo-
kratien an grössere Gemeinwesen, möglich sind. Von dem Gomte-
ächen Gesetz aber, nach welchem die allgemeine Entwicklung der
Cultur die drei Stadien der Herrschaft der theologischen, der meta*
physischen und der positiven Ideen durchlaufen soll, muss gesagt
werden, dass es, wie die meisten andern geschichtsphilosophischen
Gesetze, vielmehr eine auf Ghrund allgemeiner psychologischer Er-
wägungen zu Stande gekommene Abstraction als ein Erfahrungs-
gesetz ist. Wahr ist an diesem Gesetze im ganzen, dass in der
allgemeinen Entwicklung des menschlichen Denkens mythologische
Vorstellungen den metaphysischen Deutungen des Weltproblems vor-
♦) Kuhns Zeitßchr. f. vgl. Sprachwisaensch. XXIII, S. 97 ff.
**) Comte, Coure de Philosophie positive, I, Le9. I.
150 Aligemeiiie Grundlagen der (ieisteswissenschaften.
ausgegangen sind, und dass sich aus diesen wieder aHmählich die
positive Einzelforschung entwickelt hat. Weder hat aber das mit
etwas schiefem Ausdruck von Comte so genannte „theologische^
Stadium aufgehört, als das metaphysische anfing, noch hat es bis
jetzt den Anschein, als wenn jemals beide ganz und gar einer
X positiven *" d. h. sowohl religions- wie metaphysiklosen Stufe Platz
machen wollten. Das Gesetz kann also schon um deswillen kein
empirisches sein, weil es zum Theil in eine Zukunft hinausgreift,
die noch gar nicht Gegenstand der Erfahrung ist. Wenn trotzdem
ein richtiger Kern in ihm liegen sollte, so gründet sich daher der
Glaube daran weniger auf objective Erfahrungen als eben auf jene
allgemeinen psychologischen Erwägungen, ohne die Comte wahr-
scheinlich niemals zu seiner Aufstellung gelangt wäre*).
Der tiefere Ghrund dieses geringeren Gesetzeswerthes, der durch-
weg hier den causalen gegenüber den rein empirischen Gesetzen
wenigstens gegenwärtig noch zukommt, liegt zweifellos in der grossen
Bedeutung, welche die vergleichende Methode als Hülfsmittel für
die Feststellung allgemeiner Regelmässigkeiten innerhalb der Geistes-
wissenschafken hat. In der Naturforschung gestattet das experi-
mentelle Verfahren namentlich in den einfacheren Gebieten die Auf-
findung von Gesetzen, ohne dass diese in der Regel einer umfassenden
Sanmilung einzelner Beobachtungen bedürfen. In den Geisteswissen-
schaften dagegen, die mit Ausnahme der Psychologie der experi-
mentellen Methode unzugänglich sind, kann nur eine umfassende
Vergleichung entscheiden, ob ein gegebener Zusammenhang wirk-
lich auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen darf oder nicht. Nur in
den Fällen, wo ein solcher ohne weiteres uns als ein psychologisch
motivirter erscheint, werden wir unter Umständen schon auf wenige
Beobachtungen hin geneigt sein ihn als einen gesetzmässigen anzu-
erkennen. Dies sind aber gerade die Falle, wo das Gesetz durch
seinen psychologischen Inhalt zugleich einen causalen Charakter an-
nimmt.
*) Vgl. hierzu die AusfQhranges über die histoi-ischen und die socialen
Gesetze in Cap. III und lY.
Allgemeine. Richtungen der Psychologie. 151
Zweites Gapitel.
Die Logik der Psychologie.
1. Die allgemeinen Richtungen der Psychologie.
Später als alle andern Geisteswissenschaften hat sich die Psycho-
logie Yon der Philosophie abgezweigt, und mehr als in andern übt
heute noch in ihr der uralte Streit philosophischer Weltanschauungen
seine Wirkungen aus*). Innerhalb der Philosophie war es aber
wieder die Naturphilosophie, mit der von frQhe an die Psycho-
logie in engster Verbindung stand. Die älteste psychologische Rich-
tung ist daher eine naiv materialistische. Die Seele ist ihr ein
Princip, das, alle LebensYorgänge beherrschend, gleich dem lebenden
Körper eine materielle Substanz ist. Doch neben dieser Anschauung
kommt bald noch eine andere zu entscheidender Geltung: sie ent-
springt der üeberzeugung, dass die intellectuellen Leistungen alle
sonstigen Lebensäusserungen an Werth überragen, und dass sie,
wenn auch an das sinnliche Dasein gebunden, doch im letzten Gründe
ein selbständiges, von der Vergänglichkeit des Sinnlichen unberührt
bleibendes Lebensgebiet seien. Pia tos energischer Geist brachte
jene beiden einander widerstrebenden Gedankenkreise in die engste
Verbindung, indem er gerade daraus, dass die Seele Lebensprincip
sei^ ihre ün Vergänglichkeit ableitete, und Aristoteles endlich ver-
mittelte zwischen den nämlichen Gegensätzen durch die Idee der
Entwicklung: im Lichte dieser Idee erschien ihm der thätige Geist
als das Lebensprincip im höchsten und eigentlichen Sinne, weil das
Intellectuelle der letzte Zweck sei, dem sich die niederen und ver-
gänglichen Lebenszwecke unterordnen. So gelangt durch den Ein-
fluss dieser Denker eine neue, die intellectualistische Richtung
zum üebei^ewicht, wenn aucli die Spuren der von ihnen über-
wundenen materialistischen Ansicht noch deutlich ihren psycho-
logischen Systemen anhaften. Endgültig vollzog sich die Trennung
«rst, als die Aristotelische Naturphilosophie gestürzt war und nun
-die an ihrer Stelle sich erhebende neuere mechanische Weltanschauung
•) Vgl. oben Cap. I, S. 1.
152 Logik der PQrchologie.
die körperliche Natur ganz für sich allein forderte, um davon auch
die sinnlichen Lebensvorgänge nicht auszunehmen. So zerfiel wa»
jene alten Philosophen kunstvoll verknüpft hatten wieder in seine
Bestandtheile, und die beiden Richtungen der materialistischen
und der intellectualistischen Psychologie gewannen die
ihnen in der neueren Wissenschaft eigenthümlichen Gestaltungen.
Aber unvermeidlich musste der zweiten dieser Denkweisen neben den
Bestrebungen, die darauf ausgingen die Psychologie in mechanische
Naturwissenschaft aufzulösen^ noch ein zweiter, dem eigenen Boden
psychologischer Betrachtung entstammender Gegner erwachsen, sobald
sich die Erwägung geltend machte, dass bei jener Voranstellung des
Intellectuellen als des specifisch Geistigen andere psychische Vor-
gänge nicht zu dem ihnen gebührenden Rechte gelangten. Vor allem
der Wille mit der ihm aufs engste verbundenen Welt der Gefühle
musste schon durch die Bedeutung, die er sich in der neueren Ethik
errungen, auch für die psychologische Betrachtung in den Vorder-
grund treten. So ist als eine dritte Richtung die voluntaristische
entstanden'*').
Materialismus, Intellectualismus und Voluntarismus sind die
einzigen Richtungen, die bis jetzt einen Einfluss auf die Entwicklung
der Psychologie zu gewinnen vermochten, und es ist daher wahr-
scheinlich, dass sie auch die einzigen bleiben werden. In der That
dürfte das schon daraus folgen, dass diese Richtungen auf einer
doppelten Alternative beruhen, zwischen der jedesmal ein Drittes
*) Den Ausdruck «Voluntarifmus' entnehme ich dem trefflichen Buch
Fr. Paulsens: Einleitung in die Philosophie. Berlin 1892, S. 116 ff. Er wird
von Paulsen mehr auf die Anschauungen Üher das metaphysische Wesen der
Seele als auf die Richtungen der psychologischen Forschung angewandt. Bei-
der obigen Unterscheidung soll jedoch von metaphysischen Voraussetzungen
zunächst ganz abgesehen und der Name bloss nach dem Satze ,a potiori fit deno-
minatio* auf das bezogen werden, worauf man bei der Interpretation der
psychischen Vorgänge vorzugsweise Werth legt. Natürlich hat diese empirische
Maxime im allgemeinen auch auf den metaphysischen Standpunkt einen Ein«^
fluss. Dennoch unterscheidet sich gerade der Voluntarismus im empirischen
und im metaphysischen Sinne dadurch sehr wesentlich, dass der letztere das
.Wesen der Seele" in den Willen und zwar nur in den Willen verlegt^
während die empirische Richtung, wie wir unten sehen werden, bloss fOr die
Gleichberechtigung des Willens und der mit ihm verbundenen Vorgänge (Gre-
fühle, Triebe) mit den VorsteUungen eintritt, da ja empirisch die Existenz dieser
niemals geleugnet werden kann , während allerdings der InteUectualismus die
Existenz des WiUens und der Gefühle sehr oft geleugnet hat, indem er be-
hauptete, sie seien ebenfalls Vorstellungen.
MaterialiBÜBche Psychologie. 153
nicht möglicli ist. Entweder sind die psychischen Vorgänge materiell
bedingt) oder sie haben eine selbständige Bedeutung; und falls das
letztere zugegeben wird: entweder haben die von uns auf äussere
Objecte bezogenen seelischen Vorgänge, die Vorstellungen, allein
einen entscheidenden Werth, oder ein solcher kommt mindestens in
gleichem Orade auch den subjectiven Gemüthsregungen zu, die wir
nicht auf Aussendinge beziehen. Da die Scheidung der psychischen
Erlebnisse in auf aussen bezogene und in subjective die fundamentalste
ist, die sich voraussichtlich machen lässt, weil jede andere wieder
nur die einzelnen Glieder dieser ersten Eintheilung wählen könnte,
so dfirfken von diesem Gesichtspunkte aus wenigstens die möglichen
Hauptrichtungen erschöpft sein. Natürlich schliesst das aber ver-
mittelnde üebergänge sowie namentlich verschiedene Gestaltungen
innerhalb der einzelnen Richtungen nicht aus.
a. Die materialistisclie Psychologie.
Die materialistische Richtung ist im Laufe der Entwicklung
unserer Wissenschaft in zwei Formen aufgetreten: in einer älteren,
die gegenwartig ah. erloschen betrachtet werden darf, und in einer
jüngeren, die noch heute zahlreiche Anhänger zählt, die ihr theils
ansdrOcldich zugethan sind theils sie stillschweigend bei einzelnen
Hypothesen voraussetzen. Wir können die erste Richtung als die
des reinen, die zweite nach einem vielfach von ihren Bekennem
selbst gewählten Ausdruck als die des psychophysischen Ma<-
terialismus bezeichnen.
Der reine Materialismus betrachtet nicht bloss die zu-
sammengesetzten psychischen Vorgänge als verwickelte Producte
materieller Processe, sondern er führt auch die einfachen Elemente
jener Vorgänge, Empfindungen, Gefühle, auf physische Bewegungen
in den Sinnesapparaten und namentlich im Gehirn zurück. Der
psychische Charakter der Vorgänge besteht ihm darin, dass wir ge-
wisse moleculare Bewegungen unseres Gehirns unmittelbar selbst
wahrnehmen können, wobei aber diese Wahrnehmung stets eine con-
fiise, ungenaue sei, so dass wir die Bewegungen nicht in ihrer wirk-
lichen Beschaffenheit, sondern nur in einem Gesammteindruck auf-
fassen, etwa wie uns eine Wolke als ein Ganzes erscheint, während
sie doch in Wahrheit aus einer Menge getrennter und sich fort-
während bewegender Wasserbläschen besteht. Diese Ansicht ist
namentlich in dem Materialismus des vorigen Jahrhunderts vertreten,
154 Logik der Psychologie.
wird aber schon von ihm nicht folgerichtig festgehalten. Das
«Systlsme de la nature** z. B. lässt gel^entlich auch die Möglichkeit
zu, dass die Empfindung eine permanente Eigenschaft der Atome
sei, die wir aber nur unter gewissen günstigen Bedingungen wahr-
nehmen, eine Annahme die bereits der Form des psychophysischen
Materialismus angehört. Die Schwäche jenes Standpuiiktes besteht
darin, dass er die psychischen Erlebnisse lediglich durch eine schiefe
Analogie mit der Sinneswahmehmung deutlich zu machen sucht, und
dass er daher, um dieser Erlebnisse ledig zu werden, stillschweigend
eine innere Wahrnehmung einführt, die doch erst recht ein
psychisches Erlebniss ist. Mag diese Wahrnehmung noch so confus
sein, eine Wahrnehmung bleibt sie doch, und die Existenz irgend
welcher Molecularbewegungen im Oehim macht nicht begreiflich,
wie solche Bewegungen irgendwie wahrgenommen werden können.
Nimmt man aber — was für diesen Standpunkt am nächsten liegt —
an, dass sie sich selbst wahrnehmen, so heisst dies mit andern
Worten: die Himmolecüle haben die Eigenschaft ihre eigenen Be-
wegungen zu empfinden. Damit befinden wir uns auch schon inner-
halb der folgenden Anschauung, die daher allein noch ernsthaft in
Frage kommt.
Der psychophysische Materialismus setzt nämlich voraus,
es gebe eine psychische Fundamentalerscheinung, die in keiner
Weise aus physischen Vorgängen erklärt werden könne : das sei die
einfache Empfindung. Sie sei auf eine fQr uns unerklärliche Weise
gebunden an die Erregungen, also physikalisch gesprochen an mole-
culare Bewegungen gewisser Nerrenelemente. Da nun alle com-
plexen psychischen Vorgänge aus Verbindungen einfacher Empfin-
dungen entstehen, diese Verbindungen aber unmittelbar aus den
entsprechenden Verkettungen der physischen Gehimprocesse folgen
sollen, so seien auch die sämmtlichen zusammengesetzten psychischen
Vorgänge nur aus diesen physischen Verbindungen und Wechsel-
wirkungen abzuleiten. Die ganze Aufgabe der Psychologie zerfallt
daher nach dieser Auffassung in ein psychologisches und in ein
physiologisches Problem. Das psychologische Problem ist ein rein
descriptives : es besteht darin die Empfindungen zu beschreiben, die
bei der physiologischen Function bestimmter Sinnes- und Nerven-
apparate beobachtet werden. Das physiologische Problem dagegen
ist ein causal erklärendes: es besteht darin nachzuweisen, wie
aus den Empfindungen vermöge des Zusammenhangs der physio-
logischen Functionen die complexen psychischen Vorgänge, also
MateriaÜBtische Psychologie. 155
YorstellimgeD, Verbindungen derselben, intellectueUe Processe u. s. w.,
entstehen. Da nun jenes erste Problem, die Feststellung der an
bestimmte physische Erregungen geknüpften einfachen Empfindungen^
offenbar nur eine auziliäre Bedeutung hat gegenüber dem zweiten,
welches alle wesentlichen Aufgaben der Psychologie in sich schliesst,
so ist es klar, dass man auch hier im letzten Qrunde darauf ausgeht,
die Psychologie überhaupt vollständig in einen Bestandtheil der
Physiologie der Sinnesorgane und des Nervensystems umzuwandeln.
In dieser Vereinfachung der wissenschaftlichen Arbeit würde nun
kein Einwand gegen diesen Standpunkt enthalten sein, wenn die
Voraussetzungen desselben überhaupt haltbar wären. Dies ist aber
durchaus nicht der Fall. Vielmehr macht sich diese Richtung nicht
bloss genau des nämlichen Fehlers schuldig wie die vorige, sondern
m begeht auch ausserdem noch die Inconsequenz, zuerst die Mög-
lichkeit einer Ableitung des Psychischen aus dem Physischen zu be-
streiten, und dann selbst eine solche Ableitung als die, eigentliche
Aufgabe der Psychologie hinzustellen. Nun ist es aber für jeden
Unbefangenen vollkommen klar, dass eine psychische Verbindung
und eine physische Verbindung ebenso verschieden und unvergleich-
bar sind, wie einfache Empfindungen und irgend welche Molecular-
bewegungen an sich verschieden und unvergleichbar sind.
Eine wissenschaftliche Auffassung muss, wenn sie haltbar sein
soll, bei jedem einzelnen Problem ihre Probe bestehen. Nehmen
wir nun irgend einen in Worten auszudrückenden Denkact, so ist
ein solcher zweifellos ein psychischer Vorgang, während die Laut-
bilder und Lautbewegungen zugleich physische Vorgänge sind. Aber
die Behauptung, dass die genaue Erkenntniss der mechanischen Ver-
kettung dieser letzteren auch eine Erkenntniss der psychischen Ver-
kettung des Qedankens in sich schliesse, — diese Behauptung ist
nicht weniger absurd als die andere, die Empfindungen Roth und
Blau bestünden in ungenau wahrgenommenen langsameren oder
schnelleren Molecularbewegungen in den Sehcentren. Die psychische
Verknüpfung ist mit der physischen Verknüpfung ebenso unver-
gleichbar, wie die psychischen Elementarvorgänge mit den physischen
anvergleichbar sind. Wie mit einem ürtheils- oder Schlussprocess,
so verhält es sich aber schon mit den fundamentalsten Verschmelzungs-
und Associationformen auf psychischem Gebiet. So ist die Zeitvor-
stellung nicht im geringsten begreiflich gemacht, wenn man jeder ein-
fachen Empfindung eine ihr von Uranfang an mitgegebene Zeitqualität
zuschreibt, oder die Raumanschauung, wenn man den die Molecular-
156 Logik der Psychologie.
erregungen der Sinnescentren begleitenden Empfindungen von Hause
aus eine Beziehung zur räumlichen Ordnung der Aussenwelt anweist,
oder der psychische Eindruck eines harmonischen Accords, wenn
man auf die Schwingungsverhältnisse der ihn zusammensetzenden
Töne hinweist oder etwa gar einen eigens für diesen Zweck erdachten
physiologischen Verschmelzungsapparat annimmt. Wenn trotz solcher
handgreiflicher Unmöglichkeiten der psychophysische Materialismus
gegenwärtig noch manche Anhänger zählt, so liegt ein Grund hiervon
wohl in der grossen Bedeutung, die physiologische Untersnchungs-
methoden in der heutigen Psychologie gewonnen haben. Dass man,
wo neue Hülfsmittel für die Forschung innerhalb eines bestimmten
Gebietes fruchtbar werden, gelegentlich auch einmal das Hülfsmittel
mit der Sache verwechselt, ist ja eine oft genug vorkommende
Erscheinung*).
b. Die intellectualistische Psychologie.
Unter den Richtungen der Psychologie, die ihren Ausgangs-
punkt innerhalb der psychologischen Erfahrung selbst nehmen, ist
die intellectualistische die populärste : sie ist daher diejenige, die am
längsten geherrscht hat und in weiten Kreisen bei Psychologen und
Nicht-Psychologen noch heute herrscht. Diese Popularität des In-
tellectualismus beruht zunächst darauf, dass unter allen unsem Er-
lebnissen die logischen Thätigkeiten am deutlichsten und darum
am frühesten als das specifisch Geistige sich aussondern, weshalb
dann leicht übersehen wird, dass sie losgelöst von der Gesammtheit
der übrigen psychischen Erlebnisse gar nicht vorkommen. Ausser-
dem macht die Thatsache, dass jede Interpretation des wirklichen
Geschehens dieses nach bestimmten logischen Gesichtspunkten zu
ordnen sucht, gerade die intellectuellen Functionen fähig sich alles
zu assimiliren und dabei freilich zugleich allem dem was erst künst-
lich in eine logische Form übertragen wurde seinen ursprünglichen
Charakter zu nehmen. Der Psychologie widerfährt aber diese Ver-
wechselung um so leichter und unbemerkter, weil die logischen
Functionen immerhin einen Bestandtheil der psychischen Erfahrung
selbst ausmachen, so dass hier zu der Verwechselung des Hülfsmittels
mit der Sache auch noch die zweite, ebenso verbreitete des Theils
*) Vgl. hierzu meine ißingehendere Kritik der materialistischeil Psycho-
logie der Gegenwart, Phil. Stiid. X, S. 47 ff.
IntellectualisÜBche Psychologie. 157
mit dem Ganzen hinzukommt. Ein sprechendes Zeugniss für diesen
Zusammenhang bildet die Thatsache, dass die vulgäre Psychologie
des gewöhnlichen Lebens durch und durch intellectualistisch ist.
Sobald der Versuch gemacht wird, über die inneren Beziehungen
psychischer Vorgänge in uns oder in Andern Rechenschaft zu geben,
bedürfen wir der Reflexion. In Folge dessen lösen sich dann leicht
jene Beziehungen selbst ganz und gar in diesem Medium der Re-
flexion auf.
Indem nun die im populären Bewusstsein vorherrschende Denk-
weise von der Psychologie aufgenommen wird, verbindet sie sich
hier theils mit dem Streben nach systematischer Ordnung der That-
sachen theils mit Versuchen, die complexen Erscheinungen auf be-
stimmte einfache Tjrpen zurückzuführen. Aus diesen Bestrebungen
sind die verschiedenen Modificationen .der intellectualistischen Auf-
fassung hervorgegangen. Die erste, am nächsten an den vorwissen-
schafUichen Intellectualismus sich anlehnende ist die Vermögens-
psychologie, die sich noch fast ganz mit einer oberflächlichen
Claasification der Erscheinungen begnügt, bei der aber der Gesichts-
punkt der Vorherrschaft der intellectuellen Functionen eine wichtige
RoUe spielt. Der Versuch einer sorgsameren Analyse dieser Functionen
führt sodann zu der Abstraction der Vorstellung als des allen
complexeren Vorgängen zu Grunde liegenden Bestandtheils. Indem
diese Vorgänge durchgängig als Verknüpfungen von Vorstellungen
aufgefasst werden, sucht man wieder gewisse Grundformen solcher
Verknüpfungen zu unterscheiden und nun durch Subsumtion unter
diese die einzelnen Erscheinungen zu deuten. So entsteht die Rich-
tung der Associationspsychologie. Eine tiefer eindringende,
dem Vorbild naturwissenschaftlicher Causalbetrachtung nachstrebende
Richtung sucht endlich an Stelle dieser noch verhältnissmässig rohen
Classification der Verknüpfungsformen allgemeine Gesetze aufzufinden,
welche die Wechselwirkungen der Vorstellungen beherrschen und
so das Spiel des psychischen Geschehens mit einer ähnlichen mecha-
nischen Noth wendigkeit hervorbringen sollen, wie die Bewegungs-
Yorgänge in der äusseren Natur durch die mechanischen Kräfte
erzeugt werden. Dieser Voraussetzung entspricht die dritte der
intellectualistischen Anschauungen, die Psychologie des Vor-
stellungsmechanismus.
Die Vermögenspsychologie ist die unexacteste und zugleich
die am w;enig8ten folgerichtige dieser Richtungen. Sie macht näm-
lich gar nicht den Versuch die Gesammtheit der sonstigen psychischen
158 Logik der Psychologie.
Processe aus intellectuellen Functionen, also aus Vorstellungen unci
iliren Verbindimgen abzuleiten, sondern sie lässt jede Classe von
Vorzügen, so weit sie durch sprachliche Benennungen eine bestimmt
unterschiedene Bedeutung gewonnen hat, als solche bestehen und
führt sie auf ein einheitliches Vermögen zurfick. Der Intellectualismus
kommt dann aber darin zur Geltung, dass die intellectuellen Ver-
mögen die Vorherrschaft besitzen, indem die andern bald als Vor-
stufen derselben bald als begleitende und in ihrer Wirkungsweise
ganz und gar von der Intelligenz abhängige seelische Kräfte be-
trachtet werden. In diesem Sinne wird etwa das Oef&hl als ein
verworrenes Erkennen des Nützlichen oder Schädlichen, oder in der
Form des ästhetischen OefOhls als ein dunkles Erkennen der Voll-
kommenheit oder ünvollkommenheit eines G^enstandes definirt.
Von dem Willen wird gesagt, dass er das Vermögen sei, nach frei
gewählten Motiven zu handeln; das Motiv wird dann aber wieder
als ein Beweggrund aufgefasst, d. h. als eine Ursache die auf dem
Wege der logischen üeberlegung zur Wirksamkeit gelange, u. s. w.
Abgesehen von dem unwissenschaftlichen Charakter des Vermögens-
begriffs'*'), krankt diese Richtung hauptsächlich an dem Fehler, dass
sie den eigenthümlichen unterschieden sonstiger psychischer Lebens-
inhalte von den intellectuellen Vorgängen dadurch gerecht zu werden
sucht, dass sie diese Vorgänge als ein Intellectuelles niederer Ord-
nung betrachtet. Die Thatsachen werden mit den Producten der
Reflexion über dieselben in Einklang gebracht, indem man diese
Producte in die Thatsachen selber hinüberwandem lässt und der
Reflexion nur das Vermögen zuschreibt klar zu machen was in den
Dingen an und für sich schon undeutlich enthalten sei, — eine Auf-
fassung die zu der des reinen Materialismus, nach der die objectiven
Vorgänge confus werden sollen, sobald sie Gegenstände unserer
inneren Wahrnehmung werden, ein Seitenstück und zugleich eine
Art Umkehrung bildet.
Beherrschte die Vermögenspsychologie die unter Christian
Wolffs Einfluss stehende deutsche Psychologie des vorigen Jahr-
hunderts, so erhielt die englische durch die von Hartley und Hume
fast gleichzeitig begründete Associationspsychologie ihr Ge-
präge. Dass hier der Vorzug ganz auf englischer Seite liegt, springt
*) Vgl. über diesen die Kritik Herbarts, Werke, Ausg. Hartenstein, Y.
S. 214, VI, S. 610 f., sowie meine Grundzflge der physiol. Psychologie. 4. Aufl.
I, S. 14 ff.
IntellectualisÜBclie Psychologie. 159
in die Augen. Schon den Zeitgenossen musste er einleuchten, so
dass sich ihm auch die deutsche Psychologie des 18. Jahrhunderts
nicht ganz entziehen konnte*). Er bestand eben darin, dass hier
nicht in substantielle Wesenheiten verwandelte AllgemeinbegrifiPe,
sondern thatsächlich existirende Processe des seelischen Geschehens
zur Grundlage genommen wurden, Processe die, insofern sie eine
regelmässige Beziehung der Aufeinanderfolge enthielten, den Ge-
danken nahelegten, dass sie in ihrer allgemeinen Fonnulirung als
Gesetze des Geschehens, die den Naturgesetzen analog seien, be-
trachtet werden könnten. Je mehr man mit Hume geneigt war,
die Naturgesetze selbst als rein empirische Regelmässigkeiten aufzu-
fassen ^ ftlr deren Aufstellung einzig und allein die Häufigkeit der
Beobachtung entscheidend sei, um so vollkommener musste diese
Analogie erscheinen. Wurde doch nun, wie Hume erkannte, eigent-
lich sogar das Verhältniss dies, dass nicht die Associationen eine
neue Unterart von Gesetzen waren, sondern dass vielmehr die Natur-
gesetze selbst sich in objectivirte Associationsgesetze verwandelten.
Nicht das Naturgesetz sondern das Associationsgesetz gewann also
flür den allgemeinen Gesetzesbegriff eine grundlegende Bedeutung.
Dieser Stellung, zu der die empirische Erkenntnisstheorie die Associa-
tionsgesetze erhob, entsprach aber ihr thatsächlicher Inhalt nur
wenig. Denn es fehlte ihnen voUständig jene unfehlbare Sicherheit
der Wirkung, welche die Naturgesetze auszeichnet. Gegenüber den
Erscheinungen, die von ihnen beherrscht sein sollen, verhalten sie
sich schliesslich ebenso wie die Begriffe der Yermögenspsychologie :
sie sind, was Her hart von diesen sagte, nichts als , leere Möglich-
keiten*. Das gilt von den alten Aristotelischen Formen des Wieder-
erinnems an, der Aehnlichkeit , dem Contrast, der Gleichzeitigkeit
und der Auf einanderfo^e '*'*), bis zu der in der neuesten Psychologie
üblich gewordenen Reduction auf die zwei Grundformen der Aehn-
Uchkeits- und der Berührungsassociation. Jede dieser Formen re-
präsentirt einen Classenbegriff, dem sich jeder einzelne Associations-
vorgang unterordnen lässt. lieber den eigentlichen Grund des
Geschehens ist aber damit ebenso wenig etwas ausgesagt, als wenn
*) VgL über diesen Einflass Max Dessoir, Geschichte der neueren
deutschen Psychologie, I. Berlin 1894. S. 302 ff.
**) Ueber den Ursprung dieser Formen ans der Aristotelischen Begriffs-
dialektik vergleiche meine Bemerkungen zur Associationslehre. Phil. Stud.
VII, S. 329.
lt)0 Logik der Paychologie.
man gewisse Erscheinungen unter dem Gedäcbtniss , andere unter
dem Verstand oder unter sonstigen Vermögensbegriffen zusammen-
fasst. Dieser Mangel ist in der That in der Associationspsychologie
selbst schon empfunden worden, und dieselbe hat daher von Hartlej
an bis auf Herbert Spencer mannigfache Versuche gemacht, durch
sinnreich ersonnene physiologische Hypothesen über die Verbin-
dungen der den Vorstellungen entsprechenden Nervenprocesse dem
abzuhelfen. Aber solche Versuche verhüllen nur den Mangel der
überkommenen Associationslehre, ohne ihn zu beseitigen. Dieser
Mangel besteht vor allem darin, dass die Associationen complexe
psychische Phänomene sind, die, ehe man nach ihren physiologischen
Substraten sucht, selbst erst einer psychologischen Analyse bedürfen.
Aehnlichkeit , Berührung im Raum oder in der Zeit sind Begriffe,
die sämmtlich auf eine zusammengesetzte Anschauungsgrundlage hin-
weisen und daher unmöglich als Ausdrücke für psychische Elementar-
phänomene betrachtet werden können. Complexe Formen des Qe-
schehens, die mit einer gewissen Willkür aus der Wirklichkeit ab-
strahirt sind, werden also hier wie einfache Typen behandelt, und dann
wird entweder diesen Typen selbst der Charakter psychischer Ur-
sachen beigelegt oder für sie in irgend welchen hypothetischen Nerven-
processen die wahre Ursache gesucht. Sobald sich aber psychische
Vorgänge nicht ohne weiteres den aufgestellten Typen unterordnen
lassen, hilft über diese Schwierigkeit die Annahme hinweg, dass sie
auf einem Zusammenwirken der als einfach vorausgesetzten Associa-
tionsformen beruhen. Einem solchen Nachweis kann es nun an
einem partiellen Erfolg niemals fehlen, weil es keine verwickeitere
psychische Thätigkeit gibt, in der nicht irgend welche Aehnlichkeiten
oder zeitliche und räumliche Berührungen vorkommen. Um so leichter
ist dann dieser Erfolg geeignet darüber hinwegzutäuschen, dass andere
Eigenschaften der Vorgänge und unter ihnen meist die wichtigsten
durch eine derartige Analyse gar nicht begreiflich gemacht werden.
Auf diese Weise wird der Ausdruck „zusammengesetzte Association^
zu einem Generaltitel, unter dem alles Platz findet was neben wirk-
lichen Associationen noch eine unbestimmte Menge anderer psychischer
Functionen umfassen mag. Nicht minder scheitert der Versuch, die
den Erscheinungen des Vorstellungswechsels entnommenen Associa-
tionsformen auf andere psychische Inhalte, wie Gefühle, Affecte,
Willensvorgänge, zu übertragen. Tiefer dringende psychologische
Beobachter, die der Richtung der Associationspsychologie angehören,
sind ihr daher thatsächlich auf diesem Gebiet untreu geworden.
IntellectualisÜBche Psychologie. 1^1
indem sie sich mit einer blossen Beschreibung der Gemüthslagen und
Grernttthsbewegungen begnügten'*').
Von den beiden Fehlem der Associationspsychologie , dass sie
eine beschränkte Gruppe psychischer Vorgänge in allgemeine Sche-
mata umwandelt, in die wohl oder übel alle Erscheinungen gezwängt
werden, tmd dass sie complexe Phänomene als einfache Typen be-
trachtet, um dann den letzteren den Charakter universeller Gesetze
beizulegen, sucht die dritte Richtung des Intellectualismus , die
Psychologie des Vorstellungsmechanismus, wenigstens
den zweiten zu vermeiden. Indem sie die Vorstellung als die
Urthatsache voraussetzt, von der jede Erklärung des psychischen
Geschehens auszugehen habe, sucht sie allgemeine Hypothesen über
die Wechselwirkungen der Vorstellungen zu gewinnen, um auf diese
eine Statik und Mechanik^ derselben zu gründen, die, als eine
Theorie intensiver psychischer Kräfte, der Statik und Mechanik der
extensiven Grössen, der Körper, gleichwerthig gegenüberstehe. Ein
Unternehmen dieser Art, das nicht, wie die Associationspsychologie,
von leicht zu bestätigenden empirischen Thatsachen sondern von
bestimmten speculativen Forderungen ausgeht, konnte nicht, wie
jene, das Werk einer Schule, sondern nur das eines Einzelnen sein,
der in mühevoller Gedankenarbeit das Hypothesengebäude einer
solchen inneren Mechanik ausführte. So ist Her hart der Schöpfer
und zugleich der Vollender der Lehre vom Vorstellungsmechanismus.
Seine Schüler haben ihn zu popularisiren, auch zuweilen die Strenge
seiner Principien durch Zugeständnisse an die Erfahrung zu mildem
gesucht. Aber in theoretischer Beziehung sind sie nicht um einen
Schritt über den Meister hinausgekommen. Trotz dieser individuellen,
der Persönlichkeit eines einzigen Mannes ihre Eigenart verdankenden
*) Ein Beispiel derartiger Behandlung ist A. Bains Werk ,The emotions
and the will" . In der Beschreibung zum Theil vorzüglich, verzichtet es beinahe
vollständig auf die Hülfe der in dem parallel laufenden Werk desselben Ver-
fassers ,The senses and the intellect" consequent durchgeführten Associations-
lehre. Zum Ersatz treten dann gewisse besondere «Gesetze' auf, die mit den
ÄnoGiationsgesetzen höchstens die allgemeine Familienähnlichkeit haben, dass
de anbestimmte Verallgemeinerungen sind: so das Gesetz der Ausbreitung der
Erregungen, das Gesetz der Harmonie und des Conflictes, das Gesetz der Rela-
tivität u. s. w. Hervorragende Vertreter der englischen Associationspsychologie,
vie John Stuart Mill und Herbert Spencer, haben denn auch nicht ver-
fehlt, ,The emotions and the will' für Bains schwächstes Werk zu erklären.
Wer den Vorurtheilen dieser Richtung nicht huldigt, wird mit diesem Urtheil
schwerlich einverstanden sein.
Wundt, Logik. II, 9. t. Aufl. |1
162 Logik der Psychologie.
Beschaffenheit der ganzen Richtung verdient diese es doch vollauf
den übrigen Gestaltungen der intellectualistischen Psychologie als gleich-
berechtigtes Glied zugeordnet zu werden. Denn erstens ist sie die
exacteste, in ihren Voraussetzungen wie in ihrer Durchführung klarste
und einfachste dieser Formen ; und zweitens war es eine Art logischer
Nothwendigkeit, dass der Versuch unternommen wurde, auf die ein-
facheren Bestandtheile der intellectuellen Functionen, nicht erst auf
Generalbegriffe, die aus ihnen oder aus gewissen bei ihnen vor-
kommenden Verbindungen abstrahirt waren, die Psychologie zu
gründen. Seit Leibniz schlummerte diese Idee als ein unent-
wickelter Keim. Ein Anderer als Herbart würde ihn wahrscheinlich
anders als er zur Entwicklung gebracht haben ; aber in irgend einer
Form musste er sich entwickeln. Dass in Herbart ein Mann kam,
der eindringende Verstandesschärfe in so hohem Grad mit rücksichts-
loser Einseitigkeit der Speculation verband, das war allerdings ein
Umstand, der ebenso die Abgeschlossenheit und Entwicklungslosig-
keit seiner Leistung wie die Macht erklärte, die sie über diejenigen
ausübte die sich ihr gefangen gaben.
Eine Kritik der Herbart'schen Psychologie würde hier über
unsere Aufgabe hinausführen. Nur vorübergehend sei daher hin-
gewiesen auf die Willkürlichkeit seiner Annahmen, die nirgends die
Prüfung der Erfahrung bestanden haben, wohl aber, wo es wirklich
gelingt sie exact zu prüfen, ihr durchgehends widersprechen*). Was
für uns hier vor allem von Interesse ist, das ist die Thatsache, dass
sich in dieser Psychologie, vielleicht weil sie die exacteste Ausbildung
des Intellectualismus ist, die Mängel dieser ganzen Denkweise in
verdichteter Gestalt wiederholen. Dass die psychologische Analyse
von den complexen Begriffen der Vermögens- und Associations-
psychologie auf die einfachen psychischen Elemente zurückzugehen
habe, das ist der siegreiche Gedanke, durch den die Theorie des
Vorstellungsmechanismus alle jene älteren Lehren überstrahlt. Aber
ist die a Vorstellung" in der Bedeutung, in der sie hier gebraucht
wird, wirklich dieses Einfache? Sie ist es im allgemeinen nach der
eigenen Auffassung der Theorie keineswegs. Denn als Vorstellung
gilt jedes innere Erlebniss, das getrennt von dem ganzen Zusammen-
hang des psychischen Geschehens noch eine selbständige Bedeutung
behält. Eine Vorstellung ist daher jeder psychische Erfahrungs-
inhalt, der auf ein Object ausserhalb unseres Bewusstseins bezogen
•) Vgl. meine Grundzüge der physiol. Psychologie. 4. Aufl. II, S. 489 ff.
Intellectuftlistifiche Psychologie. 163
werden kann. Denn in dieser Projection nach aussen liegt eben der
unmittelbare und zugleich der einzige Beweis für eine solche Isolir-
barkeit. Der einfache Ton ist also ebenso gut eine Vorstellung wie
die wahrgenommene Gestalt oder die von mannigfaltigen Eindrücken
erf&Ute Zeitreihe. Kurz, Vorstellung ist nicht minder das Einfache,
nicht weiter Analysirbare, wie das Zusammengesetzte. Zwar werden
Processe der Verbindung und Reihenbildung angenommen, aus denen
zusammengesetzte Vorstellungen hervorgehen; aber nachdem diese
einmal entstanden sind, bleiben auch sie ebenso gut untheilbare
Ganze, wie die von Anfang an einfachen Vorstellungen, die Em-
pfindungen. Denn alle Vorstellungen entstehen zwar irgend einmal
in der Seele — es gibt kein angeborenes Besitzthum in dieser —
aber nachdem sie entstanden, bleiben sie unvergänglich. Sie können
in Folge der Hemmungen die sie erfahren verdunkelt werden oder
für beliebig lange Zeit ganz aus dem Bewusstsein verschwinden, —
von air dem bleiben sie selbst unberührt. Die Vorstellungen sind
also unzerstörbare und in ihrer eigenen Qualität unveränderliche
Objecto, die zugleich Kräfte auf einander ausüben, indem sie je
nach dem Grad ihres Gegensatzes oder ihrer Uebereinstimmung ein-
ander hemmen oder fordern oder auch mit einander verschmelzen
können, die aber doch an sich selbst bei all' diesem Wechsel der
Zustande ebenso unverändert bleiben, wie man es von den mate-
riellen Atomen bei ihren Wechselwirkungen voraussetzt. Neben
diesen unzerstörbaren Objecten, den Vorstellungen, kommt nun den
übrigen psychischen Erlebnissen keine eigentliche Realität zu. Sie sind
nichts als vergängliche Erscheinungen, die durch jenes Spiel des
Vorstellungsmechanismus entstehen: so die Gefühle durch die Span-
nnngszustände der gegeneinander wirkenden Vorstellungen, die Triebe
ond der Wille durch das Aufstreben der Vorstellungen gegen vor-
handene Hemmungen u. dergl. So kommen in dieser Theorie die
beiden Grundanschauungen des InteUectualismus, dass die Vorstel-
lungen in ihrer eigenen Beharrlichkeit den Objecten gleichen, auf
die sie von uns bezogen werden, und dass die intellectuellen Func-
tionen, also die Vorstellungsprocesse, die psychischen Grundphäno-
mene, alle übrigen Bestandtheile unserer inneren Erfahrung aber
nur deren secundäre Erzeugnisse sind, zu einer präcisen, nicht mehr,
wie bei den vorangegangenen Formen, durch allerlei Inconsequenzen
und Unklarheiten getrübten Geltung. Dass unser Wollen, Fühlen,
Streben auf einem derartigen Drängen und Quetschen der Vorstel-
lungen beruhe, ist nun offenbar eine Behauptung, die der andern.
164 Logik der Psychologie.
dass diese Erlebnisse ungenaue Wahrnehmungen der Bewegungen
unserer Himmolekehi seien, logisch vollkoromen gleichwerthig ist
Niemand hat jene mechanischen Wechselwirkungen jemals beobachtet,
und wenn sie Jemand beobachtet hätte, so würde die Behauptung,
dass sie gar nichts anderes als unser Wollen, Fühlen und Streben
selbst seien, immer noch eine willkürliche Gleichsetzung zweier yer-
schiedener Dinge bleiben. Jene Verwandlung der Vorstellungen in
beharrende Objecte ist aber augenscheinlich nichts anderes als eine
Verwechselung unserer eigenen psychischen Erlebnisse mit den Gegen-
ständen der Aussenwelt; auf die wir diese Erlebnisse beziehen.
Schon die Vermögens- und noch mehr die Associationspsychologie
krankt an dieser Verwechselung. Beide behandeln die «Reproduction
der Vorstellungen* als einen Vorgang, bei dem genau die nämliche
Vorstellung, die früher schon einmal da war, durch irgend welche
Umstände abermals für das Bewusstsein mobil gemacht werde. In
der Psychologie des Vorstellungsmechanismus werden vollends die
Vorstellungen aus Objecten zu Substanzen. Denn wenn man
nach üblichem philosophischem Sprachgebrauch die Substanz als das
definirt »was bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt*, so sind
ganz gewiss diese unvenlnderlichen und vielleicht sogar unsterblichen
Vorstellungen Substanzen. Das ist nun aber der Punkt, bei dem
nicht bloss das Kartenhaus dieser Theorie sondern das ganze Ge-
bäude der int^llectualistischen Psychologie vor der exacten Beob-
achtung der psychischen Erlebnisse nicht Stand halten kann. Von ihm
geht daher zugleich die dritte Richtung, die voluntaris tische, aus.
c. Die voluntaristische Psychologie.
Je einseitiger der Intellectualismus die logische Reflexion in
den Vordergrund des psychischen Geschehens stellte, um so mehr
musste gelegentlich das Widerstreben gegen diese Methode und gegen
ihre gleichförmige Anwendung auf die verschiedensten Gebiete, wie
Sittlichkeit, Kunst und Religion, zu dem Versuch führen, eine völlig
andere Grundlage für die Gesanuntauffassung des geistigen Lebens
zu wählen. Diese Grundlage konnte naturgemäss keine andere sein
als jene subjective Ergänzung der Vorstellungen und ihrer Ver-
knüpfungen, die Intellectualismus und Rationalismus allzu dürftig
bedacht oder völlig in der Intelligenz hatten aufgehen lassen: das
Gemüthsleben. Indem man nun aber zunächst die der psycho-
logischen Abstraction seit frühe eingewurzelte Gewohnheit beibehielt.
Voluntaristische Psychologie. 165
ans dem immerwährenden Fluss der Bewusstseinsvorgänge solche
Zustande herauszugreifen, die sich als annähernd beharrende betrachten
Hessen, ergab sich hier das Gefühl als ein ähnlicher scheinbar
rahender Punkt, wie einen solchen die objectiy gerichtete Betrach-
tungsweise an der Vorstellung gefunden hatte. Ihren nächsten Aus-
drnck fand daher diese aus der Stimmung gegen den Rationalismus
des Aufklärungszeitalters hervorgegangene Tendenz in der Gefühls-
psjchologie des vorigen Jahrhunderts, die schon durch ihren Zu-
sammenhang mit der Gefühls philosophie und mit der Gefühls-
schwelgerei in der poetischen Literatur der gleichen Zeit mehr den
Charakter einer allgemeinen geistigen Bewegung als den einer spe-
ciellen psychologischen Richtung hat. Dabei war aber offenbar die
einseitige Vertiefung in das Gefühl gerade auf psychologischem Ge-
biete wenig geeignet, dieser Gegenströmung einen dauernden Erfolg
za sichern. Denn das Gefühl ist, sobald man es aus seinem Zu-
sammenhang mit den sonstigen psychischen Elementen loslöst, der
dunkelste, am wenigsten deutlich abzugrenzende und analysirbare
Bestandtheil der inneren Erfahrung. Der begreifliche Grund hier-
von liegt darin, dass es am wenigsten ein selbständig in sich ab-
geschlossener Vorgang, sondern durchaus nur ein aus dem Gonnex
der psychischen Erlebnisse herausgerissener Theil eines Vorganges ist,
der von den übrigen Elementen so sehr abhängt, dass er für sich
allein zu einem völlig verschwimmenden Gebilde wird. Wie die
sentimentale GefÜhlsschwelgerei in der Dichtung stets in Gefahr
war, dass ihr über der Vertiefung in das Gefühl der Gedankeninhalt
abhanden kam, so brachte es daher die GefUhlsrichtung in Philo-
sophie und Psychologie in ihrem Kampfe gegen den Intellectualismus
nie weiter als zum Ausdruck ihrer entgegengesetzten Ueberzeugung,
durch den sie weder den Gegner widerlegen noch den eigenen
Standpunkt zureichend begründen konnte. Erst die Erkenntniss,
dass das Wollen der centrale Gemüthsvorgang sei, in weichemalle
andern ihm theils verwandten theils eng verbundenen subjectiven
Processe zu einem klareren Ausdruck ihrer eigenen Natur sowie
ihres Verhältnisses zu dem Vorstellungsinhalt des Bewusstseins ge-
langten, hat dieser Gegenströmung auch in der Psychologie klarere
Ziele gegeben und auf den Weg hingewiesen, auf dem die neue
Richtung mit verwandten ethischen Bestrebungen zusammentrifft.
Wie sie diesen die psychologische Grundlage zu geben sucht, deren
sie bedürfen, so schöpft sie aus ihnen wiederum die Anregung zur
praktischen Verwerthung der gewonnenen Anschauungen. Ihren
166 Logik der Psychologie.
nächsten Anstoss empfing aber diese Richtung von der psychologi-
schen Beobachtung selbst. Hatten die Vermögenspsychologrie und
die Psychologie des Vorstellungsmechanismus wesentlich unter dem
Einflüsse der metaphysischen Ideen gestanden, die sie der Leibniz-
schen Psychologie entnommen und nach verschiedenen Richtungen
entwickelt hatten, war die Associationspsychologie von der empi-
ristischen Erkenntnisslehre Locke s und in einzelnen ihrer Ab-
zweigungen ausserdem von der materialistischen Metaphysik ab-
hängig, so hat die voluntaristische Richtung zunächst nur in der
psychologischen Beobachtung ihre Quelle; und wenn auch von der
hier gewonnenen Anschauung aus die Probleme des Erkennens und
des sittlichen Handelns zum Theil in einem veränderten Lichte er-
scheinen müssen, so geht doch die Anregung hierzu von der psycho-
logischen Erfahrung aus, nicht ihr voran. Die durch die experi-
mentelle Methode ermöglichte exactere Analyse der psychischen
Thatsachen ist es nämlich, die vor allem jenes Trugbild objectartiger
Constanz der Vorstellungen unwiederbringlich zerstört und damit
zugleich die wahre Natur jener schematischen Begriffe enthüllt,
welche die Associationspsychologie zu psychischen ,, Gesetzen*' er-
hoben hatte. Sind die Vorstellungen, ebenso wie alles andere psy-
chische Geschehen, veränderliche Functionen, die mit einander ver-
bunden und auf einander bezogen werden können, die aber niemals
als die nämlichen wiederkehren, sondern sich immer wieder neu aus
elementaren Processen zusammensetzen, so können auch die Asso-
ciationsformen nicht einfache Gesetze der inneren Erfahrung sein,
sondern sie bleiben mehr oder minder willkürlich gebildete Glassen-
begriffe, in die wir die verwickelten Producte elementarer Processe
ordnen können. Wie hier, so fordert dann weiterhin überall dem
Inhalt der psychologischen Erfahrung gegenüber die experimentelle
Methode eine exacte Analyse, die den Thatbestand so auffasst wie
er ist und ein Verständniss seines Zusammenhangs lediglich durch
die Untersuchung der Abhängigkeitsverhältnisse seiner einzelnen Be-
standtheile von einander zu gewinnen sucht.
Der Name voluntaris tische Psychologie, den ich für diese
Richtung wähle, kann nun aber niemals bedeuten, dass hier der
Wille in ähnlichem Sinne einseitig dem Gesammtinhalt der inneren
Erlebnisse substituirt werde, wie der Intellectualismus das ähnliche
zumeist mit den Vorstellungen gethan hat. Ein derartiger Versuch
würde an der Macht, mit der sich die Vorstellungswelt vermöge der
ihr unmittelbar anhaftenden objectiven Bedeutung unsere Anerken-
Voluntaristische Psychologie. 167
Dimg erzwingt, sofort scheitern. Jener Ausdruck kann und soll also
nur den Sinn haben, dass er auf die Gleichberechtigung des Willens
und aller mit ihm in näherer Beziehung stehenden subjectiven psy-
ehischen Inhalte mit dem objectiven Vorstellungsinhalt des Bewusst-
seins hinweist; und der Wille selbst hat dabei wiederum nur eine
repräsentative Bedeutung, insofern mit der Anerkennung seiner that-
^hlichen Existenz auch die Anerkennung der mit ihm eng ver-
bundenen sonstigen subjectiven Gemüthsvorgänge , wie der Gefühle,
ausgesprochen sein soll. Freilich aber wird mit der Wahl dieser repräsen-
iativen Bezeichnung auch angedeutet, dass jene andern Inhalte immer
zugleich Bestandtheile eines vollständigen Willensvorganges sind,
und dass sie daher nicht etwa in ähnlichem Sinne wieder dem Willen
gegenübergestellt werden können, wie dieser vom Gesichtspunkt der
psychologischen Analyse aus von den Vorstellungen zu sondern ist.
Dies vorausgesetzt sind es nun zwei Gesichtspunkte, die als
die leitenden Voraussetzungen und, da sie der experimentellen Ana-
lyse der psychischen Erfahrung selber entnonunen sind, als die funda-
mentalen Thatsachen betrachtet werden können, auf welche die
voluntaristische Psychologie ihre Interpretationen gründet. Erstens:
die psychischen Vorgänge bilden ein einheitliches Geschehen.
Die Zerlegung in Vorstellen, Fühlen, Streben, Wollen u. s. w.,
wie sie schon das gewöhnliche Bewusstsein und auf Grund des-
selben die Sprache ausführt, ist ein Product psychologischer Analyse
and Abstraction; jene Vorgänge selbst aber sind nicht real ver-
schiedene, sondern untrennbar verbundene Bestandtheile eines Ge-
schehens. Diese Bestandtheile zu unterscheiden, ist auch im Interesse
der psychologischen Analyse unerlässlich; doch ist dabei nie aus
dem Auge zu verlieren, dass die Verbindung der Elemente des
seelischen Geschehens die Grundlage jeder psychologischen Unter-
suchung bleiben muss, und dass die Ergebnisse dieser von vorn-
herein getrübt werden, wenn man jene Producte der Abstraction
zu selbständigen Inhalten erhebt. Diese falsche Verselbständigung
der Theilinhalte der inneren Erfahrung hat augenscheinlich zusammen
mit dem objectiven Werth, den wir den Vorstellungsbestandtheilen
heilten, alle die verfehlten Einheitsbestrebungen der intellectualisti-
scken Psychologie wesentlich mit verschuldet, bei denen man die
durch die abstracte Unterscheidung verlorene Einheit dadurch wieder-
zugewinnen meinte, dass man die Identität gewisser Bestandtheile
mit andern behauptete. Zweitens: die Vorstellungen sind, ebenso
wie alle andern Theilinhalte des psychischen Geschehens, nicht Objecte
168 Logik der Psychologie.
oder auch relatiy ruhende Zustande, sondern Ereignisse. Sie
halten so wenig wie der bewegte Körper auf seiner Bahn irgend
einmal unserer Beobachtung stand; sie verändern sich nicht nur
durch ihr Kommen und Gehen, sondern auch während sie da sind;
sie Terändem sich nicht bloss dadurch, dass sie verschiedene Klar-
heitsgrade durchlsiufen, sondern auch dadurch, dass sie in ihrer
quaUtativen Zusammensetzung fortwährend wechseln können. Ins-
besondere ist daher der Ausdruck «Reproduction' ein völlig irre-
führender Name. Keine Vorstellung wird wirklich reproducirt; die
wiederkommende ist immer eine neue, die wir nur vermöge irgend
welcher Eigenschaften oder begleitender Elementarvorgänge auf einen
einzelnen früheren Yorstellungsact oder auf eine Mehrheit solcher
zurückbeziehen. Die neue Vorstellung ist der früheren in Wahr-
heit ebenso wenig gleich, als eine neue Willenshandlung dieselbe
Handlung ist wie eine ähnliche schon einmal ausgeführte; und dass
jemals zwei verschiedene Vorstellungen in allen einzelnen Zügen
einander gleich seien, das ist im ganzen ebenso wenig wahrschein-
lich, als es wahrscheinlich ist, dass zwei Menschen auf der Welt
vorkommen, die in allen ihren körperlichen und geistigen Eigen-
schaften vollkommene Ebenbilder sind. Da nun die singulare und
actuelle Natur des Wille nsactes leicht von Jedermann eingesehen
wird, während die Meinung, die Vorstellungen seien constante und
mehr oder minder unsterbliche Gegenstände, sogar bei den Psycho-
logen heute noch weit verbreitet ist, so hat unter diesem Gesichts-
punkte der Ausdruck „voluntaristische Psychologie'' eine typische
Bedeutung: er will sagen, dass man sich nach dem Typus der
Willenshandlungen alle psychischen Erlebnisse zu denken habe, näm-
lich als fliessende Ereignisse, nicht als Objecto und nicht einmal
als relativ beharrende Zustände von Objecten.
2. Die Indiyidualpsychologie.
a. Die Aufgaben der Indiyidualpsychologie.
Unter dem Begriff der Individualpsychologie sollen hier die
Untersuchungen zusammengefasst werden, deren Gegenstand die
psychischen Vorgänge des individuellen menschlichen Bewusstseins
sind, insofern diese eine typische, für das normale Bewusstsein
allgemeingültige Bedeutung besitzen. Durch ihre Beschränkung auf
Aufgaben der Individualpsychologie. 169
das Individuum scheidet sich die Individual- von der Völker-
psychologie, durch ihre Beschränkung auf den Menschen von der
Thierpsychologie, und endlich dadurch, dass sie sich bloss mit
den als typisch zu betrachtenden Vorgängen beschäftigt, nicht aber
mit solchen, die nur für einzelne Individuen charakteristisch sind,
von der Charakterologie "*"). Da die Individualpsychologie die
nothwendige Grundlage aller andern psychologischen Gebiete ist, so
ist sie zugleich allgemeine Psychologie: sie bildet das Gebiet,
in welchem wir über die allgemeinen Probleme des Psychischen zu-
nächst und vor allem Aufschluss suchen.
Als Methoden der Individualpsychologie pflegt man in erster
Linie die Selbstbeobachtung und in zweiter zur Unterstützung der-
selben gewisse objective Hülfsmittel, wie die Beobachtung anderer
Menschen, das Studium von Biographien und Selbstbekenntnissen,
von Dramen und Romanen, in denen sich eine hervorragende psycho-
logische Beobachtungsgabe bekundet, und ähnliches zu empfehlen.
Nui gibt es eine unmittelbare Selbstbeobachtung überhaupt nicht,
sondern die von der älteren Psychologrie mit diesem Namen belegte
Methode ist in Wahrheit nichts anderes als eine zufallige innere
Wahrnehmung. In eine planmässige Beobachtung lässt sich diese
nur unter Bedingungen überführen, welche die Anwendung experi-
menteller Methoden voraussetzen. Jene objectiven Hülfsmittel aber
haben zwar für die praktische Menschenkenntniss und allenfalls auch
fb: die Charakterologie ihren Werth, für die allgemeine Psycho-
logie, die das Typische und Allgemeingültige zu untersuchen hat,
sind sie ohne jede Bedeutung. In Wahrheit stehen daher der Indi-
vidualpsychologie nur zwei Hülfsmittel zu Gebote: die zufällige
*) Ton E. Kraepelin ist der Ausdruck , Individualpsychologie'^ in einem
spedelleren als in dem hier gebrauchten Sinne, nämlich entsprechend dem was
ieh oben als , Charakterologie* bezeichnete, angewandt worden. (Vgl. £. Krae-
pelin, Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch Arzneimittel. 1892.
Psychologische Arbeiten. I. 1895.) Namen sind natürlich gleichgültig. Da ich
aber den Gegensatz zur .Völkerpsychologie* kaum anders als wie hier zu
nennen wüsste, so darf ich yielleicht für das namentlich von Kraepelin und
seinen Schülern experimentell bearbeitete, für die praktischen Anwendungen
der Individualpsychologie Überaus wichtige Gebiet, mit einer durch die psycho-
logische Anwendung wohl gerechtfertigten Ausdehnung des Begriflb, den Namen
t Charakterologie* vorschlagen. Die Individualpsychologie hat danach was
ftir das menschliche Individuum als solches gültig, die Charakterologie was
für die concreten Gestaltungen der Individualität charakteristisch ist zum
<7egenstand.
170 Logik der Psychologie«
innere Wahrnehmung und die experimentelle Methode. Unter ihnen
erfüllt die erstere theils eine yorbereitende theils eine ergänzende
Function; die zweite dagegen ist das ausschliessliche Werkzeug zur
Analyse der einfacheren psychischen Yor^uige, dessen Dienste nur
da theilweise versagen, wo es sich um die Untersuchung der höheren
intellectuellen Functionen handelt. Auch in diese Lücke treten
jedoch nur zu einem geringen Theil die innere Wahrnehmung und
die ihr zur Seite stehenden individuellen Hülfsmittel objectiver Art
ein; vielmehr hat hier vornehmlich die Völkerpsychologie die Auf-
gabe, mit ihren Aufschlüssen über die allgemeinen geistigen Er-
zeugnisse des gemeinsamen Lebens die Individualpsychologie zu er-
gänzen.
b. Die zufällige innere Wahrnehmung.
Auf der inneren Wahrnehmung beruht die ganze Psychologie.
Sie ist das unerlässliche Hülfsmitttel, das zu jeder objectiven Be-
obachtung, die wir im psychologischen Literesse verwerthen wollen,
hinzugezogen werden muss. Aber dieses Hülfsmittel gestattet ver-
möge seiner Eigenthümlichkeiten leider nicht die Ausbildung von
Methoden, mit denen sich eine Analyse des psychischen Thatbestandes
ins Werk setzen liesse. Denn die innere Wahrnehmung vermag für
sich allein niemals zur Beobachtung zu werden, insofern wir unter
dieser die planmässige Richtung der Aufmerksamkeit auf die Er-
scheinungen verstehen. Eine Selbstbeobachtung, wie sie von
den meisten Vertretern der so genannten „empirischen Psychologie *"
empfohlen wird, ist nur eine Quelle von Selbsttäuschungen. Denn
da in diesem Fall das beobachtende Subject mit dem beobachteten
Objecte zusammenfällt, so ist es selbstverständlich, dass die Richtung
der Aufmerksamkeit auf die Erscheinungen diese selber verändert.
Da femer unser Bewusstsein für viele neben einander bestehende
Thätigkeiten um so weniger Raum hat, je intensiver diese sind, so
besteht regelmässig eine solche Veränderung darin, dass die Er-
scheinungen, die man beobachten will, überhaupt unterdrückt werden.
Die Hauptregel für die Verwerthung der inneren Wahrneh-
mung, wo diese filr sich allein in Frage kommt, besteht somit darin,
dass man so viel wie möglich nur zufällige, nicht er-
wartete und nicht absichtlich herbeigeführte Erfah-
rungen benütze. Diese Regel schliesst selbstverständlich die
Ausbildung eigentlicher Untersuchungsmethoden aus. Es ergeben
ZuflUlige innere Wahrnehmung. 171
sich aber aus ihr einige beachtenswerthe Unterregeln. Erstens
wird es zweckmässig sein, sich auf die Erinnerung und nicht auf
die unmittelbare Wahrnehmung zu verlassen. Denn nur wenn wir
uns Vorgänge, bei deren Ablauf jede Absicht der Selbstbeobachtung
ausgeschlossen war, vergegenwärtigen, wird der störende Einfluss
dieser möglichst zum Verschwinden kommen. Der grosse Gegen-
satz zur physikaUschen Beobachtungskunst tritt in dieser Regel deut-
hch zu Tage. Um sich die nothwendige Unbefangenheit zu sichern,
muss die Psychologie die Unsicherheit des Gedächtnisses mit in den
Kauf nehmen. Zweitens wird die innere Wahrnehmung vorzugs-
weise zur Auffassung der klar bewussten und namentlich der will-
kürlichen Geistesacte sich eignen; die unwillkürlichen und die dunkler
bewussten inneren Vorgänge müssen ihr dagegen fast völlig ent-
gehen, weil sie durch den Versuch der unmittelbaren Selbstbeob-
achtung am meisten beeinträchtigt werden, und weil sie am schnellsten
dem Gedächtniss entschwinden, so dass gerade für sie die Regel,
sich nicht der unmittelbaren Wahrnehmung sondern der Erinnerung
an frühere Erlebnisse zu bedienen, unanwendbar wird*).
*) Auf die Mängel der so genannten Selbstbeobachtung hat eindring-
üeh zuerst Auguste Gomte hingewiesen, und er hat deshalb geglaubt, der
einzig mögliche Weg einer wissenschaftlichen Psychologie bestehe in der Unter-
suchung der physiologischen Grundlagen der psychischen Vorgänge, eine Auf-
fassung die ihn zum Anhänger der GalVschen Phrenologie machte. (Philos.
po«. I, Le9, 1, III, Le9. 50. Zur Würdigung dieser Ansichten Comtes vergl.
H. Waentig, Auguste Gomte und seine Bedeutung für die Entwicklung der
Sodalwissenschaft. Leipzig 1894, S. 124 fr.) Dem gegenüber hat schon Mi 11
in seiner Kritik Comtes auf die Bedeutung des Gedächnisses hingewiesen, indem
er hervorhob, dass wir unsere Eenntniss der psychischen Acte nicht während
ihres Ablaufs, sondern erst nachdem sie vorüber sind, gewinnen (Auguste Gomte
und der Positivismus, üebers. von Gompertz, Bd. 9, S. 44 ff.)> ^^ Gesichts-
punkt den auch F. Brentano geltend machte. (Brentano, Psychologie vom
empirischen Standpunkte. Leipzig 1874, S. 42 f.) Dass eine wirkliche Beobach-
tong der inneren Erlebnisse im exacten Sinne erst mit Hülfe der experi-
mentellen Methode möglich werde, habe ich bereits in dem als Einleitung
zu meinen Beiträgen zur Theorie der Sinneswahmehmnng geschriebenen Auf-
satz «Ueber die Methoden in der Psychologie" ausgeführt. (Leipzig und Heidel-
berg 1862, S. XVI ff.) In neuerer Zeit hat namentlich J. Yolkelt in gewissem
Masse wieder die Methode der «unmittelbaren Selbstbeobachtung** gegen die
wider sie erhobenen Einwände in Schutz genommen (Zeitschr. f. Philos., Bd. 96,
S. 1 ff.). YgL hierzu meinen Aufsatz: , Selbstbeobachtung und innere Wahr-
nehmung*, Phil. Stud. IV, S. 292 ff.
172 Logik der Psychologie.
c. Die allgemeine Bedeutung der experimentellen Methode für die
Psychologie.
Die ForderuDg, die Yortheile der experimenteUen Methode auch
für die Psychologie nutzbringend zu machen, ist in der neueren Ent-
wicklung dieser Wissenschaft und namentlich im Laufe unseres Jahr-
hunderts schon mehrfach erhoben worden, ohne dass sie im ganzea
bei den philosophischen Vertretern der Psychologie erheblichen Bei-
fall gefunden hätte. Ihnen galt im allgemeinen der Eant'sche Satz,
die innere Erfahrung könne niemals zum Gegenstande einer Experi-
mentalwissenschaft erhoben werden, als ein unantastbares Dogma ^).
So konnte denn auch nur schüchtern, so zu sagen von den Aussen-
werken der Seele her, die experimentelle Methode von dem neuen
Gebiet Besitz ergreifen, eine Entwicklung die, an sich begreiflich,
doch wieder in hohem Grade geeignet war völlig missverstandliche
Auffassungen über ihre Aufgaben innerhalb wie ausserhalb des
Kreises ihrer Vertreter wachzurufen. Im allgemeinen lassen sich
nämlich drei Stadien in der Entwicklung des Begriffs der experi-
mentellen Psychologie unterscheiden, von denen wir das erste das
physiologische, das zweite das psychophysische und das
dritte das psychologische nennen können. In dem ersten gilt
überhaupt, ganz im Sinne Eants, die innere Erfahrung an sich als
ein der experimentellen Methode, aber darum auch überhaupt jeder
exacteren Erforschung unzugängliches Gebiet. Anderseits ist man
jedoch überzeugt, dass das psychische Geschehen ganz und gar
physiologisch bestimmt, ein subjectiver Reflex physiologischer Gehim-
processe sei. Demnach erblickt man die Aufgabe der experimentellen
Methode darin, die physiologischen Grundlagen des Psychischen zu
erforschen, eine Auffassung mit der sich zugleich die Ansicht verbindet,
dass eine solche Erforschung die einzig mögliche oder wenigstens
die einzig exacte der geistigen Vorgänge selbst sei. Diese An-
schauung ist am eingehendsten, unter Hinweis auf die Unzuver-
lässigkeit der inneren Wahrnehmung, von Auguste Comte ge-
rechtfertigt worden; sie beherrscht aber ausserdem von ihm unab-
hängig die ganze materialistische Psychologie aus der ersten Hälfte
des Jahrhunderts und erstreckt sich, verbunden mit Bestandtheilen
der folgenden zweiten Ansicht, noch bis in die gegenwärtigen Str5-
*) Kant, Voirwort zu den Met. Anfangsgründen der Naturwiss. Ausg.
Rosenkranz und Schubert, V, S. 310.
AUgemeine Bedeutung der experimentellen Methode für die Psychologie. 173
rnnngen des „psychophysischen Materialismus **. Dass die im Sinne
dieser Anschauung versuchte Einführung der experimentellen Methode
fOr die Psychologie selbst keinen Fortschritt bedeutet, ist ein-
leuchtend. Was gefordert wird, ist ja gar nicht eine experimentelle
Psychologie, sondern nur eine Ausdehnung des physiologischen Ex-
perimentalverfahrens auf diejenigen physiologischen Vorgänge, als
deren directe Functionen man die psychischen Processe ansieht.
Anders verhält es sich in dem zweiten Stadium dieser Ent-
wicklung. Auch hier wird das eigentlich psychische Gebiet als ein
dem Experiment entweder für immer oder doch einstweilen unzu-
gängliches angesehen. Aber man geht von der anerkannten That-
sache aus, dass gewisse psychische Vorgänge, namentlich die ein-
facheren, von physischen Bedingungen abhängig seien. Als ein
typisches Beispiel solcher Abhängigkeit gilt vor allem die der Sinnes-
empfindungen von den äusseren Sinnesreizen. Neben den rein physi-
schen Wechselwirkungen, die dem Experimentalverfahren der Natur-
wissenschaft unterworfen sind, und den rein psychischen, auf die
überhaupt kein Experiment angewandt wird, unterscheidet man so
als eine dritte Classe die^psychophysischen Wechselwirkungen,
welche der experimentellen Methode deshalb zugänglich seien, weil
die eine Seite derselben, die physische, von uns willkürlich be-
einflusst werden könne, während zugleich die andere, die psychische,
zu jener in bestimmten functionellen Beziehungen stehe. Als die
Aufgabe der so entwickelten Experimentalmethoden gilt dann die
Auffindung der psychophysischen Functionsverhältnisse oder, falls es
nur ein einziges solches Verhältniss geben sollte, der allgemeinen
psychophysischen Function, auf Orund deren sich eine exacte Theorie
der Wechselwirkimgen zwischen Leib und Seele gewinnen lasse.
In dem dritten Stadium nimmt endlich die experimentelle
Methode in der Psychologie die nämlichen Rechte für sich in An-
spruch, die sie in der Naturwissenschaft besitzt. Die physischen
Einwirkungen gelten nicht mehr als Glieder eines Functionsverhält-
nisses, da ein solches im strengeren Sinne immer nur zwischen
gleichartigen Gliedern, also zwischen physischen und physischen
oder aber zwischen psychischen und psychischen, möglich ist, sondern
jene Einwirkungen werden nunmehr als die Hülfs mittel betrachtet,
deren man sich bedienen muss, um psychische Vorgänge
nach Willkür hervorzubringen, zu wiederholen oder in
genau vorausbestimmter Weise abzuändern. Was Bacon
als den Zweck des naturwissenschaftlichen Experimentes bezeichnet.
174 Logik der Psychologie.
dass es die Natur nicht frei sich selbst überlässt, sondern dass es
ihr «kunstgerecht Zwang anthut'' , damit sie Rede stehe auf die
Fragen, die der Naturforscher ihr stellt'*'), — genau dasselbe soll
das psychologische Experiment gegenüber dem individuellen Be-
wusstsein leisten: es soll dieses nicht frei sich selbst überlassen,
sondern es bestimmten genau zu regelnden Bedingungen unterwerfen,
und der Psychologe soll die Erscheinungen beobachten und wo es
möglich ist messend bestimmen, die sich unter diesen willkürUch
Yon ihm eingeführten Bedingungen darbieten. Der grosse Yortheil
des psychologischen Experimentes besteht von diesem Gesichtspunkte
aus darin, dass es, gerade so wie das naturwissenschaftliche, den
Eintritt der Vorgänge nach den Zwecken der Untersuchung regelt
und abstuft. Es verbindet aber damit noch den besonderen Vorzug,
der ihm auf naturwissenschaftlichem Gebiete im aUgemeinen nicht
eingeräumt werden kann, dass es eine Beobachtung im wissen-
schaftlichen Sinne, insofern man darunter eine planmässige Ver-
folgung der Erscheinungen mit der Aufmerksamkeit versteht, über-
haupt erst möglich macht. Der Naturforscher kann beobachten ohne
zu experimentiren, weil die Naturgegenstände von ihm unabhängige
Objecte sind ; der Psychologe kann es nicht, weil für ihn Object und
Subject der Beobachtung zusammenfallen. Aber indem er einen
zuerst nur zufällig wahrgenommenen Vorgang experimentell nach
Willkür wiederholt und, wenn es die Zwecke der Beobachtung
wünschenswerth machen, verändert, verwandelt sich auf diesem Wege
von selbst die zufällige Wahrnehmung in die Beobachtung. Denn
jene willkürliche Erzeugung und Veränderung der Erscheinungen ge-
stattet es ihm nun, von Anfang an denselben so seine Aufmerksamkeit
zuzuwenden, dass eben damit auch die für die Beobachtung wesent-
liche planmässige Richtung der Aufmerksamkeit vorhanden ist oder,
wo sie es bei einem ersten Versuch nicht sein sollte, bei künftigen
Versuchen erzielt werden kann.
Wenn man gegen das psychologische Experiment eingewandt
hat, es erlaube nicht die psychischen Vorgänge so wie sie an sich
selbst sind zu beobachten, weü es eben verändernd in deren Verlauf
eingreife, so würde sich dieser Vorwurf mit gleichem Rechte gegen
jedes naturwissenschaftliche Experiment erheben lassen. Das Be-
denken würde in beiden Fällen gerechtfertigt sein, wenn die Natur
und das menschliche Bewusstsein so zu sagen zweierlei Gesetze zur
*) De dignitate et augmentifi scient. IT, 2.
Allgemeine Bedeutung der experimentellen Methode für die Psychologie. 175
Verfügung hätten: eine erste Art, die sie für sich allein, gleichsam
im geheimen, befolgten, und eine zweite Art, die sie nach aussen
kehrten, sobald man sie durch eine experimentelle Frage zwingen
wollte Rede zu stehen. So gut wie die Natur, ebenso gut muss
natürlich auch das menschliche Bewusstsein gegenüber den Ein-
wirkungen unter denen es steht mit der Gesetzmässigkeit reagiren,
die ihm vermöge seiner überall gleichbleibenden Eigenschaften zu-
kommt. Es wird vielleicht einfacher reagiren, wenn die Bedingungen
einfachere sind als die im gewöhnlichen Verlauf des Lebens vor-
kommenden: aber das kann hier wie bei dem physikalischen Ex-
periment im Interesse der Analyse der complexen Erscheinungen nur
wünschenswerth sein, üeberdies bedient sich auch das psycho-
logische Experiment weder widernatürlicher Mittel noch überhaupt
solcher, die ganz ausserhalb des Umkreises gewohnter Lebenseinflüsse
li^en, sondern der Psychologe folgt, so gut wie der Naturforscher,
bei seinen Experimenten nur den Spuren, die ihm die Erfahrung
zeigt. Wie jeder Sinneseindruck gewissermassen ein Experiment ist,
das die Natur mit uns anstellt, jede willkürliche Bewegung eine
natfirliche Reaction, die sie unsererseits durch ihre Einwirkungen
herausfordert, so bedient sich auch das psychologische Experimental-
verfahren eben nur dieser von selbst überall schon wirksamen Hülfs-
mittel der Einwirkung auf das Bewusstsein und der Rückwirkung
desselben, nur dass es selbstverständlich alle diese Hülfsmittel einer
genauen Gontrole unterstellt und sie nicht planlos und zufällig, son-
dern planmässig und nach vorausbestimmten Zwecken verwendet.
Nicht minder hinfällig ist das Bedenken, dass sich in dieser Beziehung
ein menschliches Bewusstsein dem ihm „künstlich angelegten Zwang*^
gegenüber doch etwas anders verhalten möchte als die Natur, weil
eben jener Einfluss der Absicht, den man der unmittelbaren Selbst-
beobachtung gegenüber geltend mache, auch bei der experimentellen
Beobachtung nicht fehlen werde. Zunächst übersieht man hier den
ungebeuren Einfluss, den bei diesen wie bei allen Beobachtungen
der gerade durch die häufige Wiederholung gleichartiger Beobach-
tungen eingeübte Mechanismus der Oewohnheit ausübt. Der psycho-
logische Beobachter vergisst so gut wie der physikalische vollständig
die subjective Aufmerksamkeit auf den Zustand des Beobachtens
über der Aufmerksamkeit auf die zu beobachtenden Erscheinungen.
So lange jener Zustand als ein ungewohnter empfunden wird und
selbst zur Reflexion anregt, bleiben natürlich hier wie dort die Be-
obachtungen unzuverlässig, und es ist darum selbstverständlich, dass
176 Logik der Psychologie.
in beiden Fällen nicht bloss das äussere technische Verfahren, son-
dern auch die eigenthümliche subjective Kunst der experimentellen
Beobachtung erlernt und geübt werden muss. Sodann aber ist es
ein Irrthüm, wenn man meint, die experimentelle Beobachtung sei,
abgesehen davon dass sie sich die Bedingungen selbst wählt, etwas
Yon der gewöhnlichen Beobachtung völlig verschiedenes. Auch der
experimentelle Beobachter kann die psychischen Vorgänge nicht in
dem Moment, in dem sie eintreten, auffassen und festhalten. Das
ist für den physikalischen Beobachter ebenfalls unmöglich. Auf-
nehmen und Festhalten sind überall zwei Akte. Rechenschaft geben
über das was man äusserlich wahrgenommen oder innerlich erlebt
hat, kann man sich immer erst in dem Moment, wo das Ereigniss
selbst schon vorüber ist. In dieser Beziehung unterscheidet sich
also auch die innere Wahrnehmung des experimentellen Psycho-
logen nicht von der jedes Anderen. Aber während es bei der ge-
wöhnlichen inneren Wahrnehmung ganz dem Zufall überlassen bleibt,
ob sich ein Ereigniss wiederholt, und ob es uns, wenn das der Fall
ist, in der geeigneten Verfassung vorfindet, um es möglichst schnell
nachher festzuhalten, ist dies bei der experimentellen Beobachtung
in unsere Wahl gestellt. Und eben dies ist der Punkt, wo sich die
experimentelle Methode in der Psychologie zugleich als das einzig
mögliche Hülfsmittel psychologischer Beobachtung herausstellt. Der
Naturforscher kann zu seinem Object beliebig zurückkehren, auch
ohne es einer experimentellen Analyse unterwerfen zu wollen. Der
Psychologe aber kann zu einem unter bestimmten Bedingungen be-
obachteten inneren Vorgang nur zurückkehren, wenn er künstlich
die nämlichen Bedingungen wiederherstellt, also mit Hülfe der experi-
mentellen Methode.
Es bleibt nun schliesslich noch ein letzter Einwurf, der sich
nicht gegen die experimenteUe Methode an sich, sondern nur gegen
die Tragweite richtet, die ihr gegeben wird, wenn ihr Zweck als
ein rein psychologischer betrachtet wird, — ein Einwurf der
in der That in der allmählichen Entwicklung dieser Methode eine
gewisse Rechtfertigung findet. Da man nie daran denken kann mit
rein psychischen Hülfsmitteln zu experimentiren, sondern physischer
Einwirkungen bedarf, um die zu beobachtenden psychischen Vor-
gänge hervorzurufen, sowie physischer Hülfsmittel, um ihre körper-
lichen Rückwirkungen zu beobachten, so kann es natürlich in diesem
Sinne nur psychophysische Experimente geben. Trotzdem beruht
die Meinung, dass eben darum jedes derartige Experiment nur einem
Allgemeine Bedeutung der experimentellen Methode f&r die Psychologie. 177
Uebergangsgebiet zwischen Physiologie und Psychologie, nicht dieser
selbst angehöre, offenbar auf einer Verwechslung des Httlfs mittels
der Untersuchung mit ihrem Zweck. Da schon in dem natürlichen
Verlauf der Lebensvorgänge physische Einwirkungen die Bedingungen
sind, unter denen alle unsere psychischen Erlebnisse stehen, sei es
unmittelbar, indem sie direct durch jene hervorgerufen werden, sei
es mittelbar, indem sie sich auf weiter zurückliegende äussere Ein-
flüsse beziehen, so ist ja an und für sich nicht daran zu denken,
dass der psychologische Experimentator das menschliche Bewusstsein
anders beeinflussen könnte, als die Natur selbst es beeinflusst. Da
aber solche Einwirkungen hier wie dort genau im selben Sinne ge-
schehen, mit dem Endeffect nämlich die psychischen Vorgänge selbst
zu Yerändem, nur im einen Falle zufällig und unbestimmbar, im
andern in exact geregelter Weise, so ist es klar, dass jede auf diesem
Wege entstehende experimentelle Beeinflussung eben ein psycho-
logisches Experiment in der einzigen überhaupt für dasselbe mög-
lichen Form ist*). Ein entscheidender Grund gegen die bei jener
Einschränkung in das engere Gebiet der so genannten „Psycho-
physik* dem Experiment angewiesenen Grenzen wird sich überdies
noch aus der Anwendung des Gausalprincips auf die Psychologie
ergehen. Denn dabei wird sich zeigen, dass der Begriff einer specifi-
ächen ,psychophysischen Gausalität" , wie man ihn in jenem Falle
Toraussetzen muss, aus logischen wie naturwissenschaftlichen Gründen
unhaltbar ist. (Vgl. unten S. 252.)
Von solchen allgemeinen Erwägungen abgesehen kommt es
jedoch hier wie überall auf den Erfolg an. Alle allgemeinen Gründe
für die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer experimentellen Psycho-
logie können dieser nicht zum Leben verhelfen, wenn der Versuch
wirklich psychologische Experimente auszuführen und durch sie
psychologische Probleme zu lösen misslingen sollte ; und hinwiederum.
*) Da nach dem Gesagten die Beeinflussung der psychischen Vorgänge
in exact zu bestimmender Form und die dadurch ermöglichte ezacte Selbst-
beobachtung die beiden Kriterien des psychologischen Ezperimentalverfahrens
sind, 80 erhellt ohne weiteres, dass die so genannten .hypnotischen Experi-
mente", die man zuweilen ganz besonders, wenn nicht gar ausschliesslich, als
«experimentelle Psychologie' betrachtet hat, eigentlich überhaupt nicht in das
Gebiet derselben gehören. Denn bei ihnen fehlen jene beiden Kriterien, so-
wohl die exacte Beeinflussimg wie die exacte Selbstbeobachtung, vollständig.
Vgl. hierüber meinen Aufsatz: Hypnotismus und Suggestion, Phil. Stud. VIII,
8. 62 ff., und Physiol. Psychol. 4. Aufl. I, S. 9.
Wandt, Logik. II, 2. S. Aufl. 22
178 Logik der Psychologie.
gelingt dieser Versuch, so werden die Zweifel von selbst verstummen,
und was in so manchen andern ähnlichen Fällen geschehen ist, wird
auch hier geschehen: was man zuerst fOr unmöglich erklärt, wird
zunächst unter gewissen Beschränkungen zugelassen und zuletzt für
so selbstverständlich und nothwendig gehalten werden, dass Niemand
begreift, wie jemals eine andere Meinung existiren konnte.
d. Die Methoden der psychischen Grössenmessung.
Unter dem Begriff der psychischen Grösse können wir alle
inneren Erfahrungsinhalte zusammenfassen, bei denen irgend welche
gradweise Unterschiede vorkommen. In Wahrheit trifft nun dies für
jeden psychischen Thatbestand zu, und jeder kann daher auch prin-
cipiell als Grösse aufgefasst werden. Nicht In allen Fällen ist eine
Orössenbestimmung Zweck der psychologischen Untersuchung. Wohl
aber kann die Ermittlung des Werthes psychischer Grössen und
ihres Verhältnisses zu einander als die elementarste Aufgabe einer
exacten psychologischen Analyse betrachtet werden. Denn bei ihr
lässt sich von allen verwickelten Zusammensetzungen und Wechsel-
wirkungen der psychischen Gebilde abstrahiren, da die Eigenschaft
eine psychische Grösse zu sein jedem beliebigen durch noch so weit
gehende Abstraction gewonnenen Bestandtheil der inneren Erfahrung
zukommt. So sind die „reinen Empfindungen", wie Roth, Blau, ein
Ton u. dergl., in doppelter Hinsicht psychische Grössen: erstens
weil sie eine bestimmte Intensität besitzen und dadurch in eine
Reihe gradweiser Abstufungen der Empfindungsstärke sich einreihen;
und zweitens weil sie eine bestimmte Qualität haben, die in irgend
einen Zusammenhang gradweise verschiedener Empfindungsqualitäten
eingeht. Ebenso können wir an einem zweiten Abstractionsproduct
der inneren Erfahrung, dem einfachen Gefühl, Intensität und Qua-
lität als Eigenschaften unterscheiden, deren jede sich einer Reihe
gradweiser Abstufungen einfügt. Endlich können aber auch Zu-
sammenordnungen von Empfindungen in räumlicher und zeitlicher
Form in Bezug auf diese ihre Ordnung als Grössen aufgefasst
werden, indem wir die vorgestellten Grössenwerthe der Zeit- oder
Raumstrecken vergleichen. Auf diese Weise sind schliesslich alle
psychischen Erfahrungsinhalte theils intensive theils extensive
Grössen: intensive Grössen sind die letzten nicht weiter zerlegbaren
Bewusstseinselemente, die einfachen Empfindungen und Gefühle, ex-
tensive Grössen sind die einfachen Zusammenordnungen solcher
Methoden der psychischen Grössenmessung. 179
Elemente. Jede dieser Ghrössen zerfällt dann wieder in zwei Arten:
die intensive in den Stärkegrad und in die Qualitätsstufe, die
extensive in die zeitliche und die räumliche Strecke. Dazu
kommt endlich noch als eine Eigenschaft psychischer Inhalte, die
bis jetzt bei den psychischen Ghrössenmessungen keine nähere Be-
achtung gefunden hat, der Klarheitsgrad der Vorgänge. Er ist
als solcher eine intensive Grösse, da sich die Klarheitsgrade einer
Vorstellung, eines Gefühls u. dergl. wiederum in eine intensive Reihe
ordnen lassen. Indem sich aber gegebene psychische Vorgänge nach
Massgabe ihrer relativen Klarheit von einander sondern, entspringt
aas diesem Verhältniss die grössere oder geringere Deutlichkeit
der successiven oder simultanen Unterscheidung der Vorgänge. Wir
können daher die Klarheit als die intensive, die Deutlichkeit als
die extensive Seite des Auffassungswerthes der Vorgänge be-
trachten. Alle diese psychischen Grössen sind in der unmittelbaren
Wahrnehmung als stetige Grössen gegeben, indem der üebergang
einer bestimmten Intensität, Qualität u. s. w. in eine andere um
einen endlichen Werth von ihr entfernte continuirlich durch unend-
lich kleine Zwischenstufen erfolgen kann. Dabei kann jedoch die
Anzahl der möglichen stetigen üebergangsrichtungen oder die Di-
mensionszahl eine verschiedene sein: so sind die Intensitätsgrade
eines qualitativ unveränderlich gedachten Vorgangs eindimensionale
intensive Grössen, und der zeitliche Verlauf eines solchen Vorgangs
ist eine eindimensionale extensive Gh-össe. Dagegen sind z. B. die
Lichtqualitäten nur in einem dreidimensionalen intensiven Gontinuum
erschöpfend zu ordnen. Wie nun die Naturwissenschaft alle räum-
lichen Messungen schliesslich auf die Messung linearer Strecken,
also auf die Abstraction eines linearen Raumcontinuums zurückführt,
das sie zum Zweck der Messung mehrdimensionaler Grössen suc-
cessiv in semer Richtung veränderlich denkt, so reducirt sich auch
alle psychische Grössenmessung in letzter Instanz immer auf ein-
dimensionale Grössenvergleichungen. Entspricht in dieser Beziehung
das Massprincip der Psychologie ganz und gar dem der Naturwissen-
schaft, so entfernen sich nun aber beide in einem andern Punkte
wesentlich von einander. Die Physik reducirt alle ihre Grössen auf
räumliche Grössen und daher auch alle Grössenmessungen endgültig
auf eindimensionale räumliche Vergleichungen (vgl. Abschn. III,
Cap. n S. 403 ff.). Die Psychologie dagegen kann an sich keine
der intensiven oder extensiven Grössen, mit denen sie sich beschäf-
tigt, auf eine andere zurückfuhren. Intensität, Qualität, Klarheits-
180 Logik der Psychologie.
grad, räumliche und zeitliche Ausdehnung u. s. w. bilden jedes ein
für sich bestehendes Object psychischer Messung, das zwar inner-
halb seiner eigenen Gbittung stets eine eindimensionale Grösse ist,
ohne dass aber eine Reduction irgend eines dieser Bestandtheile auf
einen andern möglich ist. Hierin kommt schon auf diesem elemen-
tarsten Gebiet der Psychologie der Werth der qualitativen Eigen-
thümlichkeiten des psychischen Geschehens im Gegensatze zu der
einseitig quantitativen Betrachtung der theoretischen Naturwissen-
schaft zum Ausdruck. Es fehlt in Folge dessen aber natürlich auch
der Psychologie von vornherein die Möglichkeit einer Verallgemeine-
rung der Masseinheiten, wie sie der physikalischen Messung eigen
ist. Doch hindert dies nicht, dass die Principien hier ebenso
allgemeingültig sind wie dort. Denn diese Principien sind auch
hier von der besonderen qualitativen Eigenthümlichkeit der Phäno-
mene ganz unabhängig: sie gründen sich einzig und allein darauf,
dass alle psychischen Elemente und ihre Verbindungen, wie be-
schaffen sie im übrigen auch sein mögen, stetig veränderliche
Grössen sind, deren jede sich auf eine eindimensionale
Grösse zurückführen lässt.
Da die Hauptobjecte psychischer Grössenbestimmimgen bis jetzt
die durch Abstraction aus dem zusammengesetzten psychischen That-
bestand isolirten einfachen Empfindungen, theils ihre Qualitäts-,
theils und vorzüglich aber ihre Intensitätsgrade gewesen sind, wäh-
rend Gefühle, Elarheitsgrade u. s. w. noch so gut wie gar nicht,
die zeitlichen und räumlichen Eigenschaften der Vorstellungen aber
in engem Anschluss an die für die Intensitätsmessungen aufgefun-
denen Principien behandelt wurden, so wird es zur Vereinfachung
dienen, wenn auch im Folgenden die Empfindungsmessung, xmi
zwar speciell als der einfachste Fall die Intensitätsmessung, der Er-
örterung der Methoden zu Grunde gelegt wird. Doch sei ausdrück-
lich bemerkt, dass dieser Fall durchaus nur als ein Beispiel zu
betrachten ist, nach dessen Analogie im Princip alle psychischen
Inhalte behandelt werden können. In diesem Sinne können daher
die Methoden ganz allgemein als solche der , psychischen Grössen-
messung** bezeichnet werden.
Statt dieses Ausdrucks pflegt in der neueren Psychologie ein
anderer, nämlich der der „psychophysischen Methoden*, gebraucht
zu werden. Da dieser Name von dem hochverdienten Begründer
dieser Methoden, von Fechner selbst herrührt und nunmehr durch
langen Gebrauch sich eingebürgert hat, so würde es wünschenswerth
Methoden der psycbiBchen GrösGienmessung. 181
sein an ihm festzuhalten, wenn nicht in diesem Fall der Name zu-
gleich ein Missverständniss mit sich führte, welches die Auffassung
der Bedeutung der Methoden und damit der experimentellen Psycho-
logie überhaupt zu trüben geeignet ist. Da nämlich Fe ebner unter
^Psychophysik^ eine Disciplin verstand, die sich mit der exacten
Feststellung der Wechselbeziehungen zwischen Körper und Seele
beschäftige, so nahm er auch in den Begriff der ,psychophysischen
Methoden^ diese Aufgabe herüber: sie waren ihm, im Sinne des oben
gekennzeichneten zweiten Stadiums in der Entwicklung der experi-
mentellen Psychologie, Methoden zur Feststellung der körperlich-
seelischen Wechselbeziehungen, also psychophysische, nicht psycho-
logische Methoden im eigentlichsten Sinne des Worts. Weil nun
die psychischen Zustände an und für sich keiner Messung zugäng-
lich sind, 80 schrieb er dem äusseren Reiz die Bedeutung eines
Massstabes für die psychischen Zustände, die Empfindungen zu.
Er nennt so den Reiz das „Massmittel*' der Empfindung und yer-
gleicht ihn der Elle, die wir an irgend eine räumliche Strecke an-
legen*). Nun ist sich zweifellos Fechner selbst schon darüber
vollkommen klar gewesen, dass Empfindungen nur an Empfindungen,
unmöglich aber an irgend welchen physischen Vorgängen gemessen
werden können**). Doch seine Ausführungen lassen nicht nur dies
Missverständniss leicht aufkommen, sondern man muss sogar zu-
geben, dass es durch die „psychophysische* Ansicht von dem Zweck
der Empfindungsmessungen nahe gelegt wird und eben deshalb wohl
noch heute nicht ganz verschwunden ist. In Wahrheit kann es aber
nicht dem geringsten Zweifel unterworfen sein, dass der Reiz weder
als der Massstab noch auch eigentlich als das Massmittel der Em-
pfindung betrachtet werden kann, weil auch der letztere Ausdruck
den Gedanken erwecken muss, der Reiz selbst sei ein Hülfsmittel,
mit dem man die Empfindung misst. Auch darauf hat er jedoch
keinen Anspruch, sondern Empfindungen kann man immer nur mit
Empfindungen, und zwar ausschliesslich mit Empfindungen gleicher
Art messen, d. h. mit solchen die genau der Massdimension an-
gehören innerhalb deren man die Vergleichung vornimmt, also z. B.
den Intensitäten einer und derselben Qualität. Selbst der gelegent-
*) Fechner, Elemente der Paychophygik, I, S. 57. Vgl. dazu auch
Alfr. Köhler, Phü. Stud. III, S. 576 und L. Lange, ebend. X, S. 126 ff.
**) Vgl. namentlich die wichtige letzte Abhandlung Fechners über den
Geg«iiitand, Phü. Stud. IV, S. 179 ff.
182 Logik der Psychologie.
lieh aufgetauchte Versuch, direct Empfindungen ganz verschiedener
Qualität an einander zu messen, ist daher verfehlt: er verstösst
gegen den in der Psychologie so gut wie in der Physik gOliigen
Grundsatz, dass directe Vergleichungen stets nur innerhalb einer
und derselben Dimension vorgenommen werden können, ein Grund-
satz der allerdings in der Physik wegen der Gleichartigkeit der
räumlichen Dimensionen eine beliebige üebertragung der innerhalb
einer gegebenen Dimension vorgenommenen Messungen auf eine
andere gestattet, in der Psychologie aber wegen der Ungleichartig-
keit der psychischen Grössen ausgeschlossen ist. Der äussere Reiz
ist demnach bei jeder Messung psychischer Grössen lediglich ein
Hülfsmittel, das wir anwenden, um in genau vorher zu bestimmen-
der Weise Empfindungen hervorzurufen, die dann an einander
gemessen werden können. Die Masseinheit bleibt daher bei aUen
hier anzuwendenden Massmethoden von einer bestimmten, von uns
leicht wieder aufzufindenden Grösse, und eine gegebene Empfindung
kann immer nur durch die Vergleichung mit einer andern Empfin-
dung von bekannter Grösse, niemals aber durch die Vergleichung
mit der ihr ganz heterogenen Reizgrösse gewonnen werden. Während
also z. B. bei der physikalischen Messung einer i^umlichen Grösse
die Masseinheit dem Massstab entnommen und die zu messende
Grösse durch die Vergleichung mit der Anzahl der Einheiten des-
selben gemessen wird, besteht die Rolle des äusseren Reizes bei der
psychischen Grössenmessung darin, dass dieser es uns möglich macht,
die Empfindungen willkürlich so abzustufen, dass sie an einander
messbar sind. Er würde darum eher der Hand dessen der den Mass-
stab anlegt als diesem Massstab selber verglichen werden können.
Deshalb ist es nicht minder unzutreffend, wenn man etwa das Ver-
hältniss von Reiz und Empfindung bei der Empfindungsmessung zu
dem von Raum und Zeit bei der Zeitmessung in Parallele bringt.
Physikalisch wird die Zeit mit dem Raum gemessen, indem sie selbst
als eine Raumgrösse betrachtet, indem also einer Zeitstrecke eine
räumliche Strecke substituirt wird. Denn der zeitliche Verlauf
aller Naturvorgänge wird schliesslich auf die gleichförmige und bei
jeder Wiederholung gleichbleibende Geschwindigkeit einer Bewegung
von der Grösse der als Masseinheit dienenden Raurostrecke zurück-
geführt. Die Zeitmessung ist also eine Raummessung mit einer
hinzugedachten begrifflichen Forderung, welche auf die Gonstanz der
Naturvorgänge gegründet ist. Genau im selben Sinne werden dann
auch die Kraft- und Energiemasse der Naturwissenschaft auf die
Methoden der psychischen Grössenmessung. 183
Messung räumlicher Längen und Winkel reducirt. (Vgl. Bd. I, S. 490
and Bd. II, Abschn. lU, S. 403 ff.) Alle Massbestimmungen auf
diesem Gebiete beruhen daher auf der Messung von Gleichem
an Gleichem, und sie erreichen dies durch die ZurückfQhrung
aller andern Grössen auf räumliche Grössen, die durch die absolute
Constanz der Eigenschaften des Raumes und durch die beliebige
Uebertragbarkeit der Massstäbe von einem Ort an den andern diesem
Bedürfhisse auf das vollkommenste genügen.
Gegenüber dieser räumlichen Messung beruhen nun die Schwie-
rigkeiten der psychischen Messung wesentlich darauf, dass die
Gegenstände derselben veränderliche Vorgänge sind, die sich in
keinem Augenblick fixiren und von einem Zeitpunkt auf einen andern
beliebig entfernten oder gar von einem individuellen Bewusstsein
aaf ein anderes übertragen lassen. Die Feststellung eines absoluten
Ma^es, welches stets feste und übertragbare Massstäbe voraussetzt,
ist also hier von vornherein ausgeschlossen. Nicht minder ist aber
eine ZurückfÜhrung von Grössen einer bestimmten Art auf solche
einer andern Art, wie sie auf physikalischem Gebiete zu jener Be-
duction aller Grössen auf räumliche Grössen geführt hat, auf psychi-
schem unmöglich. Man kann ebenso wenig Gefühls- in Empfindungs-
werthen wie Empfindungswerthe einer bestimmten Qualität in denen
einer andern ausdrücken, ja man kann nicht einmal die Empfindungs-
starke irgend einer Sinnesqualität mit der einer andern exact ver-
gleichen. Wo man im letzteren Fall etwa eine solche Vergleichung
glaubt ausführen zu können, da sind es zweifellos secundäre Wir-
kungen der Empfindung auf das Bewusstsein, die zu solcher Meinung
Anlass geben. In diesem Sinne wird man ja sagen können, dass
ein starker Schall eine sickere Empfindung sei als ein sehr schwacher
Lichteindruck. Aber dabei werden doch nicht eigentlich Schall- und
Licbtempfindung selbst verglichen, sondern die Wirkungen die sie
auf das Bewusstsein ausüben, und die sich in Empfindungen oder
Gefühlen verrathen, bei denen die Forderung der Einordnung in eine
Dimension wieder erfüllt sein kann.
Aus diesen Verhältnissen ergeben sich zwei allgemeine Regeln
psychischer Grössenbestimmung, die zu der Forderung der Reduc-
tion der physischen Grössen auf Raumgrössen in diametralem Gegen-
satze stehen : 1) Psychische Grössen sind nur unter der Voraussetzung
exact vergleichbar, dass sie in annähernd unmittelbarer Suc-
eession und bei sonst gleichbleibendem Bewusstseins-
zuBtand der Beobachtung dargeboten werden. Darin liegt schon
/
]^g4 Logik der Psychologie.
ausgedrückt, dass nur auf experimentellem Wege zuverlässige psy-
chische Grössenbestimmungen möglich sind, da natürlich auf andere
Weise die geeignete Succession nicht hervorgebracht werden kann.
Wie übrigens der sonstige constante Bewusstseinszustand zu wählen,
welche Dauer und Schnelligkeit der Succession den Vorgängen zu
geben sei, das ist natürlich Sache der speciellen empirischen Er-
mittelungen. 2) Psychische Grössenbestimmungen können immer
nur innerhalb einer und derselben Dimension stattfinden, so also
dass sich das Vergleichungsurtheil nur auf Veränderungen dieser
einen Dimension bezieht. Solche einfache Dimensionen bilden z. B.
die Intensitäten einer Empfindung bei gleich bleibender Qualität
oder eine Reihe stetig in nur einer Richtung abgestufter Qualii^ten
bei gleich bleibender Intensität u. s. w.
Da nun die erste dieser Regeln die üebertragung von Mass*
einheiten völlig ausschliesst, und da überdies wegen der nie ganz
zu erfüllenden Forderung des constant bleibenden Bewusstseins-
zustandes die einzelne Grössenbestimmung niemals die Sicherheit
erreichen kann, die im allgemeinen bei physischen Messungen mög-
lich ist, so treten hierzu noch die beiden folgenden Hülfsregeln:
3) Die Gewinnung exacter ürtheile über Grössen Verhältnisse und
Grössenunterschiede ist nur dann möglich, wenn solche Verhältnisse
oder Unterschiede ein bestimmtes und eindeutiges ürtheil zu-
lassen. Dieses setzt aber wieder voraus, dass gewisse ausgezeich-
nete Fälle solcher Grössenverhaltnisse mittelst der experimentellen
Bedingungen hergestellt werden. Ein ausgezeichneter Fall dieser
Art ist z. B. die Gleichheit zweier Empfindungen, ein anderer der
minimale (kleinstmerkliche) Unterschied, ein dritter die Mitte einer
Empfindungsstrecke, als deren Endpunkte zwei gegebene Empfin-
dungen betrachtet werden, u. s. w. 4) Zur Gewinnung endgültiger
Ergebnisse über die Verhältnisse psychischer Grössen ist stets die
Combination vieler einzelner Grössenbestimmungen erforderlich, bei
deren Ausführung auf die Ausgleichung der aus der wechselnden
Bewusstseinslage und den wechselnden äusseren Bedingungen ent-
springenden Schwankungen Bedacht zu nehmen ist. Statistische
Sammlung von Beobachtungen und die Anwendung der Methoden
der Fehlerelimination in den durch den besonderen Charakter der
Untersuchung bestimmten Formen werden daher ein Erfordemiss
psychischer Messungen, ein unerlässlicheres als sie es im allgemeinen
bei den physikalischen Messungen sind.
Diese Bedingungen der psychischen Messung haben nun zur
Methoden der psychischen Grössenmessung. 185
Attsbildnng zweier Classen von Massmethoden geführt, von denen
die ersten als die directen oder auch nach dem dabei angewandten
Verfahren als die Einstellungsmethoden, die zweiten ab die
indirecten oder als die Abzählungsmethoden bezeichnet werden
können. Die Einstellungsmethoden sind ihrem Princip nach durchaus
der gewöhnlichen physikalischen Grössenmessung, z. B. der directen
Messung einer Raumstrecke, verwandt. Sie unterscheiden sich nur
dadurch, dass man nicht beliebige Grössenwerthe sondern nur aus-
gezeichnete der oben erwähnten Art mit einander vergleicht. Die
Abzahlungsmethoden dagegen sind für die psychische Grössenmessung
durchaus charakteristisch. Ihre Existenz beruht wesentlich darauf,
dass auf psychischem Gebiet nur gewisse ausgezeichnete Werthe
messbar sind, und dass demnach natürlich neben ihnen noch eine
unendliche Zahl unbestimmter Grössenverhältnisse existirt. Demnach
ermitteln die Abzählungsmethoden nicht direct die ausgezeichneten
Werthe, sondern indirect, indem sie eine grössere Anzahl von Fällen
herstellen, die in irgend einer Weise das Gebiet eines ausgezeichneten
Werthes umgeben. Diese Fälle werden in gewisse Gruppen ein-
getheilt, deren jeder ein ürtheil entspricht^ das sich demnach nicht
selbst auf einen bestimmten ausgezeichneten Werth sondern auf eine
Vielheit in ihrer concreten Grösse unbestimmter Werthe bezieht, die
jedoch durch eine dem Urtheil zu Grunde liegende willkürliche Con-
vention in gewisse Grenzen eingeschlossen sind. Mittelst der Ab-
zahlung der so in einer grossen Anzahl von Fällen gewonnenen
Urtheile yerschiedener Art wird dann erst die wahrscheinliche Lage
der gesuchten ausgezeichneten Werthe bestimmt. Das Verfahren
ist demnach hier ein statistisches. Es ist nicht bloss durch das
Abzahlungsrerfahren , sondern auch durch die willkürliche Be-
grenzung der Fälle der Statistik der Massenerscheinungen ver-
wandt; aber da hier die Statistik im Dienste der experimentellen
Methode steht, so unterscheidet es sich dadurch, dass nicht bloss
die Feststellung der Gruppen sondern auch die der Bedingungen,
welche die einzelnen Fälle entstehen lassen, vollkommen eine Sache
freier Wahl ist.
Die Einstellungsmethoden lassen sich nach den oben
unterschiedenen drei Classen ausgezeichneter Grössenwerthe in drei
Hauptmethoden unterscheiden: 1) Die Methode der Gleich-
einstellung (gewöhnlich Methode der mittleren Fehler genannt).
Bei ihr wird zu einem gegebenen Reize A ein zweiter B so ab-
gestuft, dass die beiden Empfindungen einander gleich erscheinen.
188 Logik der Psychologie.
stellenden und in ihren Eigenschaften naher zu charakterisirenden
Anzahl variiren. Doch bildet die Anwendung von drei Urtheils-
arten wegen ihres nahen Zusammenhangs mit den allgemeinen Eigen-
schaften der Grösseneintheilung einen besonders bemerkenswerthen
Fall. Bei allen diesen Metboden entspricht einer bestimmten Ur-
theilsart eine bestimmte Strecke innerhalb des Continuums der-
jenigen Empfindung £, die mit einer andern eben vorausgegangenen
oder sofort nachfolgenden Empfindung A verglichen wird. Indem man
die verschiedenen Abstufungen der Empfindung, die innerhalb einer
solchen Strecke möglich sind, unberücksichtigt lässt, wird bloss die
Anzahl der ürtheile abgezählt, die auf jede der Strecken fällt, worauf
dann aus der relativen Frequenz der verschiedenen ürtheile auf die
wahrscheinliche Lage der für die Grössenvergleichung massgebenden
ausgezeichneten Punkte innerhalb der untersuchten Dimension der
Empfindungen geschlossen wird. Während demnach die Einstellongs-
methoden unmittelbar approximative Werthe der ausgezeichneten
Punkte ergeben, zu deren genauerer Feststellung dann erst Fehler-
eliminationen, die den allgemein bei Messungen üblichen ähnlich
sind , erfordert werden , sind bei den Abzählungsmethoden die
ausgezeichneten Punkte selbst von vornherein nur auf Grund von
Erwägungen zu gewinnen, bei denen man die allgemeinen Principien
anwendet, welche die Wahrscheinlichkeitstheorie für die Abhängig-
keit der Anzahl der Fehlurtheile von der Grösse der Fehler aufstellt.
Dabei führt nun jene willkürliche Convention über die anzuwendenden
ürtheilsgruppen immer zugleich besondere Bedingungen der Beob-
achtung herbei ; denn diese müssen natürlich von vornherein so be-
schaffen sein, dass sich die gewünschten Gruppen ergeben. Dem-
nach ist: 1) die Methode der zwei Fälle dadurch ausgezeichnet,
dass bei ihr die eine Empfindung in Bezug auf die andere, mit der
man sie vergleicht ^ überhaupt nur in zwei Strecken getheilt wird.
Diese einfachste Theilung ist aber nur dann ungezwungen anwend-
bar, wenn ein neutrales mittleres Gebiet zwischen den zwei unter-
schiedenen Strecken nicht existirt. Dies kann nun wieder unter
zwei sehr verschiedenen Bedingungen vorkommen : erstens wenn der
Unterschied der zwei Empfindungen A und B so gross ist, dass er
bei einer normalen gleichmässigen Spannung der Aufmerksamkeit
nur die zwei ürtheile A = B und B> A ergibt (Gleichheits- und
üngleichheitsfälle: g und^); und zweitens wenn der unterschied sehr
klein ist, wahrend zugleich die Aufmerksamkeit stark angespannt
wird, so dass nur die zwei ürtheile A^ B oder A<CB vorkommen
Methoden der psychiBchen Grössenmessusg. 189
(positive und negative Fälle: p und ^)*), Beidemal besitzen die
Resultate offenbar eine verschiedene Bedeutung. 2) Die Methode
der drei Fälle (gewöhnlich Methode der richtigen und falschen
Fälle genannt) ist deshalb die allgemeinste, weil sie den drei all-
gemeinen Kategorien der Orössenvergleichung „gleich*^, «grösser*^
und «kleiner*, wie sie ohne nähere quantitative Bestimmungen ge-
wonnen werden können, entspricht. Wo man in einer sehr grossen
Anzahl von Fällen zwei Empfindungen von hinreichend kleinem
Unterschied mit einander vergleicht, wird man daher in der Regel
Uriheile dieser drei Arten erhalten. Nimmt man nun die Em-
pfindung Ä als die Grösse, an der B gemessen wird, so lassen
sich die Urtheile B > -4 als positive, J3 <C ^ als negative, und
endlich B = Ä als Oleichheiisurtheile (p, n und g) bezeichnen*'").
3) Bline Methode der mehrfachen Fälle liesse sich gewinnen,
wenn man von den drei bei der vorigen Methode unterschiedenen
Criheilsclassen jp, g und n die erste und die letzte in mehrere Glassen
zerlegte, also etwa p in die drei Classen jp^, i?^, jPg, n in «j, ng, n^.
Zu einer solchen Eintheilung kann sich schon bei der Vergleichung
zweier Empfindungen A und £, die einem constant bleibenden Reiz-
unterschied entsprechen, Veranlassung bieten, falls in zahlreichen
Beobachtungen das ürtheil A> B bald ein deutlich grösser bald
*) Jul. Merkel, dem wir die Ausbildung dieser Methode verdanken,
bezeichnet sie als die «Methode der Gleichheits- und üngleichheitsMle'. Da
&ber, wie Merkel selbst später entwickelt hat, die Methode nicht bloss für die
zwei Fälle A = B und B'^A, sondern auch für die andern A';>B und A<CB
anwendbar ist (PhiL Stud. FV, S. 257, VII, S. 606 ff.) , so scheint mir die oben
gewählte allgemeine Bezeichnung die passendere zu sein. Hiemach zerföllt die
Methode in zwei: in die der Gleichheits- und üngleichheitsfälle und in eine
solche der positiven und negativen Fälle.
**) Der Name , Methode der richtigen und falschen Fälle' (oder der r-
ond f'FUle), der fQr dieses Verfahren üblich ist, beruht auf einer Vermengung
der Empfindnngsmessung mit der Reizmessung, welche vielfach verwirrend ge-
wirkt hat und daher verlassen werden sollte. Nicht darauf, ob die Urtheile
mit fificksicht auf die den Empfindungen entsprechenden Reize wahr oder falsch
snd, kommt es an, sondern darauf, ob sich die eine Empfindung in positiver
oder in negativer Richtung von der andern entfernt oder ihr gleich geschätzt
wird. Diese Fälle können ebenso gut eintreten, wenn die zwei Reize, die die
Empfindungen hervorrufen, verschieden, als wenn sie gleich sind : in dem letzteren
Fall würden aber eigentlich alle positiven und negativen Urtheile falsch sein.
Da die Reize nur das Hüffsmittel der psychischen Messung sind, nicht das
Meaaungsobject, so sollte man die Ausdrücke , richtig" und «falsch'* ebenso ver-
meiden, wie der früher gebrauchte Name der „zweifelhaften Fälle* schon ziem-
lich allgemein in den der Gleichheitsfalle übergegangen ist.
190 Logik der Psychologie.
ein eben merklich grösser und ebenso Ä<. B bald ein deutlich
kleiner bald ein eben merklich kleiner bedeutet. Noch bestimmter
werden sich aber solche Unterschiede ausprägen, wenn man in den
yerschiedenen Beobachtungen den einen dem Ä* entsprechenden Reiz
constant lässt, den andern dem B entsprechenden in kleinen Inter-
vallen unregelmässig variirt, so dass Ä nicht mit einer Empfindung B,
sondern mit verschiedenen B,, £,, B^, die sämmtlich innerhalb der
Strecke sehr kleiner Unterschiede liegen, verglichen wird. Ein
solches Versuchsverfahren würde demnach die Bestimmung mehrerer
ausgezeichneter Empfindungswerthe zulassen ; doch ist dasselbe noch
nicht experimentell angewandt worden **").
Die bisher erörterten Abzählungsmethoden entsprechen sämmt-
lich den zwei ersten Einstellungsmethoden, insofern sich bei ihnen
die Zählungen der Urtheile überall auf Empfindungsstrecken beziehen,
die in die Region der Gleicheinstellung und der Einstellung mini-
maler Unterschiede fallen. Es lassen sich nun aber die gleichen
Principien ohne weiteres auch auf die Vergleichung grösserer Em-
pfindungsstrecken übertragen, sobald man die Beobachtung auf
mehrere um bestimmte endliche Werthe entfernte Empfindungen
ausdehnt. So kann man z. B. eine Strecke AD durch eine der
Mitte zwischen A und D nahehin entsprechende Empfindung C ein-
theilen, in einer grossen Anzahl von Fällen bestimmen, wie oft C
als über der Mitte, unter ihr und in der Mitte liegend aufgefasst
wird und die so gewonnenen Zahlen nun analog den Grössen p^ n
und g bei der Methode der drei Fälle behandeln. Führt man die
Beobachtungen bei mindestens zwei Zwischenempfindungen B und C
aus, so lässt sich daraus die wirkliche Empfindungsmitte berechnen**).
Das nämliche Verfahren würde sich aber auch auf das allgemeinere
Problem der Vergleichung zweier um einen endlichen Werth von ein-
ander entfernter Empfindungsstrecken A B und CD übertragen lassen.
Die Abzählungsmethoden haben gegenüber den Einstellungs-
methoden den Vorzug, dass sie die sicherste Bestimmung der Ge-
nauigkeit der Empfindungsmessung zulassen. Denn das Mass dieser
*) Dagegen hat H. Bruns seine werthvollen theoretischen Erörterungen
über die Abzählangsmethoden allgemein genug gehalten, dass sie auch diesen
allgemeinsten Fall mit einschh'essen. (Phil. Stud. IX, S. 1 ff.) Ohne Zweifel würde
es übrigens zweckmässig sein, zugleich mit dieser Methode die ihr parallel
gehende, oben erwähnte Methode der Einstellung mehrfacher minimaler Unter-
schiede auszubilden.
**) Jul. Merkel, Phil. Stud. VII, S. 613 ff.
Methoden der psychischen GrÖssenmessung. 191
Genauigkeit, das in dem nach dem Gesetz der wahrscheinlichen
Fehlerrertheilung berechneten ,,Präcisionsmass' der Beobachtungen
gewonnen wird, ist wegen der Art der Ausführung der Beobachtungen
von .wissentlichen* Einflüssen, wie Erwartung, Eenntniss der Rich-
tung der Veränderungen, am unabhängigsten oder kann wenigstens
leicht von ihnen unabhängig gemacht werden, während bei den ent-
sprechenden Grössen der Einstellungsmethoden, dem reinen variablen
Fehler bei der Gleicheinstellung und dem wahrscheinlichen Fehler
bei der Einstellung minimaler Unterschiede, dies nicht immer zutrifft.
1)^^611 haben die Abzählungsmethoden den Nachtheil, dass bei
ihnen die Gewinnung ausgezeichneter Werthe, insbesondere also
der s. g. ünterschiedsschwellen, sowie des aus dem reinen constanten
Fehler bei den Einstellungsmethoden klar und einfach sich ergebenden
Schätzungswerthes der Empfindungen, mit grösseren Schwierigkeiten
verbunden ist. Am einfachsten gestaltet sich in dieser Beziehung
die Methode der zwei Fälle, bei der sich zugleich die beiden oben
erwähnten Unterarten der Fälle p und g und der Fälle p und n zur
Bestimmung jener beiden ausgezeichneten Werthe ergänzen, indem
das Verfahren p und g für den Punkt p =z g =i— m (wenn wir mit
m die Gesammtzahl aller Urtheilsfdlle bezeichnen) den Schwellen-
werth, das Verfahren p und n aber für den Punkt p=z n =z — m
den Schätzungswerth ergibt, d. h. denjenigen Werth, bei welchem
die Empfindung B, auf die sich die Vorzeichen -f- und — der Ur-
theile beziehen, der Empfindung A gleichgeschätzt wird. Dagegen
bieten bei der Methode der drei Fälle die Gleichheitsfalle Schwierig-
keiten. Man sucht dieselben zu umgehen, indem man die den g
entsprechende Empfindungsstrecke bestimmt und dann die auf die
obere Hälfte der Strecke fallenden g den p^ die auf die untere Hälfte
fallenden den n zuweist. Dies vorausgesetzt lassen sich zwei aus-
gezeichnete Punkte gewinnen, wenn man mit Hülfe des Gesetzes der
Fehlervertheilung erstens den Empfindungswerth, bei dem die Urtheile
p und g, und zweitens denjenigen, bei dem die Urtheile n und g
gleiche Wahrscheinlichkeit haben, ermittelt. Diese Werthe ent-
^rechen dann einer oberen und unteren Schwelle, die mit den ent-
sprechenden ausgezeichneten Werthen der minimalen Einstellungs-
methode in Analogie gebracht werden können*).
*) Vgl. Physiol. Psychologie. 4. Aufl. I, S. 348 ff.
192 Logik der Psychologie.
Jede der erörterten Methoden betrachtet es hiemach als ihre
Hauptaufgabe, die in der festgestellten Weise ausgeführten Bestim-
mungen der Genauigkeit der Empfindungsmessung und gewisser aus-
gezeichneter Werthe der Empfindungsänderung an verschiedenen
Stellen der gleichen Empfindungsdimension auszuführen, um so über
etwaige gesetzmässige Aenderungen der erwähnten Grössen bei
stetigen Aenderungen der Empfindungsstärke oder der Empfindungs-
qualität Aufschluss zu gewinnen. So viel die Erfahrung lehrt
scheinen sich die hauptsächlich hierbei in Betracht gezogenen Grössen,
die Schwellenwerthe und die Genauigkeitsmasse (Präcisionsmass und
mittlerer variabler Fehler) stets in gleichem Sinne zu ändern, und
auch die Werthe der constanten Fehlschätzung scheinen dazu in
einem regelmässigen Verhältnisse zu stehen. Leider ist nun aber
bei allen hierauf gerichteten Ermittelungen die Fragestellung dadurch
einigermassen getrübt worden, dass man lUs die Aufgabe solcher an
verschiedenen Punkten einer Empfindungsscala ausgeführten Messungen
die Feststellung der gesetzmässigen Beziehungen zwischen Empfin-
dung und Reiz bezeichnete, im Sinne jener psychophysischen An-
sicht, die den Reiz selbst als das Mass der Empfindung ansieht.
Da, wie oben bemerkt, Empfindungen nur an Empfindungen, nicht
an den ihnen völlig heterogenen physischen Grössen gemessen werden
können ; so kann auch der Natur der Sache nach die Aufgabe der
Empfindungsmessung immer nur darin bestehen, die Verhältnisse der
Empfindungsgrössen zu einander oder zu andern psychischen Grössen,
die ihnen adäquat sind und daher auf Empfindungsmasse zurück-
geführt werden können, zu messen. Von diesem Gesichtspunkte aus
ist auch die vielverhandelte Frage nach der Bedeutung der am
frühesten und bis jetzt am constantesten auf diesem Gebiete ge-
fundenen Gesetzmässigkeit, des s. g. Weber'schen Gesetzes, zu be-
urtheilen. Indem dieses Gesetz aussagt, dass die ünterschiedsschwelle
(oder auch irgend eines der ihr reciproken Feinheitsmasse der Em-
pfindung) im allgemeinen einem constanten relativen Reizzuwachs
entspricht, lässt sich der empirische Inhalt desselben ausdrücken
AÄ
durch die Formel — 7;— = const., wenn man mit S die Reizstärke
und mit Ai? den Reizzuwachs bezeichnet. Die drei Deutungen
dieses Gesetzes welche möglich sind, die physiologische, die psycho-
physische und die psychologische, sind nun lediglich verschiedene
Interpretationen dieser empirischen Formel, die in einer verschiedenen
Definition der auf der rechten Seite der Gleichung stehenden Con-
Methoden der psychlBchen GrÖBaemnessung. X93
stanien bestehen, wozu dann überdies die psychologische Deutung,
gemäss dem Grundsätze dass psychische Grössen nur an psychischen
Grössen gemessen werden können, auch noch die linke Seite der
(rleichung yer'andert. Die physiologische Deutung gründet sich
nämlich auf den Gedanken, dass es nicht der äussere Reiz sei, den
wir empfinden, sondern die centrale Sinneserregung; von dieser aber
nimmt man an, dass sie der Empfindung direct proportional sei.
Hiemach ist diese Auffassung dem Standpunkt des psychophysischen
Materialismus am meisten adäquat. Man ersetzt nach ihr die Con-
stante durch den Zuwachs A 7?« der centralen Sinneserregung und ge-
winnt so einen Ausdruck zwischen rein physischen, also homogenen
Grössen. Die psychophysische Deutung dagegen sieht die in
der Gleichung ausgedrückte Beziehung als ein Fundamentalgesetz
zwischen Physischem und Psychischem an : sie ersetzt also die Gon-
stante durch den Empfindungszuwachs AjE?, von dem vorausgesetzt
wird, dass er für jeden relativen Werth — ^ auf allen Punkten
der Reizscala die nämliche absolute Grösse habe. Hier ist daher
die Gleichung eine solche zwischen nicht-homogenen Grössen, und
es wird für den Uebergang aus dem physischen in das psychische
Gebiet eine eigenartige, durch eine besondere mathematische Gesetz-
mässigkeit ausgedrückte Causalität vorausgesetzt. Die psycho-
logische Deutung endlich geht davon aus, dass unserer messenden
Vergleichung unmittelbar gar nicht die Reize sondern nur die Em-
pfindungen gegeben sind, und dass ferner Empfindungen haben und
Empfindungen vergleichen nicht dasselbe ist. Dies vorausgesetzt
kann aber der Thatbestand der Empfindungsmessung überhaupt nicht
als eine Beziehung zwischen Empfindung und Reiz, sondern er muss
als eine solche zwischen den Empfindungen und der psychologischen
Function der Vergleichung betrachtet werden. Auf der Seite,
wo in der empirischen Formel des Weber'schen Gesetzes der Reiz
steht, wird also statt seiner die allein der inneren Wahrnehmung
gegebene Empfindung, auf der Seite der Gonstanten aber wird eine
eben jene Function der Vergleichung ausdrückende Grösse zu setzen
sein. Nun wird allgemein das „ Gleichmerkliche ^ als eine für die
Vergleichung gleich bleibende Grösse, und das „Ebenmerkliche*
als das jeder Grössenvergleichung zu Grunde zu legende Mass be-
trachtet werden können. Bezeichnen wir also den der minimalen
Empfindungsänderung Ai? entsprechenden Werth der Vergleichung
mit y, so wird an die Stelle der bei der psychophysischen Deutung
Wnndt, Logik, n, 2. 2. Anfl. 13
194 Logik der Psychologie.
AÄ
vorausgesetzten Relation zwischen — 5— und A£ eine solche zwi-
AjB
sehen „ und V treten: die Gleichung ist nunmehr wieder eine
homogene, aber die durch sie verbundenen Grössen sind nicht
physische, sondern psychische, und wenn V und E auch verschiedene
psychische Functionen sind, so ist es doch einleuchtend, dass die
erstere, da sie sich stets an bestimmten psychischen Inhalten äussern
muss, auch nur an solchen gemessen werden kann. Denmach er-
halten wir, wenn wir mit Ar jedesmal eine constante Grösse be-
zeichnen, als Ausdrücke für die drei erwähnten Interpretationen die
drei Gleichungen:
.p 7 Afi ■ „ , AÄ ^^ , AjB
Ai?e = Ä:.— =- \E=zk.—jr-- F=*.— =-•
Jede dieser Deutungen enthält in Bezug auf das Verhältniss der
centralen Sinneserregung Re zur peripherischen R eine Hypothese.
Bei der ersten besteht dieselbe darin, dass jenes Verhältniss selbst
im We herrschen Gesetz seinen Ausdruck finde, bei den zwei andern
darin, dass innerhalb der Grenzen der Gültigkeit dieses Gesetzes eine
zureichende Proportionalität zwischen R und Re anzunehmen sei.
Ferner enthalten die zwei ersten Formeln die Hypothese, dass Em-
pfindungen haben und Empfindungen vergleichen eins und das-
selbe sei, während die dritte diese beiden psychischen Functionen
sondert und daher in ihr Verhältniss selbst die eigentliche Bedeutung
AjB
des Gesetzes verlegt. Die Gleichung V =k . „ hat hiemach zu-
gleich die Bedeutung einer Definitionsgleichung, da die Vergleichungs-
AjB
function V durch die Relation — ^ vollständig ihrem Begriff nach
bestimmt wird*).
Die psychologische Auffassung hat nun in der unleugbaren
Thatsache unserer inneren Erfahrung, dass zu der Existenz psychi-
scher Zustände eine Vergleichung derselben hinzukommen muss,
wenn wir etwas über ihr Verhältniss aussagen sollen, ihre Haupt-
grundlage, und sie ist daher den beiden andern schon zu einer Zeit
*) Aehnlich wie in der Mechanik die Gleichung X = m , > die Defi-
nitionsgleichung für eine in der Richtung x auf die Masse m wirkende be-
schleunigende Kraft ist. (Vgl. Abschn. II, Cap. I, S. 318.)
Methoden der psychischen GrÖssenmessung. 195
gegenübergestellt worden, als man das Weber'sche Gesetz noch für
den alleinigen Ausdruck der so genannten «Beziehung zwischen
Empfindung und Reiz* hielt*). In neueren Untersuchungen hat sie
aber auch noch eine indirecte Bestätigung gefunden, indem sich
Damlich zeigte, dass jene Relation nur unter gewissen Bedingungen
der Empfindungsmessung zutri£Pt, und dass dagegen unter andern
AD
Bedingungen an die Stelle des empirischen Ausdrucks — ^- = const.
der andere A JS = const. tritt. Dieser Fall ist bei der Unterschei-
dung minimaler und beliebiger endlicher Strecken von Tonhöhen
sowie bei der Halbirung von Intensitätsstrecken beobachtet. Solche
Abweichungen, namentlich wenn sie, wie in dem letzteren Beispiel,
innerhalb einer und derselben Empfindungsdimension vorkommen,
für die auch das Weber'sche Gesetz gilt, sind nun aber weder mit
der physiologischen noch mit der psychophysischen Interpretation
vereinbar. Sowohl die in der ersten der obigen Gleichungen aus-
gedrückte Functionsbeziehung zwischen R^ und R wie die in der
zweiten angenommene zwischen E und R hat nur eine Bedeutung,
wenn sie eine allgemeingültige ist. Dagegen ist es von vornherein
sehr wohl denkbar, dass die Relationen psychischer Grössen je nach
den psychologischen Bedingungen unserer Auffassung wechseln'*'''').
So ist es z. B. ein wesentlich verschiedener psychischer Vorgang,
wenn wir zwei Tonverhältnisse vergleichen, und wenn wir zwei
*) Vgl. die 1. Aufl. meiner .Vorlesungen über die Menschen- und Thier-
seele' (1863), I, S. 133, 2. Aufl. S. 62 ff.
*^) Auf dieses Moment hat sowohl Jul. Merkel, der zuerst die unter
geeigneten Bedingungen zu beobachtende arithmetische Theilnng von Intensitäts-
?trecken nachwies (Phil. Studien lY,' S. 569 ff.)> wie auch L. Lange auf-
merksam gemacht (Phil. Studien X, 125 ff.). Aber während Merkel daraus,
entgegen der physiologischen und der psychophysischen Anschauung, auf eine
«Proportionalität zwischen Empfindung und Beiz' schloss, erblickt Lange in
diesem Verhalten der Empfindungen einen Hinweis darauf, dass schon fdr die
einfachsten psychischen Grössen, die Empfindungen, der «longimetrische Grössen-
begriff* der gewöhnlichen Mathematik nicht gelte. Nach meiner Meinung hat
Lange YoUkommen recht, wenn er folgert, dass eine eindeutige Functions-
beziehung zwischen E und R nicht existirt, und dass daher derselben eine
Functionsbeziehung zwischen psychischen Grössen substituirt werden muss. Ge-
üchiebt aber dies, so wird, ehe man die Annahme eines mit dem Wachsthum
der Grössen veränderlichen Massprincips macht, doch zuvor zu prüfen sein, ob
es sich nicht in beiden Fällen um Functionen handelt, die deshalb verschieden
sind, weil auf der einen Seite ganz verschiedene Grössen in dieselben eingehen.
Und das ist in der That, wie ich meine, das wirkliche Verhältniss.
196 Logik der Psychologie.
Töne ihrer absoluten Höhe oder auch zwei Tonstrecken ihrer ab-
soluten Grösse nach vergleichen. Aehnliche Unterschiede werden
aber bei Intensitäten vorkommen können. Setze ich zwei minimale
Empfindungsunterschiede ^E und AJ^ gleich merklich, so ist der
Inhalt dieser Aussage gemäss dem Weber'schen Gesetze offenbar
der, dass jede im Verhältniss zu der Empfindung, zu der sie hinzu-
kommt, gleich merklich sei. Setze ich aber zwei Intensitätsstrecken
Eiy und E^E'' einander gleich, so pflegt der Inhalt dieses Urtheils
der zu sein, dass EE* und E'E^' ihrer absoluten Grösse nach
gleich seien. Die eigenthümlichen Bedingungen, unter denen aus-
nahmsweise bei Streckenvergleichungen die relative Grössenschäizung
und bei der Yergleichung gleich merklicher Grössen die absolute
vorkommt, bestätigen diese Annahme. Bezeichnen wir demnach
näher die Function der relativen Yergleichung mit F^, die der ab-
soluten mit F^, so können die beiden psychischen Functions-
beziehungen
F, =Ä:.^und F„ = A:.A£
neben einander gültig sein; aber es wird von der Gesammtheit der
vorhandenen psychischen Bedingungen abhängen, ob die eine oder
die andere dieser Functionen zur Anwendung kommt, oder ob beide
neben einander wirken und daher ein mittleres Verhalten eintritt.
e. Die elementare psychische Analyse.
Die elementare psychische Analyse bildet die qualitative Er-
gänzung zur psychischen Grössenmessung. Geht diese darauf aus.
quantitative Masseinheiten zu finden, auf die zunächst die einfachen
psychischen Functionen zurückgeführt, und an denen dann gewisse
mit jeder psychischen Grössenbestimmung verbundene Functionen,
die der relativen und der absoluten Yergleichung, in ihren Wir-
kungen gemessen werden können, so stellt sich jene die Aufgabe,
die letzten nicht weiter zerlegbaren qualitativen Einheiten zu
finden, die in unsere innere Erfahrung eingehen. Von dieser Auf-
gabe muss aber sogleich ein Missverständniss ferngehalten werden,
das geeignet ist die Auffassung der psychischen Vorgänge in eine
falsche Beleuchtung zu rücken. Dieses Missverständniss besteht
darin, dass man meint, die so zu findenden Elemente müssten noth-
wendig den Inhalt der inneren Erlebnisse vollständig erschöpfen,
Elementare psychische Analyse. 197
oder das einzige was zu ihnen hinzukommen könne sei höchstens
ihr gleichzeitiges Zusammensein oder ihre zeitliche Aneinanderreihung.
Nicht bloss ist über die Art dieser Verbindungen mit der Auffindung
der psychischen Elemente noch nicht das geringste ausgesagt, son-
dern jede unbefangene Beobachtung lehrt', dass gerade auf psychi-
schem Gebiet eine wesentliche Eigenthümlichkeit der zusammen-
gesetzten Vorgänge darin besteht, dass in Folge der Zusammen-
setzung neue Inhalte mit neuen Werthbestimmungen
entstehen, die sich eben deshalb, weil sie an die complexen Vor-
gange gebunden sind, losgelöst von diesen weder denken noch irgend
einer Untersuchung unterwerfen lassen, also auch unter den Pro-
ducten einer elementaren Analyse unmöglich angetroffen werden
können. So enthält jede in Raum und Zeit ausgedehnte Vorstellung
in dieser raumlichen und zeitlichen Ordnung etwas, das bei der
Zerlegung der Vorstellung in ihre elementaren Empfindungsbestand-
theile nothwendig verloren geht, weil die räumliche Form ohne die
wechselseitige Beziehung einer Mehrheit von Elementen gar nicht
gedacht werden kann. Nicht anders verhält es sich aber auch mit
den intensiv zusammengesetzten psychischen Gebilden. Die Harmonie
eines Zusammenklangs ist kein Element, das wir bei der Zerlegung
des complexen Eindrucks neben den einzelnen Tönen zurückbehalten.
Ein Affect, eine Willenshandlung enthalten als unzerlegbare Ele-
mente eine ganze Anzahl elementarer Empfindungen, aber darum
ist die Summe dieser Empfindungen doch noch lange kein Affect
und keine Willenshandlung. Das was man die specifische Qualität
des complexen Vorgangs nennen könnte entsteht hier überall erst
bei der Verbindung der Elemente. Psychische Elemente als un-
zerlegbare Bestandtheile gedacht sind also nicht bloss Abstrac-
tionen, die in der Wirklichkeit niemals vorkommen, sondern sie
müssen immer auch noch der Bedingung entsprechen, dass sie
bei der auf die psychischen Processe angewandten iso-
lirenden Abstraction nicht verschwinden. Auf diese
Weise ist die elementare Analyse auf psychischem Gebiet nothwendig
in noch viel höherem Masse als auf naturwissenschaftlichem ein
bloss vorbereitendes und nach dem ganzen Charakter der psychi-
schen Gebilde ein unzulängliches Geschäft, das für alle wichtigeren
psychologischen Aufgaben durch die causale Analyse und die mit
ihr eng verbundene Synthese der psychischen Phänomene ergänzt
werden muss.
Die experimentelle Variation der inneren Erlebnisse durch die
198 Logik der Psychologie.
in jeder möglichen Weise vorgenommene Variation ihrer äusseren
Bedingungen ermöglicht nun eine derartige Elementaranaljse, indem
man von dem Princip Gebrauch macht, als einfach sei jede in irgend
welche psychische Vorgänge eingehende Qualität vorauszusetzen, die
1) eine Zerlegung nicht zulasse, und die 2) bei dem Wechsel des
sonstigen Inhalts der inneren Wahrnehmung unverändert gedacht
werden könne. Durch die erste dieser Bedingungen sind die Formen
der Ordnung und des Verlaufs der psychischen Vorgänge von einer
solchen Zerlegung ausgeschlossen: man könnte sie nur in der Form
des isolirt angenommenen mathematischen Raum- und Zeitpunktes
unzerlegbar denken; solche Punkte sind aber nur begrifPliche Ab-
stractionen, nicht reale Erfahrungsbestandtheile. Durch die zweite
Bedingung werden alle psychischen Producte ausgeschlossen, die
überhaupt erst durch das Zusammenwirken vieler Elemente ent-
stehen : dazu gehören abermals wieder die zeitlichen und räumlichen
Vorstellungsformen und überdies eine Menge qualitativer Bestand-
theile der inneren Wahrnehmung, die sich mit der Variation
der sonstigen Bestandtheile derselben immer selber
verändern.
Hiemach lässt sich leicht erkennen, dass den beiden obigen
Voraussetzungen nur eine Art elementarer psychischer Gebilde ent-
spricht: die reinen, d. h. die von jeder räumlichen und zeitlichen
Ordnung und von jeder Gefühlsbetonung gelöst gedachten, Em-
pfindungen. Man hat vielfach neben ihnen noch den Gefühlen,
namentlich denen die an einfache sinnliche Empfindungen gebunden
seien, eine ähnliche Stellung angewiesen. Aber es ist klar, dass hier
die zweite der erwähnten Forderungen nicht erfüllt ist: denkt man
sich die Empfindung hinweg, an die irgend ein einfacher Gefühls-
ton gebunden ist, so lässt sich auch das Gefdhl nicht mehr fest-
halten, während man sich sehr wohl die reine Empfindung ohne den
Gefühlston fortbestehend denken kann. Offenbar hat dies darin
seinen Grund, dass in Wirklichkeit ein einer bestimmten Empfin-
dungsqualität entsprechendes Gefühl unter der Mitwirkung sonstiger
Einflüsse in seiner Stärke variiren und dabei auch gelegentlich ganz
verschwinden kann. Dieser Umstand trägt zugleich die Schuld an
manchen missglückten Versuchen, durch die man den Gefühlen im
Widerspruch mit der offenkundigen Aussage unserer inneren Er-
fahrung theils dadurch die Bedeutung selbständiger Elemente zu
wahren suchte, dass man sie für specifische Empfindungen, z. B. für
„Organempfindungen*^, erklärte, theils dadurch, dass man zwar Lust
Elementare psychische Analyse. 199
tind Unlust als Gefühle stehen Hess, diese aber nicht als blosse Classen-
begrifEe betrachtete, denen schon die Sprache eine unzählige Menge
qualitativer Oeftthle unterordnet, sondern sie für individuelle, immer
in derselben Bescha£Penheit wiederkehrende Qualitäten erklärte, die
ebenso gut den Empfindungen wie diese den OefUhlen als selb-
ständige Elemente gegenüberzustellen seien. Aber die psychologische
Erfahrung hat sich, wie ich glaube, nicht nach dem Einheits*
bedOrfniss der Psychologen, sondern dieses hat sich nach der psycho-
logischen Erfahrung zu richten. Wer behauptet, ein Oefühlsvor-
gang sei nach dem Zeugniss seiner inneren Erfahrung für ihn nichts
als eine Organempfindnng , oder die Lust an einem angenehmen
Geschmacksreiz und die an der Lösung eines intellectuellen Problems,
die Unlust des Zahnschmerzes und die erschütternde Wirkung einer
Tragödie seien, abgesehen von den begleitenden intellectuellen Pro-
cessen, für ihn gleiche Gefühle — dem lässt sich natürlich nicht
beweisen, dass er falsch beobachtet habe, denn über subjective
Wahrnehmungen kann man überhaupt nicht streiten. Aber da es
sich in diesem Fall nicht um experimentelle Resultate, sondern um
ganz gewöhnliche , Selbstbeobachtungen'', umgeben von aller Un-
zuverlässigkeit dieser handelt, so erregt es Bedenken, dass die Er-
gebnisse dieser vermeintlichen Selbstbeobachtung unter einem offen-
bar irrthümlichen dogmatischen Vorurtheil stehen: nämlich eben
unter jenem Vorurtheil, dass alle ftlr uns nicht weiter zerlegbaren
Bestandtheile des Bewusstseins auch isolirt denkbare Elemente des-
selben sein müssten. Bei den Empfindungen ist diese Möglichkeit
sie bei dem sonstigen Wechsel der Bewusstseinsinhalte unverändert
zu denken vorhanden, und sie steht hier sichtlich mit der objectiven
Bedeutung, die wir den Empfindungen beilegen, im engsten Zu-
sammenhang. Warum sie deshalb aber auch den Gefühlen zukommen
müsse, die thatsächlich in viel mannigfacheren Wechselbeziehungen
nicht bloss zu den äusseren Bedingungen sondern auch zu den Zu-
ständen des Bewusstseins selbst stehen, ist absolut nicht einzu-
sehen. Alle irgend verwickeiteren Gefühlsvorgänge lassen sich also
in einfache nicht weiter analysirbare Gefühle zerlegen, aber diese
einfachen Gefühle lassen sich niemals isoliren, weil selbst für
unser abstrahirendes Denken mit jedem Versuch dies zu thun das
Gefühl selber verschwinden muss. Aus diesem Grunde nimmt denn
auch die Analyse der Gefühle Hülfsmittel in Anspruch, die von
denen der Analyse des Empfindungsinhaltes zum Theil wesentlich
verschieden sind, und die namentlich wegen der Berücksichtigung
200 Logik der Psychologie.
aller jener Factoren, von denen das Gefühl nicht isolirt werden
kann, eine besondere Betrachtung erheischen.
Der so als einziger Gegenstand einer elementaren psychischen
Analyse zurückbleibende Empfindungsinhalt der Vorstel-
lungen lässt sich nun wieder in einen qualitativen und in einen
quantitativen Bestandtheil zerlegen. Unter ihnen besteht der erste,
die qualitative Analyse der Empfindungen, lediglich in einer
psychologischen Anwendung derjenigen Formen physikalischer Ana-
lyse und Synthese, die geeignet sind, aus gegebenen Empfindungs-
inhalten psychologisch einfache Bestandtheile zu isoliren oder durch
Verbindung physischer Reize solche Reizformen herzustellen, denen
einfache Empfindungsinhalte entsprechen. Die Zerlegung eines zu-
sammengesetzten Klangs in seine einfachen Töne, des physikaUsch
zusammengesetzten Lichtes in die einfachen Farben sind Beispiele
der ersten y die Herstellung von Farbenmischungen ist ein Beispiel
der zweiten Art. Naturgemäss ist; die physikalische Analyse das
häufiger angewandte Hülfsmittel, da durchweg die physikalisch ein-
fachen Reize dies auch im psychologischen Sinne sind. Aber da
das umgekehrte 9 wie das Beispiel des Gesichtssinnes zeigt, nicht
ebenfalls zutri£Pt, so kommt hier der physikalischen Synthese immer-
hin eine mitwirkende Bedeutung zu. Insbesondere kann sie auch in
der Form der stufenweisen Synthese dazu dienen, zwischen den Em-
pfindungen von ausgeprägt verschiedener Qualität üebergangs-
empfindungen herzustellen. Als das letzte Ziel dieser qualitativen
Analyse ergibt sich so die Auffindung aller für die unmittelbare
Empfindung einfachen Qualitäten eines bestimmten Empfindungs-
gebietes und die systematische Darstellung derselben in der Form
einer Mannigfaltigkeit von bestimmter Form. Indem man für solche
Darstellungen die geometrische Versinnlichung wählt, entscheiden
nun aber für den psychologischen Gesichtspunkt nur die subjectiven
Beziehuugen der Empfindungen, insbesondere ihre Verbindungen
durch üebergangsempfindungen, über die Wahl der zweckmässigsten
Form. Als solche verdient die einfachste den Vorzug, wenn auch
jede beliebige andere, die den Forderungen der Empfindungsmannig-
faltigkeit genügt, gleich anwendbar ist. In diesem Sinne wählt
man also für ein Empfindungscontinuum von einer Dimension, wie
die einfachen Töne, die Gerade, für ein solches von zwei Dimen-
sionen, »wie die Farben constanter Sättigung, den Sj'eis. Ausserhalb
des Gebiets der eigentlichen psychologischen Analyse liegen dagegen
alle Untersuchungen die darauf ausgehen, aus den Empfindungen
Causale Analyse der Vorstellungen. 201
Rfickschlüsse auf die Natur der physiologischen Reizungsvorgänge zu
machen. So nahe sich auch solche Untersuchungen mit den psycho-
logischen Aufgaben berühren, weil ihre Resultate vielfach wieder für
diese fruchtbar werden können, so steht doch überall da, wo die
EmpfindungseflPecte, die bestimmten Reizcombinationen entsprechen,
nur zu Rückschlüssen auf die physiologischen Substrate der Sinnes-
empiindungen dienen sollen, der psychologische Versuch unmittelbar
nur im Dienste der Physiologie, nicht in dem der Psychologie selbst.
Die an diese qualitative Analyse sich anschliessende quanti-
tative Untersuchung besteht dann in einer Anwendung der oben
erörterten Principien der Grössenmessung auf das specielle Problem
der psychischen Massbestimmungen innerhalb einer qualitativen
Mannigfaltigkeit. Es wird dabei aber, wie bei jeder psychischen
Messung, vorausgesetzt, dass die Mannigfaltigkeit eine stetige sei.
Da dies für die meisten Sinnesgebiete nicht nachgewiesen, oder da
wenigstens die nähere Beschaffenheit des Continuums noch nicht zu-
reichend bekannt ist, so haben bis jetzt die Licht- und die Ton-
qualitäten die einzigen Substrate einer solchen quantitativen Analyse
gebildet.
f. Die causale Analyse der Vorstellungen.
Unter den zusammengesetzten psychischen Erfahrungsinhalten
zeichnen sich die Vorstellungen dadurch aus, dass sie leicht von
einander und von andern Bestandtheilen isolirt werden können.
Unter ihnen sind wieder diejenigen, die direct durch äussere Sinnes-
reize veranlasst und auf äussere Objecte bezogen werden, vorzugs-
weise einer causalen Analyse zugänglich. Auch besitzen sie allein
die erforderliche Stabilität. Denn ist auch die Sinneswahrnehmung
so gut wie das Erinnerungsbild ein veränderlicher Vorgang und kein
beharrendes Object, so kann doch bei ihr durch die willkürliche
Beherrschung der äusseren Eindrücke die Veränderung auf einen
oscillirenden Wechsel in der Klarheit und Deutlichkeit der Bestand-
theile eingeschränkt werden, dessen Einflüsse durch die häufige
Wiederholung der Beobachtungen zum Verschwinden kommen. Da
wir nun gar keinen Grund haben anzunehmen, dass die Erinnerungs-
bilder in ihrer Bildung anderen Gesetzen folgen als die Sinnes-
wahmehmungen, so können die Resultate der Analyse der letzteren
als gültig für die Bildung der Vorstellungen überhaupt gelten. Jede
solche Analyse ist ferner eine causale, weil sich die Aufzeigung
202 Log:ik der Psychologie.
der Bestandtheile in diesem Falle stets mit dem Yersuch verbinden
muss, über die Art und Weise Rechenschaft zu geben, wie jene Be-
standtheile bei der Bildung der Vorstellung zusammenwirken. Dabei
liegt es jedoch im Charakter dieser wie jeder causalen Analyse, dass
sie sich unmittelbar mit synthetischen Verfahrungsweisen verbindet.
In der Art ihrer Ausführung ist sie daher ein inductives Verfahren,
in das zugleich in der mannigfaltigsten Weise Hülfsdeductionen ein-
gehen können. Auch darin entspricht dies Verfahren den Inductionen
der Naturwissenschaft, dass eine endgültige Interpretation nicht
selten einen hypothetischen Charakter hat, indem man genöthigt ist
die Thatsachen durch Voraussetzungen zu verknüpfen, die höchstens
mehr oder minder wahrscheinlich gemacht werden können.
Die experimentelle Analyse der Vorstellungen besteht nun,
gleich jedem experimentellen Verfahren, in der willkürlichen Variation
der Bedingungen, unter denen die beobachtete Erscheinung, also in
diesem Fall der Process der Vorstellungsbildung, steht. Da aber
hier von vornherein diese Bedingungen von zweierlei Art sind,
nämlich solche, die in der Beschaffenheit des objectiven Eindrucks
ihren Grund haben, und andere, die von dem wahrnehmenden Sub-
jecte ausgehen, so zerfallen dem entsprechend auch die möglicher
Weise anwendbaren Methoden in zwei Ghruppen: in die Methoden
der Einwirkung und in die Methoden der Herstellung. Bei den
Methoden der Einwirkung werden die Bestandtheile des objectiven
Eindrucks variirt und die entsprechenden Veränderungen der Vor-
stellung beobachtet. Bei den Methoden der Herstellung hat der
Beobachter durch eigene Thätigkeit einen objectiven Eindruck her-
vorzubringen, der einer zuvor erzeugten Vorstellung nach seiner
Auffassung entspricht. Die Methoden der ersten Art wenden sich
also nur an die Auffassung und an das auf diese gegründete ürtheil
des Beobachters; die der zweiten erfordern irgend eine durch Be-
wegungen auszuführende Handlung, die nun aber, da sie das Resultat
der Auffassung unmittelbar wiedergibt, ein ürtheil überflüssig macht.
Hierbei kann die Herstellung entweder nach einem allgemeingültigen
Schema erfolgen: so z. B. wenn man fordert, zu einer gegebenen
horizontalen Geraden eine senkrechte Linie zu ziehen, durch tak-
tirende Bewegungen gleiche Zeitstrecken herzustellen u. dergl. Oder
das Vorbild, nach welchem die Herstellung erfolgt, kann eigens zu
diesem Zweck vorher auf den Beobachter einwirken: so s. 6. wenn
man einen zuerst angegebenen Rhythmus durch eigene Bewegungen
nachbilden lässt. In diesem letzteren Fall ist dann das Verfahren
Causale Analyse der Vorstellungen. 203
eigentlich eine Combination der Einwirkungs- mit der Herstellungs-
methode.
Von beiden Methoden ist die der Einwirkung die nahe-
liegendste und die allgemeiner verwendbare. Auch erlaubt sie eine
vielseitigere Varürung der einzelnen Bedingungen. Es scheiden sich
aber diese Bedingungen selbst wieder in objective, die dem Eindruck
und der Verbindung seiner Bestandtheile angehören, und in sub-
jective, die sich auf die Functionen des auffassenden Subjectes be-
ziehen. Jede Bedingung sucht man durch die Variirung der um-
stände so viel als möglich unabhängig zu verändern, um den An-
theil zu bestimmen, den sie an der Erzeugung der Vorstellung nimmt.
In der Regel schliessen sich hierbei analytische und synthetische
Yerfahrungsweisen in der für die Induction als Methode allgemein
geltenden Weise an einander an; und hierauf wird zunächst eine
provisorische Hjrpothese entwickelt, die dann einer Prüfung durch
weitere Experimente unterliegt, mittelst deren sie berichtigt, vervoll-
ständigt oder nöthigenfalls durch eine andere erklärende Voraus-
setzung ersetzt wird*).
So ging Wheatstone in seiner Untersuchung des binocularen
Sehens von der Analyse der zwei Netzhautbilder aus, die einem in
der Nähe betrachteten körperlichen Gegenstände entsprechen. Er
zeigte, dass die Unterschiede dieser Bilder bei gegebener Entfernung
in einem einfachen Functionsverhältnisse zu der Tiefenausdehnung
des gesehenen Körpers stehen, und dass also im allgemeinen die
damit parallel gehende körperliche Vorstellung durchaus in diesem
Unterschied ihr Mass finde. Den so gezogenen Schluss suchte er
theils unmittelbar, durch die Vergleichung des Tiefeneindrucks ein-
facher Körper in verschiedenen Entfernungen, theils aber auf dem
Wege der experimentellen Synthese zu bestätigen, indem er durch
zwei ebene Zeichnungen von entsprechenden Unterschieden, von denen
er die eine dem rechten, die andere dem linken Auge darbot, eben-
falls körperliche Vorstellungen hervorbrachte. Zur Erleichterung dieser
Beobachtungen ersann er bekanntlich das Stereoskop, ein Instrument
das dann auch in der weiteren Erforschung der Verhältnisse des bin-
ocularen Sehens der Psychologie wichtige Dienste geleistet hat**).
Aus den stereoskopischen Beobachtungen folgerte Wheatstone, die
Empfindungen beider Netzhäute seien unabhängig von einander, die
•) Vgl. Abschn. I, S. 25 ff.
**) Wheatstone, Poggendorffs Annalen, Ergänzungsband I. 1842, S. 1 ff.
204 Logik der Psychologie.
bis dahin geltende Annahme sogenamnter «identischer Punkte*^, unter
denen man Punkte von correspondirender Lage verstand, die der
Vorstellung je eines Punktes im äusseren Räume entsprechen
sollten, sei also unhaltbar. Diesen Schluss suchte er noch durch
eigens angestellte Versuche zu bestätigen. Auf alle diese Ergebnisse
gründete er dann die Annahme, dass die Vorstellung der Tiefe ein
Product der Erfahrung sei, bei dessen Bildung wir stets durch eine
Vergleichung der beiden Netzhautbilder geleitet würden. Diese An-
nahme trug nun schon um ihrer Unbestimmtheit willen den Charakter
einer bloss provisorischen Hypothese an sich, und sie wurde daher
in der folgenden Zeit den mannigfachsten Prüfungen unterzogen,
wobei man sich zumeist wieder der Variation der objectiven Be-
dingungen bediente: so in den Versuchen über die Mischung völlig
heterogener binocularer Eindrücke (Wettstreit der Sehfelder, Glanz,
binocularer Contrast), durch die man die psychophysischen Beziehungen
beider Netzhäute zu einander genauer zu erforschen strebte. Eine
Variation subjectiver Bedingungen wurde endlich in Versuchen vor-
genommen, in denen man den Einfluss der Augenbewegungen durch
Einführung starrer Fixation oder durch Beobachtungen bei instantaner,
die Bewegung ausschliessender Beleuchtung, oder endlich durch die
isolirte Untersuchung des Einflusses der Convergenz der Gesichts-
linien sowie der Accomodationsbewegungen auf die Entfernungs-
bestimmung prüfte. So sind schliesslich auf der Grundlage aller
dieser experimentellen Variationen der Bedingungen die gegenwärtig
einander gegenüberstehenden Theorien des binocularen Sehens ent-
standen, deren Gegensätze sich theils aus der immer noch nicht
ausgeschlossenen Möglichkeit einer verschiedenen Deutung einzelner
Erscheinungen theils aber aus der verschiedenen Bevorzugung der ein-
zelnen experimentellen Resultate erklären '*').
Von der Untersuchung der räumlichen unterscheidet sich die
der zeitlichen Vorstellungen hauptsächlich dadurch, dass bei ihnen die
fliessende Bescha£Penheit der Vorstellungen eine unmittelbare Variation
*) Vgl. hierüber meine Grundzüge der phjsiol. Psych. 4. Aufl. II, S. 17o ff.
Fernere belehrende Beispiele, welche namentlich die groue Bedeutung der
provisorischen Hypothesen in diesem Gebiete beleuchten, bietet die Analyse der
extensiven monocularen Vorstellungen. Vgl. ebend. S. 215 ff. Die Untersuchung
der intensiven Vorstellungsverbindungen ist dagegen noch fast ganz im Stadium
der reinen Elementaranalyse verblieben. Selbst bei den Klängen ist der Process
der so genannten Verschmelzung der Töne bis jetzt nur mangelhaft erforscht.
Causale Analyse der Vorstellungen. 205
ihrer Bestandtheile unmöglich macht. An die Stelle dieser tritt darum
hier die Yergleichung verschiedener entweder unmittelbar oder in
genau bestimmten Zwischenzeiten einander folgender Eindrücke, von
denen der eine objectiv constant erhalten, der andere in genau mess-
barer Weise Tariirt wird. Der Gegenstand der Untersuchung ist
dann die Auffassung der so hergestellten Unterschiede unter ver-
schiedenen Bedingungen. Hier liegt es zugleich nahe, das Herstel-
lungsverfahren in gewissen Fällen zu Hülfe zu nehmen, indem mau
eine objectiv gegebene zeitliche Form subjectiv nacherzeugen lässt
und die Unterschiede von der wirklichen Vorstellung abermals unter
verschiedenen Bedingungen ermittelt. Die Untersuchungen über den
so genannten „Zeitsinn**, d. h. über die Grössenschätzung einfacher
Zeitstrecken, sowie über die verschiedenen Formen rhythmischer
Vorstellungen gehören hierher*).
Diese Untersuchung der zeitlichen ergänzt zugleich die der
raumlichen Vorstellungen in wirksamer V7eise bei der Lösung eines
allgemeineren Problems, das bereits in die Erforschung der Ver-
bindungen der Vorstellungen hinüberreicht, bei der Beantwortung
der Frage nämUch, welchen intensiven oder extensiven Umfang
eine Vorstellung oder ein Complex verbundener Vorstellungen be-
sitzen kann, um noch Gegenstand einer zusammenfassenden Wahr-
nehmung zu sein. Während sich dies bei simultanen Eindrücken
nur in Bezug auf den Umfang klarer und deutlicher Bewusstseins-
inhalte ermitteln lässt, gestatten es die in der Form regelmässiger
Zeitreihen ablaufenden Vorstellungen, dieselbe Aufgabe auf das Ganze
einer aus deutlichen und aus undeutlich gewordenen Bestandtheilen
zusammengesetzten Gesammtvorstellung auszudehnen. Beide Probleme
lassen sich mit Rücksicht auf diese wechselseitig ergänzende Be-
deutung kurz als das des „Umfangs der Aufmerksamkeit" und als
das des ^Umfangs des Bewusstseins* unterscheiden**).
*) Phjsiol. Psych. 4. Aufl. II, S. 408. Meumann, Philosophische Stud. X,
S. 249, 393 ff.
•*) Physiol. Psych. II, S. 255 ff. Dass man hier den Ausdruck , umfang"
nicht im räumlichen Sinne zu verstehen habe, und dass der Begriff „Bewusst-
e^* hier wie überall nur die Gesammtheit der in einem gegebenen Moment
vorhandenen psychischen Erlebnisse bezeichnet, bedarf wohl nach der obigen Defi-
nition der beiden Umfangsbegriffe kaum der besonderen Hervorhebung. Ebenso
ist es selbstverständlich, dass solche Umfangsbestimmungen immer nur für den
»peciellen Fall gelten, für den sie ausgeführt sind, dass sie aber in Folge der
Vergleichung mit einer Reihe von Fällen, in denen , abgesehen von der Anzahl
206 Logik der Psychologie.
Mit der Untersuchung der einzelnen Vorstellungen hängt die
ihrer Verbindungen auf das engste zusammen. Ist doch die
einzelne Vorstellung kein starres Gebilde, das unveränderlich immer
wieder in derselben Form entsteht oder, wenn es verschwunden ist,
wiederkehrt, sondern ein aus zahlreichen Empfindungselementen zu-
sammengesetztes Ganzes, dessen Theile, wenn auch durch gewisse
objective Bedingungen meist fester zusammengehalten, doch an und
für sich nicht weniger wechseln können, wie die simultanen und
successiven Verbindungen der Vorstellungen. Eben darum ist von
vornherein zu vermuthen, dass es nicht grundsätzlich verschiedene
Verbindungsgesetze sind, denen das psychische Leben hier wie dort
unterworfen ist, sondern dass in beiden Fällen nur die nämlichen
Gesetze unter verschiedenen Bedingungen wirken. In der That be-
stätigt sich dies schon darin, dass es eine scharfe Grenze zwischen
den Verbindungen der Empfindungen zu Einzelvorstellungen und
ihren Verbindungen zu simultan gegebenen oder in zeitlicher Folge
an einander gereihten Verbänden von Einzelvorstellungen nicht gibt,
wie dies vor allem die Erscheinungen der Assimilation von Empfin-
dungseindrücken durch reproducirte Elemente früherer Vorstellungen
und die des unmittelbaren und mittelbaren sinnlichen Wiedererkennens
beweisen'*'). Aus diesem Grunde ist es gar nicht zu vermeiden,
dass man den früher allein auf die Verbindungen mehr oder minder
selbständig unterscheid barer Vorstellungen beschränkten Begriff der
Association auf jene ursprünglichen Verbindungen der Vor-
steUungselemente zu Vorstellungen überträgt. Sind doch in Wahr-
heit auch die Associationen scheinbar selbständiger Vorstellungen
nichts anderes als Verbindungen von Elementen, die sich nur in
wechselnderer Weise bilden und daher eine Zerlegung in einzelne
Glieder leichter möglich machen. Dies vorausgesetzt erscheint es
nun gerechtfertigt und zur Unterscheidung der Associationen von
andern Verbindungsprocessen der Vorstellungen zweckmässig, bei der
Feststellung ihres Begriffs gerade von jenen Verbindungen der
Elemente zu einheitlichen Vorstellungen auszugehen, und demnach
„Associationen*' alle Verbindungen zu nennen, deren Producte ein-
zelne Vorstellungen oder regelmässige Zusammenhänge einzelner
Vorstellungen sind, sofern nicht auf diese letzteren Zweck- und
Werthbestimmungen einen Einfluss gewinnen, die sich einer Sub-
der zusammenzufassenden Elemente, die Bedingungen die nämlichen sind, relative
Vergleichungswerthe gewinnen lassen.
*) Vgl. Physiol. Psych. II, S. 437 ff.
Gausale Analyse der Vorstellungen. 207
sumtion unter die Association entziehen, und deren Wirkung die
vorhandenen Associationen so modificirt, dass diese nur noch als
mitwirkende Bedingungen solcher wesentlich anders gearteter Ver-
bindungen betrachtet werden können. Die Akte des ürtheilens,
Schhessens, Denkens, kurz alle ^^intellectuellen Functionen'' ruhen
zwar auf einer grossen ünterströmung von Associationen und würden
ohne diese niemals möglich sein; in ihrer eigensten Natur können
sie aber aus denselben nicht begriffen werden, weil sie sich sowohl
in den Gesetzen ihres Verlaufs wie in den begleitenden Oefühls- und
WillensTorgängen wesentlich unterscheiden. Wir bezeichnen daher
diese Processe wegen der hervorragenden Bedeutung, welche die
Function der Apperception bei ihnen besitzt, als apperceptive
Verbindungen der Vorstellungen.
Das Phänomen des Verlaufs der Vorstellungen setzt sich
nun normaler Weise aus diesen beiden Formen der Verbindung
zusammen, so dass die Herstellung einer reinen Associationsreihe
im Grunde ebenso gut eine psychologische Abstraction ist wie die
Existenz einer von Associationen unbeeinflussten apperceptiven Ver-
bindung. Erhöht wird hier die Schwierigkeit der Trennung noch
dadurch, dass die intellectuellen Erzeugnisse fortwährend in den
Bestand der disponibeln Associationen übergehen, indem sie gewisser-
massen mechanisirt werden und so dem Bewusstsein als äussere
Gedächtnissverknüpfungen ähnlich verfügbar bleiben, wie eingeübte
complicirte Bewegungen allmählich automatisch werden, um dann
Bestandtheile noch verwickelterer Willenshandlungen zu bilden. Darum
kann nun aber auch die Association als die primitivere Verbin-
dungsform immerhin eher noch ohne die Einflüsse einer unmittelbar
eingreifenden intellectuellen Thätigkeit als diese ohne die Grundlage
jener vorkommen. In der That bietet schon für die gewöhnliche
Beobachtung die Ideenflucht des Geistesgestörten nicht selten das
Schauspiel eines nahezu rein associativen Verlaufs dar, in welchem
auch die Begriffs- und Urtheilsbestandtheile nur noch den Schein
intellectueller Functionen erwecken, weil sie in Wahrheit associativ
gewordene Reste früherer Gedankenbildungen sind. Experimentell lässt
sich durch die willkürliche Einführung bestimmter Bedingungen an-
nähernd das nämliche erreichen, wobei man freilich willkürlich alle sich
einschiebenden logischen Gedankenbildungen unbeachtet lassen muss.
Das ganze Problem des Verlaufs der Vorstellungen lässt sich
nun allgemein in eine doppelte, eine quantitative und eine
I qualitative Aufgabe zerlegen. Die erste besteht in der Er-
I
208 Logik der Psychologie.
mittelung der zeitlichen Entstehung, Dauer und Aufeinanderfolge
der Vorstellungen. Die zweite beschäftigt sich mit den Beziehungen,
welche die einzelnen Glieder einer Vorstellungsreihe nach ihrem
qualitativen Inhalte darbieten. Da die Unterschiede des associa-
tiven und des apperceptiven Vorstellungsverlaufes durchaus nur auf
diesen Beziehungen beruhen, so kann die Feststellung der jeder
dieser Formen eigenthümlichen Verlaufsgesetze erst der qualitativen
Aufgabe zufallen. Dagegen ist von vornherein nicht zu erwarten,
dass die zeitlichen Verhältnisse des Wechsels der Vorstellungen
wesentliche Unterschiede darbieten werden, je nachdem sie der einen
oder andern Classe von Processen angehören. Namentlich aber ist
es selbstverständlich, dass die allgemeinen Methoden der Untersuchung
hier wie dort die nämlichen bleiben, da diese Methoden nach ihrer
technischen Seite immer nur in der Anwendung genauer zeitmessender
Werkzeuge, nach ihrer psychologischen aber nur in Verfahrungs-
weisen bestehen können, durch die man irgend welche zusammen-
gesetzte psychische Vorgänge durch Variation ihrer Bedingungen in
ihre einzelnen zeitlich zu unterscheidenden Bestandtheile zu zerlegen
oder in den ihnen in der Vorstellung zukommenden zeitlichen Eigen-
schaften zu verändern sucht.
Die auf solche Weise alle Arten der Vorstellungsverbindung
umfassenden chronometrischen Methoden bilden einen wich-
tigen Bestandtheil der experimentellen Psychologie, zu welchem diese
zuerst von aussen, von der astronomischen Beobachtungskunst
her den Anstoss empfangen hat. Indem die Zeitbestimmungen ge-
wisser astronomischer Ereignisse, wie z. B. eines Stemdurchgangs
durch den Meridian des Beobachtungsortes, Abweichungen zwischen
den Resultaten verschiedener Beobachter ergaben, die nur auf sub-
jective, durch die psychischen Vorgänge der Auffassung und der
willkürlichen Registrirung der Erscheinungen veranlasste Unterschiede
bezogen werden konnten, lag von selbst die Frage nach dem eigenen
Zeitverlauf dieser Vorgänge nahe. Diese Frage ist aber eine psycho-
logische, und ihre weitere Verfolgung musste mit innerer Noth-
wendigkeit dazu führen, dass allmählich versucht wurde, auf dem
von der Astronomie gezeigten Wege und unter angemessener Ver-
änderung der von ihr ausgebildeten Hülfsmittel das Problem des
Vorstellungsverlaufs in seinem ganzen Umfang in Angri£P zu nehmen*).
*) Zur Geschichte der astronomischen Beobachtungen, aus denen die
psychologisch-chronometrischen Methoden hervorgingen, vgl. Exner, Pflügers
Causale Analyse der Yontelluxigen. 209
Logisch lassen sich die so zur Ausbildung gelangten Methoden in
zwei Hauptmethoden sondern: in die Differenz- und die Yer-
gleichungsmethode.
Die Differenzmethode ist eine Unterform der allgemeinen
EUminationsmethode (Bd. II, Abth. 1, S. 363). Sie besteht darin,
dass man die Zeitdauer eines psychischen Vorgangs ermittelt, indem
man ihn aus einem zusammengesetzteren psychophysischen Process, in
den er als Bestandtheil eingeht, durch Subtraction der andern Be-
standtheile gewinnt. Die Anwendung dieser Methode ist schon bei
den relativ einfachsten Erscheinungen erforderlich, weil es über-
haupt keinen Bewusstseinsvorgang gibt, dessen Zeitdauer sich isolirt,
losgelöst von bestimmten physischen Processen der Nervenleitung
ttod Muskelbewegung, ermitteln liesse. Mit Rücksicht auf die äusseren
Hülfsmiitel wird daher die Differenzmethode alsReactionsmethode
bezeichnet. In alle Anwendungen derselben geht nämlich als letzter
chronometrisch nicht weiter zu zerlegender Bestandtheil eine ein-
fache Reactionszeit ein, d. h. diejenige Zeit, die mit der Ein-
wirkung eines einfachen Sinnesreizes von zuvor bekannter Beschaffen-
heit beginnt und mit einer zuvor bestimmten, unmittelbar nach der
Auffassung des Reizes ausgeführten willkürlichen Bewegung endigt.
Die Zeit irgend eines einfachen psychischen Actes kann dann als
Differenz der Reactionsdauer die ihn einschliesst und der unter sonst
gleichen Bedingungen bestimmten einfachen Reactionszeit erhalten
werden. Bezeichnen wir die letztere als Reactionszeit I. Ordnung
und dagegen die Zeit irgend eines Vorgangs, der ausser ihr noch
einen einfachen psychischen Act enthält, als solche II. Ordnung, so
wird durch die Einführung eines weiteren psychischen Actes in die
letztere eine Reactionszeit III. Ordnung entstehen, und ähnlich wird
man möglicher Weise noch zu Zeiten IV. und höherer Ordnung
fortschreiten können. Immer wird man dann zunächst durch Sub-
traction der einfachen Reaction die Zeitdauer eines zusammen-
gesetzten psychischen Processes erhalten, der sich weiterhin durch
successive Subtraction der complexen Reactionszeiten in seine ein-
facheren Bestandtheile zerlegen lässt. Bis jetzt sind wir nur bis zu
Zeiten III. Ordnung gelangt, und die Vorgänge des Vorstellungs-
verlaufs, deren Dauer auf diesem Wege bestimmt wurde, sind: Er-
kennung eines Eindrucks von im allgemeinen bekannter Beschaffen-
Archiv f. Physiologie, VII, S. 601 ff., über die psychologische Methodik selbst
meine PhysioL Psych., Bd. 11, Cap. XV und XVI.
Wundt, Logik n, 8. 8. Aufl. 14
210 Logik der Psychologie.
heit, Unterscheidung zwischen zwei oder mehreren zuvor gegebenen
Eindrücken, Wahl zwischen verschiedenen Handlangen, successive
Associationen, einfache Drtheilsacte. Da die äussere Reaction auf
einen Eindruck auf einem Willensimpuls beruht, so besitzen übrigen»
die genannten Vorgänge in diesem Zusammenhang zugleich den Cha-
rakter von Willensmotiven. Neben ihrer Bedeutung für die
Messung der einzelnen Factoren des Vorstellungsverlaufs haben da-
her diese Methoden noch die t^eitere, dass sie die Hülfsmittel zur
Untersuchung des zeitlichen Verlaufs der Willensvorgänge sind^
Mit Rücksicht auf diese Bedeutung werden wir unten nochmals auf
sie zurückkommen müssen, und es wird dort zugleich der Ort sein, die
Bedingungen zu besprechen, die bei der einfachen Reaction erfüllt
sein müssen, wenn sie in der angegebenen Weise als Subtractions-
factor verwerthet werden soll. (Vgl. S. 224.)
Wie die Differenzmethode als eine den psychologischen Zwecken
angepasste Form der physikalischen Eliminationsmethode betrachtet
werden kann, so schliesst sich die Vergleichungsmethode zu-
nächst an die Öradationsmethode an. Das Princip derselben besteht
allgemein darin, dass durch äussere Einwirkungen ein Vorstellungs-
verlauf erzeugt wird, dessen subjective Beziehungen nun mit den
entsprechenden objectiven Beziehungen der Eindrücke verglichen
werden. Die Methode lässt wieder verschiedene Gestaltungen zu^
unter denen hier die Reproductionsmethode als Beispiel genügen
mag. Sie dient der Untersuchung der Erinnerungsvorgänge und
zerfällt, je nachdem sie zugleich auf die qualitativen Eigenschaften
der Vorstellungen oder bloss auf ihre extensiven zeitlichen Verhält-
nisse Rücksicht nimmt, wieder in verschiedene Verfahrungsweisen.
In der qualitativen Reproductionsmethode bestehen die so genannten
«Öedächtnissversuche*, bei denen irgend ein Eindruck gegeben und
dann geprüft wird, mit welcher Genauigkeit er nach einer gegebenen,
in den verschiedenen Versuchen wechselnden Zeit wieder genau
erkannt, oder wie leicht er mit einem andern ähnlichen Eindruck
verwechselt werden kann'*'). Eine bloss quantitative Reproductions-
methode wird dann gewonnen, wenn ein Zeitverlauf lediglich in Bezug
auf die Veränderung der zeitlichen Eigenschaften, die er bei der
nach verschieden langer Zwischenzeit eintretenden Wiedererinnerung
erfährt, geprüft wird. Dabei muss dann aber selbstverständlich, um
wechselnde Einflüsse des qualitativen Inhaltes zu vermeiden, die Be-
schaffenheit der die Zeitstrecke ausfüllenden Eindrücke nicht nur
•) Physiol. Psych. II, S. 431 ff.
Causale Analyse der Vorstellungen. 211
gleich, sondern auch möglichst einfach gewählt werden: sie besteht
also z. B. in einfachen Tönen oder in leeren Zeitstrecken, die von
einfachen Schalleindrücken begrenzt sind u. dergl. Versuche dieser
Art bilden eine Weiterführung jener experimentellen Analyse zeit-
licher Vorstellungen, die man unter der allgemeinen Bezeichnung
«Zeitsinny ersuche* zusammengefasst hat. Diese beziehen sich so
lange auf das Problem der Bildung der Einzelvorstellungen und
stützen sich auf die Anwendung directer Vergleichungen, als es sich
um die unmittelbare Auffassung und Vergleichung zeitlicher Vor-
stellungen handelt (vgl. oben S. 205); dagegen kommt die Elepro-
ductionsmethode zur Anwendung, und das ganze Problem wird ein
.Gtedächtnissproblem* , sobald mittelbare Zeitvergleichungen aus-
geführt werden, d. h. solche, bei denen die frühere zeitliche Vor-
stellung verschwunden ist, wenn die neue, die mit ihr verglichen
werden soll, entsteht '^).
Alle quantitativen Methoden zur Untersuchung der Vorstel-
lungen und ihres Verlaufs können nun, sobald es sich um die Fest-
stellung von Grössenbeziehungen handelt, wieder zu den Methoden
der psychischen Grössenmessung zurückgreifen, um diese als Hülfs-
verfahren anzuwenden. Da räumliche wie zeitliche Strecken immer
zugleich psychische Grössen sind, die der Forderung der Homogenität
ihrer Theile genügen, so ist damit die Uebertragbarkeit der psychi-
schen Massprincipien auf sie von selbst gegeben. Alles was man
den Gebieten des „Raum-*^ und des , Zeitsinnes'' zugewiesen hat,
besteht daher zu einem wesentlichen Theile aus Anwendungen psychi-
scher Grössenmessung auf die Probleme der räumlichen und der zeit-
lichen Associationen. (Vgl. oben S. 178 f.)
Der qualitativen Analyse des Vorstellungsverlaufs
treten zunächst die Formen der successiven Association und der
apperceptiven Verbindungen der Vorstellungen als scharf ausge-
pragte, schon in ihren äusseren Verlaufsgesetzen deutlich unter-
schiedene Arten des Geschehens entgegen, die auch die psycho-
logische Untersuchung auf eine Scheidung der Aufgaben hinweisen.
Unter ihnen fällt schon die Analyse der successiven Associationen
nicht mit derselben Nothwendigkeit wie eine jede quantitative Unter-
*) Physiol. Psych. II, S. 408 ff. Ueber eine andere Form der vergleichen-
den Methode, die Complicationsmethode, bei der es sich wesentlich um
die Prüfimg der AufmerksamkeitseinflÜsse auf die zeitliche Reihenfolge der Be-
itaadiheile einer VorsteUang handelt, vgl. ebend. S. 398 ff.
212 Logik der Psychologie.
suchung dieses Gebietes in den Bereich experimenteller Methodik.
Bietet doch die gewöhnliche Erfahrung in den Erinnerungserschei-
nungen fortwährend mannigfache Beispiele der Association, die, wenn
sie gesammelt und statistisch verarbeitet werden, ein reiches Material
zur Beurtheilung der verschiedenen Richtungen und Formen der
Association liefern können. Dennoch ist auch hier der Mangel einer
planmässigen Beeinflussung des Bewusstseins zum Zweck der geeig-
neten Variirung der Bedingmigen und der Schärfung der Selbst-
beobachtung nicht zu verkennen, ein Mangel der hinreichend darin
sich ausspricht, dass man, so grosse Aufmerksamkeit auch die Asso-
ciationspsychologie diesem Gebiet geschenkt hat, doch vor Einführung
der experimentellen Methode nicht über die Aufstellung gewisser
AUgemeinbegrifife , wie der Aehnlichkeits- und der Berührungsasso-
ciation, hinausgekommen ist. In der That musste der für die Theorie
der Associationen entscheidende Punkt nothwendig so lange verfehlt
werden, als man an der Auffassung festhielt, die Vorstellungen seien
Bilder von Gegenständen, relativ beharrend wie die Gegenstände
selber — eine Auffassung die dann nothwendig auch die weitere
mit sich führte, dass die Associationen in nichts anderem als in
wechselnden Verbindungen zwischen diesen fertigen Objecten be-
stünden. Auch hier hat sich wieder die Ueberlegenheit der experi-
mentellen Methode bewährt. Ein Jahrhundert lang war die Asso-
ciationspsychologie den Associationsphänomenen gegenübergestanden,
ohne im wesentlichen über jene Subsumtion unter Allgemeinbegriffe
hinauszukommen, durch die schon Aristoteles die Erscheinungen des
Gedächtnisses nicht sowohl zu erklären als nach seiner Weise zu
schematisiren versucht hatte. Wer aber nur einmal eine Anzahl
jener Reactionsversuche , in die Associationsvorgänge als Bestand-
theile eingehen (S. 209 f.), mit der erforderlichen Aufmerksamkeit
ausgeführt hat, dem kann nicht mehr zweifelhaft sein, dass alle jene
Classificationen schon deshalb keinen Erklärungswerth besitzen, weil
die Vorstellungen selbst wechselnde Ereignisse sind, die sich fort-
während verändern. Die Association zwischen zwei fertigen Vor-
stellungen kann daher kein einfacher Process sein, sondern nur das
resultirende Erzeugniss vieler elementarer Vorgänge. Für das nähere
Studium dieser Vorgänge und die weiteren daran sich schliessenden
Fragen erscheint es aber zweckmässig, die qualitative Aufgabe von der
quantitativen der Reactionsversuche zu trennen. Beobachtungen dieser
Art bestehen dann im wesentlichen in Associationsreactionen ohne
äussere Reaction, bei denen die Versuchspersonen zugleich angehalten
Causale Analyse der Vorstellungen. 213
werden, über die zu gegebenen Eindrücken entstandenen Associationen
und deren Begleiterscheinungen Rechenschaft zu geben'*'). Kann es
als das wichtigste psychologische Ergebniss dieser Versuche betrachtet
werden, dass es, sofern wir auf die elementaren Processe zurück-
gehen, überhaupt nicht Associationen zwischen den Vor-
stellungen selbst, sondern nur solche zwischen ihren Em-
pfindungsbestandtheilen gibt, so fällt aber damit auch jede
Berechtigung hinweg, die successive Aasociation und die Bildung der
Einzelvorstellungen als zwei gänzlich verschiedene Glassen psychi-
scher Processe anzusehen. Vielmehr ordnet sich auch die zweite
der Association der Empfindungen unter, eine Folgerung die m der
thatsächlichen Existenz der mannigfachsten Debergänge zwischen
simultaner und successiver Association ihre Bestätigung findet'*"*').
Hat so die experimentelle Analyse mit zwingender Nothwendig-
keit dazu geführt, den Associationsbegriff so zu sagen nach unten
hin zu erweitern und zu vertiefen, indem die sämmtlichen Processe
der Vorstellungsbildung ihm zufallen, so muss sich dagegen jener
Begriff nach oben hin, namentlich gegenüber den Anwendungen die
er in der Associationspsychologie gefunden, eine wesentliche Ein-
schränkung gefallen lassen. Da naturgemäss alle verwickeiteren
Processe des psychischen Lebens auf der Bildung der Einzelvorstel-
lungen und ihren associativen Verbindungen beruhen, so fallt es
natürlich nicht schwer, in allen Erzeugnissen der intellectuellen Ent-
wicklung nicht nur Associationen nachzuweisen, sondern es ist auch
selbstverständlich, dass, wenn man diese Associationen hinweg-
denken könnte, jene Erzeugnisse selber verschwinden müssten. Hier
gerade, wo die experimentelle Methode im Stich lässt, ist man dann
nur allzu sehr geneigt, wieder mit so genannten , Selbstbeobach-
tungen*^ nachzuhelfen und auf Grund derselben z. B. zu versichern,
dass bei einem schwierigen Erkenntnissproblem gegenüber einer ge-
wöhnlichen Oedächtnissleistung, abgesehen etwa von stärkeren Muskel-
spannungen oder andern Organempfindungen, keine besonderen Eigen-
thümlichkeiten nachzuweisen seien. Dabei vergisst man aber, dass
die erste Regel für die Interpretation verwickelter Vorgänge des
geistigen Lebens so gut wie der Natur darin besteht, dass man vor
allem die Erzeugnisse solcher Vorgänge einer sorgsamen Analyse
unterwerfe, um erst an der Hand dieser Analyse den Vorgängen
♦) W. E. Scripture, Phil. Stud. VII, S. 50 ff.
**) Vgl. über diese Fragen Physiol. Psych. II, S. 466 ff., sowie Vorlesungen
über die Menschen- and Thierseele, 2. Aufl. S. 305 ff.
214 Logik der Psychologie.
selbst auf die Spur zu kommen. In der Psychologie hat nun dieses
Verfahren ausserdem noch den grossen Vorzug, dass es objectiye
Httlfsmittel zu Rathe zieht, die der Selbstbeobachtung die Richtung
anzuweisen haben, während diese, wo sie auf solche Httlfsmittel yer-
zicbtet, begreiflicher Weise bei den der oberflächlichen Wahrnehmung
zunächst sich aufdrängenden Nebendingen stehen bleibt und darüber
die Hauptsache ttbersieht. Wollte die Associationspsychologie leisten
was sie verspricht, so müsste sie im Stande sein, auch ein Werk
der Kunst oder der Wissenschaft als ein Aggregat zufalliger Asso-
ciationen verstehen zu lehren; sie müsste zeigen, dass die Reduction
einer solchen intellectuellen Leistung auf die üblichen Formen der
Aehnlichkeits- und der Berührungsassociation und etwa noch auf
einige durch Ausdrucksbewegungen erzeugte Mitempfindungen wirk*
lieh im Stande sei, uns dem Verständniss eines solchen Werkes auch
nur um einen Schritt näher zu bringen.
Die intellectuellen Erzeugnisse individuellen Ursprungs sind
nun aber allzu sehr von concreten Bedingungen abhängig, die bei
ihnen zum Theil das Allgemeingültige und Gesetzmässige zurück-
treten lassen, als dass sie ohne weiteres als Httlfsmittel psychologi-
scher Untersuchung zu verwerthen wären. Um so wichtiger ist es,
dass sich in den geistigen Erzeugnissen der menschlichen
Gemeinschaften, in der Sprache vor allem, psychische Entwick-
lungen verdichtet haben, die für den Menschen von ebenso allgemeia-
gttltiger Art sind wie die in jedem Individuum zu beobachtenden
Erscheinungen der Vorstellungsbildung und der elementaren Ge-
dächtnissleistungen. Hier tritt daher die Völkerpsychologie der
Individualpsychologie ergänzend zur Seite. Sie hat nicht bloss die
Untersuchungen dieser auf ein neues Gebiet auszudehnen, sondern
die auf diesem Gebiet gewonnenen Ergebnisse müssen auch wiederum
als leitende Gesichtspunkte für das Verständniss aller höheren
intellectuellen Functionen betrachtet werden*).
*) Gtogen den Aasdruck «höhere* psychische Functionen hat sich in ge-
wissen Kreisen der modernen Psychologie eine Art Idiosynkrasie ausgebildet.
Man hält es ftkr unpassend, von höheren Gefühlen, höheren intellectuellen Func-
tionen u. dergl. zu reden. Für den Psychologen, meint man, sei alles gleich-
werthig, und er dürfe eine solche dem populären Sprachgebrauch entlehnte
Abstufung nicht zulassen. Ich habe noch nie gehört, dass z. B. die Mathe-
matiker aus ähnlichen Gründen gegen den Ausdruck „höhere" Mathematik
protestirt hätten, obgleich kein Mensch zweifelt, dass es für sie ebenso wichtig
ist, addiren wie integren zu können. Dass Werthbestimmungen überall auf
\
Analyse der Gefühle, Affecte und Willensvorg&nge. 215
g. Die Analyse der Gefühle, Affecte und Willensvorgänge.
Die Analyse der Gefühle hat wegen der ungleich verwickeiteren
Bedingungen ihrer Entstehung, mit der zugleich, wie es scheint, eine
reichere qualitative Mannigfaltigkeit zusammenhängt, mit sehr viel
grösseren Schwierigkeiten zu kämpfen als die der Vorstellungen.
Eine Folge davon ist es, dass auf diesem Gebiete nicht selten selbst
die Vertreter einer experimentellen Psychologie auf die Abwege so
genannter «Selbstbeobachtungen'^ gerathen, unter denen man in diesem
Fall in der Regel vorgefasste Meinungen zu verstehen hat, die aus
dogmatischen Vorurtheilen hervorgegangen sind. So sind z. B. An-
gaben wie die, dass nur die Unlust ein positives Gefühl, die Lust
aber nur eine aufhörende Unlust sei, oder dass alle Gefühle in
Muskel- oder Organempfindungen bestünden, oder endlich dass es
nur zwei individuelle Gefühle, ein Lust- und ein UnlustgefÜhl, gebe,
und dass demnach der Schmerz, den man bei einem erschütternden
Lebensereigniss, und der den man beim Zahnausziehen empfinde als
Gefühl betrachtet eins und dasselbe sei, — diese und viele ähnliche
Behauptungen sind offenbar gleich viel oder gleich wenig werth.
Zweifellos haben die Beobachter, die diese Dinge durch die Con-
centration ihrer Aufmerksamkeit auf innere Erlebnisse festgestellt
haben wollen, richtig zu beobachten geglaubt. Aber ebenso gewiss
ist es wohl, dass jeder von ihnen unter dem Einfluss irgend einer
Annahme stand, die er sich vor der Ausführung seiner Selbstbeob-
achtungen gebildet hatte. Da es nun ganz unmöglich ist, mittelst
der blossen Selbstbeobachtung die Vorstellungs- und die GefÜhls-
bestandtheile irgend eines complexen Erlebnisses von einander zu
sondern, so ist es auch kaum möglich, dass bei diesem Verfahren
etwas anderes herauskommt als was man vorher schon weiss oder
zu wissen glaubt: d. h. wer die Gefühle für absolut gleichförmige
Seelenzustände hält wird natürlich alle vorhandenen Unterschiede auf
die intellectuelle Seite verweisen, und wer sie nicht für einförmige
Seelenzustände hält, wird irgend einen Theil dieser Unterschiede bei
den Gefühlen zurückbehalten, u. s. w.
geistigem Gebiet ezistiren, ist doch eine Thatsache, die vor allem der Psychologe
anerkennen sollte, and über die er jedenfalls Rechenschaft zu geben hat. Hinter
der Nivellirung des Ausdrucks verbirgt sich aber hier in der Regel schon die
Tendenz, auf diesem bequemen Wege auch der Unterschiede der Sache selbst
ledig zu werden.
216 Logik der Psychologie.
Der einzige Weg, um diese Fallstricke der reinen Selbstbeob*
achtung zu vermeiden, bleibt darum auch im vorliegenden Fall der^
dass man sich so viel als möglich der experimentellen Variirung^
der Umstände bedient, und dass man natürlich überdies unbefangen
beobachtet, d. h. nicht praoccupirt durch Theorien, die man selbst
verfertigt oder von Andern überliefert erhalten hat. Das Wesent-
liche bei der experimentellen Beobachtung, wodurch sie auch hier
eine so viel grössere Sicherheit gewinnt als die zufallige Wahrneh-
mung, besteht nun darin, dass sie es gestattet, nur einen der Bestand-
theile zu verändern, aus denen sich eine complexe Erscheinung zu-
sammensetzt, um dann die psychischen Effecte, in diesem Fall alsa
die GefÜhlseffecte zu verfolgen, die dieser Veränderung entsprechen.
Darum ist aber nur da, wo eine solche willkürliche Isolirung der
einzelnen Bedingungen möglich ist, ein einigermassen sicherer Erfolg-
von dem Experiment zu erwarten, und dies ist zugleich der Orund^
weshalb die nach diesem Princip ausgeführte Untersuchung der Ge-
fühle nur für verhältuissmässig einfache Fälle ausführbar ist. Wo-
man es irgend mit verwickeiteren Bedingungen zu thun hat, da ver-
ändern sich nur zu leicht mit der Variation einer objectiven Be-
dingung mehrere subjective Factoren, wodurch ein sicherer Schlus»
unmöglich wird. Wenn z. B. Goethe empfiehlt, man solle, um sich
von dem erwärmenden Effect der gelben Farbe zu überzeugen, eine
graue Winterlandschaft durch ein gelbes Glas betrachten, so leidet
dieser Versuch an dem Uebelstand, dass er den Eindruck einer von
der Sonne bestrahlten Landschaft hervorbringt, weshalb unmöglich
gesagt werden kann, wie viel etwa von der vorhandenen Gefühls-
wirkimg auf Rechnung des reinen Farbeneindrucks oder jener Asso-
ciationen zu setzen sei'*'). Daneben hat freilich dieser Meister in der
Beobachtung subjectiver Zustände bereits mit sicherem Takt den
richtigen Weg eingeschlagen, der allein, so weit möglich, zu einer
Elimination solcher Miteinflüsse führen kann. Wenn ein Eindruck
unter den verschiedensten Bedingungen, unter denen die Neben-
einflüsse in der mannigfaltigsten Weise wechseln, immer wieder den
nämlichen GefÜhlswerth behält, so wird man offenbar mit grösserer
Sicherheit auf einen der Empfindungsqualität selbst anhaftenden Ge-
fühlston zurückschliessen dürfen. Am schlagendsten ist dieser experi-
mentelle Erfolg dann, wenn die sonstigen Motive in entgegengesetzter
*) Goethes Farbenlehre, Didaktischer Theil, Abth. IV. Weimarer Aus^.,
2. Abth., Bd. I, S. 311.
Analyse der Gefühle, Affecte und Willensvorgänge. 217
Richtong wirken und es nun gelingt, durch die Variirung des einen
Factors diese Wirkung völlig aufzuheben oder in einen andern Ge-
f&hlseffect umzuwandeln. Verhältnissmässig am reinsten l&sst sich
eine solche eindeutige Variation der Bedingungen in gewissen Fällen
mit der Starke der Empfindungen oder bei den Tönen mit der Höhe
der Töne vornehmen'*'). In allen diesen Fällen leidet freilich der
Versuch, den GefÜhlscharakter einfacher Empfindungen in seinen
Veränderungen zu verfolgen, an dem Uebelstand, dass es bis jetzt
nicht möglich gewesen ist, auf diesem Gebiet wirkliche Grössen-
bestimmungen auszuführen. Dazu müssten Schwellenwerthe des Ge-
itüils in ähnlicher Weise wie solche der Empfindungen gemessen,
Gefühle von bestimmter Qualität in gleicher Stärke willkürlich durch
äussere Eindrücke wiedererzeugt werden können u. s. w. — For-
derungen die wegen der nie völlig zu beherrschenden Einflüsse, unter
denen schon die einfachsten Gefühle stehen, namentlich aber wegen
der Veränderungen, die sie theils durch die Dauer theils durch die
Wiederholung erfahren, kaum zu erfüllen sind. Man hat sich daher
in den Fällen, in denen sich eine annähernd eindeutige Beziehung
zwischen Gefühl und Empfindungsintensität annehmen lässt, wie bei
Druck-, Temperatur- und Geschmackssinn, auf die allgemeine Con-
siatimng der Existenz gewisser ausgezeichneter Punkte, wie eines
Indifferenzpunktes zwischen Lust und Unlust, eines maximalen Lust-
werthes u. derg]., beschränkt und dann im Anschlüsse daran eine
ideale GefÜhlscurve construirt, die natürlich kein exactes Bild der
bestehenden Abhängigkeit sondern nur eine Darstellung des allgemeinen
Charakters derselben geben kann'").
Gerade in diesem Fall bietet nun das an sich verwickeitere
Problem der Abhängigkeit der aus der Verbindung einfacher Ein-
drücke entstehenden Gefühle von der Qualität derselben oder der Art
ihrer Verbindung wesentlich günstigere Bedingungen dar. Denn es
gestattet in vollkommenerer Weise eine Anwendung der vergleichen-
den Methode in experimenteller Form. Fragt man z. B., welche
Glieder einer gegebenen Reihe von Farben die wohlgefälligsten, und
welche die missfälligeren Zusammenstellungen bilden, so ergibt das
Vergleichungsverfahren von selbst eine Abstufung der Gefälligkeits-
*) Ein belehrender Versuch besteht hier darin, dass man ein und dasselbe
melodische Motiv in verschiedener Tonhöhe spielt. Je ausgeprägter der Ge-
fÜhlscharakter des Motivs ist, um so deutlicher ist die Veränderung , die er
durch diese Uebertragung erfährt.
*) Phydol. Psych. I, S. 558.
t*^
218 Logik der Psychologie.
grade, die, wenn auch die einzufllhrenden Einheiten im allgemeinen
willkürlich bleiben, doch insofern einen quantitativen Werth besitzt,
als jeder möglichen Zusammenstellung ihr Platz in der gewählten
Reihe angewiesen werden kann. In ähnlichem Sinne lassen sich ein-
fache Formverhältnisse^ z. B. Theilungen einer yerticalen oder einer
horizontalen Geraden, die Verhältnisse der Breite zur Höhe eines
Rechtecks und, yon diesen einfachsten Fällen ausgehend, complicirtere
Theilungen räumlicher Figuren, ebenso rhythmische Gliederungen
von Zeitstrecken, in Bezug auf ihren ästhetischen Werth prQfen.
Principiell sind bei diesen Versuchen über , ästhetische Elementar-
gefühle'^ wieder die ähnlichen Methoden der Einwirkung und der
Herstellung möglich, die bei der Untersuchung der objectiven Eigen-
schaften der Vorstellungen zur Anwendung kommen (S. 202). Aber
die eigenthümlichen Eigenschaften der GefQhle geben hier der Ein-
wirkungsmethode ein noch entschiedeneres Uebergewicht, da nur bei
ihr eine für das sichere Festhalten bestimmter ausgezeichneter Ge-
fühlswerthe erforderliche Bestimmtheit und zeitliche Beschränkung
des Eindrucks erzielt werden kann. Bei der Einwirkungsmethode
kann dann das vergleichende Verfahren in einer doppelten Form An-
wendung finden: als paarweise Vergleichung und als reihen-
weise Vergleichung. Bei der paarweisen Vergleichung wählt
man aus der Reihe der in Bezug auf ihr ästhetisches Verhält-
niss zu vergleichenden Objecte A^ B, C, .... je zwei AB^ AC^
AD n. s, w. und bestimmt, welches Object in jedem Paar das wohl-
gefälligere ist. Diese Untersuchung, eventuell mit jeder möglichen
Variation der äusseren Bedingungen, besonders der Raum- und Zeit-
lage, vorgenommen, ergibt schliesslich eine Ordnung der ganzen
Reihe nach dem Grad ihrer Wohlgefälligkeit. Bei der Methode der
reihenweisen Vergleichung nimmt man sogleich die ganze Reihe oder
einen grösseren, die Anzahl 2 übersteigenden Theil derselben und
ordnet die Glieder nach dem Grad des Gefallens. Da die möglichste
Vereinfachung der Bedingungen ein wesentliches Erfordemiss eines
sichern Urtheils bei allen diesen Versuchen ist, so ist die Methode
der paarweisen Vergleichung im allgemeinen vorzuziehen ; doch kann
in manchen Fällen bei der Reihenmethode sicherer der Einfluss
störender Associationen mit bekannten Natur- oder Eunstformen ver-
mieden werden'*'). Bei complicirteren Objecten ist jedoch diesem
Einfluss überhaupt kaum zu entgehen. Es würde darum auch völlig
♦) Vgl. L. Witmer, Phü. Stud. IX, S. 122 ff.
Analyse der Gefühle, Affecte und Willensrorgänge. 219
Terkehrt sein, irgend welche Terwickeltere Fragen der Aesthetik auf
dem Wege solcher experimenteller Vergleichungen lösen zu wollen.
Di^e können immer nur dazu dienen, über elementare Factoren
ästhetischer Wirkungen Rechenschaft zu geben. Die psychologische
Analyse der mannigfachen Associations- und Apperceptionsbedingungen
dagegen, die bei den höheren ästhetischen Objecten zu jenen hinzu-
kommen, ist ein Stück angewandter Pychologie, das neben der zum
Verstandniss des Objectes erforderlichen historischen Erkenntniss eine
Tertiefang in den gesammten Zusammenhang der psychischen Func-
tionen, insbesondere der apperceptiven Processe und der an sie ge-
bundenen reichen Gefühlswelt erfordert '*').
Die Theorie der Gefühle bildet heute noch ein hinter der
Analyse der Vorstellungen und ihrer Verbindungen weit zurück-
gebliebenes Gebiet der Psychologie. Theils erklärt sich dies daraus,
dass die für die seelische Entwicklung des Menschen wichtigsten
Gefühlsformen ihre genetische Untersuchung erst von der Völker-
psychologie zu erwarten haben; theils aber begegnet schon die
Analyse der einfacheren Gefühle wegen der ungeheuren Complication
der Einflüsse , unter denen sie stehen , überaus grossen Schwierig-
keiten, die eine experimentelle Isolirung der einzelnen Bedingungen
beinahe unmöglich machen. Ist doch schon ein sinnliches Ge-
fühl einfachster Art fast regelmässig nicht bloss von der Intensität
*) Ffir diese höheren ästhetisch-psychologischen Aufgaben gilt daher,
ebenso wie für das Gebiet des Ethischen und für alle anderen Gegenstände, bei
denen die Individualpsychologie durch die Völkerpsychologie ergänzt wird, die
R^l, dass sie sich dem Experiment entziehen, weil sie nicht mehr experimentell
aergestellt, sondern nur so untersucht werden können, wie sie sich in der Wirk-
ichkeit vorfinden. Wenn F e c h n e r , der Begründer der experimentellen Aesthetik,
anter den fQr diese verfügbaren Methoden auch eine solche der «Verwendung*
onterschied (Fe ebner, Vorschule der Aesthetik, I, S. 190), so hat er darum
eigentlich das bei den höheren ästhetischen Objecten allein mögliche Verfahren
auch unter die experimentellen Methoden, die auf einfache Objecte angewandt
werden, zurflckübertragen. Ein wirkliches Experiraentalverfahren ist jedoch
'iei dieser , Methode der Verwendung' nicht mehr vorhanden; es wird durch
(ine statistische Abzahlung ersetzt. So s. B. wenn man durch Ermittelung der
^bschnittlichen Form von Visitenkarten, Büchereinbänden u. dergl. die Form
des wohlgefölligsten Rechtecks festzustellen sucht. Die Statistik kann aber hier
unmöglich die neben dem ästhetischen Eindruck zum Einfluss kommenden
Momente, z. B. Zweckmässigkeitsrücksichten, die aUgemeine Neigung der Mode
zwischen Contrasten zn wechseln u. ähnl., eliminiren, da diese möglicher Weise
Doch regelmässiger wirken können als der ästhetische Eindruck selbst.
220 Logik der Psychologie.
und Qualität des Eindrucks, sondern auch von den mannigfachen
Associationen, in die dieser eingehen kann, und durch solche wieder
indirect von der ganzen zurückliegenden Entwicklung des Bewusst-
seins abhängig. Diese Verwickelung steigert sich natürlich ins un-
absehbare bei Gefühlen, die an Verbindungen vieler Eindrücke« an
das Entstehen imd Verschwinden der Vorstellungen, an ihre Be-
ziehungen zu früheren Erlebnissen gebunden sind — Beziehungen
die bei den überaus charakteristischen Gefühlen wirksam werden,
welche die. Apperception eines Eindrucks, das Wiedererkennen des-
selben, seine Verbindung mit andern Vorstellungen, sowie die Vor-
bereitung und Entwicklung von Willensimpulsen und ähnliche Vor-
gänge begleiten. Ist schon die Anzahl unterscheidbarer Enipfindungs-
qualitäten, die einem individuellen Bewusstsein zur Verfügung steht,
relativ unendlich, da es immer willkürlich bleibt, wenn man aus der
Fülle der Qualitäten eines Empfindungscontinuums irgend welche
weiter von einander abstehende herausgreift, und kann noch weniger
daran gedacht werden, die Mannigfaltigkeit der Verbindungen zu
zählen, in denen solche Empfindungen wieder zu Vorstellungen zu-
sammentreten, so bildet allen diesen Erzeugnissen gegenüber das
Reich der Gefühle gewissermassen eine Unendlichkeit höherer Ord-
nung, weil eben schon das einfachste Geftihl neben der directen Be-
ziehung zu dem Eindruck den es begleitet noch mit einer unbegrenzten
Vielheit anderer psychischer Erlebnisse in Verbindung stehen kanu.
Dazu kommt ein äusserer Nachtheil, durch den die Gefühlsseite des
Seelenlebens weit hinter der Vorstellungsseite zurücksteht. Bei dieser
hat die unmittelbare Beziehung auf äussere Objecte und das Bedürf-
niss der klaren Unterscheidung der letzteren zu einer reichen Namen-
gebung geführt, die wir auch da, wo sie uns im Stiche lässt,
leicht durch den unmittelbaren Hinweis auf den vorgestellten Gegen-
stand ergänzen. Die Gefühle sind Erlebnisse, zu deren Mittheilung
an Andere ausser dem Künstler, der die Wirklichkeit des Seelen-
lebens nachbilden, und dem Psychologen, der diese Wirklichkeit
wissenschaftlich analysiren will, Niemand einen Beruf verspürt. Aber
die bildende Kunst kann wiederum Gefühle nur erregen durch das
Mittel der Vorstellungen; nicht minder die Poesie, die mit ihren
Wirkungen bald zu Ende wäre, wenn sie auf die Gefühlsausdrücke
der Sprache beschränkt bliebe, und daher ihre höchsten Gefühls-
wirkungen nicht dadurch erreicht, dass sie von ihnen spricht, sondern
dadurch, dass sie die Gegenstände und Handlungen schildert, durch
die sie im Hörer erzeugt werden. Die Musik endlich redet zwar
Analyse der Gefühle, Affecte und Willcnsvorgänge. 221
eine reine 6ef&hlssprache , aber indem sie auf das Wort verzichtet,
bezeugt sie um so schlagender, dass das Gefühl als solches der
Fähigkeit entbehrt in Worten fixirt zu werden. So sieht sich die
Psychologie den Problemen des Gefühlslebens gegenüber in der Lage,
Vorgänge untersuchen zu sollen, für die ihr nur einige ganz dürftige
Bezeichnungen zu Gebote stehen, in denen die Sprache gewisse Gegen-
satze des subjectiven Verhaltens in allgemeinsten Classenbegriffen
festzuhalten versucht hat. Solche Glassenbegriffe sind .Lust'' und
«Unlust*. Sie haben vielleicht in der Psychologie mehr Unheil
angerichtet, als sie der wirklichen Schilderung der Gefühle förder-
lich waren. Denn wie man der Meinung huldigte, dass es , Begriffe''
und 3 Allgemein Vorstellungen" als besondere real existirende Vor-
stelluogsgebilde geben müsse, weil nun einmal die wissenschaftliche
Sprache zur Realisirung gewisser logischer Forderungen diese Wörter
sreschaffen hat, so meinte man, „Lust" und „Unlust" seien individuelle
Gefühle und noch dazu die einzigen die existiren, weil sie die haupt-
sächlichsten scharf ausgeprägten Gegensätze dieser Art sind, die die
Sprache ausdrückt. Und doch erweckt schon im Gebiet der einfachen
Empfindungen die Welt der Töne und Farben eine Menge subjectiver
Stimmungen, bei denen, wo sie nach Gegensätzen geordnet werden
können, diese mit Lust und Unlust jedenfalls falsch bezeichnet sind.
Nicht minder gilt das von den mannigfachen Gefühlen, die an die
Associations- und Apperceptionsprocesse geknüpft sind. Hier wie
öberaU muss sich daher die Psychologie, wenn sie nicht in rück-
ständige Ideen zurückfallen will, vor allem von jenem schematisiren-
den Denken befreien, das die Dinge begriffen zu haben glaubt, wenn
es sie unter bereitliegende Kategorien ordnet. So wenig wir heute
mehr den Verstand oder das Gedächtniss deshalb, weil uns die Sprache
diese zusammenfassenden Begriffe geschenkt hat, für specifische
seelische Kräfte ansehen, ebenso wenig dürfen wir Lust und Unlust
deshalb, weil die Psychologie diese Wörter allmählich zu ähnlichen
alles und nichts ausdrückenden Kategorien umschuf, für individuelle
oder gar in allen Fällen wo sie gebraucht werden für die nämlichen
individuellen Erlebnisse ansehen. Sie sind Glassenbegriffe wie andere,
Qnd noch dazu Glassenbegriffe ärmlichster Art, weil man selbst der
Sprache Gewalt anthun muss, um sie auf seelische Zustände wie die
des Ernstes, der Beruhigung, der Erleichterung und viele andere zu
übertragen. Jedes dieser Wörter bedeutet etwas anderes als Lust
und Unlust, und doch bezeichnet jedes wieder nur einen Classen-
begnff, der eine unendliche Menge von Schattirungen des Gefühls
222 Logik der Psychologie.
umfasst. Wenn man gesagt hat, in allen diesen Fällen sei der
wesentliche Unterschied nicht in dem Oeftihl als solchem, sondern
in wechselnden Spannungsempfindungen der Gelenke und Muskeln
begründet die es begleiten, so macht diese Hypothese erstens die
eigenthümlichen Unterschiede in dem seelischen Effect der Gefühle
nicht im geringsten klar; denn jene Empfindungen sind in vielen
anderen Fällen gleichgültige Zustände, von denen man nicht begreift,
wie sie plötzlich in Folge unbedeutender Veränderungen alles Wohl
oder Wehe einer Menschenseele in sich schliessen sollen. Zweitens
aber beruht diese Behauptung, wie ich glaube, auf fehlerhaften
, Selbstbeobachtungen '', bei denen man die in solchen Fällen uner-
lässUche experimentelle Variirung der Bedingungen dogmatischen
Vorurtheilen zu Liebe yerabsäumt hat. Eine solche Variirung kann
in der That jeden unbefangenen Beobachter leicht überzeugen, dass
die für die Charakteristik der Gefühle in Anspruch genommenen
Spannungsempfindungen gelegentlich auch andere, ganz gleichgültige
Zustände begleiten können. Will der Psychologe die Mannigfaltig-
keit der Gefühle einigermassen sichten und ordnen, so kann er in
der Beschreibung dieser Vorgänge keinen andern Weg gehen, als
den die Kunst, namentlich die ebenfalls der sprachlichen Mittel sich
bedienende Dichtkunst zu gehen pflegt. Er muss, wo ihn die directe
Bezeichnung der Gefühle im Stiche lässt, die Vorstellungen zu
Hülfe nehmen. Goethes Schilderung der Farbengefühle kann darin
in mancher Beziehung noch heute als Muster dienen. Eine psycho-
logische Analyse mittelst blosser Selbstbeobachtungen ist aber hier
ebenso trügerisch wie anderwärts. Sie sollte nie anders als auf Grund
vielseitiger Variirung der Umstände ausgeführt werden. Denn je
verwickelter und zusammengesetzter die Einflüsse sind, um so mehr
bedarf es der experimentellen Isolirung und Abstufung der einzelnen.
Was für die Gefühle, das gilt in analoger Weise für die
Affecte, die psychologisch betrachtet nur zusammengesetzte Verlaufs-
formen von Gefühlen sind. Selbst die physiologischen Begleit-
erscheinungen der Affecte in Gestalt bestimmter Einflüsse auf Puls,
Athmung und Gefassinnervation sind in der Regel schon bei den
Gefühlen zu finden, und nur die äusserlich sichtbaren mimischen und
pantomimischen Bewegungen kommen, als den Affecten specifisch
eigenthümlich, noch hinzu. Man hat zuweilen geglaubt, in Anbetracht
der Schwierigkeiten und der mangelhaften Anwendbarkeit der eigent-
lich psychologischen Hülfsmittel sei hier die physiologisch-sympto-
matische Methode, bestehend in der Registrirung der den Gefühls-
Analyse der Gefühle, Affecte und Willensvorgftnge. 223
Terlanf begleitenden Aenderungen der Herz-, Öefäss- und Athmungs-
ioner?ation sowie der Energiezustande der Eörpermuskeln, das in
die Lücke eintretende experimentelle Verfahren. Wie bei den Pro-
blemen der Vorstellungsbildung die Eindrucks- und die Herstellungs-
methode, so sei daher für die Öemüthszustande die Ausdrucks-
methode, das Studium des Zustandes mittelst seiner körperlichen
Begleiterscheinungen, geboten. Aber erstens ist, wie wir oben
sahen, wenigstens bei den Gefühlen die Eindrucksmethode keines-
vegB ausgeschlossen, sondern vielmehr die einzige, bei der eine
hl die psychologische Analyse zureichende Variirung der um-
stände stattfinden kann; und zweitens kann die Ausdrucksmethode
an und filr sich gar nichts zur eigentlichen Aufgabe der psycholo-
gischen Analyse beitragen. Denn so interessant es zweifellos ist,
die physischen Veränderungen kennen zu lernen, die bestimmten
psychischen Vorgängen parallel gehen, so kann doch bei einer solchen
Untersuchung selbstverständlich immer nur ein physiologisches
Resultat gewonnen werden. Darüber wie die Gefühle als psychi-
%he Zustande mit einander zusammenhängen kann aber nur eine
psychologische, also mit den specifisch psychologischen Methoden
des Eindrucks und der Vergleichung ausgeführte Untersuchung
fiechenschaft geben. Wir werden deshalb der so genannten Aus-
drocksmethode erst unten, wo von den physiologischen Hülfsmethoden
der Psychologie die Elede sein soll, ihre Stelle anweisen (S. 227).
Doch ist hervorzuheben, dass, abgesehen von diesem physiologischen
und psychophysischen Interesse, die Ausdrucksmethode einen in-
directen psychologischen Werth insofern hat, als gewisse bei ihr zur
Beobachtung kommende Bewegungen, namentlich die Athmungs- und
die mimischen Bewegungen, zugleich von Empfindungen begleitet
sind, an die dann wieder Gefühle gebunden sein können. Indem
die Ausdrucksmethode auf diese sinnlichen Begleiterscheinungen aller
Gef&hle und Affecte aufmerksam macht, fördert sie zugleich die
Zerlegung des Gesammtzustandes in seine Bestandtheile.
Wie in diesem Falle die physiologischen Ausdrucksformen der
QemQthsbewegungen durch die Verbindung mit der subjectiven Beob-
achtung der directen psychologischen Analyse dienstbar werden
können, so ist nun die Untersuchung einer letzten wichtigen Reihe
psychischer Processe, der Willensvorgänge, von selbst auf eine
Combioation der Eindrucks- mit der Ausdrucksmethode angewiesen,
die aber hier in ihrem Gesammterfolg den Charakter einer rein
224 Logik der Psychologie.
psychologischen Methode gewinnt. Das nächste Hülfsmiitel zur
Untersuchung der Willensvorgänge ist nämlich naturgemäss die
äussere Willenshandlung. Zur Erforschung des Zusammen-
hangs derselben mit den sie vorbereitenden psychischen Processen
müssen aber diese letzteren durch äussere Einwirkungen erzeugt
und dann in ihren psychischen Effecten bis zum Eintritt des Willens-
impulses in der Selbstbeobachtung verfolgt werden. Dabei machen
es dann zugleich die experimentellen Hülfsmittel möglich, bestimmte
Stadien dieses Verlaufs nach ihren Zeitwerthen objectiv zu fixiren.
Darum ist es hier das oben schon im Zusammenhang mit dem Pro-
blem des Vorstellungsverlaufes erwähnte Gebiet der Reactions-
methoden, das speciell auch der Untersuchung der Willensacie
und der Processe, aus denen sie entspringen können, dient (S. 209).
Da bei jedem Reactionsversuch irgend ein Vorstellungsverlauf angeregt
wird, der schliesslich in einer Willenshandlung endigt, so schliesst
schon der Charakter dieser Methoden eine solche doppelte psycho-
logische Verwendung in sich. Der Name „Reactionsmethode*^ aber
weist zugleich auf eine Verbindung der Eindrucks- und der Ausdrucks-
methode hin. Bei jedem Reactionsversuch lässt man zuerst einen
Sinneseindruck in einem bestimmten Zeitpunkt auf einen Beobachter
einwirken, damit dann dieser nach dem Ablauf eines psychischen
Vorgangs oder einer Reihe psychischer Vorgänge durch eine be-
stimmte Ausdrucksbewegung reagire. Physiologisch betrachtet ist
daher ein solcher Versuch eine Messung der Zeit, die zwischen zwei
auf einander folgenden physiologischen Ereignissen, nämlich zwischen
der Einwirkung auf ein Sinnesorgan und einer äusseren Muskel-
bewegung, z. B. der Bewegung der zur Reaction verwendeten Hand,
verfliesst. Zwischen den beiden die Grenzpunkte der gemessenen
Zeit bildenden physiologischen Momenten liegt nun eine Reihe von
Vorgängen, die zum Theil ebenfalls rein physiologischer Art sind,
nämlich die sensible Leitung zum Gehirn und die motorische von
diesem zurück zu den reagirenden Muskeln, von denen aber ein
weiterer Theil neben seiner physiologischen zugleich eine psycho-
logische Seite hat. Um auf diesen in der Mitte zwischen jenen
physiologischen Endprocessen gelegenen, in bestimmten der Selbst-
beobachtung zugänglichen Erscheinungen seinen Ausdruck findenden
Theil des Reactionsvorgangs Rückschlüsse zu machen, sucht man
seine zeitliche Dauer zu ermitteln, indem man jene physiologischen
Momente constant erhält, während die psychologischen Bedingungen
in planmässig abgeänderter Weise wechseln. Da nun unter diesen
Analyse der Gefühle, Affecte und WiUensvorgänge. ^^5
Bedingungen der Willensimpuls, welcher der reagirenden Bewegui^g
vorangeht, immer wiederkehrt, die andern ausserdem eingeschalteten
psychischen Acte aber offenbar die Bedeutung verschiedenartiger
Vorbereitungen dieses Willensimpulses haben, so bestehen unter
diesem Gesichtspunkte die Reactionsversuche in nichts anderem als
in der planmässigen experimentellen Erforschung der
Willensvorgänge. Dass daneben auch auf jene andern vor-
bereitenden Vorgänge ein gewisses Licht fällt, versteht sich von
selbst; besonders gilt das auch in Bezug auf die zeitliche Dauer
der Voi^änge in allen den Fallen, wo der Willensact als solcher
constant bleibt, der vorbereitende psychische Vorgang aber in irgend
einer Art variirt wird. Auf diese Weise sind, wie oben bemerkt,
einfache imd verwickeitere sinnliche Erkennungs- und Wiedererken-
nungsacte, Wahlhandlungen, bei denen eine Wahl zwischen zwei
oder mehr Bewegungen stattfindet, Associations- und Urtheilsprocesse
Gegenstände der üutersuchung beim Reactionsvorgang gewesen. Als
Vergleichsvorgang dient dabei stets die einfache Reaction auf einen
Eindruck von zuvor fest bestimmter Qualität und Störke, auf den
in dem Moment wo er eintritt die Aufmerksamkeit auf das höchste
gespannt ist*). Da die physiologischen Anfangs- und Endvorgänge
bei allen complicirteren Reactionsformen die nämlichen bleiben wie
bei dieser der Einfachheit ihrer Bedingungen wegen kürzesten der
Reactionen, so darf man annehmen, dass sich durch eine vorsichtige
Variirung der umstände und durch sorgfältige Mitberücksichtigung
aller sonstigen Einflüsse wenigstens angenäherte Werthe für jene
unter zusammengesetzteren Vorbedingungen stattfindenden Willens-
vorgänge gewinnen lassen. Namentlich aber ergeben die Vorgänge
jeder einzelnen Qruppe wieder unter einander vergleichbare Werthe,
aus denen der Einfluss wechselnder Bedingungen zu ermessen ist: so
z. B. nimmt die Zeit eines Erkennungsvorgangs zu mit der steigen-
den Zusammensetzung des Objectes, so die Zeit einer Wahl mit
*) Die gespannte Richtung der Aufmerksamkeit auf den äusseren Ein-
druck oder, wie der technische Ausdruck lautet, die sensorielle Form der
Beaction ist hierbei ein fftr die Constanz der Bedingungen wesentliches Er-
fordemiss. Bei der Richtung der Aufmerksamkeit auf das die Reaction aus-
fahrende Bewegungsorgan, der so genannten muskulären Reaction, bieten
sich dagegen Erscheinungen dar, die für den unter bestimmten Bedingungen
auftretenden Process der Automatisirung der Willensvorgänge von Interesse sind.
Vgl. hiernber sowie Aber die Technik der Reactionsmethoden überhaupt Physiol.
Psych., 4. Aufl., n, S. 303 ff.
Wandt, Logik, n, a. 8. And. 15
226 Logik der Psychologie.
der Anzahl der Handlungen, zwischen denen gewählt werden soll;
so zeigt femer die Associationszeit nach dem Charakter der aus-
geführten Associationen und der individuellen Anlage des Beobach-
ters charakteristische unterschiede.
Zwei Irrthttmer, in die eine oberflächliche Beurtheilung dieses
üntersuchungsgebietes leicht verfällt, sind hier fem zu halten. Der
erste besteht in der Meinung, dass es sich bei diesen Versuchen
etwa in analogem Sinn um psychische Constantenbestimmungen
handle, wie die Physik da wo sie ezacte Zeitmessungen ausfCthrt
im allgemeinen solche beabsichtigt. Kann doch von etwas derar-
tigem in der Regel schon bei den analogen Problemen der Physio-
logie nicht die Rede sein. Das einzige vielmehr, was bei der Zeit-
messung so complicirter Phänomene zu erwarten ist, ist die Fest-
stellung typischer Näherungswerthe, die benutzt werden
können, um Vorgänge gleicher Art unter hinzutretender Variation
der Bedingungen zu vergleichen. Das leisten aber die chronometri-
schen Reactionsmethoden in durchaus befriedigender Weise, und
sie würden diesen Zweck gar nicht anders erfüllen können, auch
wenn die verwickelten Bedingungen der Erscheinungen eine wirk-
liche der physikalischen ähnliche Gonstantenbestimmung erlaubten.
Ein zweiter Irrthum, der sich leicht mit dem vorigen verbindet, ist
der, dass man den Zweck dieser Methoden überhaupt in nichts
anderem als in der Festlegung gewisser Zeitwerthe sieht. Wäre
dies richtig, so würde das psychologische Interesse, das sich an die
Versuche knüpft, ein äusserst massiges sein. Denn zu wissen, wie
viel Tausend- oder Hunderttheile einer Secunde irgend ein mehr
oder minder fest abzugrenzender psychischer Process braucht, ist an
und für sich eine ziemlich gleichgültige Sache. Einen gewissen
Werth erhalten solche Messungen erst dadurch, dass man die ver-
schiedenen Resultate mit Rücksicht auf ihre abweichenden psycho-
logischen Bedingungen vergleicht; und ihr Hauptwerth liegt, wie
bei allen psychologischen Versuchen, in der mit dem Experiment
sich verbindenden Selbstbeobachtung. Wer über die Entwicklung
äusserer aus inneren, zusammengesetzter aus einfachen Willenshand-
lungen, über den üebergang willkürlicher in automatische Bewe-
gungen, endlich über den Zusammenhang des Willens mit der Auf-
merksamkeit und über die verschiedenen Symptome und Begleiterschei-
nungen der letzteren Beobachtungen anstellen will, die von einer
zweckmässigen Auswahl und Variirung der Umstände geleitet werden,
der ist vor allem auf die Reactionsversuche angewiesen, die sich
Die Physiologie als psychologische Hülfswissenschaft etc. 227
fielleicht besser ab aDe aiideni zu einer Erziehung in planmässiger
Selbstbeobachtung eignen*).
h. Die Physiologie als psychologische Hülfswissenschaft und
die Psychophysik.
Alle experimentellen Methoden der Psychologie nehmen die
Hfilfe der Physiologie in Anspruch, da bei ihnen physiologische
Einwirkimgen auf den Organismus oder physiologische Reactionen
desselben niemals entbehrt werden können. Das Experiment bleibt
trotzdem so lange ein psychologisches, als die Selbstbeobachtung
unter willkürlich varürten Bedingungen der Zweck der Einwirkungen
ist, und die durch diese hervorgerufenen Reactionen ebenfalls nur dazu
dienen, Momente objectiv zu fixiren, die für die innere Wahrnehmung
selbst eine entscheidende Bedeutung besitzen, üeber diesen Umkreis
rein psychologischer Zwecke hinaus kann nun aber die Physiologie
als solche der Psychologie werth volle Ergebnisse liefern, weil vor
allem für das menschliche Individuum der für die Qeisteswissen-
schaften massgebende Satz gilt, dass es keine rein psychischen, son-
dern nur psychophysische Objecte gibt. Hierdurch gewinnt der
physische Organismus in seinen wichtigsten Functionen eine hohe
Bedeutung auch für die Beurtheilung der psychischen Vorgänge. So
ist insbesondere das Studium der physiologischen Processe in den
Sinnesorganen und in dem gesammten Nervensystem ein wichtiges
Hfilfsmittel zur Auffindung der Factoren der einfacheren psychischen
Vorgänge. Der Ausdrucksmethode ist in dieser Beziehung schon
oben gedacht worden. Indem die sphygmographischen, pneumato-
graphischen und plethysmographischen Methoden eine exacte Regi-
strirung der Puls-, der Athmungsbewegungen und der Schwankungen
der Blutffille der Organe gestatten, geben sie über Begleiterschei-
nungen der Gemüthsbewegungen namentlich im Gebiete zahlreicher
dem Willen entzogener Innervationsherde Aufächluss, die neben
ihrer unmittelbaren physiologischen Bedeutung auch f(lr die psycho-
logische Symptomatik der Gefühle und Affecte Anhaltspunkte ge-
wahren^. Dagegen hat sich allerdings die Hoffnung, aus den plethys-
*) üeber einige weitere Missverständnisse und Irrthümer rücksichtlich
Versnche vgl. Phil. Stud. X, S. 485 ff.
**) Eline brauchbare Uebersicht über diese Methoden gibt Langender ff,
Phjnologisehe Graphik. 1891. Um ihre Ausbildung für die Zwecke der Unter-
iQchung der Gefühls- und Affectäusserungen hat sich besonders A. Mosso
228 Logik der Psychologie.
mographischen Ergebnissen indirect auch auf den Zu- und Abflujss
des Blutes zum Gehirn bei den verschiedensten psychischen Vor-
gängen zurückschliessen zu können, nach den neueren Ergebnissen
Mo 8 SOS nicht bestätigt; und es scheint überhaupt bei den ver-
wickelten Bedingungen, unter denen sich dieses Organ befindet, im
allgemeinen aussichtslos, hier anders als durch Thierversuche ge-
wisse die Schwankungen der Function begleitende physiologische
Symptome, namentlich die Temperaturschwankungen des Organs, zu
verfolgen*).
Wie auf diese Weise die Ausdrucksmethode als symptomatische
Führerin bei der psychologischen Analyse der mannigfachsten psy-
chischen Vorgänge dienen kann, so stützt sich hinwiederum die
Eindrucksmethode vor allem bei der Untersuchung der Vorstellungs- '
bildung auf eine eingehende Eenntniss der physiologischen Leis-
tungen der Sinnesorgane. Welche Dienste hier die morphologische
und physiologische Analyse des Gehörapparates der Psychologie der
Gehörsvorstellungen, die Analyse der optischen Eigenschaften und
des Bewegungsapparates des Auges der Theorie der Gesichtsvor-
stellungen leisten, ist augenfäUig. Zugleich ist aber dieses Ver-
hältniss der Hülfe ein wechselseitiges. So sind der Tonphysiologie
erst durch die subjective psychologische Analyse der Klänge die
Fragen gestellt worden, auf die sie dann auf physiologischem Wege
Antworten zu finden suchte; und was die Physiologie des Gesichts-
sinnes überhaupt über die Functionen der Netzhaut vermuthet, stützt
sich noch heute fast ganz auf die Psychologie der Lichtempfindungen.
Unsere Eenntniss der physiologischen Functionen des Gehirns ist
im allgemeinen zu wenig entwickelt, als dass hier bereits eine ähn-
liche fruchtbare Wechselwirkung möglich wäre. Doch kann man
wohl sagen, dass gewisse aUgemeine Aufschlüsse über die Eigen-
schaften der centralen Innervation für die Auffassung der Associa-
tionsvorgänge, namentlich der bei denselben eine wichtige Rolle
spielenden üebungseinflüsse werthvoll geworden sind. Dagegen
fehlt uns bei den psychischen Störungen, die an die Functionsunter-
brechung bestimmter Hirntheile gebunden sind, wie bei der Amnesie,
Aphasie, den centralen Sehstörungen u. s. w., die als psychologische
grosse Verdienste erworben. Vgl. A. Mos so, Die Furcht. 1889. Ferner:
A. Lehmann, Die Hauptgesetze des menschlichen Gefühlslebens. 1892.
*) A. Mo SSO, Die Temperatur des Gehirns. Leipzig 1894. üeber den
Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn ebend. S. 185 ff.
Die Physiologie als psychologische Hülfswissenschaft etc. 229
Sjmptomenbilder zum Thefl eine grosse Bedeutung haben, noch allzu
sehr die Einsicht in die eigentlich physiologische Seite der Func-
tionen, als dass sich daraus Aufschlüsse hätten entnehmen lassen,
die wieder rückwärts für die Psychologie fruchtbar zu machen wären.
Die bekannten Hypothesen über Sprachcentren, Schriftcentren, Erinne-
rangszellen und ähnliches mehr zeigen deutlich genug, wie Eingriffe in
Functionen, für deren normalen Ablauf uns noch das Verständniss
fehlt, hier in psychologischer Beziehung zuweilen eher hemmend als
fördernd auf den wirklichen Fortschritt der Erkenntniss wirken können,
weil sie zu voreiligen Begriffsbildungen verführen, die dann dem
wahren Verständniss, dem physiologischen so gut wie dem psycho-
logischen, als Vorurtheile im Wege stehen"").
Die Natur der besprochenen Wechselwirkungen bringt es mit
sich, dass sie speciell für die Psychologie überaU da von grossem
Nutzen werden können, wo die unserer innem Wahrnehmung zu-
gänglichen psychischen Vorgänge auf Vorbedingungen hinweisen,
die jenseits dieser Vorgänge selbst liegen, oder auf Zwischenglieder,
zu denen wir nur die physiologischen Gorrelate kennen, während
die entsprechenden psychischen Elemente bloss als psychische An-
lagen oder Dispositionen gänzlich unbekannter Art, nicht selbst als
irgendwie definirbare psychische Inhalte vorausgesetzt werden können.
Freilich aber darf man nicht übersehen, dass, ebenso wie hier die
Psychologie auf die künftige Hülfe der Physiologie angewiesen ist,
um gewisse Lücken zu ergänzen, die ihr auf ihrem eigenen Gebiet
bleiben, so die Physiologie bei einer Reihe der wichtigsten Probleme,
wie bei dem des Ursprungs der zweckmässigen organischen Formen,
dann aber auch bei allen den Zusammenhängen, bei denen eine um-
fassende Verkettung psychischer Motive nachweisbar ist, der Hülfe
der Psychologie bedarf. Würde es doch ein völlig phantastisches
Unternehmen sein, den gesammten Causalzusammenhang auch nur
einer veiiiältnissmässig einfachen Willkürhandlung in der Form einer
klar überschaubaren Verkettung centraler Nervenprocesse zur An-
schauung zu bringen, während eine auf die nähere oder entferntere
Vergangenheit des Bewusstseins zurückgehende psychologische Moti-
▼irong diese Aufgabe nicht selten lösen kann.
Bei dem heutigen Zustand der Psychologie wie der Physio-
logie, wo man sich beiderseits dieser Bedürfnisse gegenseitiger Hülfe-
leistung noch nicht zureichend bewusst geworden ist, erscheint nun
*) Vgl. hierzu meine Essays, S. 100 ff. und Phil. Stud. X, S. 65 ff.
230 Logik der Psychologie.
die Pflege eines Zwischengebietes, das der psychischen Seite der
LebensYorgänge grössere Aufmerksamkeit schenkt, als es die Physio-
logie zu thun pflegt, und das die physiologischen Grundlagen und
Begleiterscheinungen der psychischen Vorgänge eingehender erforscht,
als es in der Psychologie geschieht, noch als ein kaum entbehrliches
Erfordemiss. Ein solches Zwischengebiet ist die , physiologische
Psychologie'', welche die Andeutung dieser doppelten Aufgabe schon
in ihrem Namen ausspricht. Ibrer Natur nach haben vermittelnde
Disciplinen dieser Art einen transitorischen Werth, und so wird es
voraussichtlich auch hier sein. Ist erst der Zeitpunkt gekonmien,
wo der Psychologe fQr alles, was sein eigenes Gebiet an physio-
logischer Grundlegung voraussetzt, auf physiologische Untersuchungen
verweisen kann, und wo die zu psychologischen Zwecken unerläss-
lichen experimentellen Hülfsmittel als ein selbstverständlicher Be-
standtheil der Psychologie selbst gelten, dann wird auch eine physio-
logische Psychologie im heutigen Sinne nicht mehr existiren.
Eine ähnliche, wenn auch ihrem allgemeinen Begriff nach
etwas verschiedene Zwischenstellung nimmt die Psychophysik ein.
Sie soll nach der ihr von Fe ebner gegebenen Bestimmung «eine
exacte Lehre von den functionellen oder Abhängigkeitsbeziehungen
zwischen Körper und Seele, allgemeiner zwischen körperlicher und
geistiger, physischer und psychischer Welt* sein*). Diese Begriffs-
bestimmung entspricht einer Auffassung, welche Physisches und
Psychisches als zwei an sich verschiedene Welten betrachtet, deren
jede einer von der andern unabhängigen Untersuchung zugänglich,
ausserdem aber mit jener in eine eigenartige Functionsbeziehung
gesetzt sei. Im Grunde lag ein solcher Dualismus durchaus nicht
in Fechners eigener Weltanschauung. Aber da sich in ihm die
nach dem damaligen Zustande der Psychologie begreifliche üeber-
zeugung gebildet hatte, dass nur das üebergangsgebiet psycho-
physischer Wechselwirkungen, nicht der Zusammenhang der psychi-
schen Vorgänge selbst einer exacten Untersuchung zugänglich sei,
wurde ihm der Begriff der Psychophysik zu einem unerlässlichen
Hülfsmittel für die Ausbildung einfacher Methoden, durch die sich
Massbestimmungen auf psychischem Gebiet mit Hülfe genau ge-
regelter physischer Reizeinwirkungen gewinnen liessen. Dabei war
es dann freilich unvermeidlich, dass der so im Interesse der Aus-
bildung exacter Methoden gewonnene Begriff auf die Auffassung
*) Fechner, Elemente der Psychophysik, I, S. 8.
Die Physiologie als psychologische Hfilfswissenschaft etc. 231
der Probleme selber zurückwirkte und zur Anuahme besonderer,
weder psychischer noch physischer, sondern specifisch psychophysi-
scher Functionsformen oder, wie Fechuer es ansah, einer allgemeinen
psychophysischen Grundfunction führte. Gibt man nun, wie es
wohl bei dem heutigen Stand der Dinge geschehen muss, diese
Voraussetzung auf, gesteht man zu, dass gerade im Sinne des nach-
her zu erörternden, auch von Fechner vertretenen .Princips des
psychophysischen Parallelismus* jeder physische Vorgang in einem
physischen und jeder psychische Vorgang in einem psychischen
Causalzusammenhang stehen muss, so kann es zwar noch fortan
von wissenschaftlichem Interesse sein, zu einem gegebenen Glied der
einen Causalreihe das entsprechende Glied der andern zu finden;
aber von einem besonderen Functionsgebiet, das nicht durch jene
doppelte Bestimmung an und für sich schon gegeben wäre, kann
nicht mehr die Rede sein. Dann wird als „Psychophysik*^ nur noch
ein Gebiet von Untersuchungen übrig bleiben, welches sich die Auf-
gabe stellt, die Ergebnisse, welche die Physiologie auf der einen,
die experimentelle Psychologie auf der andern Seite gewonnen haben,
zu vergleichen. Dies ist nun eine Aufgabe, die zu einem Theile,
wo wir aus psychischen Erscheinungen auf physische zurückschliessen,
bereits von der Physiologie, zu ihrem andern Theile, wo die Kennt-
niss physischer Elemente zum Verständniss psychischer Vorgänge
nnerlässlich ist, von der Psychologie vor ihr Forum gezogen wird.
Auch die Psychophysik hat also augenscheinlich den Charakter einer
üebergangswissenschaft, welche dereinst in den beiden Grundwissen-
schaften, zwischen denen sie steht, aufzugehen bestimmt ist oder
doch neben ihnen höchstens noch zu Zwecken praktischer Arbeits-
theilung fortbestehen wird.
3. Die Völkerpsychologie.
Indem die Individualpsychologie den Zusammenhang der seeli-
schen Erlebnisse in dem einzelnen Bewusstsein zum Gegenstand hat,
bedient sie sich einer Abstraction, die, so nothwendig sie ist, doch
vielfach schon bei der Betrachtung der individuellen Vorgänge un-
durchfOhrbar wird. Denn die psychische Entwicklung des Einzelnen
ist überall von seiner geistigen Umgebung bestimmt, und die Wechsel-
wirkungen, in denen er mit dieser Umgebung steht, sind ebenso
ursprünglich wie das individuelle Dasein selbst. Mag es auch denk-
232 Logik der Psychologie.
bar und in vereiozelten Fällen yorgekommen sein, dass ein einzelner
Mensch die Verbindung mit der Gemeinschaft, in die er hinein-
geboren und auf die er durch die Hülfsbedürftigkeit seiner Lebens-
anfange angewiesen ist, wieder verlor, so sind doch solche FäUe,
die bis jetzt überdies kaum zureichend untersucht sind, für das nor-
male Verhalten des menschlichen Bewusstseins , mit dem sich die
Individualpsychologie vorzugsweise beschäftigt, jedenfalls nicht mass-
gebend. Darum kann dieselbe gar nicht umhin, namentlich bei den
zusammengesetzteren seelischen Vorgängen, an deren Entstehung die
psychische Gemeinschaft einen hervorragenden Antheil nimmt, die
Erzeugnisse dieser Gemeinschaft, wie sie in der Sprache und in
andern geistigen Gesammtschöpfungen von ähnlicher allgemeingülti-
ger Beschaffenheit gegeben sind, zugleich als Hülfsmittel zu be-
nützen, um aus ihnen Rückschlüsse zu machen auf die individuellen
Entwicklungen.
Das Gebiet psychologischer Untersuchungen, welches sich auf
jene psychischen Vorgänge bezieht, die vermöge ihrer Entstehungs-
und Entwicklungsbedingungen an geistige Gemeinschaften gebunden
sind, bezeichnen wir nun als Völkerpsychologie. Da der Einzelne
und die Gemeinschaft Wechselbegriffe sind, die einander voraus-
setzen, so bedeutet dieser Name kein seinem Inhalte nach von der
Individualpsychologie völlig getrenntes Gebiet, sondern er soll nur
auf eine die Betrachtungen derselben ergänzende Abstraction hin-
weisen. Wie die Individualpsychologie über die seelischen Entwick-
lungen des individuellen Bewusstseins Rechenschaft gibt, während
sie die Einflüsse der geistigen Umgebung nebenbei als selbstver-
ständliche, aber nicht näher berücksichtigte Factoren voraussetzt, so
soll die Völkerpsychologie umgekehrt diejenigen allgemeinen Er-
scheinungen des geistigen Lebens untersuchen, die nur aus der Ver-
bindung der Einzelnen zu geistigen Gemeinschaften zu erklären sind,
wobei dann in diesem Fall die allgemeingültigen geistigen Eigen-
schaften der Einzelnen als die bekannten Factoren jener Erschei-
nungen vorausgesetzt werden. Nicht sowohl um verschiedene Ge-
biete als vielmehr um verschiedene Seiten des geistigen Lebens
handelt es sich also hier, die beide zusammen erst die Wirklichkeit
des geistigen Lebens erschöpfen können, deshalb aber auch ein fort-
währendes Eingreifen der hier und dort zu betrachtenden Vorgänge
in einander mit sich bringen. Insbesondere die Völkerpsychologie
hat sich dessen bewusst zu bleiben, dass die geistigen Erzeugnisse,
deren Träger die Gemeinschaft ist, in den Individuen, aus denen
Völkerpsychologie. 233
sich diese zusammensetzt, ihre letzten Quellen haben muss, da es
ein geistiges Gesammtleben ausserhalb der Einzelnen ebensowenig
gibt, wie einen physischen Zusammenhang der Individuen irgend
einer Stammes- oder Volksgemeinschaft, der ausserhalb der indivi-
duellen physischen Organismen existirte. Darum ist es von vorn-
herein ausgeschlossen, dass in der Völkerpsychologie irgend welche
allgemeine Gesetze des geistigen Geschehens zum Vorschein kom-
men, die nicht in den Gesetzen des individuellen Bewusstseins be-
reits vollständig enthalten sind. Insoweit die Völkerpsychologie
Oberhaupt psychologische Gesetze von selbständigem Inhalte aufzu-
finden vermag, werden also diese immer nur Anwendungen der
schon für die Individualpsychologie gültigen principiellen Sätze sein
können. Aber es ist freilich nicht minder anzunehmen, dass die
Bedingungen der geistigen Wechselwirkung neue und eigenthümliche
Aeusserungen der allgemeinen psychischen Kräfte hervorbringen, die
sich aus der blossen Eenntniss der Eigenschaften des Einzelbewusst-
seins nicht voraussagen lassen, während sie doch dazu beitragen
können, unsere Einsicht in den Zusammenhang des individuellen
Seelenlebens zu vervollständigen. So bilden Individual- und Völker-
psychologie zusammen erst das Ganze der Psychologie. Wenn dieses
Verhältniss nothwendiger Ergänzung lange Zeit verkannt werden
konnte und zum Theil noch verkannt wird, so liegt der Grund
hierfür nur darin, dass man den zusammengesetzteren psychischen
Functionen, besonders aUen denen, die an das wichtigste Völker-
psychologische Erzeugniss, an die Sprache, geknüpft sind, entweder
überhaupt in der psychologischen Untersuchung geringe Aufmerksam-
keit schenkte oder sich auch hier auf das unzureichendste Hülfsmittel
der Individualpsychologie, die zuföllige innere Wahrnehmung, verliess,
ohne zu bemerken, dass gerade da, wo die experimentelle Methode ihre
Grenze erreicht, die Methoden der Völkerpsychologie objective Er-
gebnisse zur Verfügung stellen. Da nun aber bei der Interpretation
ihrer Ergebnisse die Völkerpsychologie nothwendig auf die Gesichts-
punkte zurückgreifen muss, welche die Individualpsychologie hinzu-
bring^t so ist allerdings diese letztere zugleich die allgemeinere
Wissenschaft, während jener mehr der Charakter einer angewandten
Disciplin zukommt. Doch dieses Verhältniss wird hier, wie in so
manchen andern ähnlichen Fällen, dadurch wesentlich modificirt, dass
die individuelle Psychologie zur vollständigen Lösung ihfer Aufgaben,
namenÜich im Gebiet der höheren psychischen Functionen, bereits
gewisse Resultate der Völkerpsychologie zu Rückschlüssen auf die
234 Logik der Psychologie.
Gesetze des individuellen Bewusstseius verwerthet. Es ist daher
nicht zulässig, die Individualpsychologie schlechthin als eine all-
gemeine psychologische Normwissenschaft zu betrachten, von der die
Völkerpsychologie, ähnlich wie alle andern Geisteswissenschaften,
bloss Anwendungen zu machen habe, sondern man darf nicht über-
sehen, dass die Völkerpsychologie zugleich eine Quelle der Erkennt-
niss psychischer Gesetzmässigkeiten ist, die ihrerseits werthvolle
Anwendungen auf die Individualpsychologie gestatten*).
Insofern nun die Völkerpsychologie überhaupt die allgemeinen
psychischen Entwicklungen zu untersuchen hat, die aus der Verbin-
dung der Einzelnen zu irgend welchen geistigen Gemeinschaften ent-
springen, ist dieser Name selbst nicht vollkommen zutre£Pend. Denn
er könnte ebensowohl in zu engem wie in zu weitem Sinne ver-
standen werden. In zu engem, weil das Volk unter den Verbän-
den der Einzelnen zwar der wichtigste, aber doch keineswegs der
einzige ist, dem ein psychischer Einfluss zukommt. Namentlich hat
auf primitiven Stufen der Stamm und für gewisse Verhältnisse bleibend
die Familie und die nähere Ortsgemeinschaft eine nicht zu unter-
schätzende Bedeutung. Aber da der Stamm als eine Vorstufe der
Volksgemeinschaft betrachtet werden kann, und da jene engeren
Verbände ihre wesentlichsten Einflüsse doch in den Richtungen aus-
*) Lazarus und Steinthal, denen das Verdienst gebührt, zuerst auf
die Bedeutung der Völkerpsychologie hingewiesen zu haben, fassen in der That
die Individualpsychologie als eine derartige Normwissenschafb gegenüber der
Völkerpsychologie auf. (Vgl. den einleitenden Aufisatz zu der von ihnen heraus-
gegebenen Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, I, 1860,
S. 1 ff.) Hierbei wird das Verhältniss zwischen Individual- und Völkerpsychologie
offenbar als ein ganz analoges gedacht, wie das zwischen der ersteren und den
anderen Geisteswissenschaften, z. B. der Geschichte, insofern dieselben einer
psychologischen Interpretation bedürfen. Im Sinne dieser Auffassung consequent
hat daher auch H. Paul (Principien der Sprachgeschichte. 1866. 2. Aufl., Einl.)
die Berechtigung einer selbständigen Völkerpsychologie bestritten und ihr Gebiet
der Geschichte zugewiesen. Ich glaube, dass diese Ansicht nicht mehr fest-
gehalten werden kann, sobald man zugibt, dass die Objecte der Völkerpsycho-
logie, Sprache, Mythus u. dergl., Quellen psychologischer Erkenntnisse sind^ für
die es innerhalb der Individualpsychologie keinen Ersatz gibt, und die nur eine
psychologische, nicht aber eine historische Betrachtung zu erschliessen vermag.
In diesem Sinne enthalten auch H. Pauls «Principien* werthvoUe Beiträge zur
Psychologie der Sprache. Vgl. zu dieser Frage meinen Aufsatz über Ziele und
Wege der Völkerpsychologie, Phil. Stud. IV, S. 1 ff., und Steinthal, Begriff
der Völkerpsychologie, Zeitschr. f. Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft
XVn, S. 333 ff.
Völkerpsj'chologie. 235
fiben, die ihnen durch die dem Volksganzen eigenthümlicheu Vor-
stelluDgen und Triebe angewiesen werden, so ist es wohl zweck-
mässig, den nun einmal eingeführten, überdies durch seine Kürze
sich empfehlenden Namen festzuhalten. Zu weit freilich oder wenig-
stens nicht mehr in dem hier gemeinten Sinne wird dieser verstan-
den, wenn man darunter, was ja der Ausdruck an und für sich be-
deuten könnte, eine psychologische Charakteristik der einzelnen
Völker verstehen wollte. Eine solche ethnische Charakterologie
Hesse sich immerhin als eine Art Gegenstück zur individuellen Cha-
rakterologie betrachten und, ähnlich wie diese der Individual-, so
der Völkerpsychologie als specieller oder angewandter Theil hinzu-
ftlgen. Doch ist nicht zu verkennen, dass diese psychologische von
der physiologischen Charakteristik der Völker nicht wohl getrennt
werden kann. Eine solche CTntersuchung der physischen und psy-
chischen Eigenschaften der Völker ist in der That der Gegenstand
einer besonderen Wissenschaft, der Ethnologie. (Vgl. Cap. IV, 1.)
Ihr liegen aber die Probleme der erklärenden Psychologie, in deren
Untersuchung Individual- und Völkerpsychologie sich theilen, völlig
ferne: sie stützt sich, insofern sie gewisse allgemeine Anschauungen
Ober den Zusammenhang der psychischen Vorgänge in der einzelnen
Volksseele voraussetzt, auf die Völkerpsychologie, ebenso wie diese
wiederum ihren Stoff im einzelnen vielfach den von der Ethnologie
gesammelten Thatsachen entnehmen muss. Nicht minder verfolgt
die Völkerpsychologie eine von der Anthropologie verschiedene
Aufgabe. Diese ist nämlich nach der Bedeutung, die sie in ihrer
neueren Entwicklung gewonnen hat, lediglich der allgemeine Theil
der Ethnologie: sie erstrebt eine Gesammtcharakteristik der physi-
schen und psychischen Eigenschaften des Menschen in seinen inner-
halb der Menschheit vertretenen Haupttypen und in seinen charak-
teristischen Unterschieden von den ihm nächstverwandten Thierformen.
Aehnlich ist das Verhältniss der Völkerpsychologie zu allen
den Geisteswissenschaften aufzufassen, die gleich ihr gewisse Er-
scheinungen und Erzeugnisse des gemeinsamen Lebens zu ihren
Objecten haben, also zu den historischen und den socialen Gebieten.
Man hat geglaubt, der Völkerpsychologie ihnen allen gegenüber in
dem Sinne eine ergänzende Function zuschreiben zu sollen, als man
ihr die Aufgabe zuwies, überhaupt das gesammte geistige Leben,
das über den engen Umkreis des Individuums hinausreiche, erklären
zu sollen, während den speciellen Geisteswissenschaften eine solche
Erklärung, da diese noth wendig eine psychologische sein müsse,
230 Logik der Psychologie.
fremd sei*). Aber weder entspricht eine solche Beschränkung den
thatsächlichen Verhältnissen, noch lässt sie sich mit der selbständi-
gen Aufgabe jener Wissenschaften vereinbaren. Geschichte und
Socialwissenschaften wollen nicht bloss die Thatsachen des geschicht-
lichen und des gesellschaftlichen Lebens darstellen, sondern auch,
so weit es ihnen möglich ist, erklären. Dabei stützen sie sich in
ihren Interpretationen wesentlich auf die Psychologie, die auf diese
Weise in ihren beiden Bestandtheilen, der Individual- wie der Völker-
psychologie, eine Grundlage derselben, keineswegs aber eine selbst
erst zu ihnen hinzutretende und ihre Untersuchungen abschliessende
Disciplin ist. Darum sind nun auch die Objecte der geschichtlichen
und der socialen Wissenschaften nicht an und für sich schon Ob-
jecte der Völkerpsychologie, ebensowenig wie eine Biographie zum
Inhalt der Individualpsychologie gehört. Gegenstand einer psycho-
logischen Disciplin kann vielmehr überall nur das Allgemeingültige,
Typische sein, welches eben dadurch in seiner allgemeinen Gesetz-
mässigkeit wieder zum Erklärungsgrund des Einzelnen werden kann,
das sich in Geschichte und Gesellschaft in unzähligen besonderen
Gestaltungen verwirklicht. Bei der Feststellung dieser allgemein-
gültigen Erscheinungen des Völkerbewusstseins stützt sich dann frei-
lich die Völkerpsychologie auf die Thatsachen, die die einzelnen
Geisteswissenschaften ihr zuführen, gerade so gut wie die Individual-
psychologie die Erfahrungen an concreten einzelnen Menschen zu
Rathe zieht. Aber es ist das nur eine Art der Wechselwirkung,
wie sie auch sonst überall zwischen Gebieten, deren Untersuchungen
in einander eingreifen, stattfindet, ohne das allgemeine Verhältniss
derselben zu beeinträchtigen. Denn der Charakter der Wissenschaften
wird ja in viel höherem Grade durch den Standpunkt, den sie ihren
Objecten gegenüber einnehmen, als durch diese Objecte selber be-
stimmt. So beschäftigen sich Sprachwissenschaft und Völkerpsycho-
logie beide mit der Sprache. Aber während jene den Zusammen-
hang der sprachlichen Erscheinungen unter einander betrachtet, sind
*) Dies ist namentlich die Auffassung von Lazarus und Steinthal, wie
sie von ihnen in dem einführenden Aufsatz ihrer Zeitschrift formulirt wird.
Während diese Forscher demnach einerseits, wie ich glaube, die Völkerpsycho-
logie allzusehr als ein blosses Anwendungsgebiet der Individualpsychologie be-
trachten, ihrem Herbart'schen Standpunkt entsprechend, lassen sie dieselbe
anderseits Über die Gesammtheit der Geisteswissenschaften in einer Weise Über-
greifen, der ich nicht zustimmen kann. Vgl. dazu meinen oben angeführten
Aufsatz Phil. Stud. IV, S. 3 ff.
Völkerpsychologie. 237
dieser die sprachlichen Vorgänge nur ein Mittel, mit dessen Hülfe
sie zunächst die psychologischen Gesetze der sprachlichen Erschei-
nungen zu finden und dann aus ihnen Rückschlüsse auf den all-
gemeinen Zusammenhang der psychischen Processe zu machen sucht.
Das Material zu diesen Untersuchungen entnimmt sie selbstverständ-
lich der Sprachwissenschaft. Ihre eigenen Ergebnisse werden aber
dieser wiederum Dienste leisten können, weil der von ihr einge-
nommene Standpunkt der Betrachtung und die Verbindung mit ander-
weitigen psychischen Erfahrungen nicht bloss die psychologische
Erkenntniss, sondern mittelst ihrer auch das Verständniss der sprach-
lichen Erscheinungen selber fordern hilft.
Haben wir nun, der Allgemeinheit der psychologischen Auf-
gaben gemäss, die Objecte der Völkerpsychologie unter den allge-
meingültigen Erscheinungen des Völkerbe wusstseins zu suchen, so
fallt von vornherein alles das ausserhalb ihres Gebietes, was einen
mehr oder weniger singulären Charakter hat, insoweit nicht in ihm
zugleich allgemeingültige psychologische Gesetze zu erkennen sind.
Dies ist ein Gesichtspunkt, der die Gegensi^nde der historischen
Wissenschaften ihrem wesentlichsten Gehalte nach der Völkerpsycho-
logie entzieht. Der geschichtliche Verlauf im einzelnen, ebenso wie
das einzelne Werk der Kunst oder Wissenschaft, sind Objecte singu-
lärer Art; und auch die psychologische Interpretation, deren sie be-
dürfen, ist fast ausschliesslich der Individualpsychologie zu entneh-
men. Denn selbst in der eigentlichen Geschichte spielt die psycho-
logische Deduction ihre Hauptrolle bei der Entwicklung individueller
Motive. Sodann aber müssen die Wissensobjecte von allgemein-
gültigem Charakter, wenn sie Gegenstände der Völkerpsychologie
werden sollen, durchgängig aus der Wirksamkeit rein psychologi-
scher Gesetze hervorgehen. Gebiete, an deren Ausbildung andere
Motive als die dem menschlichen Bewusstsein überall zukommenden
Vorstellungen, Gefühle und Triebe mitgewirkt haben, können nicht
den Inhalt einer psychologischen Disciplin bilden. Darum sind Logik,
Ethik und Aesthetik als solche nicht Theile der Völkerpsychologie ;
und was in ihnen wirklich von psychologischer Allgemeingültigkeit
ist, das in den Formen der Sprache sich bethätigende logische Den-
ken, die Sitte und die natürlichen Bethätigungen des ästhetischen
Triebes, das hat wiederum für die psychologische Betrachtung eine
wesentlich andere Bedeutung als innerhalb jener philosophischen
Wissenschaften, die neben der psychologischen Untersuchung immer
zugleich bestimmte geschichtliche Entwicklungen voraussetzen. So
238 Logik der Psychologie.
stützt sich die Logik auf die Entwicklung der wissenschaftlichen
Erkenntniss, die Ethik auf die der sittlichen Ideen in Recht, Staat
und Geschichte, die Aesthetik auf die der künstlerischen Er-
zeugnisse.
Aus der Gesammtheit der Objecto der Geisteswissenschaften
bleiben daher nur drei, die zugleich Gegenstände einer allgemeinen
psychologischen Untersuchung bilden können. Sie sind: die Sprache,
die mythologischen Vorstellungen und die Sitte. Sie sind von
ähnlich allgemeingültiger Bedeutung für das Yölkerbewusstsein, wie
es etwa Vorstellung, GefQhl und Wille für das individuelle Bewusst-
sein sind. Zugleich entsprechen sie in dem Sinne diesen allgemeinen
Bestandtheilen psychischer Vorgänge, als in der Sprache die Vor-
stellungen, die in dem Volksgeiste wirksam sind, und die Gesetze
ihrer Verknüpfungen sowie ihrer allmählichen Veränderungen ihren
Ausdruck finden, während sich in dem Mythus die Gefühle und Triebe
in ihrem Einfluss auf den allgemeinen Vorstellungsinhalt zu erkennen
geben, und endlich die Sitte die aus diesen Vorstellungen und Trieben
entspringenden allgemeinen Willensrichtungen umfasst. Diese drei
Gebiete des gemeinsamen geistigen Lebens hängen darum auf das
engste zusammen, ähnlich wie ja auch in der individuellen Seele
Vorstellen, Fühlen und Wollen in Wahrheit nicht verschiedene Vor-
gänge sondern nur verschiedene Seiten eines einzigen einheitlichen
Geschehens sind.
Die fundamentale Methode, deren sich die drei so entstehenden
Theile der Völkerpsychologie, die Psychologie der Sprache, des
Mythus und der Sitte, bedienen, ist nun, wie die der Geisteswissen-
schaften überhaupt, die der Vergleichung, an welche sich sodann
eine auf die Individualpsychologie gestützte Interpretation zum Zweck
der Gewinnung bestimmter für die Gemeinschaftserscheinungen gül-
tiger psychologischer Gesetze anzuschliessen hat. Dieser Zweck unter-
scheidet aber die vergleichende Methode der Völkerpsychologie wesent-
lich von ihren in der Philologie, Geschichte und Gesellschaftslehre
vorkommenden Anwendungen. Diese einzelnen Geisteswissenschaften
suchen nämlich überall erst mit Hülfe des vergleichenden Verfahrens
das thatsächliche Material zu gewinnen, auf das eine psychologische
Interpretation angewandt werden kann; die Völkerpsychologie da-
gegen wird schon bei der Sammlung der zur Vergleichung heran-
gezogenen Thatsachen von psychologischen Gesichtspunkten geleitet,
und in Folge dieser engen und unmittelbaren Verbindung mit der
psychologischen Analyse führt darum die Vergleichung selbst zur
Völkerpsychologie. 239
Aufstellung psychologischer Gesetze von beschränkterem oder all-
gemeinerem Umfang. Auf diese Weise gewinnt hier die exacte An-
wendung der vergleichenden Methode eine ähnliche Bedeutung, wie
sie das experimentelle Verfahren für die Individualpsychologie hat.
Zugleich erhält aber in Folge der unmittelbaren Verbindung mit der
psychologischen Analyse jede der beiden allgemeinen Formen der
Veigleichung^ die individuelle und die generische, eine eigenthttm-
üche Stellung in dem Ghinzen der völkerpsychologischen Methodik.
Die generische Vergleichung waltet nämlich überall da vor, wo
es sich um die Untersuchung von Erscheinungen handelt, die nach
ihrem psychologischen Charakter irgendwie mit einander verwandt
sind, ohne dass jedoch directe genetische Beziehungen, die in einem
geschichtlichen Zusammenhang ihren Ausdruck finden, nachweisbar
wären. Bei dieser Anwendung der Vergleichung reden wir daher
von der vergleichend-psychologischen Methode im engeren
Sinne des Wortes. Die individuelle Vergleichung dagegen bleibt
in allen den Fällen das ausschliessliche Verfahren, wo man zusammen-
gehörige und zugleich in geschichtlicher Verbindung stehende That-
sachen verknüpft. Bietet die reine Vergleichung den Vortheil, dass
sie über allgemein menschliche Vorstellungen, Gefühle und Willens-
richtungen Aufschluss gibt, und das um so sicherer, je mehr eine
historische Beziehung ausgeschlossen ist, so hat die individuelle Ver-
gleichung des geschichtlich Zusammenhängenden oder die historisch-
psychologische Methode den Vorzug, dass sie bestimmte Ver-
änderungen und Entwicklungen auffindet, aus denen auf allgemeine
Entwicklungsgesetze der Vorstellungen, Gefühle und Willensrichtungen
zu schliessen ist. Natürlich werden dann aber diese Schlüsse wieder
um so bedeutsamer, je mehr die einzelnen auf solchem Wege ge-
fundenen historisch - psychologischen Entwicklungsgesetze zugleich
durch die generische Vergleichung entweder als allgemeingültige
nachzuweisen oder doch mit bestimmten allgemeinen psychischen
Bedingungen in Verbindung zu bringen sind. So ergänzen sich beide
Methoden in erwünschter Weise. Ist die eine mehr zur Nachweisung
der auf gemeinsamen Anlagen beruhenden seelischen Vorgänge und
der Allgemeingültigkeit der durch die geschichtliche Vergleichung
gefundenen Entwicklungen geeignet, so richtet sich die andere theils
auf die Gesetze des Wechsels der psychischen Inhalte theils auf die
besonderen Modificationen , welche die Erscheinungen in Folge be-
sonderer Bedingungen erfahren. Hiemach liegt es zugleich in dem
Charakter dieser Methoden, dass bei der ersten die übereinstimmen-
240 Logil^ der Psychologie.
den, bei der zweiten die unterscheidenden Merkmale die vorwaltende
Rolle spielen*).
Im Einzelnen ist die Anwendung der beiden Hauptmetkoden
der Völkerpsychologie, der vergleichend-psychologischen und der
historisch-psychologischen, den in den parallel gehenden philologiseh-
historischen Gebieten (Sprachwissenschaft, Mythologie, Ethologie)^
aus denen hier die Psychologie schöpft, durchaus* verwandt**).
Unterscheidend bleibt nur überall die schliessliche Verwerthung der
Resultate, die dann freilich immer auch auf die Wahl der Objecte
und den Gang der Untersuchung zurückwirkt. Bei dieser Verwerthung
der Resultate bedienen sich die philologischen Disdplinen, um ein
genetisches Verstandniss der Erscheinungen zu gewinnen, der psycbo-
*) Mit Rücksicht auf die Bedeutung der vergleichenden Methode für die
Völkerpsychologie ist diese wohl auch , vergleichende Psychologie* genannt
worden. Doch ist dieser Begriff weiter als derjenige der Ydlkerpsycholog^e.
Mindestens kann neben ihr noch die Thierpsychologie als ein Gebiet ver-
gleichender psychologischer Untersuchungen betrachtet werden. Aber voraus-
sichtlich wird hier dem Experiment dereinst die wichtigere Stellung zu-
kommen. Wenn heute noch die Thierpsychologie ein zurückgebliebenes Feld
wissenschaftlicher Forschung ist, so liegt der Hauptgrund offenbar darin, dasa
eine experimentelle Variation der Bedingungen, unter denen psychische Lebens-
äusserungen beobachtet werden, in ihr nur selten angewandt wurde. Eine rfthin-
liche Ausnahme macht in dieser Beziehung Sir John Lubbocks Schrift über
Ameisen, Bienen und Wespen (deutsche Ausg. 1883), in der zur Prüfung ge-
wisser psychischer Leistungen dieser Thiere mehrfach ein sinnreiches Experi-
mentalverfahren eingeschlagen wird. (Vgl. bes. S. 198 ff.) Manche treffliche
Beobachtungen finden sich auch bei 6. H. Schneider, Der thierische Wille.
Leipzig (1880). Sonst ist der Zustand der Thierpsychologie durchgängig ein
unerfreulicher. Anekdotezijagd und ein der gründlichen psychologischen Vor-
bildung ermangelnder Dilettantismus spielen immer noch die Hauptrolle.
Vgl. darüber meine Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele, 2. Aufl.,
S. 869 ff. und den Aufsatz über Thierpsychologie, Essays, S. 182. Im weitereu
Sinne Hesse sich auch noch die Psychologie des Kindes und die Psychologie der
seelischen Störungen zur vergleichenden Psychologie rechnen, da in beiden
Fällen die Vergleichung mit dem entwickelten und normalen menschlichen Be-
wusstsein zum Verstandniss der Ei-scheinungen unerlässlich ist Aber diese Ge-
biete bleiben doch ihrem eigensten Zweck nach allzusehr Bestandtheüe der
allgemeinen Individualpsychologie, als dass es zweckmässig wäre sie von ihr
zu sondern. Auch gilt von ihnen ebenso wie von der Thierpsychologie, dass
die vergleichende Methode nicht, wie in der Völkerpsychologie, die allein mass-
gebende ist, indem neben ihr wiederum dem Experiment eine wichtig^ Rolle
zukommt.
**) Vgl. unten Cap. III, 3, sowie oben die allgemeine Erörterung der ver-
gleichenden Methode Cap. I, S. 64 ff.
Begriff der Seele. 241
logischen Interpretation, während umgekehrt die Völkerpsychologie
ao8 den Ergebnissen der philologisch-historischen Forschung psycho-
logische Schlosse zieht. Dass hier als Zweck gesucht wird, was dort
schon als Hfllfsmittel benutzt werden musste, könnte als ein Wider-
sprach erscheinen. Die Lösung dieses Widerspruchs liegt aber darin,
dass zur Interpretation geschichtlicher Thatsachen zunächst nur die
individuelle Psychologie dient, während jene Thatsachen selbst doch
zugleich im psychologischen Sinne neue Ergebnisse sein können. Als
solche müssen sie dann freilich auch wieder auf die historische Auf-
fassung zurückwirken. Die Wechselwirkung, die auf diese Weise
zwischen den genannten Gebieten entsteht, entspricht jedoch durch-
aus einem Yerhaltniss, wie es allgemein zwischen den verschiedenen
Gebieten wie zwischen den verschiedenen Methoden der Geisteswissen-
schaften stattfindet. Seinen letzten Grund hat dieses Yerhaltniss
darin, dass unsere wissenschaftlichen Gliederungen, wenn auch logisch
nothwendig, doch dem natürlichen Zusammenhang des Denkens und
seiner Objecte niemals völlig gerecht werden können*).
4. Die Frincipien der Psychologie.
a. Der Begriff der Seele.
Die Psychologie bedarf, wie jede erklärende Wissenschaft,
leitender Voraussetzungen, die sie aus den einfachsten Erfahrungen
abstrahirt, um sie dann auf alle Erscheinungen ihres Gebietes an-
wenden zu können. Diese Voraussetzungen können ebenso gut in
einem Begriff wie in einer Mehrheit von Begriffen bestehen. In
der That ist z. B. die Lehre Ton den Seelenvermögen ein Beispiel
der letzteren Art. Immerhin besitzt in der Regel innerhalb jeder
Anschauung ein Allgemeinbegriff eine Torherrschende Bedeutung,
indem alle sonstigen Principien von ihm abhängig sind. Diesen
grundlegenden Allgemeinbegriff pflegt man den Begriff der Seele
zu nennen. So ist in der Aristotelischen Psychologie die Seele das
Lebensprincip, bei Leibniz und Wolff ist sie Monade oder vorstellen-
des und strebendes Wesen u. s. w.
Nachdem nun die Frage, ob die Psychologie im selben Sinne
*) Vgl. hierzu die Bemerkungen über das Yerhaltniss von Interpretation
and Kritik S. 114 f.
Wnn dt, Logik. II, 2. 8. Aufl. 16
242 Logik der Psychologie.
wie die Naturwissenschaft zur Bildung eines Substanzbegri£Es berech-
tigt sei, aus allgemeinen theoretischen Gründen bereits yerneinend
beantwortet ist (Bd. I, S. 537 ff.), bedarf hier nur noch die methodo-
logische Frage, inwiefern sich die Terschiedenen Seelenbegriffe fiLr
die Untersuchung der geistigen Thatsachen fruchtbar erwiesen haben,
einer näheren Prüfung. Dabei werden wir uns aber auf die prin-
cipiell bedeutsamste Unterscheidung der beiden Grundformen des
substantiellen und des actuellen Seelenbegriffs beschranken
können, unter dem ersteren seien alle Theorien zusammengefasst,
welche die psychischen Thatsachen als die Aeusserungen irgend eines
hypothetischen Substrates, einer materiellen oder immateriellen Sub-
stanz, auffassen, während der zweite Begriff diejenigen Anschauungen
bezeichnen soll, nach denen das Geistige Actualität oder unmittel-
bar in den Aeusserungen des geistigen Lebens selbst gegeben ist.
Im Alterthum hatten sich beide Ansichten meist noch nicht deutlich
gesondert, doch wird die substantielle z. B. Ton Demokrit, die
actuelle Ton Aristoteles vertreten. In der neueren Philosophie und
namentlich in der populären Weltanschauung der Neuzeit hat haupt-
sächlich durch Descartes die substantielle Ansicht das Uebergewicht
erlangt. Dann aber wird auch hier durch eine Reihe von Denkern,
die sonst zum Theil weit von einander abweichen, wie Hume, Kant,
Fichte und Hegel, das Princip der Actualität zur Geltung gebracht.
Leider stehen jedoch die entschiedensten Vorkämpfer desselben,
Fichte und Hegel, der psychologischen Untersuchung am fernsten,
daher auch die neuere Psychologie noch in hohem Grade von der
substantiellen Ansicht im Gartesianischen Sinne beherrscht wird.
Die Annahme einer Substantialität der Seele stützt sich
in methodologischer Beziehung vor allem auf die Analogie mit dem
materiellen Substanzbegriff. Nach den zwei Hauptgebieten der Er-
fahrung, der äusseren und inneren, unterscheidet man zwei Sub-
stanzen, die materielle und die immaterielle. Die bloss negative
Bezeichnung der letzteren ist schon ein äusseres Zeugniss für ihren
Ursprung. Ein inneres liegt in der besonderen Gestaltung, die der
substantielle Seelenbegriff angenommen hat. Bei Demokrit besteht
die Seele aus den beweglichsten Atomen, bei Descartes wird sie
zu einem unausgedehnten, aber einen bestimmten Ort im Raum ein-
nehmenden Wesen. Der Begriff des Atoms als der untheilbaren
räumlichen Substanz bleibt also auch hier erhalten. Die Cartesia-
nische Seele ist ein mit der Eigenschaft des Denkens begabtes
materielles Atom. Sie verräth namentlich darin ihre materielle Natur,
Begriff der Seele. 243
dass süe mit den körperlichen Substanzen in mechanischen Wechsel-
wirkungen stehen soll. Doch ist es dieser Punkt, der zu einer
idealistischen äeform der substantiellen Theorie geführt hat. um
die geistige Natur der Seele zu retten, vergeistigte man die Materie.
So entstand die Leibniz'sche Monade, aus der fast alle neueren
psychologischen Vorstellimgen mit unwesentlichen Abänderungen her-
roigegangen sind. Durch die Gonsequenz des idealistischen Grund-
gedankens wird man hier zu der Anerkennung geführt, dass die
Materie ein Begriff sei, der erst in unserm Bewusstsein sich bilde.
Trotzdem bindet man das Bewusstsein selbst an eine Substanz, deren
Begriff sichtlich in der Reflexion über die körperlichen Erscheinungen
seine Quelle hat. Insbesondere die ünveränderlichkeit und absolute
Entwicklungslosigkeit, die am klarsten in der folgerichtigsten Ge-
staltung dieses Begriffs bei Herbart zu Tage tritt, kann durchaus
nur aus der Vorstellung der Constanz der Materie entsprungen sein.
Wie könnte auch die Betrachtung des geistigen Lebens selbst jemals
die merkwürdige Vorstellung rechtfertigen, dass diese ganze Entwick-
lung aus den Störungen hervorgehe, die ein absolut einfaches Wesen
durch sein Zusammensein mit andern ähnlichen Wesen erfahre? —
eine Vorstellung die nothwendig zu der Folgerung fuhren müsste,
dass dieses Wesen wieder in seiner absoluten Inhaltslosigkeit zurück-
bleibe, sobald jene zufalligen Störungen aufhören. Sie führt nicht
immer dazu ; denn hier angelangt, zieht man es Tor den Folgerungen
aos dem Wege zu gehen. In der That ist dies wohl das stärkste
Zeugniss gegen diesen idealisirten Materialismus, dass er die Erhal-
tung des Geistigen nur zu retten vermag, indem er sie zugleich
werthlos macht. Dies ist aber die nothwendige Folge davon, dass
hinter jener unvergänglichen Seelensubstanz lediglich das Princip der
Constanz der Materie verborgen ist, ein Princip das für die Auf-
fassung der Naturerscheinungen seine guten Dienste leistet, das
geistige Leben aber zu einem entwicklungslosen Mechanismus er-
starren lässt. So ist es denn nicht zu verwundern, dass die Substanz-
theorie für die Erklärung des psychischen Geschehens nichts geleistet
hat. Gewiss soll nicht geleugnet werden, dass sich bei einem Des-
cartes, Leibniz und Herbart gelegentlich auch werthvoUe psycho-
logische Bemerkungen finden. Aber bei den zwei erstgenannten
Philosophen stehen diese in keinem inneren Zusammenhang mit ihrer
monadologischen Ansicht. Herbart ist der Einzige, der dahin ge-
strebt hat, seine metaphysischen ^Grundbegriffe zu einer Theorie der
inneren Erfahrung zu verwerthen. Um so augenfälliger zeigt die
244 Logik der Psychologie.
Vergleichung dieses psychologischen Versuchs mit seinen physikalischen
Vorbildern, dass bei ihm bloss äussere Analogien an die Stelle
einer wirklichen Erklärung getreten sind. Dass die Vorstellungen
Störungen einfacher Substanzen seien, dass die Hemmung der Vor-
stellungen und die Beseitigung dieser Hemmung Gef&hle erzeugen u.a.,
wird zwar versichert; aber nirgends liegt eine innere Nothwendig-
keit oder eine zureichende empirische Bestätigung vor, dass jene
imaginäre Mechanik wirklich mit dem psychischen Geschehen zu-
sammenfalle. Ganz unzulänglich vollends erweist sich dieselbe gegen-
über den höheren intellectuellen Vorgängen und dem geistigen Leben
in Gesellschaft und Geschichte. So wird es erklärlich, dass bei den
Nachfolgern Herbarts die substantielle Idee allmählich zu einer
metaphysischen Zierde geworden ist, deren man sich bedient, wenn
man glaubt ethischen Forderungen auf diesem Wege gerecht werden
zu können, die man aber zur Seite liegen lässt, sobald man sich
bequemt in die Tiefe der psychologischen Erfahrung hinabzusteigen.
Die Theorie der Actualität der Seele bleibt so lange in
ihrer Entwicklung gehemmt, als die naive Vorstellung des gemeinen
Bewusstseins, dass die Aussenwelt eine dem denkenden Subject gleich-
werthige RealiUlt besitze, nicht überwunden ist. Das Geistige bringt
es hier höchstens, wie in dem vo5c des Anaxagoras und der Ari-
stotelischen Entelechie, zu dem belebenden und formgebenden Princip
der Materie. Von dieser Auffassung aus bildet jener Dualismus, der
das Geistige selbst substantialisirt, eine Art von nothwendigem Ueber-
gangsglied zu der für die psychologische Betrachtung unvermeid-
lichen Auffassung, dass die Eörperwelt eine Bewusstseinserscheinung
sei. Der Versuch, einer solchen Auffassung nahe zu kommen, indem
man zunächst den Unterschied der beiden Substanzen im Sinne einer
geistigen Begriffsbestimmung beider beseitigt, hat in jenem Ueber-
gang nicht nur seine historische Berechtigung, sondern für den
physiologischen Standpunkt in der Beurtheilung der Lebenserschei-
nungen sogar einen bleibenden Werth. Die Psychologie wird aber
unvermeidlich zur Aufhebung dieser Ansicht getrieben, da eine ihrer
Hauptaufgaben darin besteht nachzuweisen, wie die Vorstellungen,
aus denen für uns die Aussenwelt besteht, selbst sich entwickelt
haben. Nun bedarf freilich die Psychologie für diesen Nachweis
bestimmter Voraussetzungen über die objectiven Einwirkungen, denen
das Bewusstsein bei seinen Vorstellungsbildungen ausgesetzt ist, und
sie arbeitet in der widerspruchslosen Gestaltung solcher Voraus-
setzungen über die materielle Substanz mit der Naturwissenschaft
Begriff der Seele. 245
zusammen. Aber damit wird diese Substanz nimmermehr zu etwas
Ton unserer geistigen Thätigkeit Unabhängigem. War die ursprüng-
liche Vorstellung ein unmittelbares Erzeugniss der Vorgänge des
Bewusstseins, so ist der so entstandene Begriff der Aussenwelt Tollends
ein yerwickeltes Product des Denkens. Darum bleibt es nun aber
aach völlig unfassbar, woher wir das Recht nehmen sollen, auf
unsem Geist, der aus bestimmten in der Entwicklung seines Denkens
hervortretenden Anlässen für die Gegenstände seines Vorstellens den
Begriff der Substanz bildet, diesen selben Begriff anzuwenden. Die
geistigen Vorgänge sind uns gegeben als ein unablässiges Geschehen,
das aus seinen Vorstellungen die Dinge erzeugt, nicht aber selbst
ein Ding ist. Darum bedürfen wir bei allen psychologischen Er-
klärungen immer nur insoweit der substantiellen Grundlage, als bei
ihnen die Voraussetzung einer Aussenwelt und der Einflüsse, die wir
von ihr erfahren, in Frage kommt, und immer findet hier der Be-
griff der Substanz nur auf die äusseren Gegenstände seine Anwen-
dung, nicht auf das Subject, das diese Gegenstände vorstellt. Denn
die psychologische Erklärung besteht überall nur darin, dass man
aufzeigt, wie sich die verwickeiteren Formen des Geschehens aus den
einfacheren aufbauen, und wie unser handelndes Ich, das wir eben-
falls nur als Thätigkeit kennen, alle Formen des geistigen Geschehens
schliesslich zu einheitlichen Zwecken verwerthet. Von der einfachen
Empfindung an bis zum selbstbewussten logischen Denkacte ist hier
alles reine Thätigkeit. Aber wir sind fortwährend geneigt, den
Standpunkt der äusseren Weltbetrachtung, der die Vorstellungen
ohne Rücksicht auf ihren geistigen Ursprung auffasst, und den
psychologischen Standpunkt, für den die Vorstellungen nur als geistige
Thätigkeiten Bedeutung haben, mit einander zu vermengen. Da
man sich nun doch dem Eindruck nicht entziehen kann, dass die
Vorstellungen als solche nicht Dinge sondern Handlungen sind, so
glaubt man einen glücklichen Ausweg gefunden zu haben, indem
man sie als Handlungen einer an sich unveränderlich bleibenden
Substanz denkt. Eine Handlung sei nicht möglich ohne ein handeln-
des Wesen ; ausserdem fordere unser Selbstbewusstsein, da es beharr-
lich sei, eine beharrende Grundlage.
Diese beiden Argumente sind in der That diejenigen, die so-
wohl in der populären Meinung wie bei vielen Philosophen am stärk-
sten für die substantielle Ansicht ins Gewicht fallen. Dennoch be-
weisen sie nur, wie tief eingewurzelt der materielle Dingbegriff ist.
Dass jede Handlung von handelnden Objecten ausgeht, ist ja physi-
246 Logik der Psychologie.
kaiisch gesprochen vollkommen richtig. Aber es ist ebenso klar,
dass sich für den psychologischen Standpunkt das Verhältniss dieser
Refiexionsbegriffe umkehrt, indem hier die Vorstellung eines Objecies
immer erst aus der Handlung des Vorstellens entspringt. Nun soll
diese Handlung selbst wieder auf ein handelndes Subject zurückweisen.
Wo und wie ist uns aber das letztere gegeben? Lediglich in jener
Handlung des Vorstellens selber. Die Trennung beider ist ein Spiel
mit Refiexionsbegriffen, die man zuerst in den Kategorien von Subject
und Prädicat logisch geschieden hat, um ihnen dann auch eine reale
Verschiedenheit beizulegen«
Unter den nämlichen ontologischen Fehler, den dieser Schluss
von der Handlung auf das handelnde Wesen begeht, fäUt auch der
andere, der aus dem beharrenden Selbstbewusstsein auf dessen be-
harrende Grundlage zurückschliesst. Das Selbstbewusstsein existirt
nicht ausserhalb der selbstbewussten Handlungen, und diese sind uns
wiederum nur als solche, nicht als handelnde Objecte gegeben.
Ueberdies ist aber hier die Prämisse nicht richtig. Unser Selbst-
bewusstsein besitzt keineswegs eine Constanz, die der vorausgesetzten
Beharrlichkeit der Substanz oder auch nur der relativen Constanz
eines empirischen Dings entspricht. Vielmehr ist in ihm, eben weil
es uns nur in seinen Handlungen gegeben ist, alles fliessend, nichts
beständig. Nicht auf der Beharrlichkeit unseres inneren Seins, son-
dern auf der Stetigkeit seiner Veränderungen beruht der
Zusammenhang unseres Selbstbewusstseins. Diese Stetigkeit wird
psychologisch insbesondere durch einen Bestandtheil vermittelt, der
bei allem Wechsel der inneren Vorgänge als ein gleichförmiger
wiederkehrt, durch die Thätigkeit der Apperception. Da uns
aber die Apperception wiederum nur als Thätigkeit gegeben ist, so
fällt jedes Motiv hinweg, jenseits dieser Grundlage unseres Selbst-
bewusstseins, die gleich diesem reine Actualität ist, noch ein von ihr
verschiedenes Substrat anzunehmen, das sich noch dazu durch das
mit allen Thatsachen des geistigen Lebens im Widerspruch stehende
Merkmal der Unveränderlichkeit auszeichnen soll. Es ist richtig,
jene stetige Thätigkeit der Apperception ist selbst die Quelle des
Ding- und Substauzbegriffs, insofern diesen die Vorstellung der Ein-
heit des Objects, deren Bedingung die Einheit unseres Ich ist, vor-
ausgehen muss (Bd. I, S. 467). Dagegen hat die Voraussetzung einer
absoluten Beharrlichkeit der Substanz, die in den Principien der
Constanz der Materie und der Energie ihren wissenschaftlichen Aus-
druck findet, andere Quellen, die nicht in der Thätigkeit unseres
Begriff der Seele. 247
Denkens selbst, sondern in den formalen Erzeugnissen desselben,
namentlich in der reinen Raumanschauung, entspringen, um nach-
träglich durch die Forderungen der Naturerklärung verstärkt zu
werden (Bd. I, S. 517, II, 1, S. 427 ff.). Für unser Denken selbst
kommen aber diese Motive völlig in Wegfall.
Der Begriff der Seele hat demnach die Bedeutung einer logi-
schen, keiner substantiellen Einheit. Sie ist das Subject aller
innem, wie die Materie das Subject aller äussern Erfahrung. Auf
diese Weise sind beide als logische Einheitsbegriffe ursprünglich
einander vollständig coordinirt, auch in dem Sinne dass der Natur-
wissenschaft zunächst die Objecte, ihre Eigenschaften und Zustände
ebenso in den Erscheinungsformen, in denen sie uns gegeben sind,
als wirklich gelten, wie die Psychologie alles Vorstellen, Fühlen
and Wollen als die Wirklichkeit des innern Erlebens selbst auffasst.
In der weiteren Entwicklung jener Einheitsbegriffe trennen sich nun
aber beide Wissenschaftsgebiete völlig von einander. Die Natur-
wissenschaft, um zu einer widerspruchslosen Erklärung der unab-
hängig von dem erkennenden Subject gedachten objectiven Welt zu
gelangen, sieht sich genöthigt, die in der sinnlichen Anschauung
gegebenen Erscheinungen als die Wirkungen eines selbst nicht sinn-
lich gegebenen, sondern nur aus den sinnlichen Erscheinungen zu
erschliessenden Substrates zu denken, dem als fundamentalste Eigen-
schaft die der absoluten Constanz seiner Eigenschaften zukommt.
Die Psychologie dagegen findet in dem Zusammenhang ihres Ge-
bietes niemals Veranlassung, für die Erklärung der in der Erfahrung
gegebenen psychischen Erlebnisse etwas anderes vorauszusetzen als
die eigene Wirklichkeit dieser Erlebnisse: jeder Rückgang auf ein
nicht unmittelbar gegebenes transcendentes Substrat leistet nicht nur
schlechterdings nichts für die psychologische Erklärung, sondern er
nimmt auch dem psychischen Sein alles, um deswillen es allein
Werth und Bedeutung für uns hat. So unvermeidlich sich also für die
Naturwissenschaft jener logische Begriff eines Subjectes der äussern
Erfahrung in den eines beharrenden Trägers derselben verwandelt,
ebenso unzweifelhaft bleibt für die Psychologie die Seele blosses
Subject der innem Erfahrung; das heisst sie bezeichnet einen
durchgängigen Zusammenhang dieser, aber keine Einheit die jenseits
des Znsammenhangs selber gelegen wäre. In dieser Verschiedenheit
der letzten Ergebnisse hier wie dort liegt nicht der mindeste Wider-
spruch, sondern man könnte eher sagen: sie ist, im Hinblick auf
die Thatsache, dass äussere und innere Erfahrung im Grunde gar
248 Logik der Psychologie.
nicht verschiedene Erfahrungsgebiete, sondern nur verschiedene Be-
trachtungsweisen einer und derselben Erfahrung sind, von vorn-
herein zu erwarten. Die Naturwisstoschaft behandelt die Objecte
als reale, von dem Subject unabhängige Dinge, während doch alle
diese Objecte zugleich Vorstellungen des erkennenden Subjectes und
nur als solche der unmittelbaren Auffassung desselben zugänglich
sind. Wenn nun von dieser Auffassung grundsätzlich abstrahirt
werden soll, wie es thatsächlich in der Naturwissenschaft geschieht
und geschehen muss, so ist es ganz noth wendig, dass der so ent-
stehende Begriff nicht mehr dem empirischen Object der Anschauung
entspricht, sondern dass er im eigentlichsten Sinne metaphysisch ist :
er ist ein Hülfsbegriff der wissenschaftlichen Untersuchung, der in
keiner Erfahrung vorkommen kann, weil in ihm von einem nie
fehlenden Theil der wirklichen Erfahrung, davon nämlich dass diese
immer zugleich ein geistiger Vorgang in einem erkennenden Subject
ist, grundsätzlich abstrahirt wurde. Die Psychologie dagegen bringt
gerade diese Seite aller Erfahrung zu ihrem Rechte, und indem sie
dies thut, kann sie naturgemäss keinen andern Weg einschlagen als
den, dass sie nicht nur die geistigen Vorgänge sondern auch die
Objecte auf die sich diese beziehen in der Form bestehen lässt, in
der sie ursprünglich in der Erfahrung gegeben sind. Dem entspricht
nun auch das Verhalten aller einzelnen Geisteswissenschaften, die
psychologischer Erklärungsgründe zur Lösung ihrer Aufgaben be-
dürfen. Für sie alle hat die objective Erfahrungswelt nur in ihrer
ursprünglichen Form Geltung: der Substanzbegriff der Naturwissen-
schaft ist für sie ohne jede Bedeutung, und sie sind gegenüber der
geistigen Seite der Dinge in der Anerkennung der unmittelbaren
geistigen Wirklichkeit mit der Psychologie einverstanden.
Nur in einem Punkte muss sich die Psychologie des Vor-
zugs, dessen sie sich mit der Gesammtheit der Geisteswissenschaften
erfreut, bis zu einem gewissen Grade wieder begeben. Gerade des-
halb weil sie als die fundamentalere Disciplin den Naturwissen-
schaften näher steht, kann sie auch von der Frage, wie sich jener
grundlegende Begriff der Naturwissenschaft zu ihren eigenen auf
ganz anderem Boden erwachsenen Begriffsbildungen verhält, nicht
Umgang nehmen. Zwar die Frage, wie die getrennte Betrachtungs-
weise von Naturwissenschaft und Psychologie zu einer befriedigenden
Einheit zurückzulenken sei, mag sie der Metaphysik überlassen. Als
eine empirische Wissenschaft, die sie ja in viel höherem Masse als
die der metaphysischen Hülfsbegriffe überall bedürftige Naturwissen-
Begriff der Seele. 249
Schaft ist, hat sie keinen Grund hierauf einzugehen, um so mehr da
die psychischen Vorgänge ebenso gut als ein in sich geschlossenes
Ganzes behandelt werden können wie die Naturvorgänge. Aber da
zahlreiche Vorgänge existiren, für die ebensowohl eine physische
wie eine psychische Betrachtungsweise gefordert wird, so kann die
Psychologie nicht amhin, bei solchen Gelegenheiten zwischen dem
Standpunkt der Physiologie, welcher selbstverständlich derjenige der
Naturwissenschaft ist, und ihrem eigenen völlig abweichenden zu
Termitteln. So eröffnet sich ein mittleres Gebiet psychophysi-
scher Betrachtungsweise, auf dem die Psychologie im Anschluss
an die Physiologie den Substanzbegriff der Naturwissenschaft accep-
tirt und daneben doch ihren Begriff der Actualität der Seele selbst
festhält. In dem Zusammenhang dieser Betrachtungen, der sich
Qber die gesammte sinnliche Grundlage der seelischen Erlebnisse
erstreckt, kann dann natürlich auch die Psychologie von einem
Sabstrat der psychischen Vorgänge sprechen. Aber dieses Substrat
ist ihr hier keine besondere, auf irgend eine unerklärliche Weise
mit dem Körper verbundene Seelensubstanz, sondern der lebende
Korper selber, der freilich nicht als ein absolut beharrendes Wesen,
sondern nur als ein relativ beharrendes Substrat des Seelischen
angesehen werden kann, da er, wie alles Lebendige, schon für die
naturwissenschaftliche Betrachtung in einem fortwährenden Flusse
7on Veränderungen begriffen ist. Und auch in dem Sinne ist der
leibUche Organismus das wahre physische Correlat der Seele, als er
zwar ein einheitliches, aber durchaus kein einfaches Wesen ist,
welches letztere die substantielle Theorie des Spiritualismus im
Widerspruch mit der Erfahrung und mit ihrer eigenen Durchführung
des Begriffs fortwährend von der Seele behauptet. Es ist übrigens
klar, dass die Auffassung dieser Beziehungen zwischen Physischem
und Psychischem, da sie sich auf Begriffe gründet, die erkenntniss-
theoretisch betrachtet ganz heterogenen Ursprungs sind, einen eigen-
artigen Charakter annehmen muss, und dass namentlich auf sie weder
derjenige Causalbegriff anwendbar sein kann, den die Naturwissen-
schaft nach den durch ihre Gegenstände gebotenen Bedingungen
ausgebildet hat, noch auch jener, den die Psychologie auf Grund
des rein psychischen Zusammenhangs entwickeln muss. So eröffnet
sich hier, bei dem Uebergang von der physiologischen zur psycho-
logischen Betrachtung des lebenden Organismus, ein Problem, das
im Sinne einer die Actualität des psychischen Geschehens mit der
substantiellen Causalität der Naturvorgänge verbindenden Auffassung
250 Logik der Psychologie.
nur durch ein Princip gelöst werden kann, welches die Eigenart
beider Causalitätsformen unangetastet lässt. Dieses Princip, dem
hiemach die Bedeutung eines empirischen Princips der Verknüpfung
der beiden einander ergänzenden Formen der Causalitat zukommt,
bezeichnen wir als das Princip des psychophysischen Paral-
lelismus.
b. Das Princip des psychophysischen Parallelismus.
Mit der Annahme einer Seelensubstanz ist nothwendig immer
zugleich die einer psychophysischen Causalitat, die zu der physischen
und der psychischen als eine dritte eigenthOmliche Form hinzukomme,
verbunden; ja streng genommen ist diese dritte Form selbst wieder
eine doppelte: eine vom Physischen zum Psychischen und eine vom
Psychischen zum Physischen gerichtete Causalverbindung, die beide
eigentlich unvergleichbar mit einander sind. Schon innerhalb der
Substanzhypothese stösst aber diese Annahme auf Schwierigkeiten,
die zu HOlfshypothesen herausfordern, in denen sich die Auflösung
der Substanzhypothese vorbereitet. Die Entwicklung der neueren
Naturwissenschaft, wie sie sich vom 16. Jahrhundert an vollzogen
hat, brachte die mechanische Weltanschauung und mit ihr die
Tendenz, alle Naturvorgänge auf Bewegungsvorgänge der Körper
und ihrer kleinsten Theilchen zurückzuführen, zu immer unum-
schränkterer Geltung. Aus ihr entwickelte sich eine allgemeine
logische Forderung, die unvermeidlich auch auf die psychischen Er-
scheinungen angewandt werden musste, die Forderung nämlich, dass
eine directe Causalitat stets nur zwischen gleichartigen Erschei-
nungen oder, insofern man alle Erscheinungen als die Wirkungen
von Substanzen auffasste, zwischen gleichartigen Substanzen statt-
finden könne. In Descartes' Philosophie hatte dieser Begriff der
zwei Substanzen, der ausgedehnten und der denkenden, seinen clas-
sischen Ausdruck gefunden. In der Cartesianischen Schule hatte
sich sodann im Anschlüsse daran die Vorstellung entwickelt, dass
zwischen diesen Substanzen eine eigentliche Wechselwirkung unmöglich
sei. In der Lehre der „Occasionalisten", nach der eine fortwährende
Einwirkung Gottes auf beide Substanzen den Zusammenhang der
körperlichen und seelischen Vorgänge vermittelt, war daher die Idee
des „Parallelismus* bereits vollständig enthalten. Es bedurfte nur
noch der Umwandlung des übernatürlichen Eingriffes in einen ur-
sprünglichen Bestandtheil der Weltordnung, um ihr jenen metaphysi-
Princip des psychopbysischen Parallelismus. 251
sehen Inhalt zu geben, den sie dann in den Systemen eines Spinoza
und Leibniz annahm. Dabei zeigte sich zugleich, dass die so
entstandene weitere Ausbildung des Begriffs auch die beiden Sub-
stanzen unmöglich unangetastet lassen konnte. Entweder musste die
Verschiedenheit derselben einer Gleichartigkeit weichen: so in Leibniz*
piistabilirter Harmonie; oder Physisches und Psychisches mussten
sich in die einander entsprechenden Erscheinungsformen einer ein-
ligen transcendenten Substanz umwandeln: so bei Spinoza. Mit
diesen metaphysischen Ausgestaltungen des Princips des Parallelis-
mos war dieses nun aber auf einen Boden verpflanzt, der völlig
jenseits einer empirischen Bearbeitung der physischen wie der psy-
chischen Causalbeziehungen lag, so dass die empirische Psychologie
der späteren Zeit nicht ganz im unrechte war, wenn sie wieder zu
der Annahme einer besonderen psychophysischen Causalitat zurück-
kehrte, um so mehr da dieser Standpunkt in der allmählich um
sich greifenden Auffassung der Causalitat als einer rein empirischen
Beziehung der Erscheinungen, wie sie von der englischen Philosophie
angebahnt wurde, auch eine philosophische Stütze fand.
Dennoch ist mit einer solchen Ablehnung des metaphysischen
Parallelprincips das Problem selbst keineswegs gelöst. Davon könnte
doch nur die Rede sein, wenn das Causalprincip der empirischen
Wissenschaften wirklich nichts anderes verlangte als regelmässige
Coexistenz oder Succession der Erscheinungen. Die naturwissen-
schaftlichen Anwendungen jenes Begriffs haben uns aber belehrt,
dass diese von der abstracten empiristischen Erkenntnistheorie be-
hauptete Beschränkung auf eine regelmässige Association durchaus
nicht die Forderungen deckt, die die empirische Wissenschaft in
Wirklichkeit erhebt, wenn sie ein causales Verhältniss anerkennen
soll, sondern dass hier wesentlich noch die Subsumtion unter all-
gemeine Gesetze und mittelst ihrer die widerspruchslose Einordnung
in den allgemeinen Zusammenhang der Erfahrung hinzukommt.
(Vgl. Bd. I, S. 611, und Bd. II, 1, S. 326 ff.) Ist nun auch diese
Forderung erst innerhalb der naturwissenschaftlichen Betrachtung
zu allgemeingültiger Anerkennung gelangt, so ist es doch zweifellos,
da es sich hier nicht bloss um eine specifisch naturwissenschaftliche
sondern um eine logische Forderung handelt, dass sich derselben
kein anderes Wissensgebiet entziehen kann. Insbesondere also für
die psychische imd, falls es eine solche geben sollte, für die psycho-
physische Causalitat wird nicht minder zu verlangen sein, dass jede
Ton ihnen das Gebiet auf das sie sich bezieht in einen Widerspruchs-
262 Logik der Psychologie.
losen, zugleich den andern Gebieten des Erkennens nirgends wider-
streitenden Zusammenhang bringe. Gehen wir nun von dieser Vor-
aussetzung aus, so ist klar, dass zwar eventuell die physische und
ebenso die psychische Gausalität eine relative Selbständigkeit be-
sitzen mögen, insofern wir bei jener von unsem psychischen Erleb-
nissen und bei dieser in einem gewissen umfange auch von den
physischen Vorgängen abstrahiren können, aber dass von einer ähn-
lichen relativ selbständigen Bedeutung einer psychophysischen
Gausalität unmöglich die Rede sein kann. Denn offenbar ist ja jede
psycho-physische Wechselwirkung mit ihrem einen Glied in dem
physischen und mit ihrem andern in dem psychischen Gausalzusammen-
hang bereits enthalten. Damit ist auch schon gesagt, dass sich alles
was man psycho-physische Gausalverbindung nennen könnte durch-
aus nur auf die Feststellung eines constanten Zugleichseins bestimmter
Glieder auf beiden Seiten werde beschränken müssen, ohne dass
eine wirkliche causale Ableitung des Physischen aus dem Psychischen
und umgekehrt möglich ist. Ein solches regelmässiges Zugleichsein
physischer und psychischer Vorgänge ist aber nichts anderes als
eben das was man unter psycho-physischem Parallelismus im empi-
rischen Sinne verstehen kann. Dabei zeigt sich freilich, dass dieser
von der empirischen Naturwissenschaft und Psychologie aus be-
stimmte Begriff des Parallelismus etwas von der oben erwähnten
metaphysischen Bedeutung desselben völlig Verschiedenes ist, wenn
auch beide in ihrem Ursprung zusammenhängen. Indem das meta-
physische Princip als ein letztes Princip der Weltordnung auftritt,
erhebt es zugleich den Anspruch, dass es Oberhaupt nichts auf phy-
sischem Gebiete gebe was nicht psychisch und nichts auf psychi-
schem Gebiete was nicht physisch ebenfalls existirte. So wird diese
metaphysische Auffassung nothwendig dazu getrieben psychische
Inhalte da vorauszusetzen, wo sie in der Erfahrung durchaus nicht
gegeben sind und nicht einmal als hypothetische Hülfsbegriffe irgend
welche Dienste leisten, und auf der andern Seite die psychischen
Inhalte auf das zu beschränken was zugleich in irgend einer Weise
physisch verkörpert gedacht werden kann. Am deutlichsten zeigt
diese metaphysischen Folgerungen die Philosophie Spinozas, in der
jene absolute Gorrespondenz einfach dadurch erreicht wird, dass alle
psychischen Erlebnisse auf Vorstellungen reducirt sind, die zugleich
Ebenbilder der körperlichen Dinge und ihrer ZusiUnde , unter der
Form der Idee*^ sein sollen. Hier hat sich offenbar das meta-
physische Princip seinen empirischen Ausgangspunkten nahezu völlig
Princip des paychopfaysiscfaen Parallelismus. 253
entfremdet, und es unterwirft die Erfahrung einem Zwang, der die
Interpretation derselben auf das äusserste gefährdet. Kehrt es doch
den Naturobjecten gegenüber zu einer naiven Auffassung zurück,
die auf alle begrifflichen Hülfsmittel der Naturerklärung verzichtet,
während sie innerhalb des geistigen Lebens, um dieses zu einem
realen Spiegelbild der objectiven Wirklichkeit zu machen, alle Eigen-
schaften und Vorgänge, die einer solchen Auffassung Widerstand
leisten, für tauschende Trugbilder eines , verworrenen Yorstellens'^
erklärt.
Es ist einleuchtend, dass diese metaphysische Weiterführung
des Parallelprincips Ton den empirischen Grundlagen desselben weit
abliegt, und dass sie die Forderungen der Erfahrung der einseitig
durchgeführten metaphysischen Idee ganz und gar aufopfert. Bleibt
man dagegen bei der empirischen Bedeutung des Princips stehen,
wie sie aus den einerseits durch die reine Naturerklärung und ander-
seits durch die rein psychologische Betrachtung gestellten Forde-
rungen hervorgegangen ist, so hat dasselbe lediglich die Bedeutung,
dass psychische Vorgänge aus physischen und physische aus psychi-
schen nicht im gleichen Sinne causai erklärt werden können, in
welchem wir physische aus andern physischen Erscheinungen und
psychische aus andern psychischen Erlebnissen abzuleiten suchen,
sondern dass hier immer nur eine regelmässige Coexistenz bestimmter
Glieder beider Formen der Causalverknüpfung angenommen werden
kann. Dabei schliesst aber natürlich diese Coexistenz nicht aus,
dass es ebensowohl auf physischer Seite Erscheinungen gibt, denen
keine psychischen Elemente entsprechen, wie umgekehrt auf psychi-
scher Seite Eigenschaften existiren können, zu denen physische Be-
gleiterscheinungen weder nachzuweisen noch mit irgend einer Wahr-
scheinlichkeit vorauszusetzen sind. Dies ist nun thatsächlich die
Bedeutung, die das Princip des psychophysischen Parallelismus in
der neueren Psychologie angenommen hat. Eine Anlehnung an das
ältere metaphysische Princip muss dieser schon um deswillen fern
hegen, weil sie sich den Naturerscheinungen gegenüber durchaus
auf den Standpunkt der Naturwissenschaft stellt, auf jenen Stand-
punkt abo, der in den unmittelbaren Vorstellungsobjecten nicht
reale Eigenschaften einer Substanz sondern Erscheinungen eines
Substrates erblickt, auf dessen wirkliche Eigenschaften und Wechsel-
wirkungen wir nur mittelst hypothetischer Begriffsbildungen zurück-
scUiessen können. Insofern aber die Naturwissenschaft bei dieser
hypothetischen Construction der Wirklichkeit geflissentlich von allen
254 Logik der Psychologie.
Erfahrungsinhalten abstrahirt, die nicht auf von uns unabhängige
Objecte sondern nur auf unser eigenes Verhalten gegenüber den
Objecten bezogen werden können, ist hier ?on vornherein die Grund-
voraussetzung des metaphysischen Parallelprincips aufgehoben. Denn
es ist selbstverständlich, dass die Begriffe der Naturwissenschaft
überall nur von den Thatsachen Rechenschaft geben können, auf
die bei ihrer Bildung Rücksicht genommen wurde. Nun bilden den
einzigen Inhalt der naturwissenschaftlichen Betrachtung unsere Ob-
jectsvorstellungen , und zwar unter der besonderen Voraussetzung,
dass bei ihnen von der subjectiven Entstehungsweise dieser Vor-
stellungen in uns abstrahirt werde. Es bleibt also augenscheinlich
eben diese subjective Entstehungsweise und neben ihr alles das,
was überhaupt von uns nicht auf Objecte sondern auf das Verhalten
des Subjectes selbst bezogen wird, einer anderweitigen wissenschaft-
lichen Betrachtung vorbehalten. Diese auszuführen ist die Aufgabe
der Psychologie, die hiemach, weil sie die naturwissenschaft-
liche Untersuchung der Erfahrung ergänzt, einen von dieser durch-
gängig verschiedenen Inhalt hat, ohne dass doch jemals beide in
Widerspruch gerathen können, es sei denn in Folge von Gebiets-
überschreitungen, die aus einer Verkennung ihrer wirklichen Auf-
gaben hervorgehen*).
Die Thatsache, dass die psychische Gausalität überall zugleich
auf physische Verbindungen hinweist, durch deren Erkenntniss erst
der ganze Erfahrungsinhalt dem jene angehört erschöpft wird, bildet
demnach ebenso wenig einen Einwand gegen eine vom psycho-
logischen Standpunkte aus unternommene gesonderte Betrachtung
*) Dass bei so einfacher Sachlage noch heute fortwährend von Philo-
sophen und Psychologen das Parallel prineip der empirischen Psychologie mit
dem metaphysischen Parallelismus Spinozas verwechselt wird, ist beinahe un-
glaublich^ aber leider dennoch wahr. Was soll man z. B. zu der kindischen
Einrede sagen, von einem Parallelismus würde nur geredet werden können,
wenn jeder physische Vorgang auch ein psychisches Correlat hätte, dies aber
sei eine ungerechtfertigte metaphysische Annahme? Oder welch ahnungslose
Unkenntniss des wirklichen Standpunktes naturwissenschaftlicher Betrachtung
verrilth sich, wenn man in psychologischen Arbeiten dem Gedanken begegnet,
nach dem Prineip des Parallelismus gehöre zu jedem psychischen Vorgang ein
physischer, nun biete aber der physische Causalzusammenhang den Vorzug
.lückenloser Vollständigkeit, also sei eine wirkliche Erklärung der psychischen
Vorgänge nur durch die Nachweisung der ihnen entsprechenden physiologischen
Processe zu leisten. Vgl. hierzu und zu der ganzen Frage die Abhandlung
über psychische Gausalität und das Prineip des psychophysischen Parallelismus,
Phil. Stud. X, S. 26 ff. und S. 47 ff.
Princip des psychophysischen ParallelismuB. 255
der psychischen Erfahrungsinhalte, wie die Berechtigung der rein
physiologischen Untersuchung der LebensTorgänge dadurch in Frage
gestellt wird, dass es zahlreiche Lebensvorgänge gibt, die wir ohne
gleichzeitige Beachtung ihrer psychischen Inhalte nicht endgültig
Terstehen können. In der That wird die Psychologie sogar bei
solchen Erlebnissen, die unmittelbar auf äussere Einwirkungen hin-
weisen, z. B. bei den Sinneswahrnehroungen, in dem Augenblick zu
jener Abstraction genöthigt, wo sie wirklich psychologisch inter-
pretiren will. Denn auch in diesem Falle sind nicht die äusseren
physischen Einwirkungen sondern die ihnen entsprechenden Empfin-
dungen die ursprünglichen Elemente, aus denen der Process der
Wahrnehmung entsteht. Der Grundsatz, dass Psychisches nur aus
Psychischem, ebenso wie Physisches nur aus Physischem abgeleitet
werden kann, macht sich eben vermöge jener Unvergleichbarkeit
beider Standpunkte gegenüber dem gesammten Inhalt der Erfahrung
unvermeidlich geltend, und er ist es, der die Scheidung der Gebiete
und mit ihr die stillschweigende Anerkennung des Parallelprincips
thatsächlich herbeiführt, auch wenn man von der ausdrücklichen
Anerkennung desselben noch weit entfernt ist. Denn wie vermöchte
Jemand von der Verkettung der Vorstellungen und Gefühle und
ihrer Wirksamkeit im menschlichen Handeln jemals anders Rechen-
schaft zu geben, als indem er sich die psychischen Vorgänge selbst
zu Tergegenwärtigen sucht? In den einzelnen Geisteswissenschaften
aber kommt dieser psychologische Charakter der Interpretation auch
darin zum Ausdruck, dass für sie die äusseren Lebenseinfiüsse
überall nur in der Form in Betracht kommen, in der sie eigentlich
selbst mit zu den psychischen Erlebnissen gehören, als anschauliche
Vorstellungsobjecte, und nicht im mindesten in jenen begrifflichen
Verarbeitungen, in denen sie für die Naturwissenschaft allein objective
Geltung haben. Nur wenn man sich dieses Verhältnisses bewusst
bleibt, kann nun auch die Psychologie ohne Schädigung ihres eigenen
Standpunktes bei solchen Problemen, wo der psychische Zusammen-
hang der Ereignisse Lücken darbietet, die physiologische Betrachtung
ergänzend herbeiziehen, ebenso wie umgekehrt die Physiologie nicht
umhin kann bei der Erklärung gewisser animaler Functionen gelegent-
Uch ihren eigenen Standpunkt mit dem der psychologischen Inter-
pretation zu vertauschen. Ist das Princip des Parallelismus richtig,
so wird dort wie hier eine solche Ergänzung immer nur unter
dem Vorbehalte versucht werden können, dass die heterogenen Er-
kläiungselemente als Stellvertreter der vorläufig und in vielen
256 Logik der P^chologie.
Fällen wahrscileinlich immer verborgen bleibenden homogenen zu be-
trachten seien.
Dies ist denn auch die Auffassung, welche die Physiologie
überall da zur Geltung bringt, wo sie etwa psychologische Erklärungs-
momente in ihren Untersuchungen nöthig hat. Sie stützt sich dabei
auf das für alle Naturwissenschaft massgebende Princip der ge-
schlossenen Naturcausalität, das für die Physiologie die
Forderung enthält, dass die endgültige Erklärung irgend eines
physischen Lebensvorganges erst da vorliegt, wo derselbe ganz und
gar aus andern physischen Vorgängen innerhalb oder ausserhalb des
Organismus abgeleitet ist. Man müsste die sämmtlichen Grundlagen
der heutigen Naturwissenschaft, mit denen dieses Princip auf das
engste verknüpft ist, aufgeben und die grossen Dienste die es der
Naturforschung geleistet hat in den Wind schlagen, wenn man von
irgend einer einzelnen naturwissenschaftlichen Disciplin verlangen
wollte, dass sie sich seiner Anerkennung entziehen solle*). Nun
ist allerdings ein analoges Princip ftlr die psychische Causalität
nicht nur nicht nachgewiesen, sondern wahrscheinlich auch niemals
direct nachweisbar. Ist doch das naturwissenschaftliche Princip an die
Forderung gebunden, dass alle Naturvorgänge in einem System unter
einander zusammenhängender Causalgleichungen darzustellen seien,
eine Forderung die für das geistige Leben von vornherein unerfüllbar
ist. Gleichwohl ist klar, dass auch hier schon auf Grund des Principe
der geschlossenen Naturcausalität ein analoges Princip angenommen
werden muss, falls nur anerkannt wird, dass es überhaupt
eine psychische Causalität gibt. Denn offenbar kann ja, so-
bald ein lückenloser Zusammenhang der Naturyorgänge vorausgesetzt
wird, von einer specifischen Form psychophysischer Causalität nicht
mehr die Rede sein, sondern es bleiben für die nach dem Zeugniss
der Erfahrung einander parallel laufenden physischen und psychischen
Vorgänge nur noch zwei Auffassungen möglich: entweder bildet
das psychische Geschehen ein ebenfalls in sich geschlossenes Gebiet,
von dem einzelne Glieder bestimmten Gliedern physischer Causal-
reihen entsprechen ; oder die psychischen Erlebnisse stehen überhaupt
in keinem causalen Zusammenhang, sondern sie sind entweder als
verworrene Auffassungen materieller Processe oder aber als Neben-
producte der letzteren anzusehen, die, an bestimmte materielle Sub-
stanzcomplexe gebunden, ganz und gar von der physischen Causalität
•) Vgl. über das Princip selbst Bd. II, 1, S. 326 ff.
Princip des psychophysifichen Parallelismus. 257
bestimmt sind, ohne ihrerseits einen Einfluss auf diese auszuüben.
Die erste dieser Anschauungen ist die des psychophysischen Parallelis-
mus, die zweite die des Materialismus in den beiden Gestaltungen
des reinen und des psychophysischen (S. 158). Man sieht, dass
unter diesen die des reinen Materialismus wieder die relativ be-
rechtigtere ist. Sie nimmt nur eine Erscheinungsform der Cau-
salitat, die Naturcausalität, an und leugnet dem entsprechend, dass
es überhaupt ein anderes Erscheinungsgebiet gebe als das ihr unter-
worfene. Der psychophysische Materialismus dagegen statuirt zwei
an sich unvergleichbare Formen der Erfahrung und behauptet gleich-
zeitig, dass die Causalität der einen dieser Formen ausserhalb dieser
selbst liege. Beide Auffassungen aber sind gleich haltlos, weil
sie auf völlig willkürliche und gewaltsame Weise eine einheitliche
Auffassung der Causalität des Qeschehens zu gewinnen suchen, wo-
durch ihnen der allein der Natur der Sache und den specifischen
Unterschieden der naturwissenschaftlichen und der psychologischen
Erkenntniss entsprechende Begriff jener Einheit entgeht. Dieser
Begriff besteht darin, dass beide Erkenntnissformen verschiedene
Auffassungsweisen der gesammten Causalität der Erfahrung sind, die
sich aber nicht bloss darin unterscheiden, dass die erste eine mittel-
bare und begriffliche, die andere eine unmittelbare und anschauliche
ist, sondern wesentlich auch darin, dass die erste aus dem ganzen
Bereich der wirklichen Erfahrung nur diejenigen Bestandtheile heraus-
greift, denen eine objective, von dem erkennenden Subjecte unab-
hängige Wirklichkeit zugeschrieben wird. Der Erfahrungskreis der
Naturwissenschaft ist daher auf der einen Seite ungleich weiter, auf
der andern aber viel enger als der der Psychologie. Jener erstreckt
sich über das ganze sinnliche Universum, dieser beschränkt sich auf
die lebende und in ihr wieder fast ganz auf die menschliche Welt.
Aber was in dieser beschränkten Welt vor sich geht, das wird nun
hier ungleich weiter und tiefer erfasst als in der auf die äusseren
Relationen der Objecte eingeengten Naturforschung. Darum ist es
einleuchtend, dass jedes dieser Gebiete schliesslich nach einer Er-
gänzung durch die Betrachtungsweise des andern strebt. Aber so
begreiflich dieses Streben auch sein mag, so unzweifelhaft ist es,
dass die Naturwissenschaft wie die Psychologie hier bei einer für
die Erfahrung und darum auch für sie selbst unübersteigbaren
Schranke angelangt sind. Nur die Philosophie, deren besonderer
Beruf es ist, das von den einzelnen Wissenschaften getrennt Be-
gonnene zur Einheit einer zusammenhängenden Weltanschauung
Wandt, Logik, II, 2. ». Aufl. 17
258 Logik der Psychologie.
weiterzuführen, kann es versuchen, diesen Einheitsgedanken zu Ende
zu denken, der inmitten der einzelnen Wissensgebiete bereits seinen
Ursprung nimmt. Die nächste und freilich auch die ungenügendste^
heute weder mit dem Bestand der Naturwissenschaft noch mit dem
der Psychologie mehr vereinbare Weise, in der dies geschehen
kann, ist nun die Lösung durch jenen metaphysischen Parallelismus,
wie er in dem Satze Spinozas ausgesprochen ist: „Ordo et connexio
idearum idem est ac ordo et connexio rerum*^. Um diesen Satz als
die Lösung des Welträthsels ansehen zu können, dazu gehört ein
naiver Glaube an die unmittelbare objective Realität der Sinnendinge,
wie ihn heute die Naturwissenschaft nicht mehr besitzt, und dazu
gehört ein starrer Intellectualismus, wie er in der heutigen Psycho-
logie unhaltbar geworden ist. Natur und Geist sind nicht, wie jene
Formel meint, zwei sich deckende Kreise oder, wie man wohl auch
gesagt hat, ein Kreis, der von zwei verschiedenen Standorten aus,
einem innern und einem äussern, betrachtet werden kann, sondern
sie sind zwei sich kreuzende Gebiete, die nur einen Theil ihrer
Objecto mit einander gemein haben, und in denen überdies die
Betrachtungsweise dieser Objecto eine qualitativ verschiedene, dort
eine begrifflich construirende, hier, auf psychologischem Boden, eine
unmittelbar anschauliche und interpretirende ist. Was beide Gebiete
wirklich in gewissem Sinne gemein haben, das sind die sinnlichen
Elemente unserer Vorstellungswelt , die Empfindungen. Aber sa
wenig die Molecularbewegungen, in die sich die Empfindungsprocesse
für die physiologische Betrachtung zerlegen, mit den Empfindungen
als psychischen Elementarprocessen irgendwie vergleichbar sind,
ebenso wenig können weiterhin die Verbindungen dieser Bewegungen
über die psychischen Verbindungsprocesse und über den Werth, den
dieselben für das vorstellende Subject haben, oder über die mannig-
fachen psychischen Inhalte Aufschluss gehen, in denen dieser Werth
zum Ausdruck kommt.
Fassen wir hiemach die Motive zusammen, die uns das Princip
des psychophysischen Parallelismus heute als ein unerlässliches Postulat
psychologischer Forschung erscheinen lassen, so können diese schliess-
lich auf ein allgemein logisches, ein naturwissenschaftliches und ein
psychologisches zurückgeführt werden. 1) Logisch fordert jede
Anwendung des Causalprincips , die über die unhaltbare Auffassung
desselben als einer blossen empirischen Associationsform hinaus- und
auf seine logische Wurzel zurückgeht, dass Gleichartiges aus
Gleichartigem abgeleitet werde. Gleichartig sind aber in Folge
Princip der psychischen Actaalität. 259
der jedesmaligen Betrachtungsweise physische und physische oder
auch psychische und psychische, nicht; physische und psychische
Vorgange. 2) Naturwissenschaftlich schliesst das Princip der
geschlossenen Naturcausalität die Forderung ein, dass kein physischer
Vorgang aus einem psychischen und kein psychischer aus einem
physischen abgeleitet werde; jenes Princip verweist also damit
indirect die psychische Gausalerklärung auf ihr eigenes Gebiet.
3) Psychologisch kann eine Interpretation bestimmter psychischer
Erlebnisse auf einem andern als dem psychologischen Wege gar
nicht geliefert werden, weil das was den auszeichnenden Charakter
des Psychischen ausmacht, die besondere Verbindungsweise der Ele-
mente und die eigenthümliche Werthbestimmung der Verbindungen,
nur dem psychischen Gebiet eigenthümlich ist.
c. Das Princip der psychischen Actualität.
In dem Begriff der Actualität der Seele ist diejenige
Eügenschaft der psychischen Causalität bereits enthalten, die ihr
nächstes unterscheidendes Merkmal gegenüber der physischen
Causalität ist. Diese ist überall an ein substantielles Substrat ge-
bunden. Jede Naturerscheinung fordert daher zu ihrer endgültigen
Erklärung die ZurUckführung auf die Wechselwirkungen der Be-
ätandtheile eines solchen beharrenden Substrates; und wie dieses
nur der Gegenstand einer hypothetischen Begriffsbildung sein kann,
30 besitzen auch alle einzelnen Causalerklärungen der Naturwissen-
schaft schliesslich stets einen begrifflichen Charakter. Die psychische
Causalität dagegen verknüpft überall die psychischen Vorgänge so
wie sie unmittelbar in der Wahrnehmung enthalten sind: sie be-
zieht sich nur auf die Ereignisse selbst, und da diese Ereignisse
anschaulich gegeben sind, so ist sie nur eine anschauliche. Be-
griffe können bei ihr immer erst nachträglich zur Anwendung
kommen, um eine Anzahl einzelner Vorgänge in den für sie fest-
gestellten typischen Formen causaler Verknüpfung festzuhalten. Auch
dann beziehen sich aber die zusammenfass^den Allgemeinbegriffe
auf die Vorgänge selbst, niemals, so lange die Betrachtung eine
psychologische bleibt, auf ein von ihnen verschiedenes Substrat.
Darum kommt in dieser actuellen Causalität der Psychologie das
entscheidende logische Motiv des Causalbegriffs reiner zum Ausdruck
als in der substantiellen Causalität der Naturwissenschaft. Denn
jenes Motiv besteht in der Verknüpfung der in der Anschauung
260 Logik der Psychologie.
gegebenen Ereignisse durch das Denken. Erst der objective Stand-
punkt der Naturforschung, der die ursächliche Verknüpfung in ihrer
von der Anschauung des erkennenden Subjects unabhängigen Form
festzustellen sucht, nöthigt zugleich der Naturcausalität eine objective
Grundlage zu geben und so zum Begriff einer substantiellen Ver-
ursachung überzugehen.
Den triftigsten Beweis für die Brauchbarkeit eines Prineips
bildet nun stets die Thatsache, dass es wirklich gebraucht wird,
und dass man es selbst da wider Willen anwendet, wo man ihm
angeblich widerspricht. Von wenig Dingen lässt sich aber dies mit
so grosser Sicherheit behaupten wie von dem Princip der psychischen
Actualität. Wo immer iü der Psychologie selbst oder in andern
Geisteswissenschaften psychologisch interpretirt wird, da sucht man
einzelne psychische Erlebnisse begreiflich zu machen, indem man
sie mit andern psychischen Erlebnissen in Verbindung bringt. Wird
je einmal anders verfahren, so kommen entweder schematische Classi-
ficationen statt wirklicher Causalverknüpfungen zu Stande, wie in
der Wo Iff sehen Vermögenstheorie, oder völlig imaginäre Begriffs-
bildungen, wie in Herbarts Vorstellungsmechanik. Auch da wo die
Psychologie eine Summe psychischer Bedingungen, theils weil sie uner-
schöpflich, theilfl auch weil sie ganz und gar unbekannt sind, in gewisse
Collectivbegriffe zusammenfasst , wie bei der Zulassung erworbener
oder angeborener seelischer Anlagen als eines f[ir das einzelne
Geschehen massgebenden Factors, da ist der Gedanke, diese Anlagen
psychologisch aus irgend welchen substantiellen Grundlagen abzu-
leiten, unvollziehbar, und er führt thatsächlich immer darauf hinaus,
dass man bleibende physische Substanzänderungen annimmt. In
der That ist es ja wahrscheinlich genug, dass, gemäss dem Princip
des psychophysischen Parallelismus, in dem lebenden Organismus
durch die den psychischen Elementarvorgängen entsprechenden phy-
sischen Processe bleibende Nachwirkungen entstehen, — nur dass
freilich solche Nachwirkungen keine psychischen Elemente sind und
daher auch zu einer psychologischen Erklärung nichts beitragen
können. Wohl aber ^hen wir diese überall, wo sie etwa über die
psychische Seite solcher Anlagen Rechenschaft gibt, diese wieder
auf irgend welche psychische Erlebnisse zurückführen; und sie muss
dabei das Princip der Actualität auch insofern anwenden, als die
psychischen Anlagen selbst wieder fliessende Eigenschaften sind, die
sich unter der Einwirkung neuer psychischer Ursachen fortwährend
verändern. Wenn endlich gegen diese Betrachtung geltend gemacht
Prindp der psychischen Actualit&t. 261
wird, alle Erlebnisse eines individuellen Bewusstseins stünden in
einem Zusammenhang, der auf eine substantielle Verbindung ausser-
halb der Erlebnisse selbst hinweise, so ist dem entgegenzuhalten,
dass dieser Einwand nur dann eine Berechtigung hätte, wenn auch
jener Zusammenhang ein ausserhalb der Erlebnisse selbst stehender
wäre. Dem ist aber nicht so. Im Oegentheil, wir werden uns der
Verbindung der psychischen Erlebnisse nur inne durch die Erleb-
nisse selber. Die Einheit des Bewusstseins ist ebenso wenig ein
ausserhalb aller einzelnen unmittelbar und anschaulich gegebenen
Verbindungen gelegener Mittelpunkt, wie das Bewusstsein etwas
anderes ist als die Summe dessen was wir erleben.
Auf diese Weise ist das Princip der Actualität auf das engste
an die Forderung gebunden, dass die Psychologie die psychischen
Vorgänge. so aufzufassen habe wie sie sind, und dass daher
auch die causale Verknüpfung dieser Vorgänge lediglich ihnen selbst
zu entnehmen sei. Eine Ausnahme von dieser Regel wäre ja nur
dann gerechtfertigt, wenn es sich, analog wie im Gebiet der Natur-
erklärung, auch bei den psychischen Thatsachen herausstellen sollte,
dass jener Weg der Interpretation aus sich selbst auf Widersprüche
f&hrte, die zu ihrer Beseitigung ergänzende Begriffsbildungen irgend
welcher Art erforderten. Dass dies nicht der Fall ist, geht aber
ebensowohl aus der wirklichen Beschaffenheit aller psychologischen
Interpretation, namentlich auch innerhalb der einzelnen Oeisteswissen-
schaften, wie aus dem logischen Verhältniss beider Erfahrungsformen
zu einander hervor. (Vgl. oben S. 254.) Dieses Verhältniss fordert
ebenso unvermeidlich im Gebiet der Naturerklärung ergänzende Hülfs-
begriffe, wie es auf psychischem Gebiet solche ausschliesst.
Im Hinblick auf diesen Gegensatz, der zugleich ein Verhältniss
wechselseitiger Ergänzung ist, lassen sich nun die Eigenthümlich-
keiten, welche die begriffliche Verarbeitung der psychischen Er-
fahrungsinhalte darbietet, mit dem Princip der Actualität in die un-
mittelbarste Verbindung bringen; und zugleich lässt sich unschwer
darthun, dass die geläufigsten Fehler psychologischer Begriffsbildung
auf nichts anderem als auf einer falschen üebertragung der natur-
wissenschaftlichen Betrachtungsweise auf die Psychologie beruhen.
In der That gehen diese Vermengungen dem psychologischen Sub-
stanzhegriff vollständig parallel, der ja, wie oben bemerkt, ebenfalls
eine falsche Üebertragung des materiellen Substanzbegriffs auf ein
ihin inadäquates Gebiet ist. Nachdem die rohe Classification der
psychischen Vorgänge und die Zurückführung der so gewonnenen
262 Logik der Psychologie.
Glassenbegriffe auf verschiedene ursprüngliche Eigenschaften der
Seele, wie sie die Vermögenstheorie ausgeführt hatte, zurückgetreten
war, hat die neuere Psychologie im allgemeinen noch an der Unter-
scheidung von drei fundamentalen Formen psychischer Vorgänge
festgehalten. £s sind dies die schon von Plato unterschiedenen
Formen des Vorstellens, Fühlens und Strebens, die im
wesentlichen auch von der Vermögenspsychologie als die Haupt-
stufen ihrer Begriffsleiter betrachtet worden sind. Dass man dabei
gelegentlich zwei dieser Grundformen, nämlich das Fühlen und
Streben, auf eine einzige reducirte, ändert an der Oesammtauffassung
nichts. Jene verschiedenen Formen wurden dann aber ebenso als
unabhängig von einander existirende Arten des seelischen Verhaltens
gedeutet, wie etwa nach der Newton'schen Naturphilosophie die
ündurchdringlichkeit und die wechselseitige Anziehung materieller
Massen Grundeigenschaften der Materie sind, die unabhängig von
einander gedacht werden können. In der That hängt die Voraus-
setzung einer unabhängigen Existenz verschiedener psychischer
Fundamentalvorgänge auf das engste mit der Substanzhypothese zu-
sammen. Nichts steht ja im Wege, einer Substanz mehrere un-
abhängige Eigenschaften zuzuschreiben, und wo etwa das Streben
nach Einfachheit zum Versuch einer Reduction auf eine einzige
Orundeigenschaft führt, da wird dies stets so geschehen, dass man
aus ihr die andern Eigenschaften mittelst irgend welcher Hypo-
thesen ableitet. Hier bildet daher die von der intellectualistischen
Psychologie in den verschiedensten Formen unternommene Reduction
der psychischen Inhalte auf Vorstellungen ein vollkommenes
Seitenstück zu den seit Descartes immer wiederkehrenden hypo-
thetischen Versuchen der Naturphilosophie, aus einer Grundeigen*
Schaft der Materie alle andern, z. B. aus den Bewegungen eines
continuirlichen Mediums die Femewirkungen, abzuleiten. Aber v^as
der Naturwissenschaft erlaubt , das ist in diesem Fall der Psycho-
logie versagt. Da ihre Aufgabe nicht in der widerspruchslosen be-
grifflichen Gonstruction der objectiven Wirklichkeit, sondern in der
Analyse und Verknüpfung der unmittelbar in der subjectiven Wahr-
nehmung gegebenen Thatsachen besteht, so muss bei ihr der Ver-
such einer solchen Reduction unvermeidlich entweder zur gewalt-
samen Unterdrückung wesentlicher Bestandtheile der wirklichen
Erlebnisse oder zu Hypothesenbildungen von völlig imaginärem
Werthe führen.
Ganz anders verhält sich die Sache unter dem Gesichtspunkte
Princip der psychischen Aciualitäi. 263
des Princips der Actualität. Von yerschiedenen Eigenschaften der
Seele zu reden, die sich nach verschiedenen Richtungen hin und
unabhängig von einander bethätigen könnten, hat hier gar keinen
Sinn. Gegeben ist uns schlechthin nur die Wirklichkeit der psychi*
sehen Vorgänge. Wenn unser abstrahirendes Denken einzelne Be-
standtheile dieser Wirklichkeit heraushebt und sie als Empfindungen,
Vorstellungen, Gefühle, Willensregungen unter gewisse Classen-
begriffe bringt, so kann daraus nimmermehr gefolgert werden, dass
solche Bestandtheile nun auch unabhängig von einander, losgelöst
Ton dem ganzen Zusammenhang des Wirklichen dem sie angehören,
Torkommen könnten. Denn in Wahrheit existirt nur die ganze
Wirklichkeit des psychischen Erlebnisses, und sie existirt unmittelbar
so wie sie ist. Von welchen Gesichtspunkten aus wir auch in unseren
Begriffen diese Wirklichkeit zerlegen mögen, die Elemente die wir
erhalten sind und bleiben Producte unserer Abstraction; sie sind
darum weil wir sie isoliren nicht auch isolirt vorkommende TheUe
der Wirklichkeit. So wenig die Lichtempfindung etwas von der
Vorstellung des gesehenen Gegenstandes Getrenntes ist, gerade so
wenig ist der Gefühls- oder Willensvorgang, der sich mit dieser
Vorstellung verbindet, ein in Wirklichkeit von ihr verschiedener
Vorgang; und jeder Versuch irgend einen dieser Bestandtheile aus
dem wirklichen Erlebniss hinwegzunehmen zerstört unvermeidlich das
ganze Erlebniss. Aber man ist immer wieder geneigt diese unmittel-
bare Actualität des psychischen Geschehens zu übersehen, indem man
den Standpunkt der objectiven Naturbetrachtung mit dem der sub-
jectiven Erfahrung vermengt. Die objective Naturbetrachtung löst
das Vorstellungsobject aus dem psychischen Gesammterlebnisse ab,
weil es Merkmale darbietet, nach denen es unmittelbar als ein von
dem Subject, also von der Gesammtheit der sonstigen Bestand-
theile des psychischen Erlebnisses unabhängiges Object anzusehen
ist. Diese objective Bedeutung des Gegenstandes wird zunächst auf
die Vorstellung als subjectives Erlebniss übertragen, die nun ein
ebensolches festes und von den übrigen psychischen Inhalten trenn-
bares Gebilde sein soll, und diese an der Vorstellung vollzogene
Trennung ergreift dann auch die übrigen Seiten des psychischen
Vorgangs, die auf diese Weise nicht nur von der Vorstellung sondern
auch von einander isolirt werden. Aber eine Vorstellung ist kein
Object Dieses ist relativ beharrend, jene ist ein fliessender Vor-
gang. Die Wirklichkeit des Objects besteht darin, dass es losgelöst
gedacht werden kann von den psychischen Erlebnissen des Vor-
264 Logik der Psychologie.
stellenden, weil es sich einer ganzen Reihe auf einander folgender
Vorgänge gegenüber als ein von diesen unabhängiger Gegenstand
behauptet; die Vorstellung dagegen hat nur Wirklichkeit als ein-
zelner fliessender Vorgang, der mit andern Elementen, die einer
solchen Objectivirung widerstehen, untrennbar verbunden ist.
Nun kann freilich auch die psychologische Betrachtung yon
jener Aussonderung des Vorstellungsobjectes aus der Gesammtheit
der seelischen Inhalte nicht ganz Umgang nehmen. Gehört doch
diese Sonderung insofern mit zu den psychischen Erlebnissen, als
sie auf allen den psychischen Processen beruht, die eine räumliche
Objectivirung der Vorstellungen herbeiführen. Aber niemals kann
dadurch die Vorstellung als solche von den übrigen psychischen In-
halten getrennt werden, sondern immer kann nur die Thatsache^
dass dem Vorstellungsbestandtheil der psychischen Erlebnisse ein
selbständiges Gorrelat in der Aussenwelt gegeben wird und nach
psychologischen Gesetzen gegeben werden muss, darauf hinweisen^
dass das psychische Leben fortwährend unter Bedingungen steht,
die nicht bloss in ihm selbst, sondern die ausserdem in einer von
ihm unabhängigen Wirklichkeit entspringen. Dieser unmittelbar auf
die Objectivirung der Vorstellungen gegründete Schluss findet dann
weiterhin seine Bestätigung darin, dass ebenso unmittelbar wie die
Vorstellung auf ein Object bezogen, so auch der mit ihr verbundene
sonstige Inhalt der psychischen Erlebnisse als ein subjectiver auf-
gefasst wird. Aber damit wird der psychische Vorgang selbst nicht
im mindesten in zwei in Wirklichkeit isolirbare Theile zerfällt; viel-
mehr findet darin nur die allgemeine Thatsache ihren Ausdruck^
dass jedes psychische Erlebniss eine doppelte Seite
hat. Die eine dieser Seiten nennen wir, weil sie mit der Objectivi-
rung psychischer Inhalte zusammenhängt, die objective, die andere
die subjective. Beide Seiten sind in der That an jedem einzelnen
Geschehen zu finden: es gibt ebenso wenig eine Vorstellung ohne
Beziehung auf das vorstellende Subject, wie es Gefühle und Willens-
regungen ohne Vorstellungen gibt. Darum ist es völlig willkürlich
und im Widerspruch mit allem was uns die Selbstbeobachtung über
die thatsächliche Entwicklung der psychischen Vorgänge lehrt, wenn
man jene Unterscheidung auf der subjectiven Seite noch weiter
glaubt fortsetzen zu können und etwa die Gefühle als specifische
Processe dem Begehren und Wollen oder gar die beiden letzteren
wieder einander gegenüberstellt. Weder sind diese Erlebnisse jemals
thatsächlich von einander zu sondern, noch gestattet der innere Zu-
Princip der psychischen Actualität. 265
sammenhang in dem sie stehen eine Trennung. Vielmehr ist in
dem Gefühl ebenso gut das Wollen präformirt, wie im Willensact
Gefühle als wesentliche Bestandtheile vorkommen ; und noch weniger
lassen natürlich Streben, Trieb und ähnliche Begriffe eine andere
Deutung als die theüs unvollständig ablaufender theils relativ ein-
facher Formen der Willensvorgänge zu*).
Mit der doppelseitigen Natur der psychischen Erlebnisse stehen
nun diejenigen Eigenthümlichkeiten der subjectiven Erfahrung in
naher Verbindung, die dem Zusammenhang und Verlauf der psychi-
schen Vorgänge vorzugsweise ihr eigenthümliches Gepräge geben.
Von jenen beiden Seiten, die das psychische Erlebniss unserer Be-
trachtung darbietet, der Vorstellungs- und der Gefühls- oder Willens-
seite, ist nämlich zunächst die zweite durch zwei wichtige Eigen-
schaften ausgezeichnet: erstens ist in einem gegebenen Moment nur
ein einheitlicher subjectiver Vorgang dieser Art möglich; und zwei-
tens bilden die verschiedenen auf einander folgenden Vorgänge
stetige Zusammenhänge. Die erste dieser Eigenschaften, die wir
die Einheit der Gefühlslage nennen können, spricht sich in
der Erfahrung aus, dass wo etwa in einem individuellen Bewusstsein
mehrere Gefühls- oder Willensimpulse vorhanden sind, diese zu einer
einheitlichen Gemüthslage, einem Totalgefühl oder einer resultiren-
den Willenshandlung, verbunden werden. Die zweite Eigenschaft,
die wir die Stetigkeit der Willensvorgänge nennen wollen,
findet darin ihren Ausdruck, dass die in einem gegebenen Moment
Torhandene Gemüthslage unmittelbar mit den vorangegangenen Ge-
fühls- und Willensvorgängen verbunden wird. Nun ist eine solche
Verbindung offenbar nur dann möglich, wenn alle diese Vorgänge
trotz der ungeheuren Mannigfaltigkeit der Gefühle qualitativ über-
einstimmende Elemente enthalten, die eine Beziehung der nachfol-
geDden auf die vorangegangenen Processe unmittelbar herausfordern.
Solch übereinstimmende Elemente können sowohl in den Gefühlen
wie in den begleitenden Empfindungen vorkommen. Aber während
die übrigen Bestandtheile eines vollständigen Willensvorgangs immer
nur für einzelne Fälle gemeinsam sind, erscheint das den vollendeten
VoUzttg des WiUensactes bezeichnende Gefühl der Thätigkeit als
ein Element, das bei aller Verschiedenheit der Inhalte, auf die es
sich beziehen kann, immer wieder als das nämliche aufgefasst wird.
*) Vgl. hierzu Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele, 2. Aufl.,
. 238 ff. Essays. S. 199 ff.
266 Logik der Psychologie.
Zugleich ist aber dieses GefUhl von regelmässigen Veränderungen
der Vorstellungsinhalte begleitet, die deshalb unmittelbar ab die
Wirkungen des mit dem ThätigkeitsgefÜhl verbundenen Willens-
vorgangs erscheinen. Diesen ganzen Zusammenhang in einem ein-
heitlichen Begri£f zu fixiren, ist ein unabweisliches psychologisches
Bedürfniss: wir bezeichnen ihn darum, im Anschlüsse an den in
einigen wesentlichen Punkten mit ihm übereinstimmenden Begriff
der Leibniz'schen Philosophie, als Apperception. Die Appercep-
tion ist als innerer Willensact die Vorbedingung jeder äusseren
Willenshandlung; und insofern jene Veränderungen im Vorstellungs-
inhalte, die wir als die Zunahme der Klarheit und Deutlichkeit be-
stimmter Theile dieses Inhalts beschreiben , mit dem Qrad des
ThätigkeitsgefÜhls in regelmässiger Beziehung stehen, prägt sich in
dieser Beziehung zugleich die unmittelbare Einheit der objectiven
und der subjectiven psychischen Wahrnehmungsinhalte aus. Der
Zusammenhang aller einzelnen Apperceptionsacte unter einander
wird so durch jenes bei aller Mannigfaltigkeit der sonstigen Qeftlhls-
und Vorstellungsinhalte qualitativ übereinstimmende ThätigkeitsgefÜhl
vermittelt, von dem aus sich dann dieser Einheitsbegriff auf alle andern
psychischen Inhalte überträgt. Diese secundäre, erst durch die all-
seitigen Beziehungen der Apperception entstandene Verbindung der
sämmtlichen psychischen Inhalte unter einander ist die Einheit
des Bewusstseins. Sie ist demnach die Folge und nicht etwa
der Qrund der auf dem inneren Zusammenhang der Willensvorgänge
beruhenden Einheit der Apperception. Denn die Vorstellungs-
processe, losgelöst gedacht von den sie verbindenden Gefühls- und
Willenselementen, bilden eine Vielheit mannigfacher Erscheinungen,
zwischen denen höchstens gelegentlich und zufällig einmal Be-
ziehungen der üebereinstimmung vorkommen, Beziehungen die aber
bei ihrer Unregelmässigkeit niemals im Stande sein würden die
thatsächlich bestehende Einheit unserer inneren Erlebnisse begreif-
lich zu machen. Dagegen resultiren aus dieser Vielheit und Zu-
fälligkeit der Vorstellungsinhalte und aus dem Einfluss, den sie
nothwendig auch auf die Gefühls- und Willensseite der Vorgänge
ausüben, wichtige Unterschiede in dem Ablauf der letzteren, die
auch in den ihre Verbindung vermittelnden Gefühlen sich spiegeln.
Zwar ist es, so viel die Selbstbeobachtung wahrnehmen lässt, das
nämliche ThätigkeitsgefÜhl, das die Apperception eines zufalligen
äusseren Eindrucks, und das eine aus inneren Motiven erfolgende
Entscheidung begleitet. Aber die jenem Endgefühl vorausgehenden
Priucip der schöpferiBchen Synthese. 267
OefÜhLsvorgäDge sind in beiden Fällen wesentlich verschiedene: dort
bestehen sie in einem gegensätzlichen Gefühl des Erleidens, des
passiven üeberwältigtwerdens durch den Eindruck; hier sind sie dem
Endgefühl ähnlich, nur minder ausgeprägt und nicht selten mit Ge-
fählen des Zwiespalts und Zweifels verschmolzen. Ist der Eindruck
ein völlig unerwarteter, so überwiegt jenes Gefühl des Erleidens so
sehr, dass meist erst nach längerer Zeit, nicht selten nachdem der
Eindruck selbst schon vorüber ist und nur sein Erinnerungsbild noch
nachwirkt, ^as Gefühl der Thätigkeit erwacht. So spielen bei allen
Apperceptionsprocessen beide Gefühle eine überaus wichtige Rolle.
In Folge ihrer gegensätzlichen Natur sind sie für die subjective
Charakteristik gewisser in der Regel noch nach andern Merkmalen
wohl unterscheidbarer psychischer Processe, wie der passiven und
der activen Apperception, der Trieb- und der Willkürhandlung, der
associativen und der apperceptiven Vorstellungsverbindungen, bedeut-
sam. Dennoch wäre es irrig, wollte man deshalb die Processe selbst,
bei denen jene Gefühle immer nur als Bestandtheile neben zahl-
reichen andern vorkommen, als gegensätzliche auffassen. Das kann
um so weniger geschehen, als in den meisten Fällen bei jedem
irgend zusammengesetzteren Process beide Gefühle auftreten, wobei
es dann zumeist nur die Art ihres Wechsels und das Vorherrschen
einer bestimmten Gefühlsform ist, welche neben den sonstigen Eigen-
schaften den Unterschied begründet. Darum sind zwischen jenen
verschiedenen Processen in der Wirklichkeit nicht immer scharfe
QfTenzen zu ziehen. Theils können die Unterschiede wenig ausge-
prägt, theils auch die complexen Vorgänge selbst wieder aus ver-
schiedenen Theilen gemischt sein. So sind passive und active Apper-
ception, Trieb- und Willkürhandlung im einzelnen Fall nur in ihren
ausgeprägteren Formen sicher zu trennen, und in die apperceptiven
Gedankenverbindungen greifen fortwährend Associationen ein.
d. Das Princip der schöpferischen Synthese.
In der Einheit der Apperception und in der aus ihr ent-
springenden Einheit des Bewusstseins kommt ein Princip der Ver-
bindung psychischer Elemente zum Ausdruck, das, ebenso wie auf
den Gesammtinhalt der seelischen Vorgänge, so auch auf jeden
einzelnen relativ selbständigen Bestandtheil dieser Vorgänge Anwen-
dong findet. Nennen wir ein solches, in der Wirklichkeit immer
init andern psychischen Inhalten zusammenhängendes, aber vermöge
268 Logik der Psychologie.
irgend welcher Merkmale zu sonderndes Qanze ein psychisches
Gebilde, so kann darunter natürlich niemals ein ruhendes Sein,
sondern nur irgend ein Vorgang verstanden werden, den wir uns
entweder in einem gegebenen Momente fixirt oder auch zwischen
bestimmten zeitlichen Grenzen eingeschlossen denken. In diesem
Sinne nennen wir z. B. die Vorstellung eines Körpers oder eine
Reihe zu einem rhythmischen Ganzen verbundener Schallempfindungen
oder irgend einen subjectiven GemQihszustand, wie das Gef&hl des
Zweifels, den Affect des Zorns, psychische Gebilde. Unserer Will-
kür in der Aussonderung solcher Inhalte aus der Gesammtheit
psychischer Vorgänge sind nun in doppelter Beziehung Schranken
gesetzt: erstens muss ein psychisches Gebilde stets einer in der un-
mittelbaren Wahrnehmung vorgebildeten Sonderung entsprechen,
und zweitens muss es stets eine zusammengesetzte Einheit sein.
Die abstracten Elemente, bei denen, als nicht weiter zerlegbaren
BestandtheileU; die psychologische Analyse stehen bleibt, die reinen
Empfindungen, die einfachen Gefühle, können also selbst nie
als psychische Gebilde gelten. Wie die Geometrie aus einfacheren
Raumgebilden verwickeitere zusammensetzt, ebenso kann aber natür-
lich die Psychologie irgend ein psychisches Gebilde unter einem
andern Gesichtspunkte als den Bestandtheil eines zusammengesetzteren
betrachten. Femer bringt es die doppelseitige Natur der psychischen
Vorgänge mit sich, dass sowohl einzelne Vorstellungsprocesse wie
irgendwie in sich abgeschlossene Gefühls- und Willensvorgänge wie
endlich aus beiderlei Elementen bestehende complexe Vorgänge als
psychische Gebilde behandelt werden können. Doch kommt hier
den Vorstellungsgebilden die durch die Objectivirung erleichterte
Abstraction von den subjectiven Elementen zu statten, während die
subjectiven Inhalte immer nur in relativem Sinne verselbständigt
werden können, da bei ihnen von der Beziehung zu objectiven Be-
standtheilen nie ganz zu abstrahiren ist.
Nun können überall, wo ein Ganzes aus der Verbindung von
Elementen hervorgeht, die Gesetze solcher Verbindung nur durch
die Vergleichung der isolirt betrachteten Elemente mit den aus ihrer
Verbindung resultirenden Producten gewonnen werden. Wendet man
diesen Gesichtspunkt auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich,
dass die psychischen Gebilde zu den Elementen, aus denen sie zu-
sammengesetzt sind, in bestimmten causalen Beziehungen stehen, dass
sie aber stets zugleich neue Eigenschaften besitzen, die in den ein-
zelnen Elementen nicht enthalten sind. In diesem Sinne sind daher
Princip der schöpferiBchen Synthese. 269
alle psychischen Gebilde Erzeugnisse einer schöpferischen Syn-
these. Indem sie aber ausserdem regelmässige Beziehungen zu ihren
Componenten erkennen lassen, in Folge deren aus dem Zusammen-
wirken dieser Componenten die Entstehung der Gebilde und ihrer
neuen Eigenschaften begreiflich wird, ist die schöpferische Synthese
nicht weniger eine gesetzmässige wie die Bildung complezer
Xatorerzeugnisse. Ihr Unterschied von den letzteren besteht jedoch
darin, dass bei diesen die Eigenschaften der Resultanten immer be-
reits vollständig in den Eigenschaften ihrer Componenten enthalten
sind, 80 dass jene aus diesen, falls sie uns nur zureichend bekannt
sind, Yorausbestimmt werden können. Die Mechanik und die nach
ihrem Vorbilde ausgearbeiteten Theile der mathematischen Physik
stehen in dieser Beziehung im vollsten Gegensatze zur Psychologie.
Sind die Componenten einer Bewegung bekannt, so lässt sich die
Resultante berechnen, auch wenn jene niemals zuvor in dieser be-
stimmten Weise verbunden waren, und die Resultante ist nie etwas
anderes als abermals eine Bewegung, die in ihren Eigenschaften den
allgemeinen Definitionen der Bewegung entspricht. Bei den ver-
wickeiteren Naturerscheinungen, z. B. bei einer chemischen Syn-
these oder bei der Entwicklung einer organischen Form, ist aller-
dings eine derartige Ableitung mit unseren heutigen Hülfsmitteln
nicht in ähnlicher Weise auszuführen. Niemand vermag noch die
Eigenschaften des Wassers aus denen des Wasser- und Sauerstoffs,
oder die Theilungsproducte einer Zelle und ihre Aneinanderlagerung
als noth wendige Resultanten aus den denZellbestandtheilen inhärirenden
Kräften und gewissen äusseren Einwirkungen a priori abzuleiten.
In der That bietet daher die psychische Synthese mit solchen Bei-
spielen chemischer und namentlich organischer Synthesen die nächste
äussere Analogie dar. Aber dass gleichwohl diese Analogie eine
äussere bleibt, selbst wenn wir voraussetzen sollten, dass eine voll-
ständige mechanische Erklärung mancher dieser Naturerscheinungen
niemals möglich sein werde, erhellt sofort, wenn wir den Stand-
punkt, den auch hier die Naturerklärung einnimmt, mit dem Stand-
punkt der Interpretation synthetischer Erzeugnisse auf psychischem
Qebiet vergleichen. Die Chemie wie die Physiologie gehen fort-
während darauf aus Voraussetzungen zu gewinnen, mittelst deren
sie die complexen Producte chemischer und organischer Synthesen
voUsiändig und ohne Rest aus den Elementen und ihren Eigen-
schaften ableiten können. Denn der Standpunkt der Naturbetrach-
tung bringt es mit sich, dass man überall die zusammengesetzten
270 Logik der Psychologie.
Erzeugnisse als Aggregate von Elementen ansieht, die durch die
ihnen inhärirenden Eigenschaften die Eigenschaften jener Erzeug-
nisse vollständig bestimmen. So gut wie ein Erjstall fbr den
Naturforscher nichts anderes sein kann als die Summe der ihn zu-
sammensetzenden Molecüle sammt den ihnen eigenen äusseren
Wechselwirkungen, gerade so kann auch eine chemische Verbindung
oder eine organische Form für ihn nichts anderes sein als das in
den Elementen vollständig vorgebildete Product dieser Elemente.
Wo er das Ganze hieraus noch nicht abzuleiten vermag, da ist ihm
dies bloss eine Folge unzureichender causaler Analyse der Erschei-
nungen, und er sucht daher diese im Sinne jener allgemeinen, in
voller Strenge freilich nur in der abstracten Mechanik zu verwirk-
lichenden Voraussetzung weiterzuführen.
Nun könnte man allerdings behaupten — und von einer ober-
flächlichen, von falschen naturwissenschaftlichen Analogien geleiteten
Betrachtungsweise aus ist dies oft genug geschehen — auf psychi-
schem Gebiet verhalte sich das durchaus nicht anders, auch hier
würde möglicher Weise das Product einer Verbindung vollständig
aus seinen Factoren zu deduciren sein, wenn man nur weit genug
in der Erkenntniss der wirklichen Processe fortgeschritten wäre.
Aber dabei verkennt man die wesentliche Verschiedenheit der natur-
wissenschaftlichen und der psychologischen Betrachtung. Jene sucht
alle Erscheinungen auf die äusseren Relationen der letzten Elemente,
die sie als Substrat der Erscheinungen voraussetzt, zurückzuführen.
Sie kann diesen Standpunkt nicht aufgeben, ohne zugleich den
Principien untreu zu werden, auf denen alle Naturerklärung beruht.
Selbst solchen Erscheinungen gegenüber, bei denen, wie bei den
organischen Entwicklungs Vorgängen, jene ZurUckfUhrung jetzt und
vielleicht noch für unbegrenzte Zeit unmöglich ist, muss sie ihn als
Forderung festhalten. Höchstens kann sie in den Fällen, wo die
Erscheinungen psychophysischer Natur sind, also auf organischem
Gebiet, zeitweilig die psychologische Betrachtung ergänzend herbei-
ziehen. In diesem Sinne kann daher wohl gesagt werden, dass die
schöpferische Natur der psychischen Synthese nicht nur eine äussere
Analogie mit der Verbindung der Theile eines organischen Ganzen
zu einer neuen Einheit mit vollkommeneren Eigenschaften hat, son-
dern dass wir auch, sobald wir das organische Ganze in dieser Weise
betrachten, eigentlich nicht mehr den naturwissenschaftlichen sondern
den psychologischen Gesichtspunkt anwenden. Denn das Eigenthümliche
des letzteren besteht eben darin, dass er die Thatsachen, die seiner
Princip der schöpferischen Synthese. 271
Beuriheilung unterstellt sind, in ihrer unmittelbaren Wirklichkeit
und in den Verbindungen und Wechselwirkungen, die sie in dieser
darbieten, untersucht. Auch die Elemente, in die die Verbindungen
zerlegt werden, müssen daher den Charkter unmittelbarer Wirklich-
keit bewahren: sie können abstract sein, insofern man sie von andern
Elementen, mit denen sie verbunden sind, gesondert denkt; sie
können aber nie hypothetisch oder bloss begrifflich sein, weil sie
eben damit aufhören würden der unmittelbaren Wirklichkeit anzu-
gehören. Wo etwa in der psychologischen Causalerklärung Elemente
Torkommen, über deren Anwendbarkeit zur Erklärung complexer Er-
scheinungen widerstreitende Meinungen herrschen, da sind diese
Elemente zweifelhaft, weil ihre wirkliche Existenz in der un-
mittelbaren Empfindung nicht hinreichend gesichert ist; sie sind
aber nicht in dem Sinne hypothetisch, wie etwa die Atome oder
die Aetherschwingungen hypothetisch sind"*"). Geht so die Aufgabe
der psychologischen Untersuchung stets auf die Nachweisung der
anmittelbar in der inneren Wahrnehmung gegebenen Thatsachen
und ihrer wechselseitigen Beziehungen, so ist damit auch von vorn-
herein ausgeschlossen, dass sich diese Aufgabe auf die Feststellung
der äusseren Relationen dieser Thatsachen oder der Elemente, aus
denen sie bestehen, beschränken sollte. Vielmehr wird von vorn-
herein als deren wichtigster Theil die Auffindung der inneren Be-
ziehangen der complexen Erzeugnisse zu ihren Elementen und dieser
selbst zu einander anzusehen sein. Wie aber diese Beziehungen
beschaffen sind, darüber kann wieder nur die unmittelbare Wahr-
nehmung und die auf Grund derselben ausgeführte Vergleichung
der Verbindungen mit den Bestandtheilen, aus denen sie zusammen-
gesetzt sind, Aufschluss geben.
Hier nun erweist sich das Princip der schöpferischen Synthese
als ein Grundsatz, dem sich alle psychischen Gebilde von den Sinnes-
wahmehmungen und sinnlichen Gefühlen an bis zu den höchsten
intellectuellen Processen und den aus einer Verkettung mannigfacher
Geßihle und Vorstellungen entstehenden Affecten und Willenshand-
*) Bekannte Beispiele solch zweifelhafter Elemente sind die in der Theorie
der Sinneswahmehmungen eine Rolle spielenden Muskelempfindungen, die Local-
zeichen und ähnliches mehr. Auch die Localzeichen haben offenbar nur dann ein
Recht auf Existenz , wenn sie etwas in der Empfindung gegebenes sind , und
jede Ausführung der so genannten Localzeichentheorie sucht sie in diesem Sinne
20 definiren; jede muss darum auch darauf ausgehen, wo möglich ihre wirk-
liche Existenz als Empfindungen nachzuweisen.
272 Logik der Psychologie.
lungen unterordnen. Eine Vorstellung ist niemals bloss die Sunune
der Empfindungen, in die sie sich zerlegen lässt; sondern das was
der Vorstellung ihre Bedeutung gibt ist erst ein aus der Synthese
der Empfindungen resultirendes Erzeugniss. Aus einer Summe Ton
Tönen würde sich der Eindruck der Klangqualitat, des harmonischen
oder disharmonischen Zusammenklangs niemals a priori ableiten
lassen. Die flächenhafte oder körperliche Gestalt eines Objectes,
die Harmonie oder Disharmonie eines Accords sind gerade so gut
specifische Erlebnisse, wie die einzelne Farbe, der einzelne Ton
solche sind. Dabei stehen aber die aus der Synthese der Empfin-
dungen entstandenen psychischen Gebilde in bestimmten gesetz-
mässigen Beziehungen zu ihren Empfindungselementen, so dass wir
jene, wenn sie erst gegeben sind, auch zu diesen in eine yerstand-
liche Beziehung bringen und die Veränderungen des Productes auf
bestimmte Veränderungen der Empfindungsbestandtheile zurückführen
können. Nicht minder erweisen sich jene Gesammtvorstellungen,
auf die alle Phantasie- und Verstandesthätigkeit zurückführt, als
verwickelte Formen psychischer Synthese, in denen sich neue Ein-
drücke mit früheren, nicht selten weit zerstreuten Erlebnissen unter
dem Einfluss vorherrschender Gefühls- und Willensrichtungen zu
einheitlichen Gebilden verbinden. Hier ist der Ausdruck, den wir
in gewissen Fällen diesen intellectuellen Gebilden mit den Mitteln
der Sprache geben, die schlagendste Widerlegung jener atomisti-
schen Auffassung des Seelenlebens, die in diesem nichts erblickt als
ein Aggregat von Associationen zufällig erworbener Vorstellungen.
So wenig der logische Sinn eines durch die Sprache ausgedrückten
Gedankens damit erschöpft ist, dass man mit jedem einzelnen Wort
die zugehörige Vorstellung zu verbinden weiss, gerade so wenig
lassen sich die intellectuellen Vorgänge selbst als blosse Aggregate
einzelner Empfindungen und Vorstellungen begreifen. Was diesen
Vorgängen erst ihre Bedeutung gibt, das entsteht vielmehr hier wie
dort aus den Bestandtheilen, ohne dass es doch in ihnen enthalten
ist. Wem aber einmal an diesen vollkommensten Erzeugnissen
psychischer Synthese überhaupt das Verständniss für die Entstehungs-
weise psychischer Gebilde aufging, der kann sich auch der Einsicht
nicht mehr verschliessen , dass es nur einfachere Gestaltungen der
nämlichen Verbindungsgesetze sind, die uns schon bei der Bildung
jeder einzelnen Sinnesvorstellung begegnen'*').
*) Vgl. hierza die weitere Ausfahrong an einzelnen Beispielen in dem
Aufsätze über psychische Causalitö.t, Phil. Stud. X, S. 122 ff.
Princip der schöpferischen Synthese. 273
Seinen charakteristischen Ausdruck findet unser Princip inner*
halb der Oefühls- und Willensseite des seelischen Lebens in den
Werthbeatimmungen, die, wie sie in diesem Gebiet ihren all-
gemeinen Ursprung haben, so auch in jedem einzelnen Fall fbr die
Unterschiede der verschiedenen Stufen dieser Vorgänge ausgeprägte
Merkmale abgeben. Bei den Gefühlen ist die Werthbestimmung
unmittelbarer Inhalt der psychischen Gebilde selbst. Sie ist ab-
hängig sowohl von dem Grad wie von der Qualität des Gefühls.
Bei den einfacheren Gefühlen lässt sich über die Motive dieser
Werthbestimmung auf intellectuellem Wege keine Rechenschaft
geben ; wo dies, wie in gewissen intellectualistischen Theorien, den-
noch geschieht, da wird erst künstlich auf Grund secundärer Ueber-
legungen jenes Moment in sie hineingetragen. Wo dagegen Phan-
tasie- und Verstandesvorgänge die Grundlage der Gefühle bilden,
da ist eine intellectuelle Motivirung, bei der man freilich nie ver-
gessen darf, dass sie weder mit dem Gefühl identisch noch jemals
für das fühlende Subject ein Aequivalent für dasselbe sein kann,
nicht bloss erlaubt, sondern jene Vorgänge fordern selbst zu einer
solchen heraus. Indem diese über die Gründe der Werthbestimmung
Rechenschaft gibt, also den unmittelbaren GefÜhlswerth in ein
Werthurtheil umwandelt, wird aber zugleich eine Vergleichung
möglich, bei der die einzelnen complexen Gefühle nebst den mit
ihnen verbundenen intellectuellen Processen ihrem Werthgrade
nach bestimmt werden. Bei den Willenshandlungen und allen den
psychischen Vorgängen, die unter Vermittlung des Wollens Wir-
kungen äussern, die über das individuelle Bewusstsein hinausreichen,
vervielfältigt sich dann dieser Process der Werthbestimmung, indem
die individuelle That zugleich zum Gegenstand objectiver Werth-
urtheile wird. Da nun die Gefühls- und Willensvorgänge einen
untrennbaren Bestandtheil aller seelischen Erlebnisse bilden, so
besitzen diese subjectiven und objectiven Werthbestimmungen eine
ganz allgemeingültige Bedeutung. Es gibt kein psychisches Gebilde
irgend welcher Art, das sich ihnen entzieht. Denn sollte ein solches
auch für sich allein betrachtet kein Werthurtheil gestatten, so
kommt ihm doch immer in dem allgemeinen Zusammenhang der
psychischen Erlebnisse sein Werth zu. Auf diese Weise bildet die
Werthgrösse, die wir den psychischen Gebilden zunächst auf
Grund ihrer Gefühlswerthe und dann, in Folge der Entwicklung der
Werthurtheile , auf Grund der intellectuellen Würdigung dieser Ge-
fühlswerthe beilegen, das allgemeinste Mass, nach dem wir geistige
Wnndt, Lftgik. II, 2. 2. Aufl. 13
274 Logik der Psychologie.
Gebilde überhaupt mit einander vergleichen können, unter diesem
GeRichtspunkt betrachtet bewährt sich nun das Princip der schöpfe-
rischen Synthese schon in der augenßdligen Thatsache, dass im
Laufe jeder individuellen wie generellen Entwicklung geistige Werthe
erzeugt werden, die ursprünglich in der ihnen zukommenden speci-
fischen Qualität überhaupt nicht vorhanden waren. Das gilt nament-
lich von allen logischen, ästhetischen, ethischen Werthen. So wenig
die Vorstellungen, die diesen Werthen entsprechen, aus nichts ent-
stehen, ebenso wenig kann dies natürlich von den Werthen selbst
angenommen werden. Aber wie sich durch die Verbindung geläufiger
Vorstellungen neue Vorstellungsganze bilden, welche durch die Be-
ziehungen der Theile zu einander, die in den einzelnen Vorstellungen
noch nicht enthalten waren, einen neuen und eigenthümlichen Inhalt
gewinnen, so gilt das auch von den Entwicklungsformen der Gefühle
und den an sie geknüpften Werthbestimmungen.
Insoweit die schöpferische Synthese als ein Princip angesehen
wird, das die Entstehung der einzelnen psychischen Gebilde beherrscht,
besitzt es eine allgemeingültige Bedeutung. Es gibt absolut kein
solches Gebilde, das nicht nach der Bedeutung und dem Werth
seines Inhaltes mehr wäre als die blosse Summe seiner Factoren
oder die blosse mechanische Resultante seiner Componenten. Nicht
ganz ebenso verhält es sich, wenn man das Princip auf den Zusammen-
hang einer aus vielen psychischen Gebilden bestehenden geistigen
Entwicklung anwendet. Ist eine solche Entwicklung eine in
sich zusammenhängende, so dass die vorhandenen psychischen Ge-
bilde verfügbar bleiben, um in die neu entstehenden als Bestand-
theile eingehen zu können, so muss allerdings das für jedes einzelne
Gebilde gültige Princip auch für ihrer aller Verbindung gelten. Aber
die Wirklichkeit entspricht einer solchen Continuität immer nur
bruchstückweise. Wie auf der einen Seite geistige Entwicklungen be-
ginnen, die sich, weil sie schon in ihren Elementen neu entstehen,
unserem Princip entziehen, so verschwinden anderseits solche Ent-
wicklungen völlig aus dem empirisch gegebenen Zusammenhang des
geistigen Lebens. Demnach findet das Princip der schöpferischen
Synthese auf die Verbindungen psychischer Gebilde nur insoweit
Anwendung, als in Folge des Zusammenhangs derselben wirklich
von einem Ganzen der Entvricklung die Rede sein kann und nicht
etwa bloss äusserlich Vorgänge, die an sich in gar keiner Ver-
bindung stehen, wegen irgend welcher übereinstimmender Merkmale
Prindp der BchOpferiscfaen Synthese. 275
ziisammengefasst werden. Auch auf eine continuirliche geistige Ent-
wicklung angewandt nimmt aber unser Princip nothwendig deshalb
eine andere Form an, weil es sich direct nur auf das Verhältniss
der Bestandtheile eines Gebildes zu diesem selbst bezieht, wobei
beide als actuell gegebene Thatsachen vorausgesetzt werden. Inner-
halb einer derartigen geistigen Entwicklung sind jedoch in einem ge-
gebenen Moment immer nur sehr wenige psychische Gebilde, eventuell
vielleicht ist nur ein einziges actuell gegeben; die ungeheure Mehr-
zahl gehört den vorangegangenen Zuständen an, übt aber auf die
actuellen Vorgange einen Einfluss aus, der namentlich bei den werth-
Tolleren Erzeugnissen, bei denen frühere Erwerbungen und Anlagen
eme steigende Bedeutung gewinnen, sehr gross zu sein pflegt. Unter
diesen Verhältnissen können sich auch die Werthbestimmungen,
mittelst deren wir etwa verschiedene Stufen einer Entwicklungsreihe
mit einander vergleichen, nicht mehr bloss auf den actuellen Inhalt
eines einzelnen Gebildes beziehen, sondern sie müssen ausserdem
noch die Bedeutung einschliessen, die jener für die nachher kommende
Entwicklung neuer psychischer Inhalte hat. Bezeichnen wir daher den
actuellen Werth eines psychischen Erlebnisses zusammen mit dessen
Fähigkeit zur Erzeugung neuer Werthe beizutragen als dessen
{>sychi8che Energie, so ist die Analogie dieses Begri£Ps mit dem
der physischen Energie und die hieraus entspringende Berechtigung
des Ausdruckes ohne weiteres ersichtlich. Hier wie dort bedeutet
die Energie die gesammte Wirkungsfähigkeit eines bestimmt
abgegrenzten Vorgangs oder einer zusammenhängenden Kette von
Vorgängen; und hier wie dort zerfällt diese Wirkungsfähigkeit in
zwei Bestandtheile: in die actuelle Wirkung und in einen zu
künftigen Wirkungen verfügbaren Wirkungsvorrath. Aber mit diesen
fonnalen Merkmalen, die überall einem gesetzmässigen Zusanmien-
hang von Erscheinungen zukommen müssen, bei denen zwischen
jedem gegebenen Ereigniss und den ihm vorangegangenen und nach-
folgenden eine causale Beziehung stattfindet, hört auch die Analogie
auf. Die physischen Energien unterliegen den Principien der phy-
sischen Grössenmessung: in Folge dessen ermangeln sie jeder Art
innerer Werthbestimmung; von Werthen kann bei ihnen überhaupt
nur m dem Sinne die Rede sein, dass Grössen, die ihrer Qualität
nach gleich werthig sind, bloss nach ihrem quantitativen Verhält-
niss gemessen werden. Die psychischen Energien dagegen beziehen
sich fiberall auf qualitativ verschiedene und daher einer abstracten
quantitativen Vergleichung unzugängliche Inhalte, die sich aber in
27(3 Logik der Psychologie.
ihrer qualitativen Verschiedenheit ihrem allgemeinen Werthgrade
nach bestimmen lassen. Sind demnach die physischen Energien aus-
schliesslich quantitative Grössenwerthe, so sind die psychischen
Energien qualitative Wert hg rossen. Die Umstellung der
Begriffe in den Ausdrücken nGfi^össenwerth" und «Werthgrösse*^ ist
hier bezeichnend für die Verschiedenheit des Standpunktes der Wertb-
schätzung. Bei dem Orössenwerth liegt der Werthcharakter einzig
und allein in der Grösse ; die Werthgrösse dagegen wird erst dadurch
zur Grösse, dass sich die Werthe ihrem Grade nach vergleichen
lassen. Dort entsteht also der Werth aus der Grössenvergleichung,
und die Gegenstände selbst sind ursprünglich an und für sich gleich-
werthig, d. h. Werthprädicate sind auf sie überhaupt nicht anwend-
bar. Hier entsteht umgekehrt die Grösse aus der Vergleichung der
Werthe, die nach ihrer Bedeutung für die individuelle oder generelle
geistige Entwicklung in eine Stufenreihe von Werthgraden geordnet
werden können. Hiernach ist es begreiflich, dass von einem exacten
Mass der Energie nur auf physischem Gebiete die Rede sein kann,
weil nur physische Grössen einer exacten Messung, die räunüich
oder zeitlich entfernte Objecte auf indirectem Wege vergleicht, zu-
gänglich sind. Aber da immerhin auch die psychischen Gebilde
den allgemeinen Charakter von Grössen besitzen (S. 178) , und da
insbesondere die Werthgrösse psychischer Gebilde ein allgemein-
gültiger, auf alle psychischen Inhalte anwendbarer Begriff ist, so
ist es auch klar, dass die gewöhnliche Behauptung, psychische
Werthe seien überhaupt einer Massvergleichung unzugänglich, eine
jener oberflächlichen Ansichten ist, wie sie aus unzureichender Ana-
lyse der Thatsache und ungenauer Begriffsbildung zu entspringen
pflegen. In Wahrheit kann ja die praktische Lebensauffassung ebenso
wenig wie irgend eines der Gebiete, die es mit den concreten
Gestaltungen des geistigen Lebens zu thun haben, des Werthbegriffs
und der Werthvergleichung entbehren. Gesteht man nun dem Begriff
der psychischen Energie, der lediglich diese Thatsache der Werth-
vergleichung und die an und für sich offenkundige Wirkungsfahig-
keit aller psychischen Inhalte ausdrückt, seine Berechtigung zu, so
lehrt weiterhin die Erfahrung, dass in jeder geistigen Entwicklung,
die der Bedingung der Gontinuität entspricht, ein Princip des
Wachsthums der psychischen Energie zur Geltung kommt,
das zu dem Princip der Constanz der physischen Energie den vollen
Gegensatz bildet. Dieser Gegensatz gewinnt aber zugleich, ebenso
wie das allgemeine Verhältniss der psychischen zur physischen Gau-
Princip der schöpferischen Synthese. 277
salitat, die Bedeutung einer Ergänzung, wenn man bedenkt, dass
das physische Energieprincip die äussere quantitative, das
psychische die innere qualitative Seite des Wirklichen zu
seinem Inhalte hat. In diesem Lichte betrachtet vereinen sich dann
beide zu dem allgemeinen psycho-physischen Satze, dass, wie in
der Natur überhaupt, so auch innerhalb der Lebenserscheinungen, die
physischen Energien constant bleiben, dass aber der innere Werth-
gehalt dieser constanten Energien innerhalb einer jeden continuir-
liehen Entwicklung grösser und grösser wird. Dass übrigens diese
Ergänzung des physischen Energieprincips auch für die physische
Seite der Lebenserscheinungen nicht bedeutungslos ist, leuchtet ein.
Bilden doch gerade die Lebensvorgänge ein Qebiet, auf das, da es
das Substrat des Psychischen ist, auch die für dieses geltende Werth-
beurtheilung übergreifen muss. (Vgl. Bd. I, S. 649, und Bd. II, 1,
S. 550.)
Nun schliesst allerdings jene Bedingung einer Continuität der
Entwicklung, an die der BegrifiPder Wirkungsfähigkeit auf psychischem
Gebiete gebunden ist, eine Allgemeingültigkeit, wie sie auf Grund
der Voraussetzung des universellen Zusammenhangs der Natur-
erscheinungen dem physikalischen Energieprincip zugeschrieben wird,
Ton vornherein aus; und selbst die bloss partiellen Hemmungen
jener Wirkungsfähigkeit, wie sie uns so vielfach in der Erfahrung
entgegentreten, müssen als Störungen anerkannt* werden, welche die
in dem Gesetz der schöpferischen Synthese gelegene Tendenz der
psychischen Gebilde sich zu Entwicklungsreihen mit wachsenden
Werthgrössen zu vereinigen theilweise oder ganz vereiteln können.
Immerhin ist zu beachten, dass eine der wichtigsten dieser Unter-
brechungen psychischer Entwicklung, das Aufhören der individuellen
geistigen Wirkungsfähigkeit, mehr als compensirt zu werden pflegt
durch das Wachsthum der geistigen Energie innerhalb der Gemein-
schaft, welcher der Einzelne angehört, und dass selbst diese Gemein-
schaft wieder in ein Ganzes geschichtlicher Entwicklung einmündet,
in welchem sich seine Wirkungsfähigkeit fortsetzt, auch nachdem es
selbst längst untergegangen ist. So wird schliesslich das Princip
da, wo es im einzelnen Fall Lücken lässt, ergänzt durch seine
generellen Anwendungen, und diese ergänzen sich ihrerseits wieder
in aufsteigender Reihenfolge. Wo uns empirisch solche Ergänzungen
nicht mehr zugänglich sind, da bleibt dann freib'ch nur noch das
ethische Postulat übrig, dass jede geistige Entwicklung Bestandtheil
der allgemeinen Weltordnung ist, und dass sie als solche ihre un-
278 Logik der Psychologie.
zerstörbare Bedeutung haben muss, ob sie sich nun trotz aller
Störungen mit der gleichen allgemeinen Tendenz des Wachsthums
ins unbegrenzte fortsetzt, oder ob sie bei irgend einem Punkte zu
längst durchlaufenen Stufen zurückgeworfen oder auch ganz unter-
brochen wird. Wie jedes geistige Erzeugniss einen für sich bestehen-
den Werth hat, so würde sogar im letzten dieser Fälle die einmal
da gewesene Entwicklung ihren Werth in sich selbst tragen.
An die Unterscheidung actueller und latenter Energien, auf die
auch hier der Begriff der Energie nothwendig zurückführt, sind nun
auf psychischem Gebiet noch weitere Unterschiede gebunden, die
für die Gestaltung der seelischen Processe im einzelnen und für ihre
WerthYerhältnisse von der grössten Bedeutung sind. Die actuelle
psychische Energie eines individuellen Bewusstseins besteht in der
Gesammtheit der wirklichen Bewusstseinsvorgänge, die in der momen-
tanen Gefühls- und Willenslage ihren einheitlichen Ausdruck finden.
Diese Gefühls- und Willenslage selbst ist aber stets nicht bloss
durch den momentanen Bewusstseinsinhalt sondern zugleich durch
das Verhältniss bestimmt, in welchem derselbe zu früheren, ja zum
Theil zu weit Torangegangenen psychischen Erlebnissen steht. Gerade
derjenige Bestandtheil des momentanen Bewusstseins, der für uns
zugleich das Mass der Werthgrösse desselben abgibt, ist auf diese
Weise ein Product, in das in unbestimmter Begrenzung latente
Energien mit eingehen. Und die nämlichen Beziehungen, die in
der Gefühls- und Willenslage ihren Ausdruck finden, bestinunen nun
auch den causalen Zusammenhang des momentanen Zustandes mit
der Vergangenheit des nämlichen Bewusstseins. Darum sind die
Gefühle nicht bloss das unmittelbare subjective Werthmass für die
psychischen Inhalte, sondern sie gewinnen zugleich durch die Unter-
schiede ihrer Qualität und ihres Verlaufs symptomatische
Bedeutung für die Causalität des Geschehens. So weist
zunächst die Einheit der Gefühlslage darauf hin, dass, insoweit auf
das momentane Geschehen latente Energien von Einfluss sind, diese
sich stets zu einer einheitlichen Wirkung yerbinden, die zwar äusserst
zusammengesetzt sein kann, niemals aber in eine Mehrheit von
einander unabhängiger Wirkungen auseinanderfällt. Bezeichnen wir
demnach den Antheil, den in einem einzelnen Fall solche latente
Energien an der Entstehung des psychischen Vorganges nehmen,
als den wirksamen Energievorrath, so ist die Entstehung eines
jeden psychischen Gebildes eine aus neuen (z. B. durch Sinnes-
eindrücke, eigene Bewegungen oder sonstige psychophysische Processe
Princip der Bchöpferiachen Synthese. 279
«ntRtandenen) Elementen und aus wirksam gewordenem Energie-
Torrath zusammengesetzte schöpferische Synthese. Hier lehrt nun
die psychologische Beobachtung unzweifelhaft, dass dieser wirksame
Energievorrath noch weniger als der Gesammtvorrath latenter psychi-
scher Energie eine constante Grösse ist, da er nicht bloss von
der fortwährenden Veränderung dieses Vorraths, sondern ausserdem
Ton den momentanen Bedingungen abhängt. Hinsichtlich dieser
sind aber wieder nach dem Zeugniss der Beobachtung leichter
und schwerer verfügbare Energien zu unterscheiden. Leicht
verfügbar sind solche, die entweder zuvor schon unter den nämlichen
Bedingungen, oder die überhaupt sehr oft eine actuelle Wirkung
ausgeübt haben. Femer ist es unverkennbar, dass die Erzeugnisse
schöpferischer psychischer Synthese selbst wieder zu latenten Energien
werden, die nun, je zahlreicher die an ihnen betheiligten psychischen
Elemente sind, um so mehr theils durch gemeinsame Elemente
iheils durch die im Bewusstsein zur Entwicklung gekommenen Vor-
stellungs- und Gefühlsbeziehungen mit den verschiedenen Theilen
des gesammten Energievorraths in Verbindung treten. Auf diese
Weise bilden sich zwei Formen causaler Beziehungen aus,
die in der mannigfaltigsten Art in einander eingreifen, dabei aber
doch, je nachdem die eine oder die andere in den Vordergrund tritt,
zu wesentlichen Eigenthümlichkeiten des Verlaufs und des inneren
Zusammenhangs der psychischen Vorgänge Anlass geben. Auf der
einen Seite nämlich gibt es Processe, bei denen augenscheinlich der
leicht disponible Energievorrath, der in dem gegebenen Bewusstseins-
zustand unmittelbar auslösende Bedingungen vorfindet, vorzugsweise
zur Verwendung kommt; auf der andern Seite begegnen uns Vor-
gänge, bei denen eine Fülle vorangegangener, über die ganze Ver-
gangenheit des Bewusstseins sich erstreckender Synthesen mitwirkt,
so dass die einzelnen Factoren der Wirkung meist gar nicht mehr
deutlich geschieden werden können. Während daher im ersten Fall
in der Regel einzelne vorausgegangene Ereignisse als die entschei-
denden Ursachen gegebener Erfolge aufgezeigt werden können, ist
das im zweiten nicht mehr möglich, sondern es kann hier in irgend
zureichender Weise über den eintretenden Erfolg nur durch eine die
ganze Vergangenheit des individuellen Bewusstseins umfassende Ana-
lyse Rechenschaft gegeben werden. Dabei sind natürlich auch in
diesem zweiten Fall noch Unterschiede möglich, da die Gesammt-
summe latenter psychischer Energien niemals bei einem einzelnen
Oeschehen wirksam werden kann, sondern immer nur ein mehr oder
280 Logik der Psychologie.
minder umfassender Theil derselben. Aber so sehr dadurch indivi*
duelle Verschiedenheiten der Vorgänge begreiflich werden, so be-
gründet das doch in jenen Hauptrichtungen der Ereignisse selbst
keinen wesentlichen Unterschied, weil sich hier Yriederum das schon
bei der Wirkung der leicht disponiblen Energien bemerkbare Princip
der Verstärkung durch oft wiederholte Action geltend
macht. Hierdurch geschieht es, dass sich für alle aus der Gesammt-
anlage des Bewusstseins zu erklärende Vorgänge immer mehr leicht
disponible, in ausgeprägten Totalgefühlen sich kundgebende Ver-
bindungen ausbilden. Daher denn auch die aus den zufalligen nächsten,
Verbindungen resultirenden causaleu Beziehungen um so mehr zurück-
treten, und dafür constante Richtungen der in ihre Factoren nicht'
unmittelbar zerlegbaren Gesammtenergie des Bewusstseins Torwiegen,
je vollkommener sich das psychische Leben durch die vorausgegangene
Wirksamkeit und wechselseitige Verbindung schöpferischer Synthesen
gestaltet hat. So führen die Unterschiede jener Formen des psy-*
chischen Geschehens, die uns in den Gegensätzen der passiven
und der activen Apperception, der Associationen und der
apperceptiven Verbindungen, endlich der einfachen und der
zusammengesetzten Willenshandlungen begegneten, und als
deren nächste Symptome wir neben gewissen Eigenthümlichkeiten
im Verlauf der Vorstellungen charakteristische GeftÜile kennen lernten^
zugleich auf wesentliche Unterschiede in dem causalen Zusammen-
hang der psychischen Vorgänge zurück.
Mit dem Princip der schöpferischen Synthese und seiner ii^
dem Princip des Wachsthums der psychischen Energie geschehenden
Anwendung auf continuirliche Entwicklungsreihen in enger Ver-
bindung steht die Thatsache, dass die psychologische Gausalerklärung'
durchgängig eine regressive ist, im Gegensatze zu der Bevor-
zugung des progressiven Verfahrens in der Naturwissenschaft. Denn
jener Charakter des „Schöpferischen" liegt ja eben darin, dass wir
uns immer erst, nachdem der Effect oder das Product gegeben ist^
über den inneren Zusammenhang desselben mit seinen Componenten
oder Factoren Rechenschaft geben können. Sobald nun bei diesem
regressiven Verfahren das Erzeugniss eines synthetischen Processen
nach seinem Werthe abgeschätzt wird, so wird auf den Endpunkt
dieses Processes, der zugleich der Anfangspunkt der regressiven
Gausalerklärung ist, der Begriff des Zweckes angewandt. Auf diese*
Weise verwandelt sich jene in eine Erklärung aus Zwecken. Dem-
Princip der schöpferiBchen Synthese. 281
nach ist jede psychische Causalbetrachtuog nothwendig regressiv, sie
ist aber nicht nothwendig teleologisch. Dazu wird sie erst durch
die hinzutretende Werthbestimmung. Denn Zweck ist nur der-
jenige Erfolg aus vorangegangenen Bedingungen, dem irgend ein
Werth zugeschrieben wird, so dass der Erfolg eben dieses Werthes
wegen als der bezweckte anzusehen ist. Die Bedingungen gelten
dann bei dieser Werthbetrachtung als die Mittel und, insofern sie
als Gefühls- und Vor stellungsfactoren gewirkt haben, als die Motive
des zweckthätigen Geschehens.|^Ist aber auch nicht jede regressive
Causalerklärung eine Zweckerklärung, so muss doch umgekehrt jede
Zweckerklärung zugleich eine wahre regressive Causalerklärung sein.
Ist sie das nicht, so beruht sie auf jenen fehlerhaften Anwendungen
des Zweckbegriffs, die sich in einen Gegensatz zur Causalerklärung
setzen, statt eine unter besonderen Bedingungen stehende Form der-
selben zu sein. (Vgl. Bd. I, S. 631 ff.)
Sobald nun die einzelne Zweckerklärung wieder ein Bestand-
theil einer zusammenhängenden Kette von Zweckverbindungen
ist, so geht aus dem psychologischen Zweckprincip ein eigenthttm-
licbes Entwicklungsgesetz hervor, das zu ihm genau im selben Ver-
hältnisse wie das Princip des Wachsthums der psychischen Energie
zu dem der psychischen Synthese steht. Jener schöpferische Cha-
rakter der letzteren, der nothwendig jede Causalerklärung auf psychi-
schem Gebiet, falls sie nicht etwa in einfacheren Fällen zureichende
Anhaltspunkte an der Analogie früherer Ereignisse hat, nothwendig
zu einer regressiven macht, bewirkt es auch, dass die Effecte be-
ätimmter psychischer Ursachen stets über den Umkreis der in den
Motiven vorausgenommenen Zwecke hinausreichen, und dass aus den
gewonnenen Effecten neue Motive entstehen, die eine abermalige
schöpferische Wirksamkeit entfalten können. So ergibt sich als ein
letztes Folgeprincip das der Heterogonie der Zwecke. Die Be-
deutung desselben liegt, ähnlich wie die des Princips des Wachs-
thums der psychischen Energie, vorzugsweise auf ethischem Gebiete,
während den allgemeineren Principien der schöpferischen Synthese
und der regressiven Causalerklärung die grössere psychologische
Bedeutung zukommt*).
•) Ueber das Princip der Heterogonie vgl. Ethik, 2. Aufl., S. 265 ff.
282 Lo^k der Psychologie.
e. Das Princip der Contrastverstärkung.
Indem sich die Mannigfaltigkeit der psychischen Erlebnisse,
wie oben (S. 264) bemerkt, in zwei in Wirklichkeit zusammen-
gehörige, aber durch die psychologische Abstraction zu sondernde
Bestandtheile scheidet, in die objective Vorstellungswelt und in ein
in Gefühlen und Willensregungen sich äusserndes subjectives Ver-
halten, fordert dieses letztere zugleich durchweg eine Ordnung
nach Gegensätzen heraus. Die Begriffe, die diese Ordnung her-
stellen, wie Lust und Unlust, Streben und Widerstreben, sind natür-
lich nur logische Kategorien, nicht selbst einzelne Inhalte des Be-
wusstseins. Sie bezeichnen aber immerhin eine wichtige Eigenschaft;,
die diese Einzelinhalte in der unendlichen Fülle ihrer qualitativen
Bestimmungen darbieten ; und indem diese subjectiven Bestimmungen
überall zugleich für die mit ihnen verbundenen Vorstellungsprocesse
massgebend werden, gehören sie zu den wichtigsten Bedingungen
der gesammten Bewusstseinsentwicklung. Diese fundamentale Be-
deutung spricht sich schon darin aus, dass die wesentlichsten Unter-
schiede der psychischen Processe, wie das verschiedene bald passive
bald active Verhalten der Aufmerksamkeit, die Eigenthümlichkeiten
der reinen Associationen auf der einen und der intellectuellen oder
apperceptiven Vorgänge auf der andern Seite, an charakteristische
Gefühlsgegensätze gebunden sind.
Die Bedeutung dieser Gegensätze für die psychische Entwick-
lung beruht aber hauptsächlich darauf, dass sich dieselben durch
ihr wechselseitiges Verhältniss verstärken. Diese Hebung durch
den Contrast ist eine so allgemeine Erscheinung, dass die An-
nahme nahe liegt, subjective Gemüthszustände seien ohne diese Eigen-
schaft überhaupt undenkbar. Hierauf beruht jene Lehre von der
Correlation der Gegensätze, die in der philosophischen Ethik, Aesthetik
und Religionsphilosophie eine nicht geringe Rolle gespielt hat. Indem
diese Lehre behauptet, das sittlich Gute, das Schöne und sogar die
Idee Gottes seien nicht mögb'ch ohne die Gegensätze des Bösen, des
Hässlichen und eines negativen religiösen Ideals, bringt sie die Ueber-
zeugung von der Wechselwirkung der Contraste zu einem besonders
energischen Ausdruck. Doch pflegt sie zugleich metaphysische Folge-
rungen hieran zu knüpfen, die gänzlich ausserhalb des Gesichts-
kreises der psychologischen Thatsachen liegen, denen das Princip
des Gontrastes seinen Ursprung verdankt. Denn empirisch hat ja
Princip der Gontrastverst&rkung. 283
die Voraussetzung eines Geftlhls, zu dem es gar keinen Gegensatz
gibt, keine Bedeutung, weil solche GeftiUe nicht Yorkomnien, daher
sich auch unmöglich etwas darüber sagen lEsst, wie sie und die
ihnen entsprechenden Vorstellungsobjecte , wenn sie ezistirten, sich
Terhalten müssten. Die psychologische Erfahrung lehrt uns nur,
dass es thatsächlich kein Gefühl gibt, dem nicht ein entgegen-
gesetztes Gefühl gegenüberstünde, und dass sich diese Entwicklung
in Gegensätzen demnach über die Gesammtheit der psychischen Vor-
gänge, die ja überall GefQhlselemente enthalten, erstreckt. Weiter-
hin aber zeigt der Wechsel solcher Gegensätze stets zugleich die
Tendenz, die einzelnen Inhalte durch den Contrast zu verstöLrken.
Mit dieser Hebung durch den Contrast ist sodann die weitere That-
sache verknüpft, dass alle jene subjectiven Bestimmungen, die durch
den Gegensatz gehoben werden, mehr als andere Erfahrungsinhalte
durch ihre Dauer an Intensität abnehmen. OfiPenbar entsprechen
sich beide Erfahrungen insofern, als ein gegebener Zustand dem
Minimum des Gontrasteinflusses vorangegangener Zustände um so
näher kommen wird, je länger er bereits andauert. Auf diese Weise
unterstützt der abnehmende Contrast die Wirkung der Erschöpfung,
der alle in gleichem Sinne andauernden psychischen Processe unter-
worfen sind, und beide zusammen begünstigen die Entstehung neuer,
in entgegengesetzter Richtung wirksamer Vorgänge.
Das Princip der Contrastverstärkung hat, vrie sein Ausdruck
schon andeutet, die Eigenschaft, dass es niemals für sich allein,
sondern immer nur in Verbindung mit andern causalen Principien
das psychische Geschehen bestimmen kann. Irgend welche sonstigen
Bedingungen zur Entstehung der Erscheinungen, für die es gelten
soll, müssen vorhanden sein. Sind aber diese gegeben, so kann es
dann allerdings etwaige Hemmungen, die ihrer Erhebung über die
Schwelle des Bewusstseins im Wege stehen, beseitigen und weiter-
hin die Intensität der einmal in bewusste Action getretenen Wir-
kungen verstärken. Zunächst kommen solche Steigerungswirkungen
bei den subjectiven Gemüthszuständen selbst vor: so vor allem beim
Uebergang der Gefühle und Affecte in entgegengesetzte Gemüths-
iagen. Aber unvermeidlich wirken dann solche Uebergänge zugleich
auf die mit ihnen verbundenen Vorstellungsgebilde zurück, und durch
diese Rückwirkungen vermögen sie nun neue psychische Entwick-
lungen anzuregen. Auf diese Weise ordnet sich der Contrast in
(ioppelter Weise dem Princip der schöpferischen Synthese unter:
erstens unmittelbar, insofern er bestimmte psychische Erscheinungen
284 Logik der Psychologie.
zu einer Intensität steigern kann, die ausser Verhältniss zu der
Orösse ihrer positiven Ursachen steht; und zweitens mittelbar, in-
dem jener Uebergang durch die Rückwirkung auf die Vorstellungs-
processe die Entstehung neuer Bewusstseinsinhalte begünstigt, die
dann wieder mit neuen subjectiven Gemüthsreactionen verknüpft sind.
In seiner allgemeinen Fassung bietet endlich das Contrastprincip
einen besonders charakteristischen Fall der Eigenart psychischer
Gausalitat dar. Dass sich hier, in vollem Gegensatze zu den Eigen-
schaften der Naturcausalität, unter geeigneten Bedingungen entgegen-
gesetzte Kräfte verstärken können, ist eben nur dadurch be-
greiflich, dass die psychische Causalität zunächst auf den quali-
tativen Eigenschaften der Erscheinungen beruht, und dass mit
diesen qualitativen Eigenschaften quantitative Bestimmungen immer
erst in indirecter Weise verbunden werden können, indem man näm-
lich für die Verhältnisse der subjectiven Wirkungen gewisser Quali-
täten Massbeziehungen aufsucht. Da nun die Beziehungen der
Bewusstseinsinhalte zu einander ganz allgemein nur in relativen
Grössen festzustellen sind, so bildet der Contrast überhaupt einen
Specialfall des psychischen Relativitätsprincips, wie dasselbe in dem
Weber'schen Gesetze seinen Ausdruck iSndet, und er ist in dieser
allgemeinsten Bedeutung zugleich eine Erscheinung, die sich über
alle psychischen Inhalte, insbesondere also auch über die Vor-
stellungselemente erstreckt. (Vgl. oben S. 192 ff.) Aber bei den
letzteren führt die regelmässige Rückbeziehung bestimmter Empfin-
dungen auf Reizwerthe, die empirisch als constante bekannt sind,
schon auf psychischem Gebiet leicht eine Einübung auf eine wenn
auch beschränkte absolute Grössenschätzung herbei — ein Process
der dann zur Grundlage der bei der Objectivirung unserer Vor-
stellungen herrschend werdenden absoluten Messungen wird. Dies
verhält sich natürlich anders bei denjenigen psychischen Inhalten,
die wir niemals Anlass haben selbst irgendwie zu objectiviren. Hier
erhält sich die Relativität des psychischen Masses bleibend, und im
allgemeinen ist es sogar nicht einmal möglich, auch nur relative
Werthe exact zu bestimmen, weil der fortwährende Fluss der Er-
scheinungen von Moment zu Moment die Verhältnisse der psychi-
schen Gebilde verändert. Alle diese Bedingungen bringen es mit
sich, dass auf psychischem Gebiete die Verstärkungen der Wirkungen
durch die Verbindung gleichgerichteter und durch den Contrast ent-
gegengesetzter Kräfte fortwährend neben einander vorkommen und
in der mannigfaltigsten Weise in einander eingreifen können. Speciell
Princip der beziehenden Analyse. 285
das Princip der Contrastwirkung bewährt sich aber hierbei als ein
wichtiges psychologisches Entwicklungsprincip , das sich weit über
den Umkreis des individuellen Bewusstseins , das sein nächster Ur-
sprungsort ist, in den Entwicklungen des geschichtlichen und des
socialen Lebens wiederfindet. (Vgl. unter Gap. III, 4.)
f. Das Princip der beziehenden Analyse.
Den synthetischen Formen des psychischen Geschehens stehen
Processe entgegengesetzter Art, analytische, gegenüber. Beide
ei^änzen sich in analoger Weise wie etwa auf naturwissenschaft-
lichem Gebiet die chemische Synthese und Analyse. Doch ist die
psychische Analyse ebenso eigenartig wie die psychische Synthese.
Wie diese mit dem Aufbau organischer Formen, so hat jene mit
der Differenzirung der Organe eines lebenden Wesens die nächste
äussere Verwandtschaft. Aber auch hier bleibt der wesentliche
Unterschied, dass das Verhältniss der Theile eines Organismus,
wenigstens insoweit die Naturwissenschaft dasselbe festzustellen ver-
mag, ein äusseres ist, während alle Eigenschaften, die der psychi-
schen Sjmthese und Analyse ihr charakteristisches Gepräge geben,
auf inneren Beziehungen beruhen.
Jedes psychische Gebilde, das durch Synthese gewisser Ele-
mente entstanden ist, kann sich wieder in Bestandtheile sondern;
und in der Aufeinanderfolge der psychischen Processe pflegen solche
Verbindungen und Zerlegungen mehr oder minder regelmässig ein-
ander abzulösen. Dabei ist aber die psychische Analyse kaum jemals
die reine Umkehrung einer vorangegangenen Synthese, sondern bei
jener gruppiren sich die Elemente in neuer Weise zu Bestandtheilen
des durch die Synthese gebildeten Ganzen. Setzt daher auch jede
Analyse eine Sjmthese voraus, so ist doch der Process selbst nach
Form wie Inhalt ein eigenartiger, was sich vor allem daran zu er-
kennen gibt, dass die Producte der Synthese überall durch die nach-
folgende Analyse an Reichthum des Inhalts und in Folge dessen
an Werth gewinnen, wie dies unmittelbar die begleitenden Gefühle,
die auch hier eine werthmessende Bedeutung haben, verrathen.
Das fiberall wiederzufindende charakteristische Merkmal der psychi-
schen Analyse besteht demnach darin, dass dieselbe eine Gliederung
i^t, bei welcher die aus einem Ganzen ausgesonderten Bestandtheile
sowohl mit diesem Ganzen selbst wie unter einander in Beziehung
bleiben; daher ein synthetisches Erzeugniss durch die nachfolgende
286 Logik der Psychologie.
Analyse nicht zerstört, wohl aber inhaltreicher und werth^oUer wird.
Die psychische Analyse, die wir eben wegen dieser Eigenschaften
eine beziehende nennen, bildet hierdurch das ToUkommene Gegen-
stück der psychischen Synthese, während doch zugleich der schöpfe-
rische Charakter der letzteren in ihr fortwirkt.
Mit diesen allgemeinen Eigenschaften begegnet uns die beziehende
Analyse, wenn auch in den einzelnen Gestaltungen je nach der Natur
der Processe mannigfach abweichend, auf allen Stufen seelischer
Entwicklung. So beginnen die sinnlichen Wahmehmungsvorgan^e
mit zusammenfassenden Vorstellungen, deren Inhalt zunächst wenig
bestimmt ist, dann aber in Folge der eintretenden Analyse immer
bestimmter und mannigfaltiger wird. Schon in diesen einfachen
Fällen erfolgt die Gliederung regelmässig derart, dass successiv ein-
zelne Theile des Ganzen aus diesem hervorgehoben und zu einander
wie zu dem Ganzen selbst in Beziehungen gebracht werden. Dabei
zeigt sich zugleich deutlich, dass diese analytische Thätigkeit auf
das engste an das schon für die Vorgänge der Synthese massgebende
Verhältniss der Apperception zu dem Bewusstseinsinhalt
gebunden ist. Ist doch, wie wir sahen, das Bewusstsein in jedem
Moment die actuelle Gesammteinheit psychischer Vorgänge, der sich
die Apperception als eine in ihr enthaltene und zugleich sie be-
dingende Sondereinheit gegenüberstellt« (S. 266.) Indem nun die
verschiedenen Theile des Bewusstseinsinhaltes successiv Inhalte der
Apperception werden, gliedern sie sich ab von dem Ganzen, das als
umfassenderes psychisches Gebilde Inhalt des Bewusstseins bleibt.
Aber sie werden zugleich als Theile dieses Ganzen aufgefasst und,
indem die Apperception eine stetige, die Inhalte auf die sie sich
richtet durchgängig in innere Beziehungen setzende Function ist,
in ihren wechselseitigen Verhältnissen wahrgenommen. Das äussere
Merkmal dieser Sonderung der apperceptiv erfassten Einzelinhalte
ist die Klarheit und Deutlichkeit der Vorstellungen. Diese
Eigenschaften bezeichnen die beiden Hauptrichtungen in der Wir-
kung der analytischen Function: ein Inhalt wird klarer durch die
Hervorhebung seiner eigenthümlichen Quahtät, er wird deutlicher
durch seine Sonderung von andern Inhalten. (Vgl. S. 179.)
So lange nun der Verlauf der Vorstellungen vorwiegend durch
den Wechsel der äusseren Sinneseindrücke und durch die unmittel-
bar von ihnen ausgelösten leicht verfügbaren Energien bestimmt
wird, äussert sich die Function der beziehenden Analyse ledigUch
in der Sonderung der einzelnen successiv auftretenden Vorstellungs-
Princip der beziehenden Analyse. 287
inludfce von einander und in der nachfolgenden Auffassung von
Beziehungen zwischen ihnen, während jene Inhalte selbst und dem-
infolge auch diese Beziehungen als gegebene aufgefasst werden.
In diesem Sinne kann daher bei der Sinneswahmehmung und bei
den Yon ihr ausgehenden simultanen und successiven Associationen
die Apperception eine passive genannt werden. Dennoch kommt
schon hier eben iu der nachfolgenden Beziehung der einzelnen Vor-
stellungen zu einander die active Wirksamkeit des Bewusstseins zum
Ausdruck, wie denn ja auch das für diese charakteristische Thätig-
keitsgefahl nicht fehlt, wenngleich stets unterbrochen durch das
entg^engesetzte Gefühl des Erleidens, das die Hinnahme der Ein-
drQcke und der Erinnerungsbilder begleitet. In diesen Beziehungen,
in die die Apperception nachträglich die ihr gegebenen Inhalte zu
einander setzt, und die man in den so genannten ^Associations-
gesetzen* lediglich in gewisse Glassen zusammenfasste, bereitet sich
nun aber auch eine erweiterte Wirksamkeit der beziehenden Analyse
Tor, bei welcher diese unmittelbar in dem Wechsel der appercep-
ti?en Yorstellungs- und Gefühlsinhalte selbst sich bethätigt. Darin
zeigt es sich, dass diese Analyse eine der Apperception immanente
Function ist. Zugleich aber erweisen sich auch hier passive und
acti?e Apperception, Associationen und apperceptive Verbindungen
der Vorstellungen als Vorgänge, die nur nach gewissen Theilmerk-
Quden als Gegensätze aufzufassen sind, während sich in anderer
Hinsicht in den Associationen die höheren intellectuellen Functionen
vorbereiten, wie denn auch fortan jene eine psychische ünterströ-
mung bilden, aus der Bestandtheile in den Verlauf der intellectuellen
Vorgänge übergehen. Was jedoch diese letzteren Vorgänge, die
wir nach ihren besonderen Merkmalen bald Phantasie- bald Ver-
standesfunctionen nennen, von Grund aus scheidet von dem Ver-
lauf der Sinneseindrücke wie der reinen Associationen , das ist in
causaler Beziehung das Merkmal, dass bei ihnen die beziehende
Analyse nicht erst eines schon vorhandenen Stoffs sich
bemächtigt, sondern selbst die Aufeinanderfolge der Vor-
gänge bestimmt.
Damit scheint zugleich die weitere Eigenschaft zusammenzu-
hängen, dass sich die Gomponenten dieser Vorgänge in ungleich
grösserem Umfang über die latenten Energien des individuellen Be-
wusstseins ausdehnen. Während nämlich bei den Associationen in
der Regel nur die durch vielfache Uebung oder zufällige Einflüsse
leicht verfügbaren Anlagen actuell werden, erstrecken sich bei den
288 Logik der Psychologie.
iiitellectuellen Processen die causalen Factoren einer gegebenen Wir-
kung ins unbegrenzte; denn selbst da, wo die einzelnen Bestand-
theile eines apperceptiven Vorgangs sämmtlich auf nahe liegende
Associationen zurückzuführen sind, äussert sich in der Art der Ver-
knüpfung dieser Bestandtheile der Einfluss weiter zurückreichender
Entwicklungsbedingungen. So setzen z. B. schon Wahmehmungs-
urtheile einfachster Natur, wie „die Sonne leuchtet*, »der Stein
fällt" u. dgl., ausser den associativen Verschmelzungen und Assimi-
lationen, die hier jedesmal den Wahrnehmungs Vorgang constituiren,
mannigfache Vorstellungsverbindungen verschiedener Art voraus, auf
Grund deren erst jene Function beziehender Unterscheidung zu Stande
kommen kann, die das Oanze einer solchen Wahrnehmung in einen
Gegenstand und seine Eigenschaft oder seinen Zustand gliedert —
in begriffliche Bestandtheile also, die in keiner Wahrnehmung ge-
sondert gegeben sind, und deren Unterscheidung daher durch Asso-
ciationen begünstigt werden mag, niemals aber durch diese aus-
schliesslich bewirkt werden kann. Was durch keine Association
hervorzubringen ist, das ist eben die unterscheidende und beziehende
Function des Bewusstseins selbst, die, wenn sie auch durch die Em-
pfindungen und ihre mannigfachen Associationen ausgelost wird,
doch eine von diesen auslösenden Bedingungen verschiedene Function
bleibt. Wohl aber wirkt diese Function ihrerseits wieder auf die
associativen Processe zurück, indem nicht nur die durch beziehende
Analyse entstandenen apperceptiven Verbindungen durch Einübung
in Associationen übergehen, sondern indem überdies die Verlaufsrich-
tungen kommender Associationen durch die vorausgegangenen in-
tellectuellen Processe bestimmt werden.
Diese ganze Entwicklung findet ihren Ausdruck in den für
alle diese höheren Bewusstseinsvorgänge charakteristischen Gesammt-
vorstellungen und deren weiteren Schicksalen. Als Gesammt-
vorstellungen bezeichnen wir hierbei diejenigen Producte psychischer
Synthese, an denen sich die Functionen der beziehenden Analyse
bethätigen. Die einfachsten Producte dieser Art gehen aus von Sinnes-
wahrnehmungen und deren Erinnerungsbildern. Sie bestehen theils
in simultanen theils in successiven Associationen, die sich aber von
andern Associationsproducten durch ihre Folge Wirkungen unterscheiden,
d. h. dadurch dass sie die Functionen der beziehenden Analyse aus-
lösen: so in den obigen Beispielen der leuchtenden Sonne, des fallen-
den Steins. Auf die zusammengesetzteren Gesammtvorstellungen
gewinnen dann die in vorausgegangenen intellectuellen Processen
Grundgesetz der psychiBchen Causalität. 289
entstandenen Motive einen steigenden Einfluss, und es gehen in sie
selbst schon mannigfache Producte dieser Processe ein; daher sich
nun auch solche complexere Gesammtvorstellungen, wie z. B. ein
Terwickelter logischer Gedankenzusammenhang oder die Idee eines
Kunstwerks, nicht mehr in einem sicher abgegrenzten Wahmeh-
mungsbilde festhalten lassen, sondern mehr und mehr durch reprä-
sentative Einzelvorstellungen und daran geknüpfte stark ausgeprägte
intellectuelle GefCLhle ersetzt werden. In dem Masse wie auf diese
Weise die Gesammtvorstellung selbst schon zu einem intellectuellen
Gebilde wird, entwickeln sich aber auch die Functionen der beziehen-
den Analyse immer reicher, und es entsteht nun jener unmittelbar
durch diese Functionen bestimmte Yorstellungsverlauf , wie ihn für
das begriffliche Denken die Sprache fixirt, und wie ihn uns für
die Phantasiethätigkeit in der vollkommensten Form die Entstehungs-
geschichte des Kunstwerks vorführt.
g. Das Grundgesetz der psychischen Causalität.
Die Frage nach den Gesetzen der beziehenden Analyse kann
im letzten Grunde nur mit der nach den Gesetzen der psychischen
Causalität selbst identisch sein. Denn es ist klar, dass auch da,
wo uns psychische Gebilde nicht unmittelbar in den Verbindungen
gegeben sind, welche die psychische Analyse herstellt, wir nach
Massgabe der in ihnen zum Ausdruck kommenden Gesetze werden
verfahren müssen, falls wir uns über ihren Zusammenhang Rechen-
schaft geben wollen. Insbesondere wird die wissenschaftliche Analyse
irgend welcher psychischer Producte im ganzen keinen andern Weg
gehen können als den, den uns die natürliche Gliederung dieser
Erzeugnisse vorzeichnet. Ueberall also wo es sich um eine psycho-
logische Interpretation handelt, sei es in der Psychologie
selbst sei es in dem sonstigen Umkreis der Geisteswissenschaften,
wird diese Interpretation in einer beziehenden Analyse bestehen
müssen, welche den nämlichen Gesetzen folgt, die für den natür-
lichen Verlauf unseres Denkens ebenfalls gelten. Nur vor einem
oft begangenen Irrthum hat man sich hierbei zu hüten: können
auch ohne weiteres die Gesetze der psychischen Analyse auf die
Interpretation psychischer Gebilde übertragen werden, so darf man
doch nicht umgekehrt annehmen, dass die in einer beliebigen Inter-
pretation zur Ausführung gekommene Analyse nun auch ein Abbild
des Vorganges selbst sei, durch den das concrete psychische Er-
Wnndt, Logik, n, 2. 2. Aafl. 19
290 Logik der Psychologie.
zeugniss zu Stande kam. Dies gilt nur da, wo die künstliche Analyse
eine wirkliche Nachbildung einer vorausgegangenen natürlichen
ist, wie solches ja bei den Erzeugnissen der höheren Yerstandes-
oder auch, obgleich schon viel seltener, bei denen der Phantasie-
thätigkeit vorkommen kann. In allen andern Fällen gibt die inter-
pretatorische Analyse über die wechselseitigen Beziehungen der
Bestandtheile eines psychischen Gebildes Rechenschaft, und sie fordert
dadurch die Erkenntniss seines Inhaltes und seiner Entstehungsweise.
Dass aber bei dieser Entstehung selbst eine solche Analyse statt-
gefunden habe, ist überall nur da anzunehmen, wo dies thatsächlich
in der Erfahrung nachzuweisen ist.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass es zwei Quellen gibt, aus
denen wir möglicher Weise unsere Eenntniss der Gesetze psychi-
scher Analyse und damit psychischer Causalität überhaupt schöpfen
könnten : die eine dieser Quellen ist das unmittelbare Erlebniss, wie
es vor allem in dem natürlichen Verlauf der intellectuellen Func-
tionen oder, psychologisch ausgedrückt, in den apperceptiven Ver-
bindungen der Vorstellungen vorliegt; die andere besteht in den
Verfahrungsweisen, auf welche die psychologische Interpretation bei
dem Versuch sich über den inneren Zusammenhang irgend welcher
psychischer Gebilde Rechenschaft zu geben geführt wird. Die erste
dieser Quellen ist die ursprünglichere; denn die Interpretation liefert
uns im allgemeinen schon in begrifflicher Verarbeitung was in dem
unmittelbaren intellectuellen Erlebniss allein in seiner allen will-
kürlichen Veränderungen und Zugaben vorausgehenden Gestalt an-
zutreffen ist. Nun bestehen die Beziehungen, in welche die natür-
liche psychische Analyse die Theile einer Gesammtvorstellung bringt,
immer nur darin, dass die Elemente als übereinstimmend oder nicht
übereinstimmend aufgefasst, und dass die unterschiedenen Bestand-
theile in Folge der beziehungsweisen Veränderungen die sie erfahren
je nach den besonderen Umständen in ein Verhältniss bald ein-
seitiger bald wechselseitiger Abhängigkeit gebracht werden. Wollen
wir diese Beziehungen der Uebereinstimmung, des Unterschieds und
der correlativen Veränderungen auf abstracte Principien zurück-
führen, so sind diese demnach in nichts anderem enthalten als in
den allgemeinen logischen Grundsätzen der Identität, des Wider-
spruchs und der Beziehung von Grund und Folge. Da das letzte
dieser Principien das umfassendste ist, indem es die andern voraus-
setzt und also in sich schliessf'), so kann daher gesagt werden,
*) Vgl. Logik, Bd. I, S. 572 ff., und System der Phüosophie, S. 77 ff.
Begriff der geistigen Gemeinschaft. 291
dass das allgemeine Gesetz psychischer Gausalität der
Satz des Qrundes selbst ist. Augenscheinlich entspricht das
auch vollkommen dem Yerhältniss äusserer und innerer Erfahrung.
Wie diese beiden nicht an sich verschiedene Gegenstände enthalten,
sondern verschiedene Standpunkte einem und demselben Erfahrungs-
ganzen gegenüber bezeichnen, so ist auch das Princip der physi-
schen Gausalität nur eine besondere Anwendung des Satzes vom
Grande, eine Anwendung die eben unter den eigenthümlichen Vor-
aussetzungen steht, die der mittelbaren oder begrifiFlichen Form
der Naturerkenntniss zukommen. (Vgl. Bd. I, S. 606 ff.) Da nun
diese Voraussetzungen für die unmittelbare oder anschauliche psycho-
logische Erfahrung nicht gelten, so folgt daraus ohne weiteres, dass
hier der Satz des Grundes selbst in seiner in unseren psychischen
Erlebnissen gegebenen Form in seine Rechte eintritt. Dabei ist
freilich nicht zu vergessen, dass er in seiner begrifflichen Fas-
sang nur ein aus der Gesammtheit psychischer Erfahrungen und vor
allem aus den Vorgängen der beziehenden Analyse abstrahirtes
Princip ist, dass aber in unserem wirklichen Bewusstsein nur con-
crete und anschauliche Vorgänge existiren, die nach Massgabe jenes
Satzes und der in ihm mitenthaltenen logischen Axiome in Be-
ziehungen zu einander gesetzt werden. Demnach entsteht in uns
das Bewusstsein, einen einzelnen psychischen Vorgang oder einen
Zasammenhang solcher Vorgänge zu verstehen, sobald es uns
gelungen ist ihn mit andern thatsächlich gegebenen psychischen
Vorgängen in eine Beziehung gemäss dem Princip der Verknüpfung
nach Grund und Folge zu bringen. Da nun auf allen Gebieten der
Geisteswissenschaften die Interpretation ein Verständniss der geistigen
Vorgänge und Erzeugnisse zu gewinnen strebt, so ist daraus an sich
schon klar, dass das oberste logische Princip das sie leitet kein
anderes als das nämliche sein kann, das auch für die Verknüpfung
der geistigen Vorgänge selber gilt.
h. Der Begriff der geistigen Gemeinschaft.
Indem die Individualpsychologie die Vorgänge des einzelnen
Bewusstseins gemäss den Principien der psychischen Gausalität zu
erklaren sucht, begegnet sie allenthalben Unterbrechungen jenes Zu-
sammenhangs, und sie kann daher nicht umhin auf Glieder Rück-
sicht zu nehmen, die von aussen in die seelischen Erlebnisse ein-
greifen, um dann selbst als wichtige Factoren an ihnen theilzunehmen.
292 Logik der Psychologie.
Diese Lücken mahnen daran, dass isolirt gedacht der Begriff der
individuellen Seele eine Abstraction ist, der die Wirklichkeit nir-
gends entspricht. Zugleich führen aber die Erlebnisse des Einzel*
bewusstseins bereits nach zwei Richtungen über die Grenzen ihrer
eigenen Gausalität hinaus. Auf die Naturumgebung weist die
eine, auf die geistige Umgebung die andere dieser Richtungen
hin**"). Unter ihnen fallen die Einflüsse der Naturumgebung der
psychophysischen Betrachtung anheim, die schon einen wesentlichen
Bestandtheil der Individualpsychologie bildet, und für die sich, wie
oben erörtert, aus dem Princip des psychophysischen Parallelismus
die allgemeinen Maximen ergeben, nach denen hier physiologische
und psychologische Forschung hülfreich in einander eingreifen. (Vgl.
S. 250 ff.) Anders verhält es sich mit der geistigen Umgebung.
Da sie sich selbst wieder aus geistigen Einzelwesen zusammensetzt,
so können für ihre Beziehungen zum individuellen Bewusstsein
durchaus nur die nämlichen Principien der psychischen Causalitat
gelten, die für dieses selbst massgebend sind. Aber die Anwen-
dung dieser Principien steht hier unter neuen und eigenthümlichen
Bedingungen, die eine besondere Betrachtung erheischen.
Nirgends fallt die Bedeutung der psychologischen Orund-
anschauungen für die Würdigung des Inhaltes vne des Werthes der
Erscheinungen des geistigen Lebens so sehr ins Oevriicht als bei der
Beantwortung der Frage nach dem Verhältniss des Einzelnen
zur geistigen Gemeinschaft. Die materialistische und die
intellectualistische Psychologie sind hier von Hause aus individua-
listischen Anschauungen zugeneigt. Ist doch für die erstere in ge-
wissem Sinne schon das Einzelbewusstsein nichts als eine atomistische
Verbindung von Empfindungen. Nur der physische Zusammenhang
der Organe des individuellen Organismus vermittelt hier die der
inneren Wahrnehmung gegebene Verbindung gleichzeitiger und auf
einander folgender Zustände. Dass durch die geistige Wechsel-
wirkung der Einzelnen neue geistige Inhalte von eigenthümlichem
Werth entstehen, ist für diesen Standpunkt ebenso gut eine Un-
möglichkeit wie die Annahme, dass die Eigenschaften einer Anzahl
von einander unabhängiger und räumlich entfernter Körper in etwas
anderem bestehen könnten als in der Summe der Eigenschaften
aller einzelnen. Die intellectualistische Psychologie ist nicht mit
•) üeber die Bedeutung dieser zwei Seiten der Betrachtung för die
Geisteswissenschaften überhaupt vgl. oben Cap. I, S. 84 ff.
Begri£P der geistigen Gemeinschaft. 293
gleicher Nothwendigkeit an diese ausschliessliche Anerkennung der
Realität des Individuums gebunden; aber ihr Streben, alle psychi-
schen Functionen nach dem Schema der Verstandesfunctionen zu
beurtheilen , macht sie doch von vornherein einer solchen Ansicht
zugeneigt. Denn indem jenes Verfahren der Reduction auf Ver-
standesfunctionen auch auf die Erscheinungen geistiger Wechsel-
wirkung angewandt wird, fügen sich diese am ungezwungensten dem
Gesichtspunkte, dass sie durch planmässige Uebereinkunft oder durch
den hervorragenden Einfluss der Intelligenz Einzelner entstanden
seien. Darum bilden die Erfindungs- und Vertragstheorien, unter
denen je nach dem Gegenstand bald die einen bald die andern be-
vorzugt werden, und die sich über alle Gebiete gemeinsamen geistigen
Lebens, über Sprache, Religion, Sitte, Recht und Staat, erstrecken^
ein altes Erbstück des Intellectualismus. Völlig anders steht die
voluntaristische Psychologie dem Problem der geistigen Wechsel-
wirkungen gegenüber. Indem sie jedes Erlebniss in seiner eigenen
Natur und nach seinem eigenen Werthe aufzufassen bemüht ist, und
indem sie alle geistigen Vorgänge als complexe Ereignisse betrachtet,
die wir immer nur durch willkürliche Abstraction in einzelne Be-
standtheile, wie z. B. in Vorstellungs- und Willenselemente, sondern
können, wird ihr der Gedanke nahe gelegt, dass auch die Trennung
des Einzelnen von der geistigen Umgebung in der er steht nur eine
willkürliche Abstraction sei, weil die Realität zahlreicher geistiger
Vorgänge von zusammengesetzter Art eben darin besteht, dass an
ihrer Erzeugung stets eine Vielheit in geistiger Wechselwirkung
stehender Einzelwesen betheiligt ist. Diesen positiven Bestimmungs-
gründen tritt dann zugleich die diesem Standpunkte nahe liegende
Einsicht in die Unhaltbarkeit der rationalistischen Erfindungs- und
Vertragstheorien als wichtiges Unterstützungsmittel zur Seite.
Nicht minder enge ist aber ein gleicher Wandel der Anschau-
ungen an die beiden Begriffsbestimmungen der Seele geknüpft, welche
die verschiedenen Richtungen der Psychologie ihrer Interpretation
der psychischen Vorgänge zu Grunde gelegt haben. Ist die Seele,
wie die Substanzhypothese annimmt, ein beharrendes Wesen,
ein geistiges Atom, das an den Körper gebunden, sei es von ihm
verschieden sei es im letzten Grunde seinen Elementen gleichartig,
die geistigen Vorgänge und die psychophysischen Wechselwirkungen
hervorbringt, so hat selbstverständlich nur das Individuum wahre
Realität. Es kann keine geistigen Vorgänge geben, die nicht aus-
schliesslich individuelle Erlebnisse wären, noch geistige Werthe, die
294 ' Logik der Psychologie.
nicht bloss individuellen Zwecken dienten. Darum ziehen nun auch
der Intellectualismus und die Substantialitätshypothese wahlverwandt
einander an. Hat nur die individuelle Persönlichkeit wahre Realität
und einen bleibenden Werth, so liegt es nahe, alle jene geistigen
Schöpfungen, an deren Erzeugung Viele theilnehmen, und deren
Werth hinwiederum Vielen zu gute kommt, bloss als Hülfsmittel
zu betrachten, durch die der Einzelne sich selber zu fördern sucht —
ein Gesichtspunkt der die Annahme planmässiger Absicht und Er-
findung schwer vermeiden lässt.
Oanz anders steht auch hier die Actualitätshypothese der
Wirklichkeit der geistigen Vorgänge gegenüber. Besteht das , Wesen
der Seele **, alles was ihren Inhalt wie ihren Werth ausmacht, nur
in jenen Vorgängen selber, und hier wiederum nicht in einer ein-
zelnen Classe derselben sondern in ihrer aller Verbindung — dann
liegt nicht der geringste Anlass vor, denjenigen Erlebnissen, an
deren Entstehung eine geistige Qemeinschaft betheiligt ist, einen ge-
ringeren Grad der Wirklichkeit zuzuschreiben als den Vorgängen
des individuellen Bewusstseins, oder den geistigen Erzeugnissen der
Einzelnen allein einen absoluten und directen, denen der geistigen
Gemeinschaften aber bloss einen relativen und indirecten Werth bei-
zumessen. Vielmehr gilt hier der Satz: so viel Actualität so
viel Realität. Soweit das Einzelleben einen ihm eigenen Inhalt
hat, besitzt es selbständige Wirklichkeit und selbständigen Werth.
Nicht minder aber sind die Erzeugnisse und Erlebnisse einer Ge-
meinschaft als eine umfassendere Wirklichkeit anzuerkennen, deren
Werth sich ebenfalls nach ihrem Inhalte richtet und daher im Einzel-
falle den Zwecken des Einzellebens bald über- bald untergeordnet,
niemals jedoch für dieses bloss ein Mittel zu individuellen Zwecken
sein kann. Vielmehr werden umgekehrt im allgemeinen der um-
fassenderen Wirklichkeit auch umfassendere und höhere Zwecke zu-
kommen. In der Feststellung dieses Verhältnisses hat in der That
das sittliche Urtheil aller Zeiten die individualistische Theorie und ihre
künstlichen Constructionen praktisch auf das bündigste widerlegt "*").
Auch in theoretischer Beziehung ist aber offenbar erst auf
Grund des Princips der actuellen Realität allen den geistigen Vor-
gängen, deren Entstehung an die geistige Wechselwirkung der indi-
*) üeber die ethische Seite dieser Frage vgl. meine Ethik, 2. Aufl.,
S. 499 ff., über den Begriff des Gesammtgeistes überhaupt System der Philo-
sophie S. 591 ff., sowie den Aufsatz ,Ueber das Verhältniss des Einzelnen zur
Gemeinschaft*, Deutsche Rundschau, August 1891, S. 190 ff.
Begriff der geiBÜgen Gemeinschaft. 295
yiduen gebunden ist, ein zureichendes psychologisches Verständniss
abzugewinnen. Darum scheitert jeder Versuch, den Forderungen der
Völkerpsychologie mittelst der atomistischen Substanzhypothese
und der mit ihr yerknüpften individualistischen Auffassung des see-
lischen Geschehens gerecht zu werden. Dagegen hat vom Gesichts-
punkt der actuellen Wirklichkeit des psychischen Geschehens aus
die , Volksseele*^ an und für sich gerade so viel Realität wie die
Einzelseele. Nur dass man freilich bei diesem Begriff nicht wieder
in den Fehler der Substanzhypothese zurückfallen und in ihr irgend
eine substantielle Wesenheit ausserhalb der Gesammtheit aller in
Wechselwirkung stehenden individuellen seelischen Vorgänge sehen
darf. So wenig die Einzelseele etwas anderes ist ak der Zusammen-
hang der psychischen Erlebnisse des Einzelbewusstseins, gerade so
wenig ist die » Volksseele ** oder irgend eine andere Form des Ge-
sammtgeistes etwas anderes als die thatsächliche Wirklichkeit aller
der psychischen Vorgänge, die innerhalb einer bestimmten Gemein-
Schaft durch die Wechselwirkungen der psychischen Energien der
Einzelnen zu Stande kommen. Nach diesem Merkmal ist voll-
kommen unzweideutig das was zur Einzelseele von dem was zur
Volksseele gehört zu scheiden. Insoweit Vorstellungen, Gefühle,
Affecte, Willensregungen entstehen und ablaufen können, ohne noth-
wendig und wesentlich von der Existenz einer geistigen Gemein-
schaft gleichartiger Individuen beeinflusst zu sein, gehören sie dem
individuellen Bewusstsein an. Auch der Umstand, dass thatsächlich
stets eine Menge dieser Vorgänge, ja dass die ganze Anlage und
Richtung derselben schliesslich von der geistigen Umgebung mit-
bedingt ist, ändert hieran nichts, da dies für die Gesetze des Ver-
laufs der einzelnen Erscheinung unwesentlich ist. Die Sprache da-
gegen, die mythologischen Vorstellungen, die in der Form der Sitte
und der sittlichen Anschauungen zur Geltung kommenden Willens-
entwicklungen sind seelische Vorgänge, als deren Substrat nur eine
geistige Gemeinschaft angesehen werden kann, weil bei ihrer Ent-
stehung und Entwicklung der Einzelne lediglich als eine Theilkraft
wirksam ist, die nur im Zusammenhang und in Wechselwirkung
mit andern ähnlichen Theilkräften die Erscheinungen hervorbringt.
Sobald in diesem Fall der Einzelne isolirt gedacht wird, verschwindet
das psychische Geschehen selbst. Da somit die Erzeugnisse der
Volksseele immer auf die seelischen Energien einer Vielheit in
Wechselwirkung stehender Einzelseelen zurückführen, so leuchtet
ein, dass die allgemeinen Principien zur Erklärung dieser Erzeug-
296 Logik der Psychologie.
nisse und die Elemente, aus denen sich diese zusammensetzen, gar
keine anderen sein können als diejenigen, die schon im Einzel-
bewusstsein wirksam sind. Aber jene Principien kommen hier doch
unter einer wesentlich neuen Bedingung zur Anwendung, unter
der Bedingung nämlich, dass die Vorgänge des individuellen Be-
wusstseins nur als Theilkräfte thätig sind, die mit andern gleich-
artigen Kräften zusammenwirken. In Folge dessen begegnet uns
namentlich ein wichtiges Princip der psychischen Causalität hier auf
einer höheren Stufe seiner Anwendung, das Princip der schöpferi-
schen Synthese. Die Erlebnisse und Erzeugnisse geistiger Ge-
meinschaften gleichen darin durchaus denen des Einzelbewusstseins,
dass die Thatsachen, nachdem sie gegeben sind, auf Orund der
Kenntniss ihrer Bestandtheile mittelst der allgemeinen psychologischen
Gesetze vollständig interpretirt werden können, dass aber diese allein
nimmermehr genügen würden jene abzuleiten ehe sie selbst schon
bekannt sind, weil sie eben stets zugleich den Charakter von Neu-
bildungen besitzen. Solche Neubildungen sind nun auch die Sprachen,
die gemeinsamen Anschauungen und Willensrichtungen. Aber sie
unterscheiden sich dadurch von den Synthesen des individuellen 6e-
wusstseins, dass sie sich aus Bestandtheilen eines Bewusstseins
niemals erklären lassen, sondern eine geistige Wechselwirkung Vieler
voraussetzen, die sich zu den genannten Vorgängen ähnlich ver-
halten wie die Vorstellungs- und Willenselemente des Einzelbevnisst-
seins zu den wirklichen Vorstellungen und Willensh^ndlungen des-
selben. Indem auf diese Weise die geistige Gemeinschaft Trägerin
einer Fülle eigenthümlicher, aber zugleich unter einander organisch
verbundener Lebensvorgänge ist, kann sie mit demselben Rechte
wie das psychische Individuum ein geistiger Organismus ge-
nannt werden, wobei freilich nicht zu übersehen ist, dass die Zu-
sammensetzung dieses Organismus höherer Stufe aus einzelnen selb-
ständigen Individuen eigenthümliche Bedingungen mit sich fQhrt.
Insbesondere entspringt aus diesen Bedingungen die bedeutsame That-
sache, dass jede der fundamentalen Lebensäusserungen eines solchen
Gesammtorganismus selbst wieder einen organischen Zusanmienhang
der Bestandtheile darbietet, vermöge dessen ihr abermals die Merk-
male geistiger Organisation zukonmien. So bilden die Lebensgebiete
der Sprache, des Mythus, der Sitte geistige Organisationen, die in
der umfassenderen organischen Einheit der geistigen Volksgemein-
schaft enthalten sind, und bei denen freilich zugleich in Folge dieser
Beziehung zu einer umfassenderen Einheit die Eigenschaft aller
Anwendangen der Psychologie. 297
geistigen Organismen, dass ihre Entwicklungen in der mannigfaltig-
sten Weise in einander eingreifen, in noch viel höherem Masse
sich geltend macht, als bei dem alle diese geistigen Lebensfunc-
tionen umfassenden Volksorganismus. Dieser trägt darum auch
allein die Fähigkeit in sich eine selbständige Willenseinheit
zu entwickeln, die ihm den Charakter einer den Einzelpersonen
die ihn zusammensetzen übergeordneten Gesammtpersönlichkeit
verleiht*).
Diese Begriffe sind, weit über den Umkreis völkerpsychologi-
scher Untersuchungen hinaus, für alle Gebiete der Oeisteswissen-
schaften von unabsehbarer Tragweite. Ob dem Individuum allein
wahre Realität und ein selbständiger ethischer Werth beizumessen,
oder ob neben ihm und über ihm dem geistigen Gesammtleben der
Volker eine eigene werthvolle und in den wesentlichsten Beziehungen
eine werthyoUere Wirklichkeit zuzuschreiben sei als dem Individuum
— das ist für die Auffassung von Staat, Recht, Gesellschaft und
Geschichte eine Lebensfrage, der an principieller Bedeutung keine
andere gleichkommt. In allen diesen Gebieten beherrscht die Stel-
lung zu dieser Frage die Auffassung nicht bloss der Objecte sondern
auch der Aufgaben ihrer wissenschaftlichen Behandlung. In diesem
Punkte mehr vielleicht als in irgend einem andern hat daher die
Psychologie zu erproben, ob sie im Stande ist den einzelnen Geistes-
wissenschaflen wirklich die allgemeine Grundlage zu bieten, zu deren
Herstellung sie nach der Natur ihrer Aufgaben berufen ist.
5. Bie Anwendungen der Psychologie.
Wie den theoretischen Naturwissenschaften ihre technischen
Anwendungen gegenüberstehen, so lässt auch die Psychologie in der
mannigfaltigsten Weise praktische Yerwerthungen zu, indem man
zum Behuf des Verständnisses irgend welcher geistiger Erscheinungen
Ton der psychologischen Analyse Gebrauch macht oder mittelst
psychologischer Reflexion für die Motive und Charaktereigenschaften
einzelner Menschen ein Verständniss zu gewinnen sucht. Speciell
die letztere Anwendung ist es, die man wohl auch als , praktische
*) üeber die Begriffe des Gesammtorganlsmus und der Gesammtpersön-
lichkeit vgl. unten Cap. IV, 4.
298 Logik der Psychologie.
Psychologie*^ zu bezeichnen pflegt. Zwischen ihr und der psycho-
logischen Analyse in den einzelnen Geisteswissenschaften finden sich
aber sehr enge Beziehungen. Praktische Menschenkenntniss ver-
langt man von dem Historiker und Philologen, ebensowohl wie von
dem Pädagogen, dem Juristen und dem Politiker. Alle solche An-
wendungen der Psychologie auf einzelne Erscheinungen gehen ent-
weder darauf aus, bestimmte Aeusserungen des geistigen Lebens in
dem Zusammenhang ihrer Motive zu erkennen, oder sie durch ab-
sichtliche Einwirkungen nach vorausbestimmten Zwecken zu lenken.
Beide Ziele stehen aber selbst wieder zu einander in dem Ver-
hältniss von Mittel und Zweck: man muss die Menschen kennen,
wenn man sie lenken will. Daneben setzt nur diese letztere Fähig-
keit noch eine üeberlegenheit des Wollens voraus, wie sie für die
blosse Menschenkenntniss nicht erfordert wird. Darum sind die
Eigenschaften, die zu einer praktischen Wirksamkeit, z. B. zu
den Leistungen des Erziehers oder Staatsmannes befähigen, wesent-
lich von denen verschieden, die wir von dem Gelehrten in irgend
einem Gebiet der Geisteswissenschaften fordern. Die vorsichtige
Erwägung aller das ürtheil über einen Charakter oder eine Hand-
lung bestimmenden Umstände, die bei diesem geboten erscheint,
würde bei jenem leicht die Energie und die rechtzeitige FassTing
der Entschlüsse hemmen ; und umgekehrt ist wiederum die Neigung
zu eigenem Eingreifen einer objectiven theoretischen Auffassung der
Erscheinungen wenig förderlich.
Abgesehen von solchen verschiedenen Richtungen der Aus-
bildung ist es aber die nämliche Fähigkeit der Hineinversetzung des
eigenen Ich in die fremde Persönlichkeit, die bei allen Anwendungen
psychologischer Erfahrungen wiederkehrt. So erhebt sich denn die
Frage, in welchem Verhältnisse diese für Leben und Wissenschaft
gleich unentbehrliche praktische Psychologie zu den Forschungen
und Ergebnissen der wissenschaftlichen Psychologie steht. Ist dies
Verhältniss etwa ein ähnliches wie zwischen den Naturwissenschaften
und ihren technischen Anwendungen? Oder walten besondere Gründe
ob, die diese Analogie unzulässig machen?
Zunächst bedarf es nun kaum der Versicherung, dass bis jetzt
die theoretische Psychologie Einwirkungen auf andere Wissensgebiete,
die mit psychologischen Motiven zu rechnen haben, und speciell auf
die praktisch-psychologischen wie Pädagogik und Politik kaum aus-
geübt hat, am allerwenigsten solche, die den Einwirkungen der
theoretischen Physik und Chemie auf die physikalische und chemische
Anwendungen der Psychologie. 299
Technik entfernt gleichzuachten wären. Wenn heute die historische
imd noch mehr die sociologische Forschung ein wesentlich anderes
Bild darbietet als etwa zu den Zeiten des Thukydides oder des Polybios,
so beruht das nicht auf einem irgendwie bemerkbaren Unterschied
in der Art psychologischer Beurtheilung der Dinge, sondern auf der
Erschliessung neuer objectiver Hülfsquellen und auf der Ausbildung
üeuer objectiyer Methoden der Untersuchung. Am ehesten erhebt
wohl noch die Pädagogik Anspruch darauf, angewandte Psycho-
logie zu sein. Aber auch dieser Anspruch beruht in vielen Fällen
nur auf der Benützung gewisser allgemeiner Begriffsschemata, unter
denen die alten Yermögensbegriffe eine vorwiegende Rolle spielen.
Jedenfalls verdankt aber die Pädagogik im allgemeinen der prakti-
schen Erfahrung des Unterrichts ungleich mehr psychologische
Anregungen als der wissenschaftlichen Psychologie. Das beweist
vor allem die Pädagogik der Her bar tischen Schule, die, von einigen
späteren, unwirksam gebliebenen Versuchen Herbarts selbst ab-
gesehen, im grossen und ganzen der Wolff'schen Vermögenstheorie
verwandter ist als Herbarts eigener Mechanik der Vorstellungen.
Auch verdankt sie ihre anerkennenswerthen praktischen Verdienste
offenbar weder ihrer Psychologie noch ihrem etwas scholastischen
Betrieb der pädagogischen Theorie, sondern vor allen Dingen dem
Erziehertalent einzelner ihrer Vertreter und dem Vorbild hervor-
ragender Pädagogen der Vergangenheit, unter denen Herbart selbst
immer eine ehrenvolle Stellung behaupten wird. Vollends in andern
Gebieten, wie Geschichte, Volkswirthschaftslehre u. dergl., ist nie-
mals auch nur der Versuch gemacht worden, die psychologische Be-
obachtung und Reflexion anders als im Sinne jener praktischen Er-
fahrungen anzuwenden, die sich Jeder auf Grund eigener zufälliger
Beobachtung und mit Hülfe der in den allgemeinen Sprachgebrauch
eingedrungenen psychologischen Begriffsunterscheidungen wirklich oder
rermeintlich zu erwerben Gelegenheit hat — eine „praktische Psycho-
logie*^ die sich natürlich zu einer wissenschaftlichen Behandlung
psychologischer Fragen nicht viel anders verhält als die Wetter-
prophezeiungen des Landmanns zur wissenschaftlichen Meteorologie.
Nun gibt es allerdings zwingende Gründe, die eine ähnliche
unmittelbare Rückwirkung, wie sie die Physik und Chemie auf die
Technik ausüben, bei der Psychologie für immer unmöglich machen^.
Diese Gründe bestehen weniger in der verwickelten Natur als in dem
früher besprochenen singulären Charakter der Erscheinungen, der
es verbietet, aus den allgemeinen psychologischen Principien specielle
300 Logik der Psychologie.
Regeln abzuleiten, mittelst deren sich einzelne geistige Vorzüge
willkürlich nach vorausbestimmten Zwecken abändern lassen. Aber
von diesem wesentlichen Unterschied abgesehen, wird doch auch hier
anzunehmen sein, dass ein exactes Studium der Erscheinungen einer
bloss zufalligen Beobachtung schliesslich selbst in der praktischen
Anwendung überlegen sei. In der That können in diesem Fall sogar
solche Bestimmungen, die rein theoretisch betrachtet yon verhaltniss-
mässig untergeordneter Bedeutung sind, fUr die Praxis einen grosseren
Werth gewinnen. Das gilt z. B. von allen den Untersuchungen, die
es gestatten einigermassen exacte Masse der psychischen Leistungs-
fähigkeit und ihrer Veränderungen festzustellen. Die Pädagogik aller
Richtungen beschäftigt sich zwar eingehend mit den Zwecken und
Mitteln der Erziehung. Wie aber diese Mittel der normalen Lei-
stungsfähigkeit und dem natürlichen Verlauf der psychischen Func-
tionen angepasst werden sollen, das wird in der Regel wenig be-
rücksichtigt. Für die Untersuchung aller dieser Fragen und ins-
besondere im Interesse der Pädagogik, der Psychiatrie sowie der
in die Breite des normalen Lebens fallenden individuellen Eigen-
thümlichkeiten des seelischen Lebens ist daher die Ausbildung einer
mit den Hülfsmitteln der experimentellen Psychologie ausgerüsteten
Charakterologie ein dringendes Erfordemiss. In den Grundformen
ihrer Methodik selbstverständlich an die allgemeine Psychologie ge-
bunden, ist diese in die verschiedensten praktisch-psychologischen
Oebiete eingreifende Disciplin doch in der Anwendung und in der
speciellen Gestaltung der Methoden insofern eigenartig, als bei ihr
eine auf Grund experimenteller Resultate vorgenommene individuelle
und generische Vergleichung und, zum Behuf der raschen prakti-
schen Verwendung, eine zweckmässige Vereinfachung der Ver-
fahrungs weisen erfordert wird*).
Mag nun aber auch der Nutzen solch unmittelbarer praktischer
Anwendungen besonders einleuchtend sein, so ist doch neben ihm die Be-
deutung der durch die experimentell geregelte exacte Selbstbeobach-
tung gewonnenen allgemeinen Ergebnisse und der durch sie vermittelten
*) Um die Ansbildung solcher praktisch vereinfachter Hülfsmethoden hat
sich schon Francis Galton verdient gemacht (Inquiries into the hnman
faculty and its] developpement. 1883). Umfassender und auf der Grandlage der
neueren experimentellen Psychologie hat dieses Gebiet E. Eraepelin be-
arbeitet. In methodologischer Hinsicht vgl. besonders dessen Abhandlung: Der
psychologische Versuch in der Psychiatrie, Psychologische Arbeiten, I, 1895,
S. 1 ff. Ueber den Begriff, der Charakterologie überhaupt s. oben S. 169.
Anwendungen der Psychologie. 301
genaueren Auffassung des Zusammenhangs der psychischen Vorgänge
nicht zu unterschätzen. Dieser Einfluss ist zunächst nur ein theore-
tischer, aber ein um so umfassenderer, da er sich auf alle Gebiete
der Geisteswissenschaften erstreckt. Auf die Bedeutung der psycho-
logischen Analyse für die Handhabung der Interpretation und Kritik
in den verschiedensten Gebieten ist theils im vorigen Gapitel bereits
im allgemeinen hingewiesen, theils wird in den folgenden Capiteln
darauf zurückzukommen sein. Ebenso sind die Irrthümer der in-
tellectualistischen , individualistischen und unhistorischen Interpreta-
tion geistiger Vorgänge, die sämmtlich in jener gewöhnlich der
subjectiven BeurtheUung zu Grunde liegenden vulgären Pyschologie
ihre Quelle haben, schon oben erörtert worden. (Vgl. S. 30 ff.)
Unier ihnen hat der Intellectualismus am weitesten um sich gegriffen,
und er findet in einer der wirklichen Selbstbeobachtung völlig ent-
fremdeten speculativen Psychologie immer noch einen treuen Bundes-
genossen. Wenn einer der einflussreichsten Psychologen und Päda-
gogen die Bedeutung des Unterrichts für die Erziehung damit glaubt
begründen zu können, dass dieser «am meisten dauerhaft wirke, weil
erworbene Kenntnisse bleiben, während Gewohnheit und Sitte sich
andern''*), so gibt es in der That für den verwirrenden Einfluss
dieser Anschauung kaum ein augenfälligeres Beispiel. Um wie viel
richtiger hat hier schon Aristoteles gesehen, wenn er auf die Be-
deutung der Uebung und Gewöhnung für die Charakterbildung einen
so hohen Werth legte, dass ihm eben deshalb die Sitte und die
Sittlichkeit wesensverwandt erschienen. Aber freilich, er dachte auch
noch nicht an eine Mechanik der Vorstellungen, die die intellec-
tuellen Bewusstseinsinhalte als ein ewig bleibendes Sein, Gefühle
und Triebe aber als ein wechselndes Geschehen betrachtet, das nur
Ton den zufälligen, fortwährend veränderlichen Verhältnissen der
Vorstellungen abhänge. In diesen Verirrungen der speculativen
Psychologie ist jene intellectualistische Tendenz, die, gefördert durch
die bei der Lösung der Probleme angewandte logische Reflexion,
alle Geisteswissenschaften ergriffen hat, offenbar auf die Spitze ge-
trieben, während doch die Bekämpfung dieser Tendenz und der
mit ihr zusammenhängenden populären Vorurtheile eine der vor-
nehmsten Aufgaben der Psychologie sein sollte. Wer sich aber erst
durch die experimentelle Selbstbeobachtung den Blick für die un-
*) Herbart, Briefe über die Anwendung der Psychologie auf Pädagogik.
Werke, herausgegeben von Hartenstein, X, S. 348.
302 Logik der Psychologie.
geheure Bedeutung der Gefühls- und Willensseite des psychischen
Lebens geschärft hat, der wird es in der That wohl begreifen, dass
z. B. die Psychologie des Verbrechens genau das Gegentheil von
dem lehrt, was der obige Satz Herbarts ausspricht: Kenntnisse können
vergehen, aber Sitte und Gewöhnung und der aus beiden gefugte
Charakter des Menschen beharren.
Wenn es einer exacten Behandlung der Individualpsychologie
bedarf, um solche Irrthümer, die aus dem intellectualistischen Vor-
urtheil entspringen, zu beseitigen, so wird dagegen yomehmlich die
Völkerpsychologie dazu bestimmt sein, einseitig individualistischen
und unhistorischen Auffassungen entgegenzuwirken. Lehrt sie doch
die wichtigsten geistigen Schöpfungen als coUective Erzeugnisse
kennen, die zugleich zu Bedingungen des geistigen Lebens zurück-
führen, die so weit wie immer möglich von denen des Beobachters
entfernt sind. Wer erst dazu gelangt ist einer uns so fremd ge-
wordenen Geistesverfassung wie der, aus der Sprachformen und
Mythenbildungen hervorgingen, ein psychologisches Verständniss ab-
zugewinnen, der wird auch der Aufgabe , die Völkerkunde und Ge-
schichte fortwährend an den Forscher stellen, besser genügen können :
der scheinbar widersprechenden Aufgabe nämlich, sein eigenes Selbst
zu vergessen und doch zugleich in dem selbst Erlebten den Schlüssel
zu finden zu den Eigenschaften anders gearteter Menschen, Zeiten
und Völker. Ueberdies sind die Hauptobjecte der Völkerpsycho-
logie, Sprache, Mythus und Sitte, Erscheinungen, bei denen sich die
Entstehungsweise coUectiver geistiger Erzeugnisse am einleuchtend-
sten darthun lässt, so dass sie sich vor anderen zur Feststellung
jener psychischen Wechselwirkungen eignen, die bei den verschie-
densten Objecten der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften
überall wiederkehren.
Hiermit hängt schliesslich die allgemeinste Anwendung zu-
sammen, die die Psychologie auf die einzelnen Geisteswissenschaften
zulässt. Ist jene diesen gegenüber principiell die grundlegende
Disciplin, so werden sich die Gesetze des Geschehens, mit deren Er-
forschung es die Psychologie zu thun hat, auch in Geschichte und
Gesellschaft wirksam erweisen. Wenn es also möglich sein sollte,
in diesen Gebieten allgemeine Principien aufzufinden, denen die ein-
zelnen Erscheinungen unterzuordnen sind, so können solche immer
nur Anwendungen psychologischer Principien unter besonderen Be-
dingungen sein. Dies ist aber zugleich der Punkt, bei dem sich am
unmittelbarsten die theoretische Beziehung der Psychologie zu den
Philologie und Geschichte. 303
spedellen Geisteswissenschaften wird nachweisen lassen. Während
daher die concrete und praktische Nutzanwendung der psychologischen
Erkenntniss auf einzelne Probleme, von der oben die Rede war,
durchaus den besonderen Fällen dieser Anwendung überlassen bleiben
muss, wird es hauptsächlich eine Aufgabe der folgenden Unter-
suchungen sein, jenem Zusammenhang der . historischen und socio-
logischen mit den psychologischen Principien näher nachzugehen.
Drittes Capitel.
Die Logik der Geschichtswissenschaften.
1. Die Philologie.
a. Philologie und Geschichte.
Gegenüber beschränkteren Auffassungen^ welche die Philologie,
ansehend von dem frühesten Gegenstand ihrer Beschäftigung, dem
classischen Alterthum, oder von gewissen einzelnen Richtungen ihrer
Forschung; bald als „Alterthumswissenschaft*', als „Exegese und
Eoitik der classischen Schriftsteller '', bald als „Studium der Sprachen
und Literaturen*^ u. dergl. definirten, hat zuerst August Boeckh,
seinen Blick auf das Ganze richtend, „die Erkenntniss des Er-
kannten*, das Verständniss der gesammten Erzeugnisse des mensch-
lichen Geistes, als ihre Aufgabe bezeichnet'*'). Indem er aber gleich-
zeitig betonte, dass diese Aufgabe in allen wesentlichen Punkten
mit derjenigen der Geschichte zusammenfalle, war damit die Frage
nahe gelegt, ob die Philologie überhaupt noch als eine besondere
Wissenschaft neben der eigentlichen Geschichte, oder ob sie nur als
ein , Studiengebiet ** innerhalb der letzteren anzuerkennen sei *"*"). Diese
Frage bleibt selbst dann eine offene, wenn man, mit Rücksicht auf
*) Boeckh, Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissen-
^hafien. Herausgegeben von Bratuscheck. Leipzig 1877, S. 10 ff. Vgl. auch
L. T. ürlichs in Iwan Müllers Handbuch der classischen Alterthumswissen-
schaft, I, S. 3.
*^ H. üsener, Philologie und Geschichtswissenschaft. Bonn 1882,
S. 20ff.
304 Logik der GeschichtswissenschsfteD.
die Bedeutung der von der Philologie behandelten Objecte, die etwas
unbestimmte Definition Boeckhs durch den Begriff einer allgemeinen
„Culturwissenschaft'' ersetzt*), da in diesem Fall das Verbaltniss
einer solchen zur Culturge schichte wiederum der näheren Fest-
stellung bedarf.
Auch hier ist jedoch nicht zu vergessen, dass unsere Ein-
theilung der Wissenschaften und vor allem die der Geisteswissen-
schaften an und für sich nicht noth wendig verschiedenen Objecten,
sondern zunächst nur verschiedenen Standpunkten bei der AusftQirung
der Untersuchung entspricht (vgl. oben S. 12). In der That sind
die Gegenstände der Philologie, die Sprache, die Religion, die Werke
der Literatur, nicht nur zugleich Objecte der historischen Forschung,
sondern es kann auch ein Verständniss derselben immer nur durch
das Studium ihrer Entstehung und ihrer geschichtlichen Bedingungen
gewonnen werden. Darum ist zweifellos die Philologie den Ge-
schichtswissenschaften im weiteren Sinne beizuzählen. Dennoch ist
es ein Gesichtspunkt, der sie von andern Formen historischer Be-
trachtung scheidet: die Philologie hat nicht, wie die Geschichte^
das Geschehen selbst, sondern geistige Erzeugnisse zu ihren
Objecten. Wenn wir sie daher als , Wissenschaft der Geistes-
erz eugnisse^ definiren, so dürfte das im wesentlichen mit der oben
erwähnten Begriffsbestimmung Boeckhs, abgesehen von der einseitig
intellectualistischen Fassung derselben, dem Sinne nach zusammen-
treffen**). Zugleich fordert aber freilich diese Begriffsbestimmung
eine genauere Begrenzung der Philologie gegenüber der Geschichte.
Wie jede empirische Wissenschaft, so will auch die Geschichte
eine Erkenntniss der Thatsachen und ihres inneren Zusammen-
hanges vermitteln. Aber die Thatsachen, aus denen das historische
Geschehen besteht, lassen nur theilweise jenem Begriff des XÖ70C
sich unterordnen, von dem die Philologie ihren Namen tnkgt. Be-
stimmte Naturbedingungen, wie geographische Lage und äussere
Naturereignisse, greifen in das historische Geschehen bestimmend
ein, und auch unter den menschlichen Willenshandlungen, die an
demselben theilnehmen, finden sich manche, die nicht zu bleibenden
Geisteserzeugnissen geführt haben und darum einer philolog^ischen
Literpretation unzugänglich bleiben. Die Motive z. B., von denen
*) H. Paul, Grandriss der germaoiBchen Philologie, 3. Abschn. S. 158.
**) Vgl. oben S. 31. Zu der systematischen Stellung der Philologie über-
haupt vgl. meine Abhandlung über die Eintheilung der Wissenschaften, Phil.
Stud. V, S. 45 £F.
Philologie and Geschichte. 305
die mannigfachen Wanderungen der Völker im Anfang der alten und
der neueren Geschichte bestimmt waren, entziehen sich fast gänzlich
den HUlfsmitteln philologischer Untersuchung. Während sich ausser-
dem für die Geschichte der Werth der geistigen Schöpfungen ledig-
lich nach der Wirkung bemisst, die sie auf die geschichtlichen Vor-
gänge ausgeübt, trägt für die philologische Betrachtung jedes Geistes-
product seinen Werth in sich selber. Dieser Vertiefung in das
Einzelne, die der Philologie eigen ist, muss sich am meisten die
allgemeine Geschichte entschlagen; mehr verbindet sie sich mit den
specielleren Zweigen der Cultur-, Kunst- und Literaturgeschichte,
und diese nehmen darum auch thatsächlich eine Art Mittelstellung
ein zwischen Philologie und Geschichte, um so mehr als ihre Ob-
jecte unmittelbar viel weniger von äusseren Naturbedingungen ab-
hängen als die Thatsachen der allgemeinen und politischen Geschichte.
Immerhin bleibt der Unterschied, dass bei der historischen Betrach-
tung das Einzelne nur im Hinblick auf die ganze Entwicklung an
der es theilnimmt Verwendung findet, während umgekehrt die philo-
logische Untersuchung die historische Entwicklung bloss insofern be-
rücksichtigt, als sie die Erkenntniss des Einzelnen vermitteln hilft.
Diesem Gegensatz der Zwecke entspricht zugleich ein Gegensatz der
Methoden. In der philologischen Forschung herrscht das analytische
Verfahren, in der historischen das synthetische vor. Jene sucht ihren
Gegenstand in Bezug auf die Zusammensetzung und Verbindung der
Theile zu ergründen; diese ist bestrebt, ihn in dem Zusammenhang
der Thatsachen zu begreifen, auf dem seine Bedeutung für die ge-
schichtliche Entwicklung beruht. Die Art dieses (Gegensatzes zeigt
aber zugleich, wie innig Philologie und Geschichte zusammenhängen.
Der einzelnen geistigen Schöpfung wird ihre geschichtliche Stellung
nur dann richtig anzuweisen sein, wenn sie selbst zunächst in Be-
zug auf ihre Wahrheit und ihren eigenen Werth geprüft ist. Der
Historiker muss also vor allem Philologe sein. In der Herbei-
schaffung, Prüfung und Sichtung seines Materials arbeitet er nur
mit philologischen Hülfsmitteln. Die eigentUch historische Thätig-
keit beginnt erst in dem Augenblick, wo er aus den durch die philo-
logische Analyse sichergestellten Thatsachen nunmehr auf synthe-
tischem Wege die historischen Ereignisse in ihrem Zusammenhang
zu construiren beginnt. Umgekehrt muss aber auch der Philologe
Historiker sein, wenn ihm nicht bei der Analyse des Einzelnen der
Massstab objectiver Beurtheilung fehlen soll. So macht auch hier
jener eigenthümliche Cirkel sich geltend, der uns noch mannigfach
Wandt, Logik. II, S. S. Aufl. 20
306 Logik der Geschichtswissenschaften.
in dem Verhältniss der einzelnen Geisteswissenschaften zu einander
begegnet (vgl. oben S. 226). Das Ganze fordert die Eenntniss des
Einzelnen, und das Einzelne kann wiederum nur aus dem Ghmzen
heraus verstanden werden. Der Widerspruch dieses Cirkels würde
unlösbar sein, wenn nicht auch hier jene bei aller wissenschaftlichen
Forschung hülfsbereite Thätigkeit eingriffe, welche durch hypothe-
tische Voraussetzungen der wirklichen Erkenntniss vorauseilt, um der
Forschung bestimmte Gesichtspunkte zur Prüfung darzubieten, aus
deren Widerlegung oder Bestätigung allmählich sichere Resultate ge-
wonnen werden.
Vermöge ihrer Aufgabe ist die Philologie ebenso die specielle
Grundlage der Geisteswissenschaften, wie die Psychologie deren all-
gemeine ist. Während die letztere die Gesichtspunkte an die Hand
gibt, nach denen das geistige Leben in allen seinen Erscheinungen
beurtheilt und schliesslich erklärt werden muss, liefert die erstere
die Hülfsmittel und Methoden, mittelst deren der Thatbestand jedes
einzelnen Geschehens sichergestellt und auf seinen inneren und
äusseren Werth geprüft werden kann. Die Philologie erscheint so
zunächst als Hülfsgebiet der Geschichte. Aber da alle Geistes-
erzeugnisse aus historischen Bedingungen hervorgegangen sind, so
ruhen alle andern Geisteswissenschaften wieder auf der Basis der
Geschichte, und es erstreckt sich daher auch auf sie das Mittleramt
der Philologie. So nehmen in den verschiedenen Theilen der Qe-
sellschaftslehre, namentlich in den Rechts- und Staatswissenschaften,
die historische Begründung der Thatsachen und die philologische
Kritik der Quellen eine wichtige Stelle ein. Die Philosophie kann«
da ein wichtiger, in alle andern Gebiete eingreifender Bestandtheil
derselben ihre eigene Geschichte ist, der philologischen Forschung
nicht entbehren. In ähnlichem Sinne gewinnt aber diese selbst für
Mathematik und Naturwissenschaft ihre Bedeutung. Auch sie sind
Geisteserzeugnisse und bieten in ihrem historischen Werden überall
wichtige Probleme philologischer Untersuchung dar. Trotz dieser
vielseitigen Beziehungen wird die Philologie in den allgemeineren
Umkreis der Geschichtswissenschaften einzuordnen sein; denn jene
Beziehungen entspringen doch vor allem daraus, dass alle andern
Wissenschaften zugleich Objecte historischer Betrachtung sein
können. An die Philologie schliesst sich daher zunächst die Ge-
schichtswissenschaft im engeren Sinne an. Zwischen beide schieben
sich aber eine Reihe von Disciplinen ein, die den synthetischen
Standpunkt der geschichtlichen mit der analytischen Thätigkeit der
Philologische Interpretation. 307
philologischen Forschung verbinden. Bei den oben erwähnten Ge-
bieten der Cnltur-, Kunst- und Literaturgeschichte überwiegt wie
dem Namen, so der Sache nach das historische Element; sie werden
daher angemessen der Geschichte zugerechnet. Bei andern dagegen
liegt der Schwerpunkt so sehr auf der philologischen Seite, dass sie
schon aus diesem Grunde kaum von der eigentlichen Philologie los-
zulösen sind. Ausserdem pflegen sie theils wegen des über die
frühesten historischen Documente hinausragenden Alters ihrer Ent-
wicklung, theils wegen des verhältnissmässig geringen Zusammen-
hangs mit den Ereignissen der allgemeinen Geschichte von dieser
wenig oder gar nicht berücksichtigt zu werden. Hierher gehören
die Geschichte der Sprachen, der mythologischen Vorstellungen und
der sittlichen Anschauungen. Sprachwissenschaft, Mythologie und
historische Ethik oder Ethologie mögen darum unter dem Doppel-
namen von philologisch-historischen Wissenschaften zu-
sammengefasst werden.
Da das Object der eigentlichen Philologie das einzelne Geistes-
erzeugniss ist, so hat die philologische Forschung als solche zwei
Hauptaufgaben. Die erste besteht in der Erkenntniss des Inhalts
und der Bedeutung des Forschungsobjectes, die zweite in der Fest-
stellung der ursprünglichen, von zufälligen oder absichtlichen Ver-
änderungen gereinigten Beschaffenheit des Erzeugnisses. Der ersten
Aufgabe entspricht die philologische Interpretation, der
zweiten die philologische Kritik. Nachdem wir uns mit den
allgemeinen Eigenschaften der Interpretation und Kritik bereits ein-
gehend beschäftigt, bleibt uns hier nur übrig, die specifischen Eigen-
thümlichkeiten in der philologischen Anwendung dieser Methoden
hervorzuheben. (Vgl. Cap. I, S. 81 ff.)
b. Die philologische Interpretation«
Die philologische Interpretation oder Hermeneutik hat, der all-
gemeinen Aufgabe der Philologie entsprechend, das Verständniss gei-
stiger Erzeugnisse, ihrer Bedeutung und der Bedingungen ihrer Ent-
stehung zu vermitteln. Die Interpretation geht hierbei von einer
doppelten Reihe von Thatsachen aus: erstens von objectiven,
die theils dem Geisteserzeugniss selbst angehören, theils in nach-
weisbaren Beziehungen zu ihm stehen, und zweitens von subjec-
tiven, entweder als allgemeingültig anerkannten oder sich für den
speciellen Fall geeignet erweisenden psychologischen Erfahrungen.
308 Logik der Geschichtowissenscfaaften.
Die Thatsachen der ersten Reihe können wir, da sie, gleich dem
untersuchten Geisteserzeugniss selbst, stets der Geschichte angehören,
als die historischen, die Thatsachen der zweiten Eleihe als die
psychologischen Interpretationselemente bezeichnen. Unter
ihnen bedürfen die historischen Thatsachen der psychologischen Er-
klärung, während diese wiederum von einer richtigen historischen
Auffassung abhängig ist. Daraus entsteht eine Hin- und Her-
bewegung der Untersuchung, die es unmöglich macht, die histori-
schen und psychologischen Interpretationselemente getrennt zu ver-
werthen. Dazu kommt, dass sich auch in der logischen Anwendung
beide Elemente wesentlich ähnlich verhalten. Die psychologische
Beurtheilung eines Geisteserzeugnisses bedarf nämlich vermöge der
Vielgestaltigkeit und Unerschöpflichkeit der psychologischen Ge-
sichtspunkte fast in jedem einzelnen Fall einer besonderen Induction.
Es gestaltet sich daher die historische wie die psychologische Inter-
pretation im allgemeinen so, dass beide zuerst auf inductivem Wege
aus Thatsachen, die mit dem zu erklärenden Geisteserzeugniss ver-
wandt sind oder mit ihm in Beziehung stehen, eine bestimmte Vor-
aussetzung gewinnen, und dass hierauf durch eine sich anschliessende
Deduction diese Voraussetzung auf den speciellen Fall angewandt
wird. Wir können demnach hier, wie bei jeder Interpretation, ein
Stadium der. inductiven Vorbereitung und ein solches der
deductiven Anwendung unterscheiden. Dieses Gesetz erfahrt
aber ausserdem durch den eigenthümlichen Charakter der philologi-
schen Probleme bestimmte Beschränkungen. Vor allem hat nämlich
die Voraussetzung, zu der die Induction führt, nur selten den Cha-
rakter einer allgemeingültigen Regel, sondern, entsprechend dem
singulären Charakter historischer Ereignisse, pflegt sie aus einzelnen
Thatsachen, manchmal sogar nur aus einer einzigen zu bestehen.
Um die Unvollkommenheiten eines solchen Verfahrens auszugleichen,
bemüht man sich, wo möglich zahlreiche Inductionen verschiedenen
Inhalts bei jeder einzelnen Interpretation zu verwenden. Auch das
Beweisverfahren, das sich an eine solche Untersuchung anschliesst,
hat demnach ganz und gar den Charakter des praktischen In-
ductionsbeweises. (Bd. II, 1, S. 75.) Es versteht sich von selbst,
dass eine Induction solcher Art häufig der zwingenden Beweiskraft
ermangelt. Doch kommt die nämliche singulare Natur histori-
scher Ereignisse, welche die Un Vollkommenheit der Induction ver-
schuldet, dem deductiven Theil des Verfahrens zu gute. Denn je
einzigartiger die Erscheinungen sind, um so geringer braucht die
Philologische Interpretation. 309
Menge übereinstimmender Erfahrungen zu sein, die zum Nachweis
causaler Beziehungen zwischen ihnen erfordert werden. So kommt
es, dass gerade diejenigen Resultate der philologischen Interpretation
die sichersten zu sein pflegen, die auf einer beschränkten Anzahl
ToUkommen gesicherter Thatsachen beruhen, während Voraussetzungen
allgemeinerer Art, wie sie z. B. bei der Berufung auf den Geist einer
Sprache oder eines bestimmten Schriftstellers, auf allgemeine Ver-
hältnisBe der Cultur und der politischen Lage wirksam sind, nur
höchst unsichere Anwendungen zulassen.
Zu den historischen Interpretationselementen rechnen
wir nicht bloss die der eigentlichen Geschichte in ihren verschie-
denen Verzweigungen zugehörigen Thatsachen, sondern insbesondere
auch die Objecte der philologisch-historischen Forschung, Sprache,
mythologische und ethische Anschauungen. Die Sprache als das
allgemeine Hülfsmittel des Gedankenausdrucks ist zwar nicht die
einzige, aber doch die häufigste Form, in der uns Geisteserzeugnisse
gegeben sind. Die grammatische Interpretation ist so der erste
Schritt in der historischen Untersuchung eines Literaturdenkmals.
Nimmt sie auch in ihren Anfängen auf die speciellere Zeitfärbung
der sprachlichen Form noch wenig Rücksicht, da es sich zunächst
darum handelt, aus dem allgemeinen Geist der Sprache heraus den
Sinn der Gedanken festzustellen, so ist doch schon dieses Allgemeine
ein in gewissen historischen Grenzen gegebenes. Je tiefer aber die
grammatische Deutung eindringt, um so mehr muss sie zugleich
den specielleren Momenten der Sprachgeschichte, dem Laut- und
Bedeutungswandel, den dialektischen Färbungen und den im tropi-
schen Gebrauch der Wörter und in directen Anspielungen versteckt
liegenden historischen Beziehungen Rechnung tragen. So führt die
grammatische Analyse vom Allgemeinsten beginnend schliesslich bis
zu der Grenze, wo das für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten
Ort Gültige durch den individuellen Charakter des Schriftstellers
modificirt erscheint, an welchem Pimkte nunmehr die psychologische
Untersuchung einsetzt.
Die psychologischen Interpretationselemente sind
theils subjectiver, theils objectiver Art. Die subjective Inter-
pretation sucht an der Hand der historisch gegebenen Momente von
der Individualität des Schöpfers eines Geisteserzeugnisses eine An-
schauung zu gewinnen, um von dieser aus einzelne Seiten des Er-
zeugnisses verstehen zu lernen. Die Quellen dieser subjectiven Deu-
^ng fliessen um so reicher, je mehr sich der Urheber zugleich in
310 Logik der Geschichtswissenschaften.
andern Geistesschöpfungen bethätigt hat, und je eigenartiger seine
Schöpfungen sind, während sie bei vereinzelten Erzeugnissen und
bei solchen von wenig originellem Charakter ganz versiegen können.
Dagegen bleibt die objective psychologische Deutung immer
in gewissem Grade anwendbar. Sie bezieht sich auf den Zweck,
den der Urheber eines Erzeugnisses bei dessen Schöpfung verfolgte.
Auch diese Deutung ist eine psychologische, weil wir bei ihr von
dem objectiv gegebenen Thatbestand, wieder unter Herbeiziehung
historischer Momente, auf die ursprüngliche Zweckvorstellung des
Autors zurückschliessen und aus dieser nun ein Verständniss ge-
wisser Bestandtheile des Objectes zu gewinnen suchen.
Bei allen diesen in der wirklichen Forschung stets iu einander
greifenden Formen der Interpretation folgen sich in der vorhin an-
gedeuteten Weise Induction und Deduction, Enumeration und Ana-
logie. In dem hierbei grundlegenden Verfahren der Sammlung ähn-
licher Thatsachen kommt die vergleichende Methode in den
beiden Formen der individuellen und der generischen Ver-
gleichung zur Anwendung. (Vgl. Cap. 1, S. 65.) Beide Formen
treten zugleich in unmittelbare Beziehung zu den Unterarten der
historischen und psychologischen Interpretation. Die erstere verfährt
individuell, wenn sie ein Geisteserzeugniss nach den in ihm selbst
liegenden Merkmalen zergliedert; sie verfährt generisch, indem sie
verwandte Schöpfungen, gleichzeitige Verhältnisse der Cultur und
Geschichte zur Erklärung herbeizieht: die gi-ammatische Inter-
pretation ist also vorzugsweise individuell, die historische im engeren
Sinne ist in diesem Fall generisch. Unter den psychologischen Inter-
pretationsformen ist die subjective wieder individuell: sie sucht aus
der Individualität des Schriftstellers oder Künstlers die Eigenart
seiner Schöpfung zu erklären; die objective ist generisch, denn der
Zweck eines Werkes fordert die Berücksichtigung anderer Erzeugnisse
ähnlicher Art. Bestimmte Kunstformen, z. B. die Uede, der Dialog,
das Epos, das Drama, besitzen unter bestimmten historischen Be-
dingungen einen gewissen allgemeinen Charakter, der für die Er-
klärung des Einzelnen mannigfache Gesichtspunkte an die Hand
gibt*).
*) Von ßoeckh ist von den zwei letzten Methoden, die hier psycho-
logische genannt sind, die subjective allgemein als die individuelle, die
objective als die generische bezeichnet worden, und beide werden von ihm
unter dem Namen der subjectiven Interpretationsformen der grammatischen
und historischen als den objectiven gegenübergestellt (a. a. 0. S. 83). Hier-
Philolog^ecbe Interpretation. 311
Bei der ünyollständigkeit der hermeneutischen Induction ist es
begreiflich, dass nicht selten die empirisch gegebenen Interpretations-
elemente nicht genügen, um eine Deduction zu begründen. Dann
ist man genöthigt hypothetische Motive einzuführen, die zu-
nächst versuchsweise angewandt und hierauf, wenn durch sie eine
befriedigende Erklärung gelingt, angenommen werden. Diese hypo-
thetischen Motive selbst müssen wieder den Charakter von histori-
schen oder psychologischen Interpretationselementen besitzen, und
sie werden in der nämlichen Weise wie die thatsächlichen Elemente
in das Schlussverfahren eingeführt. Zuweilen werden sie auch erst
im Verlauf der Untersuchung herbeigezogen: man sieht sich zu ihnen
genöthigt, um bestimmte Interpretationsresultate begreiflich zu
machen. Nur zu leicht ereignet es sich dabei freilich, dass solche
Hülfshypothesen nur deshalb erfordert werden, weil von Anfang an
mit hypothetischen Voraussetzungen operirt wurde. Es entsteht so
ein Gewirre von Hypothesen, von denen immer die eine die andere
stützen muss, während vielleicht keine einzige zureichend durch die
Thatsachen gestützt wird. Hier wie in andern Fällen kann es als
eine bewährte Regel gelten, dass eine Hypothese um so verdächtiger
wird, je mehr sie der Hülfshypothesen zu ihrer Aufrechterhaltung
bedarf.
Die Betheiligung hypothetischer Elemente an der philologischen
Interpretation ist selbstverständlich um so unentbehrlicher, je spär-
licher die thatsächlichen Grundlagen sind, von denen sie ausgeht.
Einen charakteristischen Fall dieser Art bildet die Entzifferung der
Hieroglyphentexte mittelst der mehrsprachigen Inschriften. Hier
handelte es sich um eine grammatische Interpretation, bei der Sprache
und Schriftzeichen unbekannt waren. Den einzigen Anhaltspunkt
bildete bei dem berühmten Stein von Rosette der Umstand, dass
sich unter dem unbekannten Text seine Uebersetzung in griechischer
Sprache befand. Hierdurch war unmittelbar die Annahme nahe ge-
legt, dass gewisse durch eine Einrahmung ausgezeichnete Gruppen
hieroglyphischer Schriftzeichen den im griechischen Text enthaltenen
Namen entsprächen. Die Häufigkeit ihres Vorkommens bestätigte
diese Vermuthung, an die sich nun die fernere Hypothese anschloss,
dass die Hieroglyphen als Lautzeichen anzusehen seien. Weitere
Inschriften wurden zur Vergleichung herbeigezogen; historische Be-
^ sind aber die Ausdrücke individuell und generisch nicht in dem früher
^'ingeföhrten allgemeineren logischen Sinne gebraucht (vgl. Bd. II, 1, S. 342).
312 Logik der Gteschichtswissenschaften.
Ziehungen Hessen in gewissen ebenfalls ausgezeichneten Gruppen
andere bekannte Namen vermuthen, durch deren Zerlegung sich die
Zahl der bekannten Lautzeichen vermehrte. Die Bestätigung der
Annahmen wurde endlich dadurch bewirkt, dass man die einzelnen
Namen, wie z. B. Ptolemaios und Eleopatra, in Bezug auf ihre
übereinstimmenden und nicht übereinstimmenden Buchstaben verglich.
Da diese Vergleichung nicht immer das erwartete Zeichen ergab, so
wurde man zu der weiteren Annahme mehrfacher Symbole für den
nämlichen Laut gezwungen. Wäre eine unverhältnissmässig häufige
Anwendung dieser Hülfshypothese erforderlich gewesen, so hätte
dies sicherlich die ursprüngliche Voraussetzung in Frage gestellt.
Innerhalb der Grenzen, in denen sie gebraucht wurde, erweiterte sie
nur die Kenntniss des Schriftsystems, durch dessen Analyse man
hier allmählich unter Zuhülfenahme bereits bekannter verwandter
Idiome in die Grammatik der altägyptischen Sprache eindrang"^).
Weit mehr tritt das hypothetische Element zurück bei Litera-
turerzeugnissen, die einer wohlbekannten Sprache angehören; auch
entspricht hier gerade die grammatische Interpretation am meisten
einer Deduction aus allgemeinen Regeln, die durch zahlreiche
vorangegangene Inductionen festgestellt sind. Dennoch lässt selbst
die grammatische Regel dem historischen und individuellen Sprach-
gebrauch noch einen weiten Spielraum, so dass sie in Bezug auf
Allgemeingültigkeit mit den Principien der physikalischen Deduction
nicht auf gleiche Linie gestellt werden kann. Gerade da, wo das
sprachliche Verständniss an sich keine Schwierigkeit bietet, liegt
nun aber in der Würdigung der historischen und psychologischen
Momente der Schwerpunkt der Interpretation, und für dieses Gebiet
wird stets vermöge des singulären Charakters der Thatsachen eine
Generalisation unmöglich sein. Dabei können jedoch die Thatsachen«
die statt allgemeiner Regeln der hermeneutischen Deduction zu
Grunde liegen, bald von der umfassendsten, bald von der beschränk-
testen Art sein. So setzt Dantes Divina Commedia zu ihrem Ver-
ständniss nicht nur eine Menge historischer Beziehungen aus der
Zeitgeschichte und dem Leben des Dichters, sondern auch eine ein-
*) Vgl. die Literaturgeschichte dieser Entdeckung bei Gurt Wachs-
muth, Einleitung in das Studium der alten Greschichte, 1895, S. 851 ff. Analog
diesem Beispiel die Interpretation der Keilinschriften von Persepolis, för die
das Verfahren von dem ersten Entzifferer 6. F. Grotefend in Heerens Ideen
über die Politik, den Verkehr u. s. w., Bd. I (3. Aufl. S. 563 ff.) geschildert
worden ist. Vgl. auch Gott. Gel. Anz. 1893, Nr. 14.
Philologische Kritik. 313
gehende Kenntniss der mittelalterlichen Theologie und Philosophie
Yorans. In andern Fällen dagegen kann irgend ein isolirtes histo*
risches Factum zu einem dichterischen Bild oder einer Anspielung
Anlass geben. So legt Sophokles im Oedipus auf Kolonos der
Antigene einige Worte in den Mund, in denen eine Beziehung auf
einen Streit des Dichters mit dem eigenen Sohne nicht zu verkennen
ist, sobald man nur weiss, dass ein solcher Streit uro dieselbe Zeit
sich ereignet hat. In der Unterredung Hamlets mit Rosenkranz und
Güldenstem würde man in der Erwähnung dramatischer Kindervor-
stellungen, die das ernsthafte Schauspiel in der Gunst des Publicums
beeinträchtigten, sofort die Anspielung auf ein Zeitereigniss ver-
muthen, auch wenn das Factum nicht ausdrücklich bezeugt wäre.
Gerade diese Beispiele, wo aus einer einzigen Thatsache eine Stelle
interpretirt werden kann, zeigen zugleich deutlich, dass hierbei trotz-
dem wegen der vereinzelten Beschaffenheit der erklärenden wie der
erklärten Thatsache der Analogieschluss eine Sicherheit erreichen
kann, durch die er sich der exacten Analogie nähert. Darum pflegen
auch, abgesehen von den rein hypothetischen Erklärungen, diejenigen
hermeneutischen Inductionen die unsichersten zu sein, deren Resultat
einen allgemeineren Charakter besitzt, und die daher zahlreicher
Voraussetzungen bedürfen. Ueber die Deutung des Ooethe'schen
Faust im ganzen ist bekanntlich viel gestritten worden, während die
zahlreichen Anspielungen, die an einzelnen Stellen vorkommen, dem-
jenigen der die historischen Beziehungen kennt nicht zweifelhaft
sein können*).
c. Die philologische Kritik.
Die nächste Aufgabe der philologischen Kritik bezieht sich auf
die Frage der Echtheit geistiger Erzeugnisse. Da die Philo-
logie als die allgemeine Wissenschaft der ßeisteserzeugnisse vor
allem den Thatbestand derselben festzustellen hat, so ist diese
äussere Kritik eine specifisch philologische Aufgabe. Sobald die
innere Kritik beginnt, tritt das untersuchte Object zugleich in den
*) Ueber philologische Interpretation und Kritik im allgemeinen sowie
aber die einzelnen Formen derselben vgl. Schleiermacher, Werke zur
PbÜM.111, 8.344 ff. und 387 ff. Boeckh, Encyklopädie und Methodologie der
pbilol. Wissensch., 8. 79 if. F. Blas s in Müllers Handbuch der klassischen Alter-
Ümmawigsensch. I, S. 14, 150 ff. H. Paul, Grundriss der gei-manischen Philologie,
8. 152 ff. F. Bücheier, Philologische Kritik. 1878.
314 Logik der Geschichtswissenschaften.
Gesichtskreis der speciellen Wissenschaft dem es zugehört, der Ge-
schichte, wenn es ein historisches Factum, der Aesthetik, wenn es
eine Schöpfung der Kunst, der Jurisprudenz, wenn es eine Rechts-
norm ist, u. s. w. Trotzdem ist nicht bloss die äussere Kritik eine
philologische Aufgabe; schon deshalb nicht, weil sie sich gar nicht
von der innern trennen lässt, indem aus dieser nicht selten die ent-
scheidenden Gesichtspunkte fQr die Beurtheilung der Echtheit ge-
wonnen werden müssen. Uebrigens hängt es von der historischen
Stellung der Objecte ab, in welchem Masse die äussere Kritik über-
haupt an ihrer Beurtheilung theilnimmt. So unerlässlich sie bei
einem Sophokles oder Plato ist, so geringfügig wird im all-
gemeinen im Verhältniss zur innern Kritik ihre Aufgabe bei einem
Goethe oder Kant; daher der philologische Betrieb moderner
Autoren bekanntlich leicht ins Kleiubche ausartet.
Die Elemente der philologischen Kritik sind, wie diejenigen
der Interpretation, theils historische, theils psychologische That-
sachen; ebenso beruhen ihre Methoden auf dem nämlichen verglei-
chenden Verfahren. Die äussere Kritik verwerthet unter den histo-
tischen Merkmalen vorzugsweise die grammatischen, unter den
psychologischen die subjectiven; die innere Kritik berücksichtigt in
höherem Masse die geschichtliche Stellung und den objectiven psycho-
logischen Zweck eines Erzeugnisses. Dem entsprechend benützt die
äussere Kritik hauptsächlich die individuelle, die innere die gene-
rische Methode der Vergleichung. Der wesentliche unterschied der
kritischen von der hermeneutischen Aufgabe liegt aber in allen
diesen Fällen nicht in dem logischen Verfahren selbst, sondern in
den Gesichtspunkten, die aus den oben bezeichneten Problemen
der Kritik entspringen, und nach denen die Methoden und That-
sachen Verwendung finden. Sie bedingen es, dass dann auch die
Thatsachen in Bezug auf ganz andere Bestandtheile der Prüfung
unterworfen werden, als bei der Interpretation. Der allgemeine
Charakter jener Gesichtspunkte bleibt zugleich der nämliche, ob es
sich um die Echtheit eines umfassenden Schriftwerks oder eines
einzelnen Wortes handelt, ob die Composition eines ganzen Dramas
oder die Angemessenheit eines einzigen Verses an die Situation der
Handlung in Frage steht. Nur der Umfang der Hülfsmittel , die
zur Benützung herbeizuziehen sind, erweitert sich mit der Allgemein-
heit der Aufgaben.
Die äussere Kritik geht stets von bestimmten Voraus-
setzungen aus, in denen sich die für die Prüfung der Echtheit eines
Philologische Kritik. 315
Erzeugnisses massgebenden Gesichtspunkte specialisiren. Diese Vor-
aussetzungen sind noth wendig mehr oder weniger hypothetisch, da
gerade auf der Unsicherheit der Annahmen die Möglichkeit der
kritischen Fragestellung beruht. Bei der nicht selten vorkommenden
Frage z. B., ob ein bestimmtes Schriftwerk von dem Autor her-
rflhre, dem es die Tradition zuschreibt, wird die Annahme der Richtig-
keit der Tradition die nächste Voraussetzung sein. Aber einzelne
Merkmale erwecken Zweifel, und nun hat die Untersuchung im ein-
zelnen festzustellen, ob Compositionsweise , Sprache, vorgetragene
Ansichten mit den anderweitig beglaubigten Werken des Autors
übereinstimmen, und ob die äusseren Zeugnisse, die Berichte und
Citationen anderer Schriftsteller die Annahme unterstützen. So
handelt es sich um eine Sammlung übereinstimmender und unter-
scheidender Instanzen, auf die zuletzt der Schluss gegründet werden
muss. Dabei kann dieser noch durch den Umstand erschwert werden,
dass die Möglichkeit einer Zusammensetzung aus echten und un-
echten Theilen in Betracht zu ziehen ist. So hat man allen Grund,
die , Gesetze*^ für eine echte Platonische Schrift zu halten. Aber
manche Spuren weisen darauf hin, und die Ueberlieferung bestätigt
es, dass sie von einem Schüler des Philosophen überarbeitet ist.
In solchen Fällen entsteht die schwierige Aufgabe, echte und un-
echte Bestandtheile zu sondern. Auch in der Benützung überein-
stimmender und unterscheidender Instanzen muss jedoch mit vor-
sichtiger Erwägung aller andern historischen und psychologischen
Momente verfahren werden. Einzelne Abweichungen von dem ge-
wohnten Sprachgebrauch oder von den sonst bekannten Ansichten
eines Schriftstellers beweisen ebenso wenig unbedingt die Unechtheit
wie umgekehrt Uebereinstimmungen die Echtheit eines Werkes. Bei
einigen dem Plato zugeschriebenen Dialogen z. B. bildet gerade
die auffallende Uebereinstimmung vieler Stellen mit bekannten Pla-
tonischen Schriften einen entscheidenden Grund gegen die Echt-
heit, da man nach dem ganzen Charakter des Philosophen nicht an-
nehmen kann, dass er sich selbst compilirt habe. In solchen Fällen,
wo durch absichtliche Unterschiebung die kritische Frage erschwert
wird, können dann unter Umständen die äusseren Zeugnisse einen
weit höheren Werth gewinnen als die inneren. So bilden die Cita-
tionen bei Aristoteles im allgemeinen die sicherste Gewähr für
die Echtheit Platonischer Werke.
Von etwas anderem Charakter ist die Einzelkritik, die über
die Echtheit oder Unechtheit nicht eines Erzeugnisses im ganzen,
31(5 Logik der Geschichtswissenschaften.
sondern eines einzelnen Bestandtheils , z. B. eines Wortes in einem
Schriftwerk, zu entscheiden hat. Die kritische Frage kann hier
durch zwei Ursachen in Fluss kommen. Erstens können Wider-
sprüche der Ueberlieferung vorliegen, verschiedene Lesarten
der Handschriften und Ausgaben, unter denen natürlich bei Schrift-
werken, die längere Zeit bloss handschriftlich vervielfältigt wurden,
die ersteren den Vorrang behaupten. Hier besteht nun die kritische
Prüfung stets in einem doppelten Vergleichungsverfahren: in einem
generischen, das sich auf den allgemeinen Charakter und die hier-
durch verbürgte relative Glaubwürdigkeit der Handschriften und
Ausgaben bezieht, und in einem individuellen, das die specielle Glaub-
würdigkeit im Auge hat, die der betreffenden Stelle in der einzelnen
Tradition zukommt. Die Möglichkeit der Einschleichung eines
Schreibfehlers , eines inhaltlichen Missverständnisses , der Ueber-
tragung eines Glossems in den Text, namentlich aber die durch
die Lesart entstehenden Schwierigkeiten der Interpretation sind hier
die Hauptmomente der Beurtheilung. Der zuletzt erwähnte Punkt
führt zugleich zu der zweiten Ursache, aus der, ganz abgesehen
von etwaigen Widersprüchen der Ueberlieferung, eine kritische Frage
entspringen kann: sie liegt in der Entstehung eines herme-
neutischen Problems. Ein solches ist immer dann vorhanden,
wenn eine Lesart entweder überhaupt unverständlich ist, oder einen
Sinn gibt, der dem sonstigen Gedankenzusammenhang widerspricht,
oder aus irgend welchen objectiven oder subjectiven Gründen der
Wahrscheinlichkeit entbehrt, z. B. dem- Sprachgebrauch der Zeit,
des Schriftstellers widerstreitet, u. dergl. Stehen bei der Aufwerfung
eines derartigen hermeneutischen Problems nicht andere Lesarten zu
Gebote, durch die dasselbe befriedigend gelöst wird, so beginnt nun
eine Art von experimentellem Verfahren, indem Conjecturen, hypo-
thetische Berichtigungsversuche, gebildet werden, die man so lange
prüft, bis sich unter ihnen eine findet, die mit zureichender Wahr-
scheinlichkeit der unbrauchbaren Lesart substituirt werden kann.
Dabei kommen für die Richtigkeit der Conjectur wieder zweierlei
Kriterien in Betracht: einerseits die Beseitigung des hermeneutischen
Widerspruchs und anderseits die Möglichkeit einer causalen Inter-
pretation der Entstehung der falschen Lesart an Stelle der richtigen.
In letzterer Beziehung können alle diejenigen historischen und
psychologischen Momente herbeigezogen werden, die überhaupt der
Kritik zur Verfügung stehen. Insbesondere aber kommen hier einige
specifische Erklärungsgründe psychologischer Art zur Geltung, die
Phüologiache Kritik. 317
auf die Art der Entstehung der Handschriften und Ausgaben Rück-
sicht nehmen, z. B. durch Abschreiber, welche die Sprache mangel-
haft verstanden, durch Dictiren, welches die Verwechslung ähnlich
lautender Worte begünstigt, u. dergl. Aus unzähligen Einzelunter-
sachungen solcher Art setzt sich schliesslich die grösste Leistung
äusserer philologischer Kritik zusammen : die Wiederherstellung eines
Schriftwerks, das uns unmittelbar nur in einer grösseren Zahl mangel-
hafter und verderbter üeberlieferungen vorliegt, in einem dem ur-
sprünglichen möglichst angenäherten Zustande. Die logische Arbeit,
die dieses Resultat zu Stande bringt, besteht theils aus einer Anzahl
von Einzelinductionen, die in einer Aufzählung einzelner Data ihren
Abschluss finden, und an die sich dann die deductive Anwendung auf
den besonderen Fall anschliesst, theils unmittelbar in der Deduction
aus hypothetischen Voraussetzungen und in der Annahme dieser, nach-
dem sie sich durch die Anwendung bewährt haben. Der erste Fall,
die zusammengesetzte Induction, findet z. B. dann statt, wenn man
die Lesart einer bestimmten Handschrift wegen ihrer durchgehends
grösseren Glaubwürdigkeit vor andern bevorzugt; der zweite Fall,
die hypothetische Deduction und Verification, entspricht dem ge-
wöhnlichen Verfahren der Conjecturalkritik.
Die innere Kritik unterscheidet sich, entsprechend ihrer
abweichenden Aufgabe, schon in ihrem Ausgangspunkt wesentlich
von der äusseren. Die inhaltliche Wüi:digung eines Geisteserzeug-
nisses kann nur auf Grund einer genauen Einsicht in die Zwecke
desselben unternommen werden. Diese sind aber wieder von ob-
jectiver und von subjectiver Art. Der objective Zweck bezieht sich
auf die Norm, der eine geistige Schöpfung vermöge der Gattung zu
der sie gehört unterworfen ist. So folgen Rede, Drama, Epos,
wissenschaftliche Darstellung bestimmten allgemeingültigen, wenn
auch unter historischen Bedingungen einigermassen veränderlichen
Normen. Hier waltet die Methode der generischen Vergleichung vor.
Sie vermittelt zunächst eine Induction, die in einer allgemeinen
Regel oder in einer Aufzählung mustergültiger Beispiele ihren Ab-
schluss findet, und von welcher aus danu auf den einzelnen der
Kritik unterworfenen Fall exemplificirt wird. Neben diesem ob-
jectiven kann aber auch ein subjectiver Zweck, nämlich die indi-
viduelle Absicht die der Urheber eines Erzeugnisses im Auge
hatte, bei der philologischen Beurtheilung in Frage kommen. So
kann dem epischen Dichter ein bestimmter nationaler Zweck, dem
Dramatiker eine ethische Anschauung, dem Redner eine politische
318 Logik der Geschichtswissenschaften.
Tendenz vorschweben, und die Kritik hat nun zu untersuchen,
ob diese besonderen Zwecke mit angemessenen Mitteln erreicht
worden sind. Hier ist die Methode der individuellen Vergleichung
vorherrschend. Zunächst sucht man aus einzelnen Merkmalen die
obwaltende Tendenz zu erschliessen ; dann wird diese theils an und
für sich in Bezug auf ihre Berechtigung beurtheilt, theils aber wird
untersucht, ob das Erzeugniss als Ganzes und in seinen einzelnen
Bestandtheilen im Stande ist die gewünschte Wirkung hervorzu-
bringen. Beide Untersuchungen, die objective wie die subjective.
sind mit psychologischen Deductionen verwebt. Diese werden um
so vorwaltender, je individueller das der Kritik unterworfene Werk
ist, und je mehr man von den ursprünglichen Entstehungsbedingungen
desselben Rechenschaft zu geben sucht. Hier kann es daher ge-
schehen, dass die Kritik, auf die generische Vergleichung Verzicht
leistend, vollständig in der psychologischen Deduction aufgeht, indem
sie entweder die allgemeinen Gesetze über die betreffende Gattung
als bekannt voraussetzt oder ganz von ihnen abstrahirt, um den indi-
viduellen Gegenstand nur nach den in ihm selbst gelegenen Eigen-
schaften und nach den allgemeinen Gesetzen des menschlichen
Denkens und Fühlens zu beurtheilen. Da es namentlich ästhetische
Objecte sind, die eine solche allgemeine Beurtheilung zulassen, so
pflegen diese überhaupt von der philologischen Forschung vor an-
deren bevorzugt zu werden.
2. Die Geschichte.
a. Aufgaben und Richtungen der Geschichtsforschung,
Der Ausdruck „Geschichte" in seiner Anwendung auf die mit
diesem Namen genannte Geisteswissenschaft ist das Erzeugniss einer
doppelten, für die Stellung dieser Wissenschaft zu anderen Gebieten
wie zu ihrem eigenen Gegenstande bedeutsamen Begriffsentwicklung.
Aus der Gesammtsumme des Geschehenen greift die „Geschichte** die
Erlebnisse der menschlichen Gemeinschaft als den für uns werthvoUsten
Bestandtheil heraus; und der Begriff „Weltgeschichte", der im Sinne
dieser Verallgemeinerung an die Stelle des engeren einer Menschheits-
geschichte getreten ist, weist zugleich darauf hin, dass die Mensch-
heit nicht bloss der uns wichtigste und interessanteste, sondern dass
sie auch derjenige Theil der Welt ist, in dem alle wesentlichen
Aufgaben und Richtungen der Geschichtsforschung. 319
Inhalte des Geschehens, selbst des Naturgeschehens, zusammenfliessen.
Darum kann die Geschichte der Natur als ein in sich abgeschlossener
Verlauf, ohne Rücksicht auf die Schicksale des Menschen, unter-
sucht werden. Die Menschheitsgeschichte dagegen setzt die Natur-
bedingungen voraus. Indem sich so in ihr alle uns erkennbaren
Factoren des Geschehens verbinden, ist sie eben im eigentlichen und
bevorzugten Sinne des Wortes Geschichte. Weiterhin aber be-
zeichnet dieser Ausdruck ursprünglich den Geg^enstand der histori-
schen Wissenschaft, den Zusammenhang der geschehenen Ereignisse
selber. Erst vermöge einer zweiten Begriffsübertragung ist er auf
die Darstellung und endlich sogar auf die Untersuchung dieses
Zusammenhangs übergegangen. Durch diese üebertragung werden
beide, der Gegenstand und seine wissenschaftliche Bearbeitung, in
eise so enge Verbindung gebracht, wie sie auf keinem andern Ge-
biete wiederkehrt. Nie würden wir uns z. B. entschliessen, für die
Natur und die Naturforschung denselben Namen zu wählen. Hier
begleitet uns allzu deutlich das Bewusstsein, dass das Object und
seine wissenschaftliche Behandlung völlig verschieden sind. Nun
bleibt solche Verschiedenheit freilich auch bei der Geschichte be-
stehen. Gleichwohl deutet jene Einheit des Ausdrucks von vorn-
herein an, dass hier mehr als anderwärts die Aufgabe der Wissen-
schaft nur in der Aufzeigung der Begebenheiten selbst bestehe.
Das hat Ranke ausgesprochen, wenn er als die einzige Aufgabe des
Historikers die gelten lassen wollte, zu zeigen, „wie die Dinge waren,
und wie Alles gekommen ist** ; und energischer lässt sich das Gefühl
der Einheit des Gegenstandes und seiner Betrachtung nicht aus-
drücken als in dem Wunsche des gleichen Historikers, er möchte
am Uebsten „sein eigenes Selbst auslöschen*^, um sich ganz in die
Wirklichkeit der Ereignisse zu versenken. Hierin eben trägt die
Geschichte in besonderem Grade das allgemeine Merkmal der Geistes-
wissenschaften an sich, dass die unmittelbare Wirklichkeit der Er-
eignisse das einzige Object ihrer Untersuchung ist, und dass sie
daher ihre Aufgabe gelöst hat, wenn es ihr gelingt, die wirklichen
Begebenheiten so treu wie möglich in ihrem Zusammenhang zu
erkennen. (Vgl. Cap. I, S. 14 ff. und Cap. U, S. 259 ff.)
Die Lösung dieser Aufgabe vollzieht sich nun naturgemäss in
verschiedenen Stufen. Zuerst handelt es sich darum festzustellen
,wie die Dinge waren'*, dann zu zeigen »wie Alles gekommen ist".
Die drei Grundfunctionen des Urtheils wiederholen sich also auch
bier: zuerst erzählen und beschreiben, dann erklären (Bd. I, S. 183 ff.).
320 Logik der Geschichtswissenschaften.
Da aber bei den Objecten der Geschichte die Thatsachen und ihre
zeitliche Ordnung an und für sich schon ein Interesse besitzen und
auf einer naiven Erkenntnissstufe dasselbe beinahe ausschliesslich in
Anspruch nehmen, so sind die erzählende und die erklärende
oder entwickelnde Darstellung nicht bloss fortan auf einander
folgende Stadien der geschichtlichen Forschung, sondern sie sind im
allgemeinen zugleich Stufen in der Entwicklung der Geschichts-
wissenschaft. Dabei schiebt sich aber zwischen beide als eine Art
Yon Uebergangsform eine Betrachtungsweise ein, die sich zwar mit
der blossen Kenntniss der Thatsachen nicht mehr begnügt, der es
aber nicht sowohl um das Verständniss derselben als vielmehr um
ihre Verwerthung zu intellectuellen Zwecken, die ausserhalb der
geschichtlichen Vorgänge selber liegen, zu thun ist. Diese Art der
Geschichtsbetrachtung, die man mit einer eigenthümlichen Umdeutung
des Wortes die „pragmatische** zu nennen pflegt, verfolgt zumeist
entweder moralische oder politische Zwecke, wenn nicht beide zu-
gleich*). Dabei ist der Standpunkt in diesen Fällen wieder insofern
ein verschiedener, als der moralisirende Pragmatiker die historischen
Thatsachen nach bestimmten ethischen Normen beurtheilt, der poUti-
sirende dagegen von ihnen politische Nutzanwendungen zu machen
sucht — ein Yerhältniss bei dem beide nicht selten auch die Rollen
tauschen, indem der erste aus der Geschichte moralische Lehren
ableitet, der zweite die Begebenheiten vom Standpunkt einer pohti-
schen Ueberzeugung aus beurtheilt. In diesem der so genannten
pragmatischen Historie überall eigenen Schwanken zwischen Aus-
legung und Beurtheilung, namentlich aber darin, dass bestimmte im
voraus gebildete Zweckbegriffe an die Thatsachen herangebracht
werden, verräth sich die Verwandtschaft dieses Standpunktes mit
dem der teleologischen Naturbetrachtung, dem er in Wahr-
heit logisch wie entwicklungsgeschichtlich entspricht. Wie die teleo-
logische die causale Naturerklärung vorbereitet, so die moralische
und namentlich die politische Geschichtsauffassung die genetische.
Auch hier geht nämlich die Zweckbetrachtung schon insofern über
die rein erzählende Stufe hinaus, als sie naturnothwendig auf die
Motive der Handlungen ihre Aufmerksamkeit richtet. Diese Motive
gehören aber mit zu den Erklärungsgründen des wirklichen Ge-
schehens, wenn sie auch nicht die einzigen sind. Und da die Motive
*) Ueber die erwähnte Umdeutung des Begriffs der pragmatischen Ge-
schichte vgl. unten S. 347. Ueber die geschichtliche Entwicklung der drei Stufen
überhaupt Bernheim, Lehrb. der histor. Methode. 2. Aufl. 1894, S. 13 ff.
N
Aufgaben und Richtungen der Geschichtsforschung. 321
ihrerseits Zweckvorstellungen enthalten, die als Willenskräfte wirk-
sam werden, so besteht in diesem Fall der zu einer objectiv erklä-
renden Geschichtsforschung erforderliche Schritt nur noch darin, dass
an die Stelle einer Beurtheilung nach irgend einem den Dingen selbst
transcendenten Zweck eine immanente Zweckerklärung trete, die
den ungeheuren Wandlungen, denen der zwecksetzende menschliche
Geist im Laufe der Geschichte unterworfen war, und der grossen
Mannigfaltigkeit der Zwecke, die vermöge der Vielgestaltigkeit
menschlicher Anlagen und äusserer Bedingungen möglich sind, gerecht
zu werden sucht. Jener Zweckzusammenhang alles menschlichen
Thuns, der auf diese Weise stetig die pragmatische in die genetische
Geschichtsbehandlung überführt, macht es aber auch beinahe unver-
meidlich, dass in dieser selbst überall noch die Spuren der voran-
gegangenen Stufe erhalten bleiben. Der Wunsch „sein eigenes Selbst
auszulöschen'' bleibt schliesslich doch unerfüllbar. Die eigene Indi-
vidualität kann der Historiker so wenig verleugnen wie die An-
schauungen seiner Zeit und Umgebung. Unter Einwirkungen solcher
Art steht naturgemäss jede wissenschaftliche Forschung. Wenn die-
selben in der Geschichte besonders fühlbar werden, so entspringt dies
daraus, dass die geistigen Kräfte, die das historische Geschehen be-
stinmien, und diejenigen, die bei dessen Auffassung wirksam sind,
theilweise zusammenfallen, so dass hier mehr als anderwärts die
Auffassung des Gegenstandes den Gegenstand selbst zu verändern
scheint.
Auch innerhalb der genetischen Behandlung wirkt übrigens
jener pragmatische Standpunkt darin nach, dass auch die politische
Geschichte zunächst als der wesentlichste Inhalt der Geschichte über-
haupt gilt, während die mannigfachen geschichtlichen Wandlungen
materieller und geistiger Cultur nur insoweit in Betracht kommen, als
sie auf das staatliche Leben der Völker einen massgebenden Eünfluss
ausgeübt haben oder mit ihm in deutlich nachweisbarer Wechsel-
wirkung stehen. Neben dieser vorherrschenden Richtung ist jedoch
seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts allmählich eine zweite zur
Geltung gelangt, welche auf die von der politischen Geschichts-
schreibung in den Hintergrund gedrängten Zustände des gesellschaft-
lichen Lebens, der Rechtsordnung, endlich der Litteratur und Kunst
den Hauptwerth legt, indem sie zumeist zugleich von der Anschauung
ausgeht, dass diese allgemeinen Zustände der Cultur ihrerseits erst
ein tieferes Verständniss der politischen Begebenheiten zu eröffnen
im Stande seien. Indem diese culturgeschichtliche Richtung besonders
Wnndt, Logik, n, 2. S. Aufl. 21
322 Logik der Geschichte Wissenschaften.
in ihren Anfängen vornehmlich den Begriff der «Gesittung* betont,
steht sie in einem analogen Zusammenhang mit dem moralischen
wie die politische Geschichtschreibung mit dem politischen Prag-
matismus der Torangegangenen Zeit. Dem entsprechend erweitert
sie den in der politischen Geschichte herrschenden national-politi-
schen zu einem kosmopolitischen Gesichtskreis, mit dem an und
für sich die Neigung verbunden zu sein pflegt, allgemeingültige
moralische Massstäbe an die Erscheinungen anzulegen*). Tritt diese
Neigung zurück, so wird dann durch das Streben nach einer geneti-
schen Behandlung der Culturgeschichte meist zugleich die Tendenz
nahe gelegt, irgend einen unter den empirisch nachweisbaren
Factoren der Cultur zur Grundlage aller geschichtlichen Entwick-
limg zu machen. Auf diese Weise ist es besonders die cultur-
geschichtliche Richtung, die, sobald sie über die in manchen älteren
Versuchen dieser Art obwaltende Absicht einer die politische Ge-
schichte ergänzenden Stoffsammlung hinausgeht, von Anfang an be-
wusst oder unbewusst einer geschichtsphilosophischen Behand-
lung zuneigt**). In dieser allgemeinen philosophischen Tendenz sind
Heerens „Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der
vornehmsten Völker der alten Welt* ***) das wegweisende Werk för
die neuere Culturgeschichtschreibung geworden. Die in ihm durch-
geführte Anschauung, dass die geistigen überall mit den materiellen
Factoren der Cultur zusammenhängen, und dass deshalb die Erkennt-
niss der gesammten Culturzustände in ihrer successiven Entwicklung
der wesentlichste und werthvollste Inhalt der Geschichtsforschung
überhaupt sei, hat bis in die neueste Zeit im allgemeinen die Cultur-
geschichte beherrscht, und ist zugleich die Hauptursache davon ge-
*) Unter neueren Werken vertritt dieses Zwischenstadium zwischen objectiver
Culturgeschichte und moralischem Pragmatismus am entschiedensten G. F. Eolb.
Culturgeschichte der Menschheit. 2 Bde. 1. Aufl. 1843, 3. Aufl. 1884.
**) Für die Anbahnung der culturgeschichtlichen Forschung verdienstvolle
Stoffsammlungen sind vor allem die Werke von Wachsmuth (Europäische
Sittengeschichte. 5 Bde., 1831—39, und Allgemeine Culturgeschichte. 3 Bde.
1850—52) und Klemm (Culturgeschichte. 10 Bde., 1843 — 52), von denen der
erstere vornehmlich historische, der letztere ethnologische Vollständigkeit er-
strebt. Eine allgemeine Uebersicht über den Inhalt dieser und einiger weiterer
die neuere Culturgeschichtsforschung vorbereitender Werke gibt Fr. Jodl in
seiner Arbeit: Die Culturgeschichtschreibung, ihre Entwicklung und ihr Pro-
blem. 1878.
***) 2. Aufl. 1805, 3. Aufl. 1815. Vgl. besonders die allgemeinen Vor-
erinnerungen zum ersten Theil.
Aufgaben und Richtungen der Greschichtsforschung. 328
wesen, dass heute noch vielfach poliidsche und Culturgeschichte nicht
als sich ergänzende sondern als sich bekämpfende Richtungen ein-
ander gegenüberstehen'*'). Je mehr sich in diesem Kampf der Gegen-
satz schärfte, um so mehr bildeten sich dann aber auch innerhalb
der culturgeschichtlichen Strömung wieder verschiedene Richtungen
anSf die theils auf der einseitigen Geltendmachung einzelner unter
den firüher besprochenen heuristischen Principien der Geisteswissen-
schaften beruhen (Cap. I, S. 27 ff.), theils aber mit allgemeinen philo-
sophischen Weltanschauungen zusammenhängen. In ersterer Beziehung
hat entweder das Princip des Natureinflusses oder das der geistigen
Umgebung die Culturgeschichte beeinflusst, während sich die politische
Historie schon vermöge der meist subjectiv gefärbten Beschaffenheit
ihrer Quellen mehr dem Princip der subjectiven Beurtheilung zuneigte.
In philosophischer Beziehung sind daher theils diese durch den Gegen-
stand selbst nahe gelegten Gegensätze universalistischer und indi-
vidualistischer Auffassung theils die aus den philosophischen Systemen
entnommenen Anschauungen für die Geschichtsauffassung massgebend
geworden. Hierbei musste dann wieder naturgemäss der Individua-
lismas angesichts der Bedeutung, die der einzelnen Persönlichkeit im
politischen Wirken zukommt, vorwiegend die politische Geschichte
beherrschen, während die culturgeschichtliche Forschung durch die
allgemeine Bedeutung ihrer Objecte zu einer universellen Auffassung
gedrängt wurde und zugleich in höherem Masse als die politische
Geschichte ein für den Widerstreit materialistischer und idealistischer
Weltanschauungen günstiges Feld darbot.
Der neueren Geschichtschreibung sind diese Gegensätze vor-
nehmlich durch Thomas Carlyle zum Bewusstsein gebracht worden.
Ihm ist der »Held**, die von ihrer Zeit getragene und sie wiederum
bestimmende Persönlichkeit, das hauptsächlichste Object historischer
Betrachtung. Auch da, wo er allgemeine Ereignisse schildert, wie
die französische Revolution, pflegt er daher zu betonen, wie ein ein-
zelner persönlicher Entschluss anders gefasst, eine einzige Handlung
gethan oder unterlassen möglicher Weise dem ganzen Verlauf der
Qeschichte einen andern Verlauf hätte geben können**). Die vor-
*) Bezeichnend för dieses Verhältniss ist die zwischen Dietrich Schäfer
and Eber h. Gothein geführte Polemik. Vgl. Schaf er, Das eigentliche
Arbeitsgebiet der Geschichte, 1888, und: Geschichte und Culturgeschichte, eine
Erwiderung, 1891. Gothein, Die Aufgaben der Culturgeschichte, 1889.
**) Vgl. Th. Carlyle, Die französische Revolution, deutsch von Feddersen.
3 Aufl. 1894, .3 Bde. Freilich verbindet sich damit bei Carlyle zugleich die
324 Logik der Geschicbtswissenscbaften.
herrschende Richtung der neueren politischen Geschichtschreibung
findet jedoch in dem gemässigten Individualismus Rankes ihren
classischen Ausdruck. Auch Ranke geht mit Vorliebe der Wirk-
samkeit der einzelnen, besonders der für die politische Entwicklung
einflussreichen Persönlichkeiten nach. Aber er sucht diese Wirk-
samkeit zugleich auf Grund der gesammten Cultur der Zeit zu be-
greifen, wobei er unter den Factoren der Cultur wieder die geistigen
bevorzugt. Auf diese Weise ist die politische Geschichtschreibung
im allgemeinen von einer individualistischen Auffassung beherrscht,
und sie steht zugleich in ihrer Weltanschauung auf dem Standpunkte
der vorangegangenen idealistischen Philosophie. Aber sie ist von
dieser durchgehends nur in ihrer allgemeinen Gedankenrichtung be-
einflusst, und sie befindet sich daher, wie überhaupt ausserhalb des
Streites der Systeme, so insbesondere auch ausserhalb jener Gegen-
sätze materialistischer und idealistischer Geschichtsbetrachtung, die
sich inmitten der culturgeschichtlichen Strömung bekämpfen.
Hier hat nun zur Entwicklung der neueren materialistischen
Geschichtsphilosophie ohne Zweifel Auguste Comte einen wichtigen
Anstoss gegeben, wenn auch dessen eigene Lehre schon deshalb
nicht dem Materialismus zugerechnet werden kann, weil sein posi-
tives System grundsätzlich jede Metaphysik ablehnt. Aber indem
er einerseits die Sociologie, die bei ihm als einen wesentlichen
Bestandtheil auch die Geschichte einschliesst, unmittelbar an die
Biologie anlehnt und demgemäss zwischen den naturwissenschaft-
lichen und sociologischen Methoden keinen Unterschied anerkennt,
und indem er anderseits in dem Sieg des Verstandes und der von
ihm geleiteten Erfindungskraft über alle andern geistigen Fähigkeiten
die Grundbedingung der Cultur erblickt*), führt dieser Standpunkt,
Ueberzeugang von einer providentiellen Lenkung der Weltgeschichte, die jedes
einzelne Ereigniss wieder za einem nothwendigen macht. «Die Weltgeschichte
konnte nicht im mindesten das sein, was sie nach irgend einer Möglichkeit
gewesen sein würde oder möchte oder sollte, sondern durchaas nur das was
sie ist.* (Ebend. II, S. 146.) Für Carlyles Schätzung der Persönlichkeiten in
der Geschichte bezeichnend sind seine Vorlesungen ,Uebe|- Helden, Helden-
verehrung und das Heldenthümliche in der Geschichte* (deutsch von J. Neuberg.
2. Aufl. 1893.).
*) Diese Auffassung beherrscht allerdings nur G o m t e s erstes, durch den
»Cours de Philosophie positive* repräsentirtes System. Die späteren Entwick-
lungen dieses Systems in der «Politique positive* und den ihr folgenden Werken
können aber hier ausser Betracht bleiben, weil sie einen nennenswerthen ge-
schichtlichen Einfluss nicht ausgeübt haben.
Aufgaben und Richtungen der Geschichtfiforschung. 325
je nachdem mehr auf die Naturbestimmtheit der geistigen Entwick-
Iimg oder aber auf den Sieg der InteUigenz der Hauptwerth gelegt
wird, zu zwei Formen einer materialistischen oder mindestens
naturalistischen Geschichtsauffassung. Die eine dieser Formen ist
die des ökonomischen Materialismus. Sie ist hauptsächlich ver-
treten durch Karl Marx, nach welchem ,,die ökonomische Structur
der äesellschaft den socialen, politischen und geistigen Lebensprocess
Qberhaupt bedingt*^ "*"). Die zweite Richtung könnte man füglich
nach der Bedeutung ihres Grundgedankens als die des naturalisti-
schen Intellectualismus bezeichnen. Einerseits nämlich betrachtet
sie die geschichtliche Entwicklung der Cultur als einen Naturprocess,
anderseits erblickt sie das unterscheidende dieses Processes in der
Ausbildung der Intelligenz. Darüber, dass das geschichtliche Leben
nach ebenso allgemeinen Gesetzen verlaufe wie das Naturgeschehen,
sind demnach alle Vertreter dieser Richtung einig, und gerade des-
halb weil diese Gesetze nur in der allgemeinen gesellschaftlichen
Entwicklung nachweisbar seien, betrachten sie die Culturgeschichte
als die einzige wirkliche Geschichtswissenschaft. Ueber die Natur
jener intellectuellen Factoren, die als die entscheidenden Ursachen
des Culturfortschritts angesehen werden sollen, sind dann aber wieder
die Meinungen getheilt. H. Th. Buckle sieht sie in dem Sieg des
Wissens, insbesondere des naturwissenschaftlichen Erkennens über
die Natur; Fr. von Hellwald betrachtet die gesammte Cultur-
geschichte unter dem Gesichtspunkt des Kampfes ums Dasein;
Jnl. Lippert macht das „Princip der Lebensfürsorge *" zum „Grund-
trieb der Culturentwicklung** **).
Es ist bezeichnend, dass die Vertreter dieser einseitigen, überall
*) Zur Kritik der politiscben Oekonomie, 1859, Vorwort. Vgl. über
K. Marx' Geschichtsphilosophie F. Barth, Die Geschichtsphilosophie flegeis
und der Hegelianer, 1890. Allerdings bezeichnet Marx selbst die Ökonomi-
schen Verhältnisse nur als die „Grundlagen* aller geschichtlichen Erscheinungen,
und seine Worte lassen es, wie F. Tönnies (Archiv f. Geschichte der Philos.
VII 1894, S. 503) hervorhebt, einigermassen unbestimmt, inwiefern ihm diese
linmdlagen zugleich die ausschliesslichen Ursachen der Erscheinungen sind,
unzweifelhaft aber ist es. dass seine Schüler Fr. Engels, E. Kautsky u. A.
Marx' Lehren im Sinne eines folgerichtigen ökonomischen Materialismus auf-
f^asst haben.
**) H. Th. Buckle, Geschichte der Civilisation in England, deutsch von
A.Rage. 2 Bde. 2. Aufl. 1864. Fr. v. Hellwald, Die Culturgeschichte in
üirer natürlichen Entwicklung. 1875. Jul. Lippert, Culturgeschichte der
Menschheit. 2 Bde. 1887.
326 Logik der Geschichtswissenschaften.
zu bestimmten geschichtsphilosophischen Theorien sich zuspitzenden
Anschauungen zumeist von nationalökonomischen, sociologischen oder
ethnologischen Studien ausgegangen sind, und dass, in dem Masse
als die culturgeschichtlichen Bestrebungen unter den Historikern
selbst Ausbreitung fanden, zwbi sichtlich jene Anregungen nach-
gewirkt haben, dass aber dabei doch die einseitige Betonung der
materiellen Factoren der Cultur zurückgetreten ist, und vollends von
dem Versuch einer Keduction aller geschichtlichen Entwicklung auf
ein einziges Princip nicht mehr die Rede sein kann. Zugleich drängt
eine tiefer eindringende geschichtliche Betrachtung nothwendig dazu,
den psychischen Factoren dieser Entwicklung einen höheren Werth
beizumessen. So bildet sich neben jener naturalistischen Oeschichts-
auffassung eine zweite Richtung aus, die an Stelle des Natur-
einflusses ein anderes unter den heuristischen Principien der Geistes-
wissenschaften, das der geistigen Umgebung, in den Vordergrund
rückt (vgl. Cap. I, S. 34). Je einseitiger nun dieses Princip zur Gel-
tung kommt, um so mehr gewinnt auch hier die culturgeschichtliche
Forschung einen deductiven und philosophischen Charakter, indem
überall der Versuch gemacht wird, aus gewissen allgemeinen Gesetzen,
die als bestimmend für die Wirksamkeit des geistigen Mediums an-
gesehen werden, die einzelnen Erscheinungen abzuleiten. Demnach
werden die allgemeinen wieder den individuellen Einflüssen voran-
gestellt, und insbesondere die einzelne historische Persönlichkeit wird
ganz und gar als das Product der allgemeinen geistigen Bedingungen
angesehen, welche die Gesellschaft in der sie lebte und die Epoche
ihrer Wirksamkeit auszeichnen, Bedingungen aus denen die ein-
zelnen Erscheinungen mit der nämlichen Nothwendigkeit hervor-
gehen sollen wie die Naturerscheinungen aus den allgemeinen physi-
kalischen Bedingungen. „Die Erzeugnisse des menschlichen Geistes,*
sagt Taine, «finden wie die der schaffenden Natur ihre Erklärung
nur in ihrer ümgebung% und: „wie es eine physische Temperatur
gibt, die je nach ihren Veränderungen das Auftreten dieser oder
jener Pflanzenart bedingt, so gibt es auch eine moralische Temperatur,
die je nach ihren Veränderungen die Erscheinung dieser oder jener
Kunstgattung bedingt oder überhaupt geschichtliche Erscheinungen
hervorbringt^"). Und wie die Naturbedingungen regelmässig in einer
bestimmten Aufeinanderfolge wirken, so auch jene Factoren, aus
denen sich der Begriff der geistigen Umgebung zusammensetzt:
*) H. Taine, Philosophie der Kunst. Deutsche Ausg. 2. Aufl. 1885. S. 14.
Aufgaben und Richtungen der Geschichtsforschung. 327
zunächst ist die einzelne Erscheinung aus dem speciellen Oesell-
schaftskreis heraus zu erklären, von dem sie ausgeht; dann ist sie
mit diesem auf die umfassenderen gesellschaftlichen Bedingungen,
und endlich auf die den Zeitpunkt ihrer Entstehung überhaupt be-
herrschenden geistigen Mächte zurückzuführen. So bilden nach
Taine .Rasse, Sphäre und Zeitpunkt** die drei Stufen der historischen
Causalerklärung, und sie stehen zugleich in dem Verhältnisse zu
einander, dass jedesmal die folgende der ihr vorangehenden gegen-
Qber die allgemeinere ist und daher die Bedingungen zu deren Er-
klärung einschliesst*).
Ist nun auch dieses Princip der geistigen Umgebung, dadurch
dass es überall auf die Wege der psychologischen Causalerklärung
hinweist, der Lehre von der Naturbestimmtheit des historischen Ge-
schehens, die alles Einzelne aus einem und demselben allgemeinen
Princip zu deduciren sucht, weit überlegen, so leidet es doch mit
den naturalistischen Theorien nicht nur an dem Fehler der Einseitig-
keit sondern auch an dem der gleichförmigen Schematisirung der
Erscheinungen. Man muss aber anerkennen, dass durch die psycho-
logische Vertiefung, die dieser Standpunkt herausfordert, hier jene
Einseitigkeit leichter durch den Gegenstand selbst berichtigt wird.
Einen Beleg hierfür bieten die Werke Taines. Er hat das Princip
der Erklärung aus dem Medium nach den drei Stufen »Rasse, Sphäre
und Zeitpunkt*" am einseitigsten durchgeführt in der kleinen Schrift
über die , Philosophie der Kunst'', die jedenfalls zugleich diejenige
seiner Arbeiten ist, die der Vertiefung in das Einzelne am meisten
ermangelt. In seinem letzten und reifsten Werk, der „Entstehung
des modernen Frankreich **, tritt dagegen die Schablone der drei Stufen
ganz zurück, und von der Theorie des Mediums ist nur die allgemeine
Tendenz übrig geblieben, den gesammten Culturzustand des Zeit-
alters mit allen in ihm enthaltenen Factoren und Bedingungen, nicht
bloss die an die Oberfläche tretenden politischen Ereignisse als den
eigentlichen Inhalt der Geschichte zu betrachten*'").
*) H. Taine, Geschichte der englischen Literatur. Bd. I. Einleitung
S. 15 ff.
**) H. Taine, Die Entstehung des modernen Frankreich. Deutsche Be-
iirbeitang von L. Katscher. 3 Bde. in 6 Theilen. Uebrigens ist das Werk
nicht sowohl eine , Geschichte* im gewöhnlichen Sinne als eine Untersuchung
der allgemeinen wirthschaftlichen, politischen und geistigen Entwicklungen des
modernen Frankreich, bei der überall die Eenntniss der Ereignisse vorausgesetzt
wird. Bezeichnend für diesen Standpunkt ist es, dass z. B. Mirabeau nur beläufig
erahnt ist, während Marat, Danton und Robespierre, ja selbst Napoleon,
328 Logik der Geschichtswissenschaften.
Dies ist nun die Richtung, welche die Culturgeschichte auf allen
Gebieten mehr und mehr eingeschlagen hat, seit in ihr durch die
gründliche Vertiefung in die realen Culturzustände jene geschichts-
philosophischen Constructionen , die womöglich die gesammte ge-
schichtliche Entwicklung auf ein einziges Princip zurückfahren
möchten, verdrängt worden sind. Der Natureinfluss und die geistige
Umgebung treten so von selbst in die berechtigte Stellung zurück,
die ihnen als allgemeinen heuristischen Maximen der historischen
wie der socialen Wissenschaften zukommt. Zugleich aber schliesst
die in diesem Geiste behandelte Culturgeschichte die Mitbeachtung
der politischen Zustände und Begebenheiten nicht mehr geflissent-
lich aus, sondern sucht diese vielmehr nur tiefer, als es eine aus-
schliesslich politische Geschichtschreibung vermag, in ihren Ent-
stehungsbedingungen zu begreifen. Hervorragende Beispiele cultur-
geschichtlicher Darstellungen dieser Art sind Jacob Burckhardts
„ Cultur der Renaissance in Italien ' und EarlLamprechts „ Deutsche
Geschichte* *). Beide vertreten in einem gewissen Grade zugleich wie-
der verschiedene Richtungen culturgeschichtlicher Forschung, insofern
Burckhardt die geistigen Seiten der Cultur, Kunst und Literatur,
vorzugsweise berücksichtigt, indess Lamprecht diese erst auf der
Grundlage der wirthschaftlichen Zustände und der von ihnen getragenen
allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse zu erklären sucht.
nicht als die Träger bestimmter geschichtlicher Vorgänge, sondern mehr nur
als charakteristische psychologische Typen der Revolutionszeit eingehend analysirt
werden. In allen diesen BeziehaDgen bildet Taine den vollen Gegensatz zu
dem Meister der modernen politischen Geschichtschreibung, zu R a n k e. Auch
Ranke pflegt, wie namentlich in seinen Darstellungen zur neueren Geschichte
zu bemerken ist, über bekannte, durch eigene Forschungen oder eigenthfimliche
Anschauungen nicht neu zu beleuchtende Dinge kurz hinwegzugehen. (Vgl. das
Vorwort zur französischen Geschichte, Werke Bd. 8, S. VIII.) Dabei verliert
aber die Darstellung nie den Charakter der zusammenhängenden Erzählung des
Geschehenen: sie ist nicht bloss historische Untersuchung, sondern bleibt
immer zugleich Geschichte. Taines Geschichte der englischen Literatur ist
allerdings trotz der strengeren Durchführung der Theorie des , Milieu' doch in
viel höherem Grade als das letzte Werk des Verfassers eine wirkliche Ge-
schichte. Hier zeigt sich eben, dass sich die Erscheinungen der Literatur dem
Schema der drei successiv anzuwendenden Gesichtspunkte, , Rasse, Sphäre, Zeit-
punkt*, am leichtesten fügen, wie denn dasselbe überhaupt ursprünglich zuerst
aus diesem Gebiet abstrahirt wurde.
*) Jacob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Italien, ein Ver-
such. 2 Bde. 4. Aufl. von L. Geiger, 1885. K; Lamprecht, Deutsche Ge-
schichte. Bis jetzt Bd. 1—4 und Bd. 5, 1. Hälfte, 1891—94.
Aufgaben und Richtungen der Geschichtsforschung. 329
Mit der Trennung der historischen Forschung in die politische
imd die culturgeschichtliche Richtung steht nun aber noch eine weitere
Scheidung in nahem Zusammenhang, die, wenn auch viel irüher
Torbereitet, doch zu ihrer endgültigen Entwicklung erst unter der
Wirkung der nämlichen allgemeinen Motive gelangt ist : die Unter-
scheidung in Völkergeschichte und Universalgeschichte.
Wie das Alterthum nur eine politische Geschichtschreibung kannte,
80 bheb auch der Gesichtskreis seiner historischen Betrachtung auf
das einzelne und zwar im allgemeinen auf das eigene Volksthum be-
schränkt : barbarische Völker existirten für den Griechen und Römer
nur insoweit, als sie mit dem eigenen Volk und Staat in Wechsel-
wirkung traten. Erst auf der Grundlage jenes erweiterten Humani-
tatsbegriffes, wie er in den philosophischen Schulen der hellenistischen
Welt heranreifte und dann im Christenthum seinen religiösen Aus-
druck fand, wurde auch der Gedanke einer Universalgeschichte der
Menschheit möglich. Aber so sehr hier der religiöse Gesichtspunkt
in der Auffassung aller irdischen Dinge die Idee der Einheit des
Menschengeschlechts und des planvollen Zusammenhangs seiner
Schicksale in den Vordergrund drängte, so sehr stand doch die unmittel-
bare Beziehung dieser Schicksale auf übersinnliche Ursachen und
Zwecke der Ausbildung einer wirklich historischen Auffassung im
Wege. Denn für die Geschichtsphilosophie des Mittelalters liegt
der eigentliche Schauplatz der Geschichte in der jenseitigen Welt;
die irdischen Dinge haben für sie nur durch die Beziehung, in die
sie zu jener Welt gesetzt werden, eine Bedeutung*). Zwischen
dieser völlig transcendenten Geschichtsbetrachtung und einer eigent-
lichen Universalgeschichte bilden nun die mannigfachen neueren
Versuche einer weltlichen Geschichtsphilosophie, in der die Idee
der Humanität unabhängig von specifisch religiösen Voraussetzungen
wirksam wird, das verbindende Mittelglied. Die eindringendere Ver-
tiefung in das wirkliche Geschehen trennt sie von der voraus-
gegangenen religiösen Metaphysik und bereitet zugleich eine streng
historische Betrachtung vor. Aber die teleologische Interpretation
auf Grund gewisser allgemeiner Ideen, die nicht dem Verlauf der
Begebenheiten entnommen, sondern nach denen diese beurtheilt wer-
den, nähert auch diese weltliche Geschichtsphilosophie von Giam-
battista Vico an bis auf Herder und Kant immer noch jener
*) Vgl. hierzu Roch oll, Die Philosophie der Geschichte. I. 1878, S. 20,
nud V. Eicken, Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung.
1887, 8. 641 ff.
330 Logik der Geschichtswissenschaften.
religiösen Metaphysik. In der That liegt ja fOr jedes Untemelunen
einer Oesammtbetrachtung der Menschheitsgescliichte die Versuchung
zu einer transcendenten Interpretation schon deshalb nahe, weil der
geschichtliche Verlauf thatsächlich nie abgeschlossen ist und also
der Versuch, ihn in eine universelle Einheit zusammenzufassen,
eigentlich niemals ihm selbst entnommen werden kann. Hier leitete
nun die culturgeschichtliche Betrachtung von zwei Gesichts-
punkten aus von einer transcendenten zu einer immanenten und
gleichzeitig von einer teleologischen zu einer c aus alen Behandlung
der Universalgeschichte über. Auf der einen Seite bilden die sitt-
lichen und geistigen Eigenschaften, die in der Gultur der Völker
zur Entwicklung gelangen, auch da wo die äussere geschichtliche
Verbindung fehlt, einen inneren Zusammenhang verschiedener Ent-
wicklungsstufen, dem sich Natur- wie Gulturvölker einordnen. Jener
Begriff der Einheit des Menschengeschlechts, der für die politische
Geschichte stets eine Fiction bleibt und der doch die Voraussetzung
ist, die erst dem Begriff der Universalgeschichte seine Berechtigung
gibt, fOr die Gulturgeschichte erstreckt er sich thatsächlich über die
gesammte Menschheit, da die Uebereinstimmung der geistigen An-
lagen überall übereinstimmende Entwicklungsformen der Gesittung
hervorbringt. Auf diese anthropologische Grundlage des Begriffs
der Universalgeschichte hat bereits Schiller in seiner akademischen
Antrittsrede hingewiesen'*'). Auf der andern Seite legte die seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts unter dem Einfluss der beginnenden
statistischen Untersuchung der Bevölkerungsverhältnisse entstandene
Idee einer Gesellschafbslehre den Gedanken eines zunächst engere,
dann immer weitere sociale Kreise und endlich in seinen letzten
Ausstrahlungen die ganze Menschheit umfassenden lebendigen Zu-
sammenhangs nahe. Steht doch der Zustand jeder einzelnen Gesell-
schaftsgruppe in Wechselbeziehungen zu den Zustanden aller andern
— eine Kette von Beziehungen, die erst in der universellen Einheit
der menschlichen Gesellschaft ihr Ende findet. Ist daher die Ge-
schichte nichts anderes als die Darstellung des Werdens der Zustande,
so kann sie auch nur in einer Universalgeschichte ihre Aufgabe er-
schöpfen. Auf diesen sociologischen Grundgedanken hat zuerst die
Göttinger culturhistorische Schule, ein Gatterer, Schlözer, Heeren,
den Plan einer Universalgeschichte gegründet.
*) «Was heisst und zu welchem Ende studirt man Universalgeschichte?'
Schillers Werke Bd. 10, S. 293 ff.
Aufgaben und Richtungen der Geschichtaforschung. 331
Der reale Zusammenhang, den diese Art universalhistorischer
Betrachtung zwischen den sämmilichen zeitlich und räumlich noch
so entlegenen Culturstufen herstellt, ist nun aber in Wahrheit kein
geschichtHcher mehr, oder er ist es doch nur zu einem sehr kleinen
Theile. Was in Wirklichkeit alle Glieder der Menschenfamilie ver-
bindet, das sind vielmehr nur die übereinstimmenden naturgeschicht-
lichen Merkmale und vor allen Dingen die überall wieder in über-
einstimmenden Lebens- und Entwicklungsformen sich verrathenden
psychischen Anlagen. Die Menschheit als universelles Object
wissenschaftlicher Betrachtung ist also in Wahrheit gar nicht ein
Object der Geschichte, sondern ein solches der Anthropologie und
der Völkerpsychologie. Das beweisen auch alle Versuche universal-
historischer Darstellungen thats'ächlich dadurch, dass sie sich ent-
weder trotz ihres allgemeineren Programms auf denjenigen Theil der
Menschheit beschränken, für den wirklich irgend welche geschicht-
liche Verbindungen nachzuweisen sind, oder dass sie in eine Reihe
von Einzelgeschichten zerfallen, die nur durch die Idee zusammen-
gehalten werden, dass die Träger dieser einzelnen geschichtlichen
Entwicklungen der nämlichen Gattung «Homo"^ angehören, deren
Schicksale und Erzeugnisse überall auf ähnliche geistige Eigen-
schaften und Triebfedern zurückführen. Nun ist eine Sammlung der
einzelnen Völkergeschichten unter diesem Gesichtspunkte immer noch
eine wissenschaftliche Aufgabe der Geschichtschreibung. Nur ist
freilich eine solche Aufgabe mit dem Namen „Universalgeschichte^
anzutreffend bezeichnet, da dieser auf eine reale Einheit hinweist,
die wenigstens als geschichtliches Object nicht existirt. Jeder Ver-
such das Problem der Universalgeschichte auf dem Boden der Ge-
schichtswissenschaft selbst zu lösen fuhrt daher naturnothwendig zu
einer doppelten Einschränkung: erstens fallen als unerheblich für
die allgemeine Entwicklung der Menschheit diejenigen Völker hin-
weg, die in keiner Weise activ in jene Entwicklung eingegriffen
haben, also die ganz und gar der Anthropologie, Ethnologie und
Völkerpsychologie zu überlassenden Natur- oder primitiven Cultur-
Tolker; und zweitens zerfällt für die geschichtliche Gesammtbetrach-
tung der Menschheit die Geschichte derselben in eine grössere An-
zahl von Einzelentwicklungen mit ihren besonderen Culturkreisen,
zwischen denen immer nur in gewissen Bestandtheilen historische
Verbindungen und Wechselwirkungen stattfinden. Mit Fug und Recht
hat man aber innerhalb der Geschichtswissenschaft für solche Ver-
suche einer zusammenfassenden Behandlung des gesammten Inhalts
332 Logik der Geschichtswissenschaften.
bedeutsamerer geschichtlicher Vorgänge von Gatterer bis auf
Ranke den Namen «Weltgeschichte" , nicht Universalgeschichte
gewählt. Denn der Begriff der Welt schliesst nur die Mannigfal-
tigkeit aller Dinge, in diesem Fall aller bedeutsameren die Mensch-
heit angehenden Dinge ein, während der des Universums, des Welt-
ganzen, zugleich auf die Einheit dieser Dinge hinweist. Die « Welt-
geschichte ** ist nun eben wegen des vielfach zersplitterten, des realen
Zusammenhangs entbehrenden Stoffes häufiger der Gegenstand com-
pilatorischer Arbeiten als wirklich zusammenhängender wissenschaft-
licher Forschungen gewesen, obgleich es, wie das noch in neuester
Zeit das Beispiel von Rankes Weltgeschichte zeigt, auch für den
Geschichtsforscher eine anziehende Aufgabe sein kann, auf €h-und
reicher Erfahrungen im einzelnen sich über die thatsächlich nach-
weisbaren oder als wahrscheinlich anzunehmenden Beziehungen der
geschichtlichen Einzelentwicklungen Rechenschaft zu geben. Zugleich
mit dieser Beschränkung der Aufgabe einer wissenschaftlichen Welt-
geschichte ist aber nothwendig das Programm der „Universal-
geschichte" ein anderes, über den Bereich der eigentlichen Geschichts-
wissenschaft hinausreichendes geworden. Hat die Idee der Einheit
des Menschengeschlechts nicht in der Geschichte selbst, sondern in
der Anthropologie und Völkerpsychologie ihre Wurzeln, so bleibt
das universalhistorische Problem nur noch in dem Sinne bestehen,
dass es die Untersuchung der Beziehungen der allgemeinen natür-
lichen und geistigen Eigenschaften des Menschen zu seiner ge-
schichtlichen Entwicklung in sich schliesst, eine Untersuchung die
dann unmittelbar zu den weiteren Fragen führt, in welchem Sinne
das geschichtliche Leben als eine nothwendige Entwicklungsform des
menschlichen Geistes zu betrachten sei, welche Bedeutung demnach
überhaupt der Geschichte in ihrem Verhältniss zu allen andern
Gebieten geistigen Lebens zukomme u. s. w. Alle diese Fragen
gehören aber nicht mehr zur Geschichtswissenschaft, sondern, wie
alle Probleme die eine allgemeine Synthese verschiedener Wissens-
gebiete voraussetzen, zur Philosophie : sie sind die eigentlichen Pro-
bleme der Geschichtsphilosophie. Dass sie in dem hier an-
gedeuteten Sinne auch heute noch zu Recht bestehen, erhellt ohne
weiteres daraus, dass sie für die Würdigung der Bedeutung der
Geschichte grundlegend sind. Auf diese Weise hat sich also das
Programm der „Universalgeschichte*^ in zwei Aufgaben zerlegt: in
die der „ Weltgeschichte **, die innerhalb der Geschichtswissenschaften
die einzelnen Zweige der Geschichte durch eine möglichst vollständige
Historische Kritdk. 333
historische Synthese zu ergänzen sucht, und in die der Geschichts-
philosophie, welche die Aufgabe hat die geschichtliche Betrachtung
zu dem Inhalt der übrigen Geisteswissenschaften, namentlich der
Anthropologie, Völkerpsychologie und Sociologie, in Beziehungen zu
setzen und auf Grund dieser Beziehungen zum Aufbau einer allge-
meinen Weltanschauung zu verwerthen.
b. Die historische Kritik.
Der Gegenstand der Geschichte ist die Vergangenheit mensch-
licher Erlebnisse. Aber die Vergangenheit selbst ist unwiederbring-
lich verschwunden. Die historische Forschung sucht daher aus den
in die Gegenwart hereinreichenden Ueberlebnissen derselben
ihr Bild zu entwerfen. In seltenen Fällen nur bestehen solche in
den Erinnerungen des selbst Erlebten. Sogar der Darsteller der
Zeitgeschichte kann allein unter der Gunst einer bevorzugten per-
sönlichen Stellung und einfacher äusserer Verhältnisse wie ein Thu-
kydides die eigene Erfahrung als seine hauptsächlichste Quelle be-
nützen. Mit der zeitlichen Entfernung treten von selbst andere Zeug-
nisse an deren Stelle, die auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen sind,
ehe ihnen der Stoff der Geschichte entnommen werden kann. Die
historische Kritik, die eine solche Prüfung bezweckt, bildet
daher den Anfang der historischen Forschung, an den erst die Haupt-
aufgabe derselben, die Deutung und causale Verbindung der That-
sachen oder die historische Interpretation sich anschliessen
kann. Demnach ist, obgleich auch hier ein wechselseitiger Einfluss
beider Bestandtheile der Methodik nicht fehlt, doch im allgemeinen
die Aufeinanderfolge eine der philologischen Forschung entgegen-
gesetzte. Dieser Gegensatz erklärt sich aus dem Verhältniss beider
Gebiete. Da das einzelne Geisteserzeugniss zunächst gegeben ist
und dann erst seine Verbindung mit andern in Frage kommt, so
tritt der Historiker zunächst mit philologischen Methoden seinem
Stoff gegenüber; erst nachdem er ihn hermeneutisch und kritisch
als Philologe bearbeitet, beginnt die Aufgabe der historischen
Kritik, die ihn nun auf seine Bedeutung als historisches Material
zu prüfen hat. Eine historische Interpretation, die nicht sowolil den
Inhalt der einzelnen Thatsachen als ihr Verhältniss zu andern, mit
denen sie in zeitlichem Zusammenhange stehen, zu ergründen sucht,
kann aber immer erst unternommen werden, wenn die historische
Glaubwürdigkeit der Thatsachen selbst sichergestellt ist. In ihrer
334 Logik der GeBchichtswissenschaften.
wirklichen AusfQhruDg kann darum die historische Kritik niemals
von der philologischen völlig geschieden werden. Schon bei der
philologischen Vorprüfung seines Stoffes wird der Historiker von den
Gesichtspunkten der historischen Kritik geleitet, indem er manches
philologisch Werthvolle unbeachtet lässt, um anderes in den Vorder-
grund zu stellen, was dem Interesse des Philologen ferner liegt.
Namentlich aber darin verräth sich von vornherein der verschie-
dene Standpunkt, dass unter jenen Ueberlebnissen , welche die
Anwendung der historischen Kritik verlangen, manche, wie anthro-
pologische und ethnologische Thatsachen, geographische Verhältnisse,
unter Umständen auch mündliche Traditionen, ausserhalb des Be-
reichs philologischer Hülfsmittel liegen, während andere, wie Ur-
kunden, Verträge, Gesetze, in der Regel nur in Folge ihres histo-
rischen Werthes und daher von vornherein unter geschichtlichen Ge-
sichtspunkten zu Objecten philologischer Forschung werden.
Die üeberlebnisse , die dem Historiker als Zeugen der Ver-
gangenheit dienen, sind theils rein physischer Art, theils physische
Gegenstände die zugleich einen bestimmten geistigen Werth besitzen,
theils unmittelbare Geisteserzeugnisse. In die erste Kategorie
gehören die physischen Ueberreste von Menschen, Hausthieren, Cul-
turpflanzen, die geographischen und klimatischen Verhältnisse oder
die physischen Spuren von deren einstiger Beschaffenheit: hier sind
es naturwissenschaftliche Hülfsquellen , die den Historiker bei der
Feststellung der Thatsachen unterstützen. Grösser an Zahl und zu-
gleich an Wichtigkeit alle andern überragend sind die Üeberlebnisse
der zweiten Classe, die man vorzugsweise unter dem Namen histo-
rischer Ueberreste zu verstehen pBegt. Kunstgegenstände, Bau-
werke, Inschriften, sonstige schriftliche Zeugnisse, die auf Zustände
oder Ereignisse einer Zeit Licht werfen können, gehören hierher.
Solche Ueberreste werden zu Denkmälern, wenn sie absichtlich
entstanden sind, um das Gedächtniss an ein Ereigniss oder an eine
historische Persönlichkeit festzuhalten. Auf diese Weise bilden die
Denkmäler den Uebergang zu den absichtlichen Aufzeichnungen der
Chronisten und älteren Historiker, die gewöhnlich die nächsten Quellen
für die Neubearbeitung eines geschichtlichen Stoffes bilden. Denn diese
geht meistens von dem bereits feststehenden Bilde einer Zeit oder
eines Ereignisses aus und sucht dasselbe dann unter Zuhülfenahme
aller sonstigen Anhaltspunkte zu berichtigen und zu vervollständigen.
Meist am spärlichsten und zugleich für die Benützung am schwie-
rigsten sind die Üeberlebnisse der dritten Art, die rein geistigen
Historische Kritik. 335
Erzeugnisse, die ihrer Natur nach zugleich am vergänglichsten und
am meisten der Veränderung ausgesetzt sind. Sprache, Sitten, Re-
ligionsanschauungen , mündliche Ueberlieferungen gehören hierher.
Gerade wegen ihrer Vergänglichkeit kommen auch sie in der Regel
erst dann zu historischer Verwerthung, wenn sie durch schriftliche
Aufzeichnungen fixirt und dadurch zugleich in üeberlebnisse der
zweiten Classe übergegangen sind.
Diese verschiedenen Objecte historischer Kritik sind nun nicht
bloss an sich von verschiedenem Werthe, sondern es richtet sich
naturgemäss auch die Art ihrer Benützung, die Bevorzugung bestimm-
ter Hülfsquellen vor andern nach der zeitlichen Feme der zu er-
forschenden Ereignisse und dem Verhältniss, in dem sie sich zu unserm
eigenen Denken und Handeln befinden. Für die Urgeschichte des
Menschen überwiegen so sehr die naturwissenschaftlichen Hülfsmittel,
dass jene bis jetzt noch ausserhalb der historischen Forschung in
der Anthropologie und Ethnologie ihre Stelle einnimmt. Doch
. können selbst die Anfänge der eigentlichen Oeschichte des von der
Ethnologie und ihren naturwissenschaftlichen Hülfsgebieten darge-
botenen Materials nicht entbehren. Neben spärlichen Eunsterzeug-
nissen, Inschriften, uralten Gesetzesüberlieferungen, Andeutungen in
Sitte und Sprache bildet sodann eine mit mythologischen Bestand-
theilen durchsetzte sagenhafte Tradition den einzigen StofT, über den
die älteste Geschichte der Völker verfügt. Die naive Geschicht-
schreibung früherer Zeiten, die mit jenen objectiven Zeugnissen
der Vergangenheit wenig anzufangen wusste , hat hier in der
Regel die Sage selbst als Geschichte behandelt und so gerade
der unsichersten Quelle historischer Forschung ein Bürgerrecht in
der Oeschichte verschafft. Heute ist, vor allem seit Niebuhr in
seiner Behandlung der Geschichte Roms das Beispiel gegeben'*'),
der Standpunkt des Historikers der entgegengesetzte. Zunächst sucht
er, so viel als möglich abstrahirend von diesen Ueberlieferungen der
Sage, in den unmittelbaren Ueberlebnissen der ältesten Zeiten, Denk-
mälem, Inschriften, Staatsalterthümem, einen gewissen, wenn auch
noch so spärlichen Thatbestand sicherzustellen, zu dem erst in secun-
därer Weise und mit steter Rücksicht auf den durch jene Zeugnisse
an die Hand gegebenen Massstab die Tradition hinzugezogen wird,
lim zu prüfen, ob auch in ihr nach Ausscheidung des zweifellos
*) Niebuhr, Römische GeRchichte. I. 1. Aufl. 1811. In gleichem Geiste
ist unter den neueren Werken und unter Verwerthung alles seitdem erschlos*
senen Materials namentlich Th. Mommsens Römische Geschichte gearbeitet.
336 Logik der Geschichtswissenschaften.
Mythischen und Sagenhaften ein historischer Kern zu retten sei.
So nimmt überhaupt in der alten Geschichte die Erschliessung neuer
Quellen einen verhältnissmässig beschränkten Raum ein. Die Auf-
findung von Denkmälern und Inschriften dient, abgesehen von den
wenigen Fällen wo solche Funde in kurzer Zeit eine fast völlig
unbekannte Cultur erschlossen haben, wesentlich nur dazu, die vor-
handene Ueberlieferung in einzelnen Punkten zu berichtigen. Im
ganzen aber erscheint hier die Ausscheidung des Unechten und die
Auffindung der echten Elemente in einer Wahrheit und Dichtung
auf das mannigfaltigste verwebenden Tradition als die Hauptaufgabe
des historischen Kritikers. Ganz anders steht dieser den Problemen
der neueren Geschichte gegenüber. Wohl handelt es sich auch
hier, wie bei aller Ejitik, um die Scheidung des Wahren vom
Falschen. Aber je reichlicher mit der Annäherung der Zeiten die
Quellen der historischen Ueberlieferung fliessen, um so mehr wird es
nothwendig, wo möglich unzureichend bekannte oder völlig unbenutzte
Quellen zu entdecken, die die Ereignisse vollständiger kennen lehren
oder die bisher von einem einseitigen Standpunkte aus aufgefassten
Thatsachen in ein neues Licht setzen. Je weniger der neuere
Historiker daran denken kann, alle überhaupt vorhandenen Quellen
zu benützen, um so mehr muss er darauf bedacht sein, mangelhafte
Quellen durch bessere überflüssig zu machen. Darum überwiegt in
der alten Geschichte die Kritik der einzelnen Bestandtheile der Ueber-
lieferungen, in der neueren die Kritik der Quellen im ganzen. Eine
Tradition wie die römische Königssage würde in der neueren Ge-
schichte schwerlich einen Anspruch auf historische Beachtung er-
heben können; wohl aber kann in dieser durch die Erschliessung
eines Staatsarchivs unter Umständen eine ganze Reihe bisher be-
nutzter Quellen werthlos gemacht werden.
Diese in der Natur und dem Reichthum der Hülfsquellen be-
gründeten Eigenthümlichkeiten bedingen entsprechende Unterschiede
in der Methode der historischen Kritik, ohne jedoch den allgemeinen
Charakter derselben zu ändern. UeberaU besteht dieser in einer
Anwendung der vergleichenden Methode, die der philologischen
Kritik am nächsten verwandt ist, durch die Aufgaben der histori-
schen Forschung aber ihre besonderen Eigenschaften annimmt. Auch
hier lässt sich nämlich eine äussere und eine innere Kritik
unterscheiden. Die erste bezieht sich in diesem Fall auf die
Wahrheit einer historischen Thatsache, die zweite auf die Be-
deutung, die sie in dem allgemeinen Zusammenhang der unier-
Historische Kritik. 337
sachten Ereignisse einnimmt. Nur die äussere Kritik bildet übrigens
ein einigermassen selbständiges Geschäft; die innere, welche die
ganze Prüfung des Quellenmaterials voraussetzt, ist von der Inter-
pretation nicht zu trennen, da die Schätzung des Werihes der That-
sacken durchaus an deren causale Verknüpfung gebunden ist. Schon
in der äusseren Kritik kommt daher im Gegensätze zur philologi-
schen der synthetische Charakter der historischen Methode zur
Geltung. Der historische Kritiker will nicht gleich dem philologi-
schen die Echtheit eines einzelnen Oeisteserzeugnisses, so umfassend
oder so beschränkt es auch sein mag, bestimmen, sondern es handelt
sich für ihn darum, mittelst einer Anzahl von Objecten, die grossen-
theils Geisteserzeugnisse sind, die die philologische Kritik zuvor be-
standen haben, einen Zusammenhang von Ereignissen in Bezug auf
seine Wahrheit zu prüfen. Dieses Unternehmen setzt voraus, dass
irgend ein Zeugniss des Tbatbestandes, z. B. eine Inschrift, der Be-
richt eines Chronisten, oder auch nur eine sagenhafte Ueberlieferung,
gegeben sei. Ist die philologische Echtheit dieses Zeugnisses soweit
möghch festgestellt, so besteht nun seine historische Prüfung in der
Tergleichung mit andern Zeugnissen ähnlicher Art, die sich entweder
aaf denselben oder auf einen nahe damit zusammenhängenden That-
bestand beziehen. Wegen des singulären Charakters historischer
Ereignisse kann hier die spärlichste Coincidenz einen entscheidenden
Werth haben. Oft gelingt es aber auch ohne sie eine Thatsache
mindestens im höchsten Grade wahrscheinlich zu machen, indem man
einen inneren Zusammenhang mit einer andern sichergestellten That-
sache nachweist. Gerade in solchen Fällen pflegt auch hier der ob-
jectiven historischen Kritik eine subjective und psychologische
ergänzend zur Seite zu treten. Denn wo eine Thatsache objectiv
nur unzureichend bezeugt ist, da kann allein die Vergegenwärtigung
der subjectiven Eigenthümlichkeiten der betheiligten Individuen zu
einer gewissen Wahrscheinlichkeit gelangen. In dieser psycho-
logischen Beziehung findet daher der Analogieschluss , z. B. der
Schluss von einer Handlung eines Menschen auf eine andere Hand-
lung desselben, eine einigermassen berechtigte Anwendung, wogegen
eine Analogie nach bloss historischen Gesichtspunkten wegen der
einzigartigen Natur der Ereignisse in hohem Grade bedenklich ist.
Ein bemerkenswerther Unterschied der historisch-kritischen Methode
Ton der philologischen besteht femer darin, dass in jener das hypo-
thetische Element fast ganz ausgeschlossen ist. Eine so wichtige
Bolle auch die Hypothese in der historischen Interpretation spielt,
Wandt, Logik. II, 2. 2. Aufl. 22
338 Logik der GeschichtBwissenschaften.
die Kritik sucht sich ihrer möglichst zu enthalten. Ein Verfahren,
das etwa der philologischen Conjecturalkritik gleichkäme , ist hier
völlig unmöglich. Dies entspricht der Richtung der philologischen
Forschung auf das Einzelne, der historischen auf den Zusammen-
hang des Einzelnen. Der philologischen Forschung kann die ein-
zelne Thatsache in mangelhafter Form gegeben sein; die historische,
welche die philologische Vorprüfung bereits erledigt hat, kann als
solche nur im Zusammenhang der Thatsachen Lücken vorfinden,
deren Ergänzung dann allein auf dem Wege der Interpretation
möglich ist. Aus dieser verschiedenen Richtung der Thätigkeit ent-
springt endlich ein letzter bedeutsamer Unterschied der historischen
Kritik: diese benützt zwar, wie jede Kritik, sowohl Uebereinstim-
mungen wie Widersprüche in den ihr vorliegenden Ereignissen, um
das Wahre vom Falschen zu sondern; aber auf der Feststellung
der Oebereinstimmungen liegt der Schwerpunkt des Verfahrens.
Die Widersprüche der Quellenangaben können höchstens die Unlös-
barkeit eines Problems bewirken; dagegen ist die Uebereinstimmung
verschiedener Zeugnisse, deren Unabhängigkeit von einander sicher
constatirt werden kann, stets ein wichtiges Hülfsmittel zur Erlangung
historischer Gewissheit. Dieses Verhältniss entspringt abermals aus
der singulären Natur geschichtlicher Ereignisse, vermöge deren durch
eine einzige übereinstimmende Instanz unter Umständen schon die
Sicherheit eines Resultates verbürgt werden kann. So gehören die
Fragen der älteren Chronologie zu den schwierigsten Aufgaben histo-
rischer Kritik|; die ungeheuren Widersprüche der verschiedenen Zeit-
rechnungen stellen hier die grosse Unsicherheit der einzelnen Daten
ins Licht. Eine einzige Uebereinstimmung dagegen , wie z. B. in
den jüdischen und griechischen Angaben über gewisse Thataachen
der persischen und assyrischen Geschichte, kann nicht bloss zur
Fixirung der Ereignisse dienen, sondern in ihnen auch feste Aus-
gangspunkte für weitere Zeitbestimmungen gewinnen lassen*).
Von geringerem Werthe sind einige weitere formale Kriterien
historischer Wahrheit, wie die Gleichzeitigkeit der Berichterstatter
mit den von ihnen erzählten Ereignissen, die Abfassung eines Berichts
vor dem Eintritt der politischen oder sonstigen Wirkungen, welche
die berichtete Thatsache ausgeübt hat, aus denen man ebenfalls
*) Vgl. L. y. Ranke, Zur Chronologie des Eusebius. Beilage zum
1. Band seiner Weltgeschichte. Anderweitige Beispiele enthalten desselben Ver-
fassers kritische Erörterungen zur alten Geschichte im 3. Band des genannten
Werkes.
Hifitorische Kriük. 339
auf die Zuverlässigkeit einer Ueberlieferung glaubt scUiessen zu
können'*'). Ihnen lässt sich entgegenhalten, dass gerade der Augen-
zeuge eines historischen Ereignisses, der seine näheren und ferneren
Folgewirkungen noch nicht kennt, schon deshalb weil er es meist
nur Yon einem beschränkten Standpunkte aus auffasst und nach
seiner vollen Bedeutung nicht zu würdigen vermag, in einer un-
günstigeren Lage ist als ein später kommender Beobachter, der be-
reits kritisch prüfend den Vorgängen gegenübersteht **).
Dies führt uns auf den allgemeinen Grundsatz, dem alle be-
sonderen Regeln der historischen Kritik, auch die der Ueberein-
stinunung unabhängiger Zeugnisse, unterworfen sind. Da es diese
Kritik überall nur mit der Feststellung wirklicher Ereignisse zu
thnn hat, so müssen die durch die einzelnen kritischen Methoden zu
Tage geförderten Resultate in erster Linie möglich sein: sie müssen
mit den allgemeinen Gesetzen unserer Erfahrungserkenntniss über-
einstimmen; und sie müssen in zweiter Linie wahrscheinlich sein:
sie müssen sich dem sonstigen, namentlich dem in nächster Ver-
bindung mit ihnen stehenden historischen Zusammenhang ungezwungen
einfügen. Darum wird kein wirklicher Historiker heute noch den
Bericht eines Wunders, auch wenn er von noch so zuverlässigen
und von einander unabhängigen Zeugen herrühren sollte, für glaub-
würdig ansehen; und er wird, auch wenn eine Ueberlieferung nach
den formalen Kriterien der Quellenkritik hinreichend bezeugt ist,
nicht unterlassen zu prüfen, inwiefern sich die überlieferte Thatsache
in den bereits gegebenen geschichtlichen Zusammenhang einfügt
oder etwa auf Ghrund desselben Zweifeln begegnet. Nichts kann
darum verkehrter sein, als jene formalen Regeln von der üeberein-
stimmung der Quellen, der Bevorzugung der ursprünglicheren Quellen
vor den abgeleiteten und andere mehr ähnlich mathematischen Regeln
benützen zu wollen, aus denen, ohne weitere Rücksicht auf den
materiellen Inhalt des Ergebnisses, mit unfehlbarer Sicherheit Schlüsse
gezogen werden sollen***). Vielmehr darf man nie aus dem Auge
verlieren, dass die Geschichte als Erfahrungswissenschaft zunächst
den allgemeinen Gesetzen unserer Erfahrungserkenntniss überhaupt
und sodann den besonderen Bedingungen der von ihr untersuchten ein-
•) Droyeen, GrundriBS der Historik. 3. Aufl., S. 16 ff.
**) Ottokar Lorenz, Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und
Aufgaben. 1891. U, S. 329 ff.
***) 0. Lorenz fahrt dieses Verfahren an einigen treffenden Beispielen
ad absurdum (a. a. 0. S. 309 ff.).
340 Logik der GeschichtewiBsenschaften.
zelnen Thatsachen unterworfen ist. In Wahrheit sind ja auch jene
formalen Regeln der historischen Ejitik nichts anderes als gewisse
Verallgemeinerungen aus der psychologischen Erfahrung, die, wie
alle Regeln ähnlicher Art, nur unter der Voraussetzung bestimmter
realer Bedingungen gültig sind. Zu diesen realen Bedingungen ge-
hören aber vor allem die besonderen Eigenschaften der historischen
Erscheinungen, um deren Untersuchung es sich handelt. Wegen der
auf geschichtlichem Gebiete nie zu übersehenden singulären Be-
deutung der Thatsachen kann darum die Anwendung der generischen
Vergleichung und eine auf Orund derselben ausgeführte Abstraction
kritischer Regeln leicht die Quelle verhängniss voller Irrthümer werden.
Ein charakteristisches Beispiel bietet in dieser Beziehung die Kritik
mittelalterlicher Geschichtsquellen, die es sich gegenwärtig, um solche
aus einer falschen generischen Abstraction entsprungene Irrthümer
zu vermeiden, geradezu zum Grundsatz gemacht hat, die Frage der
Echtheit von Urkunden nicht nach generellen Regeln sondern aus-
schliesslich mittelst singulärer Uebereinstimmungen und Unter-
schiede kritisch zu prüfen. Da als singulare Merkmale vorzugs-
weise die der Handschrift dessen, der eine Urkunde ausgestellt hat,
in Betracht kommen, so ist in Folge dieses Grundsatzes der Schwer-
punkt der neueren Urkundenkritik in die Schriftvergleichung verlegt
worden*).
c. Die historische Interpretation.
Die allgemeine Natur der geistigen Schöpfungen und die be-
sonderen Bedingungen des historischen Geschehens bringen es mit
sich, dass eine causale Erklärung geschichtlicher Thatsachen niemals
*) Diesem Princip der Singularität entsprechend lautet der hauptsäch-
lichste Grundsatz der neueren Diplomatik für die Ausschliessung einer Fäl-
schung: «Wenn mehrere Urkunden desselben Ausstellers für verschiedene Em-
pfänger, die nicht in einem nachweisbaren Zusammenhang stehen, z. B. für ein
italienisches Bisthum und für ein deutsches Kloster , ganz oder theilweise von
derselben Hand geschrieben sind, so kann diese Schriftgleichheit nur durch ihre
Entstehung in der Kanzlei des Ausstellers erklärt werden, während die Annahme,
sie könnten von einem und demselben Fälscher herrühren, nach den Ent-
stehungsmotiven solcher Fälschungen ausgeschlossen ist/ Vgl. H. Bresslau,
Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, 1895. Bd. I, S. 36 ff.
Eine eingehende Darstellung der verschiedenen Formen historischer Kritik mit
Beispielen, namentlich aus dem Gebiet der Quellenkritik, findet man bei
E. Bernheim, Lehrbuch der historischen Methode. 2. Aufl., 1894. S. 236 ff.
Historische Interpretation. 341
in der Form einer zwingenden Deduction möglich ist. Die Aufgabe
der historischen Interpretation beschränkt sich vielmehr auf die
Nachweisung eines psychologisch begreiflichen Zusammen-
hangs zwischen den durch die Kritik gesicherten einzelnen That-
sachen. Während die Naturerklärung überall eindeutige Resultate
zu gewinnen sucht, bleiben daher die geschichtlichen Ereignisse
unter allen umständen vieldeutig, indem mannigfache, vielleicht
dem Grade nach gleiche, aber qualitativ abweichende Arten des
historischen Verständnisses einer und derselben Reihe von Begeben-
heiten möglich sind. Dennoch würde es falsch sein, dieses Ver-
hältniss als einen Mangel aufzufassen, durch den die Interpretation
der Geschichte hinter derjenigen der Natur zurückstehe. Vielmehr
gewinnt jene, was sie an logischer Strenge einbüsst, an Mannig-
faltigkeit und Reichthum ihres Inhalts. Auch ist nicht zu über-
sehen, dass der zwingenden Kraft, die der naturwissenschaftlichen
Deduction in günstigen Fällen zukommt, die durchgängig hypo-
thetische BeschalSenheit der obersten Prämissen, von denen diese
Deduction ausgeht, insbesondere aller Voraussetzungen über das Sub-
strat der Erscheinungen, gegenübersteht, während die Vordersätze
geschichtlicher Interpretation theils selbst historische Thatsachen, theils
aber psychologische Motive 8ind, deren Existenz im allgemeinen
nicht zu bezweifeln ist, wenn auch ihre Wirksamkeit in dem der
Untersuchung unterworfenen Fall möglicher Weise bestritten werden
kann. Problematisch ist daher im letzten Grunde jede Erklärung,
die über eine Beschreibung der beobachteten Thatsachen hinausgeht.
Nur hat der Zweifel jedesmal einen andern Angriffspunkt: bei der
Naturerklärung bezieht er sich auf das reale Substrat der Erschei-
nungen, bei der Interpretation geschichtlicher Vorgänge auf die Ver-
bindung der Erscheinungen unter einander und mit den allgemein-
gültigen Motiven menschlichen Handelns.
Hieraus ergibt sich aber auch, dass die Gesetze naturwissen-
schaftlicher Induction nicht unmittelbar auf das Gebiet der Geschichte
übertragen werden können. Denn ist es auch selbstverständlich,
dass die logischen Normen, nach denen die wissenschaftliche
Forschung handelt, überall die nämlichen bleiben, so müssen sich
doch die Anwendungen dieser Normen innerhalb der zusammenge-
setzten wissenschaftlichen Methoden stets zugleich nach den Principien
richten, die für die in Frage stehenden Erscheinungen gültig sind.
Diese Principien sind nun im vorliegenden Fall die psychologi-
schen, da die Vorgänge der Geschichte, gleichgültig ob man die
342 Logik der Geschichtswisfienschafben.
individuellen oder die socialen Einflüsse bei ihnen in den Vorder-
grund stellen mag, immer in letzter Instanz auf menschliche Willens-
motive und Handlungen zurückführen. Dies ist der Punkt, wo
die früher gekennzeichnete naturalistische Geschichtsauffassung
(S. 325) grundsätzlich fehlgeht, da sie die historischen Thatsachen ledig-
lich als objectiv gegebene Erscheinungen behandelt, auf welche die
nämlichen Regeln der Induction anwendbar sein sollen wie auf alle
Naturerscheinungen .
Im Sinne dieser Auffassung wird dann die Auffindung all-
gemeiner Gesetze des historischen Geschehens als die Hauptauf-
gabe der Geschichtsforschung betrachtet. Solche allgemeine Gesetze
sollen aber, ähnlich wie die Naturgesetze, mittelst der Anwendung
der vergleichenden Methode, insbesondere der Methode der üeber-
einstimmung, auf verschiedene zeitlich und räumlich von einander
unabhängige historische Begebenheiten durch Generalisation zu ge-
winnen sein, worauf dann umgekehrt jede einzelne Interpretation
in einer Subsumtion unter diese Gesetze zu bestehen habe*). Nun
haben wir gesehen, dass selbst auf physikalischem Gebiete durch
eine blosse Sammlung übereinstimmender Thatsachen kaum jemals
Gesetze gefunden werden, da es dabei völlig an der nothwendigen
Isolation und Variation der Bedingungen mangelt. Aber auch jenes
Verfahren der Vergleichung ähnlicher Fälle, wie es die Naturwissen-
schaft unter Umständen mit Erfolg anwendet, ist auf historischem
Gebiete nur in beschränkter Weise anwendbar, weil hier vermöge
der unendlich vielgestaltigen Bedingungen der Erscheinungen solche
Fälle, in denen gleichsam die Natur selbst für uns experimentirt hat,
niemals vorkommen. Es ist daher begreiflich, dass man bei dem
Versuch dieses Verfahren anzuwenden zu so vagen und trivialen Ab-
stractionen gelangen muss, wie sie Buckle gefunden hat, zu Ab-
stractionen überdies, die immer noch eine psychologische Interpre-
tation herausfordern**). Auch ist nicht zu hoffen, dass etwa mit
dem reicher werdenden Stoff, den der Fortgang der Geschichte künf-
*) H. Th. Buckle, Geschichte der Civilisation in England. Deutsch von
A. Rüge, 2. Aufl., 1864, Bd. 1.
**) Dies erhellt aus folgenden Beispielen: „Der Fortschritt des Menschen-
geschlechts beruht auf dem Erfolg, womit die Gesetze der Erscheinungen
erforscht sind*; „Die wissenschaftlichen Entdeckungen starken den Einfluss
intellectueller Wahrheiten und schwächen relativ aber nicht unbedingt den Ein-
fluss sittlicher Wahrheiten* u. s. w. Begreiflicher Weise hat sich die gegnerische
Kritik der Historiker vorzugsweise gegen diese „Gesetze* gerichtet. Vgl. z. B.
Droysen, Histor. Zeitschr. II, 1863, S. 1 ff .
Historische Interpretation. 343
tigen Geschlechtern an die Hand gibt, das Yerhältniss sich anders
gestalten werde. Denn nichts spricht dafür, dass sich das historische
Geschehen jemals unter gleichen Bedingungen wiederholen werde.
Mehr als die eigentliche Geschichte lässt allerdings die Entwicklungs-
geschichte einzelner geistiger Erzeugnisse, wie der Sprache, des
Mythus, der Sitte, die Auffindung von Gesetzen auf dem Wege der
Induction zu, die dann wieder rückwärts zur Deduction einzelner
Erscheinungen dienen können. Dies hängt aber mit der früher her-
vorgehobenen Eigenschaft solcher Geisteserzeugnisse zusammen, dass
bei ihnen die individuellen und singulären Einflüsse gegenüber den
allgemeinen und gleichförmig wirkenden Bedingungen zurücktreten*).
Am ehesten kommt es daher auch zu einer ähnlichen gesetzmässigen
Wiederholung gewisser Entwicklungsstadien in solchen Gebieten des
geistigen Lebens, in denen eine innere Continuität der Entwicklung
stattfindet, die zwar von sonstigen historischen Einflüssen mannig-
fach modificirt werden kann, in ihrer allgemeinen Beschaffenheit aber
doch eine gewisse Gleichförmigkeit der Ursachen darbietet, wie die
Literatur, die Philosophie, die Kunst u. s. w. Immerhin kann selbst
in diesen Fällen die vergleichende Methode immer nur die vor-
bereitenden Schritte zur eigentlichen Interpretation thun. Gerade
hier ist es dann aber eben wegen jener inneren Continuität der Ent-
wicklung besonders augenfällig, dass die Interpretation selbst in der
Nachweisung der psychologischen Bedingungen der Erscheinungen
bestehen muss**).
Soweit sich daher überhaupt die historische Interpretation
der vergleichenden Methode bedient, wendet sie dieselbe in einer
von der Naturwissenschaft wesentlich abweichenden Weise an. Ihre
Aufgabe ist es nicht, auf dem Wege der Induction zur Generali-
sation specifisch historischer Gesetze zu gelangen, aus denen dann
eine Menge einzelner Erscheinungen abgeleitet werden könnte, son-
dern ihre Absicht geht dahin, die Erscheinungen aus sich
selbst und aus den sich in ihnen verrathenden psycho-
logischen Gesetzen zu erklären. Denn die allem historischen
Geschehen gemeinsamen Gesetze sind die psychologischen Gesetze der
Henschennatur, die aber in jedem einzelnen Fall wieder unter nrannig-
fach abweichenden Bedingungen Anwendung finden. Nun kann freilich
*) Vgl. oben Cap. 1, S. 137 ff.
**) Vgl. E. Elater, Geschichte und Literatur, in der Festschrift zur Ver-
sammlung der deutschen Historiker, Leipzig 1894, S. 241 ff., sowie dessen Vor-
trag über die Aufgaben der Literaturgeschichte. 1894.
344 Logik der (Jeschichtewissenschaften.
die Geschichte selbst dazu dienen, psychologische Gesetze zu finden,
und vir haben in dieser Beziehung die historisch-psychologische
Methode als ein wichtiges Hülfsmittel yölkerpsychologischer Forschung
kennen gelernt. (Vgl. S. 239.) Aber hierbei sind es niemals die ge-
schichtlichen Thatsachen allein, die uns zu psychologischen Ergeb-
nissen verhelfen, sondern jene müssen mit den sonstigen Hülfsmitteln
der psychologischen Untersuchung, vor allem mit der unmittelbaren
psychischen Erfahrung, combinirt werden. Die auf diesem Wege
gefundenen Gesetze können daher abermals nur psychologische sein.
Uebrigens sind es auch hier wieder ausschliesslich jene philologisch-
historischen Disciplinen, die sich mit der Entwicklung einzelner der
Naturbestimmtheit des Bewusstseins in höherem Masse unterworfener
Geisteserzeugnisse beschäftigen, wie die Sprachwissenschaft, die
Mythologie und die historische Ethik, die als Hülfsmittel der Psycho-
logie in Betracht kommen.
Von diesem Verhältnisse zur Psychologie ist nun die specielle
Anwendung der vergleichenden Methode innerhalb der historischen
Interpretation durchaus bestimmt. Indem diese darauf ausgeht, die
Thatsachen aus ihrem eigenen Zusammenhang und aus den Motiven
der handelnden Menschen zu erklären, ist sie zunächst auf die indi-
viduelle Vergleichung angewiesen, auf ein Abwägen der möglichen
Einflüsse, ein Ausscheiden der aus thatsächlichen oder psychologischen
Gründen unwesentlichen und eine Combination der zurückbleibenden
wesentlichen Factoren. In zweiter Linie wird dann aber auch die
generische Vergleichung angewandt. Sie kann wieder von sub-
jectiven oder von objectiven Bedingungen bestimmt sein. Im ersteren
Falle zieht sie andere, möglicher Weise in ihrer objectiven Be-
schaffenheit ganz abweichende Ereignisse herbei, an denen die näm-
lichen massgebenden Factoren, seien diese nun einzelne Personen,
Regierungen, Parteien, Staaten oder Völker, betheiligt waren. Aus
dem Verhalten dieser Factoren in andern Fällen schliesst man auf
die Wirksamkeit bestimmter Motive bei der in Frage stehenden Er-
scheinung. Diese subjective Anwendungsform der generischen Me-
thode ist am nächsten mit der individuellen Vergleichung verbunden;
und sie ist daher die häufigste, dem unmittelbaren Charakter der
historischen Probleme entsprechend. Daneben fehlt aber auch die
zweite, objective Anwendung nicht. Sie besteht darin, dass objectiv
ähnliche, jedoch unter abweichenden äusseren Verhältnissen und
darum unter Betheiligung anderer Factoren stattgehabte Erscheinun-
gen zur Vergleichung dienen. Auch hier handelt es sich aber nicht
Historische Interpretation. 345
um die Ableitung allgemeiner Gesetze, sondern es wird von einem
Fall auf einen andern gefolgert. Beide Methoden generischer Ver-
gleichung operiren also mit dem Analogieschluss. Bei der sub-
jectiyen Methode schliesst man, dass irgend eine Person oder ein
bestimmter Complex von Personen analog den in früheren Erfah-
'nmgen bethätigten Charaktereigenschaften auch unter einer andern
Verkettung von Umständen handeln werde; bei der objectiven Me-
thode schliesst man, dass ein ähnlicher causaler Zusammenhang, wie
er bei einem andern durch (Ibereinstimmende Merkmale ausgezeich-
neten Ereignisse stattgefunden hat, auch in dem gegebenen Fall
vorhanden sein werde. Es ist klar, dass diese zweite Analogie im
allgemeinen die weniger bindende ist ; denn die Charaktere von Indi-
viduen und selbst von Völkern sind trotz der Schwankungen die sie
darbieten doch im ganzen constanter als die unter Umständen sehr
verschiedenartigen Einflüsse^ die äusserlich übereinstimmende histo-
rische Erfolge herbeiführen. Darum kann der objective Analogie-
schluss am ehesten noch bei solchen Thatsachen, die mit den
natürlichen Vorstellungen und Trieben des menschlichen Geistes zu-
sammenhängen, eine bindende Kraft gewinnen, also vor allem wieder
in der Geschichte einzelner geistiger Bestrebungen, wie der Kunst
und der Wissenschaft, oder bei solchen Fragen der allgemeinen Ge-
schichte, die sich auf die literarische Ueberliefemng beziehen. So
schliesst man z. B., dass, wenn in den Traditionen verschiedener
Urgeschichten, vne in der hebräischen und der römischen, auffallend
übereinstimmende Züge vorkommen, hieraus die mythische Natur
derartiger Theile der Ueberliefemng wahrscheinlich wird. Zugleich
ist dies ein Beispiel für den auch auf historischem Gebiete vor-
kommenden Fall, dass die Methode der Uebereinstimmung ausnahms-
weise als negative Instanz Verwerthung finden kann. (Vgl. oben
S. 315.)
In ihrem ganzen Zusammenhange betrachtet ist demnach die
historische Interpretation ein Inductionsverfahren, das zunächst nicht,
wie die naturwissenschaftliche Induction, zu allgemeinen Gesetzen,
die eine Reihe ähnlicher Thatsachen beherrschen, sondern zu mehr
oder minder verwickelten Causalbeziehungen führt, die in der ihnen
zukommenden concreten Beschaffenheit allein für den specieUen, der
Interpretation unterworfenen Zusammenhang gültig sind. Solche
Causalbeziehungen sind gesetzmässig; aber sie sind selbst keine
Gesetze, sondern Anwendungen allgemeiner psychologischer Gesetze
unter Bedingungen, die für jeden geschichtlichen Zusammenhang von
346 Logik der Geschichtswissenschaften.
singulärer Art sind. Vermöge dieser singulären Natur der histori-
schen Zusammenhänge nimmt daher der Beweis für bestimmte causale
Beziehungen im allgemeinen die Form eines praktischen Inductions-
beweises an (Bd. II, 1, S. 78). In die historische Induction greift
dann aber, untrennbar mit ihr verbunden, die psychologische
Deduction ein. Während die individuelle Vergleichung wesentlich
dem Inductionsverfahren dient, ist es die generische, die dieses
deductive Element einschliesst. Darum bewegt sich die Deduction
hier überall zunächst in Analogieschlüssen der oben geschilderten
Art. Diese Analogieschlüsse stützen sich aber stets auf psycho-
logische Principien, welche letztere die wahren Principien der
historischen Deduction sind. Kann dem Begriff des Gesetzes in der
historischen Interpretation nach allem dem nicht diejenige Stellung
angewiesen werden, die er innerhalb der Naturerklärung einnimmt,
nämlich die eines den XJebergang von der inductiven Untersuchung
zur systematischen Deduction der Erscheinungen vermittelnden all-
gemeinen Hülfsmittels, so ist nun daraus aber noch nicht zu schliessen,
dass es historische Gesetze überhaupt nicht gebe. Vielmehr wird
man aus der Forderung der durchgängigen causalen Gesetzmässig-
keit, die stillschweigend jeder Interpretation zu Grunde liegt, auch
auf die allgemeine Möglichkeit der Existenz historischer Gesetze
schliessen müssen. Nur werden dieselben allerdings gemäss den für
die Interpretation geltenden Regeln von vornherein unter zwei Be-
dingungen stehen, durch die sie sich wesentlich von den Natur-
gesetzen unterscheiden: erstens werden sie auf psychologische
Principien zurückweisen, in diesem Sinne also auch niclit spe-
cifisch historische Gesetze sein können; und zweitens werden sie
immer nur den Charakter von letzten Ergebnissen historischer
Betrachtung, niemals den von Voraussetzungen haben, aus denen die
Geschichte oder irgend ein einzelner geschichtlicher Verlauf zu
deduciren wäre. Da sonach die historischen Gesetze weder Hülfs-
mittel noch unmittelbare Resultate historischer Interpretation sein
können, so fällt die Frage nach ihrer Existenz und Bedeutung ganz
und gar einer philosophischen Betrachtung der Principien der
Geschichte zu, die überall erst auf der Grundlage der mittelst Kritik
und Interpretation festgestellten geschichtlichen Zusammenhänge
möglich ist. (Vgl. unten 4, c.)
Bei der Vielgestaltigkeit der Hülfsquellen , über welche die
historische Interpretation gebietet, ist eine beschränkende Auswahl
Historische Interpretation. 347
unter ihnen theils durch ihre verschiedene Sicherheit, theils auch
schon durch ihre Zahl geboten. Sobald eine solche Auswahl will-
kürlich und unter der Leitung eines bestimmten methodischen Prin-
cips geschieht, so verbindet sich die Induction mit einer Ab st r actio n,
deren auszeichnender Charakter in diesem Falle eben in ihrer Will-
kür besteht. Daftei kann aber der Wille des historischen Beob-
achters bald durch objective Bedingungen, bald auch durch seine
eigene Individualität motivirt werden. In diesem Sinne sind zunächst
die zwei Richtungen der Interpretation zu verstehen, welche die
Historik zu unterscheiden pflegt: die pragmatische und die psycho-
logische. Diese Namen beziehen sich zwar zunächst auf die Dar-
stellung; die unterschiede liegen aber tiefer, in den Methoden der
Forschung. Die pragmatische Interpretation will den Thatbestand
für sich selbst reden lassen, indem sie den Zusammenhang nach-
weist, in dem die Thatsachen objectiv mit einander stehen. Die
psychologische geht den Motiven nach, von welchen die in das
historische Geschehen eingreifenden Willenshandlungen bestimmt
wurden. Die pragmatische Historik beschränkt sich also möglichst
auf die eigentliche historische Induction, die psychologische verwendet
mit Vorliebe die deductiven Hülfsmittel, die subjectiven und objectiven
Analogien. Aber es versteht sich von selbst, dass niemals der Prag-
matiker der psychologischen Auffassung oder der psychologische
Historiker der pragmatischen Behandlung ganz entrathen kann. Nur
um vorwiegende Richtungen handelt es sich also hier, und gerade
der reine Pragmatismus ist so wenig durchführbar, dass sogar dieser
Name eine veränderte Bedeutung angenommen hat, indem man unter
ihm eine Behandlung der Geschichte versteht, die, statt die Ereig-
nisse aus ihren eigenen Motiven psychologisch zu begreifen, vielmehr
dieselben nach untergeschobenen moralischen oder politischen Zwecken
beurtheilt, so dass nun mit völliger Umkehrung der eigentlichen
Bedeutung die pragmatische Interpretation als die subjective, die
psychologische als die objective erscheint'").
Wichtiger als diese willkürliche Scheidung von Thatsachen und
Motiven ist die Abstraction von einzelnen Quellen der Forschung
und die damit verbundene ausschliessliche Benützung anderer. Eine
derartige Behandlungsweise kann namentlich durch die wechselseitige
Ergänzung verschiedener mit abweichenden Hülfsmitteln arbeitender
Forschungen von hohem Werthe sein. Eine Construction der ältesten
♦) G. G. G ervin uß, Grundzüge der Historik. 1837. S. 39.
348 Logik der GeschichtswiBsenschaften.
Geschichte Roms an der Hand der Ueberreste und Denkmäler, wie
sie von Mommsen versucht wird, ist selbst dann, wenn man in der
sagenhaften Tradition historische Anklänge vermuthen sollte, Ton
hohem Werthe, indem sie zunächst die sicheren Bestandtheile der
Ueberlieferung ausscheidet, die nun die Beurtheilung jener mannig-
fach gefälschten Quellen leiten können. Die Art, wie Ranke die
verschiedensten Gebiete der neueren Geschichte mit vornehmlicher
Benutzung von Gesandtschaftsberichten bearbeitet hat, verdankt der
subjectiven und doch '^zugleich von gewissen politischen Gesichts-
punkten bestimmten Färbung, welche die Ereignisse annehmen, ihr
besonderes Interesse*). So wird überall die historische Abstraction
zunächst durch die Fülle des Stoffs und die Mannigfaltigkeit der
Gesichtspunkte, die auf das historische Geschehen anwendbar sind,
geleitet; in ihrer speciellen Richtung wird sie aber durch die be-
sondere geistige Auffassung des historischen Forschers bestimmt, der
gerade hierin die Eigenthümlichkeit seiner Begabung zu verrathen
pflegt.
Neben der pragmatischen und der psychologischen hat man
noch eine Interpretation der Bedingungen und eine solche der
Ideen unterschieden'*''*'). Beide bezeichnen, falls man die Begriffe
nicht wiUkürUch verengt, nicht sowohl verschiedene Formen der
Interpretation als vielmehr Auf gaben, die jeder' historischen Unter-
suchung gestellt werden müssen. Insofern diese das Verständniss
des causalen Zusammenhangs der Ereignisse vermitteln soll, bezieht
sie sich nothwendig auch auf deren Bedingungen. Dabei kann dann
freilich wieder die historische Forschung verschiedene Richtungen ein-
schlagen je nach der Classe der Bedingungen die sie bevorzugt.
Indem hier eines jener heuristischen Principien, die für alle Geistes-
wissenschaften bestimmend sind und manchmal sogar innerhalb eines
solchen eine bestimmte Kategorie von Ursachen ausschliesslich be-
rücksichtigt wird, entstehen einseitige Interpretationsweisen, wie sie
den oben gekennzeichneten allgemeinen Richtungen der Geschichts-
auffassung eigenthümlich sind. Der Widerstreit dieser Richtungen
wird jedoch principiell aufgehoben, sobald man sich der relativen
Bedeutung erinnert, die den Maximen auf denen sie beruhen zukommt.
Für das Verständniss irgend welcher objectiv gegebener geistiger
Processe ist in Wahrheit das Princip der subjectiven Beurtheilung
*) Vgl. Ranke» Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahr-
hundert, Bd. I, Vorrede.
♦♦) J. G. Droysen, Grundries der Historik. 3. AuO., S. 21 ff.
Historische Interpretation. 349
ebenso unerlässlich wie das der Abhängigkeit von der geistigen Um-
gebung oder des Natureinflusses'*'). Aber eben deshalb kann auf
allen diesen Gebieten und insbesondere auch auf dem der Geschichte
keine Erklärung auf Vollständigkeit Anspruch machen, die nicht
nach Gebühr jedes dieser Principien herbeizieht. Höchstens insoweit
wird man eine Bevorzugung nach dieser oder jener Richtung zugeben
können, als der ungeheure Reichthum des geschichtlichen Inhalts
in der Regel zu einer Auswahl nöthigt, bei der die Individualitat
des einzelnen Forschers in der Bevorzugung bestimmter Factoren
des Geschehens eine gewisse Rolle spielen kann, gerade so gut wie
sie dies schon in der Auswahl der Probleme thut. Nur darf sich
freilich diese individuelle Freiheit nicht dazu versteigen, die Schranken
des eigenen Gesichtskreises für die Grenzen der Dinge selbst an-
zusehen.
Begreiflicher Weise sind nun die verschiedenen Bedingungen,
die durch die erwähnten drei heuristischen Principien angedeutet
werden, nicht alle zugleich, sondern allmählich und in der durch die
Ausbildung der historischen Hülfsmittel von selbst gebotenen Reihen-
folge für die historische Interpretation verfügbar geworden. Die
älteste und in vielen Darstellungen der Geschichte noch immer vor-
waltende, wenn auch kaum jemals mehr allein herrschende Inter-
pretationsform ist die aus der Einwirkung individueller Motive,
eine Form die demnach die geschichtlichen Ereignisse so viel als mög-
lich aus den Handlungen einzelner führender Individuen und aus
den zwischen ihnen sich ergebenden theils gemeinsamen theils wider-
streitenden Interessen ableitet. Daneben hat aber längst die geistige
Umgebung, aus der man das Auftreten der führenden Persönlich-
keiten zu begreifen sucht, und die zugleich ein allgemeines Charakter-
bild der Zeiten gewinnen lässt, die Aufmerksamkeit auf sich ge-
lenkt. Vorherrschend ist diese Interpretation aus dem geistigen
Medium bei einem Theil der Historiker der culturgeschichtlichen
Richtung (vgl. oben S. 326). Am spätesten hat sich endlich, als
eine die äusseren Bedingungen in den Bereich exacter Untersuchung
bringende Form der Forschung, die wirthschaftsgeschicht-
liche Interpretation Geltung verschafiFt. Der begreifliche Grund
hiervon liegt in der Schwierigkeit, für die Erkenntniss der wirth-
schaftlichen Zustände vergangener Zeiten, die als Factoren des ge-
schichtlichen Lebens in Betracht zu ziehen sind, die erforderlichen
♦) Vgl, oben Cap. I, S. 46.
350 Logik der Geschicbtswissenschaften.
Quellen zu eröffiien. Individuelle Nachrichten können ja hier ebenso
wenig ein zureichendes Bild des Zustandes ganzer Bevölkerungs-
massen geben, wie es etwa möglich ist aus der Eenntniss der Exi-
stenzbedingungen einzelner Individuen auf die Wirthschaftsverhält-
nisse der Bevölkerung, der die Individuen angehören, zureichende
Rückschlüsse zu machen. Etwas mehr Licht verbreiten schon die
socialen Organisationsformen, wie Oemeindeverfassungen, Stände-
gliederungen, Einrichtungen zünftiger und sonstiger Corporationen,
endlich Nachrichten über Ackerbau, Gewerbefleiss, Handel und andere
Wirthschaftszustände. Aber sollen alle diese Zustände ein volles
Bild des wirthschaftlichen Lebens einer Zeit gewähren, so müssen
sie nicht bloss qualitativ betrachtet, sondern, so weit es angeht,
quantitativ ermittelt werden. So ergab sich in erster Linie f&r die
Wirthschaftsgeschichte die Aufgabe einer rückwärts gekehrten
Statistik. Hat auch natürlich die statistische Methode in diesen
historischen Anwendungen in Folge der Mangelhaftigkeit der Ueber-
lieferungen mit ungleich grösseren Schwierigkeiten zu kämpfen als
die Statistik der Gegenwart, so kommt ihr doch auf wirthschaft-
lichem Gebiete der Umstand zu Hülfe, dass gewisse materielle Inter-
essen, wie die der Steuereintreibung, der Verwaltung grösserer Güter
und ähnliche, stets zu gewissen Aufzeichnungen geführt haben, die
voraussichtlich einigermassen vollständig sein werden, und die über-
dies den Vorzug haben, dass sie vollkommen objectiv und ohne
Rücksicht auf irgend welche die statistische Erhebung störende
Zwecke gemacht sind. Auf diese Weise ist für grosse, früher dieser
Untersuchungsweise unzugängliche Perioden der Geschichte, wie für
das Mittelalter, die historische Wirthschaftsstatistik ein wichtiges
Hülfsmittel historischer Interpretation geworden, das, ein Erzeugniss
der culturgeschichtlichen Richtung, seinerseits» dieselbe wesentlich
gefordert hat*). So wünschenswerth es nun aber auch sein würde,
dieses Verfahren auf andere Culturfactoren , wie Kunst, Wissen-
schaft, Sittenzustände u. dergl. auszudehnen, so wenig scheint doch
dazu im ganzen Aussicht vorhanden zu sein, da eben hier nicht
das gleiche zwingende Interesse wie bei den wirthschaftlichen Zu-
ständen zur Niederlegung eines brauchbaren statistischen Materials
*) Ueber die Kigenthümlichkeiten der statistischen Methode überhaupt
vgl. unten Cap. IV, 1, c, über ihre Anwendung auf die Geschichte insbesondere
Tgl. das Hauptwerk dieser Richtung : K. Lamprecht, Deutsches Wirthschafks-
leben im Mittelalter, 1886, II, S. 3 ff., dazu auch G. Winter in Steinhausens
Zeitschrift für Culturgeschichte, I, 1894, S. 196 ff.
Historische Interpretation. 351
geführt hat. So ist schon die Bevölkerungsstatistik früherer Zeiten
äusserst unsicher, die Anfänge der Moralstatistik reichen nur in eine
yerhältnissmässig kurze Vergangenheit zurück, und die Aufzeichnungen
über Verhältnisse des geistigen Lebens, wie z. B. über die Frequenz
von Schulen und Universitäten, über die höheren Berufsformen u. dergl.
lassen nirgends sichere Schlüsse zu*).
Von einer Interpretation der Ideen kann berechtigter Weise
nur in dem Sinne geredet werden, dass man es als eine Aufgabe
jeder historischen Untersuchung betrachtet, den geistigen Gehalt
der Ereignisse und vor allem die eigenthümlichen Verbindungen und
Wechselwirkungen geistiger Kräfte, die theils verschiedene Perioden
der Geschichte theils verschiedene nationale Entwicklungen kenn-
zeichnen, zum Verständnisse zu bringen. Niemals aber kann der
Historiker die „Ideen der Geschichte'^ als ideale Mächte gelten lassen,
die, gleich den Platonischen Ideen, in einer jenseits der Wirklichkeit
der Dinge liegenden Welt ihren Ursprung haben und so von aussen
her als gestaltende Kräfte auf die Erscheinungswelt einwirken. Mit
einer solchen transcendenten Causalität, die nicht selten den Grund-
gedanken geschieh tsphilosophischer Speculationen gebildet hat, kann
in Wahrheit die Geschichte so wenig wie die Naturwissenschaft
*) Ich darf hierzu vielleicht einen Beleg aus eigener Erfahrung anführen.
Als ich vor einigen Jahren mit Hülfe unserer sehr vollständigen üniversitäts-
matiikel es versuchte, eine Jahresstatistik der Immatriculationsfrequenz der Leip-
ziger Universität vom Jahre ihrer Gründung an bis zur Gegenwart aufzustellen,
masste selbstverständlich von vornherein auf eine wirkliche Bestimmung der
jeweiligen Anzahl vorhandener Studirender verzichtet werden, da bei keiner
onserer Universitäten in früheren Jahren neben der Liste der Immatriculationen
eine solche des Abgangs von der üniveraität geführt wurde. Aber bald zeigte
68 sich, dass auch Über den Zugang der Studirenden weder hier noch bei anderen
Universitäten, deren Matrikel bisher veröffentlicht sind, etwas zu erreichen war,
weil von der Zeit der Reformation an bis etwa zum Ende des vorigen Jahr-
honderts die Immatriculationen zum Theil in einer so frühen Lebenszeit statt-
fanden, dass damit der wirkliche Besuch der Universität meist unvereinbar ist.
Der Versuch einer Gruppenzerlegung erwies sich aber als vollkommen undurch-
führbar, weil offenbar der Zugang von Kindern zur Hochschule zu verschiedenen
Zeiten eine sehr verschiedene Bedeutung hatte (z. B. während des 30jährigen
Krieges, wo er gelegentlich auf das 70fache der Zahl der erwachsenen Jüng-
linge stieg, gewiss eine andere als zu Ende des vorigen Jahrhunderts, wo er
»ich auf einige Kinder von Professoren und Universitätsbeamten beschränkte),
und weil sich diese Bedeutung selbst, da uns directe Zeugnisse dafür fehlen,
in der Regel nur muthmassen, nicht beweisen lässt, überdies aber die sichere
Abgrenzung der studirenden und der nicht studirenden Knaben nach dem
Lebensalter wiederum unmöglich ist.
352 Logik der Geschichtswissenschaften.
etwas anfangen. Das Reich der Geschichte ist schlechterdings nur
die Wirklichkeit menschlicher Erlebnisse. Die historische Inter-
pretation kann daher nur aus dieser Wirklichkeit selbst schöpfen.
Unter dieser Voraussetzung kann aber eine Interpretation der Ideen
eine doppelte Aufgabe haben. Erstens wird sie in der klaren
Vergegenwärtigung des geistigen Zustandes bestehen, von dem die
betrachtete geschichtliche Entwicklung getragen ist; und zweitens
wird sie sich auf die Wechselwirkungen beziehen, in denen die
mannigfachen Factoren dieses geistigen Zustandes, wie Sitten- und
Rechtszustände, Kunst- und Literaturströmungen, theils unter ein-
ander, theils aber mit den materiellen Zustanden auf der einen und
den politischen Vorgängen auf der andern Seite stehen. In diesem
Sinne betrachtet, in dem die Geschichte als empirische Wissenschaft
allein den Begriff der „Ideen** verwerthen kann, besteht demnach
eine solche Interpretation der Ideen lediglich in einer möglichst um-
fassenden Berücksichtigung des Princips der geistigen Umgebung,
und ihre Aufgaben fallen so im wesentlichen mit denen der Cultur-
geschichte zusammen'*').
*) Es ist keine Frage, dass namentlich Ranke dem Begriff der .Ideen*
in seiner Anwendung auf die Geschichte wesentlich diese Bedeutung eines dem
geschichtlichen Leben immanenten, nicht transcendenten geistigen Gehaltes
gegeben hat, wie solches A. Dotc und 0. Lorenz mit Recht betont haben.
(Vgl. des letzteren Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben,
II, S. 51 ff.) Gleichwohl ist bemerkenswerth , dass auch bei Ranke Aeusse-
rungen vorkommen, in denen der tranecendente Ideenbegriff nachwirkt, wie er,
unter dem unverkennbaren Einflüsse der Platonischen Ideenlehre, vor allem noch
inW. V. Humboldts Abhandlung «Ueber die Aufgabe des Geschichtschreibers*'
(1822, Ges. Werke I) zu finden ist. So wenn Ranke von einem in der Ge-
schichte wirkenden „Genius* spricht, „der sein eigenes Leben hat", oder wenn
er sagt: „Vom Standpunkt der göttlichen Idee kann ich mir die Sache nicht
anders denken, als dass die Menschheit eine unendliche Mannigfaltigkeit von
Entwicklungen in sich birgt, welche nach und nach zum Vorschein kommen,
und zwar nach Gesetzen, die uns unbekannt sind, geheimnissvoll und grösser
als man denkt." Obgleich demnach Ranke unter „leitenden Ideen* nichts anderes
versteht als die „herrschenden Tendenzen in jedem Jahrhundert*, die von dem
Historiker nur empirisch gefunden und beschrieben werden können, so be-
trachtet er doch daneben die Ursachen dieser Tendenzen und ihrer Ent-
wicklungsfolge als etwas Unbegreifliches, das der religiösen Vorstellung über-
lassen bleibe. Hierin besteht einerseits sein Gegensatz gegen die Geschichts-
philosophie, die solche transcendente Ursachen vom Gebiet des Glaubens auf
das des Wissens zu übertragen strebte, anderseits aber trennt er sich dadurch
von den neueren Versuchen einer Culturgeschichtsforschung, die den Wechsel
der geistigen Tendenzen nicht als etwas an und für sich Unerklärliches hin-
Sprachwissenschaft. 353
3. Die philologisch-historischen Wissenschaften.
a. Die Sprachwissenschaft.
Unter denjenigen Objecten geschichtlicher Entwicklung, die
ausserhalb des Forschungsgebietes der eigentlichen Geschichte liegen,
theils weil sie in die äusseren Lebensschicksale der Völker nicht
unmittelbar eingreifen, theils weil ihre Entstehung menschlicher
Erinnerung entzogen bleibt, nimmt die Sprache eine hervorragende
Stellung ein. Denn sie ist die Bedingung aller anderen Geistes-
erzeugnisse; insbesondere werden auch durch sie erst die wichtigsten
Thatsachen der historischen Forschung der Erkenntniss zugänglich.
In dieser ursprünglichen Bedeutung, der die Sprache zugleich ihren
Werth als psychologisches Forschungsobject verdankt, liegt der
6rund eines eigenthümlichen Streites, der zwischen den Sprach-
forschern selbst Über die Stellung ihrer Wissenschaft entstanden ist.
Bald hat man sie den Geschichtswissenschaften zugezählt, bald
ist sie in ausdrücklichem Gegensatze hierzu als eine Naturwissen-
schaft bezeichnet worden*). Mit Rücksicht auf den Gegenstand
nimmt, sondern vermittelst der allgemeinen Gesetze geistiger Entwicklang zu
begreifen sucht. Ranke vertritt also hier im Gebiet der Geschichte die be-
rechtigte Reaction gegen eine falsche Transcendentalphilosophie, indem er die
Anschauung zur Geltung bringt, dass das einzige Forschungsobject der Ge-
Khichte die Wirklichkeit des historischen Geschehens selbst sei. Zugleich hält
er aber fest an der Idee von Gesetzen, die jenseits dieses Geschehens und der
es bestimmenden psychischen und physischen Kräfte liegen. Gegen diese
Idee wäre, insoweit sie sich auf eine ausserhalb der wissenschaftlichen Kritik
liegende religiöse Vorstellung bezieht, natürlich nichts einzuwenden, wenn die-
^Ibe nicht doch, gerade so wie die vorausgegangene speculative Geschichts-
betrachtung, in die geschichtlichen Erscheinungen selbst Übergriffe, indem sie in
jenen «leitenden Tendenzen der Jahrhunderte* schliesslich die Wirkungen über-
sinnlicher Ursachen sieht. Nun ist die Aufgabe, den geistigen Charakter eines
Zeitalters aus den Bedingungen des Lebens und der vorangegangenen Entwick-
Inng abzuleiten, zweifellos eine unendlich verwickelte und darum niemals ganz
Tollendbare. Aber darum ist sie doch keine transcendente, sondern ein Problem
der empirischen Interpretation, in dessen Lösung daher auch eine „Interpretation
der Ideen* bestehen sollte.
*) Vertreter der letzteren Auffassung sind Max Müller, Vorlesungen
über die Wissenschaft der Sprache, I, S. 19 (4. Aufl. 1892, S. 28), und Aug.
Schleicher, Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft, 1863. Ihnen
i^enQber betonen ihren Charakter als Geschichtswissenschaft Whitney, Vor-
Wmtdt, Logik. IT, 8. 9. Anfl. 23
354 Log^k der Geschichtswissenschaften.
der sprachlichen Forschung kann es nun aber keinem Zweifel unter-
worfen sein, dass die Linguistik eine historische Wissenschaft ist:
die Sprache ist ein Erzeugniss des menschlichen Geistes, das sich
in einer fortwährenden Entwicklung befindet, und sie ist von Natur-
bedingungen nicht in wesentlich anderer Weise als andere historische
Entwicklungen abhängig. Dagegen ist es ebenso zweifellos, dass
die Sprachwissenschaft in Bezug auf ihre Methodik denjenigen
Gebieten der Naturforschung, die auf die comparative Methode
angewiesen sind, verwandter ist als irgend ein anderer Zweig der
Geschichtswissenschaften. Ganz besonders gilt dies für die Geschichte
der sprachlichen Lautveränderungen, welche theils in Folge
des Einflusses physiologischer Factoren, theils aber auch deshalb,
weil die hierher gehörigen Vorgänge mehr als andere dem directen
Willenseinflusse entzogen bleiben, bis zu einem gewissen Grade den
Charakter naturgeschichtlicher Ereignisse an sich tragen. Aber auch
in denjenigen Gebieten, die sich mit dem geistigen Inhalt der Laut-
formen und ihrer Verbindungen beschäftigen, wie in der Unter-
suchung der Wortbildung, der syntaktischen Formen oder selbst des
historischen Bedeutungswandels der Wörter, verleugnet die Sprach-
wissenschaft nicht ganz den Charakter naturwissenschaftlicher Methodik.
Denn die sprachlichen Bildungen besitzen verhältnissmässig am
wenigsten jene singulare Beschaffenheit, die sonst dem historischen
Geschehen eigen ist. Darum ist es eine Hauptaufgabe der Linguistik,
allgemeine Gesetze zu finden, die, mögen sie nun für jede mensch-
liche Sprache oder für «einen besonderen Sprachstamm oder selbst
bloss für eine Einzelsprache gelten, doch in allen diesen Fällen in
ähnlicher Weise wie die Naturgesetze die einzelnen Thatsachen er-
klären und mit einander verbinden. Freilich aber ist anzuerkennen,
dass sich die verschiedenen Gebiete des sprachlichen Lebens keines-
wegs in gleichem Grade diesem naturgesetzlichen Charakter fügen;
und so kommt es, dass sich innerhalb der Sprachwissenschaft selbst
ein allmählicher Uebergang vollzieht von der vergleichenden Methodik
des Naturforschers, die vorzugsweise mit der generischen Vergleichung
operirt, zu derjenigen des Historikers, die mehr auf die individuelle
Vergleichung beschränkt bleibt. Dem ersten Gebiet fällt die ganze
Lautlehre, dem zweiten die Geschichte der Wortbedeutungen zu;
lesungen über Sprachwissenschaft, herausgeg. von Jolly, 1874, S. 71, und
Herrn. Paal, Principien der Sprachgeschichte, 1880, 2. Aufl. 1886, Einleitung.
Eine vermittelnde Stellung nimmt G. Gurt ius ein, Abhandl. der Eönigl. Sachs.
Ges. d. W. V. S. 187.
SprachwiBseiiBchaft. 355
zwischen beiden stehen mit einem nach Aufgabe und Methode ge-
mischten Charakter die Geschichte der Wortbildungen und der syn-
taktischen Formen.
Die Untersuchung des Lautbestandes der Sprache und ihrer
geschichtlichen Wandlungen verdankt theils der relativen Leichtig-
keit, mit der hier die vergleichende Methode zur Aufstellung all-
gemeiner Gesetze fQhrt, theils der fundamentalen Natur der Probleme
eine bevorzugte Stellung in der neueren Sprachwissenschaft. Zwei
Aufgaben verfolgt die lautgeschichtliche Untersuchung: sie will die
Veränderungen der Laute ermitteln, die im Laufe der Entwicklung
der Sprache eingetreten sind, und sie will die Gesetze auffinden,
nach denen diese Veränderungen erfolgen. Die erste dieser Auf-
gaben ist beschreibender, die zweite erklärender Art. Di^ Beschrei-
bung liefert den Stoff, den die Erklärung an der Hand physiologischer
und psychologischer Thatsachen zu verwerthen sucht. Jene bereitet
die Induction vor, diese vollzieht sie, um gleichzeitig zur deductiven
Anwendung der gefundenen Gesetze fortzuschreiten. Doch sind beide
Aufgaben nicht völlig zu trennen, da sich nicht bloss der ursprüng-
liche Lautbestand einer Sprache meistens unserer directen Nach-
weisung entzieht, sondern da auch zwischen den in historischer Zeit
vorliegenden Uebergängen Lücken der Tradition vorhanden sein
können, die durch Schlüsse aus den anderweitig erkannten Laut-
gesetzen ausgefüllt werden müssen. Theils hierdurch theils wegen
der Vieldeutigkeit der physiologischen und psychologischen Momente,
die in die Erklärung eingehen, nimmt die Hypothese in der Unter-
suchung der historischen Lautgesetze eine unentbehrliche Stellung
ein. In allen diesen Beziehungen hat die lautgeschichtliche Methode
eine gewisse Aehnlichkeit mit der comparativen Methode der geo-
logischen Forschung, bei der in ähnlicher Weise Ungewissheit der
Anfangszustände, Lücken des Zusammenhangs und nachträgliche Ver-
schiebungen in der Ordnung der Objecte die geschichtliche Recon-
struction erschweren.
Die lautgeschichtliche Untersuchung beginnt mit der indivi-
duellen Vergleichung: sie verfolgt die Lautform eines einzelnen
Wortes während einer gewissen mehr oder minder umfassenden Ent-
wicklungsperiode; dann schreitet sie zur gener is che n Vergleichung
fort, indem sie die Veränderungen solcher Wörter zusammenstellt^
deren Lautbestand ein ähnlicher ist. Da aber diese Aehnlichkeit
sich immer nur auf einzelne Laute oder beschränkte Lautcomplexe
beziehen kann, so verbindet sich die Vergleichung unmittelbar mit
356 Logik der GeschichtBwissenschaften.
einer Abstraction, die es möglich macht, dass das nämliche Worfc-
ganze gleichzeitig zu mehreren Inductionen verwendet wird, die sich
auf verschiedene Lautbestandtheile desselben beziehen. Solche In-
ductionen können theils die isolirte Veränderung der Laute, theils
den Einfluss benachbarter Laute auf diese Veränderung betreffen.
In beiden Fällen ergeben sich als Resultate der generischen Ver-
gleichung bestimmte empirische Gesetze des Lautwechsels.
An diese knüpft dann eine doppelte Hypothesenbildung an.
Eine erste sucht von den empirisch gefundenen Veränderungen rück-
wärts zu gehen, um einen Anfangszustand zu reconstruiren, der
den unmittelbaren Zeugnissen der Sprachgeschichte unzugänglich ist;
eine zweite sucht physiologische und psychologische Erklärungs-
gründe für die thatsächlichen Veränderungen zu finden und dadurch
die rein empirischen Gesetze der Lautgeschichte in causale umzu-
wandeln. Es wiederholt sich hierin lediglich der allgemeine Ver-
lauf des inductiven Verfahrens (Bd. II, 1, S. 25 ff.). Doch sind in
diesem Falle, ähnlich wie bei andern Vorgängen, deren erste Ent-
stehung unserer Beobachtung entzogen ist, nur diejenigen Hypothesen,
die sich auf die Erklärungsgründe empirisch gegebener Veränderungen
beziehen, einer directen Verification zugänglich, wogegen alle Hypo-
thesen bezüglich der Anfangszustände der Sprache einer solchen ent-
behren. Hier bleiben wir daher auf Analogieschlüsse aus der uns
zugänglichen Entwicklung angewiesen. Diese können dann wieder
von rein empirischer oder von causaler Beschaffenheit sein: wir
können vermuthen, dass eine Folge lautlicher Veränderungen im
selben Sinne jenseits des unserer Untersuchung zugänglichen Anfangs-
punktes sich fortsetzt, in welchem sie diesseits desselben verläuft,
ohne uns über den Grund dieser Vorgänge Rechenschaft zu geben;
oder wir können schliessen, dass die nämlichen Bedingungen, die in
der uns zugänglichen Zeit Lautveränderungen bewirkt haben, jen-
seits derselben wirksam gewesen sind. Die Lautlehre hat sich bis-
her mit Analogieschlüssen der ersten Art begnügen müssen, was um
so mehr zu beklagen ist, da sie nicht nur die minder zwingenden
sind, sondern auch mit den Ergebnissen der Schlüsse zweiter Art
nicht nothwendig zusammentreffen. Denn die inneren und äusseren
Bedingungen der Lautveränderungen können gewechselt haben, da-
her diese sich nicht immer in der nämlichen Richtung, in der wir
sie innerhalb engerer Grenzen beobachten, über dieselben hinaus fort-
setzen müssen. So kommt es, dass hier überhaupt derjenige Theil
der Induction, der die Aufstellung empirischer Gesetze überschreitet
Sprachwissenschaft. 357
noch wenig ausgebildet ist. Wir besitzen z. B. in Orimms Gesetz
der Lautverschiebungen das Resultat einer die isolirten Veränderungen
der consonantischen Laute in den Einzelsprachen den indogermani-
schen Stammes sehr glücklich zusammenfassenden Induction (vgl. oben
Cap. I, S. 138). Dagegen sind die hieraus geschöpften Yermuthungen
Ober den consonantischen Lautsch'atz der indogermanischen Ursprache
zam Theil hypothetischer Art, und alles, was über die physiologischen
und psychologischen Ursachen der Lautverschiebung geäussert worden
üt, besteht in zweifelhaften Yermuthungen. Noch unsicherer wird
dieser zweite Theil der Induction natürlich dann, wenn selbst das
empirische Gesetz auf dem er weiter baut in Bezug auf seine All-
gemeinheit bestritten werden kann. So hatte man aus gewissen
Unterschieden, die sich bei der Vergleichung älterer und jüngerer
Sprachformen darbieten, geschlossen, dass die Aenderungen in dem
Vocalismus der Sprache überall durch ein Gesetz der Schwächung
der Laute beherrscht werden, und darum vermuthet, dass einerseits
die Ursprache nur die starken Vocale a, i, u und ihre Verbindungen
besessen habe, und dass anderseits als die vorherrschende Triebfeder
der Veränderungen die Bequemlichkeit der Articulation zu betrachten
sei. Aber indem sich jenes Gesetz der fortschreitenden Erfahrung
gegenüber nicht behaupten konnte, begegnete naturgemäss auch die
psychologische Hypothese, die daran geknüpft wurde, erheblichen
Zweifeln. Eine grosse Schwierigkeit liegt in diesem Fall für die
Formulirung empirischer Gesetze darin, dass dieselben bei der ersten
Auffindung keineswegs als ausnahmslose Normen erscheinen, daher
bekanntlich in der alten Grammatik der Satz „keine Regel ohne
Ausnahmen" beinahe allein als eine Regel ohne Ausnahmen auftritt.
Mehr und mehr hat die neuere Sprachwissenschaft diesen Standpunkt
verlassen und die «Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze ** in dem Sinne
zur Geltung gebracht, dass, wo immer die Gültigkeit eines Gesetzes
durchbrochen erscheint, der Einfluss eines andern Gesetzes nach-
gewiesen werden müsse, dessen Einfluss die Wirkung des ersten auf-
hebe. Sichtlich handelt es sich hier zunächst nur um ein berechtigtes
logisches Postulat, dem der empirische Nachweis noch keines-
wegs in allen Fällen zu folgen vermag. Darum drängte nun aber
auch dieses Postulat dazu, über eine bloss empirische Gesetzesformu-
lirung hinaus- und den Complicationen causaler Bedingungen nach-
zugehen, die eine derartige Kreuzung verschiedener Gesetze erklär-
lich machen (vgl. oben Cap. I, S. 140 ff.). So zeigte es sich auch hier,
dass, sobald man zu einer Erklärung der Erscheinungen fortzu-
358 Logik der Geechichtswissenechaften.
schreiten sucht, der stetige Gang der Induction abgekürzt wird,
indem, noch bevor die Aufstellung empirischer Gesetze abgeschlossen
ist, die Untersuchung der causalen Verhältnisse beginnt. Von be-
sonderem Einflüsse sind hierbei psychologische Erklärungsgrfinde
geworden, indem man in der Association ähnlicher Lautformen,
die in diesem Fall nicht ganz zweckmässig als Analogie bezeichnet
worden ist, ^ine wichtige Quelle der Beeinflussung der Lautformen
erkannte*). Von dem so gewonnenen Gesichtspunkte aus hat man
dann zuweilen auch schon mit dem Versuch begonnen, den Bedin-
gungen des ursprünglichen Lautbestandes und der.aUgemeinen Rich-
tung der Lautveränderungen einer Sprache nicht von den empirischen
Gesetzen der Lautgeschichte selbst aus, sondern durch eine allgemeine
Erwägung bestimmter physischer und psychischer Einflüsse auf eine
Sprachgenossenschaft nachzuspüren**). Derartige Versuche sind frei-
lich noch sehr in ihren Anfängen begriffen, immerhin weisen sie auf
eine Ergänzung hin, der die rein lautgeschichtliche Untersuchung an
und für sich zugänglich ist, und die in einer andern Anwendung
der comparatiyen Methode bestehen würde, derjenigen ähnlich, deren
sich in allgemeinerem Sinne die Anthropogeographie bei ihrer Unter-
suchung der Beziehungen des Menschen zu seinen äusseren Lebens-
bedingungen bedienen muss.
Ber in der Lautlehre annähernd festgehaltene regelmässige Ver-
lauf der Induction von der Aufstellung empirischer Gesetze zur
Hypothesenbildung und Causalerklärung erfahrt nun in der Theorie
der Wortbildung und in der Geschichte der syntaktischenFormen
nach entgegengesetzten Richtungen hin Abänderungen : in der ersteren
durch den frühzeitigen Einfluss der Hypothese, in der letzteren durch
die fast unbeschränkte Geltendmachung einer rein enipirischen Induc-
tion. Dies liegt in der verschiedenen Natur der Untersuchungsobjecte
begründet. Das Wort zeigt im allgemeinen schon in seinem frühesten
uns zugänglichen Zustande eine fertige Form, die zwar noch mannig-
fache Umwandlungen, namentlich lautliche Veränderungen erfahren
*) Ygl. hierüber Osthoff und Brugmann, Untersuchongen aaf dem
Gebiete der indogermanischen Sprachen. I. 1878; H. Schuchardt, Üeber die
Lautgesetze, 1885; H. Paul, Principien der Sprachgeschichte, 2. Aufl., 8.85 ff.;
Misteli, Zeitschr. f. Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, Bd. 11, S. 365 ff.
u. 12, S. 1 ff.
**) H. Osthoff, Das physiologische und psychologische Moment in der
sprachlichen Formenbildung. (Samml. wissensch. Vortr. von Virchow u. Holtzen-
dorff.) 1879. H. Paul a. a. 0. S. 46 ff.
Sprachwissenschaft. 359
kann, in Bezug auf die ZusammenfQgung aus bedeutungsvoUeu 6e-
standtheilen aber ihre eigentliche Bildungsperiode bereits hinter sich
hat. So kann denn die Wortbildung selbst gar nicht Gegenstand
einer directen Induction sein, sondern Aufschlüsse über dieselbe lassen
sich nur theils der Vergleichung der Bestandtheile verschiedener
Wortformen, theils der Vergleichung verschiedener Sprachen eines
und desselben Stammes oder verschiedener Abstammung entnehmen.
Eine generische Vergleichung dieser Art bedarf von vornherein der
leitenden Hypothesen, wenn sie nicht zu jenem unsicher tastenden
Verfahren herabsinken will, das lange Zeit beinahe alle etymologischen
Bestrebungen in einen üblen Ruf gebracht hat. Dagegen sind die
syntaktischen Formen unmittelbare Objecte der Beobachtung, und
sie sind überdies in der historischen Zeit der Sprache leicht zu ver-
folgenden Veränderungen unterworfen, deren Interpretation höchstens
zu psychologischen Hypothesen Anlass geben kann, von denen aber
das Grammatische selbst unberührt bleibt. Sehr augenfällig sind
diese unterschiede in der indogermanischen Sprachforschung hervor-
getreten. Die herrschende Richtung wird hier in ihrer Auffassung
der Wortformen und insbesondere in ihrer Erklärung der Flexion
von der Agglutinationstheorie geleitet. Diese ist aber ursprüng-
lich aus zwei Hypothesen hervorgegangen: aus der Annahme ein-
silbiger Wurzeln, und aus der Voraussetzung, dass die Personal-
endungen des Verbums angehängte Pronomina seien''). Keiner dieser
Hypothesen steht eine zureichende Induction zur Seite. Der haupt-
sachlichste Grund ihrer Aufrechterhaltung besteht in dem Nutzen,
den sie bei der Ableitung der sprachlichen Formen gewähren. Diesem
heuristischen Motiv entsprechend hat man denn auch in dem Begriff
der Wurzel ursprünglich nur eine grammatische Abstraction gesehen.
Je mehr aber die Agglutinationstheorie auf eine reale Entwicklung
bezogen wurde, um so nothwendiger mussten die ursprünglichen
Wurzeln mit den Wörtern der Ursprache selbst zusammenfallen.
Dieser Anschauung kam dann noch die generische Vergleichung ver-
schiedenartiger Sprachformen zu Hülfe, die es gestattete, gerade mit
Bezug auf die Wortbildung die Gesammtheit der menschlichen
Sprachen in ein bestimmtes Entwicklungsschema zu ordnen'*''''). Hier
*) Delbrück, Einleitung in das Sprachstudium, 1883, S. 3 if. Zur
zweiten dieser Hypothesen vgl. Brugmann, Grundriss der vergl. Grammatik
der indogermanischen Sprachen. U, S. 1380 ff.
**) Eine üebersicht der wichtigsten hierher gehörigen Classificationen geben
Fr. Müller, Grundriss der Sprachwissenschaft, I, S. 63 ff.; Steinthal,
360 Logik der GeschichtowiBsenBchaften.
war dann freilich die Entwicklung selbst .wieder zu einer Abstraction
geworden, die sicherlich nur in wenigen Punkten mit einer realen
Entwicklung zusammenfiel. So bewegen sich alle diese Unter-
suchungen über den Sprachbau theils in Deductionen aus bestimmten
Hypothesen, die in vereinzelten sprachlichen Thatsachen oder auch
in psychologischen Erwägungen ihre Quellen haben, theils in Abstrac-
tionen, die nicht selten eine etwas ungewisse Stellung zwischen Idee
und Wirklichkeit einnehmen.
Wesentlich andern Charakters sind die vom vergleichenden
Staudpunkte aus unternommenen Untersuchungen im Qebiet der
Syntax. Hier ist der sprachliche Stoff nicht nur unmittelbar ge*
geben, ohne einer auf Hypothesen bauenden Reconstruction zu be-
dürfen, sondern er nähert sich auch durch eine mehr singulare
Beschaffenheit den sonstigen Objecten philologischer und historischer
Induction. Die Art, wie der Redende seine Worte stellt, ist zunächst
immer von den besonderen psychologischen Motiven abhängig, die
ihn im einzelnen Fall leiten, und sie kann daher in jeder Sprache
innerhalb gewisser, nach der Eigenthümlichkeit derselben allerdings
in hohem örad wechselnder Grenzen variiren. Aus diesen einzelneu,
durchaus nur der individuellen Interpretation zugänglichen Erschei-
nungen ergeben sich freilich auch hier mittelst generischer Ver-
gleichung gewisse allgemeine Regeln, die einer ebenso allgemeinen
psychologischen Deutung zugänglich sind*). Dabei kann aber die
letztere keine anderen Gesichtspunkte zur Anwendung bringen, als
die sie schon bei der individuellen Interpretation benützt hat. Die
Generalisation liefert also hier nicht erst die erklärenden Gesetze, von
denen aus auch das Einzelne verständlich wird, sondern sie bringt
nur die in einer Völkergemeinschaft vorherrschenden psychologischen
Motive zum Ausdruck, die an sich ebenso deutlich in irgend einer
einzelnen Gedankenäusserung zur Erscheinung kommen können.
Näher noch den sonstigen Formen historischer Untersuchung f&hrt
endlich die Geschichte der Wortbedeutungen. Wie sie sich auf
das Innerlichste der Sprache bezieht, so arbeitet sie auch am meisten
mit psychologischen Hülfsmitteln. Jedes Wort hat seine individuelle
Geschichte, durch die es, unterstützt durch die Methoden philologi-
scher Forschung und unter steter Rücksichtnahme auf die historischen
Bedingungen des Sprachgeistes, verfolgt werden muss. Das Einzige,
Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues, 8. 827 ff. Vgl. aussei^
dem die 2. Auflage desselben Werkes, bearbeitet von M i s t e 1 i , S. 35 ff.
*) Vgl. H. Paul a. a. 0. S. 99 ff.
Mythologie. 361
was hier der generischen Vergleichung zu thun bleibt, ist eine psycho-
logische Classification der verschiedenen Formen des Bedeutungs-
wandels. Diese ist aber ein Geschäft, das schon mehr auf dem
Boden der Psychologie als auf dem der Sprachwissenschaft selbst
liegt, während die individuelle Wortgeschichte nicht nur von der
Methodik der Philologie und Geschichte Gebrauch macht, sondern
auch mit ihren Resultaten diesen Geisteswissenschaften zu HtÜfe
kommt. Denn in der Geschichte der Wortbedeutungen reflectirt sich
die ganze Geschichte der Cultur und ihrer Erzeugnisse **").
b. Die Mythologie.
Den Gegenstand der Mythologie bilden theils die ursprünglichen
Vorstellungen des Völkerbewusstseins über Gott, die Welt und die
Vorgänge in der Natur, theils die Veränderungen, die diese Vor-
stellungen bis zu dem Zeitpunkte erfahren haben, wo in Folge der
sittlichen und intellectuellen Entwicklung religiöse Ideen und wissen-
schaftliche Begriffe an ihre Stelle getreten sind. Der Mythus ist
demnach gleichzeitig die Vorstufe der Religion und der Wissenschaft.
Die Stetigkeit aller geistigen Entwicklungen bringt es aber mit sich,
dass nirgends feste Grenzen den Uebergang aus der mythologischen
in die ethisch- religiöse und wissenschaftliche Form des Denkens be-
zeichnen. Früh schon beginnt diese an einzelnen Punkten die Herr-
schaft des mythologischen Denkens zu durchbrechen, wogegen mannig-
fache Ausläufer des letzteren in der Gestalt von Symbolen und
symbolischen Handlungen oder als Sage und Aberglaube in die
spätere Entwicklung hineinragen. Noch in diesen späten Gestaltungen
bewahrt der Mythus die Eigenschaft, dass er, ähnlich der Sprache,
fast als ein naturgesetzliches Erzeugniss des menschlichen Bewusst-
seins erscheint. Trotzdem kann kein Zweifel daran aufkommen, dass
die Mythologie, ebenso wie die Sprachwissenschaft, ihrer Aufgabe
nach zu den historischen Wissenschaften zählt, — nicht deshalb
weil Mythus und Sage so oft selbst an die Stelle der Geschichte zu treten
suchen, sondern weil die Mythologie eine Geschichte des vorwissen-
iH^faaftlichen Denkens ist, die an sich ebenso gut wie die Geschichte
der Wissenschaft den Anspruch erheben darf Geschichte zu heissen.
*) Beispiele zur Psychologie des Bedeutungswandels vgl. bei H. Lehmann,
Der Bedeutungswandel im Französischen, 1884; A. Darmesteter, La Yie des
Mots, 1887; H. Winkler, Zur Sprachgeschichte, 2 Bde., 1887—89, sowie in den
allgemeinen Werken von Whitney, M. Müller, Paul u. A.
362 Logik der GeBchichtawifiseiifichaften.
Die Untersuchungen der Mythologie scheiden sich zunächst in
die Behandlung von zwei Aufgaben. Die erste besteht in der
Untersuchung des Zusammenhangs verschiedener Mythen-
bildungen: hier arbeitet die Mythologie der Geschichte in die
Hände; denn die Oemeinschaft der ursprünglichen Vorstellungskreise
kann ein ebenso werthvoUes Zeugniss für die einstige Stammes-
gemeinschaft oder fOr frühen Verkehr der Völker bilden wie die
Beziehungen der Sprache. Die zweite Aufgabe geht auf die Be-
deutung des Mythus und die Ursachen seiner Verände-
rungen. Hier kann die Mythologie psychologischer Erwägungen
nicht entrathen, und zugleich büdet sie selbst eine der wichtigsten
Hülfsquellen für die psychologische Untersuchung der Phantasie-
thätigkeit. Auf die Lösung beider Aufgaben hat schliesslich die
Mythologie den Versuch einer Entwicklungsgeschichte des
Mythus zu gründen, der zugleich über die psychologischen Gesetze
der Mythenbildung und über die Beziehung derselben zu der ethi-
schen und intellectuellen Entwicklung des Bewusstseins Rechenschaft
geben soll. Bei allen diesen Untersuchungen bedient sich die mytho-
logische Forschung der vergleichenden Methode in zum Theil ab-
weichenden Anwendungsformen und mit wechselnder Anlehnung an
die Verfahrungsweisen anderer, benachbarter Forschungsgebiete.
Bei der Erledigung ihrer ersten Aufgabe, der Feststellung
der ursprünglichen Identität verschiedener räumlich oder zeitlich ge-
trennter Mythen bildungen, mit der sich zuweilen auch der Nachweis
der Verschiedenheit scheinbar ähnlicher Formen verbinden kann,
stützt sie sich vor allem auf die etymologische Vergleichung.
Das nächste und in den meisten Fällen zugleich das entscheidendste
Merkmal für die Uebereinstimmung der Göttervorstellungen ist die
Identität ihrer Namen. So bilden die Thatsachen, dass der Name
des Zeus in lautlich verwandter Form in fast allen indogermanischen
Sprachen wiederkehrt, oder dass Vesta, Juno und Janus offenbar mit
den griechischen Wörtern Hestia, Dione und Zen (Zeus) identisch
sind, gewichtige Zeugnisse, dort für die Ursprünglichkeit gewisser
arischer Göttergestalten, hier für eine den gräko-italischen Völkern
gemeinsame Vorstellungsgruppe. Neben dieser etymologischen kommt
dann zum gleichen Zweck noch eine andere Form vergleichender
Methode zur Anwendung, die wir die eigentlich philologische
nennen können. Wie jene auf die Bezeichnung, so bezieht sich diese
auf den Inhalt der mythologischen Vorstellungen, auf alles was
in den Anschauungen über die Bedeutung der Götter in Gebräuchen,
Mythologie. 363
Symbolen und sonstigen Beziehungen auf eine Uebereinstimmung
hinweist. Am sichersten ist diese natürlich dann bezeugt, wenn die
philologische mit der etymologischen Untersuchung in ihrem Ergeb-
niss zusammentrifft. Aber da die Namengebung mannigfachen ver-
ändernden Einflüssen ausgesetzt ist, so kann das Resultat der philo-
logischen Vergleichung allein schon von zwingender Natur sein. So
glaubt man z. B. trotz der Namensverschiedenheit Indra und Thunar,
ApoUon und Mars als ursprünglich identische Götter ansehen zu
dürfen*). Die Hauptgefahr bei beiden Methoden besteht in der
übertriebenen Werthschätzung oberflächlicher Aehnlichkeiten und in
dem Uebersehen negativer Instanzen. So war die herkömmliche
Zurückführung der römischen auf die griechische Mythologie zum
Theil aus falschen Etymologien und unzureichenden Analogien her-
vorgegangen, gegenüber denen die neben den späteren Wechsel-
wirkungen fortlebenden 'Keime altitalischer Göttervorstellungen ganz
übersehen wurden.
Grösseren Schwierigkeiten begegnet die zweite Aufgabe, die
Feststellung der ursprünglichen Bedeutung des Mythus. Denn
diese wird verhüllt durch die späteren Veränderungen der mytho-
logischen Vorstellungen, so dass auf sie nur in ähnlicher Weise
zurückgeschlossen werden kann, wie aus den späteren Formen der
Sprache auf eine Ursprache. Auch hier bildet die etymologische
Methode, die aber in diesem Fall in einer andern Richtung als bei
der Mythenvergleichung verwerthet wird, die nächste Hülfe dar.
Das erste und in manchen Fällen das sicherste Merkmal ist die
Wortbedeutung. Die Thatsache, dass die indogermanischen Götter-
namen Naturerscheinungen, wie den Himmel, das Licht, die Morgen-
röthe, den Donner bedeuten, bildet zweifellos das gewichtigste Zeug-
niss für eine einstige Naturvergötterung. Nicht minder werfen
sprachliche Bilder, wie die Vergleichung der Morgen- und Abend-
wolken mit den Heerden röthlicher Kühe, ihr Licht auf die Vor-
stellungen, welche das nomadisirende Hirtenvolk, auf das diese
Mythologie zurückweist, mit seinen Naturgöttern verband**). Für
*) Beispiele etymologischer Vergleichung siehe bei MaxMüller, lieber
die Wissenschaft der Sprache, II, S. 386, 4. Aufl., S. 491 fF.; Beispiele philologi-
scher Veigleichung bei Mannhardt, Wald- und Feldculte, 2 Bde., 1875—77;
K. H. Meyer, Indogermanische Mythen, I, II, 1883; in Bezug auf das griechisch-
römische Gehiet bei W. H. Röscher, Studien zur vergl. Mythologie der
Griechen und ROmer, 1878—75.
**) Vgl. A. Kuhn, Üeber Entwicklungsstufen der Mythenbildung. Ab-
bandl. der Berliner Akad., 1878, S. 123.
364 Logik der GeschichtswiiiseiLSchafteD.
die Erklärung der weiteren Umgestaltungen des Mythus liefert dann
diesprachgeschichtliche Untersuchung wichtige Hülfsmittel durch
die Aufzeigung des Bedeutungswandels der Wörter und durch die
Nach Weisung des Einflusses, den die Wortzeichen auf die Vorstel-
lungen ausüben, eines Einflusses wegen dessen man zuweilen den
Mythus überhaupt auf ein blosses Missverständniss von Wörtern und
Bildern zurückführen wollte""). So werden die ganz und gar ver-
menschlichten Gestalten der späteren Mythologie erst möglich, nach-
dem der Gedanke an die Naturerscheinungen, die man einst in einem
Indra, Zeus oder Thunar verkörpert dachte, völlig verschwunden ist.
Noch augenfälliger wird dieser Einfluss der Sprache dann, wenn die
blosse Klangähnlichkeit von Wörtern, die verschiedene Begriffe be-
deuten, neue Vorstellungen wachruft, die mit der ursprünglichen
Bedeutung des Mythus völlig unvereinbar sind. So wenn der Natur-
mythus von der Sonne, welche der Morgenröthe (Dahanä) nacheilt,
durch die Bedeutung „ Lorbeer bäum **, die das griechische Wort
Daphne annimmt, in die Legende von Apollon und Daphne über-
geht, oder wenn die Steine, die Deukalion und Pyrrha hinter sich
werfen, durch die blosse Wortähnlichkeit von Xaö<; und Xäac sich in
Menschen verwandeln. Aber gerade in solchen secundären Wort-
deutungen zeigt doch die mythenbildende Phantasie so deutlich ihre
nie rastende Thätigkeit, dass es naturwidrig erscheint anzunehmen,
diese Thätigkeit sei in jenen Anfängen der Sprache, in denen die
Worte ihre ursprüngliche Bedeutung bewahrt hatten, noch nicht vor-
handen gewesen.
Von ähnlicher Anwendung wie bei der Mythenvergleicfaung die
sprachgeschichtliche ist bei dem Problem der Bedeutungsentwickluug
des Mythus die philologische Methode. Sie erstreckt sich niemals
auf die Anfänge des Mythus, die früher sind als alle Denkmäler der
Kunst und Literatur. Wohl aber bieten diese die wichtigsten Hülfs-
quellen dar für die Verfolgung seiner weiteren Entwicklung. Freilich
sind hier namentlich die poetischen Schöpfungen insofern von zwei-
deutiger Natur, als es in Folge der nahen Verwandtschaft der poeti-
schen und der mythischen Phantasiethätigkeit häufig zweifelhaft sein
kann, bis zu welchem Grade eine Legende von dem Dichter umgestaltet,
oder ob sie von ihm selbst geschaffen worden ist. Da aber poetische
Schöpfungen, wie der Einfluss eines Homer und Hesiod zeigt,
*) Max Müller, Essays, II, S. 66 ff. Kuhn a. a. 0. S. 137. Vgl.
oben Cap. I, S. 107, und meine Ethik, 2. Aufl., S. 60.
Mythologie. 365
selbst wieder in den Strom der allgemeinen Mytbenentwicklung ein-
münden können, so wird durch den Nachweis einer derartigen An-
theilnabme der Dichtung der Gegenstand noch nicht aus dem Bereich
des Mythus entfernt, sondern es entsteht nur die schwierige und
manchmal gar nicht zu lösende Aufgabe, die Wechselbeziehungen
zwischen Dichtung und Mythus im einzelnen festzustellen.
Während so die philologische Forschung mittelst individueller
Vergleichung hauptsächlich den einzelnen Gestaltungen der mytho-
logischen Bedeutungsentwicklung nachgeht, sucht neben ihr eine
venerische Vergleichung unabhängig neben einander hergehender
Mythenentwicklungen, unterstützt von psychologischen Erwägungen,
theils die aus der Specialuntersuchung gezogenen Schlüsse zu be-
stätigen, theils deren Lücken durch eine wahrscheinliche Interpola-
tion auszufüllen. Hierbei handelt es sich nicht, wie bei der zum
Behuf der Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse der Mythen
vorgenommenen Vergleichung, um eine Verbindung des historisch
Zusammengehörigen, sondern um jene unbestimmteren, obgleich nicht
minder gesetzmässigen Beziehungen, die in den übereinstimmenden
Eigenschaften der menschlichen Natur ihre Quelle haben. Darum
können nun bei dieser Vergleichung nicht bloss die mythologischen
Vorstellungen stamm- oder geistesverwandter Völker, sondern unter
umständen selbst die Mythenbildungen der Naturvölker verwerthet
werden. Besonders ist letzteres in der Absicht geschehen, aus dem
Geisteszustand der niedrigeren Rassen Aufschluss zu gewinnen über
die Vergangenheit der Gulturvölker. Die vergleichende Untersuchung
auf dieser Grundlage führt aber bereits zu dem dritten und letzten
Problem der mythologischen Forschung, zu der Frage nach den
allgemeinen Gesetzen der Mythenentwicklung.
Gerade diese Fr^e, die vor allem ein psychologisches Interesse
darbietet und darum mebr der Völkerpsychologie als der Mythologie
selbst zufallt, begegnet besonderen Schwierigkeiten. Der singulare
Charakter historischer Thatsachen wird zwar überall, wo das mensch-
liche Bewusstsein unter dem Antrieb bestimmter Naturbedingungen
handelt, durch die relative Gleichförmigkeit dieser einigermassen auf-
gewogen. Dennoch ist die mythologische Production vermöge der
grosseren Freiheit, mit der sich ihre von den individuellen Ein-
flüssen der Kunst und selbst der Philosophie abhängigen Wand-
lungen vollziehen, dem geschichtlichen Werden verwandter als die
Schöpfangen der Sprache. Obgleich daher die Aehnlichkeiten, die
sich zwischen unabhängig entstandenen Mythenbildungen darbieten,
366 Logik der GeschichtswisBenschafken.
sowie manche Uebereinstimmungeii in den VenLnderungen , denen
sie unterliegen, das Stxeben mythologische Oesetze aufzusuchen be-
rechtigt erscheinen lassen, so werden doch objective Vergleichung
und psychologische Interpretation höchstens in Bezug auf die all-
gemeinsten und eben deshalb dürftigsten Züge der Mythenentwick-
lung zu Ergebnissen führen, denen unbedingte Allgemeingültigkeit
zugesprochen werden kann. In viel höherem Orade noch als bei
der Aufsuchung gemeinsamer Gesetze der Sprachentwicklung kommt
hier neben dem Fehler unberechtigter Oeneralisation das Streben,
die Erscheinungen nach yorgefassten Ansichten zu deuten, in störender
Weise zur Geltung. Die pessimistische und die optimistische Auf-
fassung der menschlichen Natur hat wohl nirgends eine so grosse
Rolle gespielt wie in den der Hypothese einen weiten Spielraum
gönnenden Anschauungen über den Ursprung der religiösen Vor-
stellungen, und regelmässig ist dadurch zugleich die einseitige Be-
vorzugung bestimmter Untersuchungsmethoden gefördert worden.
Die pessimistische Mythologie stützt sich zumeist auf die vergleichende
Anthropologie. Sie geht von dem Grundsatze aus, dass der Mythus
bei den noch jetzt lebenden Wilden seinen ursprünglichen Zustand
verhältnissmässig unverändert bewahrt habe, und auf die weiteren
Entwicklungsstufen sucht sie dann aus den Spuren zurückzuschliessen«
die von jenen Vorstellungen des wilden ^ustandes in dem heutigen
Bewusstsein der Cultur Völker geblieben sind *), Die entgegengesetzte
Auffassung dagegen bedient sich der historischen Methode, die
an und für sich nur bei den geschichtlich entwickelten Völkern an-
wendbar ist. Damit verbindet sich leicht die Tendenz, spät ent-
wickelte Vorstellungen schon in die Keime, aus denen sie entsprungen
sein mögen, hineinzudeuten, wenn nicht gar, einer leicht verständ-
lichen Neigung des Gemüthes folgend, das Ideal, das die Gegenwart
vermissen lässt, in der fernen Vergangenheit zu erblicken. Die
Mythologie selbst unterliegt so dem Zauber des Mythus vom goldenen
Zeitalter. Es ist leicht zu beweisen, dass diese beiden Richtungen
einseitig sind; schwerer ist es zu sagen, wie ihre Fehler vermieden
werden sollen. Wegen ihrer näheren Beziehungen zu dem geschicht-
lichen Leben werden die mythologischen Vorstellungen im allgemeinen
ein treueres Abbild des unmittelbaren intellectuellen und sittlichen
Zustandes eines Volkes sein als die Sprache, in der in Folge ihres
mehr naturgeschichtlichen Werdens in höherem Masse die geistige
♦) E. Tylor, Die Anfänge der Cultur, I, S. 280.
Mythologie. 3G7
Arbeit yei^angener Geschlechter nachwirken kann. Von dem Mythus
der geschichtslosen Völker werden wir daher immerhin voraussetzen
dürfen, dass er der Vorstellungswelt der geschichtslosen Anfange
unserer Gulturyölker insoweit verwandt sei, als zwischen den intel-
lectuellen und sittlichen Zuständen Aehnlichkeiten bestehen. Aber
wie weit sich diese Aehnlichkeiten erstrecken, dies bleibt doch an-
gesichts der Verschiedenheiten, die wir schon in dem geistigen Leben
der heutigen Naturvölker vorfinden, eine schwer zu entscheidende
Frage. Insbesondere führt die Vergleichung des Mythologischen
selbst zu der Vermuthung, dass zwar gewisse Vorstellungen über
die kosmischen Vorgänge und über die das menschliche Schicksal
bestimmenden Mächte unter den verschiedensten Verhältnissen in
analogen Formen wiederkehren, dass dabei aber doch der ethische
Behalt solcher Vorstellungen ein mannigfach wechselnder sein kann.
Dazu kommt, dass wir bei primitiven Völkern, deren Lebens-
anschauungen sich nicht in Werken der Kunst und Literatur ver-
körpert haben, häufig auf Beobachtungen und Mittheilungen von
böchst zweifelhafter Art angewiesen bleiben. Je weniger hier eine
nmnittelbare Correctur durch die Thatsachen zu erwarten ist, um so
grosseren Einfluss gewinnen dann natürlich vorgefasste Meinungen.
Nichts beweist schlagender diesen Einfluss als die gänzlich ab-
weichende Gestalt, welche die nämlichen mythischen Erschetnungen
in den Augen verschiedener Forscher annehmen. Während die eng-
lische Anthropologie die Entwicklung des Mythus im allgemeinen in
die Stufen des Animismus, der polytheistischen Naturvergötterung
und des Monotheismus gliederte, wobei sie voraussetzte, dass zwar
aus den früheren Stufen Reste in die späteren hineinr^eu; von diesen
dagegen keine Spur in jenen anzutreffen sei, suchte Theodor
Waitz in seiner „Anthropologie der Naturvölker* auf Grund der
nämlichen Schilderungen nachzuweisen, dass der monotheistische
bedanke schon die frühesten und rohesten Gestaltungen des mytho-
logischen Denkens begleite'*'), und Max Müller ist geneigt, in der
angeblich primitivsten Form des Cultus, in dem so genannten Feti-
schismus, lediglich ein Product späten Verfalls zu sehen, dem er
ebenfalls einen monotheistischen Ausgangspunkt gegenüberstellt'*'''').
Der Streit dieser Theorien ist nicht bloss bezeichnend für
den Einfluss anderweitig entstandener ethischer Gedanken auf die
*) Waitz, Anthropologie der Naturvölker, II, S. 167 f.; III, S. 177 u. a.
**) M. Malier, Vorlesungen über den Ursprung und die Entwicklung
der Religion, S. 58 ff., 291 ff.
368 Logik der GreschichtswiBsenschaften.
Beurtheilung, sondern vieUeicht mehr noch zeigt derselbe, wie sehr
die Betrachtung der Thatsachen der Hülfe psychologischer Inter-
pretation bedarf, wenn die Klippen willkürlicher Deutung vermieden
werden sollen. Eine solche Interpretation darf sich aber nicht auf
das Verständniss des Einzelnen beschränken, sondern sie muss ver-
suchen die Entwicklung des mythologischen Bewusstseins begreiflich
zu machen. Dieses Ziel wird von den Vertretern der anthropo-
logischen und der historischen Methode in der Regel in entgegen-
gesetzter Weise verfehlt. Die Aufmerksamkeit der ersteren ist nur
der abwärts gekehrten Richtung des mythologischen Denkens zu-
gekehrt: ihr vergleichendes Verfahren gestattet ihnen, in späten
Gulturentwicklungen mannigfache Reste eines wilden Animismus auf-
zufinden; wie aber daneben sich die vollkommeneren Formen reli-
giöser Anschauung entwickeln konnten, bleibt unverständlich. Die
Vertreter der historischen Methode sind geneigt, die letzten Resultate
religiöser Entwicklung, manchmal noch in idealisirter Oestalt, in die
Anfänge zurückzuverlegen. Jene einseitigen Auffassungen können da-
her nur durch eine Verbindung der anthropologischen und der histori-
schen Methode mit einander und mit einer unbefangenen psycho-
logischen Interpretation vermieden werden. In der That ist dies
der Weg, den die wissenschaftliche Mythologie einzuschlagen begonnen
hat, ui9d auf dem sie mehr und mehr dazu gelangt ist, die ani-
mistischen Anfänge der Mythenentwicklung als gültig auch für die
geschichtlichen Culturvölker anzuerkennen, wogegen sich die spätere
Entwicklung überall als ein gemischtes Product geschichtlicher und
psychologischer Einflüsse mit immer mehr wachsender Betheiligung
der ersteren darstellt, so dass mit dem Fortschreiten der Mythen-
entwicklung auch das Uebergewicht der singulären philologisch-
historischen über die allgemeinen psychologischen Interpretations-
elemente grösser wird. Dabei ist namentlich zu beachten, dass
die geschichtliche Mythenentwicklung fortwährend auf der einen
Seite durch die Berührung mit den Vorstellungskreisen fremder, dem
primitiven Animismus noch näher stehender Völker, auf der andern
durch die Rückwirkung bestimmter philosophischer oder theologischer
Systeme auf die Volksanschauungen mannigfache Abänderungen er-
fahren kann. Zugleich können aber diese Systeme selbst wieder von
mythologischen Ideen beeinflusst sein, die sie in abgeklärtere Formen
überzuführen streben. Ein trefl^endes Beispiel für dieses Ineinander-
greifen verschiedenartiger Momente bildet die Geschichte des Un-
sterblichkeitsglaubens bei den Griechen, der, in der homerischen
Ethologie. 369
Zeit ganz zurücktretend, späterhin wahrscheinlich zugleich mit dem
Dionysischen Au&egungscult thrakischen Völkerschaften entlehnt
wird und namentlich durch die Verbindung mit dem altgriechischen
delphischen Apollodienst tief in die Volksreligion eindringt, um end-
lich in der Platonischen Philosophie jene geläuterte Darstellung zu
finden, durch die er sich seine weltgeschichtliche Bedeutung er-
rangen hat*).
c. Die Ethologie.
Neben Sprache und Mythus bilden Sitte und sittliche Vor-
stellungen ein drittes wichtiges Gebiet geistiger Entwicklung, dessen
Untersuchung die Verbindung philologischer und historischer Metho-
dik voraussetzt. Wegen der nahen Beziehungen ethischer und
mythologischer Vorstellungen ist dieses Gebiet der ^ Ethologie'' be-
sonders der Mythologie verwandt**).
Die nächste Aufgabe bezieht sich auch hier auf gewisse ur-
sprünglich gemeinsame Vorstellungen und ihnen entsprechende
Nonnen der Sitte. Die sicherste Hülfe bei der Lösung dieser Auf-
gabe gewährt wieder der gemeinsame Wortschatz jetzt getrennter
Völker. Wie sich aus den übereinstimmenden Göttemamen der indo-
*) Vgl. £rwin Rohde^ Psyche, Seelencult und ünsterblichkeitsglaube
der Griechen, 1894, bes. S. 332 ff. Weitere Beispiele philologisch-historischer
Methode, die sich auf das Weihnachtsfest und andere christliche Festbräuche
beziehen, vgl. bei H. U s e n e r , Religionsgeschichtliche Untersuchungen, 2 Thle.,
1889. Einen interessanten, ebenfalls auf der Annahme weit herabreichender
Nachwirkungen des primitiven Animismus beruhenden Versuch, den Traum,
speciell den Albtraum, als eine Wurzel zahlreicher Mythenbildungen der Gultur-
völker nachzuweisen, hat L. Laistner gemacht in seinem Buch: Das Räthsel
der Sphinx, 2. Bde. 1889. Doch leidet dieser Versuch an dem alten Fehler
mythologischer Theorien, Alles aus Einem erklären zu wollen. Einige Inter-
pretationsbeispiele aus dem Gebiet der Mythologie, die den Einfluss der leiten-
den Hypothesen erläutern, sind schon oben (Cap. I, S. 103 ff.) mitgetheilt.
**) Der Name .Ethologie* ist in dem hier gebrauchten Sinne einer
higtoriech-philologischen Untersuchung der Sitte meines Wissens zuerst von
0. Ribbeck angewandt worden. (Vgl. dessen «Ethologische Studien' in den
Abhandlungen der kgl. sächs. Ges. d. Wiss., Phil.-hist. Gl., Bd. IX und X,
1883—85.) Leop. Schmidt nannte sein das gleiche Gebiet behandelnde
Werk eine ,Ethik der alten Griechen" (1882). Zur Unterscheidung von der
entsprechenden philosophischen Disciplin dürfte aber der Name , Ethologie" der
zweckmässigere sein. In einer ganz andern Bedeutung, nämlich in der einer
individuellen , Charakterologie', hat J. St. Mill das nämliche Wort gebraucht.
VgL oben S. 169.
Wnndt, Logik, n, 2. 9. Aufl. 24
370 Logik der Oeschichtswiflsenschaften.
germanischen Stämme ein blasses Bild der Mythologie eines einstigen
indogermanischen Urvolkes entwerfen lasst, so liefern uns die ge-
meinschaftlichen Wörter fUr ethische Vorstellungen, auf ihre ur-
sprüngliche Bedeutung zurOckverfolgt, Andeutungen über das sittliche
Leben jener frühen Zeit. So nimmt man z. B. auf 6rund dieser
Zeugnisse der Sprache an, dass die Indogermanen vor ihrer Spaltung
in verschiedene Stämme bereits Häuser gebaut, Wagen und Ruder-
boote gezimmert, Stoffe gewebt und SUeider genäht, Korn zu Mehl
und Erz zu Waffen verarbeitet, sowie verschiedene Hausthiere
gezüchtet haben, dass ihnen aber der Ackerbau wahrscheinlich unbe-
kannt war'*'). Ebenso werfen gewisse gemeinschaftliche Verwandt-
schaftsbezeichnungen ein wegen des möglichen Bedeutungswandels
freilich etwas unsicheres Licht auf das ursprüngliche Familienleben
der Indogermanen^, während anderseits gerade der Bedeutungs-
wandel der Ausdrücke für sociale und sittliche Begriffe manche
Anhaltspunkte ergibt für die Beurtheilung der sittlichen Entwicklung
überhaupt*'*''*'). Da ein solcher Bedeutungswandel mit den sprachlichen
Bezeichungen immer auch die Vorgänge selbst, und oft in weiterem
umfange als die sprachlichen Veränderungen dies ahnen lassen, er-
greift, so ist in diesem Fall jene Methode, die aus dem verwandten
Inhalt später entwickelter Vorstellungen auf eine ursprüngliche
Gemeinschaft der Ideen zurückschliesst, von noch bedenklicherer
Anwendung als auf mythologischem Gebiete, unter allen hier be-
sprochenen Geisteserzeugnissen ist die Sprache das beständigste; nach
ihr kommt der Mythus, der, wenn seine ursprüngliche Form er-
loschen ist, in S^en, Märchen und populärem Aberglauben lange
noch fortleben kann; am vergänglichsten ist die Sitte, die, insoweit
sie nicht in der Sprache und der mythischen Dichtung anklingt,
meist nur in einzelnen unverständlich gewordenen symbolischen Zügen
*) Vgl. Th. Mommsen, Römiache Geachichte. 7. Aufl., I, S. 16 ff. Die
Annahme, dass die Indogermanen ein ackerbautreibendes Volk gewesen, was
man theils aus gewissen gemeinsamen Bezeichnungen für Geireidearten, theils
aus dem vermutheten Zusammenhang des Namens .Arier* mit der Wurzel ar
(pflügen) ableitete (M. M ü 1 1 e r , Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache,
4. Aufl., 1892, I, S. 274 ff.), ist gegenwärtig wohl fast allgemein aufgegeben,
nachdem namentlich Victor Hehn in seinem Buche «Kulturpflanzen und Haus-
thiere* (3. Aufl. 1877) die Unhaltbarkeit der von Pictet, M. Müller u. A. aus
der Bedeutung von Sanskritwörtem gezogenen Schlüsse nachgewiesen hat
**) B. Delbrück, Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen. Ah-
handl. der kgl. sächs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hi8t. CL, XI, 1890, S. 379,
***J Vgl. hierüber meine Ethik, 2. Aufl., S. 18 ff.
Ethologie. 371
nachzudauem pflegt. Zugleich ist eine Uebereinstimmung der Vor-
stelluigen gerade hier am wenigsten beweisend für historischen Zu-
sammenhang. Denn die völkerpsychologische Vergleichung hat in
diesem Fall der philologisch-historischen Forschung den guten Dienst
geleistet, dass sie zeigte, wie Anschauungen und Lebensgewohnheiten
Ton überraschender Aehnlichkeit unter Bedingungen vorkommen
können, unter denen die Annahme einer ursprünglichen Stammes-
einheit oder selbst einer Mittheilung durch Verkehr ausgeschlossen
ist, so dass uns nichts anderes übrig bleibt, als diese Ueberein-
stimmung auf gleich wirkende psychologische Motive zurückzuführen.
So finden sich nicht nur in den Leichen- und Hochzeitsgebräuchen
and in andern Sitten, bei denen die Gleichheit der Motive leicht be-
greiflich ist, bei den verschiedensten Nationen ähnliche Züge, son-
dern selbst auffallenderen Gewohnheiten, wie gewissen Begrüssungs-
formen oder dem Männerkindbett, begegnet man gleichzeitig in den
entlegensten Theilen der Welt *).
Diese Beobachtungen haben zu einer Erweiterung der etho-
logischen Forschungen geführt, welche, die früher durch die Hülfs-
mittel der philologisch-historischen Methode gezogenen Schranken
wesentlich überschreitend, durchaus auf einer Combination dieser
Methode mit der generischen Vergleichung der Ethnologie und
Völkerpsychologie beruht. Der Erste, der diese combinirte Methode
mit Erfolg, wenn auch noch mit einem wesentlichen Ueberge wicht
philologischer Untersuchungen und nicht überall mit der erforder-
lichen Kritik, anwandte, ist 6 ach ofen '*''''). Der Grundgedanke der
Methode y wie er sich namentlich nach den das Hauptgewicht der-
selben nach der anthropologischen Seite verlegenden Arbeiten von
Mo Lennan, Lubbock, Morgan u. A.'*''*'*) herausgebildet hat.
^ Es ist das hauptsächlichste Verdienst E. B. Tylors, in seinen beiden
Werken «Early history of manldnd' (1865) und »Primitive Culture" (1871) diese
Gemeinschaft der Ideen bei historisch völlig unabhängigen Völkern an zahl-
reichen Beispielen gezeigt zu haben. Neben ihm sind besonders zu nennen:
Herbert Spencer, Principien der Sociologie, deutsch von B, Vetter, bis
jetzt 4 Bde. 1877—94; Lubbock, Die Entstehung der Civilisation. Deutsche
Aosg. 1875; femer die unten citirten Arbeiten von Mc Lennan, Morgan u. A.
aber die Urformen der Familie und der Gesellschaft.
•*) J. J. Bachofen, Das Mutterrecht. Stuttgart 1861.
***) Mc Lennan, Primitive Mariage, 1865. L. H. Morgan, Systems
of Consanguinity , 1871; Ancient society, 1877. Dazu kommen von deutschen
Arbeiten die dem Gebiet der vergleichenden Rechtswissenschaft angehörenden
von A. H. Post, Die Geschlechtsgenossenschaften der Urzeit, 1875. Der Ur-
372 Logik der Geschichtewiasenschaften.
besteht aber darin, dass man zunächst die bei den heutigen Natur-
völkern bestehenden Zustände untersucht, dann einzelne Merkmale
aus den ältesten geschichtlichen üeberlieferungen der Culturrölker
auf ihre Uebereinstimmung mit jenen Zuständen prüft und endlich
die hierbei bleibenden Lücken so weit möglich mit Hülfe der Yer-
gleichung mit den bekannten Naturzuständen hypothetisch ergänzt.
Diese Methode schliesst hauptsächlich zwei Gefahren ein, die irr-
thümliche Schlüsse veranlassen können. Erstens kann von einigen
an sich nicht entscheidenden Merkmalen aus ein Analogieschluss auf
andere wichtige Merkmale gemacht werden, für welche die Annahme
einer uebereinstimmung durch nichts gerechtfertigt ist; und zweitens
können schon bei den wirklich nachzuweisenden Uebereinstimmungen
äussere Aehnlichkeiten, die möglicher Weise auf ganz verschiedenen
Bedingungen beruhen, auf gleiche Ursachen bezogen werden. Dazu
kommt noch, dass auch die Zustände der so genannten Naturvölker
in den seltensten Fällen als absolut primitive zu deuten sind, und
dass daher entweder abgeleitete Zustände, ja solche des Verfalls
möglicher Weise für ursprüngliche gehalten werden, oder dass man
genöthigt ist, schon die Annahmen über den primitiven Zustand der
Naturvölker auf Schlüsse aus ihrem gegenwärtigen erheblich ver-
änderten zu gründen, wobei abermals Irrthümer möglich sind. Darum
sind im allgemeinen auf diesem Gebiet halb philologisch-historischer
halb vergleichend-ethnologischer Untersuchungen die Schlüsse immer
mehrdeutig, und es kann höchstens aus einer grossen Zahl überein-
stimmender Instanzen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nach
der einen oder andern Seite gewonnen werden. Zugleich ist dann
aber selbstverständlich für eine solche Annahme immer zugleich die
allgemeine psychologische Wahrscheinlichkeit wesentlich mass-
gebend ; und bei dieser muss stets die völkerpsychologische Entwick-
lungsstufe, um deren Beurtheilung es sich handelt, sorgfältig be-
achtet werden. Sehr viele Interpretationen aus der Urgeschichte
der Sitte gehen daher entschieden deshalb irre, weil sie den primi-
sprung des Rechts, 1876. Die Anfänge des Staats- und Rechtslebens, 1878.
Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz. 2 Bde. 1894 — 95. Femer J. Eohler,
Bernhöft u. A. in verschiedenen Aufsätzen der Zeitschrift für vergleichende
Rechtswissenschaft, Bd. 3 — 10. Mehr nach der philologischen Seite sind die
Arbeiten von B. W. Leist gerichtet (Gräkoitalische Rechtsgeschichte, 1884,
Alt-arisches Jus gentium, 1889, Alt-arisches Jus dvile, 1892), ebenso R. v. Jherings
geistvolles, aber zum Theil auf unsicheren Grundlagen ruhendes, aus dem Nach-
lasse veröflfentlichtes Werk: Vorgeschichte der Indoeuropäer, 1894.
Ethologie. 373
tiren Menschen allzu sehr nach den Motiven des gegenwärtig leben-
den beurtheilen. Dies ist z. B. der Fehler in manchen sonst sinn-
reichen Erklärungen, die man von dem Ursprung gewisser weit
yerbreiteter Sitten, wie der Qrussformen, der Leichenschmäuse u. a.
gegeben hat^). Ein allgemeineres Problem, das diese Vieldeutigkeit
der uns in solchen Fällen zu Gebote stehenden Zeugnisse besonders
schl^end zeigt und in den verschiedenen Lösungsversuchen wieder-
spiegelt, ist das des Ursprungs der Familie. Auf der einen Seite
sind es die Verwandtschaftsbezeichnungen in den Sprachen vieler
Natur- und Gulturvölker sowie bei den letzteren manche üeber-
liefemngen der Sitte und des Rechts, auf der andern sind es noch
jetzt besiehende Zustände wilder oder halbwilder Stämme, aus denen
man folgert, dass der heutigen Organisation bei den Culturvölkem,
bei welcher der Vater als das Haupt der Familie gilt, ein entgegen-
gesetzter Zustand, das .Mutterrecht'', vorausgegangen sei. Hier ist
es nun erstens zweifelhaft, ob die Reihenfolge Mutterrecht- Vater-
recht wirklich auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen kann.
Mindestens lassen manche der Zeugnisse, die dafür geltend gemacht
werden, auch eine andere Deutung zu: so z. 6. wenn gewisse Be-
stimmungen der Erbfolge, oder wenn die Achtung, die nach der
Angabe des Tacitus bei den Germanen der Bruder der Mutter genoss,
als Nachwirkungen des Mutterrechts aufgefasst werden, da diese
Erscheinungen immerhin auch andere Deutungen zulassen'"'*'). Aber
auch wo das Mutterrecht selbst nicht bezweifelt werden kann, da
sind noch verschiedene Interpretationen desselben möglich und
in Wirklichkeit aufgestellt worden. So sahen Bachofen und
McLennan in ihm einen Beweis dafür, dass ursprünglich über-
haupt keine Ehe sondern freie Verbindung zwischen den männlichen
♦) Vgl. hierüber meine Ethik, 2. Aufl., S. 176 ff.
**) So leitet z. B. B. Delbrück die Verehrung des Avunculus bei den
(lermanen im Gegentheil davon her, dass das Verhältniss zu demselben ein
freieres und darum gemüthvolleres gewesen sei als das zu dem Patruus, der
nach Sitte und Recht in Abwesenheit des Vaters dessen Stellvertreter war
(Prenss. Jahrbb., Bd. 79, 1895, S. 14 ff.). Ich bekenne allerdings, dass mir diese
Dentnng etwas gezwungen und von der Neigung, eigene Anschauungen auf
eine völlig andere Culturstufe zu übertragen, nicht ganz frei zu sein scheint.
Immerhin, als ein möglicher Einwand gegen die Mutterrechtstheorie muss sie
^itg^geben werden, namentlich so lange auch die sonstigen Spuren des Mutter-
rechts in den Rechtsüberlieferungen der Indogermanen bestreitbar sind. Vgl.
hierüber Leist, Alt-arisches Jus gentium, S. 51 ff., Alt-arisches Jus civile,
S. 490.
374 Logik der Geschichtswisseiischaften.
und weiblichen Mitgliedern einer Horde bestanden habe. Morgan,
der diese Annahme mit den bei gewissen Völkern, namentlich Ma-
layen, üblichen Verwandtschaftsbezeichnungen nicht im Einklang
fand, veränderte sie dahin, dass die Verbindung nicht beliebig,
sondern immer nur zwischen den Männern einer AbtheUung eines
Stamms und den Frauen der nämlichen Abiheilung stattgefunden
habe. In beiden FäUen leitete man dann das Mutterrecht aus der
Unkenntniss des Vaters ab, von dem Gedanken ausgehend, dass,
wo ein bestimmter Vater nicht zu finden sei, die Mutter allein
übrig bleibe. Offenbar ist das aber wieder eine Erklärung, die
heutige Verhältnisse auf eine völlig anders geartete Urzeit übertragt.
Für diese lassen sich jedenfalls noch andere Gründe denken, die
der Sitte die Zugehörigkeit zur Mutter als eine nähere erscheinen
lassen als die zum Vater, selbst wenn eine geschlossene Ehe herr-
schen sollte, wie die Analogie mit den monogamisch lebenden
menschenähnlichen Affen mindestens für den primitiven Menschen
wahrscheinlich macht: werden doch Geburt und erste Ernährung in
einem Zustand rohester Lebensfürsorge schon als solche Motive ge-
nügen. Auch Hesse sich dafür die Thatsache anführen, dass die
Herrschaft des Vaterrechts um so zweifelloser zu sein scheint, je
mehr sich die Besitzverhältnisse ausbilden, unter deren Einfluss
überall in primitiven Verhältnissen auch Weiber und Kinder als
ein Besitz des Mannes gelten. So muss hier eine objective Prüfung
bei dem Ergebnisse stehen bleiben, dass das Problem endgültig
noch nicht zu lösen ist, und dass es zweifelhaft bleibt, ob es jemals
mit Sicherheit in allgemeingültiger Weise zu lösen sein werde*).
Jedenfalls werden aber irgend welche psychologische Hypo-
thesen über die die Menschen einer vergangenen Zeit bewegenden
Motive hier stets eine entscheidende Rolle spielen, und die richtige
Wahl solcher Hypothesen wird davon abhängen, dass man sich die
Fähigkeit des eigenen Einlebens in entlegene Anschauungen er-
worben hat — eine Fähigkeit, zu der philologisch-historische und
ethnologische Studien die Hülfsmittel herbeischaffen können, deren
Ausbildung aber schliesslich eine Sache der Psychologie, ins-
besondere der Völkerpsychologie ist. Sie allein kann hier nament-
lich jene Irrthümer der Interpretation allmählich überwinden helfen,
*) Eingehende Darstellungen des Standes dieser Frage findet man bei
N. Starcke, Die primitive Familie, 1888, und Westermarck, Geschichto
der menschlichen Ehe, 1893.
^ Ethologie. 375
die in dem fehlerhaft angewandten Princip der subjectiven Beurthei-
luDg ihre Quelle haben.
Von den erwähnten mit der Völkerkunde und Urgeschichte
zusammenhängenden Problemen weichen jene ethologischen Unter-
suchungen wesentlich ab, die sich nicht auf die Frage des Ursprungs
gewisser aUgemein%r sittlicher Anschauungen und Lebensformen,
sondern auf einzelne Züge der Sitte beziehen, die nach natio-
nalen und örtlichen Bedingungen variiren. Hier sind allein die
philologisch-historischen Methoden verwendbar; und auch für sie
kommen nur wenig die allgemeinen geistigen Erzeugnisse, wie
Sprache und Mythus, sondern hauptsächlich die einzelnen Denk-
mäler der Literatur, der Kunst und einzelner Volksüberliefe-
rongen, wie Volkslieder, Sprichwörter u. dergl., in Betracht. Ist
bei jenen aUgemeinen Problemen die generische Vergleichung nicht
zu entbehren, so werden bei diesen speciellen Aufgaben umgekehrt
die Zeugnisse fast um so werthyoller, je singulärer und individueller
sie sind. Darin liegt nun aber auch eine wesentliche Schwierigkeit
gegenüber andern verwandten Gebieten. Die Zeugnisse der Sprache
liegen offen zu Tage, über den Mythus bieten die Denkmäler der
Kunst und Literatur, über das Recht Gesetze und Verträge mannig-
fache Aufschlüsse. Das individuelle sittliche Leben verbirgt sich
am meisten. Es bildet nicht als solches den Gegenstand von Auf-
zeichnungen und Darstellungen, sondern muss aus seinem Spiegel-
bild in Dichtung, Geschichtschreibung, Redekunst und Philosophie
erschlossen werden"'). Diese Quellen sind aber von ungleichem
Werthe und bedürfen in verschiedener Weise der kritischen Prüfung.
Unter den Formen der Dichtung sind die Komödie, in modemer Zeit
der bürgerliche Roman die vorzüglichsten**). Verhältnissmässig am
wenigsten vielleicht ist die philosophische Literatur zu einer directen
Verwerthung geeignet, vor allem auch in den Schriften, die der Ethik
selbst gewidmet sind. Denn so wenig man z. B. die Einflüsse ver-
kennen wird, welche die griechische Lebensanschauung auf den Pla-
tonischen „ Staat ** ausgeübt hat, so würde es doch unmöglich sein,
aus diesem Werk das sittliche Leben der Griechen, wie es wirklich
beschaffen war, zu erschliessen. Die philosophische Ethik will meist
ein Ideal des sittlichen Lebens gestalten; auf die Art, wie sie dies
♦) Vgl. L. Schmidt, Die Ethik der alten Griechen, Bd. 1, Einleitung.
^*) So stützt sich Ribbeck in seinen ethologischen Studien über die
sitÜich-socialen Anschauungen der Alten (a. a. 0.) hauptsächlich auf die
Komödie.
376 Logik der Geschichtewissenschaften.
thut, bat aber neben den sittlichen Anschauungen der Umgebung
die individuelle Richtung des Philosophen einen massgebenden Einfluss.
4. Die Frincipien der OeschichtswissenBchaft.
a. Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie.
Die historische Untersuchung beschränkt sich auf die Ermitte-
lung des causalen Zusammenhangs der geschichtlichen Erscheinungen,
wie er unmittelbar aus den Thatsachen selbst hervorgeht oder nach
allgemeingültigen psychologischen Qesetzen anzunehmen ist. Bei
der Erledigung dieser Aufgabe ergeben sich aber Probleme, die
durch ihren allgemeinen Charakter sowie durch die Verbindung, in
der sie mit anderen Fragen des menschlichen Wissens stehen, der
philosophischen Betrachtung anheimfallen. Hiemach erscheint
die Geschichtsphilosophie als ein Gebiet, welches zu dem durch die
Kritik geprüften und durch die Interpretation verbundenen Inhalt
der Geschichte eine ähnliche Stellung einnimmt wie die Geschichts-
wissenschaft selbst zu dem Sto£P, den sie bearbeitet. Natürlich hat
aber eine Geschichtsphilosophie in diesem Sinne nicht ausserhalb
des Arbeitsgebiets der historischen Einzelwissenschaften ihre Stelle.
Auch entspringt es wohl nur aus einem berechtigten Widerstreben
gegen den Versuch diese Verbindung zu lösen, wenn sich manche
Historiker gegen die Philosophie überhaupt ablehnend verhalten.
Nicht die philosophische Betrachtung der Geschichte überhaupt ist
es eigentlich, die sie bekämpfen, sondern nur jenes speculative Ver-
fahren, das die Geschichte nach irgend welchen von aussen her an
sie herangebrachten Ideen oder nach einem willkürlichen logischen
Begriffsschematismus construiren möchte, und das sich zur Geschichte
genau ebenso verhält wie die vormalige speculative Naturphilosophie
zur Naturwissenschaft.
Wie sich nun die historische Forschung nur auf die der Erinne-
rung zugängliche, aus Ueberlebnissen mannigfacher Art zu reconstrui-
rende Vergangenheit beziehen kann, so auch die philosophische Ge-
schichtsbetrachtung. So selbstverständlich dies erscheinen sollte, so hat
sich dennoch ein grosser Theil der Bestrebungen, die der Geschichts-
philosophie gewidmet waren, umgekehrt mit den jenseits aller Er-
fahrung liegenden letzten Zwecken der historischen Entwicklung
beschäftigt, und die Betrachtung der Geschichte wurde höchstens dazu
Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie. 377
benQtzt, um aus ihr auf diese Zwecke und den nach ihnen zu ver-
muthenden künftigen Verlauf der Dinge zu schliessen. Nicht
minder gehört in dieses Gebiet die Frage, ob die Menschheit vor-
wärts-, rückwärtsschreite oder stillestehe. Da es sich hier überall
am Dinge handelt, die sich der Beobachtung entziehen, so kann
eine Bilanz, wie sie Lotze in seinem „Mikrokosmus'' ausführt, nach
der das grosse Facit der Weltgeschichte zwischen Null imd einer
unbestimmten negativen Grösse zu schwanken scheint, ebenso wenig
durch die Erfahrung widerlegt wie bewiesen werden. Wohl aber
kann dieser Umstand darauf aufmerksam machen, dass jene Frage
an eine unrichtige Stelle gerückt ist, wenn man sie auf dem Boden
der historischen Betrachtung zu entscheiden sucht. Die Entwick-
lungen der Geschichte sind so vielgestaltig und unsere Schätzungen
über Werth und Unwerth der Dinge in solchem Masse subjectiv
Teränderlich, dass jene geschichtsphilosophischen Urtheile im Grunde
nur über den Gemüthszustand des Urtheilenden selbst Aufschluss
geben. Die Anschauung, dass alle menschliche Entwicklung einen
letzten unaufhebbaren Zweck habe, ist zunächst kein Resultat histo-
rischer Erfahrung, sondern eine ethische Forderung. Nicht darum
also handelt es sich hier, in welchem Masse man in der relativ
kurzen Spanne Zeit, deren Ueberblick uns gegönnt ist, thatsächlich
einen solchen Zweck nachweisen kann, sondern darum, ob man den
Gedanken, dass der geistige Lebensinhalt der Menschheit überhaupt
nichtig sei, für eine ethisch mögliche Idee hält. Auch die philo-
sophische Geschichtsbetrachtung hat es darum nur in beschränktem
Masse mit den künftigen Zielen, und sie hat es gar nicht mit dem
transcendenten Zweck der geschichtlichen Entwicklung zu thun. Den
letzteren überlässt sie dem religiösen Glauben; und bei den ersteren
kann es sich für sie höchstens darum handeln zu beurtheilen, in-
wiefern der bisherige Verlauf der Geschichte zu ethischen Forde-
rungen Anlass gibt, die wir der Zukunft entgegenbringen. Der
eigentliche Inhalt der Geschichtsphilosophie liegt aber in dem In-
halte der historischen Erfahrung, und die Probleme, auf die sie
ausgeht, überschreiten zwar das Gebiet der historischen Interpre-
tation, sie dürfen aber niemals das der historischen Thatsachen
selbst überschreiten. Dieser Probleme gibt es im allgemeinen drei:
das erste bezieht sich auf die allgemeinen Bedingungen der ge-
schichtlichen Entwicklung; das zweite auf die allgemeinen
Gesetze, die in dieser Entwicklung zum Ausdruck kommen; das
dritte endlich auf den allgemeinen Verlauf und die ihm zu ent-
378 Logik der Geschichtswissenschaften.
nehmenden, nicht transcendenten, sondern der Geschichte selbst im-
manenten Zwecke.
Für das erste dieser Probleme zieht die philosophische Betrach-
tung die Naturgeschichte und Völkerkunde zu Rathe; für das zweite
stützt sie sich vor allem auf eine umfassende Eenntniss der Ge-
schichte selbst, die sich mit psychologischer Beurtheilung und ethi-
scher Auffassung der Dinge verbindet; die Lösung des dritten end-
lich kann überall nur als ein hypothetischer Versuch gelten, Tom
Gegebenen auf das schlechthin unbekannte zu schliessen.
Die Erörterung dieser Fragen ist in der That nicht bloss des-
halb eine philosophische Aufgabe, weil sie eine allgemeine ist, son-
dern auch deshalb, weil die Geschichtswissenschaft nicht in der Lage
ist sie zu lösen. Denn die Hülfsmittel dazu sind nicht bloss in der
Geschichte sondern ausserdem in den übrigen Geisteswissenschaften,
vor allem in der allgemeinsten derselben, in der Psychologie, zu
suchen. Je mehr aber in jenen Fragen ein selbständiges, wenn
auch der Geschichte zugeordnetes Gebiet philosophischer Unter-
suchungen gegeben ist, um so weniger scheint es geboten, damit
auch noch eine andere Aufgabe zu verbinden, die in Wahrheit
der Geschichtswissenschaft zufällt: nämlich die, den Gesammtverlauf
der Geschichte in dem Zusammenhang der sie beherrschenden Ideen
zu schildern. Indem die Darstellungen der Geschichtsphilosophie
sämmtlich diesen Weg einschlagen, sind sie mehr Weltgeschichten
in philosophischer Beleuchtung als wirkliche Philosophie der Ge-
schichte. Die Weltgeschichte gehört jedoch zur Geschichte und
nicht zur Philosophie. Gleichwohl ist jene Vermengung dann un-
vermeidlich, wenn man die Thatsachen der Geschichte nicht als
das Material betrachtet, das die philosophische Untersuchung zu
bearbeiten hat, sondern, wie es die Geschichtsphilosophie in der
Regel thut, als das Substrat, an dem gewisse von vornherein
feststehende ethische oder metaphysische Ideen erläutert werden
sollen.
b. Die allgemeinen Bedingungen der geschichtlichen
Entwicklung.
Von den oben genannten drei Problemen hat das erste in den
Darstellungen der Geschichtsphilosophie wie der Geschichte selbst
bis jetzt am meisten Beachtung gefunden. So hat vor allen Herder
in seinen „Ideen'*, freilich zum Theil mit unzureichender Kenntniss
Allgemeine Bedingungen der geschichtlichen Entwicklung. 379
der naturgeschichtlichen und ethnologischen Thatsachen, aber unter-
stützt diurch seinen feinen Natursinn, die Naturbestimmtheit des
historischen Geschehens aufzuzeigen gesucht. Von ähnlichem Geiste
ist Carl Ritters Erdkunde getragen, und auf die Historiker sind
diese Versuche, die geschichtlichen Eigenschaften der Völker so viel
als möglich aus den Bedingungen ihrer Verbreitung verstehen zu
lernen, nicht ohne Einfluss gewesen, wie z. B. Max Dunckers
Behandlung der alten Geschichte zeigt. Freilich liegt hier die schon
von Hegel gemachte Bemerkung nahe, dass unter gleichen äusseren
Verhältnissen Völker von sehr abweichendem historischem Charakter
vorkommen. Dies erklärt sich aber daraus, dass die hauptsäch-
lichsten Wirkungen, welche die Natur auf den Menschen und nament-
lich diejenigen, die sie auf die geschichtlichen Erscheinungen aus-
übt, nicht directe sondern indirecte sind, solche die durch die
Lebensbedingungen und den aus diesen mit der Entwicklung der
Cultur entspringenden Wirthschaftsverkehr vermittelt werden. Darum
hat nun auch jene geschichtsphilosophische Richtung, welche die
Naturbedingungen als die absolut letzten Factoren der Geschichte
ansieht, die materialistische, mehr und mehr ihre Auffassung
in der Lehre ausgeprägt, alle geistigen Factoren der Geschichte
seien nothwendige Producte der Wirthschaftsgeschichte. (Vgl.
oben S. 325.) Da jedoch die wirthschaftlichen Zustände keineswegs
bloss von den Naturbedingungen, sondern von einer Menge anderer
Umstände, z. B. von politischen Ereignissen, von Verkehrsbeziehungen,
vor allem aber selbst wieder von dem geistigen Charakter eines
Volkes abhängen, so ist es klar, dass die Wirthschaftsgeschichte
schon das Erzeugniss einer Menge anderer, sowohl physischer wie
geistiger Factoren ist. Der augenfälligste Beweis hierfür liegt
namentlich darin, dass jeder Versuch, die Erscheinungen der Wirth-
schaftsgeschichte ursächlich zu begreifen, auf eine psychologische
Analyse hinausführt. Was sind in der That die Verhältnisse von
Angebot und Nachfrage, der Sporn der Concurrenz und die andern
Hebel des Arbeits- und Handelsverkehrs anderes als psychische
Motive, zu denen sich die äusseren Naturbedingungen ähnlich ver-
halten wie die physischen Sinnesreize zu den Vorstellungen und Ge-
fühlen, die sie in uns anregen?
Diese psychischen Motive sind nun aber zunächst allgemeine:
sie sind in der grossen Mehrzahl der Individuen einer Volksgemein-
schaft im wesentlichen von der nämlichen Beschaffenheit , wenn sie
auch in ihrer Stärke variiren mögen. Das geschichtliche Leben
380 Logik der Geschichtswifisenschaften.
erscheint so als die Wirkung eines allgemeinen geistigen Zustandes,
der, zeitlich und räumlich bestimmt, auf eine Fülle von Ursachen
zurückweist, unter denen auf der einen Seite die einzelnen Natur-
bedingungen, auf der andern. die Summe der geistigen Wechsel-
wirkungen, denen eine Gemeinschaft unterworfen ist, deutlich zu
unterscheiden sind.
In dieser Betrachtungsweise wurzelt nun jene zweite ge-
schichtsphilosophische Auffassung, die in der ZurückfÜhrung der
geschichtlichen Vorgänge auf die Einflüsse der geistigen Um-
gebung besteht. Diese Theorie der „Umwelt" (des „Milieu*) ist,
wenn sie auch vorzugsweise in historischen Einzeluntersuchungen
zum Ausdruck kam, doch ganz und gar eine geschichtsphilo-
sophische"'). Erhebt sie doch den Anspruch, ein allgemeines
Princip für die Bedingungen des historischen Geschehens aufzu-
stellen, das ebensowohl als ein Ergebniss der historischen For-
schung wie als ein Postulat ftir jede einzelne Untersuchung anzu-
sehen sei. Ohne Frage hat nun dieses philosophische Princip den
Vorzug, dass es die Einseitigkeit des vorangegangenen vermeidet,
indem es den geistigen Factoren ihre Stelle einräumt, ohne doch
darum die Naturbedingungen ganz zu vernachlässigen. Vielmehr
bringt es die letzteren erst in den ihnen gebührenden Zusammen-
hang, da es sie zu den Einflüssen zählt, die auf den geistigen
Charakter einer zeitlich und räumlich begrenzten Gruppe historischer
Erscheinungen einwirken. In dieser Beziehung ist namentlich der
Ausdruck „Umwelt" (Milieu) ein durchaus tre£Pender, da er auf die
physische wie auf die geistige Umgebung bezogen werden kann«
Hier weist nun aber zugleich in einer andern Richtung auch
dieses Princip über sich selber hinaus. Insofern die Umwelt vor
allen Dingen als geistige Umgebung, ja in den directen geschicht-
lichen Wirkungen die sie ausübt fast nur als solche aufgefasst wird,
fordert nämlich diese allgemeine Bedingung noch unmittelbarer als
die vorige zu einer psychologischen Analyse auf, welche die
concreten Factoren nachweist, aus denen jener Gesammteinfluss be-
steht. Diese Analyse muss nun aber nicht bloss überall die in-
dividuelle psychologische Erfahrung zu Grunde legen, da ja in einer
geistigen Gemeinschaft immer nur die nämlichen psychischen Kräfte
*) In der That bezeichnet auch T a i n e das (in historischer Beziehung
allerdings unbedeutendste) seiner Werke , das er vorzugsweise der Darlegung
dieses Princips an dem Beispiel der Kunstgeschichte bestimmt hat, als .Philo-
sophie der Kunst*. Vgl. oben S. 326 f.
Allgemeine Bedingungen der geschichtlichen Entwicklung. 381
wie in den sie zusammensetzenden Individuen wirksam sind, sondern
sie kann sich auch der Beobachtung nicht entziehen, dass das Indi-
vidamn, eben weü es der Träger der in Allen thätigen psychischen
Energien ist, seinerseits auf Grund der von aussen empfangenen
Anregungen eine selbständige Entwicklung durchmacht, in Folge
deren in ihm neue Kräfte entstehen, die auf die geistige Um^
gebung yerändemd zurückwirken. Den Einflüssen der Umwelt auf
den Einzelnen stellen sich so die Wirkungen des Einzelnen auf die
Umwelt gegenüber. Schwerlich wird ein für allemal endgültig aus-
zumachen sein, welche dieser Wirkungen die grössere sei. Jeden*
falls steht aber fest, dass das ganze Verhältniss ein solches der
Wechselbestimmung ist, oder dass, mit andern Worten, das
Princip der Abhängigkeit des Einzelnen von der Umgebung durch
ein Princip der Wirkung des Einzelnen auf diese Umgebung ergänzt
werden muss.
Auf diese Weise führt die Betrachtung der allgemeinen Be-
dingungen der geschichtlichen Entwicklung auf die nämlichen drei
Principien zurück, die uns bereits als die im allgemeinen jeder ein-
zelnen Untersuchung vorausgehenden Maximen für die Behandlung
der Probleme der Geisteswissenschaften entgegentraten. (Vgl. Gap. I,
S. 27 ff.) Da diese Principien in der allgemeingültigen Beschaffen-
heit der Geistesobjecte ihre unmittelbare Quelle haben, so ist es
begreiflich, dass sie in der Regel schon beim Beginn, jedenfalls
aber im Verlauf der Untersuchung sich aufdrängen, und dass diese
sie in ihrem weiteren Fortgang immer nur bestätigt finden kann.
Ist es doch einleuchtend, dass geistige Vorgänge und geistige
Schöpfungen irgend welcher Art in den geistigen Eigenschaften des
individuellen Menschen ihre letzte Wurzel haben und daher dem
Princip der subjectiven Beurtheilung unterworfen sind, dass dann
aber weiterhin der Einzelne nicht bloss aus sich selbst begriffen
werden kann, sondern zunächst von seiner geistigen Umgebung und
dann zusammen mit dieser von den Bedingungen seiner ebenen
physischen Natur und seiner Naturumgebung bestimmt ist. Wenn
nun aber in der historischen Einzeluntersuchung die subjective Be-
urtheilung stets das nächstliegende Hülfsmittel des Verständnisses
ist, dem sich erst in zweiter Linie der Rückgang auf die geistige
und in dritter der auf die physische Umgebung ausschUesst, so ver-
hält es sich umgekehrt für eine philosophische Betrachtung. Indem
diese von vornherein den Blick auf die allgemeinen Bedingungen
richtet, muss sie nothwendig den entgegengesetzten Weg ein-
382 Logik der Geschichtswissenschaften.
schlagen. Sie wird zunächst über die Naturbedingungen und dann
über die auf Grund der Naturbedingungen entstandenen allgemeinen
geistigen Tendenzen Rechenschaft zu geben haben, aus denen sich
der Charakter eines Zeitalters oder irgend einer zeitlich und raum-
lich beschränkten geschichtlichen Entwicklung zusammensetzt, worauf
sich erst an letzter Stelle die Frage erhebt, wie sich diese geistigen
Tendenzen in einzelnen Individuen verkörpert haben und von ihnen
aus wieder auf die Gesammtentwicklung zurückwirkten. In der
That bietet sich diese Reihenfolge der Probleme für jede allgemeinere
Betrachtung der Geschichte so sehr von selbst als die naturgemäss
gegebene dar, dass sie in der bisherigen Geschichtsphilosophie
überall da herrschend ist, wo nicht gerade ein von aussen herzu-
gebrachter Begri£G3schematismus störend dazwischen tritt*). Da-
gegen bietet sich für die specielle Geschichtsforschung ebenso un-
zweifelhaft der Weg von dem Individuellen zum Allgemeinen und
von den subjectiven Motiven zu den objectiven Bedingungen der
geschichtlichen Erscheinungen von selbst dar. Und aus demselben
Grunde haben dann unter den verschiedenen Richtungen historischer
Forschung die cultur- und die universalhistorische wieder die näch-
sten Beziehungen zur Geschichtsphilosophie, so dass sie nicht selten
ohne scharfe Grenze in eine solche übergehen.
c. Die historischen Gesetze.
Dass es historische Gesetze im Sinne letzter Verallgemeine-
rungen, aus denen unmittelbar die geschichtlichen Erscheinungen
abzuleiten wären, nicht gibt und vermöge der Natur der geschicht-
lichen Vorgänge nicht geben kann, ist oben bereits erörtert worden.
(S. 342 f.) Die Frage liegt daher nahe , inwiefern man überhaupt
*) So haben namentlich Montesquieu und Herder diese Piincipien
in der angegebenen Reihenfolge angewandt. Die früher (S. 327) erwähnte Reihe
Taines , Rasse, Sphäre, Zeitpunkt' ist sichtlich unter dem vorwaltenden Ein-
flüsse literarhistorischer Untersuchungen entstanden. Eigentlich entsprechen
diese drei Factoren zusammmen der Reihe der Naturbedingungen und der Ein-
flüsse der geistigen Umgebung, die hier beide in dem Begrifi des .Milieu' ver-
einigt sind und dann nach zeitlichen und räumlichen Merkmalen in jene Fac-
toren geschieden werden. Den individuellen Einflüssen gönnt Taine keine
Stelle: in der Literatur- und Kunstgeschichte bleiben sie eben der Einzel-
betrachtung überlassen, als ein Rest der thatsächlich aus «Rasse, Sphäre, Zeit-
punkt* nicht abzuleiten ist.
Historiache Gesetze. 383
berechtigt sei von historifichen Gesetzen zu reden. In der That,
da, wie wir sahen, jede historische Interpretation auf psychologische
Gesetze zurückführt, so sind jene Principien der Psychologie, in
denen sich der Ertrag unserer Beobachtungen über die inneren Be-
ziehungen der geistigen Vorgänge zusammenfassen lässt, als die all-
gemeinsten Gesetze der Geschichte, ebenso wie aller andern Geistes-
wissenschaften, zu betrachten. (Vgl, oben S. 241 ff.) Auch erkennt
man unschwer, dass bei allen historischen Entwicklungen, ob es
sich nun um die Geschichte eines einzelnen Menschen oder um die
einer mehr oder minder umfassenden historischen Gemeinschaft, und
ob es sich um den ganzen Zusammenhang geschichtlichen Lebens
in Staat, Gesellschaft und Cultur oder um eine bestimmte Seite
dieser Entwicklungen oder endlich gar nur um die Geschichte einer
einzelnen geistigen Function wie der Sprache handeln mag, die
nämlichen allgemeinen Principien ihre Anwendung finden. In der
That ist es ja auch eine wichtige Disciplin der Psychologie, die
Völkerpsychologie, die hier bereits unmittelbar der Geschichte vom
psychologischen Standpunkte aus vorarbeitet, indem sie die all-
gemeinsten geistigen Gesammterzeugnisse geschichtlicher Entwick-
lung unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet. Das würde
aber gar nicht geschehen können, Wenn die Geschichte nicht eine
Art angewandter Psychologie wäre, was eben einschliesst, dass ihre
allgemeinsten Gesetze keine andern als die der Psychologie
selber sind.
Dennoch verliert damit der Begriff von historischen Gesetzen
noch nicht seine Berechtigung. Kann auch von Principien der Ge-
schichtswissenschaft im Sinne letzter, so zu sagen axiomatischer
Ausgangspunkte der historischen Forschung oder höchster auf keine
weiteren Gründe zurückfährbarer Verallgemeinerungen der geschicht-
lichen Erfahrung niemals die Rede sein, so ist damit doch die Auf-
stellung empirischer Gesetze, wie solche in jedem in sich zusammen-
hängenden Erfahrungsgebiet aufgefunden werden können, wohl
vereinbar; und insofern unter diesen Gesetzen sich solche finden
sollten, die als unmittelbare Anwendungen der allgemeinen psycho-
logischen Principien auf das Erfahrungsgebiet der Geschichte er-
scheinen, und die daher nicht etwa bloss für eine beschränkte
Gruppe geschichtlicher Thatsachen gelten, sondern sich über das
Gesammtgebiet des historischen Geschehens erstrecken, so wird
diesen Gesetzen selbst eine principielle Bedeutung zuzuschreiben
sein, etwa in ähnlichem Sinne wie wir gewisse allgemeine Sätze
384 Logik der GeschichtswissenBchaften.
der Mechanik als Principien bezeichnen, obgleich sie nicht letzte
Erklärungsgründe sind, sondern aus einfacheren geometrischen und
dynamischen Gesetzen abgeleitet werden können. In der That ist
nun die Existenz empirischer Gesetze für gewisse Gebiete geschicht-
licher Entwicklung, wie für den Laut- und Bedeutungswandel sowie
die sonstigen Vorgänge des Sprachlebens, in gewissem umfange
auch für die Entwicklung von Mythus und Sitte, längst anerkannt.
Aber erstens beziehen sich diese Gesetze bloss auf beschränkte,
unter besonderen Bedingungen stehende Erscheinungsgebiete, so
dass ihnen eine principielle Bedeutung keinesfalls zugeschrieben
werden kann; und zweitens ist man geneigt gerade jenen geistigen
Entwicklungsformen, die, wie Sprache, Mythus und Sitte, in das
vorgeschichtliche Dasein des Menschen hinüberreichen, darin eine
Ausnahmestellung einzuräumen, dass man eine Art naturgesetzlicher
Bedingtheit für sie annimmt, der gegenüber die eigentliche Ge-
schichte ein „Reich der Freiheit ** sei, das sich durchaus dem Zwang
irgend welcher Normen entziehe. Nun ist die erste dieser That-
sachen offenbar durchaus nicht im Widerspruch mit der Existenz
allgemeinerer historischer Gesetze. Können auch die speciellen Ent-
wicklungsformen einzelner Geisteserzeugnisse auf den Namen solcher
keinen Anspruch machen, so bekunden sie doch jedenfalls die Exi-
stenz einer Gesetzmässigkeit für Erscheinungen, die dem Gebiet des
geschichtlichen Werdens angehören; und die Yermuthung liegt nahe,
dass sich wenigstens diejenigen unter diesen empirischen Gesetzen,
die direct auf psychologische Motive zurückweisen, als specielle Fälle
irgend welcher allgemeiner historischer Gesetze ausweisen könnten.
Die Behauptung aber, dass sich die eigentliche Geschichte der Auf-
stellung irgend welcher Gesetze entziehe, oder dass solche Gesetze,
sofern sie existiren, transcendent und darum für uns unerkennbar
seien, ist zwar angesichts der bedenklichen Versuche der specu-
lativen und der naturalistischen Geschichtsphilosophie begreiflich
genug; aber im letzten Grunde beruht sie doch auf demselben Irr-
thum, dem Buckle s angebliche Gesetze der Geschichte ihren Ur-
sprung verdanken*): sie verwechselt das Gesetz mit dem Natur-
gesetz, insonderheit mit dem mechanischen Naturgesetz ; und sie ist
der Meinung, historische Gesetze könnten nur letzte Verallgemeine-
rungen, also specifisch historische Principien sein, die eine weiter
zurückgehende Deutung und Begründung nicht zuliessen. Beides
') Vgl. oben S. 342.
Historische Gesetze. 385
ist natürlich falsch: wenn es historische Gesetze gibt, so müssen
auch sie die wesentlichen Merkmale haben, durch die sich die
geistige Causalitat überall von der physischen unterscheidet; und
niemals können solche historische Gesetze letzte Principien des Ge-
schehens, sondern sie können nur Anwendungen der allgemei-
nen psychologischen Principien auf die besonderen Be-
dingungen der geschichtlichen Entwicklung sein. Auf
zwei Wegen aber werden solche Anwendungen entstehen können:
erstens, indem die historischen Gesetze zunächst als rein empirische
gefunden und dann auf ihre psychologischen Gründe zurückgeführt
werden, und zweitens, indem man gewisse allgemeine psychologische
Erwägungen auf die Geschichte anwendet und nachträglich die so
erschlossenen Gesetze durch die historische Erfahrung bestätigt.
Dort besteht also das Verfahren in einer historischen Induction, an
die sich die psychologische Deduction anschliesst; hier geht diese
voraus, und die mittelst einer zureichenden Sammlung von That-
sachen bewerkstelligte Verification folgt ihr nach. So unzweifel-
haft nun der erste dieser Wege vorzuziehen ist, weil er die grössere
Unbefangenheit der Beobachtung verbürgt, so ist er doch wohl
selten allein eingeschlagen worden, sondern zumeist wird das Ver-
fahren von vornherein ein gemischtes sein : an vereinzelte und darum
zur Aufstellung eines empirischen Gesetzes völlig unzureichende Be-
obachtungen schliessen sich psychologische Reflexionen, und im
Interesse der Bestätigung derselben werden dann weitere Erfah-
rungen gesammelt und zu einem Gesetze verallgemeinert. In welchem
Umfang dieses Verfahren Erfolge verspricht, darüber kann natür-
lich nur die Ausführung im einzelnen und die kritische Prüfung
der Ergebnisse entscheiden. Dass aber die Thatsachen der Ge-
schichte die Anwendung desselben herausfordern, das kann — ab-
gesehen von der Frage, ob es im einzelnen Fall richtig angewandt
wird oder nicht, — unmöglich bezweifelt werden. Wer dies thun
woUte, müsste den inneren Zusammenhang der geschichtlichen Vor-
gänge und den Ursprung menschlicher Handlungen aus psychologi-
schen Motiven überhaupt verneinen. Er müsste also Schopenhauer
zustimmen, der der Geschichte das Recht bestritt sich eine Wissen-
schaft zu nennen, weil sie immer nur vom Einzelneu zum Einzelnen
^auf dem Boden der Erfahrung fortkriechen^, nie aber sich zum
Allgemeinen erheben könne '*'). Auch diese Meinung beruht auf der
*) Schopenhaaer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Werke Bd. 2,
S. 288 ff., Bd. 3, 8. 501 ff. Uebrigens stehen diese Ausführungen Schopen-
Wandt, Logik. U, 2. 8. Aufl. 25
386 Logik der Geschichtswissenschaften.
Verwechselung mit dem Naturgesetz. Weil es in der Geschichte
allerdings nicht möglich ist, Verallgemeinerungen, die irgend einer
einzelnen Oruppe von Thatsachen entnommen sind, als feste Regeln
zu betrachten, die sich bei allen andern geschichtlichen Vorgängen
bestätigt finden müssen, wird die Existenz von Gesetzen überhaupt
geleugnet. Es ist charakteristisch, dass hier die Ansicht des philo-
sophischen Verächters der Geschichte mit der Meinung jener
Historiker zusammentriflFt, die ihre Wissenschaft gerade um des-
willen preisen, weil ihr die Herrschaft des Gesetzes fremd, und weil
sie nicht bloss Wissenschaft sondern auch Kunst sei. Aber so wahr
es ist, dass es die Geschichte zunächst und vor allem mit den con-
creten Thatsachen des geschichtlichen Lebens zu thun hat, so ist
es doch irrthümlich zu meinen, sie unterscheide sich hierin oder
auch in dem Bedürfhiss einer nach Analogie der künstlerischen
Phantasie wirkenden geistigen Verknüpfung der Erscheinungen von
irgend einer andern wissenschaftlichen Thätigkeit. Auch bleibt
hier wie überall diese Thätigkeit gebunden an die Forderung, dass
sie den Thatsachen nichts hinzufüge was nicht in dem Bedürfhiss
logischer Verknüpfung streng begründet ist — das trennt sie von
der Dichtkunst — , und hier wie überall müssen sich die Gesetze,
die aus der Vergleichung verwandter Thatsachenreihen gewonnen
werden, nach der Natur der Erscheinungen richten, sie müssen also
für das Gebiet der Geschichte schliesslich auf psychologische Prin-
cipien zurückführen, — dadurch scheiden sich historische Gesetze,
wie immer sie sonst bescha£Pen sein mögen, unter allen Umständen
von den Naturgesetzen.
Da nun die geschichtlichen Ereignisse, wie alle Erfahrungs-
inhalte, räumlich-zeitliche Vorgänge sind, so werden zunächst auch
im Gebiet der Geschichte empirische Gesetze imter der Be-
dingung aufgestellt werden können, dass das historische Geschehen
irgend welche Regelmässigkeiten des räumlich-zeitlichen Verhaltens
darbietet*). Da jedoch alle Geschichte in der Zeit verläuft, so
werden die auf diese Weise aufzufindenden empirischen (besetze
hauers selbst schon unter der Voraussetzung, dass nicht die Eenntmss der
Geschichte als solcher, sondern die psychologische Erkenntniss des Menschen
der Zweck historischer Darstellung sei, ein Gesichtspunkt der ihn veranlasst
die Biographie noch am ehesten anzuerkennen, überhaupt aber die Dichtkunst
der Historie vorzuziehen und den Historiker nur insofern er zugleich Dichter
ist gelten zu lassen.
*) Vgl. Bd. II, 1, S. 26 ff.
Historische Gesetze. 387
sammtlich eine zeitliche, und nur unter bestimmten Bedingungen
werden sie daneben auch noch eine räumliche Abhängigkeit ent-
Iialten. Wir können demnach räumlich- zeitliche und rein
zeitliche Gesetze der Geschichte unterscheiden. In der That führen
alle von Geschichtsphilosophen und Bistorikem versuchten Gesetzes-
formulirungen auf diese beiden Classen zurück. Dort erscheint die
Zeit zugleich mit dem Räume, hier erscheint die Zeit allein als die
unabhängig Variable, der ein bestimmter in sich zusammenhängen-
der geschichtlicher Inhalt als abhängig veränderliche Grösse gegen-
übergestellt wird. Demnach gleichen diese empirischen Gesetze der
Geschichte denen der Naturlehre darin ganz und gar, dass sie un-
mittelbar keine Causalbeziehung, sondern nur eine Aussage über einen
regelmässigen äusseren, in der Anschauung gegebenen Zusammen-
hang von Erscheinungen enthalten (vgl. Bd. II, 1, S. 27). Aber
während bei den empirischen Naturgesetzen dieser Zusammenhang
stets ein zeitlicher und räumlicher zugleich ist, trifft dies bei den
historischen Gesetzen nur für einen kleinen, und noch dazu, wie man
wohl sagen darf, für den minder wichtigen Theil derselben zu. Die
Mehrzahl der historischen Gesetze dagegen, die man auf Grund der
Vergleichung geschichtlicher Thatsachenreihen zu gewinnen versucht
hat, enthält eine bloss zeitliche Abhängigkeit. Damit soll natür-
lich nicht gesagt sein, dass in diesem Fall den Erscheinungen selbst
die räumliche Form fehle: gehören doch die historischen Thatsachen
in ihren äusseren Erscheinungsformen ebenfalls zu den Naturvor-
gongen, so dass sie wie diese nie bloss zeitliche, sondern immer nur
räumlich-zeitliche Erscheinungen sein können. Aber was die histo-
rischen Thatsachenreihen allerdings auszeichnet ist dies, dass unter
denjenigen, die zur Aufstellung empirischer Gesetze herausfordern,
solche eine vorwiegende Rolle spielen, bei denen nur eine Ver-
änderung der Goordinaten der Zeit, nicht des Raumes in Betracht
kommt, sei es weil die letzteren constant bleiben, sei es weü ihre
Veränderung für die untersuchten Erscheinungen unwesentlich ist.
So sind die Schicksale eines Volkes, das in der gegebenen Zeit die
nämlichen Wohnsitze innehat, historisch betrachtet rein zeitliche
Vorgänge; und selbst bei solchen Begebenheiten, bei denen ein
Ortswechsel stattfand, der aber aus irgend welchen Gründen als
unwesentlich angesehen wird, geht in die eine regelmässige Verän-
derung zusammenfassende Formel nur die Zeit als unabhängig ver-
änderliche Grösse ein. So begreift es sich denn auch, dass räumlich-
zeitliche Gesetze auf historischem Gebiet vorzugsweise dann in Frage
388 Logik der Greschichtswifisenschaften.
kommen, wenn die Naturbedingungen bei den geschichtlichen Er-
eignissen eine wesentliche Rolle spielen, während die rein zeithchen
Gesetze immer solche sind, die auf eine geistige Causalitat hinweisen,
bei der zwar selbstverständlich die Naturbedingungen auch nicht
fehlen, wo aber von diesen doch aus zureichenden Gründen abstra-
hiit werden kann und meist auch abstrahirt werden muss, weil sie
einer näheren Ermittelung unzugänglich sind. Dies zeigen die fol-
genden Beispiele solcher Gesetzesformulirungen , die zunächst ohne
Rücksicht darauf, ob sie der Kritik Stand halten oder nicht, ausge-
wählt worden sind.
Als räumlich- zeitliche Gesetze treten uns vor allem ge-
wisse allgemeine Behauptungen entgegen, die sich theils auf die
geographische Ausbreitung der Gultur im Laufe der Zeit, theils auf
das Yerhältniss «der Gultur zur geographischen Lage beziehen. Hier-
bei ist nun freilich der Begri£P der „Cultur" oder ^^Civilisation* ein
nicht klar begrenzter, und von einer einigermassen exacten quanti-
tativen Vergleichung der Civilisationsgrade kann daher nicht die
Rede sein. Immerhin wird man annehmen dürfen, dass den Histo-
rikern und Philosophen, die solche geographische Civilisationsgesetze
aufgestellt haben, eine bestimmte Summe von Merkmalen, wie der
Zustand der Wirthschaft, Technik und Industrie, der socialen Glie-
derung und politischen Entwicklung sowie der durchschnittUchen
geistigen Bildung, vorgeschwebt habe, mittelst deren sich wenigstens
grössere Unterschiede des Culturgrades sicher unterscheiden lassen.
Die auf Grund dieses Begriffs aufgestellten geographischen Cultur-
gesetze sind nun bald von beschränkterem bald von allgemeinerem
Inhalt: dort wird eine einzelne Erscheinung, die als äusseres Sym-
ptom der Gultur gelten kann, herausgegriffen und in ihrem räumlichen
Wechsel verfolgt; hier wird die Gultur in einen Gesammtbegriff
zusammengefasst und in ihrer Ausbreitung über die Länder betrachtet.
Ein empirisches Gesetz im ersteren Sinne ist es daher, wenn man
das räumliche Wachsthum der Städte als eine Folge wachsender Gul-
tur betrachtet, oder wenn man eine mit der Zunahme der Gultur
eintretende Wanderung menschlicher Ansiedelungen von den Bergen
in die Ebene und vom Binnenland nach den Ufern der Flüsse und
Meere aufstellt*). Gesetzesformulirungen allgemeineren Inhaltes aber
sind es, wenn behauptet wird, die Gultur der Menschheit schreite
*) Mougeolle, Lee Probltoes des THistoire. 1866, S. 97. Vgl. auch
Ratzel, Antbropogeographie II (1891), S. 464 ff.
Historische Gesetze. 389
continuirlich von Osten nach Westen fort, oder sie bewege sich vom
Aequator nach den Polen hin'*'). Man sieht ohne weiteres, dass
alle diese geographischen Culturgesetze, mögen sie nun richtig sein
oder nicht, jedenfalls auf irgend welche thatsächliche oder hypothe-
tische Abhängigkeitsbeziehungen von der Natur hinweisen.
Anders verhält es sich mit den rein zeitlichen Abhängig-
keiten. Auch sie besitzen zum grössten Theil den Charakter all-
gemeiner Culturgesetze. Aber indem sie sich lediglich auf die Auf-
einanderfolge bestimmter Culturstufen oder einzelner Culturerschei-
nungen beziehen, ohne Rücksicht auf deren räumliches Vorkommen,
hat bei ihnen die Zeit nur die Bedeutung der äusseren Form, in
der die auf den inneren Entwicklungsbedingungen beruhende Regel-
mässigkeit der Erscheinungen zum Ausdruck kommt. Die Versuche
solcher Formulirungen zeitlicher Culturgesetze scheiden sich wieder in
zwei Grruppen. Die erste umfasst solche Verallgemeinerungen, die das
gesammte geschichtliche Dasein der Menschheit zu umfassen suchen.
Die zweite bezieht sich auf regelmässige Entwicklungsfolgen von be-
schränkterer Bedeutung, die aus dem Gesammtverlauf des historischen
Qeschehens herausgegriffen werden, als Gesetze die zwar an sich
nur für ein bestimmtes Gebiet von Erscheinungen gültig seien, an
diesem aber zu verschiedenen Zeiten in derselben Weise wieder-
kehren sollen. Demnach sind die Versuche beider Art von dem
Streben beherrscht, nicht bloss die historische Vergangenheit zu
begreifen, sondern vermittelst der gefundenen Gesetze auch die Zu-
kunft der Geschichte, sei es in ihrem allgemeinen Umfang sei es
wenigstens für gewisse besondere Entwicklungsfolgen, vorauszusehen.
Dieser Wunsch, eine begriffliche Zusammenfassung nicht nur
der wirklichen, also der vergangenen Geschichte, sondern auch eine
solche der möglichen oder zukünftigen zu sein, beseelt natürlich vor-
zugsweise jene geschichtsphilosophischen Bestrebungen, die den ge-
sammten Verlauf der Geschichte als die in einer gesetzmässigen
Entwicklungsfolge zur Verwirklichung gelangende Herrschaft be-
*) Die Bewegung von Osten nach Westen betonen sowohl Herder (Ideen
10. and 11. Buch), wie Hegel (Yorles. über Philos. der Geschichte, Einleitung
S. 101 ff.). Beide behaupten ausserdem, wie schon vor ihnen Montesquieu
(Esprit des Lois, livre XYUI), dass die gemässigte Zone zum Maximum der
Coltur bestimmt sei Dem gegenüber stellt P. Mougeolle (Probl^mes de
rHifltoire, chap. II) ein , Gesetz der geographischen Breite* auf, nach welchem
sich die Civilisation im Verlauf der Geschichte vom Aequator nach den Polen
bewegt haben soll.
390 Logik der GeschichtswissenschafteD.
stimmter Ideen oder ursprünglich der menschlichen Natur einge-
pflanzter Zwecke darzustellen suchen. Jede solche Zweckidee schliesst
von vornherein schon die Voraussetzung einer begrifflichen Einheit
aller Geschichte, der wirklich erlebten sowohl wie der zukünftig zu
erlebenden, in sich, und indem sie es als die Aufgabe der wissen-
schaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte ansieht, in den Besitz
dieses höchsten Begriffs zu gelangen, versucht sie es naturgemäss
auch, irgendwie ,,das Ende aller Dinge" zu weissagen. Aber da
solche Weissagungen, wenn sie eine wirkliche Construction der Zu-
kunft unternehmen wollten, doch nur als höchst willkürliche Phan-
tasieschöpfungen möglich sein würden, so kommt es weiterhin in
diesen Geschichtsphilosophien leicht zu der seltsamen Vorstellung,
dass der ganze Verlauf der Geschichte eigentlich schon abgeschlossen
oder doch so weit vollendet sei, dass man alles wesentliche was
noch bevorstehe voraussehen könne. Hierdurch entsteht eine eigen-
thümliche Antinomie zwischen der allgemeinen Forderung, den 6e-
Schichtsverlauf als einen unbegrenzten zu denken, und dem aus jener
Zweckidee oder dem ihr conformen Entwicklungsgesetz entspringen-
den Begriff eines vollendeten oder mindestens in absehbarer Weise
voUendbaren Verlaufs der Geschichte, — eine geschichtsphilosophische
Antinomie die allen Versuchen einer einheitlichen Construction der
Geschichte eigen ist, welches auch sonst die allgemeine Weltan-
schauung sein mag von der sie beherrscht sind. Die Schärfe dieser
Antinomie ist im Läufe der Entwicklung der neueren Geschickts-
philosophie nicht geringer sondern eher grösser geworden, weil sie
nothwendig in dem Masse zunehmen musste, als man jene Einheits-
begriffe, die für die Geschichte massgebend sein sollten, bestimmter
zu definiren suchte. Betrachtet man Herder und Condorcet als
die Väter der beiden Hauptrichtungen, nach denen sich die Philo-
sophie der Geschichte im Laufe des letzten Jahrhunderts getrennt
hat, so sind Herders „Entwicklung der Humanität" und Con-
dorcets*) , Vervollkommnung der Künste und Wissenschaften bei
wachsender socialer Gleichheit der Menschen** noch unbestimmt
•
genug, um dem Gedanken Raum zu gönnen, dass kein Punkt des
geschichtlichen Verlaufs als der absolut letzte anzusehen sei. Bei
Hegel dagegen ist mit dem Gedankenprincip des modernen Staates,
der „Aufhebung des Gegensatzes von Freiheit und Nothwendigkeit',
der die vorangegangenen Zeitalter beherrschen soll, das Räthsel der
'') Esquisse d'un iableau historique des progr^s de Tesprit humain. 179S.
Hisioriflche Gesetze. 391
Geschichte gelöst und eigentlich auch das Ende derselben erreicht.
Was übrig bleibt ist nur die weitere Ausgestaltung dieses nun end-
gültig in das Bewusstsein getr^enen Zwecks. Höchstens bleibt noch
ein unbestimmter Ausblick auf neue nicht abzusehende Entwicklungen,
die aber eigentlich im Widerspruch mit der ganzen vorangegangenen
Construction stehen, weil für sie die gefundene geschichtsphilo-
sophische Formel nicht zureicht "*"). Und genau so wie Hegels
endgültige Versöhnung der Nothwendigkeit mit der Freiheit verhält
sich Auguste Comtes „positives Stadium'': als das Ziel aller ge-
schichtlichen Entwicklung folgt dieses auf die vorangegangenen
Stadien, das ^theologische ** und das „metaphysische*, und es soll,
wenn nicht ganz, so doch nahezu endgültig erreicht, vor allem aber
in der positiven Philosophie vorbereitet sein**).
Alle hier besprochenen Gesetze des zeitlichen Wechsels in der
Geschichte sind mit Rücksicht auf den Inhalt des historischen Ge-
schehens unbedingte Fortschrittsgesetze. Wenn auch selbst-
Terstandlich zugestanden wird, dass einzelne rückläufige Bewegungen
nicht fehlen, so sollen doch diese auf den geschichtlichen Entwick-
Inngsprocess im ganzen keinen Einfluss ausüben. Im Gegensatze
zu diesen durchgängig auf das Allgemeine der geschichtlichen Ent-
wicklung gerichteten Theorien tragen nun diejenigen Gesetze, die
sich auf einzelne durch irgend welche Merkmale in sich abgeschlossene
*) Philosophie der Geschichte, Werke Bd. 9, S. 433 ff. Bezeichnend ist
auch der Schloss der Vorlesungen über Geschichte der Philosophie (Werke
Bd. 15, S. 689).
**) Comte, Cours de philos. positive. I, Le^. 1. IV. Le9. 52 — 56. Eine
Parallele zu Hegel bietet E. Chr. Fr. Krauses Geschichtsphilosophie: die
Entwicklungsstadien sind vermOge der weiter gesteckten Humanitätsideale dieses
Philosophen andere, aber das Ende der Geschichte ist auch bei ihm eigentlich
schon vorhanden oder doch im Begriff verwirklicht zu werden. (Abriss der
Philosophie der Geschichte, herausgegeben von Hohlfeld und WQnsche, S. 108 ff.)
C 0 m t e 8 Stadien sind schon vonTurgot in einigen geschichtsphilosophischen
Umrissen angedeutet. (Discours sur Thistoire universelle. 1750.) Verwandt mit dem
Comte*schen Gesetz der drei Stadien ist endlich Quetelets Periodisirung der
Geschichte, die eine ähnliche Dreitheüung, einem in der Geschichtsphilosophie
atiwerordentlich verbreiteten Gedanken folgend, an die Analogie mit den Lebens-
altern des Menschen anknüpft. (Sur Thomme et le developpement de ses
facolt^, II, p. 273. 1835.) Vor Comte hat schon St. Simon (1819—20)
geschichtsphilosophische Ideen veröffentlicht, in denen das Gesetz der drei
Stadien enthalten ist. Aber es ist möglich, dass Comte an den Schriften
St. Simons aus dieser Zeit einen wesentlichen Antheil hat. Vgl. über diese
Frage H. Waentig, Auguste Comte, S. 51 ff.
392 Logik der GeschichtswisseiiBchaften.
Theile dieser Oesammtentwicklung beziehen, bald das Gepräge vor
Fortschritts-, bald das von Rückschrittsgesetzen, und nicht seltsn
verbinden sich beide mit einander zu der Annahme einer cyklischen,
immer wieder zu den nämlichen Ausgangspunkten zurücklaufenden
Bewegung. Wird diese Annahme auf das Ganze der Geschichte
übertragen, so führt sie dann zu der Voraussetzung eines durch-
schnittlichen Stillstandes, bei dem alle Veränderung durch ein un-
aufhörliches Oscilliren zwischen entgegengesetzten Zustanden hervor-
gerufen werde. Zunächst pflegt aber ein solches Gesetz auf- und
absteigender Entwicklung als ein für einzelne Völker und Staaten
gültiges angesehen zu werden. Man stützt sich dabei theils auf
nahe liegende geschichtliche Erfahrungen theils aber eingestandener-
massen auch auf die Analogie mit dem Leben des einzelnen Menschen;
und dieser letzteren Analogie sind durchgängig die Periodisirungen
entlehnt, die auf Grund dieses Gesetzes eines Auf- und Niedergangs
angenommen werden. Bald bestehen auch sie in einer DreitheUung,
indem eine Zeit aufsteigenden Lebens, eine solche der Reife und
eine letzte der schwindenden Kräfte unterschieden wird; oder man
überträgt ohne weiteres die herkömmliche Vierzahl der Lebensalter,
Kindheit, Jugend, Mannes- und Greisenalter, auf die Völker und
Staaten. Wo unter diesem Gesichtspunkt das Ganze der Geschichte
betrachtet wird, da ist dann freilich der durchgängig die Geschichts-
philosophie beherrschende Optimismus geneigt auch das Gb*ei8enalter
noch in die Höhe der Entwicklung hineinzuziehen **"). Eine Aufein-
anderfolge auf- und absteigender Entwicklungsphasen hat man in
der Regel nur für einzelne Factoren des geschichtlichen Lebens an-
genommen. So vor allem für die Entwicklung des Staates und
seiner Verfassungsformen, wo schon Aristoteles darauf hinweist,
*) So vornehmlich Hegel. Bei ihm darchbricht die Analogie mit den
vier Lebensaltem sogar die allgemeine dialektische Dreitheilung der Geschichts-
entwicklung (Philosophie der Geschichte, S. 103 flF.)- ^^ch Krause unter-
scheidet vier Hauptlebensalter, und er vergleicht die auf- und absteigende Ent-
wicklung mit einer Schleifenlinie (Lebenslehre, 1843, S. 126). Aber bei Hegel
werden Jünglings- und Mannesalter der Menschheit, jenes die griechische, dieses
die rOmische Welt, namentlich mit Rücksicht auf die Entwicklung des Staats-
gedankens, wieder zu einer Einheit zusammengefasst. Bei Krause steht das
vierte Zeitalter, das der Abnahme, eigentlich ausserhalb der Gesduchtsphilo-
sophie, weil er der Meinung ist, dass die Menschheit eben erst in ihr Mannes-
alter eingetreten sei. So ergibt sich, wie oben bemerkt, bei beiden schliesslich
eine Dreitheilung, aber aus verschiedenen, für den Charakter ihres Philosophirens
bezeichnenden Gründen.
Historische Gesetze. 393
dass die Bildung des Staates mit der Monarchie beginne, und sich
dann die Oberherrschaft auf immer weitere Ejreise ausdehne, wobei
aber zugleich diese Entwicklung dadurch unterbrochen werden könne,
daas ein Einzelner widerrechtlich die Macht an sich reisse. Monarchie
Aristokratie und Politie erscheinen daher bei ihm als eine natur-
gemässe Entwicklungsfolge der Staatsformen, von denen freilich jede
in Gefahr sei in eine naturwidrige Form auszuarten: so die Mon-
archie in die Tyrannis, die Aristokratie in die Oligarchie, die Politie
in die Demokratie*). Bestimmter als Aristoteles hat dann Po-
lybios zu erweisen gesucht, dass die logisch-systematische Ord-
nung der Verfassungsformen zugleich ihrer geschichtlichen Auf-
einanderfolge entspreche; und er hat damit die weitere Behauptung
Terbunden, dass diese Entwicklung eine in sich zurücklaufende
sei, da, nachdem die Reihenfolge Monarchie, Ajristokratie, Demo-
kratie beendet, die letztere regelmässig wieder der Monarchie Platz
mache und damit eine neue Entwicklung beginne**). In dieser Form
hat sich das Gesetz der drei Staatsformen bis heute, wenn auch mit
einigen Abänderungen, erhalten ***). Dabei ist freilich zu bemerken,
dass Anfang und Ende dieses Kreislaufs, das patriarchalische ür-
königthum und der aus dem Verfall der Demokratie hervorgegangene
Cäsarismus wenig mehr als das Merkmal der Einzelherrschaft mit
einander gemein haben, so dass jedenfalls von einem auf diese Weise
ins unbegrenzte fortdauernden Kreislauf nicht die Rede sein kann.
Das hat auch schon Polybios bemerkt. Um die Idee der unbe-
grenzten periodischen Entwicklung zu retten, macht er daher die
HOlfsannahme, dass von Zeit zu Zeit durch Ueberschwemmungen,
Krankheiten und andere ähnliche Katastrophen ein grosser Theil
*) Aristoteles, Politik, III, 9 — 12. Allerdings wird von Aristoteles
nar das KOnigthnm ausdrücklich als die Urform des Staates bezeichnet; die
weitere Aufeinanderfolge ergibt sich aber indirect aus seinen systematischen
Erörterungen. Auch geht aus diesen hervor, dass er die drei Stadien Monarchie,
Aristokratie, Politie nur als eine ideale Entwicklui^gsfolge betrachtet, die durch
die in der Wirklichkeit niemals fehlenden Ausartungen mannigfache Ab-
weichungen darbieten könne.
**) Polybios, Geschichten, VI. 9. Dabei finden sich übrigens nach
Polybios zwischen den drei obigen Hauptformen die ihnen entsprechenden
Ausartungen als üebergänge, so dass der E[reislauf eigentlich sechs Stufen um-
fassi: die Monarchie geht durch die Tyrannis in Aristokratie, diese durch die
Oligarchie in Demokratie, und die letztere endlich durch die Ochlokratie in
eine neue Monarchie über. In dieser Gestaltung hat auch das Zeitalter der
Rezuüssanoe das Gesetz vom , Kreislauf der Verfassungen" wieder aufgenommen.
***) Vgl. z. B. Röscher, Politik, S. 12 f.
394 Logik der Geschichtswissenschaften.
der Menschen hinweggeraffb werde, worauf dann unter den wenigen
üeberlebenden die nämliche Entwicklungsfolge von neuem anfange*).
Verwandt mit diesen aus dem AJterthum überkommenen politischen
Entwicklungsgesetzen sind die Periodisirungen der neueren Wirth-
schaftsgeschichte : so die die Yerkehrsobjecte zum Eintheilungsgnind
nehmende Gliederung in Natural-, Geld- und Creditwirthschaft**},
oder die nach den Verkehrsgebieten aufgestellte Stufenfolge der ge-
schlossenen Haus-, der Stadt- und der Volkswirthschaft***).
Ceberblicken wir alle diese Versuche, empirische Gesetze der
räumlichen Ausbreitung oder des zeitlichen Verlaufs geschichtlicher
Entwicklungen zu gewinnen, so entsprechen offenbar die meisten
derselben nur wenig den an solche Verallgemeinerungen zu stellen-
den methodischen Anforderungen. Den räumlich-zeitlichen Gesetzen
über die geschichtliche Ausbreitung der Cultur fehlt vor allem das
erste Erforderniss eines Gesetzes: die Geltung für eine Vielheit von
einander unabhängiger Erscheinungen. Wäre es wirklich zutreffend,
dass sich in der für die Geschichte erreichbaren Zeit die allmähliche
Wanderung der Cultur von Osten nach Westen oder von Süden
nach Norden nachweisen liesse, so würde das immer nur eine
einzige grosse Wanderung sein, also eigentlich nur eine einzige
Thatsache, nicht eine Vielheit von einander unabhängiger Er-
scheinungen, die einem übereinstimmenden Gesetze gehorchen.
Wollte man aber auch hiervon absehend etwa die einzelnen Theil-
erscheinungen , aus denen sich jene Wanderung zusammensetzt^
als die übereinstimmenden Thatsachen gelten lassen, so würde
selbst dann die an ein Gesetz zu stellende Forderung der Regel-
mässigkeit nicht erfüllt sein, weil es zahlreiche Erscheinungen gibt,
die jener Regel nicht entsprechen. So ist die östlichste Cultur,
die chinesische, schwerlich die älteste; und historisch betrachtet
bildet sie jedenfalls nicht den Ausgangspunkt einer durch directe
Uebertragung fortgepäanzten Culturbewegung. Der Gang der Cultur
von Süden nach Norden *findet, abgesehen davon dass er sich nur
für die nördliche Halbkugel der Erde allenfalls annehmen lässt,
jedenfalls an den extremen geographischen Breiten seine Grenzen:
*) Polybios, VI, 5.
**) Nach demEinfluss dieser drei WirthschaftsformeD versucht Lamp recht
(Festschrift der Versammlung deutscher Historiker, 1894, S. 165, Deutsche Ge-
schichte, V, I, S. 1 ff.) eine Periodisirung der deutschen Geschichte Überhaupt
durchzuführen.
**♦) K. Bücher, Die Entstehung der Volkswirthschaft, 1893, S. 15 ff.
HiBtorische Gesetze. 395
Yon der äquatorialen und der polaren Zone muss dabei abstrahirt
werden. Selbst in dem beschränkten Umfang, in welchem diese
Thatsachenreihen eine gewisse historische Geltung besitzen, weisen
sie übrigens auf causale Bedingungen zurück, denen gegenüber die
räumlichen Beziehungen eine melir indirecte und zufällige Bolle
spielen. Bringt man z. B., wie dies früher die allgemeine Annahme
war, die Ausbreitung der Gultur mit den ursprünglichen Wanderungen
der indogermanischen Völker in Beziehung'*'), so würden als deren
eigentliche Ursachen die Motive zu gelten haben, die diese Wände-
rangen veranlassten. Nimmt man dagegen an, dass die indoeuro-
päischen Völker, die die Hauptträger der heutigen Gultur sind,
ursprünglich nördliche Länder bewohnt haben ''^), so wird man
zunächst an allmählich wachsende Handelsbeziehungen zu denken
haben. Dass diese femer die Bildung der Städte in erster Linie
bestimmt haben und so, in Wechselwirkung mit einem auf früheren
Culturstufen häufig dominirenden Schutzbedürfniss stehend, dem oben
erwähnten Gesetz der Ausbreitung menschlicher Ansiedelung zu
Grunde liegen, ist, so weit dieses Gesetz überhaupt Geltung bean-
spruchen kann, ohne Zweifel wahrscheinlich. Die Motive zur Ent-
stehung eines Handelsverkehrs sind aber, ähnlich wie die zum Ver-
lassen bisheriger und zum Aufsuchen neuer Wohnplätze, augen-
scheinlich wieder psychologischer Art. Alle empirischen Gesetze,
die historische Vorgänge als Functionen räumlich-zeitlicher Ver-
änderungen darzustellen suchen, führen also, sobald man sie in
causale Gesetze umzuwandeln sucht, unvermeidlich auf psychische
Causalbeziehungen und demnach in letzter Instanz auf psychologische
Gesetze zurück. Aus der ungeheuren Complication der psychischen
Motive und aus den mannigfachen Einwirkungen, welche die
wechselnden physischen Naturbedingungen auf sie ausüben, wird es
dann zugleich begreiflich, dass solche Gesetze nicht den Charakter
unveränderlicher Naturgesetze haben, sondern immer nur Regeln
mit vielen Ausnahmen sein können. Diese Vielgestaltigkeit der
äusseren Erscheinungsform, die in einzelnen Fällen zur scheinbaren
Unregelmässigkeit wird, hat aber ihren Grund nicht in den einzelnen
psychologischen Gesetzen selbst, die einzeln betrachtet ebenso regel-
mässig sind wie die Naturgesetze, sondern nur in der Mannigfaltig-
keit ihres Zusammenwirkens und in der allen geistigen Entwicklungen
*) Pictet, Origines indo-europeennes, I, 2. edit. 1877.
**) 0. Sehr ad er, Sprachvergleichung und Urgeschichte, 1883, S. 117 ff.
396 Logik der Gesclücfatswisseiischaften.
zukommenden Veränderung der Bedingungen ihrer Wirkung. Hier-
durch geschieht es erst, dass jedes einzelne geschichtliche Ereigniss
streng genommen immer ein singulärer Fall ist, der sich in der
Form, in der er in die Erscheinung tritt, nicht ein zweites Mal
vollkommen wiederholt. Darum sind zwar analoge, es sind aber
niemals gleiche oder auch nur annähernd gleiche geschichtlicbe
Entwicklungen möglich.
unmittelbarer noch als die räumlich-zeitlichen weisen die rein
zeitlichen Gesetze der Geschichte auf eine geistige Gesetzmässig-
keit hin, die, wie jeder Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen,
in der Form der regelmässigen Aufeinanderfolge in die Erscheinung
tritt. In der That ist dieser Charakter der geistigen Gesetzmässig-
keit durchweg schon in dem unmittelbaren Inhalt dieser Gesetze
deutlich ausgeprägt. Denn sie sind stets Entwicklungsgesetze,
die sich entweder auf den ganzen Umfang des geistigen Lebens
oder auf einen einzelnen Bestandtheil dieses Lebens und seiner unter
dem Gesammtbegriff der Cultur zusammengefassten geistigen Er-
rungenschaften sammt den ihrer Erhaltung oder Förderung dienenden
materiellen Hülfsmitteln beziehen. Je mehr aber diesen Gesetzen
die logische Verbindung der in der zeitlichen Form geordneten
Entwicklungsstufen an die Stirn geschrieben steht, um so mehr
erhebt sich ihnen gegenüber von vornherein der Zweifel, ob sie
wirklich aus der Erfahrung abstrahirt und nicht vielmehr auf Grund
irgend welcher intellectueller oder ethischer Voraussetzungen logisch
construirt worden seien. Es ist namentlich eine formale Eigenschaft
dieser Gesetze, die einen solchen Verdacht rechtfertigt: sie besteht
in der überall bevorzugten Dreiheit der Entwicklungsstadien.
Dass diese Dreiheit mit fast ermüdender Eintönigkeit wiederkehrt,
ob es sich nun um allgemeine und in sich abgeschlossene Ent-
wicklungsreihen handelt, wie bei den grossen Periodisirungen Hegels,
Krauses undComtes, oder um cyklisch sich wiederholende, bloss
einzelne Factoren der Cultur umfassende Erscheinungen, wie Ver-
fassungs-, Wirthschafts- und andere Culturformen, — dies ist eine
Eigenschaft, die man doch mehr auf die logischen Neigungen des
reflectirenden Philosophen oder Historikers als auf eine den That-
sachen selbst immanente Tendenz zur Dreitheilung zurückführen
muss. In der That ist ja bei Hegel die Periodisirung der Ge-
schichte eingestandenermassen nichts anderes als eine specielle An-
wendung des durch Thesis, Antithesis und Synthesis fortschreitenden
dialektischen Verfahrens: die reale Entwicklung der Vernunft in der
Historische Gesetze. 397
Geschichte spiegelt sich ihm in der subjectiven logischen Selbst-
bewegung der Begriffe. In concreterer Gestalt kehrt aber die näm-
liche Anschauung wieder, wenn die historischen Perioden mit den
Lebensaltem des individuellen Menschen in Parallele gebracht werden,
wie dies selbst bei Comte noch geschieht. Diese Analogie hat
ihre einzige empirische Grundlage darin, dass die geistigen Eigen-
schaften uncultivirter Völker denen des Kindes in gewissem Grade
ähnlich sein sollen. Selbstverständlich muss nun dies bei allen den
Eigenschaften zutreffen, die unmittelbar aus dem Mangel geistiger
Ausbildung entspringen. Aber deshalb ist doch das barbarische
Volk so weit entfernt ein kindliches Volk zu sein, dass es uns im
allgemeinen ganz an Merkmalen gebricht, an denen sich jene Bar-
barei, die das Product einer zerfallenen Gultur ist, von derjenigen,
die aus einer noch nicht entwickelten entspringt, unzweideutig unter-
scheiden Hesse. Bei den geschichtslosen Völkern, bei denen es an
den zu dieser Unterscheidung erforderlichen historischen Zeugnissen
mangelt, muss daher die Frage, ob ein gegebener Zustand einer
auf- oder einer absteigenden Entwicklung angehört, eine offene
bleiben*). Ihren allgemeinen Grund haben natürlich diese drei-
gliedrigen Periodisirungen der Geschichte und die auf sie gegründeten
so genannten historischen Gesetze sämmtlich in den logischen Vor-
zügen, welche die Dreitheilung eines Begriffs in ihrer Anwendung
auf reale Objecte vor andern möglichen Eintheilungen besitzt. Diese
Vorzüge kommen namentlich dann zur Geltung, wenn die Objecte
stetige üebergänge darbieten, wie solches bei allen Eutwicklungs-
vorgangen, namentlich auch bei denen der Geschichte der Fall ist.
Ein Volk durchläuft so gut wie ein einzelner Mensch nicht drei
oder vier sondern unendlich viele Entwicklungsstufen. Indem man
aber zunächst die Endglieder dieser Reihe als einen conträren Gegen-
satz auffasst und die zwischen ihnen liegenden Cebergänge zu einem
Gesammtbegriff vereinigt, entsteht eine Dreitheilung, die das logische
Bedürfniss nach Unterscheidung wenigstens oberflächlich befriedigt**).
Da die Völker und ihre Culturen so gut wie die Einzelnen ent-
stehen und untergehen, so lässt sich diese Unterscheidung einer
anf- und absteigenden Periode und einer dazwischenliegenden Höhen-
*) Ratzel (Anthropogeographie, II, S. 614) ist sogar der Ansicht, bei
der Benriheiluiig der Galtur der Natarvölker verdiene im Zweifelsfalle stets die
»devolationäre'' Anffassung vor der evolutionären za probeweiser Anwendung
den Vorzug.
♦♦) Vgl. Bd. II, 1, S. 64.
400 Logik der GescfaichtswiBsenschafteD.
gelten zu lassen. Dennoch sind es auch hier in erster Linie logische
Erwägungen, aus denen die Aufstellung bestimmter Entwicklungs-
gesetze hervorgegangen ist. So griff Aristoteles ftlr die Cha-
rakteristik der Yerfassungsformen zunächst das äusserlichste Merkmal
heraus: die Zahl der Regierenden. Ob Einer, ob Mehrere, ob
Alle herrschen — dies ist eine Stufenfolge, die den drei quantitativen
Kategorien der logischen Subsumtion vollkommen entspricht um
den übrig bleibenden qualitativen unterschieden der Verfassungen
einigermassen gerecht zu werden, verknüpfte er dann jenen Ein-
theilungsgrund der Zahl mit dem Gegensatz des .Vollkommenen* und
«Unvollkommenen*. Der reinen Durchführung des so sich ergeben-
den doppelten Eintheilungsprincips trat jedoch bei ihm selbst noch
der ethische Gedanke der , richtigen Mitte* entgegen, der ihn in
der ^Politeia* eine an den Vorzügen aller andern theilnehmende
Staatsform finden Hess. Erst Polybios hat die Zweitheilungen
Monarchie und Tyrannis, Aristokratie und Oligarchie, Demokratie
und Ochlokratie strenge festgehalten, indem er zugleich die , un-
vollkommenen* Formen als üebergangsstufen aus je einer der drei
Hauptformen in die andere auffasste, so dass jene nun zugleich
dazu dienten, das Gesetz der drei Stadien psychologisch zu motiviren.
Denn jede der unvollkommenen Formen ist durch die Unzufrieden-
heit die sie erregt Ursache des Uebergangs zu einer neuen Form
und schliesslich des Rückgangs zum Anfang der Reihe. Aehnlichen
logischen Gesichtspunkten sind die oben erwähnten nationalökono-
mischen Entwicklungsgesetze entsprungen. Natural-, Geld- und
Greditverkehr oder Haus-, Stadt- und Volkswirthschafk sind ja eben-
falls insofern künstliche Eintheilungen , als bei ihnen ein Ein-
theilungsgrund willkürlich herausgegriffen wird, neben dem natürlich
noch andere nicht minder wichtige Merkmale existiren, die zum
Theil mit dem bevorzugten in Wechselbeziehung stehen, zum Theil
aber auch unabhängig veränderliche Werthe sein können. So bilden
z. B. das freie Nomadenthum der Urzeit, das mit der Bildung fester
Siedelungen sich einstellende Lehenswesen, die absolute Fürsten-
gewalt und die Beschränkung derselben durch ständische Vertretungen,
endlich die Ausbildung einer Beamtenregierung politische Ent-
wicklungsstufen, die mit jenen Verkehrs- und Wirthschaftsstufen in
der engsten Beziehung stehen. Aber dabei sind offenbar ebensowohl
die wirthschaftlichen wie die politischen Zustände immer auch noch
besonderen Bedingungen unterworfen, so dass eindeutige Beziehungen
zwischen ihnen durchaus nicht existiren. Die Entwicklung des
Historische Qesetze. 401
Lehenswesens z. B. wird zweifellos in hohem Qrade begünstigt durch
den Zustand der Natural wirthschaft ; aber sie ist doch nicht derart
an den letzteren gebunden, dass nicht Einrichtungen, die aus ihr
hervorgegangen, noch weit in eine Zeit wachsenden Geldverkehrs
hineinreichen könnten. Namentlich aber bilden jene Wirthschafts-
stufen weniger noch als die nach gewissen willkürlichen, wenn auch
nahe liegenden Merkmalen unterschiedenen Yerfassungsformen in
sich abgeschlossene Begriffe. Denn Verfassungsänderungen yoII-
ziehen sich, wenn auch lange vorbereitet, doch zumeist in plötzlichen
geschichtlichen Umwälzungen. Wirthschaftliche Zustände aber sind
einem langsamen und stetigen Wandel unterworfen. Darum können
Natural- und Geld-, Geld- und Greditwirthschaft nicht nur neben
einander herrschen, sondern es ist sogar zweifelhaft, ob jemals eine
dieser Formen für sich allein bestanden hat. Irgend eine Art von
Geld oder Geldäquivalenten (Muscheln, Salz u. dergl.) kennt schon
die primitive Cultur; ein Zeitalter des reinen Gredits ist aber bis
jetzt ein wirthschaftliches Zukunftsideal, keine geschichtliche Wirk-
lichkeit. Nicht anders verhält es sich mit den Perioden der Haus-,
der Stadt- und der Yolkswirthschaft. Nur kommt hier neben der
Existenz der üebergangsformen noch die weitere Thatsache in Be-
tracht, dass Haus, Stadt und Volk selbst schon Begriffe sind, die
einigermassen willkürlich aus der Stufenfolge gesellschaftlicher Glie-
derungen herausgegriffen wurden; daher sie auch eigentlich nur als
typische Beispiele für gewisse qualitativ verschiedene Wirthschafts-
stufen gelten, zwischen denen thatsächlich alle möglichen üeber-
gange vorkommen"^).
Nun soll natürlich mit dem Hinweis auf die logische Willkür,
die bei allen diesen Versuchen einer Formulirung historischer Ge-
setze obwaltet, das Recht derselben nicht im mindesten bestritten
werden. Wohl aber ist es klar, dass diese logische Willkür, wie
sie besonders in der Bevorzugung einer einfachen, nach Begriffen
geordneten Stufenreihe sich ausspricht, jedesmal zu einer kritischen
Prüfung der Frage herausfordert, inwieweit ein solches Schema dem
berechtigten Bedürfhiss nach logischer Ordnung der Erfahrungs-
thatsachen entspricht oder nicht. Ersteres wird überall da der Fall
sein, wo die Eintheilungsgründe wirklich den dem Gesetz subsumirten
Erfahrungen entnommen und nicht bloss von aussen, sei es ver-
mittelst willkürlicher Analogiebildungen nach andern Erfahrungen,
*) Bücher, a. a. 0. S. 43, 76.
Wandt, Logik. 11, 8. 2. Aufl. 26
402 Logik der Geschichtswissenschaften.
sei es yermöge irgend welcher ethischer oder intellectueller Forde-
rungen, auf sie übertragen worden sind. Wenden wir dieses Kri-
terium an, so halten offenbar jene Gesetze am wenigsten der kriti-
schen Prüfung stand, die sich anheischig machen, irgend ein Schema
begrifflicher Gliederung auf das Ganze der Geschichte anzuwenden.
Diese Versuche sind ja schon deshalb verfehlt, weil dieses Ganze
zu einem wesentlichen Theile in die Zukunft hineinreicht, der wir
zwar Wünsche und Forderungen entgegenbringen, von der wir aber
schlechterdings nichts wissen können. So beruhen denn auch alle
hierher gehörigen sogenannten Gesetze zunächst darauf, dass be-
stimmte Ideen, deren Gültigkeit man a priori annimmt, auf die
Geschichte angewandt werden. Solcher Ideen gibt es namentlich
zwei, die, je nachdem man die eine oder die andere zu Grunde
legt, zu Gesetzen von entgegengesetztem Inhalt führen — ein Wider-
spruch dem man dadurch zu entgehen sucht, dass man im einen
Fall bloss einzelne Völker oder Staaten, im andern aber die ganze
Menschheit zum Substrat des Gesetzes macht. Die erste dieser Ideen
besteht nämlich in der Annahme, dass jede irgendwie endlich be-
grenzte sociale Geraeinschaft und jede dieser eigene Culturform
eine dem Verlauf des Einzellebens analoge Entwicklung durchlaufe.
Die zweite besteht in der Voraussetzung, dass die Menschheit im
ganzen trotz einzelner Störungen und Unterbrechungen immer voll-
kommeneren Stufen materieller und geistiger Cultur entgegengehe,
und dass daher das Ziel, das man nach dem bisherigen Verlauf der
Geschichte als das Ideal betrachtet, dem die Menschheit zustrebe,
das dereinst wirklich zu erreichende Endstadium geschichtlicher
Entwicklung sei, so dass sich auch die vorangehende Entwicklung
nach ihrem Verhältniss zu diesem letzten Ziel der Geschichte in
bestimmte Perioden zerlegen lasse. Nun hat die Analogie der all-
gemeinen und der individuellen Entwicklung nur insoweit eine Be-
rechtigung, als der Begriff der Entwicklung überall eine Aufein-
anderfolge auf- und absteigender Vorgänge in sich schliesst. Da-
gegen ist es durchaus zweifelhaft, ob damit auch die für den
individuellen physischen und geistigen Organismus gültige Regel,
dass mit einem einzigen derartigen Lebenscyklus eine ganze Ent-
wicklung abgeschlossen sei, auf die höheren geistigen Organismen,
die Völker und ihre Culturen, übertragen werden könne; und nicht
minder ist es zweifelhaft, ob die verschiedenen Factoren, aus denen
sich die Gesammtcultur eines Volkes zusammensetzt, wirthschaftliche
Blüthe, sittliche Tüchtigkeit, politisches Leben, Kunst und Wissen-
Historische Gresetze. 403
Schaft, nicht Entwicklungen durchlaufen, deren Höhepunkte keines-
wegs durchgängig zusammenfallen *). Demnach bleibt nur die ziem-
lich inhaltsleere Verallgemeinerung als eine allerdings überall durch
die Erfahnmg bestätigte übrig, dass im geschichtlichen Leben auf-
und absteigende Entwicklungen einander folgen. Aber das was
dieser Verallgemeinerung allein den Charakter eines Gesetzes geben
konnte, die der individuellen Entwicklung eigenthümliche Regel-
mässigkeit dieser Aufeinanderfolge und ihrer einzelnen Stufen, fehlt
hier vollständig.
Nicht anders steht es mit den auf Grund irgend eines voraus-
gesetzten Zukunftsidealü angenommenen Fortschrittsgesetzen.
Sie finden sich genau in dem Umfang in der geschichtlichen Er-
fahrung bestätigt; als diese auf die Unterordnung des historischen
Geschehens unter den Begriff der Entwicklung hindrängt. Auch
kann man sich zum Besten dieser Gesetze mit einem gewissen Rechte
darauf berufen, dass die auf Grund der individuellen Analogie an-
genommenen rückläufigen Bewegungen im allgemeinen nie endgültige
sind, weil die geistigen Culturgüter, die ein Zeitalter erworben hat,
noch in unabsehbarer Zukunft zu fruchtbaren Keimen neuer Ent-
wicklungen werden können. So lange daher überhaupt eine Conti-
Quität des geistigen Lebens möglich ist, findet an dieser auch der
Oedanke des Fortschritts seinen Rückhalt. Das Gesetz des Fort-
schritts ist unter dieser Voraussetzung nichts anderes als die An-
wendung des psychologischen Princips des Wachsthums geistiger
Energie auf das Gebiet der Geschichte. Die verschiedenen Formu-
lirungen aber, die dem Gesetz des Fortschritts gegeben worden sind,
lassen sich als die Producte verschiedener Abstractionen betrachten,
die zwar sämmtlich nach Anleitung jenes Princips, im übrigen je-
doch so vollzogen wurden, dass jedesmal andere Factoren der Ent-
*) In seinen Berchtesgadener Vorlesungen bemerkt Ranke, dass in den
•geschichtlichen Tendenzen' einer bestimmten Zeit , immer eine bestimmte
particoläre Richtung vorwiegt und bewirkt, dass die andern zurücktreten* (Welt-
geschichte, IX, 2, S. 4). Gervinus glaubte sogar das Oesetz aufstellen zu
kennen, dass die Blüthezeiten der Religion, der Literatur und der Politik regel-
mSssig in dieser Reihenfolge einander ablösten, ein Gesetz dem für die frühe-
sten Stufen der intellectuellen Entwicklung eine gewisse Wahrheit zukommen
dflrfte, das aber auf die neueste Geschichte angewandt, wie es Gervinus thut,
offenbar mehr in den patriotischen Wünschen des Verfassers als in der geschicht-
lichen Erfahrung seine Quelle hat. (Gervinus, Geschichte der deutschen
Dichtung. 4. Aufl. , V , S. 662 ff. Einleitung in die Geschichte des 19. Jahr-
hunderts, S. 179. 1853.)
404 Logik der Geachichtswissenschaften.
Wicklung beachtet werden: so bei Herder die allgemeinen ethi-
schen Anlagen der menschlichen Natur, bei Hegel die staat-
lichen Verhältnisse, bei Comte und Spencer die inteUectuellen
Leistungen und ihre Anwendung zur Hervorbringung mannigfacher
Lebensgüter. Da alle diese Fortschrittsgesetze, insoweit sie eine
empirische Grundlage haben, Abstractionen aus einem und dem-
selben einheitlichen Thatbestande sind, bei denen nur der Gesichts-
punkt des Beobachters jedesmal ein anderer ist, so würde natürlich
nichts im Wege stehen anzunehmen, jede von ihnen sei richtig, und
sie alle zusammen bildeten so das wahre Fortschrittsgesetz der Ge-
schichte. Aber dieses Recht auf eine mindestens relative Anerken-
nung findet an zwei Thatsachen ihre Schranken. Erstens ist jeder
geschichtliche Fortschritt an die Erhaltung einer historischen Conti-
nuität gebunden, und auch innerhalb dieser ist er nur unter der
fortwährenden üeberwindung rückläufiger Entwicklungen möglich;
und da sich das Verhältniss solcher vor- und rückschreitender Be-
wegungen zu einander niemals mit einiger Sicherheit quantitativ
abschätzen oder gar in alle Zukunft voraussagen lässt, so beschrankt
sich die empirische Grundlage eines jeden Fortschrittsgesetzes, welchen
Inhalt dieses auch haben möge, nothwendig auf die Thatsache, dass
sich stets eine Anzahl von Einzelentwicklungen aufzeigen lässt, die
ihm entsprechen. Daneben fehlt es aber natürlich in Folge der
erwähnten Hin- und Uerbewegungen auch nicht an anderen Ent-
wicklungen, bei denen dies nicht zutrifft. Zweitens beruht jedes
Fortschrittsgesetz auf einer ethischen Forderung, der eine bestimmte
Idee von dem allgemeinen Zweck der geschichtlichen Entwicklung
zu Grunde liegt. Der abweichende Inhalt der einzelnen Fortschritts-
gesetze erklärt sich daher wesentlich aus der Verschiedenheit der
ethischen Standpunkte, von denen aus jene Abstractionen bestimmt
werden, die das Mannigfaltige der Erfahrung unter ein Gesetz ordnen.
Solche ethische Forderungen würden nun. freilich wiederum nicht
möglich sein, wenn nicht ursprünglich schon die schöpferische
Energie des geistigen Lebens in zahlreichen Erscheinungen wahr-
zunehmen wäre und daher zu jenen Verallgemeinerungen hindrängte,
die dann, je nach der Richtung in der die Eindrücke hauptsäch-
lich wirken, in den verschiedenen Fortschrittsgesetzen ihren Aus-
druck finden. Aber im Vergleich mit der concreten Verarbeitung
der historischen Thatsachen besitzen doch die richtunggebenden
ethischen Forderungen vielmehr die Bedeutung a priori aufgestellter
Maximen als empirischer Gesetze, daher auch zu ihrem Anspruch
Historische Gesetze. 405
auf allgemeine Geltung der Umstand, dass sie einem subjectiven
Gemttthsbedürfnisse entgegenkommen, wesentlich beiträgt. Der Aus-
druck , Forderungen" deutet diese doppelte Eigenschaft, dass sie
Wünsche und doch theilweise zugleich Verallgemeinerungen aus der
Erfahrung sind, unmittelbar an. Denn eine Forderung ist ein be-
gründeter Wunsch, ein solcher also der sein Recht auf irgend
welche Thatsachen der Erfahrung stützen kann.
Insofern nun an der Aufstellung historischer Fortschrittsgesetze
stets ethische Forderungen Antheil, ja fOr die ursprüngliche Auf-
suchung wie für die endgültige Formulirung derselben sogar die
entscheidende Bedeutung haben, sind sie sämmtlich geleitet von
einem universellen Zweckbegriff, den man der gesammten ge-
schichtlichen Entwicklung zu Grunde legt. Ein solcher Begriff über-
schreitet aber, da er sich auf das niemals vollendbare Ganze der
Geschichte bezieht, selbstverständlich jede historische Erfahrung.
Die Frage seiner Berechtigung bedarf daher einer besonderen Unter-
suchung, die uns unten beschäftigen soll. Auch über den end-
gültigen Werth der Fortschrittsgesetze wird deshalb erst dort ge-
sprochen werden können. Sieht man aber von diesem metaphysischen
Hintergrund ab, und prüft man jene Gesetze bloss nach ihrem Ver-
haltniss zur geschichtlichen Wirklichkeit, so ist es klar, dass die-
selben, wollte man sie als rein empirische Gesetze betrachten,
wiederum nur den Charakter von Regeln, deren Gültigkeit von
zahlreichen Ausnahmen durchbrochen wird, also überhaupt nicht von
Gesetzen besitzen würden. Anders verhält es sich, wenn man sie,
gemäss der allgemeinen Natur historischer Gesetzmässigkeit, als An-
wendungen allgemeingültiger psychologischer Gesetze auf die
verwickelten physischen und psychischen Bedingungen des geschicht-
lichen Daseins auffasst. Dass dies aber der allein zulässige Ge-
sichtspunkt für ihre Beurtheilung ist, das beweist in diesem Fall
schon der Zusammenhang aller dieser Fortschrittsgesetze mit dem
psychologischen Princip des Wachsthums der geistigen Energie. Ist
doch dieses Princip selbst nur ein allgemeiner teleologischer Aus-
druck für die Beziehungen der Werthgrössen psychischer Entwick-
lungen, wie solche von der einfachen Sinneswahmehmung an bis
hinauf zu den verwickeltsten intellectuellen Processen überall sich
nachweisen lassen. Darum führt nun aber auch jedes einzelne
historische Fortschrittsgesetz auf psychologische Erwägungen zurück.
Wer z. B. mit Hegel in der vollendeten Harmonie zwischen
socialem Zwang und individueller Freiheit das Ziel der Geschichte
406 ' Logik der GeschichtBwissenschaften.
erblickt, der wird die allmähliche Annäherung an dieses Ziel nur
derart historisch begründen können, dass er auf die psychischen
Motive hinweist, die einerseits das Bewusstsein der Nothwendigkeit
des socialen Zwangs und die Erkenntniss seiner möglichen Schranken,
anderseits das Streben nach Bethätigung der individuellen Persön-
lichkeit immer mehr zunehmen lassen, ein Process bei dem, wie bei
allen Entwicklungen, die erreichten Zwecke immer wieder neue und
wirksamere Hülfsmittel für den weiteren Fortschritt herbeischaffen.
Oder wer mit Comte die Geschichte der Menschheit in ein theo-
logisches, metaphysisches und positives Stadium gliedert, der wird
sich nicht etwa darauf beschränken die thatsächliche Aufeinander-
folge mythologischer, naturphilosophischer und exact wissenschaft-
licher Systeme der Welterkenntniss hervorzuheben, sondern er wird
diese Aufeinanderfolge vor allem aus der zu Grunde liegenden psycho-
logischen Gesetzmässigkeit als eine allgemeingültige darzuthun suchen.
Eben darum hat Comte selbst auf die üebereinstimmung mit der
individuellen Geistesentwicklung Werth gelegt. In der That ist es
kaum zu bezweifeln, dass bei der Aufstellung aller dieser Gesetze
neben den herrschenden Zweckideen solche psychologische Er-
wägungen wirksam gewesen sind, und dass diesen beiden Factoren
gegenüber die historische Erfahrung eigentlich eine untergeordnete
Rolle spielt.
Noch augenfälliger ist diese Mitwirkung psychologischer Re-
flexion bei den speciellen Entwicklungsgesetzen aus den verschiedenen
Gebieten der politischen und der Culturgeschichte, da hier die nähere
Ausführung über die Gesetze von vornherein in einer psychologi-
schen Motivirung zu bestehen pflegt. So erklären schon Aristo-
teles und Polybios den Wechsel der Verfassungsformen aus
der Neigung zum Missbrauch der Gewalt, die in den natürlichen
Leidenschaften des Menschen ihre Quelle habe, sowie aus dem gegen
einen solchen Missbrauch nothwendig entstehenden, in dem natür-
lichen Freiheitsbedürfhiss begründeten Widerstand der Beherrschten.
So leitet man ferner den Uebergang von der socialen Stufe der
4 geschlossenen Hauswirthschaft*^ zur „Stadtwirthschaft* aus dem
allmählich erwachenden Bedürfniss nach einem Ausgleich von
Mangel und Ueberfluss zwischen den verschiedenen ursprünglichen
Wirthschaftseinheiten her, einem Bedürfniss welches aus dem so
entstehenden Verkehr den Zusammenschluss zu einer grösseren
Wirthschaftseinheit hervorgehen lasse. Unverkennbar ist es gerade
der unmittelbar einleuchtende Charakter dieser psychologischen Moti-
Historische Gesetze. 407
viiungeD, der uns geneigt macht die so abgeleiteten Gesetze anzu-
erkennen, auch wenn die geschichtlichen Thatsachen, auf die sie sich
stützen, zu einer rein empirischen Verallgemeinerung bei weitem
nicht zureichen würden. Darum sind nun aber auch diese speciellen
Gesetze nicht allgemeingültig in dem Sinne, dass jede politische
oder wirthschaftliche Entwicklung nothwendig nach dem von ihnen
aufgestellten Schema verlaufen müsste, sondern sie sind allgemein-
gültig genau in demselben umfang, in dem etwa die Sprachgesetze
es sind, insofern nämlich als unter den gleichen psychischen und
psychophysischen Bedingungen die gleichen Wirkungen eintreten
müssen. Je wahrscheinlicher es ist, dass bestimmte Entwicklungen
immer wieder aus dem Zusammenfluss ähnlicher Bedingungen her-
vorgegangen sind, um so grössere Wahrscheinlichkeit wird es auch
haben, dass die so sich ergebenden empirischen Entwicklungsgesetze
von allgemeiner Geltung sind. Bei der ungeheuren Complication des
geschichtlichen Lebens ist aber eine absolute Gleichförmigkeit der
Bedingungen schwerlich auf irgend einem Gebiet zu erwarten. Auch
den specielleren historischen Entwicklungsgesetzen kann daher im
günstigsten Falle nur eine relative, auf bestimmte Gulturgebiete
und gegebene geschichtliche Perioden eingeschränkte Allgemeingültig-
keit zugeschrieben werden.
In dieser Hinsicht verhält es sich wesentlich anders mit einer
Anzahl von Principien historischer Beurtheilung, die man ebenfalls
unter den Begriff des historischen Gesetzes im allgemeinsten Sinne
bringen kann, deren abstractere Natur sich aber von vornherein
darin zu erkennen gibt, dass sie weder eine bestimmte räumliche
noch eine zeitliche Abhängigkeit enthalten, wie denn auch die in
ihnen zum Ausdruck kommenden Beziehungen bald in einem Neben-
bald in einem Nacheinander der Erscheinungen empirisch gegeben
sind. Indem nun aber diese Beziehungen auf psychologische Motive
von ganz allgemeingültiger Art zurückweisen, ist es begreiflich,
dass die so entspringenden historischen Gesetze ihrerseits einen all-
gemeingültigen Charakter haben. Es ist bemerkenswerth, dass diese
Gesetze, im directen Gegensatze zu den aUgemeinen Fortschritte-
gesetzen, in den Systemen der Geschichtephilosophie gar keine Rolle
spielen, dagegen nicht selten von den Historikern bald gestreift
bald ausdrücklich erwähnt werden. Sie lassen sich den vorhin be-
trachteten Formulirungen, die sämmtlich unter den Begriff der Ent-
wicklungsgesetze fallen, allgemein als historische Beziehungs-
408 Logik der GeschichtswiBsenschaften.
ge setze gegenüberstellen, da bei ihnen stets die unmittelbare cau-
sale Beziehung der geschichtlichen Thatsachen zu einander in Frage
steht. Solcher Beziehungsgesetze können wir nun, wie ich glaube,
drei unterscheiden. Sie ergänzen sich zugleich in ihrer logischen
Bedeutung, insofern sie auf verschiedene phychologische Principien
zurückführen. Wir wollen sie als die Gesetze der historischen
Resultanten, Relationen und Contraste bezeichnen.
Nach dem Gesetz der historischen Resultanten ist jeder
einzelne in einen engeren oder umfassenderen Begriff zu verbindende
Inhalt der Geschichte, bestehe er nun in einem concreten geschicht-
lichen Ereigniss, in einer historischen Persönlichkeit oder in einem
historisch gewordenen Culturzustand, die resultirende Wirkung aus
einer Mehrheit geschichtlicher Bedingungen, mit denen er derart
zusammenhängt, dass in ihm die qualitative Natur jeder einzelnen
Bedingung nachwirkt, während er doch zugleich einen neuen und
einheitlichen Charakter besitzt, der zwar durch die historische
Analyse aus der Verbindung jener geschichtlichen Factoren abge-
leitet, niemals aber aus ihnen durch eine a priori ausgeführte Syn-
these construirt werden kann. Von den resultirenden Kräften der
Mechanik unterscheiden sich also die historischen Resultanten erstens
darin, dass es bei ihnen in erster Linie auf die Qualität der
Wirkung ankommt, wie denn auch schon die Componenten als
qualitativ verschiedene psychische Kräfte wirken; und zweitens darin,
dass die Resultanten selbst neue qualitative Eigenschaften besitzen,
die zwar in den Eigenschaften der Componenten causal begründet,
aber, weil keine psychische Qualität anders als auf empirischem
Wege gefunden werden kann, doch immer nur aus jenen Compo-
nenten regressiv zu motiviren, niemals progressiv zu de-
duciren sind. Offenbar ist dieses Gesetz der historischen Resul-
tanten nichts anderes als eine unmittelbare Uebertragung des all-
gemeinen psychologischen Princips der schöpferischen Synthese auf
das Gebiet der Geschichte. (Vgl. oben Cap. II, S. 267 ff.) Hier
aber hat es, ebenso wie jenes allgemeinere Princip in der Psycho-
logie, nicht sowohl die Bedeutung einer Norm, in der die causale
Verknüpfung des Einzelnen ausgedrückt ist, als die einer Regel,
nach der die psychologische Analyse des Historikers bei der con-
creten Erklärung der geschichtlichen Erscheinungen zu verfahren
hat. In der That ist das der Gebrauch, den die Geschichtswissen-
schaft von dem Gesetz der Resultanten macht; und, entsprechend
dieser Rolle eines leitenden Princips der historischen Untersuchung,
Historische besetze. 409
pflegt sie sich dabei auf die Erwägung der voiTiehmsten histori-
schen Componenten zu beschränken, derjenigen von denen vor-
ausgesetzt werden kann, dass sie durch ihr Zusammenwirken den
filr uns erkennbaren geistigen Inhalt einer geschichtlichen Erschei-
nung nach seinen wesentlichsten Beziehungen erschöpfen. Diese
Tornehmsten Componenten sind es, die, insoweit es sich um die Er-
klärung des Gesammtcharakters einer geschichtlichen Periode handelt,
Ranke die »leitenden Ideen** oder die «grossen Tendenzen* der
Jahrhunderte genannt hat"*"). Denn indem er, abweichend von der
speculativen und teleologischen Geschichtsphilosophie, unter „Ideen
der Geschichte** nicht transcendente Ideen im Sinne Piatos verstand,
die als übersinnliche Kräfte das geschichtliche Leben den ihm im
voraus gestellten Zielen entgegenführen, sondern den geschichtlichen
Vorgängen .selbst immanente psychische Kräfte, fallen dieselben
durchaus mit dem oben aufgestellten Begriff der geschichtlichen
Componenten zusammen. Von dem allgemeineren Begriff der histo-
risch en Bedingungen aber, wie er oben nach den drei für die
geschichtliche Betrachtung massgebenden Richtungen erörtert wurde
(S. 378), unterscheiden sich die Componenten dadurch, dass unter
ihnen immer nur die unmittelbaren psychischen Ursachen
der Erscheinungen verstanden werden können. Da alles historische
(xeschehen direct nur auf menschlichem Handeln beruht, letzteres
aber stets einer psychologischen Motivirung bedarf, so ist damit
Ton selbst der Umkreis der Componenten auf das psychische Gebiet
beschränkt. Auch ist es einleuchtend, dass sich nur gleichartige
Kräfte zu einer Resultanten verbinden können. Damit wird selbst-
verständlich den Naturbedingungen des historischen Geschehens nicht
ihre Bedeutung genommen, aber sie werden in die Reihe entfern-
terer Bedingungen zurückverwiesen, die sich erst durch die psychi-
schen Motive die aus ihnen entspringen in historische Componenten
umwandeln. In diesem Sinne betrachtet man z. B. als die Com-
ponenten, die den geistigen Charakter des Zeitalters der Reformation
bildeten, erstens den Umschwung, den die geographischen Ent-
deckungen in der allgemeinen Weltanschauung hervorbrachten, dann
in politischer Beziehung die Vermehrung der Gewalt des Territorial-
fürstenthums sowie die äusseren Conflicte der europäischen Mächte,
in religiöser Beziehung die Verweltlichung der Kirche und die ihr
gegenüber aus einem subjectiven Bedürfniss hervorfliessende durch
*) Ranke, Weltgeschichte, IX, 2, S. 6 f.
410 Logik der Geschichtswissenschaften.
keine Autorität gebändigte mystisch-religiöse Geistesströmung, dazu
endlich als entferntere Factoren den Humanismus und die Erneuerung
der weltlichen Wissenschaften. Aber diese Aufzeigung der ver-
schiedenen Componenten einer historischen Erscheinung würde sehr
unvollständig bleiben, wenn sich der Historiker nicht bemühte nach-
zuweisen, wie gerade durch die Wechselwirkung, in die jene mit
einander treten, der Gesammtcharakter der historischen Erschei-
nungen sowie der neue, nicht selten zu den bisher bestandenen
leitenden Tendenzen in einem voUen Gegensatz stehende Inhalt der-
selben bedingt wird. In diesem Sinne hat z. B. Jacob Burck-
hardt in seiner «Cultur der Elenaissance'* in einer ßeihe von Einzel-
untersuchungen gezeigt, wie eine Menge geistiger Factoren zusammen-
wirkten, um dem Zeitalter der Renaissance im staatlichen Leben, in
Literatur und Kunst, in Religion und Sitte den Charakter des In-
dividualismus zu verleihen, der energischen Tendenz die einzelne
Persönlichkeit in ihrer Eigenart auszubilden, einen Charakter der
ebensowohl die Eigenthümlichkeit dieser Epoche wie ihren Gegen-
satz zur vorangegangenen Periode autoritativer Gebundenheit aus-
macht. Indem nun hierbei die Analyse der geschichtüchen Erschei-
nungen überall zugleich Beziehungen der üebereinstimmung und des
Gegensatzes auffindet, in denen die Bestandtheile einer zusammen-
gesetzten Erscheinung theils zu einander theils zu andern histori-
schen Entwicklungen stehen, weist das Princip der historischen
Resultanten selbst schon auf die beiden folgenden Gesetze hin.
unter ihnen bezeichnet das Gesetz der historischen Re-
lationen die sich bei der Zergliederung geschichtlicher Zusammen-
hänge überall aufdrängende Thatsache, dass jeder geschichtliche In-
halt, der den Charakter eines zusammengesetzten, aber vermöge
irgend welcher geistiger Beziehungen einheitlichen Ganzen hat, aus
Factoren von verwandtem geistigem Charakter besteht; und zwar ist
diese Verwandtschaft namentlich auch zwischen solchen Factoren
vorhanden, die ganz und gar verschiedenen Richtungen des geistigen
Lebens angehören. Zwischen der Kunst und der Wissenschaft eines
Zeitalters und in engerem umfange zwischen den verschiedenen
Formen und Arbeitsgebieten derselben, zwischen der geistigen Cultur
und den politischen Zuständen, den socialen und religiösen Bestre-
bungen bestehen durchgängig Beziehungen. So hat Burckhardt
darauf hingewiesen, dass jene Ausbildung der modernen PersönUch-
keit, wie sie sich vornehmlich in Italien vom 13. Jahrhundert an
verfolgen lässt, nicht bloss in der Sinnesart und den Leistungen
Historische Gesetze. 411
zahlreicher SchriftsteUer und Künstler hervortritt, sondern auch in
einer Fülle sonstiger das politische und sociale Leben der Zeit kenn-
zeichnender Züge, wie in dem Gondottierenthum, in der schranken-
losen Willkür der Trachten, in der völligen Lockerung der Sitte
u. s. w."*"). Aehnliche Beziehungen hat Ranke, im Zusammenhang
mit seinem Bemühen die „leitenden Tendenzen'' der Jahrhunderte
zu bestimmen, mannigfach hervorgehoben, indem er dabei besonders
die Wechselverhaltnisse der politischen und der allgemeinen geistigen
Strömungen in den Vordergrund stellte*"*"). Ebenso wird aber bei
Taine die diesem Historiker eigenthümliche Theorie des „ Milieu '^
erst dadurch zu einem fruchtbaren Princip historischer Forschung,
dass sie die Aufgabe in sich schliesst, die wechselseitigen Beziehungen
zwischen den einzelnen Theilen, in die das Oanze einer Gultur zu
zerlegen ist, sowie das Verhältniss, in dem gewisse typische Per-
sönlichkeiten zu jenem Gesammtzustande stehen, nachzuweisen'*''*'*). In
der That sind dies die zwei hauptsächlichsten Richtungen, nach
denen sich das Gesetz der historischen Relationen verfolgen lässt:
die culturgeschichtliche und die biographische. Aehnlich
wie nach einem Ausspruche Cuviers aus einem einzigen Knochen
die typische Form des ganzen Wirbelthiers dem er angehört be-
griffen werden kann, so liefert jeder einzelne Bestandtheil einer
Cultur ein annäherndes Spiegelbild aller übrigen Bestandtheile. So
würde man aus den symmetrisch regelmässig angelegten^ auf Massen-
wirkung berechneten, nicht der Natur sich anpassenden, sondern sie
gewaltsam unterdrückenden Gartenanlagen der Barockzeit ohne wei-
teres nicht bloss den allgemeinen Charakter der Architektur und der
Malerei, sondern in gewissem Masse sogar den der Poesie und der
Literatur der nämlichen Zeit, und aus diesem wieder die Grundzüge
der socialen und politischen Anschauungen erschliessen können. Die
einzelne Persönlichkeit aber steht zu der Gesammtcultur ihrer Zeit
jeweils in einer doppelten Beziehung: in erster Linie ist sie selbst
Wirkung und Ausdruck ihrer Zeit; sodann wirkt sie durch ihr
eigenes Handeln auf ihre Umgebung zurück und vermag so theils
*) J. Burckhardt, Cultur der Renaissance, 4. Aufl., I, S. 143 ff.
**) Dies tritt besonders hervor in der schematisirenden üebersicht der
Berchtesgadener Vorlesungen „Ueber die Epochen der neueren Geschichte**
Weltgeschichte. IX, 2, S. 23, 128, 156 ff.
***) Am eingehendsten durchgefQhrt ist diese Untersuchung der Relationen
von Taine in seiner Philosophie der Kunst, sowie in der Geschichte der eng-
lischen Literatur.
412 Logik der Geschichtswissenechaften.
die vorhandenen Tendenzen zu verstärken theils die Umwandlunfi^en
derselben vorzubereiten. Darum ist die Untersuchung des Verhält-
nisses der führenden Geister zu den allgemeinen geschichtlichen
Entwicklungen eine wichtige Aufgabe, auf die das Gesetz der Re-
lationen hinweist*). In beiden Fällen führt aber augenscheinlich
dieses Gesetz auf das allgemeine psychologische Princip der be-
ziehenden Analyse zurück (S. 295 fP.). Das historische Gesetz
bezeichnet nur, indem es dies Princip auf das Gebiet der Geschichte
anwendet, zugleich die Hauptrichtungen, nach denen es hier ver-
folgt werden muss. Auf diese Weise bildet es die logische Ergänzung
zu dem Gesetz der historischen Componenten. Bezog sich dieses
auf die Synthese der einzelnen Ursachen einer geschichtlichen Ent-
wicklung, so beherrscht jenes die Analyse einer solchen in ihre
ebenfalls causal verbundenen Factoren. Dabei sind nun aber die
Componenten und die Factoren historischer Erscheinungen im all-
gemeinen von einander verschiedene Thatsachen. Die Componenten
gehen als ursächliche Bedingungen zeitlich der Erscheinung voraus,
können aber auch, falls sie nicht durch die von ihnen ausgeübte
Wirkung selbst verändert werden, noch neben ihrer Wirkung an-
dauern, ja sie können unter Umständen diese überdauern und dann
in Verbindung mit neuen Componenten neue Wirkungen hervor-
bringen. Ferner können die Componenten qualitativ höchst ver-
schiedenartige, ja entgegengesetzte Erscheinungen sein. Dass sie
trotzdem einheitliche Resultanten erzeugen, das ist eine Eigenschaft,
die mit der historischen Erscheinungsweise des Princips der schöpfe-
rischen Synthese auf das engste zusammenhängt. Denn nur dadurch
dass die Wirkung gegenüber den sie bewirkenden Ursachen ein
neues Erzeugniss ist, kann sie völlig verschiedenartige Bedingungen
zu einem einheitlichen Producte verbinden. Ganz anders verhält es
sich mit den Factoren, in die sich eine historische Gesammterschei-
nung oder ein Complex unter einander verbundener geschichtlicher
Thatsachen zerlegen lässt. Sie sind in der Regel gleichzeitig ge-
geben, oder wo sie etwa in zeitlicher Folge auftreten sollten, da
entspringt dies aus Nebenbedingungen der geschichtlichen Entwick-
lung, insbesondere aus jener Regel der Einseitigkeit der jeweils
herrschenden Interessen, die zu der psychologischen Thatsache der
Enge des Bewusstseins gewissermassen ein historisches Correlat bildet.
Aehnlich wie die Wirkung bestimmter psychischer Bedingungen
*) Vgl. über dieses Verhältniss meine Ethik, 2. Aufl., S. 460 f.
Historische Gesetze. 413
meist nicht in einem Acte, sondern in einer Folge psychischer
Entwicklungen in das Bewusstsein tritt, so pflegt auch eine ge-
schichtliche Epoche den ganzen Inhalt ihres Denkens, Könnens und
Wollens nicht in einer völlig simultanen Entwicklung sondern min-
destens in einem theilweisen Nacheinander zu entfalten. Eine feste
Regel dieser Aufeinanderfolge lässt sich freilich kaum geben. Nur
80 viel wird sich aus allgemeinen psychologischen Gründen mit Wahr-
scheinlichkeit voraussagen lassen und scheint auch durch die histo-
rische Erfahrung bestätigt zu werden, dass unter ursprünglichen
Bedingungen die mehr innerlichen und geistigen Bewegungen den
äusseren, auf sociale und staatliche Veränderungen gerichteten vor-
ausgehen, und dass unter den ersteren wieder die auf den Trieb-
kräften der Phantasie und des Oefühls beruhenden Entwicklungen
der Kunst gegenüber dem wissenschaftlichen Fortschritt die früheren
zu sein pflegen. Aber es ist begreiflich, dass diese Regel keine
Geltung mehr beanspruchen kann, sobald unter dem Einfluss voran-
gegangener geschichtlicher Bewegungen und der üeberlebnisse früherer
Culturen das Zusammenwirken der historischen Componenten ein
rerwickelteres vnrd*). Theils in Solge der Succession der einzelnen
Factoren einer geschichtlichen Entwicklung theils aber auch in Folge
der Wechselbeziehungen gleichzeitiger Elemente zu einander ge-
schieht es nun aber ausserdem sehr häufig, dass eine einzelne Er-
scheinung ebensowohl die Stellung eines Factors einer gegebenen
historischen Oesammtentwicklung wie die einer Gomponente gegen-
über einem andern einzelnen Bestandtheil dieser Entwicklung ein-
nimmt.
In diese Gomplication der Bedingungen greift endlich noch
eme allgemeine, ebenfalls auf psychologische Gründe zurückführende
Erfahrung ein, die in einem dritten Princip historischer Beurthei-
luDg, in dem Gesetz der historischen Gontraste ihren Aus-
druck findet. Indem die geschichtliche Analyse die Gomponenten
und die Factoren einer geschichtlichen Erscheinung sondert sowie
den üebergang jener in diese und dieser in jene nachzuweisen sucht,
findet sich nämlich, dass die causale Wirksamkeit eines bestimmten
Vorganges sich nicht unter allen Umständen im Sinne einer Erzeugung
*) Selbst eine relativ so ursprüngliche Cultor wie die hellenische zeigt
daher schon ein Uebereinandergreifen der verschiedenen Factoren, was diese
Regel auf die spätere griechische Geschichte ananwendbar macht. Noch unmög-
licher ist es, wie schon oben (S. 808, Anm.) bemerkt, sie mit Gervinus auf neuere
historische Entwicklungen zu übertragen.
414 Logik der GeschichtswiBsenBchaften.
des Gleichartigen durch Gleichartiges äussert, wie sie die wechsel-
seitige Beziehung der Factoren einer in sich homogenen geschicht-
lichen Erscheinung beherrscht, sondern dass neben diesen Wirkungen
entgegengesetzte vorkommen, indem namentlich in solchen Fällen,
wo eine bestimmte historische Tendenz einen unter den obwaltenden
Bedingungen und bei den vorhandenen Anlagen nicht weiter über-
schreitbaren Höhepunkt erreicht hat, nun die in der gleichen Rich-
tung fortwirkende Kraft entgegengesetzte Strebungen wachruft.
Die grosse Bedeutung dieses Princips besteht darin, dass es alle die
geschichtlichen Veränderungen beherrscht, die nicht in der Weiter-
entwicklung und fortschreitenden Differenzirung in gegebener Rich-
tung sondern in der Erzeugung qualitativ neuer Erscheinungen
bestehen. In diesem Sinne wurde schon seit alter Zeit der Gontrast
zur Haupttriebfeder der Yerfassungsentwicklung gemacht, indem
man nach dem Vorgang des Aristoteles den Wechsel der politischen
Zustände aus allgemein menschlichen Eigenschaften psychologisch
zu deuten suchte *). Eine allgemeinere, aber freilich zugleich mysti-
sche Anwendung fand derselbe Gedanke in der transcendenten
Geschichtsphilosophie des Mittelalters. Sie fasste die ganze Welt-
geschichte als einen Entwicklungsprocess auf, der durch zwei Gegen-
sätze vermittelt werde: einmal durch den grossen Gegensatz des
göttlichen und des weltlichen Reiches, der mit der endlichen Herr-
schaft des ersteren ende, und dann durch die besonderen Gegen-
sätze der auf einander folgenden weltlichen Herrschaften, des assyri-
schen, des medisch- persischen, des griechischen und endlich des
römischen, das man mit seiner Fortsetzung in das deutsche E^aiser-
thum als die letzte Entwicklungsform weltlicher Herrschaft vor ihrem
Uebergang in das ewig dauernde göttliche Reich ansah*'*'). Unter
den neueren Historikern hat vor allen Ranke die Bedeutung der
Gegensätze in der Geschichte hervorgehoben, wobei er aber zugleich
bemüht war sie als immanente Kräfte derselben nachzuweisen. Doch
lassen sich bei ihm deutlich zwei Anwendungen dieses Princips
unterscheiden. Die eine, die universalhistorische, kann ihre Verwandt-
schaft mit der geschichtsphilosophischen Tradition des christlichen
Mittelalters nicht ganz verleugnen. Ihr folgend sucht Ranke nament-
*) Vgl. oben S. 406.
**) So nach den von Aagustin in seinem „Gk)tte88taat* gegebenen
Grundgedanken namentlich Otto v. Freising. Vgl. über die Grandzüge
seiner Geschichtsphilosophie v. Eicken, Geschichte und System der mittel-
alterlichen Weltanschauung, S. 646.
Historische Gesetze. 415
lieh in der « Weltgeschichte*^ den allgemeinen Gang der Welt-
begebenheiten zu schildern. Perser, Griechen, Römer, Germanen, die
arabischen Weltreiche und die Staaten der romanisch-germanischen
Nationen bilden hier gleichzeitig Gegensätze und Entwicklungsstufen.
Auch der religiöse Grundgedanke der christlichen Geschichtsphilosophie
wirkt bei Ranke nach, nicht bloss in der Art, wie er die Gegen-
sätze der religiösen Ideen in den Vordergrund der alten Geschichte
rQckt, sondern speciell auch in der bevorzugten Stellung, die er
Docb der jüdischen Geschichte anweist '*'). Nun haben ja ohne Zweifel
in den Kämpfen der Perser und Griechen, der Griechen und Römer,
später der abendländischen Christen mit dem Islam, abgesehen von
manchen andern Motiven, die Gegensätze der Rassen und der Culturen
eine wichtige Rolle gespielt. Aber diese Gegensätze waren vor-
handen, ehe sie mit einander in Gonflict geriethen. Mögen sie daher
auch als causale Momente in den Gang der geschichtlichen Ereig-
nisse eingegriffen haben, sie selbst lassen sich doch in keiner Weise
zu einander in eine ursächliche Beziehung bringen, und am aller-
wenigsten lässt sich sagen, dass eine geistige Bewegung eine andere,
entgegengesetzte durch den Contrast erst erzeugt habe. Zu einem
besonderen Gesetz des Contrastes würden also alle jene universal-
historischen Beobachtungen gar keinen Anlass geben. Wesentlich
anders verhält es sich mit einer zweiten Anwendung, die Ranke
Tom Begriff des Gegensatzes macht. Sie bezieht sich auf engere
geschichtliche Zusammenhänge, also auf Erscheinungen innerhalb eines
und desselben Culturkreises, innerhalb gleichzeitiger oder unmittel-
bar auf einander folgender Entwicklungen. Bei ihnen findet sich,
wie Ranke hervorhebt, überall ein Streit entgegengesetzter Welt-
anschauungen, Richtungen und Interessen, in welchem sich die Gegen-
sätze selbst durch ihren Kampf erst verstärken und nicht selten
abwechselnd über einander obsiegen, so dass bald die eine bald die
andere Richtung zur herrschenden wird und den Gesammtcharakter
des Zeitalters bestimmt**), üeber die Art freilich, wie er sich diese
*) Auf letzteren Punkt weist auch 0. Lorenz hin, a. a. 0. II, S. 120.
^*) Stellen, in denen dieser Gedanke angedeutet iat, finden sich mannig-
fach in den Einzeldarstellungen wie in der Weltgeschichte, zusammenfassend
auch in den der letzteren beigegebenen Berchtesgadener Vorlesungen. Besonders
bezeichnend sind zahlreiche Stellen in der , Geschichte der römischen Päpste'
(6. Aufl., Werke Bd. 37—39), I, S. 315; II, S. 119, 328 fl^. Vgl. auch das Vor-
wort zur .Englischen Geschichte" (Werke, Bd. 14), S. IX, und 0. Lorenz,
a. a. 0. II. S. 78 ff.
416 Logik der Geschichtawissenschaften.
Contraste wirksam denkt, hat sich Ranke nicht mit zureichender
Klarheit ausgesprochen. Wenn er die Ausdrücke .herrschende Ten-
denzen" und ,|kämpfende Kräfte* fast als Synonyma gebraucht, so
erhellt, wie grosse Bedeutung er dem Gesetz des Gontrastes beilegt;
sie lassen aber auch vermuthen, dass er dasselbe yon den andern
causalen Principien der Geschichte nicht klar unterschieden hat. Das
eigenthümliche Dunkel, in dem er die Entstehungsweise solch neuer
Tendenzen lässt, wenn er sie schliesslich aus den „unerforschten
Tiefen des menschlichen Geistes ** ableitet, scheint dies zu bestätigen.
In einem Punkt hat jedoch der Scharfblick des vielerfahrenen Histo-
rikers die Entstehungsweise neuer geistiger Strömungen zweifellos
richtig erfasst, wenn er bemerkt, sie gelangten zunächst ,im ein-
zelnen starken und mächtigen Individuen zum Durchbruch*, um dann
in immer weitere Kreise zu dringen, dabei aber zugleich ,|mit dem
äusseren Leben auf das sie treffen * sich selbst wieder einigermassen
umzuwandeln. Nur bezieht sich freilich dieser Zug mehr auf den
äusseren Verlauf und die Ausbreitung neuer geschichtlicher Bewe-
gungen als auf ihre geistigen Ursachen. Diese können eben auch
hier nicht historisch, sondern nur psychologisch begriffen werden.
Denn sie beruhen auf dem Uebergang der Gefühls- und Willens-
richtungen in ihre Gegensätze, der Lust in Unlust, des Begehrens
in Widerstreben, einer Eigenschaft ohne die es keine geistige Ent-
wicklung geben würde, da nur aus jenen fortwährend zwischen
entgegengesetzten Phasen oscillirenden Schwankungen neue Motive
hervorgehen und sich in ihrem Kampf gegen widerstreitende Impulse
verstärken können. Auf diese Weise entspringen die historischen
Contraste unmittelbar aus dem allgemeinen psychologischen Princip
der Contrastverstärkung (S. 282), einem Princip das sich vom
individuellen Seelenleben aus auf alle jene objectiven Erscheinungen
überträgt, die schliesslich in den Gemüthsbewegungen und Willens-
handlungen der Einzelnen ihre Quellen haben.
Diesem Ursprung gemäss findet sich das Gesetz der historischen
Contraste im allgemeinen am deutlichsten in solchen geschichtlichen
Entwicklungen ausgeprägt, die eine bestimmte, in sich zusammen-
hängende Richtung geistiger Thätigkeit umfassen. So könnte man
von der Geschichte der Philosophie geradezu sagen, sie sei nichts
anderes als eine fortwährende Geschichte der Contraste. Theils
neben einander theils nach einander erheben sicjx Weltanschauungen,
die mit wechselndem Glück um die Herrschaft kämpfen und dabei
stets in dem Sinne fördernd auf einander einwirken, dass jede Rieh-
Historische Gesetze. 417
tiing durch den Widerstand den sie erfahrt zu grösserer Vertiefung
und Vollendung angetrieben wird. Nicht anders verhält es sich
Qberall sonst in Wissenschaft und Kunst. Als eine Bedingung des
historischen Fortschritts bewährt sich aber dieses Gesetz zumeist
darin, dass die in der Aufeinanderfolge der Zeiten herrschenden
Tendenzen in der Regel nach Gegensätzen wechseln, wobei dann
freilich der unbedingten Vorherrschaft einer bestimmten Richtung
eine üebergangsperiode vorherzugehen pflegt, in der beide neben
einander bestehen und die eine auf die andere bald verstärkend bald
aber i^uch mässigend und den vollständigen üebergang allmählich
vorbereitend zurückwirkt. Man denke z. B. an den Wechsel der
Sidlformen in der Architektur, an den Üebergang aus der Gothik
in die Renaissance, aus der Renaissance in das Barock, eine Ent-
wicklung die zugleich anschaulich zeigt, wie dieser Wechsel keines-
wegs ein Oscilliren zwischen gleich bleibenden Gegensätzen ist,
sondern ein Process der immer wieder neue, der Zeit der sie an-
gehören specifisch eigenthümliche Richtungen hervorbringt. Aehnlich
erbebt sich in der neueren deutschen Literatur wider den steifen,
nach französischem Vorbild zugeschnittenen Classicismus der Zopf-
zeit die Sturm- und Drangperiode mit ihrer Verachtung des Formen-
zwangs und ihrer rückhaltlosen Hingabe an das ursprüngliche Gefühl.
Ans ihr entwickelt sich der hellenisirende Classicismus, der in der
massvollen Beherrschung des StofiPs, wie sie die Natur selbst in
ihren vollendetsten Gestaltungen zeigt, das Ideal der Kunst sieht.
Gegenüber der Freude an der schönen Wirklichkeit, von der diese
Richtung erfüllt ist, sucht dann die Romantik ihr Ideal in der über-
sinnlichen Welt, und in dem so entstandenen Zwiespalt zwischen
Wirklichkeit und Ideal fühlt sie sich der mystischen Gefühlsrichtung
des mittelalterlichen Christenthums am nächsten verwandt. Die
Romantik endlich wird abgelöst durch das »junge Deutschland', eine
Literaturströmung die, weitabgewandt allen Idealen vergangener
Zeiten, in der geschäftigen Wirklichkeit des Tages, in den politi-
schen und socialen Tendenzen der Gegenwart den Zweck der Kunst
erblickt. Wie hier in einzelnen geistigen Bewegungen die Gegen-
sätze sich ablösen, so gilt dies aber auch zumeist von dem Ge-
sammtcharakter der auf einander folgenden Zeiten. In der That
muss ja nach dem Gesetz der historischen Relationen jede irgendwie
tiefer in das geschichtliche Leben eingreifende geistige Strömung
auch in andern Factoren dieses Lebens durch analoge Ueberein-
stimmungen und Gegensätze sich ausprägen. So bezeichnen das
Wandt, Logik. II, a. 2. Aufl. 27
418 Logik der Geschichtswissenschaften.
Auftreten der Sophisten, dann die im Kampf gegen die Sophistik
erstehende reformatorisch-idealistische Wirksamkeit des Sokrates und
Plato, endlich die kosmopolitische und zugleich realistischere Rich-
tung des Aristoteles wechselnde Gegensätze im Entwicklungsgang
der griechischen Philosophie, die mit den Strömungen des öffent-
lichen Lebens auf das engste zusammenhängen. Der rege Handels-
geist des 15. Jahrhunderts, das neu erwachte Interesse an der
Beobachtung der wirklichen Welt, das sich in den grossen geo-
graphischen Entdeckungen ebenso wie in mannigfachen Versuchen
einer auf neuen Grundlagen zu errichtenden Naturphilosophie aus-
spricht, endlich die unverkennbare Vorherrschaft der weltlichen Politik
setzen diese Zeit in einen vollen Gegensatz zu dem darauf folgenden
16. Jahrhundert, in welchem in der Literatur wie in den politischen
Bewegungen das religiöse Interesse im Vordergrund steht. Aber
auf diese Periode folgt dann im 17. Jahrhundert eine Zeit, in der die
mächtigen Fortschritte der Naturforschung dem gesammten geistigen
Leben wieder eine weltliche Richtung geben; nicht minder waltet
diese jedoch in den politischen Bestrebungen vor, bei denen der
religiöse Zwiespalt nur eine äussere Form ist, hinter der sich der
Kampf um die weltliche Herrschaft verbirgt.
In dieser Entwicklung durch Gegensätze liegt es offenbar be-
gründet, dass fast jedes Zeitalter auf das ihm unmittelbar voran-
gegangene mit einer gewissen Geringschätzung und dagegen auf eine
noch frühere Zeit mit sympathischer Bewunderung zurückblickt. So
fühlen wir uns heute den Menschen des 17. Jahrhunderts verwandter
als denen des 18., abgesehen von den den üebergang in die Jetzt-
zeit vermittelnden literarischen Strömungen der letzten Jahrzehnte
desselben. Aehnlich hat sich vielleicht der Mensch des 17. Jahr-
hunderts dem des 15. verwandter gefühlt als der ihm unmittelbar
vorausgegangenen Generation. Natürlich ist aber jede Zeit geneigt,
diejenige Gultur als die höhere zu schätzen, der sie sich selber ver-
wandt fühlt, so dass ihr nun an diesem Masse des eigenen Ideals
gemessen die ganze Vergangenheit eine Folge wechselnder Fort-
schritte und Rückschritte zu sein scheint. Von einem höheren ge-
schichtlichen Standpunkte aus betrachtet erscheinen solche Vor-
urtheile als subjective Meinungen, die für den Geist des urtheilenden
Zeitalters selbst charakteristisch, objectiv aber ohne Werth sind.
Jede geschichtliche Epoche hat ihre Eigenart, die durch den Zu-
sammenfluss der Bedingungen, unter denen sie sich entwickelt hat,
nothwendig so und nicht ander.« geworden ist. Diese Eigenart kann.
Historische Gesetze. 419
an dem moralischen Massstabe gemessen , gut oder scUecht sein.
Aber der moralische ist nur einer unter den vielen Factoren, die die
geschichtliche Beurtheilung zu beachten hat. Wer möchte selbst
die schlimmste Zeit des Sittenverfalls in der römischen Eaiserperiode
eine geschichtlich werthlose nennen — eine Zeit, in der die geistige
Bildung des Alterthums und das Ghristenthum vereint ihren Sieges-
zag durch die Welt antraten? So wenig es physikalisch betrachtet
gute und schlechte Naturerscheinungen gibt, gerade so wenig gibt
es für die historische Weltbetrachtung gute und schlechte Perioden
der Geschichte. Der Orund freilich dieser Unzulässigkeit absoluter
Werthprädicate ist in beiden Fällen wieder ein wesentlich verschie-
dener. Für die Naturwissenschaft liegt er darin, dass sie überhaupt
die Dinge absichtlich aus ihrer Verbindung mit dem die Quelle aller
Werthbestimmungen bildenden geistigen Leben loslöst, für die Ge-
schichte darin, dass diese die geschichtlichen Erscheinungen nicht
isolirt nach ihrem absoluten ethischen Werth zu prüfen, sondern in
ihrem Zusammenhang mit vorangegangenen, gleichzeitigen und nach-
folgenden Vorgängen zu untersuchen hat. In diesem Zusammen-
hang betrachtet ist nun zwar die Geschichte ein Gebiet, das die
fortwährende Erzeugung ethischer Werthe zu seinem eigensten In-
halte hat. Sie ist aber auch ein Gebiet, auf dem jede Erscheinung
neben dem absoluten Werth, den wir an einem unserer eigenen
sittlichen Ueberzeugung entsprechenden ethischen Ideale messen,
unmittelbar noch einen relativen .Werth hat, denjenigen nämlich
der ihr als einem nothwendigen Moment der geschichtlichen Ent-
wicklung zukommt. Dieses relative ist nun zugleich das einzige
geschichtliche Werthmass. Denn es ist ja die Aufgabe der
Geschichte, die Erscheinungen nicht isolirt zu betrachten, sondern
in ihren causalen Verbindungen und Wechselwirkungen. Hier lehrt
aber vor allem das Gesetz der historischen Gontraste, dass das an
sich Werthlose, ja das ethisch Verwerfliche mittelbar einen hervor-
ragenden Antheil an der Erzeugung bedeutsamer geschichtlicher
Wirkungen und innerhalb dieser auch an der Entstehung solcher
Erscheinungen haben kann, denen wir selbst im absoluten Sinne
einen hohen ethischen Werth zugestehen *).
*) In unserer Zeit findet man namentlich in der Literatur die Ansicht
weit verbreitet, dass wir uns in einer Periode der ,D6cadence* befänden. Von
Entartung, Weltuntergangsstimmung und ähnlichem ist viel die Rede, und man
bringt die Erscheinungen, die in diesem Sinne gedeutet werden, meist durch
eine zwar psychologisch begreifliche, aber einer aufgeklärten Zeit doch eigent-
420 Logik der Geschichtswissenschaften.
Während sich die früher betrachteten historischen Entwicklungs-
gesetze zunächst für empirische ausgaben und erst nachträglich
ihre Rechtfertigung in bestimmten psychologischen Erwägungen zu
finden suchten, sind die drei zuletzt besprochenen Beziehungsgesetze
unmittelbare Folgen allgemeiner psychologischer Principien. Hiermit
steht es durchaus im Einklang, dass der Werth der Entwicklungs-
gesetze in vielen FäUen ein fragwürdiger ist, da neben den psycho-
logischen Motiven, die eine Entwicklung in bestimmter Richtung
veranlassen, immer auch Motive von entgegengesetzter Richtung
existiren können. Selbst in den Fällen, wo solche Entwicklungs-
gesetze nicht auf einer mangelhaften Generalisation oder gar auf
vorgefassten subjectiven Forderungen beruhen, sind sie daher von
hypothetischer Geltung. Dagegen besitzen die historischen Bezieh-
ungsgesetze in demselben Sinne Allgemeingültigkeit, wie solche den
psychologischen Principien auf die sie sich gründen zukommt. Doch
sind sie eben darum auch nicht, wie die Entwicklungsgesetze, all-
gemeine Abstractionen, denen sich eine grössere Anzahl thatsäch-
licher geschichtlicher Erscheinungen unterordnen lässt, sondern sie
sind Maximen, die sämmtlich stets neben einander angewandt
werden müssen, an deren Hand dann aber jeder concrete geschicht-
liche Zusammenhang auf seine psychologischen Bedingungen zurück-
geführt werden kann.
lieh nicht ganz würdige Ideenassociation gar noch mit dem bevorstehenden
£nde des Jahrhunderts in Verbindung. Auch diese Geistesströmung könnte
man vielleicht unter das Gesetz der historischen Gontraste stellen. Jedenfalls:
war die Stimmung, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts herrschte, genau
die entgegengesetzte : man glaubte damals ziemlich allgemein, dass die Mensch-
heit nunmehr auf einer Gulturhöhe angekommen sei, auf der es eigentlich
nichts mehr zu wünschen gebe. Zweifellos verhält es sich mit diesen Selbst-
beurtheilungen genau ebenso wie mit den bekannten Antworten auf die Frage,
ob die Welt die beste oder die schlechteste unter allen möglichen Welten sei.
Wie diese Antworten für das Temperament des ürtheilenden charakteristisch
sind, aber an der Beschaffenheit der wirklichen Welt gar nichts ändern, so
dürfte es sich auch mit der Auffassung verhalten, die eine Zeit von sich selbst
hat. Für den geistigen Gharakter derselben sind solche Urtheile, wenn sie sehr
verbreitet vorkommen, bezeichnend, aber irgend einen objectiven Werth haben
sie nicht. Ein Auf und Ab mannigfacher Strömungen und Strebungen findet
sich zu jeder Zeit. Ob, wenn man alle directen und indirecten Wirkungen
zusammennimmt, in irgend einem Zeitpunkt die Summe der positiven oder der
negativen Werthe überwiegt, das ist eine Frage, die, wie oben bemerkt, nicht
einmal durch die objective historische Beurtheilung, noch viel weniger also
jemals durch das Urtheil der Mitlebenden zu entscheiden ist.
Zweckbegriff in der Geschichte. 421
d. Der Zweckbegriff in der Geschichte.
Da alle geschichtlicben Vorgänge aus menschlichen Handlungen
ihren unmittelbaren Ursprung nehmen, das menschliche Wollen aber
stets auf irgend welche Zwecke gerichtet ist, so macht in der Qe-
schichte, wie in allen andern Geisteswissenschaften, der Zweckbegriff
nicht bloss dadurch seine Rechte geltend, dass auf Qrund desselben
ursächliche Beziehungen vermittelst einer von den Wirkungen aus
rückwärts gerichteten Analyse verfolgt werden können, sondern auch
in jenem engeren Sinne, in welchem bestimmte objective Zwecke
selbst als causal wirksame Motive in die geschichtlichen Vorgänge
eingreifen. (Vgl. Bd. I, S. 646 und oben Cap. I, S. 49.) Da nun
aber neben solchen Zweckmotiven jedenfalls auch andere psycho-
physische wie psychische Bedingungen an der Entstehung und dem
Verlauf der geschichtlichen Vorgänge betheib'gt sind, so stellt sich
die teleologische Geschichtsbetrachtung von vornherein in dem Sinne
in einen Gegensatz zur causalen, als diese auf eine gleichmässigere
Berücksichtigung der verschiedenen Factoren geschichtlicher Ent-
wicklung auszugehen pflegt, während jene einseitig solche Elemente
herausgreift, die mit den in Betracht gezogenen Motiven in unmittel-
barer Verbindung stehen. Eine solche Abstraction entspringt stets
aus einer bestimmten philosophischen Grundanschauung, die aber
natürlich nicht in einem besonderen System der Geschichtsphilosophie
ausgearbeitet zu sein braucht, sondern ebenso gut der speciellen
historischen Untersuchung selbst immanent sein kann. In der That
beruhen ja durchweg die verschiedenen Richtungen der Geschichts-
forschung auf bestimmten geschichtsphilosophischen üeberzeugungen,
in denen sich zugleich allgemeinere philosophische Weltanschauungen
spiegeln. (Vgl. oben S. 322 ff.) Indem jede dieser Richtungen eine
bestimmte Seite der historischen Entwicklung als allein oder vorzugs-
weise der Berücksichtigung werth herausgreift, vertritt sie auch eine
bestimmte Anschauung über das Ziel der Geschichte. Denn aus-
drücklich oder stillschweigend ist mit einer solchen Betrachtungs-
weise stets die Forderung verbunden, dass die weitere Ausgestaltung
derjenigen menschlichen Entwicklungen, die man als den eigentlichen
Inhalt der Geschichte ansieht, das Ziel der Geschichte sei. Wie
jede Geschichtsphilosophie, selbst die des Materialismus, ihrem Wesen
nach teleologisch ist, da sie bestimmten historischen Thatsachen
einen höheren Werth beimisst als andern und demzufolge die ge-
422 Logik der Geschichtswissenschaften.
schichtliche Entwicklung im Sinne dieser Werthbestimmnng sowohl
in dem was sie erreicht hat wie in dem was noch zu erreichen ist
beurtheilt, so ist auf der andern Seite jede allgemeinere Geschichts-
betrachtung, wie sehr sie sich auch bemühen mag den Boden der
Thatsachen festzuhalten, bis zu einem gewissen Qrade eine teleo-
logische und darum ebenfalls geschichtsphilosophische, weil jeder
historische Zusammenhang die Frage nach den erreichten oder noch
zu erreichenden Zwecken herausfordert, hinter einer Summe einzelner
Zwecke aber stets mindestens ein relatiy letztes Ziel angenommen
werden muss, auf das die Entwicklung ausgeht. Dieser mit Noth-
wendigkeit in eine Geschichtsphilosophie irgend welcher Art ein-
mündenden Teleologie würde die Geschichte nur dann ledig werden,
wenn sie überhaupt leugnete, dass es zwischen den einzelnen Zweck-
motiven historischen Geschehens einen Zusammenhang gebe.
Es entspricht ganz diesem oft abgeleugneten, aber in den
Problemen selbst unabänderlich begründeten Zusammenhang zwischen
Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie, dass die Systeme
der letzteren keineswegs, wie es nach den Aeusserungen mancher
Historiker scheinen könnte, gänzlich ausserhalb der Entwicklung der
historischen Forschung liegen. Vielmehr reflectiren sich deuthch
in dieser die allgemeinen philosophischen Richtungen, und zumeist
sind sogar die geschichtsphilosophischen Ideen den ihnen entsprechen-
den Richtungen der Einzelforschung vorausgegangen. Auch wo ein
offenkundiger Einfluss nicht nachzuweisen ist, wird man daher jene
verborgeneren Wirkungen annehmen müssen, die überall geistige
Bewegungen auf einander ausüben. So findet der Gegensatz der
culturgeschichtlichen und der politischen Richtung der Geschichts-
wissenschaft in dem Widerstreit der geschichtsphilosophischen An-
schauungen Herders und Kants sein Vorbild. Auf die Noth-
wendigkeit einer allseitigen Beachtung der sämmtlichen physischen
wie psychischen Factoren der Geschichte die Historiker eindringlich
hingewiesen und so der Geschichte das Ziel einer den gesammten
Inhalt der geistigen Kräfte und ihrer Bethätigungen umfassenden Dar-
stellung gesteckt zu haben, ist Herders unvergängliches Verdienst.
Mochte auch die Ausführung in Anbetracht der unvollkommenen
Hülfsraittel über die er verfügte noch so mangelhaft und vielfach
durch dichterisch ansprechende, aber logisch unhaltbare Combinationen
und Analogien getrübt sein: der Geist der Herder'schen Anschauung
wirkte in der Geschichtsforschung nach von Heerens ^Ideen*
an, die schon im Namen an ihr philosophisches Vorbild erinnern.
Zweckbegriff in der Geschichte. 423
bis herab auf Taines Theorie des ^ Milieu*^. Den Gedanken, dass
die Geschichte eine in sich zusammenhängende Entwicklung sei, hat
nun zwar auch Herder schon Yorgefunden. Aber die Bedeutung
seines Werkes liegt darin, dass er trotz der auch von ihm noch
Läufig gewählten theologischen Einkleidung, die an den Gedanken
der , Erziehung** anknüpft, als die Kräfte dieser Entwicklung überall
solche nachzuweisen sucht, die dem menschlichen Geiste selbst
immanent sind, und die zugleich durch die Wirkung äusserer Natur-
bedingungen ausgelöst und in ihrer besonderen Wirkungsweise be-
stimmt werden. In diesem Sinne hat Herder als der Erste das
Beispiel einer genetischen Geschichtsbetrachtung gegeben *) .
Freilich hat er noch nicht ganz mit dem Gedanken gebrochen, dass
das Ziel der Geschichte ein transcendentes, dass also diese um eines
Zweckes willen da sei, der selbst jenseits aller Geschichte liege.
Aber indem er in der ^Entwicklung zur Humanität" diesen Zweck
sieht und unter der Humanität nichts anderes versteht als die Summe
der thatsächlich in dem Menschen wirkenden geistigen Anlagen, ist
ihm doch der transcendente Zweck zugleich ein der Menschheit zu
jeder Zeit immanenter. Jenes an das Ende der Geschichte verlegte
*) Eugen Kühnemann (Preuss. Jahrbb., Bd. 77, 1894, S. 342 ff.) be-
zeichnet es als eine Illusion, dass Herder den Entwicklungsgedanken für die Be-
trachtung der Geschichte begründet habe. „Zur wissenschaftlichen Begründung
des Entwicklungsgedankens fehlt ihm nicht viel weniger als alles.* (S. 358
Anm.) Natürlich ist dieses ürtheil ein relatives. Es fragt sich, was man unter
«wissenschaftlicher Begründung* versteht. Nimmt man diese im exactesten
Sinne, so Hesse sich ja zweifeln, ob heute schon eine solche Begründung
existire. Sieht man aber das Wesen des gegenwärtig zur Herrschaft gelangten
Entwicklungsgedankens darin, dass die Voraussetzungen über die Kräfte dieser
Entwicklung nicht transcendenten Zweckbegriffen, sondern den thatsächlichen
Factoren der Geschichte selber entnommen werden, so kann es keinem Zweifel
unterliegen, dass Herders Geschichtsphilosophie im wesentlichen in diesem
Geiste ausgeführt ist. Auch scheint es mir mit jenem abfälligen Urtheil wenig
im Einklang zu stehen, wenn Eühnemann selbst von Herders Darstellung
des Griechen thums sagt, sie sei „die erste und wahre Entwicklungsgeschichte
einer Volksseele, die geschrieben ward", und von seiner Entstehungsgeschichte
deä neueren Europa, sie sei ,in dem Ineinandergreifen anthropologischer Be-
schreibung, religiöser Gedanken und culturgeschichtlicher Momente ein einfach
nnd einheitlich geschlossenes Kunstwerk von gprossartiger Wirkung' (S. 344).
Gerechter als die Philosophen, die in ihrer Auffassung Herders noch meist
in Kants Spuren wandeln, haben in neuerer Zeit die Historiker die Bedeutung
Herders für die moderne Geschichtsauffassung gewürdigt. Vgl. Bernheim,
Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie, 1880, S. 14 ff., und Buchholz,
Deutsche Zeitschr. für Geschichtswissensch., Bd. 2, S. 20 ff.
424 Logik der Geschichtswissenschaften.
Ideal wird so zu einem wenigstens in relativen Annäherungen bereits
erreichten, und die Transcendenz des geschichtsphilosophischen Be-
griffs ist nahe daran sich in ein ethisches Ideal zu verwandeln.
Kant vermochte es nicht zureichend, das bleibend WerthvoUe in
Herders Ideen von den Verirrungen einer überströmenden Ein-
bildungskraft und der verfehlten Einmischung erbaulicher Tendenzen
zu sondern. Bei der gänzlich abweichenden Art seines Denkens
mussten ihm diese Mängel des Herder'schen Werkes vor allem
ins Auge fallen, um so mehr da er selbst schon im Einklang mit
den Grundgedanken seiner kritischen Philosophie die Idee eines
transcendenten Zwecks der Geschichte ungleich klarer als Herder
zu einem weder jemals erreichbaren noch auch in Begriffen sicher
zu fixirenden ethischen Postulate ermässigt hatte '^). Doch indem er
diesen idealen Zweck der Geschichte in einer «auch äusserlich voll-
kommenen Staatsverfassung '^ sah, als dem Zustande in welchem die
Menschheit alle in ihr vorhandenen Anlagen völlig entwickeln könne,
wird Kants Geschichtsphilosophie zur Vertreterin einer einseitig
politischen Auffassung der Geschichte, welche zwar die sonstigen
Momente menschlicher Entwicklung nicht ganz vernachlässigt, aber
als etwas Secundäres, als eine Wirkung der politischen Verhältnisse
ansieht. Es waltet dabei offenbar zugleich die Vorstellung, dass
alle diese übrigen Bestandtheile und insbesondere die geistigen
Factoren der Cultur nicht wie die Staatsverfassungen der mensch-
lichen Gesellschaft als solcher angehörten, sondern dass sie nur für
den Einzelnen der sie besitzt ein Gut seien. So wirkt in dieser Auf-
fassung Kants die individualistische Gesellschaftstheorie der voran-
gegangenen Zeit, vornehmlich Rousseaus nach, und er bestimmt
daher auch ganz im Sinne dieser Theorie jenes Staatsideal, das ihm
als das Ziel der Geschichte gilt. Es soll einen Zustand der Gesell-
schaft verwirklichen, der fQr jeden Einzelnen nur so viel Zwang in
sich schliesse, als für den Bestand der Gesellschaft und zugleich für
die möglichst freie und vollkommene Entfaltung der individuellen
Anlagen erforderlich sei. Ist dieses Verfassungsideal nur nach dem
ethischen Bedürfniss des Einzelnen entworfen, so wird aber die ge-
schichtliche Entwicklung, als deren letzter Zweck jenes Ideal gilt,
selbst zu einem blossen Spielraum für die Entfaltung individueller
Kräfte. Mit der grösstmöglichen, nach Vernunftgesetzen geregelten
*) Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Ab-
sicht. 1784. Werke von Rosenkranz und Schubert, Bd. 7, S. 817 ff. Kritik des
ersten Theils von Herders Ideen. 1785. Ebend. S. 339 ff.
Zweckbegriff in der Oeschichte. 425
Freiheit der Einzelnen ist das Ziel der Oeschichte erreicht. So fehlt
Kant gerade das was Herders Qeschichtsphilosophie ausgezeichnet
hatte : der Blick auf das Ganze, die Erkenntniss, dass sich die Ent-
wicklung des menschlichen Qeistes in der Menschheit, nicht in
dem einzelnen Menschen vollende, und dass innerhalb der Mensch-
heit wieder jedes einzelne Volk und jede einzelne Periode diesen
Geist nach einer andern Seite hin offenbare. In allem dem ist
Herder der volle Gegensatz zur individualistischen Auffassung des
vorigen Jahrhunderts, während Kant wieder zu dieser zurückkehrt.
Der völlig ungeschichtlichen Anschauung der vorangegangenen Zeit
ist freilich auch Kant entwachsen. Die Geschichte selbst ist ihm
weder ein ewig sich gleich bleibendes Hin- und Herwogen streitender
Kräfte ohne Entwicklung, noch auch eine bloss durch einzelne her-
vorragende Individuen gemachte Reihe von Begebenheiten , sondern
er glaubt in ihrem Verlauf einen »verborgenen Plan der Natur ** zu
erkennen, ^um eine vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu
bringen, als den einzigen Zustand in welchem sie alle ihre An-
lagen in der Menschheit völlig entwickeln könne '. Aber gerade
hier erinnern Kants Worte durchaus noch an die hergebrachte Idee
der »Erziehung*, in der in der ganzen Geschichtsphilosophie des
18. Jahrhunderts die transcendente Theorie des christlichen Mittel-
alters nachklingt. In der Bemerkung, dass das Mittel zur Er-
reichung dieses Zwecks der »Antagonismus der menschlichen An-
lagen", der Widerstreit zwischen der Selbstsucht und den socialen
Trieben des Menschen sei, ist freilich zugleich der Versuch an-
gedeutet, jenen »verborgenen Plan der Natur '^ mittelst empirischer
Motive zu erklären, ein Versuch den man, ebenso wie manche ähn-
liche Ausführungen Herders, als eine Anticipation Darwin'scher
Gedanken betrachten könnte *).
Die einseitig politische Auffassung Kants setzt sich auf Fichte
und Hegel fort, bei welchem letzteren sie sich zugleich, wenn auch
nicht in der Bestimmung des Endzwecks der Geschichte, so doch in
dem Einzelnen der historischen Betrachtung, mit der universelleren
Auffassung Herders verbindet. Aus dieser Verbindung sind zwei
wichtige Gedanken hervorgegangen, mit denen Hegels Geschichts-
philosophie theils direct theils durch ihr Zusammentreffen mit den
vorhandenen Zeitströmungen in der historischen Wissenschaft der
*) Für Herder sucht dies in der That nacb^uweisen Fr. v. Bärenbach,
Herder als Vorläufer Darwins und der modernen Naturphilosophie, 1877; für
Kant Fritz Schultze, Kant und Darwin, 1875.
426 Logik der Geschichte wissenBchaften.
folgenden Jahrzehnte nachwirkt. Der eine dieser Gedanken bestand
in der Annahme einer streng gesetzmässigen historischen
Entwicklung. Mochte dieser Gedanke auch in dem logischen
Schematismus der HegeFschen Dialektik einen yerkünstelten , seine
natürliche Triebkraft schädigenden Ausdruck finden, an sich selbst
war er doch zu werthvoll, um unfruchtbar zu bleiben. Der zweite
folgenreiche Gedanke war die Voraussetzung, dass die Kräfte der
historischen Entwicklung dieser selbst immanent seien.
Nicht in abstracten und transcendenten Ideen, nicht in einem , ver-
borgenen Plan der Natur* bestehen diese Kräfte, sondern in den
concreten Entwicklungen der Geschichte, in denen jede Erscheinung
aus andern Erscheinungen mit Nothwendigkeit hervorgeht. Freilich
wird dieser Gedanke wiederum dadurch eines guten Theils seiner
Bedeutung beraubt, dass Hegel jene Entwicklung auf eine logische
Zeugungskraft der Begriffe zurückführt, statt sie aus den psychi-
schen Kräften abzuleiten, die durch das Zusammenspiel der ge-
schichtlichen Bedingungen ausgelöst werden. Gerade hier musste aber
der Uebergang dieser Auffassung in die concrete historische Forschung
jenen Mangel beseitigen. Denn der Historiker hat es ja nicht mit
logischen Kategorien zu thun, sondern mit den realen Mächten des
Lebens, wie sie sich aus dem Zusammenhang der geschichtlichen
Vorgänge ergeben. Ungleich dauernder wirkte dagegen die einseitig
politische Auffassung der Geschichtsphilosophie Kants und Hegels
in der Geschichtsforschung nach. Traf doch jene in diesem Punkte
mit einer ohnehin schon herrschenden Tendenz zusammen. Anfang-
lich aus der den politischen Vorgängen vor allen andern socialen
Erscheinungen zukommenden Eigenschaft der unmittelbareren und
augenfälligeren Wirksamkeit hervorgegangen, wurde diese Bevor-
zugung in der Zeit, da die neuere Geschichtsphilosophie sich aus-
bildete, noch durch den Umstand begünstigt, dass die Rechtswissen-
schaft die einzige zur allgemeinen Anerkennung gelangte Gesell-
schaftswissenschaft war, und dass die Theorien des Naturrechts über
Entstehung, Umwandlung und Zweck der Verfassungen ganz das
öffentliche Interesse beherrschten. So hat denn auch, abgesehen
von dem indirecten Einflüsse der Naturforschung, theils das Auf-
blühen anderer Socialwissenschaften, namentlich der Nationalökonomie,
theils das wachsende Interesse für die geschichtliche Behandlung der
verschiedenen Gebiete der materiellen und der geistigen Cultur all-
mählich jene culturgeschichtlichen Richtungen entstehen lassen, in
denen, wenn auch manchmal getrübt durch die Bevorzugung ein-
Zweckbegriff in der Geschichte. 427
seiner Factoren, die universellere QeschichtsauffassuDg Herders in
der Einzelforschung zu ihrem Recht kommt.
Auf dem so gewonnenen Standpunkte, wie er einerseits durch
die Voraussetzung der Immanenz der geschichtlichen Kräfte, ander-
seits durch die Ausdehnung der historischen Betrachtung auf die
Gesammtheit der direct oder indirect für die menschliche Entwick-
lung werthyoUen Elemente der Cultur bestimmt ist, gewinnt nun
der Zweckbegriff der Geschichte von selbst einen doppelten
Inhalt. Zunächst trägt jede geschichtliche Erscheinung ihren Werth
in sich selber. Wie ein gegebener staatlicher, wirthschaftlicher und
geistiger Zustand aus immittelbar vorhandenen Bedürfnissen ent-
springt und die nämlichen Bedürfnisse zu befriedigen sucht, so ist
auch, im Licht der Qeschichte betrachtet, jedes Volk, jeder Staat,
die Cultur jeder Geschichtsepoche um ihrer selbst willen da; und
die historische Beurtheilung hat daher alle diese Erscheinungen zu-
nächst nach dem Werthe zu schätzen, den sie, ohne Rücksicht auf
andere Zeiten und andere Völker, in sich selbst tragen. Würde
dieser unmittelbare, allen historischen Entwicklungen immanente
Zweck nicht anerkannt, so würde damit in Wahrheit der reale Werth
der Geschichte selbst aufgehoben. Denn indem jeder einzelne ge-
schichtliche Inhalt niemals Selbstzweck wäre, sondern immer nur
Mittel zur Erreichung eines Folgenden, worauf dann dieses sich
ebenfalls in ein blosses Mittel für fernere Zwecke verwandelte und
80 fort ins unendliche, würde auch der Zweck der Geschichte über-
haupt jenseits aller Geschichte oder doch mindestens ganz und gar
jenseits derjenigen Geschichte liegen, die den Inhalt der historischen
Wissenschaft ausmacht.
Aber so nothwendig dieser nächste Zweck nicht bloss aner-
kannt, sondern sogar als der betrachtet werden muss, mit dem es
die Geschichte vor allem zu thun hat, so führt doch nicht minder
dieser nächste zu einem weiteren Zweckbegriff, sobald man nur zu-
gibt, was die Voraussetzung aller Geschichte ist, dass jeder geschicht-
liche Zustand Product einer Entwicklung sei und seinerseits wieder
zur Grundlage anderer aus ihm hervorgehender Entwicklungen werde.
So unangetastet in der That wir auch etwa unseren germanischen
Vorfahren oder den Völkern des classischen Alterthums ihre selb-
ständigen Lebenszwecke lassen mögen, ohne jede Rücksicht auf das
was wir selbst ihnen verdanken, so bleibt es doch nicht abzuleugnen,
dass unser eigenes Leben seinen Inhalt nur in Folge dieser voraus-
428 Logik der (Geschichtswissenschaften.
gegangenen geschichtlichen Entwicklungen gewinnen konnte, und
dass uns daher unter diesem Gesichtspunkte die ganze vorange-
gangene Geschichte zugleich als ein Mittel zu dem nun erreichten
Ziel erscheinen muss. Aber da mit dem gegenwärtigen Zeitptmkt
die Geschichte keineswegs vollendet ist, sondern zu immer neuen
und neuen Entwicklungen fortschreitet, so ist es nun unvermeid-
lich, dass wir die nämliche Anschauung auch auf das Yerhaltniss
der Gegenwart zur Zukunft übertragen, indem wir in demselben
Sinne, in dem uns die vorangegangene geschichtliche Entwicklung
als ein Mittel zur Erreichung des gegenwärtigen Zustandes gilt, so
auch uns selbst und unsere ganze Cultur als eine Vorstufe aller der
Entwicklungen betrachten, die nach uns kommen. In der That ist
das die Anschauung, von der die praktische Wirksamkeit des
Menschen in Staat und Gesellschaft überall durchdrungen ist. Wir
betrachten es als unser Recht die Güter der Cultur zu geniesseu;
aber wir sehen es auch für unsere Pflicht an, diese Güter für kommende
Geschlechter zu bewahren und zu mehren. Die sittliche Werth-
beurtheilung nimmt diesen mittelbaren Erfolg des Handelns, seine
Wirkung auf Andere und auf ein dem eigennützigen Streben vöUig
entrücktes Ideal zu ihrem ausschliesslichen Massstabe, indem ihr die
handelnde Persönlichkeit selbst niemals als letzter, sondern immer
nur als nächster Zweck gilt, der sich allgemeineren Zwecken unter-
ordnet. Denn die sittliche Beurtheilung richtet sich nicht nach dem
objectiven Werth der durch menschliche Thätigkeit erzeugten Güter,
sondern nach der subjectiven Grösse der Pflichterfüllung, und diese
misst sie an dem Masse der Selbstlosigkeit. So fallen für sie
nur diejenigen Lebensgüter in Rechnung, die der Handelnde nicht
für sich sondern für Andere und im letzten Grunde für die Mensch-
heit erstrebt*).
Nun ist die geschichtliche von der sittlichen Werthbeur-
theilung darin verschieden, dass jene die einzelne Zeit, das einzelne
Volk, endlich die einzelne Persönlichkeit nicht bloss an dem misst
was sie für das Ganze, also, da uns in anderer Weise dies Ganze
nicht gegeben ist, für den kommenden Verlauf der Geschichte sind,
sondern auch nach dem was sie für sich selber waren. Die geschicht-
liche Beurtheilung ist also hier die umfassendere, und darum ist
für sie der moralische Masstab nur einer neben andern. Dagegen
würde es nicht minder einseitig sein und ebensowohl dem Zusammen-
*) Vgl. meine Ethik, 2. Aufl., S. 496 f.
Zweckbegri£F in der Geschichte. 429
hang des historischen Qeschehens selbst wie einer genetischen Auf-
fassung der Geschichte widerstreiten, wenn man nun umgekehrt den
Zweck einer geschichtlichen Erscheinungsgruppe bloss in dem sehen
wollte was diese für sich selber gewesen ist. Wenn daher Ranke
gesagt hat, der Werth einer Epoche beruhe ,,gar nicht auf dem was
ans ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in ihrem eigenen
Selbst**), so mag diese Aeusserung als Zurückweisung einer trans-
cendenten Geschichtsphilosophie begreiflich sein. Gleichwohl ent-
hält sie nur die Hälfte der Wahrheit, wie im Grunde Ranke selbst
anerkennt, wenn er unmittelbar darauf hervorhebt, der Historiker
habe auch ,|den Unterschied zwischen den einzelnen Epochen wahr-
zunehmen, um die innere Nothwendigkeit der Aufeinanderfolge zu
betrachten''. Wie wäre das möglich, ohne dass man einer Epoche
auch ihre Stellung in der Reihe auf einander folgender Entwick-
lungen anweist, wo sie dann jeder folgenden Stufe gegenüber die
Bedeutung einer Vorbereitung, also teleologisch betrachtet eines
Mittels zum Zweck hat? Der Vorwurf, den Ranke gegen eine der-
artige Zweckbestimmung erhebt, dass sie gleichsam jede Generation
zu Gunsten der nach ihr kommenden mediatisire, besteht nur so
lange zu Recht, als man den selbständigen Zweck des Einzelnen
ganz leugnet und so einen Gesichtspunkt einseitig moralischer Werth-
beurtheilung unmittelbar auf die Geschichte überträgt**).
♦) Ranke, Weltgeschichte, Bd. IX, 2, S. 5.
**) Es mag sein, dass der Charakter- zwanglos und doch zugleich durch
die Persönlichkeit, fQr die sie bestimmt waren (König Max von Bayern), nicht
ohne jeden äusseren Zwang gehaltener Vorträge, der den im Schlussband der
Weltgeschichte veröffentlichten .Epochen der Weltgeschichte* anhaftet, hier auf
den Gedankenausdruck Rankes nicht ganz ohne Einfluss gewesen ist. Dennoch
wird man auch nach den sonstigen Aeusserungen des grossen Historikers an-
nehmen müssen, dass ihn zwar sein feiner historischer Takt hier in der ent-
schiedenen Abweisung der speculativen Geschichtsphilosophie den richtigen Weg
gefilhrt hat, dass aber doch seine eigenen geschichtsphilosophischen Gedanken
an einer gewissen Unbestimmtheit leiden, und dass er sich selbst von der An-
wendung des transcendenten Zweckbegriffs auf die Geschichte insofern noch
nicht frei gemacht hat, als seine Teleologie überall von der Idee einer unmittel-
baren providentiellen Lenkung der Geschichte beherrscht ist So wenn er sagt :
,Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott*, und: ,wenn die vorhergehenden Gene-
rationen immer nur die Träger für die nachfolgenden wären, so würde das
eine Ungerechtigkeit der Gottheit sein*. Wie können wir uns unterfangen zu
wissen, was für Gott Mittel und was für ihn Zweck ist? Man kann es
keinem Historiker verbieten, dass er die Gegenstände seines wissenschaftlichen
Interesses mit seiner religiösen Weltanschauung in Einklang zu bringen sucht.
430 Logik der GeschichtswiBsenschsflen.
Mit der Anerkennung dieses doppelten Zwecks geschichtlicher
Entwicklung, des jeder historischen Erscheinung selbst immanenten
und des in ihr bloss latenten und in ihren ferneren geschichtlichen
Wirkungen erst actuell werdenden, ist nun zugleich die Frage nach
dem Fortschritt in der Geschichte in dem Sinne beantwortet,
in welchem diese Antwort im Qrunde nur eine Voraussetzung ist,
die jede allgemeinere historische Forschung bereits an ihren Gegen-
stand heranbringt. Zwei Vorstellungen sind von vornherein von
dieser Idee des historischen Fortschritts fernzuhalten, weil sie in
Wahrheit diese auf ein Gebiet verlegen, das gar nicht das Gebiet
der Geschichte selbst ist. Die erste dieser Vorstellungen ist jene
Annahme der Geschichtsphilosophie, dass der Fortschritt der Ge-
schichte ein Ziel habe, das jenseits aller Geschichte liege. Die
zweite besteht in der populären, vielfach aber selbst bei Historikern
verbreiteten Meinung, dass dieser Fortschritt in irgend einer sei es
intellectuellen sei es moralischen Vervollkommnung der einzelnen
Menschen bestehen müsse.
Die erste dieser Vorstellungen würde, wenn man sie folge-
richtig durchführen wollte, der geschichtlichen Entwicklung jeden
in ihr selbst ruhenden Werth nehmen, da sich ihr jeder geschicht-
liche Inhalt in ein blosses Mittel verwandelt zu unerreichten und
möglicher Weise unerreichbaren Zwecken. Um dem zu entgehen
pflegen daher die geschichtsphilosophischen Systeme dieser Richtung
in den Entwicklungsgesetzen, die sie aufstellen, und die wir oben
(S. 389 ff.) an einigen hervorragenden Beispielen kennen lernten, das
Ideal einer das Ende der Geschichte bildenden Zukunft in ein ganz
oder theilweise schon in der Gegenwart erreichtes zu verwandeln.
Indem man so nicht die Geschichte überhaupt, sondern nur die ge-
schichtliche Vergangenheit als blosse Vorbereitung preisgibt, liegt
hierin schon ein berechtigtes Widerstreben gegen die Zumuthung den
selbsterlebten Inhalt geschichtlicher Ereignisse nur als ein Mittel zu
künftig zu erfüllenden Zwecken anzusehen. Aber dieses Widerstreben
reicht nicht über den Horizont der eigenen Zeit und Umgebung:
das Recht auf eigenen Werth, das man für die erreichten Zwecke
Aber eine andere Sache ist es doch« wissenschailliche Yoraussetzungen aaf sub-
jective religiöse Glaubensmotive zu gründen. Ein Astronom z. B. mag ans dem
Anblick des Weltgebäudes religiöse Erbebung schöpfen. Aber er hat ebenso
wenig das Recht, mit Copemikus die centrale Stellung der Sonne aus der Voll-
kommenheit Gottes, wie mit einigen Anticopemikanem des 16. Jahrhunderts
den StiUstand der Erde aus der Güte Gottes abzuleiten.
Zweckbegriff in der Geschichte. 431
in Anspruch nimmt, gönnt man nicht in gleicher Weise voran-
gegangenen Generationen. So lebt in allen diesen Entwicklungs-
theorien, ob sie nun mit Hegel in der socialen Gebundenheit oder
mit Gomte in der Vorherrschaft der theologischen und der meta-
physischen Vorstellungen den Charakter der vorübergegangenen Peri-
oden erblicken mögen, immer noch etwas von dem selbstgenUgsamen
Geiste des Aufklärungszeitalters, das auf die Mängel und Vorurtheile
vergangener Culturepochen verächtlich zurückblickte. Und so will-
kQrlich diese Auffassung das Ideal der eigenen Zeit zum absoluten
Masse nimmt, ebenso willkürlich pflegt sie einzelne Momente der
geschichtlichen Entwicklung, wie das politische, das intellectuelle
oder gar das technisch- industrielle , also wiederum einzelne Seiten
jenes Oulturideals der eigenen Zeit, zu bevorzugen. Durch diese
Abstraction von wichtigen Bestandtheilen der geschichtlichen Ent-
wicklung wird es dann um so leichter möglich, an die Stelle des
wirklichen Inhalts der lebendigen Geschichte einen willkürlich er-
fundenen logischen Schematismus zu setzen, der zur Charakteristik
seines Erfinders oder auch der geistigen Strömung der dieser an-
gehört einiges beitragen kann, für die Beurtheilung der wirklichen
Geschichte aber gar keinen Werth hat.
Nicht minder verkehrt ist es jedoch, das Mass des geschicht-
lichen Fortschritts der individuellen Vervollkommnung zu ent-
nehmen, die Frage nach der Existenz eines solchen Fortschritts also
entscheiden zu wollen, indem man eine Antwort auf die andere
Frage sucht, ob die einzelnen Menschen in ihren moralischen oder
intellectuellen Eigenschaften im Lauf der Geschichte vollkommener
geworden seien. Der einzelne Mensch ist abhängig von seiner Zeit:
er steht unter dem Einfluss der Anschauungen dieser Zeit, ihres in-
tellectuellen und materiellen Besitzes. Wo wir den eigenen Werth
des Einzelnen beurtheilen, da geschieht dies stets mit Rücksicht auf
diese Bedingungen. Bei der ungeheuren Veränderlichkeit derselben
ist es darum schlechterdings unmöglich Menschen weit von einander
abliegender Zeiten ihrem Werthe nach zu vergleichen. Wir können
allenfalls fragen, ob Leibniz oder Newton als Mathematiker, Goethe
oder Schiller als Dichter grösser gewesen seien. Zwischen Archi-
medes und Leibniz, Homer und Shakespeare fehlt uns jedes Mass
der Vergleichung. Diese Vergleichung kann ja den Einzelnen immer
Dur an dem Masse seiner Zeit messen. Sie könnte daher höchstens
die Frage beantworten wollen, ob sich in dem Verhältniss der her-
vorragenden Individuen zu den Bedingungen ihrer Zeit merkliche
432 Logik der Geschichtswissenschaften.
Veränderungen vollzogen haben. Aber da es uns an jedem Mittel
gebricht dieses Verhältniss zu bestimmen, so ist selbst diese Frage nie
zu beantworten. Folgt man ToUends jener geschichtlichen Betrach-
tung, die jeder Epoche historischer Entwicklung, ganz abgesehen
von dem was sie für die Zukunft gewesen ist, ihren selbständigen
Werth zugesteht, so kommt zu diesen negativen Gründen der Un-
möglichkeit einer vergleichenden Beurtheilung noch ein positiver:
auch die leitenden Persönlichkeiten einer gegebenen Zeit haben
wegen der Bedeutung die sie für diese Zeit besitzen ihren eigenen,
unvergleichlichen Werth, der uns durch irgend eine einer andern
Zeit angehörende Persönlichkeit ebenso wenig ersetzt Verden kann,
wie die Zeiten selber einander ersetzen können. Im Lichte dieser
historischen Würdigung und des Werthes, den jede historische Er-
scheinung gerade dadurch gewinnt, dass sie inmitten der Cultur ihrer
Zeit steht und in gewissem Masse dadurch auch uns an dieser sonst
unwiederbringlich verlorenen Cultur theilnehmen lasst, wird die Werth-
vergleichung der Individuen vollends zu einer im objectiven Sinne
unvollziehbaren Aufgabe.
Aber die Geschichte hat zu ihrem Gegenstande nicht die Indi-
viduen, sondern die Völker. Wer auf die Frage, ob es für das
Einzelleben einen Fortschritt gibt, eine Antwort sucht, der hat diese
nicht in der Universalgeschichte, sondern in der Geschichte des
Einzellebens, in der Biographie zu suchen. Wie nun der Fort-
schritt für den Einzelnen nicht darin besteht, dass er über Andere,
sondern darin, dass er auf jeder folgenden Stufe über die vorige
hinausschreitet, so kann sich auch der Fortschritt der Geschichte
nur auf das beziehen, was deren eigensten Inhalt ausmacht: auf
jene Gesammterzeugnisse des menschlichen Geistes, in denen jede
folgende Epoche das Erbe der Vergangenheit benützt, um neue Er-
zeugnisse hervorzubringen. Die Frage, ob es einen Fortschritt in
der Geschichte gibt, ist also hier mit der andern identisch, ob die
Errungenschaften der vorangegangenen Culturstufen eine fortwirkende
Kraft bewähren, und ob daher der Inhalt der geschichtlichen Er-
werbungen zunimmt oder nicht. Dass nun diese Frage im ganzen
in Bezug auf alle Gebiete des geistigen Lebens sowie ihrer mate-
riellen Bedingungen bejaht werden muss, kann deshalb nicht zweifel-
haft sein, weil, wenn wir sie verneinen wollten, wir damit auch die
Voraussetzung aller Geschichte, den Zusammenhang der geschicht-
lichen Entwicklungen, verneinen müssten. Für den moralischen oder
intellectuellen Charakter der Einzelnen oder auch fUr die Glücks-
Zweckbegriff in der Geschichte. 433
geftkUe, deren sie theilhaftig werden, hat aber diese Frage gar keine
Bedeutung. Die Qeschichte kann immer nur die Bedingungen ändern,
unter denen jener Charakter und jene GlücksgefUhle sich äussern.
Diese selbst könnten nur andere werden, wenn die individuellen An-
lagen des Menschen innerhalb der constanten Unterschiede der Rassen
wesentliche Aenderungen erfahren haben sollten. Dass dies in irgend
nachweisbarem Grade in historischer Zeit geschehen sei, dafür ist
nun die Wahrscheinlichkeit um so geringer, als in physischer Be-
ziehung wesentliche Umwandlungen, namentlich etwa solche in pro-
gressiver Richtung, entschieden nicht eingetreten sind. Die Frage
der individuellen Vervollkommnung des Menschen ist also eine Frage
der Vorgeschichte und Anthropologie, nicht der Geschichte. Die
historischen Zeiträume sind offenbar viel zu klein, um für die Pro-
bleme der generellen Entwicklung, die fQr jede merkliche Verände-
rung relativ unermessliche Zeiträume fordert, irgendwie in Betracht
zu kommen. Ferner kann von einem Fortschritt in der Geschichte
selbstverständlich immer nur unter der Bedingung einer Continuität
auf einander folgender Entwicklungsstadien die Rede sein; und auch
innerhalb dieser Grenzen wird es sich, wie bei allen Entwicklungen,
höchstens um einen Gesammtfortschritt handeln können, der einzelne
rückläufige Bewegungen nicht ausschliesst, die übrigens, wie die
historische Erfahrung lehrt, nicht selten selbst wieder nach dem
Gesetz der Gontraste Bedingungen für eine auf sie folgende fort-
schreitende Entwicklung sind. Insofern nun aber die historische Erfah-
rung nicht nur rückläufige Bewegungen, sondern auch Unterbrechungen
der Continuität aufweist, kann überhaupt der geschichtliche Fort-
schritt nicht die Bedeutung eines unbedingt und für alle Zukunft
gültigen Gesetzes, sondern nur die eines Postulates haben, das wir
auf Gnmd der aus der Vergangenheit gewonnenen geschichtlichen
Anschauung der Zukunft entgegenbringen. Wie alle Postulate, so hat
demnach auch dieses seine Grundlage in der Erfahrung und führt
zugleich über die möglichen Grenzen der Erfahrung hinaus, indem
es auf ein zukünftiges Ideal hinweist, welches nicht sowohl eine
nothwendige Folgerung aus dem bisherigen Gang der Geschichte als
Tielmehr eine Forderung ist, der die Einzelnen und die Gemein-
schaften nachkommen sollen, um dem ihnen gewordenen geschicht-
lichen Beruf zu genügen. Diese Idee eines durch die geschichtliche
Entwicklung einem Volke und innerhalb desselben jedem einzelnen
Menschen gewordenen Berufes sowie der durch diesen Beruf auf-
erlegten Pflicht ist nun selbst keine geschichtliche, sondern eine
Wundt, Logik, n, 8. 2. Aufl. 28
■
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k
434 Logik der Greschichtswissenschaften.
moralische Idee, die sich aber mit derselben Nothwendigkeit als letzter
Zweckbegriff der geschichtlichen Entwicklung ergibt, wie schon das
individuelle Handeln und Streben auf einen solchen hinführt. Auf
historischem Gebiete schliesst diese Idee eines letzten morali-
schen Zwecks zwei speciellere Forderungen ein: erstens die, dass
alle rückläufigen Ent Wickelungen immer wieder Vorbereitungen
seien zu einem kommenden Fortschritt, zu dem sie nach dem Gesetz
der historischen Contraste möglicher Weise selbst die Bedingungen
enthalten können; und zweitens die, dass die Continuitat der geschicht-
lichen Entwicklung eine immer allgemeinere werde, so dass schliess-
lich auch die Gesammtheit der geschichtslosen Völker jenem letzten
moralischen Zweck der Geschichte dienstbar sei.
Es liegt in der Natur dieses Zwecksbegriffs, dass die ver-
schiedenen Gebiete menschlicher Thätigkeit, die der geschicht-
lichen Entwicklung unterworfen sind, in verschiedenem Masse an
ihm theilnehmen. Wie jede Epoche ihren Werth theils in sich
selbst trägt, theils in dem was aus ihr hervorgeht, so fallen auch
die verschiedenen Gruppen historischer Vorgänge bald mehr dem
einen, bald mehr dem andern Gebiet zu. So wird alles was mit
dem eigensten Lebensgefühl einer Gulturperiode zusammenhängt, wie
die Kunst, die religiösen Anschauungen sowie die philosophischen
Versuche den Ertrag des Nachdenkens über der Welt Lauf und
über das eigene Schicksal zusammenzufassen, endlich die Sitte und
ihr Einfluss auf die äussere und innere Cultur, schon von der
historischen Beurtheilung vielmehr als Bestandtheil des Charakters
jeder einzelnen Periode, denn als treibende Kraft für die folgende
geschichtliche Entwicklung gewürdigt. Umgekehrt dagegen betrachten
wir unter dem letzteren Gesichtspunkte vorzugsweise diejenigen
Factoren der Cultur, in denen der intellectuelle Fortschritt in der
Erkenntniss der objectiven Welt wie der eigenen Natur des Menschen
und die mit diesem Fortschritt eng verbundene Vervollkonrnmung
technischer Hülfsmittel zur Beherrschung der Aussenwelt sowie zu
gesteigerter Ausnutzung der eigenen Kräfte zum Ausdruck kommt.
Vor allem aber gehören hierher die Fortschritte in den politischen
und socialen Zuständen der menschlichen Gemeinschaft, Fortschritte
in denen am einleuchtendsten der ungeheure Einfluss der geschicht-
lichen Arbeit vorangegangener Generationen auf die folgende Zeit
zu erkennen ist. Offenbar ist dieser Umstand der hauptsächlichste
Grund der bekannten Bevorzugung der politischen und socialen
Factoren in der Geschichtswissenschaft; und ebenso wird es hieraus
Zweckbegriif in der Geschichte. 435
begreiflich y dass, wo immer man sich bemühte das «Gesetz des
historischen Fortschritts'^ empirisch zu beweisen, die als Zeugnisse
Torwertheten Thatsachen dem nämlichen Gebiete entnommen wurden'*').
Aber so berechtigt es sein mag, in der Beurtheilung der geschicht-
lichen Erscheinungen eine Unterscheidung nach ihrem bald mehr
die einzelne Epoche charakterisirenden bald mehr in zu-
künftigen Entwicklungen fortwirkenden Werthe zu machen,
so ist es doch selbstverständlich, dass es sich hier niemals um eine
absolute Theilung der Gebiete handeln kann. Vielmehr, wie das
Gesetz der historischen Contraste rückläufige Bewegungen der Cultur
dem Princip des Fortschrittes unterzuordnen erlaubt, so bringt es
das Gesetz der Relationen mit sich, dass jeder Bestandtheil einer
gegebenen Cultur den Werth eines immanenten und den eines trans-
eonten Factors der Geschichte in sich vereinigt, so dass es im
Grunde nicht sowohl ein innerer als ein äusserer, symptomati-
scher Unterschied ist, der jene Sonderung der Gebiete begründet.
Dieser symptomatische Unterschied steht aber im engsten Zusammen-
hang damit, dass die Bestandtheile der Cultur, die wir vorzugsweise als
amnittelbare Factoren des Fortschritts der geschichtlichen Entwick-
lung ansehen, zugleich diejenigen sind, die uns als die directen An-
griffspunkte aller der menschlichen Handlungen gelten, die auf
die Vervollkommnung des gemeinschaftlichen Lebens und der Formen,
die es in Staat und Gesellschaft findet, gerichtet sind. Wegen der
eminenten Bedeutung, die diese Gebiete für die fortschreitende Ent-
wicklung der menschlichen Gemeinschaft besitzen, bilden sie nun
nicht bloss Bestandtheile der Geschichte, sondern ausserdem Ob-
jecte einer besonderen Classe systematischer Geisteswissenschaften,
die das gesellschaftliche Dasein des Menschen und den inneren
psychologischen und logischen Zusammenhang der einzelnen Bestand-
theile und Bedingungen dieses Daseins zu ihrem Inhalte haben.
Auf diese Weise liegen die Motive zur Entstehung der Gesell-
schaftswissenschaften einerseits in bestimmten Thatsachen der
historischen Erfahrung und andererseits in praktischen Forderungen.
*) Vgl. z. B. A. B r ti c k n e r , Ueber Thatsachenreihen in der Geschichte.
Pestrede zur Jahresfeier der Universität Dorpat. 1886.
436 Logik der Gesellschaftswissenschafben.
\
Viertes Capitel.
Die Logik der Gesellschaftswissenschaften.
1. Die allgemeinen GFesellfichaftswissenschaften.
a. Die Sociologie.
Der Geschiclite und den ihr durch die historische Betrachtung
der Objecte nächstverwandten Gebieten treten die Wissenschaften
Yon der Gesellschaft als eine zwar mit ihnen nahe zusammen-
hängende, aber durch die überwiegend systematische Form der
Betrachtung doch wesentlich yerschiedene Classe von Geisteswissen-
schaften gegenüber. Indem es ihre Aufgabe ist, die realen Zustande
der menschlichen Gesellschaft, insbesondere der für das menschliche
Leben wichtigsten, der Völker und Staaten, zu schildern, nach ihren
Bestandtheilen logisch zu ordnen und in ihren Bedingungen causal
zu begreifen, weist diese Aufgabe schon auf die engste Verbindung
mit der Geschichte hin. Denn jeder gegebene Zustand der Gesell-
schaft ist ja ein geschichtlich gewordener und zugleich ein ' fortan
unter der Einwirkung neuer Bedingungen sich geschichtlich ver-
ändernder. Dieser Zusammenhang, der innerhalb der Geschichts-
forschung die vorzugsweise der Entwicklung der Zustände zuge-
kehrte culturgeschichtliche Richtung entstehen Hess (S. 322 f.), macht
die Annahme relativ stabiler Zustände, wie sie die Gesellschaftswissen-
schaften ihren Untersuchungen zu Grunde legen müssen, überall zu
einer blossen Abstraction, die in diesen Gebieten selbst schon durch
eine geschichtliche Betrachtung ihre Gorrectur und Ergänzung zu
finden pflegt. Wie daher in der Geschichtsforschung die Zustands-
geschichte in ihren verschiedenen Verzweigungen eine Brücke bildet
zu den Gesellschaftswissenschaften, so stehen nicht minder in diesen
historische Disciplinen und Betrachtungsweisen der logisch-systemati-
schen Behandlung gegenüber.
Während nun aber in der Geschichte die allgemeinsten Schick-
sale der Völker und Staaten zuerst die Aufmerksamkeit fesselten,
und verhältnissmässig spät die Verzweigung in die verschiedenen
Gebiete der Wirthschafts-, Rechts-, Kunst-, Literaturgeschichte u. s. w.
eintrat, ist der Entwicklungsgang der Gesellschaftswissenschaften im
allgemeinen der umgekehrte gewesen. Hier begannen, abgesehen
Sociologie. 437
Ton der durch das Interesse am öffentlichen Leben früh erwachten
philosophischen Staatstheorie, zunächst unter dem zwingenden Ein-
fluss ihrer praktischen Bedeutung, die Einzelgebiete sich auszubilden,
allen voran die Rechtswissenschaft, später die Volkswirthschaftslehre,
während die allgemeineren Gesellschaftswissenschaften, wie die Be-
Tölkerungslehre und selbst ein strengerer wissenschaftlicher Betrieb
der Völkerkunde, ganz aus neuerer Zeit stammen. Dieser Umstand
macht es begreiflich, dass vollends die Idee einer allgemeinsten
Gesellschaftswissenschaft, die auch diesen Gebieten wieder überzu-
ordnen wäre und demnach der Gesammtheit der Socialwissenschaften
ähnlich gegenüberstünde wie die allgemeine Geschichte den ver-
schiedenen Theilgebieten historischer Forschung, nicht nur neu
sondern auch, wie meist das Neue, noch einigermassen ein Gegen-
stand des Streites ist.
Näher betrachtet ist nun aber der Begriff einer allgemeinen
Gesellschaftslehre offenbar ein nothwendiges Erzeugniss des allge-
meinen Begriffs der Gesellschaft selbst, der, allmählich aus dem Betrieb
der speciellen Socialwissenschaften hervorgegangen, alle möglichen
Formen menschlicher Vereinigung, Horde, Volk, Staat, Gemeinde,
Genossenschaften und Vereine, endlich in weiterem Umfang selbst
internationale Verbände in sich schliesst. Wie jedes in eine begriff-
liche Einheit zusammenzufassende Object, so fordert auch dieses,
der allgemeine Begriff der Gesellschaft, eine wissenschaftliche Unter-
suchung. Bezeichnen wir eine derartige Disciplin mit dem in den
heutigen Socialwissenschaften mehr und mehr in Aufnahme ge-
kommenen Namen der Sociologie, so wird es sich aber bei der
näheren Prüfung ihrer Aufgabe vor allem darum handeln festzu-
stellen, wie sie einerseits gegenüber der Geschichte und anderseits
gegenüber den verschiedenen einzelnen Socialwissenschaften zu be-
grenzen sei*).
*) Der Name .Sodologie" ist namentlich in Deutschland manchen An-
fechtungen begegnet, theüs weil er eine barbarische Wortbildung ist, theils
and besonders weil die halb geschichts- halb sodalphilosophischen S3^teme, die
unter diesem Namen gehen, und auf die wir unten zurückkommen werden, den
Begriff dieser Disciplin in eine etwas unsichere Beleuchtung gerückt haben.
Aber selbst wenn man der Meinung sein sollte, dass die Art, wie die Sociologie
in die neuere Philosophie eingeführt worden ist, auf einer theilweisen oder
^mzlichen Yerkennung der wahren Aufgaben einer derartigen Wissenschaft be-
ruhe, so wird man doch nicht leugnen können, dass es allgemeine Gesellschafts-
probleme gibt, und dass demnach auch eine allgemeine Gesellschaftswissenschaft,
theüs ab Grundlage theils als abschliessende Zusammenfassung aller einzelnen
438 Logik der GesellschafUwissenschaften.
Die Begrenzung der Sociologie gegenüber der Geschichte ergibt
sich nun zunächst daraus, dass jene die Zustände der menschlichen
Gesellschaft in ihren nach Zeit und Raum möglichen Begrenzungen,
diese aber die Vorgänge zu ihrem Inhalte hat, durch die sich
eben jene Zustände entwickelt haben. Die Gesellschaft ist eine ge-
schichtlich gewordene, und sie steht niemals still in dem Flusse
dieser Entwicklung. Nichts desto weniger sind wir nicht nur be-
rechtigt sondern sogar zum Zweck der historischen Untersuchung
genöthigt, bestimmte Zustände der Gesellschaft, die zwischen engeren
Zeitgrenzen eingeschlossen sind, innerhalb deren erhebliche Ver-
änderungen durch das Eingreifen bestimmter geschichtlicher Ereig-
nisse nicht stattfanden, als relativ beharrende anzusehen. Durch
die hier beigefügte Bedingung ist schon angedeutet, dass die Zeit-
grenzen, in denen eine solche Abstraction gestattet ist, mannigfach
wechseln können. Ueberhaupt ist hierauf der Charakter der unter-
suchten Zustände von wesentlichem Einflüsse. So sind Sitten und
Biechtsnormen und in vielen Fällen, nämlich überall wo nicht plötz-
liche politische Umwälzungen in Betracht konunen, auch die staat-
Uchen Einrichtungen meist nur einer langsamen ümbüdung zugäng-
lich, während sich die Verhältnisse des wirthschaftlichen Verkehrs
Socialwissenschafben, ihr gutes Recht hat. In der That ist dieses Recht gegen-
wärtig namentlich im Kreise der Vertreter der Nationalökonomie nnd der Staats-
wissenschaft wohl allgemein zur Anerkennung gelangt. Nur Juristen und Philo-
sophen verhalten sich noch theilweise skeptisch, die ersteren vermöge einer
conservativen Neigung, die bei 'der Jurisprudenz als der ältesten und ehr-
würdigsten unter den Social Wissenschaften mindestens entschuldbar ist, die
letzteren weil sie bei dem Wort «Sociologie* sofort nur an die philosophischen
Systeme denken, durch die — ein Verdienst das ihnen trotz aller Fehlgri£fe bleiben
wird — die Idee einer solchen allgemeinen Disciplin zuerst Verbreitung ge-
funden hat. Ist man aber einmal der Ansicht, dass Fehler in der Ausführung
den richtigen Kern des Gedankens nicht beeinträchtigen sollten, und dass
Staatswissenschafb, Nationalökonomie und selbst Jurisprudenz sämmtlich den
allgemeinen Begriff der Gesellschaft, also auch eine allgemeine Gesellschafts-
wissenschaft voraussetzen, so darf die barbarische Etymologie des Wortes
nicht hindern es anzuwenden, so lange man nicht im Stande ist es durch ein
besseres zu ersetzen, das einige Aussicht auf allgemeine Annahme hat. Dazo
ist aber wenig Hofifoung vorhanden, nachdem das Wort einmal in weiten Kreisen
Eingang gefunden. Ueberdies sprechen für dasselbe noch zwei Gründe: erstens
empfiehlt es sich, für derartige allgemeine Disciplinen Bezeichnungen zu wählen,
die dem internationalen Wortschatze angehören ; und zweitens ist das deutsche
Wort , Gesellschaftslehre ** schon allzu oft in einem specielleren Sinne, nament*
lieh in dem der Bevölkerungslehre (Demologie) gebraucht worden.
Sociologi>. 439
in schnelleren Schwankungen befinden. Zugleich versteht es sich
von selbst, dass jene Voraussetzung immer nur vorübergehend fest-
gehalten werden darf, da an die Untersuchung eines gegebenen
Zustandes sofort die Frage nach seiner Entstehung sich anschliesst.
Die Sociologie kann daher der historischen Forschung so wenig ent-
rathen wie die Physiologie der Entwicklungsgeschichte. Die Be-
ziehungen zwischen beiden Gebieten sind aber auch hier wieder
wechselseitige. Denn so sehr die Socialwissenschaft für das Verständ-
niss gegebener Zustände die Kenntniss von deren geschichtlichem
Werden verlangt, ebenso gewiss kann sie sein, dass die Resultate
ihrer Untersuchung wiederum die wichtigsten Quellen historischer
Forschung sind. Nur die späte Entwicklung einiger der hauptsäch-
lichsten GeseUschafbswissenschaften und namentlich der allgemeinen
Sociologie selbst bringt es mit sich, dass bis jetzt der erste dieser
Einflüsse fühlbarer geworden ist als der zweite.
Wie in der Ausführung ihrer Arbeiten die Sociologie an die
Geschichte gebunden ist, so wird nun auch die Gliederung der Auf-
gaben in beiden Fällen eine ähnliche sein. Demnach ist zu er-
warten, dass das Verhältniss der Sociologie zu den einzelnen Ge-
sellschaftswissenschaften dem Verhältniss der allgemeinen Geschichte
zu den specielleren historischen Disciplinen einigermassen entsprechen
werde. Verschiedene Bedingungen, namentlich der sehr abweichende
Entwicklungsgang der beiden grossen Zweige der Geisteswissen-
schaften, haben jedoch verändernd auf diese Beziehungen eingewirkt.
Die Geschichte hat mit der allgemeinsten, die Sociologie mit der
speciellsten Form der Untersuchung begonnen. Dort sind aus der
allgemeinen Geschichte, für die zunächst nur die nationale Sonderung
als Schranke bestand, spät erst die einzelnen Zweige einer Cultur-,
Literatur-, Rechtsgeschichte hervorgegangen. Hier sind die Sonder-
gebiete der Rechtswissenschaft, Politik, Wirthschaftslehre jede für
sich entstanden, und erst die neueste Zeit hat gewagt, sie einer
allgemeinen Gesellschaftslehre unterzuordnen, die ihr selbständiges
Recht hauptsächlich auf die Erwägung gründet, dass jene Einzel-
gebiete, da sie wesentlich praktischen Motiven ihre Ausbildung ver-
danken, zahlreiche Erscheinungen unbeachtet lassen, die nicht nur
an sich ein wissenschaftliches Interesse beanspruchen, sondern auch
auf die politischen, rechtlichen und wirthschaftlichen Erscheinungen
Einflüsse ausüben. In diesem Sinne sucht daher die Sociologie eine
ähnliche Stellung neben den einzelnen Socialwissenschaften einzu-
nehmen, wie sie etwa der allgemeinen Sprachwissenschaft neben der
440 Logik der GeseUschaftewissenschafken.
Grammatik einer einzelnen Sprache oder der allgemeinen Physiologie
neben der speciellen Physiologie der Pflanzen und Thiere zukommt
Während nun die Sociologie mit diesen andern allgemeineren
Wissenschaften naturgemäss das Schicksal einer späten Entwicklung
theilt, haben aber bei ihr noch besondere umstände zusammen-
gewirkt, um ihre Aufgabe als eine unsichere und selbst fragwürdige
erscheinen zu lassen. Auf der einen Seite hat die Thatsache, dass
manche Seiten des gesellschaftlichen Lebens in den speciellen Social-
wissenschaften keine Berücksichtigung finden, dahin geführt, dass
die neuere Rechtswissenschaft die Gesellschaft als einen eigenen
Lebenskreis zwischen das Einzelleben und den Staat einfügte und
so die Gesellschaftslehre als einen Zweig der Staatslehre behandelte.
Dem entsprechend erscheint hier die Gesellschaft als ein engerer
Begriff, der den Staat nicht als eine besondere Gesellschaftsfonn
einschliesst, sondern theils ihm als ergänzender Begriff gegenüber-
steht, theils sich ihm unterordnet, insofern der Staat alle gesell-
schaftlichen Verbindungen einer bestimmten Bevölkerung umfasst"*").
Auf der andern Seite hat die Philosophie, geleitet yon humanen und
socialen Bestrebungen, die Wechselbeziehung, die zwischen den ge-
gebenen Zuständen der Gesellschaft und ihrem geschichtlichen Werden
vorausgesetzt werden muss, als das eigentliche Object der Sociologie
hingestellt, als deren Hauptaufgabe demnach eine Theorie der bis-
herigen geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft und ihrer in
der Zukunft zu erwartenden Umwandlungen betrachtet wird. Die
Bedeutung dieser philosophischen Bestrebungen besteht weniger
in dem positiven Inhalt der sociologischen Systeme, als in den An-
regungen, die sie auf die Einzelforschung ausgeübt haben, und vor
allem in der in ihnen zum ersten Mal zum deutlichen Ausdruck
gelangten Erkenntniss einer unleugbar vorhandenen Lücke in dem
systematischen Zusammenhang der Geisteswissenschaften. Auguste
Comte, der Begründer der philosophischen Sociologie, ist zunächst
nicht sowohl durch sein eigenes sociologisches Studium als durch
die Analogie mit der Naturwissenschaft, speciell mit der ab-
stracten Mechanik, auf den Gedanken geführt worden, der in Wirk-
*) Vgl. R. V. Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften,
I, 1855, S. 88 ff.; Encyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl., 8. 34. Lorenz
von Stein, System der Staatswissenschaften, 2. Theil: Gesellschaftslehre, S. 51.
Gegenwärtig hat allerdings auch in der Staatswissenschaft mehr und mehr dieser
engere Begriff der Gesellschaft dem allgemeineren, nach welchem der Staat
eine besondere Gesellschaftsform ist, Platz gemacht.
Sociologie. 441
lichkeit bestimmend für die Scheidung der Socialwissenschaften von
der Oeschichte ist. Comte selbst aber hat diesen Gedanken in
seiner Sociologie in einer Weise verwerthet, die eine sichere
Umgrenzung dieser Wissenschaft unmöglich machte. Wie die
classische Mechanik, die Comtes wissenschaftliches Denken durch-
gängig bestimmte, eine Statik und Dynamik der Körper unter-
scheidet, so meinte er auch die Lehre von der Gesellschaft in eine
sociale Statik und Dynamik gliedern zu soUen, von denen es
die erstere mit den Zuständen, die letztere mit den Veränderungen
und vor allem mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft
za thun habe. Aber statt von diesen beiden Theilen nur die Lehre
Ton den Zuständen fUr die Sociologie in Anspruch zu nehmen und
die Lehre von der Entwicklungen der Geschichte zu überlassen,
nrie dies von Seiten der einzelnen Socialwissenschaften geschieht,
vereinigte Comtes Sociologie beide Aufgaben. Sie wollte Social-
wissenschaft und Geschichte zugleich sein, und da sie sich hier wie
dort auf Grund eines äusserst spärlichen empirischen Materials wesent-
lich nur in philosophischen Constructionen erging, deren Schwer-
punkt sogar durchaus auf der dynamischen Seite lag, so war der
eigentliche Inhalt der Comte'schen Sociologie eine Geschichtsphilo-
sophie, die sich fast ganz in der wiederholten Erläuterung und
pohtischen wie socialen Nutzanwendung seines „ Gesetzes der drei
Stadien* erschöpfte. (Vgl über dieses Cap. III, S. 391, 406.) Die
, Statik*, also gerade das was das eigentliche Object einer Sociologie
hätte sein sollen, kam dagegen sehr zu kurz: sie beschränkte sich
auf die Hervorhebung der allgemeinen Bedeutung socialer Corre-
lationen; und Comtes mangelhafte Kenntniss der einzelnen Social-
wissenschaften Hess es zu einer fruchtbaren Anwendung dieser all-
gemeinen Idee nicht kommen*). Ungleich werthvoller ist in letzterer
Beziehung die Sociologie Herbert Spencers, die eine Fülle
ethnologischen Materials zur Beleuchtung der verschiedenen Ent-
wicklungsstufen der menschlichen Gesellschaft beibringt. Aber indem
dieses Werk durchaus von dem Entwicklungsgedanken beherrscht
ist, und indem es vorzugsweise darauf Werth legt den Anfängen
socialer Entwicklung und der an diese gebundenen Vorstellungen,
*) Comte, Philosophie positive, besonders IV, Le^. 46, 50 und 51. üeber
die späteren Wandlungen von Comtes Lehre orientirt die Einleitung in seine
Politique positive, T. I, jetzt (1894) auch in deutscher üebersetzung erschienen
n. d. T. Der Positivismus in seinem Wesen und seiner Bedeutung. Uebersetzt
von E. Roschlau.
442 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
Sitten und Organisationsformen nachzugehen, wird es zwar im einzehien
zu einer reichen und dankenswerthen Materialiensammlung f&r die
Völkerpsychologie und Culturgeschichte ; doch sein eigentlicher socio-
logischer Oedankengehalt liegt nicht hierin, sondern in gewissen
allgemeinen philosophischen Ideen, die Spencer an jenen Stoff heran-
bringt, und nach denen er ihn zu ordnen sucht. Die Grundlagen
seiner sociologischen Theorie bilden nämlich die nach gewissen
schematischen Gesichtspunkten geordneten Entwicklungserscheinungen
in der äusseren sowohl unorganischen wie organischen Natur, wobei
namentlich die letztere, als die unmittelbare Vorstufe der mensch-
lichen Gesellschaft, zur Interpretation der socialen Erscheinungen
verwerthet wird. So ist Spencers Sociologie im wesentlichen eine
Geschichtsphilosophie, die zugleich angewandte Naturphilosophie zu
sein strebt. Dem eigentlichen Begriff der Sociologie steht er aber
noch femer als Gomte, der in seiner socialen Statik, wenn auch
in allzu abstracter Form, wenigstens gewisse allgemeine Aufgaben
richtig erfasst hatte*).
Gegenüber diesen Versuchen, welche die Grenzen der Gesell-
schaftslehre entweder zu eng ziehen, indem sie dieselbe nur als einen
untergeordneten Theil der Staatswissenschaft betrachten, oder zu weit,
indem sie, mit einziger Ausnahme der Individualpsychologie, eigent-
lich die Gesammtheit der Geisteswissenschaften in sie aufgehen lassen,
wird nun das Ezistenzrecht der Sociologie vor allem davon abhängen,
ob es wirklich möglich ist, bestimmte Aufgaben zu bezeichnen, die
an jenen allgemeinen Begriff der Gesellschaft, dem die Forderung
einer allgemeinen Gesellschaftswissenschaft ihren Ursprung verdankt,
*) Herbert Spencer, Die Prindpien der Sociologie, deutsch toq
B. Vetter, 4 Bde. (der 4. noch unvollendet), 1877—91. In Spencers «Study of
Sociology" (deutsch u. d. T. , Einleitung in die Sociologie", 2 Thle. 1875) kommen
die principi eilen Fragen und die Thatsachen der Sociologie nicht zur Erörte-
rung; dagegen enthalten sie eine Menge treffender Bemerkungen Über die Ter-
schiedenen Vorurtheile, die dem Studium des Menschen überhaupt und insonder»
heit dem der menschlichen Gresellschaft im Wege stehen. Spencers eigene
praktische üeberzeugungen im (rebiete der Sociologie und Politik kommen
übrigens mehr in seinen Schriften zur Ethik zum Ausdruck als in der Sociologie.
Vgl. besonders ,The Man versus the state" und , Justice*, letzteres als 4. Theil
der Ethik, übersetzt von Vetter, 1892. Zur Kritik der Spencer'schen Sociologie
vgl. F. Tönnies, Phü. Monatshefte Bd. 25, S. 50; 28, S. 37 ff. und P. Barth,
Vierteljahrsschr. f. wiss. Phil. XVII, S. 178 ff. Auf einige weitere Bearbeitungen
der Sociologie aus neuerer Zeit (von Schaf fle, Grumplowiczu. A.) wird wegen
ihrer besonderen Bedeutung für die Staatswissenschaft erst später (unter d)
einzugehen sein.
Sociologie. 443
geknüpft sind. Dabei ist es natürlich von vornherein ganz gleich-
gültig, ob solche Aufgaben von irgend welchen bereits vorhandenen
Disciplinen zu lösen versucht werden, oder ob hier noch eine Lücke
m dem System der Wissenschaften besteht. Insoweit ersteres der
Fall ist, wird es nur erforderlich sein die Stellen zu bezeichnen, die
jene schon vorhandenen Gebiete in dem allgemeinen Umfang der
sociologischen Aufgaben einnehmen. Insoweit aber letzteres zutreffen
sollte, werden natürlich die Probleme einer solchen noch nicht exi-
stirenden Zukunftewissenschaft näher zu bezeichnen sein.
Nun lassen sich in der That drei Fragen unterscheiden, deren
Beantwortung nothwendig zu den Aufgaben einer allgemeinen Socio-
logie gerechnet werden muss, und deren jede zugleich das Grund-
problem einer bereits bestehenden Wissenschaft ausmacht.
Die erste dieser Fragen bezieht sich auf die Gliederung
der menschlichen Gesellschaft in ihrer Gesammtheit. Mit
ilir beschäftigt sich die Völkerkunde oder Ethnologie. Da sie
ebensowohl die physischen wie die geistigen Eigenschaften des
Menschen berücksichtigt, so reicht sie mit ihren Aufgaben zu-
gleich in das Gebiet der Naturwissenschaften. Doch wie bei der
Abgrenzung der Geisteswissenschaften überhaupt, so entscheidet
auch hier das vorwaltende Interesse. Die Ethnologie kann eben
80 wenig wie die Psychologie von der physischen Seite des
Menschen abstrahiren. Aber diese hat für beide ihre wesentlichste
Bedeutung darin, dass sie die Trägerin der geistigen Eigenschaften
ist. Vom bloss naturwissenschaftlichen Standpunkte aus betrachtet
gehört der Mensch in die Zoologie; naturgeschichtlich bilden die
Völker unbedeutende Spielarten einiger Hauptrassen. Gerade da
wo das zoologische Interesse aufhört beginnt aber das ethnologische,
für das die geringen Unterschiede der nahe verwandten Culturvölker
am meisten ins Gewicht fallen. Da femer die Ethnologie die geistigen
Charaktere der Völker in ihrer Bedingtheit durch die physischen
Einflüsse der Organisation und des Wohnorts und in ihrer Rück-
wirkung auf die socialen und historischen Erscheinungen untersucht,
so schliesst sie sich auf das engste an die Psychologie, zunächst an
die Völkerpsychologie an. Wie diese das Fundament der Geistes-
wissenschaften überhaupt, so bildet jene eine Grundlage der socialen
und dadurch indirect zugleich der historischen Wissenschaften. Hier-
bei bringt es aber die Allgemeinheit ihrer Aufgabe mit sich, dass
sie auch relativ unthätige und vor allem sich selbst ihrer Zusammen-
gehörigkeit durchaus nicht bewusste Glieder der menschlichen Ge-
444 Logik der GesellschaftswiBsenscbafteii.
Seilschaft berücksichtigt. Ueberdies ist in absolutem Sinne gleich-
gültig für die Menschheit vielleicht kein noch so verwahrloster und
isolirter Stamm; die Geschichte der Völkerwanderungen, der Ent-
deckungen und der Colonisationen ist erfüllt von den Wirkungen
des culturlosen Theiles der Menschheit auf die Culturvölker. Ebenso
wenig wie innerhalb eines einzelnen Volkes die unmündigen ausser-
halb der Gesellschaft stehen, sind daher die Naturvölker auszuschliessen
von der menschlichen Gesellschaft überhaupt. So ist es denn zweifel-
los, dass jene universelle Social Wissenschaft, welche die Vertreter
der philosophischen Sociologie als ein Desiderat betrachteten ^ nach
einer Richtung wenigstens thatsächlich existirt. Die Ethnologie
ist eine universelle Sociologie. Denn eine allgemeine Lehre von der
menschlichen Gesellschaft wird sich als eine Hauptaufgabe die stellen
müssen, das Ganze der Menschheit in Bezug auf die eigenthümlichen
Unterschiede, die sich in ihm durch Naturbedingungen und geistige
Eigenschafben entwickelt haben, einer zusammenfassenden Unter-
suchung zu unterwerfen.
An die Erledigung der ethnologischen Probleme schliesst sich
sodann eine zweite Frage an. Sie bezieht sich auf die Erschei-
nungen des gesellschaftlichen Lebens in ihrem wechsel-
seitigen Zusammenhang. Mit ihr beschäftigt sich eine eben-
falls bereits bestehende Wissenschaft, die Bevölkerungskunde
oder Demologie*). Während die Völkerkunde die Menschheit in
ihre durch Abstammung und Geschichte bedingten Zweige gliedert,
jeden der letzteren aber nach allen Richtungen seines geistigen
Lebens schildert, geht die Bevölkerungskunde von einer einzelnen
fest begrenzten Gemeinschaft aus, um an ihr zuerst successiv die
*) Die Ausdrücke Demologie und Demographie sind wohl zuerst
von E. Engel und G. Kümelin gebraucht worden. (Vgl. des Letzteren
Reden und Aufsätze, I, S. 261.) Von beiden Ausdrücken hat in der Praxis unter
dem Einfluss der , demographischen Congresse* imd ihrer Berichte vorzugsweise
der zweite Eingang gefunden. Auch hat dies seine Berechtigung darin, dass
die Bevölkerungslehre bis jetzt noch wesentlich eine beschreibende Disciplin
ist. Dies verhält sich aber mit der Ethnologie kaum anders; und da man
immerhin diesen Gebieten die Aufgabe zuerkennen muss , nicht bloss über die
Thatsachen selbst sondern auch über ihren Zusammenhang Rechenschaft zu geben,
so dürfte schon nach der Uebereinstimmung mit der sonstigen wissenschaftlichen
Terminologie das Wort Demologie vorzuziehen sein. Weniger passend und
wegen der Verwechslung mit der gleichbenannten Methode leicht irreführend
ist der noch immer für das nämliche Gebiet nicht selten gebrauchte Ausdruck
Statistik.
Sociologie. 445
einzelnen socialen Erscheinungen für sich zu betrachten und sie sodann
einer Prüfung in Bezug auf ihre wechselseitigen Beziehungen zu
unterwerfen. In der Regel bezeichnet dabei die ethnologische Ein-
heit, das Volk, das umfassendste Object der Untersuchung; selten
nur erstreckt sich diese auf einen Complex von Völkern, viel häu-
figer schreitet sie zu engeren Scheidungen fort, indem sie die Be-
Tölkerungen einzelner Provinzen, Städte, Ortschaften als nächste
Objecto der Analyse betrachtet.
Die zuletzt erwähnten Untersuchungen führen endlich zu einer
dritten, für die Anwendungen der Sociologie auf das praktische
Leben wichtigsten Frage. Sie bezieht sich auf die Bedingungen
und Eigenschaften der Organisationsformen der Gesell-
schaft. Da unter diesen socialen Organisationen der Staat für
den Culturmenschen die wichtigste Stelle einnimmt, so gehört diese
Frage vor das Forum der ältesten unter den Socialwissenschaften,
der Staatswissenschaft oder Politik*). Der Name, in welchem
in diesem Falle der wichtigste Theil für das Ganze gesetzt ist, darf
über die Tragweite der Aufgaben einer wissenschaftlichen Politik
nicht täuschen. Diese hat zu jeder Zeit die Untersuchung der wich-
tigsten im Staate enthaltenen oder neben ihm bestehenden gesell-
schaftlichen Organisationen mindestens als eine wichtige Nebenauf-
gabe betrachtet. Freilich ist aber der ganze Umfang dieser Probleme
erst von der neueren Staatswissenschaft erkannt worden, so dass die
Betrachtung der im Staate sich durchkreuzenden, theils ihn bestim-
menden theils von ihm abhängigen socialen Organisationen eine immer
grössere Bedeutung gewann und so die Staatswissenschaft selbst
mehr und mehr thatsächlich zu einer allgemeinen Lehre von den
socialen Organisationen erweitert hat. An die Staatswissenschaft
schliessen sich daher auch unmittelbar diejenigen Disciplinen, die
aus den gesammten Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens
solche herausgreifen, die theils für die Erhaltung theils für die
Organisation der Gesellschaft eine hervorragende Bedeutung be-
sitzen, und die wir als die speciellen Gesellschaftswissenschaften
jenen allgemeinen gegenüberstellen .können. Sie sind die Volk s-
wirthschaftslehre und die Rechtswissenschaft. Insofern
Wirthschaft und Recht zu den wichtigsten Grundlagen der staat-
*) Der Name , Politik* hat, wenn es auch an Arbeiten nicht fehlt, die
das Wort im Sinne des Aristoteles verstehen, doch durch die vorwiegende Be-
ziehung auf die praktische Staatskunst eine Nebenbedeutung angenommen, die
Her im allgemeinen dem deutschen Wort den Vorzug verschafft hat.
446 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
liehen Organisation gehören, lassen sich beide auch als Abzwei-
gungen der Staatswissenschaft betrachten, die sich von dem sonstigen
Inhalt der letzteren nur in Folge des eigenthümlichen systematischen
Zusammenhaugs und des grossen Umfangs ihrer Arbeitsgebiete ge-
sondert haben.
Völkerkunde, Bevölkerungslehre und Staatswissenschaft bilden
demnach drei Gebiete, die in ihrer Vereinigung den wichtigsten Theil
der Aufgaben lösen, die man einer allgemeinen Sociologie stellen
kann. Ja es könnte scheinen, dass jene drei allgemeinen Fragen,
mit deren Beantwortung sich diese drei Wissenschaften beschäftigen,
eigentlich die s'ämmtlichen Probleme umfassen, die überhaupt
hier aufzuwerfen sind, so dass füi' eine weitere Wissenschaft
neben ihnen gar kein Platz mehr ist oder doch, wenn jene Fragen
zureichend behandelt werden, keiner mehr sein sollte. Denn es ist
kaum einzusehen, auf was anderes irgend ein sociologisches Problem
sich sollte beziehen können, als entweder auf die allgemeinen Eigen-
schaften irgend einer menschlichen Volksgemeinschaft in ihrem Ver-
hältniss zu dem Ganzen der menschlichen Gattung, oder auf die
Verhältnisse der einzelnen socialen Erscheinungen innerhalb einer
bestimmten Gesellschaft, oder endlich auf die Organisationsformen
der verschiedenen Gesellschaften und Gemeinschaften und auf die
in ihren Organisationsbedingungen begründeten Wechselwirkungen.
Auch ist es augenfällig, dass die verschiedenen Entwürfe philoso-
phischer Sociologie, sobald sie das bedenkliche Terrain geschichts-
philosophischer Constructionen oder naturphilosophischer Analogien
verliessen, um sich mit den wirklichen Thatsachen des gesellschaft-
lichen Lebens zu beschäftigen, entweder, wie Comte, auf das Gebiet
der Politik, oder, wie Spencer, auf das der Ethnologie und Völker-
psychologie gerathen sind. So kommt diese philosophische Sociologie
den wirklich ezistirenden allgemeinen Socialwissenschaften gegenüber
genau in die nämliche unhaltbare Stellung, wie sie die Geschichts-
philosophie der Universalgeschichte gegenüber einnimmt. Gerade
so wenig wie jene Geschichtsphilosophie, die nichts anderes als eine
von philosophischen Bemerkungen begleitete Weltgeschichte ist, neben
der wirklichen Geschichte auf eine selbständige Aufgabe Anspruch
erheben kann, gerade so wenig ist das bei einer Sociologie der Fall,
die im einzelnen nichts bietet als einen allgemeinen Abriss der schon
bestehenden allgemeinen Socialwissenschaften, je nach Umstanden
mit besonderer Bevorzugung der einen oder andern unter ihnen und
mit hinzugefügten allgemeinen Ergebnissen. Gehört jenes Material
Sociologie. 447
an und für sich zur Domäne der einzelnen Wissenschaften, denen
es entlehnt wird, so lässt sich von diesen allgemeinen Ergebnissen
sagen, dass sie ihnen ebenfalls zugehören, wenn sie richtig, und dass
sie nirgends hingehören, wenn sie falsch sind.
Dennoch gibt es einen Gesichtspunkt, unter dem hier wie
überall die der Einzelforschung nachfolgende philosophische Behand-
lung ihr gutes Recht hat. Ueberall da nämlich, wo in den einzelnen
sociologischen Gebieten allgemeine Begriffe und Principien
zur Geltung kommen, die eben deshalb weil sie allen Gebieten ge-
meinsam sind in keinem einzelnen eine endgültige Erörterung finden
können, und überall da wo die sociologischen Probleme auf all-
gemeine psychologische, erkenntnisstheoretische oder ethische Fragen
zurückführen, da bedarf natürlich das System jener Wissenschaften
einer ergänzenden philosophischen Untersuchung. Da jedoch eine
solche Untersuchung ihrer Aufgabe nach nur auf die Principien,
niemals direct auf die zur Domäne der Einzelwissenschaften ge-
hörigen Thatsachen gerichtet ist, so überschreitet eine Sociologie,
die neben der Untersuchung der Principien auch noch den wesent-
lichen Inhalt der sociologischen Wissenschaften selbst behandelt, gerade
so ihre wirkliche Aufgabe, wie dies jene Geschichtsphilosophie thut,
die zugleich Universalgeschichte sein will. Hier wie dort ist dieses
Verfahren vor allem deshalb zu verwerfen, weil eine solche Ge-
bietsüberschreitung keineswegs in einer an sich unschuldigen Wieder-
holung eines schon anderwärts vorhandenen Inhalts besteht, sondern
weil sich dahinter stets zugleich die Tendenz verbirgt, die That-
sachen willkürlich nach speculativen Gesichtspunkten zu verbinden,
wobei dann solche Gesichtspunkte nicht den Thatsachen selbst son-
dern fremden Gebieten entlehnt sind oder in irgend welchen philo-
sophischen Vorurtheilen ihre Quelle haben. Bei dieser Vermengung
der Aufgaben pflegt aber in der Sociologie wie in der Ge-
schichtsphilosophie das was wirklich eine philosophische Aufgabe
ist, nämlich die Aufsuchung und kritische Untersuchung der von
den einzelnen Wissenschaften stillschweigend vorausgesetzten Prin-
cipien, nothwendiger Weise zu kurz zu kommen. Da die Erörterung
dieser Principien zunächst eine logische Aufgabe ist, so werden
wir am Schlüsse dieses Capitels, nach der methodologischen Be-
trachtung der einzelnen Socialwissenschaften, auf sie eingehen.
448 Logik der GesellBchaftswissenschaften.
b. Die Ethnologie.
Der sociale Zustand des Menschen wird yor allem bestimmt
durch die .Volksgemeinschaft, der er angehört In ihr wurzeln
die allgemeinsten Grundlagen des gemeinsamen Lebens, Sprache,
Sitten, religiöse Anschauungen; und auf ihren Eigenschaften beruhen
die ursprünglichen Formen gesellschaftlicher Organisation von der
Horde und Familie an bis hinauf zum Staate. In diesem Sinne ist
daher die Völkerkunde die Grundlage aller andern Socialwissen-
schaften. Sie selbst aber ruht wieder auf der Völkerpsychologie,
mit der sie zugleich in jener überall bei den Geisteswissenschaften
wiederkehrenden Wechselwirkung steht, dass sie ihr einen grossen
Theil der speciellen Thatsachen übermittelt, aus denen allgemeine
psychologische Folgerungen zu ziehen sind, worauf sie dann ihrerseits
diesen wieder die Gesichtspunkte für die psychologische Charakte-
ristik der einzelnen Völker entnehmen muss. Weiterhin steht aber
die Völkerkunde, da sie überall die natürlichen Lebensbedingungen
der Völker und ihre physischen Eigenschaften in Betracht zu ziehen
hat, in enger Verbindung mit gewissen Naturwissenschaften : so vor
allem wegen der Abhängigkeit der Völker yon ihrer räumlichen
Verbreitung auf der Erde mit der Erdkunde, und wegen der Beziehung
ihrer physischen Charaktere zu den allgemeinen zoologischen Eigen-
schaften des Menschen mit der physischen Anthropologie, die
zugleich ihr gegenüber die Bedeutung einer Hülfsdisciplin hat, in-
sofern ihre Methoden zur Feststellung der körperlichen Eigen-
thümlichkeiten der Völker dienen. Aber der abweichende Standpunkt
der Ethnologie von dem dieser angrenzenden Naturwissenschaften
verräth sich darin, dass sie bei der Lösung ihrer Aufgaben histo-
risthen und socialen Thatsachen eine eingehende Rücksicht schenkt,
und dass ihre wichtigsten Aufgaben sociologischer, nicht naturwissen-
schaftlicher Art sind. Namentlich gehören hierher zwei Probleme:
das der Abstammung und der Verwandtschaftsbeziehungen der ein-
zelnen Völker, und das der Veränderung des ethnologischen Charak-
ters durch Natureinflüsse und Culturbedingungen. Beide Probleme
stehen in nahem Zusammenhange, da die Lösung des ersten nicht
selten durch die Thatsachen, mit denen sich das zweite beschäftigt,
erschwert oder unmöglich gemacht wird. Deshalb können aber auch
schon bei der Behandlung des an sich dem naturhistorischen Gebiet
am nächsten stehenden genealogischen Problems historische und
Ethnologie. 449
philologische Hülfsmittel nicht entbehrt werden. Neben den physi-
schen Eigenschaften bildet die Sprache das hauptsächlichste Zeug-
niss gemeinsamer Abstammung, und ausser ihr können Gemeinsam-
keit der Eunsterzeugnisse, der Sage und Sitte sowie die historische
Tradition in Betracht kommen. Je vielgestaltiger diese Hülfsmittel
sind, um so grössere Vorsicht erheischt ihre Benützung. Wie unzu-
länglich aber hier die ausschliessliche Yerwerthung einer Gruppe
von Merkmalen ist, dafür liefern gewisse auf Grund der Kranio-
metrie unternommene ethnologische Classificationen sowie die aus
der Verbreitung einzelner Sagen, wie z. B. der Fluthsage, gezogenen
Schlüsse warnende Beispiele. Im allgemeinen hat sich aus nahe-
liegenden Gründen die Sprache als dasjenige Merkmal erwiesen,
welches bei den Gulturvölkem die sichersten Anhaltspunkte liefert,
während bei den Naturrölkem den physischen Eigenschaften ein
grösseres Gewicht beizumessen ist. Dabei ist freilich nie zu ver-
gessen, dass im allgemeinen alle Merkmale mehrdeutiger Art sind.
Nicht nur Sagen, Sitten, Formen der Kunst und der Technik können
sich von einem Volk zum andern verbreiten, sondern selbst die
Sprache und die physischen Eigenschaften können durch den Ver-
kehr und durch die Vermischungen der Völker Veränderungen
erfahren, die ihre Verwerthung zu genealogischen Schlüssen er-
schweren. Im allgemeinen kann darum hier überall erst auf Grund
des Uebergewichts oder der Verbindung gewisser Merkmale zwischen
jenen verschiedenen Möglichkeiten entschieden werden, die früher
schon an dem Beispiel des Mythus eingehender erörtert worden
sind. (Vgl. Cap. I, S. 103 ff.)
Ungleich schwieriger noch als die genealogische Frage gestaltet
sich aber das Problem der ethnologischen Veränderungen. Hier
geht zunächst die ethnologische mit der geographischen Untersuchung
Hand in Hand, indem sie den Einfluss von Klima, Bodenbeschaffen-
heit, Oberflächengestaltung und Umgebung auf die physischen und
geistigen Eigenschaften zu ermitteln sucht. Die grosse Schwierig-
keit liegt hier darin, dass kein anderer Weg als die Generalisation
auf Grund vergleichender Beobachtungen möglich, und dass doch
die Zahl der Thatsachen, die der Generalisation zur Verfügung
stehen, viel zu klein ist, um so mehr da nicht selten entgegengesetzte
Einflüsse zu der schon gewonnenen Regel Ausnahmen hinzutreten
lassen. Meist bleibt dann nichts anderes übrig, als der Schwäche
solcher Verallgemeinerungen durch eine psychologische Deduction
Wandt, Logik. II, 2. 2. Aufl. 29
450 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
zu Hülfe zu kommen, die das Resultat von vornlierein als ein an sich
wahrscheinliches erscheinen lässt.
Die Methoden der Ethnologie bestehen hiemach in einer
Verbindung der beiden vergleichenden Methoden, der individuellen
und der generischen, wobei, ganz wie in den entsprechenden Dis-
ciplinen der Naturgeschichte, der letzteren der entscheidende An-
theil zukommt. Dies ergibt sich schon daraus, dass fbr die Ethno-
logie die Resultate der Vergleichung erst bedeutsam werden, wenn
sie nicht vereinzelt bleiben, sondern sich in einer grossen Zahl von
Fällen wiederholen. Der einzelne Fall, z. B. die Verbreitung einer
Sage, die Aufnahme eines Wortes, kann historisch wichtig sein,
da er unter allen umständen auf geschichtliche Verbindungen hin-
weist; für ethnologische Zusammenhänge bleibt der einzelne Fall
unerheblich. Die individuelle Vergleichung tritt darum hier, ganz
so wie in den verwandten Gebieten der systematischen Naturwissen-
schaft, in die Rolle eines die generische Vergleichung vorbereitenden
Verfahrens zurück. Anderseits ist aber ebenso die statistische Me-
thode, die in der Bevölkerungslehre eine so grosse Rolle spielt, für
die Ethnologie von relativ untergeordneter Bedeutung. Ihre An-
wendung beschränkt sich hier auf die numerische Feststellung der
Angehörigen eines bestimmten Volksstammes oder bei gemischten
Bevölkerungen auf die Bestimmung der Zahlenverhältnisse der ein-
zelnen Rassenbestandtheile, kurz auf diejenigen Gliederungen, die
eine ethnologische Bedeutung besitzen. Sobald sich die statistische
Untersuchung irgend welchen anderen gesellschaftlichen Unterschie-
den, wie Berufs-, Standes-, Besitzverhältnissen u. dergl., oder gar
der Frequenz gewisser Lebenserscheinungen und Willenshandlungen,
wie der Geburten und Todesfälle, der Eheschliessungen, der Ver-
brechen, zuwendet, so begibt sie sich vom Gebiet der Völkerkunde
auf das der Bevölkerungslehre, womit aber natürlich nicht gesagt
ist, dass die Ethnologie nicht solche demologische Untersuchungen
für ihre Zwecke, namentlich für die Charakterisirung einer bestimm-
ten Volksgemeinschaft, verwerthen könne. Das Verhältniss ist eben
auch hier wieder ein solches der wechselseitigen Beziehungen. Die
Ethnologie als die allgemeinere Disciplin überliefert der Bevölke-
rungslehre diejenigen Gesellschaftsbegriffe, die allen weiteren socialen
Unterscheidungen zu Grunde zu legen sind; und die Demoiogie
trägt dann wieder durch ihre Resultate zur Vertiefung der ethno-
logischen Aufgaben bei. Im ganzen aber bringt es dieses Verhältniss
mit sich, dass sich die Ethnologie zumeist auf ein qualitatives
Ethnologie. 451
Verfahren beschränkt, während die zu dessen Ergänzung erforder-
lichen quantitativen Bestimmungen bereits in das Gebiet der
Bevdlkerungslehre hinüberreichen.
Die generischen Vergleichungen der Ethnologie pflegen nun
r^elmässig mit einem Hauptmerkmal zu beginnen, dieses über die
Glieder einer bestimmten ethnologischen Gruppe nach Massgabe ihrer
geographischen Verbreitungsgebiete zu verfolgen und daran die Ver-
gleichung anderer Eigenschaften anzuschliessen, die jenem Haupt-
merkmal gegenüber die Stellung secundärer Zeugnisse einnehmen,
welche entweder das dort gewonnene Ergebniss bekräftigen oder
modificiren. W. von Humboldt gebührt das Verdienst, als der
Erste auf weit von einander entfernten Gebieten der Ethnologie als
ein solches Hauptmerkmal die Sprache methodisch verwerthet zu
haben. Wie er in einer seiner früheren Arbeiten*) aus Orts- und
Flussnamen auf die einstigen Verbreitungsgebiete baskischer und
keltischer Stämme in Spanien und Südfrankreich wichtige Schlüsse
zog, so widmete er einen Theil seines letzten grossen Werkes dem
Nachweis, dass die Bewohner der malayo-polynesischen Inselwelt
nach den Merkmalen ihrer Sprache Glieder einer einzigen Elasse
seien, die sich allmählich von Westen nach Osten ausgebreitet habe**).
Dieses sprachwissenschaftliche Ergebniss ist dann durch manche
secundäre Zeugnisse, wie die Verbreitung von Kunstfertigkeiten, Sitten
und Sagen, endlich auch durch die gleich gerichtete Wanderung
gewisser Hausthiere bestätigt worden***). Die neuere Ethnologie
hat dieses vergleichende Verfahren mehr und mehr auf speciellere
Merkmale , wie z. B. auf besondere Formen der Bewaffnung, Eigen-
thümlichkeiten der Tracht, der Tattuirung u. dergl. ausgedehnt f).
Je singulärer und je äusserlicher dabei die gewählten Merkmale
*) Prüfung der Untersuchangen über die ürbewohner Spaniens vermittelst
der Yaskischen Sprache, 1821. Werke, 11, S. 1 ff.
**)W. von Humboldt, Ueber die Eawisprache auf der Insel Java,
Bd. ni, 1839. Ueber den gegenwärtigen durchweg mit Humboldts Ergebnissen
Übereinstimmenden Stand der Untersuchungen vgl. Fr. M ü 1 1 e r , Grundriss der
Sprachwissenschaft, Bd. U, Abth. 2, S. 1 ff.
**♦) Waitz-Gerland, Anthropologie der Naturvölker, Bd. 5, 2. Abth.,
S. 18 ff.
t) Vgl. z. B. Ratzel, Die afrikanischen Bögen, ihre Verbreitung und
Verwandtschaften, Abh. der sächs. Ges. der Wiss. Philologisch-historische
Classe, Xni, S. 291. H. Schurtz, Grundzüge einer Philosophie der Tracht.
1891. (Enthält hauptsächlich Untersuchungen über die Verbreitung der Neger-
trachten.)
452 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
sind, um so wahrscheinlicher wird es freilich, dass sie nicht in
ursprünglichen Völkerzusammenhängen sondern in Einflüssen des
Verkehrs und in der allmählichen Ausbreitung ursprünglich indivi-
dueller Aneignungen ihren Grund haben.
Wesentlich verschieden nach Inhalt und Zweck von diesen
Vergleichungen ethnologischer Merkmale sind diejenigen Unter-
suchungen , die das Verh<niss der einzelnen Völker zu ihren Ver-
breitungsgebieten, insbesondere ihre Abhängigkeit yon der geographi-
schen Beschaffenheit der Länder und die Wirkungen der Natur-
bedingungen auf ihre Eigenschaften zum Gegenstande haben. In
dieser Richtung hat vor allen Carl Ritter, angeregt durch Her-
ders geschichtsphilosophische Ideen, in seiner Erdkunde die ethno-
logischen Probleme behandelt, ohne dadurch freilich auf die Ethno-
logie selbst , die zum Theil im bewussten Gegensatz gegen jene
Geschichtsphilosophie die Natureinflüsse gänzlich leugnete oder auf
ein kleinstes Mass zu beschränken suchte, in der nächsten Zeit eine
sonderliche Wirkung auszuüben "*"). Erst als die demologischen Me-
thoden auf die Ethnologie herüberzuwirken begannen, wurde all-
mählich in bescheideneren Grenzen, als es in jenen der Erfahrung
vorauseilenden geschichtsphilosophischen Speculationen geschehen war,
eine Reihe hierher gehöriger Fragen mit methodischer Strenge auf-
genommen. In erster Linie standen hier die an das demologische
Gebiet nahe angrenzenden Untersuchungen über die Beziehungen
der Ansiedelungen zu Küsten- und Flussläufen, zur Bodenbeschaffen-
*) Man vergleiche z. B. die Bemerkungen Peschels in seinen Neuen
Problemen der vergleichenden Erdkunde, 2. Aufl. 1876, S. 3. Wenn Feschel
hier den Begründer der vergleichenden Erdkunde einer Teleologie bezichtigt,
welche die Erdtheile wie .grosse Individuen'' betrachte, die «mit ungezügelter
Parteinahme in die Geschicke der Menschen eingreifen* , so trifft dieser Voi>
wurf doch nur die in der Form teleologische und nicht selten bildliche Dar- .
Stellung Ritters, auch vielleicht eine gewisse Ueberschätzung der klimatischen
Einflüsse, aber sicher nicht den an sich richtigen Grundgedanken, der durch-
aus nichts Teleologisches an sich hat, da die geographischen Bedingungen
zweifellos zu den Ursachen gehören, welche die ethnologischen Eigenschaften
bestimmen. In welchem Umfange das geschieht, ist freilich eine Frage, die
erst durch concrete Untersuchungen festzustellen ist, und hier ist ja zuzugeben,
dass die ältere Anthropologie mit der Annahme einer directen Einwirkung der
Naturbedingungen auf den physischen und geistigen Habitus des Menschen allzu
freigebig war. Das ,post hoc' galt auch hier meist ohne weiteres für ein
,propter hoc*. So viel sich jetzt Übersehen lässt, wirken die geographischen
Bedingungen vielmehr indirect als direct, und jedenfalls sind es diese indirecten
Einflüsse allein, die sich einigermassen nachweisen lassen.
Ethnologie. 453
heit und zu andern für die materielle Existenz wichtigen Natur-
bedingungen"*"). Nach Inhalt wie Methode bilden diese Untersuchungen
ein Grenzgebiet zwischen Ethnologie und Bevölkerungslehre. Dieser
Stellung entsprechend haben sie eine doppelte Bedeutung. Zunächst
dienen die durch individuelle Vergleichung aufgefundenen Ueberein-
stimnGiungen und Unterschiede zur ethnologischen Charakteristik der
einzelnen Völker. Sodann bilden sie, sobald sie durch generelle
Vergleichung bestätigt werden, die Grundlagen für die Feststellung
gewisser bei den verschiedenen Völkern wiederkehrender Gleich-
förmigkeiten der Verbreitung und der culturellen Eigenschaften je
nach den vorhandenen Naturbedingungen.
Für die Darstellung der Ergebnisse beider Formen ethnologi-
scher Vergleichung ist die kartographische Veranschaulichung
ein nützliches Hülfsmittel. Sie gestattet den Inhalt weitläufiger Er-
örterungen in ein mit einem Blick zu überschauendes einheitliches
Bild zusammenzufassen. In ihrer einfachsten Anwendung, als Völker-
karte, dient sie der Darstellung der Verbreitung von Bevölkerungen,
deren Gebiete zugleich mit bestimmten geographischen Grenzen zu-
sammenfallen. In diesem Fall bildet die ethnologische ein Seiten-
stück zur politischen Karte. Aber da die Stammesgrenzen wegen
der allmählichen Uebergänge in der Regel nicht so scharf zu ziehen
sind wie die Staatsgrenzen, so werden schon hier meist verwickeitere
Modificationen der Darstellung erforderlich, die sich um so mehr
häufen, je mehr auf die über ein ganzes Territorium sich erstrecken-
den Mischungen oder auf feinere Stammeseigenthümlichkeiten Rück-
sicht genommen wird. Können in diesem Fall verschiedene Dichtig-
keiten der Bevölkerung durch die Tiefe des Farbentons, unerheblichere
Beimengungen anderer ethnologischer Bestandtheile durch eine ver-
schiedene Schraffirung, die selbst wieder eine die Bevölkerungsdichte
yersinnlichende Verstärkung zulässt, dargestellt werden, so nöthigt
doch, sobald mehrere Mischungen neben einander hergehen, schon
dieses einfache Problem zu einer Auseinanderlegung des nämlichen
Gegenstandes in eine Anzahl parallel laufender Karten, die zusammen
erst die sämmtlichen ethnologischen Verhältnisse eines Landes einiger-
massen erschöpfend zur Darstellung bringen. Zu diesen Völker-
nnd Stammeskarten, denen die menschlichen Individuen in der Ge-
*) Eine Reihe von Beispielen solcher statistisch-ethnologischer Betrach-
tangen vgl. im n. Theil von Ratzeis Anthropogeographie , 1891, besonders
die Abschnitte Über die Wohnplätze und die geographische Verbreitung von
Völkermerkmalen, S. 401 und 631 ff.
454 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
sammtheit ihrer ethnologischen Merkmale als Unterlage dienen, kommen
als eine zweite Glasse die ethnologisch-topographischen Karten,
die theils die Verbreitung der verschiedenen Formen von Ansiede-
lungen, Städte, Dörfer, Höfe, Burgen u. s. w., theils die besonderen
in unmittelbarem Zusammenhang mit der menschlichen Cultur stehen-
den Verhältnisse der Cultur des Bodens, Acker, Weideland, Wald
u. s. w. , überblicken lassen. Auch sie fassen je nach umstanden
mehrere dieser Elemente in einem Bild zusammen oder yertheilen
verschiedene Gruppen derselben auf mehrere geographisch gleich-
bedeutende Bilder. Dazu kommt endlich als eine dritte Classe die
der Merkmalskarten, die die Verbreitung irgend welcher ethno-
logischer Eigenschaften , wie gewisser Dialektunterschiede, Sitten,
Trachten, Bewaffnungen, Eigenthümlichkeiten der Ortsbezeichnung
u. a., auf einer oder wieder auf mehreren parallel laufenden Karten
veranschaulichen, wobei durchweg die Frequenz der Merkmale durch
die bei den Völkerkarten erwähnten Httlfsmittel ausgedrückt wird.
Auch in diesen Fällen bleibt die ethnologische an die geographische
Karte gebunden. Das bildet einen zwar nicht immer, aber doch in
den vorzugsweise charakteristischen Fällen zutreffenden Unterschied
von der demologischen Karte, die überall da, wo in einer An-
zahl zusammengehöriger graphischer Darstellungen die topographische
Unterlage als constant vorausgesetzt bleibt, unmittelbar eine den
quantitativen Verhältnissen der Erscheinungen genauer Brechnung
tragende geometrische Versinnlichung zu Hülfe ninunt. (Vgl. unten, c)
Die demographische Darstellung bleibt nur dann ebenfalls an die
geographische Karte gebunden, wenn ihr Inhalt dem oben erwähnten
Zwischengebiet zwischen Völkerkunde und Bevölkerungslehre zu-
gehört.
Gegenüber den beiden Problemen der genealogischen Beziehun-
gen und der ethnologisch-geographischen Abhängigkeitsverhältnisse
ist nun bis jetzt eine dritte wichtige Aufgabe der Ethnologie, die
der ethnologischen Charakterologie, nach ihrer wichtigsten,
der psychologischen Seite verhältnissmässig zurückgeblieben.
Zwar an Schilderungen von religiösen Anschauungen, Sitten, Kunst*
leistungen, Temperaments- und Charaktereigenthümlichkeiten fehlt
es in keinem ethnologischen Werke. Aber diese Schilderungen be-
finden sich durchgängig noch auf der Stufe einer Sammlung von
tbatsächlichem Material, ohne tiefere psychologische Verwerthung;
und das allen jenen Eigenschaften gegenüber grundlegende geistige
Erzeugniss, die Sprache, hat als charakterologisches Merkmal bis
Bevölkerungslehre. 455
jetzt kaum eine eingehendere Beachtung gefunden. Und doch wür-
den zweifellos auch jene andern psychischen Eigenschaften in ein
helleres Licht rücken, wenn dafür erst durch die Erforschung des
in der Sprache seinen unmittelbarsten Ausdruck findenden Denkens
eine Grundlage gewonnen wäre. Dazu fehlt es aber an einer zu-
reichenden Psychologie der Sprache, wie denn überhaupt dieser
Mangel der ethnologischen Charakterologie offenbar mit der bis da-
hin noch allzu geringen Ausbildung der Völkerpsychologie zusammen-
hängt, die hier für die psychische Seite der Ethnologie eine ebenso
unerlässliche Grundlage sein sollte, wie in physischer Beziehung die
physische Anthropologie als eine solche anerkannt ist.
c. Die Bevölkerungslehre.
Während die Völkerkunde den Menschen in seiner Zugehörig-
keit zu einer bestimmten Volks- oder Stammesgemeinschaft und in
den durch diese ihm aufgeprägten Merkmalen betrachtet, stellt sich
die Demologie oder Bevölkerungslehre den Zweck, das gesellschafb- ,
liehe Leben als solches ohne Rücksicht auf besondere Volks- oder
Stanmieseigenthümlichkeiten zu untersuchen. Die Aufgabe der Demo-
logie ist daher zunächst eine allgemeinere als die der Ethnologie;
anderseits gliedert sich aber dieselbe weit mehr ins einzelne. Denn
eben weil die Bevölkerung als solche ihr Object ist, steht es ihr
frei das Territorium und damit zugleich den socialen Zusammen-
hang, auf den sich ihre Untersuchung bezieht, beliebig zu erweitem
oder zu verengem. Freilich wird diese Freiheit praktisch wieder
dadiurch beschränkt, dass sie in der Beschaffung ihrer Hülfsmittel
an bestimmte politische Bedingungen gebunden ist, so dass im all-
gemeinen der Umfang eines einzelnen Staates das grösste Bevölke-
rungsganze darstellt, das noch eine einheitliche Behandlung zulässt.
Da nun der Begriff der ^ Gesellschaft* in seinem weitesten Sinne
neben dem Zusammenleben einer Vielheit von Individuen noch die
ethnologischen Eigenschaften und socialen Organisationsformen ein-
schliesst, so kann man auch die Bevölkerungslehre als denjenigen
Theil der Sociologie definiren, der von diesen beiden Bestand-
theilen des Gesellschaftsbegriffs abstrahirt, um die Gesellschaft bloss
als eine Vielheit von Individuen zu betrachten, mit den Er-
scheinungen, welche durch die in allgemein menschlichen Eigen-
schaften begründeten Wechselwirkungen dieser Individuen bedingt
sind. Das Object dieser Disciplin, die , Bevölkerung ** , lässt sich
456 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
demnach im gleichen Sinne der , Gesellschaft* im engeren Sinne
gegenüberstellen. Während diese das menschliche Zusammenleben
mit Einschluss seiner ethnologischen Differenzirangen und seiner
realen Organisationsformen bezeichnet, yerstehen wir unter der , Be-
völkerung'' die irgend einem Verbreitungsgebiet entsprechende Ge-
sammtheit von Individuen ohne Rücksicht auf die ihnen zukommenden
Volkseigenschaften und Organisationsformen "*"). Auf social wissen-
schaftlichem Gebiet hat demnach der Begriff der Bevölkerung eine
analoge Bedeutung wie auf naturwissenschaftlichem der Begriff der
Masse, bei dem ebenfalls von den qualitativen Eigenschaften sowie
von einer etwaigen organischen Structur abstrahirt wird. In diesem
Sinne pflegt man daher auch die ^ Massenerscheinungen der Gesell-
schaft** als das Object der Bevölkerungslehre zu bezeichnen.
Der Ausdruck , Massenerscheinungen ** weist unmittelbar dar-
auf hin, dass die nächsten Aufgaben und Methoden der Demo-
logie quantitativer Art sind, wie dies ja übrigens auch schon
aus dem Verhältniss zu den beiden andern Hauptgebieten der
Sociologie hervorgeht, die in der Untersuchung der ethnologischen
Merkmale und der politischen Organisationsformen die wesentlichen
qualitativen Probleme des gesellschaftlichen Lebens erschöpfen.
Natürlich schliesst dies ein Uebereinandergreifen der Untersuchungen
nicht aus. Ein solches findet in der That regelmässig in dem Sinne
statt, dass ethnologische oder politische Gesichtspunkte für die quanti-
tativen demographischen Aufgaben massgebend werden , und dass
wiederum die Resultate dieser zugleich einen qualitativen Werth be-
sitzen, der der Völkerkunde und der Staatswissenschaft zu gute kommt
Indem nun die quantitativen Ergebnisse der Bevölkerungslehre überall
nur durch ein Abzählungsverfahren gewonnen werden können, das
sich über eine sehr grosse Zahl individueller Fälle erstreckt, ist es
die statistische Methode, die hier ihr hauptsächlichstes An-
wendungsgebiet findet'*^'*'), üebrigens ist das Anwendungsgebiet der
*) John, Die jüngste Entwicklung der Bevölkerungstheorie, Verhandl.
des VI. internationalen demographischen Congresses zu Wien. 1887.
**) Ursprünglich bedeutet bekanntlich das Wort „Statistik" nichts anderes
als „ Staatskunde *, fällt also vielmehr mit der heutigen Staatswissenschaft als
mit der ßevölkerungslehre zusammen. Dann wurde es spedell auf die im
politischen Interesse angewandten Abzählungsmethoden, auf die so genannte
a politische Arithmetik*, und von da aus auf die Bevölkerungslehre und alle die
Gebiete, die auf die Anwendung ähnlicher quantitativer Methoden angewiesen
sind, übertragen. (Vgl. John, Geschichte der Statistik. 1884.) Nach dieser
Verallgemeinerung, nach der von „statistischen Methoden" auch auf den Ge-
BevölkeniDg^lebre. 457
Statistik auch in Bezug auf die mit den socialen Problemen nahe
zusammenhängenden Aufgaben ein ungleich weiteres als das der
Massenerscheinungen der Gesellschaft. Erstens nämlich liegt ausser-
halb des Bereichs der letzteren alles was sich auf die durchschnitt-
lichen Massyerhältnisse des menschlichen Körpers bezieht, also die
ganze wesentlich mit statistischen Methoden arbeitende Anthropo-
metrie, die nach der Natur ihrer Aufgaben zur Anthropologie und,
insofern es sich dabei um die Feststellung ethnologischer Differenzen
handelt, zur Ethnologie gehört. Zweitens stehen die Massen-
erscheinungen des Wirthschaftslebens, also diejenigen Vorgänge, die
sich auf die Production, den Verkehr und Verbrauch wirthschaft-
licher Güter beziehen, nicht minder ausserhalb der Bevölkerungs-
lehre. Sie bilden das statistische Material der concreten National-
ökonomie, die es zwar ebenfalls mit Massenerscheinungen zu thun
hat, aber mit solchen, bei denen die der statistischen Behandlung
unterworfenen Massen die innerhalb einer Gesellschaft in Verkehr
kommenden wirthschaftlichen Güter, nicht die Individuen der Gesell-
schaft selbst sind. Die Anthropometrie dagegen hat zwar Individuen
zu ihren Objecten, aber nicht diejenigen Eigenschaften der Indivi-
duen, die durch ihr Zusammenleben bedingt werden, sondern in den
dem einzelnen Menschen ohne Bücksicht auf Andere zukommenden
Merkmalen: sie beschäftigt sich also überhaupt nicht mit Massen-
erscheinungen, sondern lediglich mit individuellen Eigenschaften, und
sie bedient sich nur deshalb zumeist einer grossen Anzahl von
Messungen, um die durchschnittliche Grösse dieser individuellen
Eigenschaften zu finden. Die Messung eines einzigen Individuums,
das als Repräsentant der typischen Eigenschaften gelten darf, kann
daher in diesem Fall Werthe ergeben, die den Durchschnittswerthen
einer sehr grossen Anzahl individueller Messungen annähernd gleich-
kommen. Bei den eigentlichen Massenerscheinungen gibt es niemals
einen typischen Einzelfall, der die Abzahlung der Mengen ersetzen
könnte. Es gibt ebenso wenig einen typischen Geburts- oder Todes-
fall oder eine typische Lebensdauer, wie es ein typisches Verbrechen
bieten der Naturwissenschaft, z. B. in der Meteorologie, und der Psychologie
z. B. in der Psychophysik , geredet werden kann , ist es offenbar das einzig
richtige, unter Statistik nur noch eine Methode, aber keine besondere Wissen-
schaft ZQ verstehen. Auch ist der Ausdruck im letzteren Sinne um so Über-
flassiger^ als es kein Gebiet gibt, in welchem die statistische Methode ange-
wandt wird, das nicht nach anderen sachlicheren Merkmalen bereits zureichend
definirt mid benannt wäre.
458 Logik der GesellschaftswisBeiiBchafteii.
oder eine typische Yerkehrserscheinung gibt. Vielmehr behält im
Gebiet der Massenerscheinungen jeder einzelne Fall seine indlTiduelle
Bedeutung, und das Wesen der statistischen Behandlung besteht
hier darin, dass sie sich bloss mit den Massen, mit den einzelnen
Fällen aber nur zu dem Zweck beschäftigt, um durch ihre Verbin-
dung Massen zu erhalten. Auch die Berechnung von Durchschnitts-
werthen will darum hier immer nur Werthe gewinnen, die zur Ver-
gleichung der individuellen Fälle mit den Massenerscheinungen dienen
können. So hat z. B. schon die mittlere Lebensdauer nicht in dem
analogen Sinne eine typische Bedeutung wie etwa die mittlere Körper-
lange. Denn während diese so sehr von der ursprünglichen Rassen-
anlage abhängt, dass man eben deshalb das Mittel aus vielen ein-
zelnen Messungen als einen annähernd typischen Werth betrachten
darf, ist die erstere so sehr von socialen Bedingungen bestimmt,
dass man in ihr mindestens in gleichem Grade einen Ausdruck für
die Grösse der socialen Lebensgefährdung wie einen solchen für eine
ursprüngliche Anlage sehen kann. Der Durchschnittswerth hat darum
hier überall nur die Bedeutung, dass er einen aus der Massenbeob-
achtung erschlossenen Bevölkerungszustand in ein individuelles Bild
zusammenfasst, das bei der Vergleichung verschiedener Bevölkerungen
oder Bevölkerungsgruppen der directen Massenvergleichung sub-
stituirt wird.
Bezeichnen wir die statistische Methode in ihrer Anwendung
auf solche Massenerscheinungen, deren Elemente menschliche Persön-
lichkeiten sind, als Personalstatistik, dieselbe Methode in ihrer
Anwendung auf beliebige andere reale Objecte als Bealstatistik,
so gehören demnach die demologischen Probleme sämmtlich zu der
ersteren, während die zweite theils gewissen Naturwissenschaften,
wie z. B. der Meteorologie, theils und besonders aber auch der
Wirthschaftslehre als Unterlage dient. Die Personalstatistik lässt
sich sodann wieder in eine individuelle und eine sociale sondern.
Jene zerfällt in einen physischen Theil, die Anthropometrie,
und in einen psychischen Theil, der, noch wenig ausgebildet,
einstweilen als Psychometrie bezeichnet werden mag. Die letztere
würde die zur allgemeinen Charakteristik des Menschen überhaupt
oder einzelner Völkerindividualitäten dienenden psychischen Con-
stanten, wie Beizschwelle und Reizhöhe, Unt^rschiedsempfindlich-
keit, Apperceptionsdauer u. dergl. zu ermitteln haben, Werthe die
sämmtlich zu ihrer Gewinnung, ähnlich wie die mittleren physischen
Körpermasae der Anthropometrie , im allgemeinen ein statistisches
BevölkeniDgslehre. 459
AbzähluDgsYerfahren erfordern. Dieses ist aber hier lediglich eine
Hülfsmethode der Anthropologie und Ethnologie, in deren Gebiet,
wie schon oben bemerkt, die Anthropometrie und demnach auch die
Psjchometrie gehören. Der Demologie bleibt so die Personal-
statistik der socialen Erscheinungen oder derjenigen
menschlichen Lebensvorgänge, die entweder in ihrem Da-
sein oder in ihrem quantitativen Werthe unmittelbar durch
das Zusammenleben der Menschen bestimmt sind. Hierher
gehören in erster Linie Geburt und Tod, dann als ein für die Ge-
bartszifiPer entscheidender Factor die Eheschliessung, und als Mo-
mente, die neben Geburt und Tod für die Bevölkerungszahl ins
Gewicht fallen, die Ein- und Auswanderung. Die Statistik dieser
Verhältnisse pflegt man wohl auch als eine Bevölkerungslehre im
engeren Sinne des Wortes (^Populationistik^) zu betrachten. Aber
obgleich dieses Gebiet wegen seiner praktischen Bedeutung in dem
Ganzen der personalstatistischen Erhebungen eine gewisse Selb-
ständigkeit behauptet, so kann es doch weder nach Inhalt noch
Umfang als eine besondere Wissenschaft gelten. Die Eheschlies-
sung hat neben ihrer Bedeutung als Geburtsursache noch die weitere,
dass sie eine freiwillige menschliche Handlung ist, die je nach ihrer
Frequenz, ihrer Vertheilung nach Lebensaltern und Bevölkerungs-
kreisen zur Kennzeichnung des gesammten Zustandes der Bevölke-
ning beiträgt; und indem die Aufnahme der Eheziffer weiterhin zur
statistischen Scheidung ehelicher und ausserehelicher Geburten ver-
anlasst, tritt damit ein weiteres für die Bevölkerungszahl an sich
ganz unwesentliches, für den moralischen Zustand der Bevölkerung
aber sehr wichtiges Moment hinzu. Dasselbe gilt von der aus der
Differenzirung der Todesfälle sich ergebenden Statistik der Selbst-
morde und der tödÜichen Krankheitsursachen, wo wieder jene für
den moralischen, diese für den physischen Zustand der Bevölkerung
ganz abgesehen von den Beziehungen zum Bevölkerungswechsel
kennzeichnend sind. Eine Statistik der Todesursachen lasst sich
endlich rationeller Weise von einer Statistik der Krankheiten über-
haupt, eine Statistik einzelner moralischer Handlungen von dem
ganzen übrigen Gebiet der Moralstatistik nicht trennen. Mag daneben
auch die Krankheitsstatistik für die Medicin, die Moralstatistik für
Polizei, Criminalrechtspflege und Ethik von Interesse sein, das hindert
nicht, dass beide zunächst die Bestandtheile einer allgemeinen
Kunde des socialen Zustandes der Bevölkerung bilden, wobei
dann natürlich, gemäss der durchgängigen psychophysischen Bedingt-
460 Logik der GesellschaftewissenBchaften.
heit des menschlichen Lebens, einzebie Factoren dieses Zustandes
in physischen, andere in psychischen oder theils in physischen theils
in psychischen Merkmalen bestehen. Die Lehre yom Bevölkerungs-
wechsel, die Krankheitsstatistik, die Moralstatistik bilden Theile
dieses Gebiets , die nicht bloss ein selbständiges Interesse bean-
spruchen, sondern auch in andere Oebiete hinüberreichen; nur die
Gesammtheit aller dieser die sociale Personalstatistik umfassenden
Untersuchungen ist aber offenbar ein nach Inhalt und Umfang
sicher abzugrenzendes Gebiet, das den Namen einer besonderen
Wissenschaft zu tragen verdient. Natürlich kann es dabei auch,
ganz wie in so vielen andern Fällen , vorkommen , dass gewisse
Untersuchungen unter einem bestimmten Gesichtspunkte der Demo-
logie, unter einem andern irgend einem angrenzenden Gebiete zu-
fallen. Namentlich kommen solche Gebietstheilungen gegenüber der
Nationalökonomie vor, und sie entsprechen hier stets zugleich einem
Ineinandergreifen personal- und realstatistischer Untersuchungen. So
gehört z. B. die Berufs- und Gewerbestatistik, insofern sie sich
auf die Anzahl der individuellen Vertreter der verschiedenen Berufe
und Gewerbe bezieht, oder die Unterrichtsstatistik, insofern sie die
Individuen nach gewissen elementaren Kenntnissen (Alphabeten und
Analphabeten) oder nach den von ihnen besuchten Schulen eintheilt,
von Rechts wegen zur Bevölkerungslehre; denn die personalstatisti-
schen Ermittelungen dieser Art sind so gut wie alle andern durch
den socialen Zustand bedingt, und sie sind hinwiederum für die aU-
gemeine Beschaffenheit desselben kennzeichnend. Insoweit dagegen
die Gewerbestatistik die Zahl und Grösse der einzelnen Gewerbe-
betriebe, ihre Betriebsarten, Productionsweisen undProductionsgrössen,
oder insoweit die Unterrichtsstatistik Zahl und Grösse der Lehr-
anstalten, Aufwand an Unterrichtsmitteln u. dergl. in Betracht zieht,
handelt es sich um realstatistische Untersuchungen, die im ersten
Fall der praktischen Nationalökonomie, im zweiten der Staatswissen-
schaft oder specieller der Verwaltungslehre zufallen*).
*) Unter den StatiBtikern ist noch immer der Begriff der »BeySlkerungs-
lehre' in jenem engeren Sinne, in welchem er sich lediglich auf die direct für
die BevölkerungB zahl massgebenden Factoren bezieht, vorherrschend. Dies hat
theils historische theils praktische Gründe. Die Bevölkerungsstatistik hat aus
der einfachen Volkszählung ihren Ursprung genommen. Die Staatslehre des
vorigen Jahrhunderts aber sah eines der vornehmsten politischen Interessen in
der Fürsorge für eine angemessene Vermehrung der Bevölkerung, zu deren
Beurtheilung aus der Statistik der Geburts- und TodesfUUe, der Aus- und Ein-
Bevölkerungslehre. 461
Im Sinne der oben aufgestellten allgemeinen Definition, nach
welcher die Bevölkerungslehre die Wissenschaft von den durch das
waoderang und indirect auch der Ebeschliessungen das erforderliche Material
zu gewinnen sei. (Vgl. L. Elster, Art. Bevölkerungslehre und Bevölkerungs-
politik, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, II, S. 465 ff.) Am meisten
kommt bei der Festhaltung dieses engeren Begriffs eigentlich die Moralstatistik
zQ kurz, die kaum in irgend einem andern Grebiet eine angemessene Stelle
findet und daher in der Regel wieder als eine selbständige Disciplin betrachtet
vird. In Wahrheit wird aber, wie oben angedeutet, jener Begriff selbst schon
durch die Herbeiziehung der Statistik der Eheschliessungen durchbrochen.
Strenge würde sich derselbe nur unter Beschränkung auf die directen Fac-
toren der Bevölkerungszahl und ihrer Veränderungen, also Geburts- und Sterbe-
ziffer, Aus- und Einwanderung, festhalten lassen, wozu dann noch die Yer-
iheilang aller dieser numerischen Werthe auf die beiden Geschlechter hinzu-
treten könnt«. Nun ist sicherlich eine solche Lehre von der Bevölkerungszahl
eiQ wichtiger Theil der allgemeinen Lehre vom Bevölkerungs z u s t a n d , und
sie hat für gewisse praktische Fragen , die in der Statistik des Bevölkerungs-
wechsels massgebend sind, eine selbständige Bedeutung, gerade so wie die
Erankheits- und die Moralstatistik eine solche nach anderen Richtungen hin
besitzen. Aber da die Bevölkerungszahl nur eines und zwar das äusserlichste
der Elemente ist, die zusammen den Bevölkerungs z u s t a n d bestimmen, so ist
die entsprechende Erweiterung der wissenschaftlichen Aufgabe der Bevölkerungs-
lehre um so mehr geboten, als vermöge der Wechselbeziehungen der verschie-
denen Factoren des socialen Zustandes eine causale Betrachtung der einzelnen
Thatsachen, wie diese doch Überall Aufgabe der Wissenschaft ist, erst auf
Gnmd einer erweiterten Begriffsbestimmung möglich wird. In diesem Sinne
sind denn auch übereinstimmend namentlich G. von Mayr (Die Gesetzmässig-
keit im Gesellschaftsleben, 1877, S. 14; Statistik und Gesellschaftslehre, 1, 1895,
S. 17 ff.), A. von Oettingen (Die Moralstatistik in ihrer Bedeutung für eine
Sodalethik, 3. Aufl. 1883, S. 9) und G. Rümelin (Ueber den Begriff der Gesell-
schaft und einer Geseüschaftslehre , 1888, abgedruckt in Reden und Aufsätze,
3. Folge, S. 248) für den weiteren Begriff eingetreten, ohne sich freilich durch-
gängig ober die Bezeichnung der neuen Wissenschaft zu einigen, für die bald
der alte Name Statistik, bald Gesellschaftslehre, bald Demographie vorgeschlagen
wird. Da, wie oben bemerkt, die Statistik als Methode eine weit über das demo-
logische Gebiet hinausreichende Anwendung findet, die „Gesellschaftslehre* aber
im weitesten Sinne alle allgemeinen Socialwissenschaften umfasst, so empfiehlt sich
offenbar am meisten die dritte dieser Bezeichnungen mit der ihr gleichwerthigen
der Demologie oder Bevölkerungslehre. Dagegen scheint es mir nicht zu billigen,
wenn J. Körösi (Wissensch. Stellung und Grenzen der Demologie, in v. Majrs
Allgem. statistischem Archiv, II, 2, 1892, S. 18) die letztere ganz und gar unter
die Naturwissenschaften einreiht, indem er sie als die «Lehre von den physi-
kalischen Erscheinungen im geselligen Leben der Menschheit* oder als „sociale
Biologie* definirt. Denn es scheint mir völlig unmöglich, bei der Untersuchung
des socialen Zustandes einer Bevölkerung die physischen und die psychischen
{demente überhaupt von eijiander zu sondern. Auch in dieser Beziehung ver-
462 Logik der Gesellflchaftswissenschafben.
Zusammenleben der Menschen bedingten Massenerscheinungen und
von den wechselseitigen Beziehungen dieser Erscheinungen ist, werden
derselben zwei allgemeine Aufgaben zu stellen sein. Die erste
dieser Aufgaben besteht in der quantitativen Ermittelung des Zu-
standes einer Bevölkerung durch die Erhebung der sämmtlichen
numerischen Werthe, die sich aus der Massenbeobachtimg der ein-
zelnen Zustandsfactoren ergeben. Die Bevölkerungszahl bildet
hier unter allen Umständen die Grundlage fUr die übrigen Bestim-
mungen, insofern diese in der Regel ^rst durch ihren relativen Werth
im Verhältniss zu jener ihre Bedeutung gewinnen. Als Zustands-
factoren physischer Art kommen die Geburts- und Sterbeziffern, das
numerische Verhältniss der Geschlechter je nach dem Lebensalter,
die mittlere Lebensdauer, endlich die Statistik der Krankheiten und
Unfälle, als psychophysische und psychische Factoren die Ehe-
schliessungen, die Aus- und Einwanderung, die Vertheilung der Be-
völkerung nach religiösen Bekenntnissen, nach Vermögensclassen und
Berufsformen, endlich die verschiedenen Formen moralischer und
unmoraUscher Handlungen, wie Stiftungen, freiwillige Wohlthätigkeit,
Rechtsstreitigkeiten, Polizei- und Strafgesetzübertretungen in Betracht.
Natürlich kann sich aber die statistische Beobachtung nicht über
alle Thatsachen des socialen Lebens erstrecken, die an und für sich
für die Kennzeichnung des Zustandes der Bevölkerung von Werth
sein würden. Sie muss sich im allgemeinen auf diejenigen be-
schränken, die öffentlich controlirbar sind, und in den meisten Fällen
auf solche, die irgendwie einen amtlichen Charakter besitzen und
dadurch zur Kenntniss der officiellen statistischen Organe gelangen.
Dabei bleibt es stets eine Schranke der socialstatistischen Unter-
suchung gegenüber andern Methoden, dass die Erhebung der ein-
zelnen Thatsachen und ihre Verwerthung in verschiedenen Händen
liegen, so dass es der demographische Statistiker eigentlich niemals
direct mit dem Stoff selbst zu thun hat, auf den sich seine Fragen
beziehen, sondern zunächst mit einem Material, das durch eine von
hält sich die Demologie analog wie die Ethnologie. Wie bei dieser haben
daher bei jener die psychologischen Momente sogar das grössere Interesse, und
sie sind jedenfalls diejenigen, die zur Charakteristik der verschiedenen Be-
völkerungen und BeTÖlkerungskreise das meiste beitragen, ebenso wie sie auch
bei der praktischen Anwendung als die den politischen Einwirkungen zugäng-
lichsten am meisten in Betracht kommen. Darum wird man eher mit einigen
Einschränkungen Rümelin beistimmen können, wenn er die Demologie im
wesentlichen für eine angewandte Psychologie häli^ (A. a. 0. S. 272 ff.)
Bevölkerungslehre. 463
ihm unabhängige Bearbeitung aus jenem Stoff hergestellt worden ist.
Um so mehr ist es wünschenswerth, dass sich die ursprünglichen
Erbebungen auf möglichst viele wechselseitig durch einander con-
trolirbare Thatsachen beziehen, die zugleich möglichst individualisirt
sind, um ein Urtheil über die Zuverlässigkeit der Erhebung zu ge-
statten"^). Je grösser aber die Anzahl der Massenerscheinungen ist,
die auf diese Weise nach ihren absoluten und relativen numeri-
schen Werthen ermittelt wird, um so treuer spiegelt sich in den
gewonnenen Ergebnissen der gesammte Zustand der Bevölkerung,
so dass dadurch diese Zustandsbestimmungen zugleich wieder ein
Tölkerpsychologisches und, insofern sie auf Bevölkerungen von ver-
schiedener Abstammung angewandt werden, auch ein ethnologisches
Interesse gewinnen.
Die zweite Aufgabe der Demologie besteht in der Ermittelung
der zwischen den verschiedenen Massenerscheinungen bestehenden
Beziehungen. Solche Beziehungen verrathen sich zunächst durch die
correlativen Veränderungen, die an den einzelnen Erscheinungen zu
beobachten sind. Diese Veränderungen können aber im allgemeinen
auf doppelte Weise constatirt werden. Erstens bei verschiedenen
BeTölkerungen, bei denen die Erhebung des Gesammtzustandes ein
regelmässiges Verhältniss gewisser Erscheinungen ergibt: so z. B.
wenn die moralstatistische Erhebung nachweist, dass eine relativ
grosse Zahl von Verbrechen gegen die Person, wie Todtschlag,
Körperverletzung, in einer grösseren Anzahl sonst ähnlich beanlagter
BeTölkerungen regelmässig mit einer relativ geringen Anzahl von Ver-
gehen gegen das Eigenthum verbunden zu sein pflegt, und um-
gekehrt. Zweitens innerhalb einer und derselben Bevölkerung, bei
welcher die Verhältnisse der Massenerscheinungen zu verschiedenen
Zeiten festgestellt werden: so z. B. wenn man findet, dass auf Zeiten
nngewöhnlich erhöhter Sterblichkeit, wie nach Kriegen oder Epidemien,
Perioden mit erhöhter Geburtsfrequenz folgen. Wie man sieht, ent-
spricht die erste dieser Methoden der generischen, die zweite der
individuellen Vergleichung. (Cap. I, S. 65.) Wie auf geschichtlichem
Gebiete, so ist aber auch hier das zweite Verfahren im allgemeinen
das zuverlässigere, weil natürlich der Schluss, dass die durch die
Massenbeobachtung gefundene Gorrelation auf irgend einer ursäch-
lichen Beziehung beruhe, um so sicherer ist, je mehr die übrigen
Zustandsfactoren übereinstimmen.
*) Vgl. Bücher, üeber das Aufnahmeverfahren bei Volkszählungen, in
▼on Mayrs Allg. statist. Archiv, I, 1890, S. 482 ff.
464 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
Hiernach yerfolgt die erste der genannten Aufgaben lediglich
einen descriptiven Zweck. Von einer Ermittelung causaler Be-
ziehungen kann dabei niemals die Rede sein. Wenn in unabhängig
Yon einander yorgenommenen statistischen Erhebungen die nämlichen
absoluten oder relativen numerischen Werthe für irgend einen der
untersuchten Zustandsfactoren, z. 6. für die Geburts- oder Sterbe-
ziffer oder für Verbrechen einer bestimmten Art, gefunden wurden,
so lässt sich daraus immer nur schliessen, dass der Zustand, der
beiden Erhebungen zu Grunde liegt, in dieser Beziehung ein über-
einstimmender war; und wenn sich die unabhängigen Erhebungen
auf zeitlich getrennte Zustände derselben Bevölkerung beziehen, so
lässt sich weiterhin schliessen, dass die nämlichen Factoren in der
betreffenden Zeit unverändert geblieben sind. Aber eine solche Con-
stanz der numerischen Werthe kann ebenso wenig ein sociales Gesetz
genannt werden, wie man es ein anthropologisches Gesetz nennen
kann, dass zwei Menschen in den wesentlichsten Eigenschaften ihres
Baues einander gleichen, oder dass sich die physischen Eigenschaften
eines Individuums während einer gewissen Zeit nicht merklich ver-
ändern. Auch ist eine solche relative Constanz dei Eigenschaften
bei jenen Massenerscheinungen ebenso wenig auffallend, wie sie es bei
diesen individuellen Eigenschaften ist"*"). Dagegen führt die Losung
der zweiten der oben bezeichneten Aufgaben unmittelbar zu den
causalen Problemen der socialen Erscheinungen. Denn die Existenz
irgend eines ursächlichen Verhältnisses kann sich überall nur durch
die thatsächlich vorhandene Correlation verschiedener Erscheinungen
verrathen. Entweder pflegt daher die empirische Feststellung solcher
Correlationen selbst die Entdeckung ursächlicher Verknüpfungen zu
vermitteln, oder eine zuvor schon bestehende Vermuthung eines
Causalverhältnisses wird nachträglich durch die Nachweisung der
entsprechenden Correlationen bestätigt. Hieraus ergibt sich schon,
dass es für die Auffindung der letzteren zwei Wege gibt: den in-
ductiven, der mittelst der statistischen Data zunächst zu einer rein
empirischen Gesetzmässigkeit führt, die sich dann günstigen Falls in
eine causale umwandeln lässt; und den deductiven, der von einer
provisorischen Hypothese ausgeht, die nachher durch die statistische
*) Von den Statistikern wird freilich fast durchgängig diese Constanz
der Eigenschaften mit den eigentlichen empirischen und causalen Gresetsen rtr-
mengt: so z. B. auch von G. von Majr (Statistik und Gesellschaftslehre, 1,
S. 121), der solche relativ constante Eigenschaften von Bevölkerungen al^
„Zustandsgesetze* bezeichnet. Vgl. hierzu Cap. 1, S. 136, 144.
Bevölkerungslehre. 465
ö
Nachweisung der aus ihr erschlossenen Gorrelationen bestätigt wird.
Da nun aber die Sammlung der Thatsachen und ihre Bearbeitung
bei den Untersuchungen der socialen Statistik ganz verschiedene und
auf verschiedene Individuen vertheilte Functionen sind, so lässt sich
hier meist nachträglich nicht mehr feststellen, ob der eine oder der
andere dieser Falle vorliegt. Denn in dem Augenblick, wo sich der
Statistiker etwa einer provisorischen Hypothese zuneigt, liegt in der
R«gel auch schon das Beobacbtungsmaterial bereit, das dieselbe
bestätigen oder widerlegen kann. Im allgemeinen wird man jedoch
voraussetzen dUrfen, dass die der Combination der Thatsachen vor-
angehende Hypothesenbildung hier eine nicht minder grosse Bolle
spielt als bei der Leitung naturwissenschaftlicher Beobachtungen, da
nicht selten die Anzahl der coexistirenden Thatsachenreihen , aus
denen die causal zusammengehörigen auszuwählen sind, sehr gross
ist, während doch die wirkliche Untersuchung selten lange zu zweifeln
pflegt, welche Gorrelationen zunächst für ein causales Verhältniss in
Frage kommen. Dabei kann nun aber die physische oder psycho-
logische Deduction im allgemeinen wieder zwei Formen an-
nehmen. Bei der ersten geht sie der statistischen Erhebung
voraus, und diese hat lediglich den Zweck ein an und fUr sich
schon ursächlich bekanntes Phänomen nach seiner Grösse zu be-
stimmen, um daraus eventuell auf die Intensität der bekannten
Ursachen zurückzuschliessen. So gilt eine Epidemie als bekannte
Todesursache: die Zunahme der Sterblichkeit während derselben und
speciell der Todesfälle in Folge der durch die Epidemie hervor-
i^erufenen Erkrankungen lässt daher die Grösse dieser Ursache er-
messen. Oder wenn eine Provinz von einer Hungersnoth heimgesucht
wird, so kann man mit absoluter Sicherheit darauf rechnen, dass
die Anzahl der Personen, die der Armenpflege anheimfallen, zunimmt.
Auch hier wird dann wieder die Grösse dieser Zunahme als ein
Mass des eingetretenen Nothstandes betrachtet werden können,
während nach der den Zustandswechsel bewirkenden Ursache gar
nicht gefragt zu werden braucht, da sie von vornherein bekannt ist
und die ihr entsprechende Veränderung der statistischen Werthe
ihrer allgemeinen Richtung nach vorausgesehen werden kann. Hier-
nach kann es sich in allen diesen Fällen nicht um eine Auffindung
(1er Ursachen, sondern immer nur um die Feststellung statistischer
Werthe für die Schätzung der Grösse der Ursachen handeln.
Dies ist wesentlich anders bei der zweiten Form. Hier ist eine
Reihe von Zustandsfactoren gegeben, die sämmtlich von einer grossen
Wnndt, Logik. U, 2. 2. Aufl. 30
466 Logik der GeseUschaftswissenschaften.
Anzahl theils bekannter theils unbekannter Ursachen bestimmt sind,
und von denen vermuthet werden darf, dass einzelne wieder unter
einander in causalen Beziehungen stehen, ohne dass jedoch diese
Beziehungen von yomherein als feststehend gelten können. Hier
handelt es sich also darum, mittelst der Beziehungen der einzelnen
Factoren selbst, insbesondere ihrer correlativen Veränderungen, die
causalen Verbindungen zu finden, worauf dann die Schätzung der
Wirkungsgrösse der aufgefundenen Ursachen erst als eine secundäre
Aufgabe hinzutritt, die überdies um so mehr eine untergeordnete
Bedeutung hat, je schwieriger wegen der Einflüsse sonstiger Be-
dingungen, die theils in gleicher theils in entgegengesetzter Richtung
wirken können, eine einigermassen zuverlässige Grössenschätzung
dieser Art zu sein pflegt. So kann z. B. eine VeiiLnderung ge-
wisser Strafgesetzbestimmuugen von einer Veränderung der Zahl der
Gesetzesverletzungen überhaupt oder des Verhältnisses bestimmter
Formen derselben zu einander begleitet sein: dabei erhebt sich nun
zunächst die Frage, ob die beobachtete Massenerscheinung in jener
Veränderung des Rechtszustandes oder in andern gleichzeitig vor-
handenen Ursachen ihren Grund hat, und wenn das erstere sich
herausstellen sollte, welcher Art diese Wirkung ist, ob sie auf einem
directen Einfluss der Gesetze auf die menschlichen Handlungen, oder
ob sie bloss auf veränderter Classification der Vergehen und ähn-
lichen zufälligen Momenten beruht. Hier handelt es sich also in erster
Linie um die Auffindung der Ursachen, erst in zweiter um die
Schätzung ihrer Grösse, insoweit eine solche überhaupt möglich scheint.
Demnach ist es selbstverständlich, dass die Untersuchungen der
zweiten Art die wichtigeren sind. In der That setzt sich aus ihnen
durchweg jede über die bloss descriptive Bestimmung der Zustands-
factoren hinausgehende Untersuchung der Bevölkerungslehre zu-
sammen, während die blossen Grössenbestimmungen von Massen-
erscheinungen deren Ursachen bekannt sind hauptsächlich im Interesse
anderer Disciplinen, wie der Pathologie, Nationalökonomie, Finanz-
wissenschaft u. dergl., zu geschehen pflegen*).
*) Lexis bezeichnet den ersten der beiden oben erörterten Fälle als den
der ngenerischen", den zweiten als den der ^concreten' Masaenerscheinungeo.
wobei natürlich bei den letzteren zunächst fraglich bleibt, ob bei ihnen über-
haupt causale Beziehungen aufzufinden sind. Lexis betrachtet daher die ,cod-
creten" Erscheinungen als solche^ die an sich nur einer thatsächlichen Fest-
btellung zugänglich seien. (Lexis, Zur Theorie der Massenerscheinungen in
der menschlichen Gesellschaft, 1877, S. 9.) Die Ausdrücke generisch und concret
BevÖlkerung&lehre. 467
Nun wird aber die Gorrelation zweier Massenerscheinungen,
auch wenn sie sich als eine noch so regelmässige herausstellen sollte,
nur in seltenen Fällen an sich schon genügen, um mit zureichender
Sicherheit ein causales Yerhältniss annehmen zu lassen, sei es in
dem Sinne dass die eine dieser Erscheinungen als die Wirkung
der anderen, sei es in dem dass beide als zusammengehörige Wir-
kungen einer dritten Ursache anzusehen sind. Ein Schluss dieser
Art wird nämlich wegen der grossen Gomplication der Massen-
erscheinungen in der Regel nicht ohne weiteres möglich sein. Viel-
mehr verlangt diese Gomplication, ähnlich wie auf andern Gebieten,
?or allem eine Analyse der Erscheinungen in ihre Bestandtheile,
worauf dann diese einzeln auf ihre causale Bedeutung geprüft werden
müssen. Die Analyse nimmt aber hier wieder vermöge der be-
sonderen Bedingungen der statistischen Methode eigenthümliche Formen
an. Indem nämlich der Statistiker entweder unmittelbar an ein
gegebenes Erhebungsmaterial gebunden ist oder günstigen Falls nur
in fest vorgezeichneten Richtungen künftige Erhebungen beeinflussen
kann, stehen hier der causalen Analyse der Erscheinungen zwei
Methoden zu Gebote, von denen die erste eine speciell den Massen-
erscheinungen angepasste Form der Analyse, die andere dagegen an
sich ein synthetisches Verfahren ist, das jedoch durch die Art seiner
Anwendung Schlüsse von analytischem Werthe zulässt. Diese Methoden,
die übrigens nicht immer getrennt vorkommen, sondern zuweilen bei
der Behandlung eines und desselben Problems in einander eingreifen
können, sind die statistische Gruppenzerlegung und die
statistische Gruppenverknüpfung.
Die statistische Gruppenzerlegung beruht auf folgender
Erwägung. Es seien zwei complexe Massenerscheinungen x und y
gegeben, die correlative Beziehungen erkennen lassen. Es wird das
diesen Beziehungen zu Grunde liegende causale Verhältniss zu ent-
decken sein, wenn man x und y in einzelne Gruppen eintheilt, z. B.
:c in a^ ft, c, d, . . ., y in w, w, 0, ^ . . .^ und jede der Gruppen
der einen Reihe auf ihre correlativen Beziehungen zu den Gruppen
haben jedoch sonst eine so abweichende Bedeutung, dass es mir zweckmässiger
scheint, sie in diesem Fall nicht zu wählen. Auch scheint es mir, dass die
Bestimmung concreter Zustände zwar die nächste, aber nicht die letzte Aufgabe
in dem zweiten der obigen Fälle ist, sondern dass die Correlationen dieser
concreten Zustände zugleich da.s Gebiet bilden, auf dem sich die causalen Unter-
suchungen der Bevölkerungslehre , insoweit solche überhaupt ausführbar sind,
bewegen.
468 Logik der GesellBchaftswisBenschaften.
der andern Reihe prüft. Gibt eine erste Zerlegung dieser Art kein
befriedigendes Ergebniss, so kann eventuell eine zweite Zerlegung
nach einem andern Eintheilungsgrunde vorgenommen werden, nach
welcher x in a\ V , r', d', . . ., y in m', n', o', |>' . . . zerfallt,
worauf dann an diesen neuen Gruppen die gleiche Untersuchung
wiederholt ¥drd. Diese Freiheit in der Verfdgung über das statistische
Material, die freilich in der Praxis an der Art der Erhebung des-
selben gewisse Schranken findet, ist es, die, wie schon früher
(S. 109) bemerkt, der statistischen Methode eine analoge Herrschaft
über ihren Stoff gibt, wie sie dem Experiment durch die will-
kürliche Yariirung der umstände möglich ist. Denn die vrillkürUche
Gruppenzerlegung hat, da sie principiell unbeschränkt ist, logisch
durchaus die Bedeutung einer willkürlichen Yariirung der umstände,
natürlich in derjenigen Form, wie sie einem in seiner eigenen Be-
schaffenheit durch den Beobachter niemals zu verändernden Gegen-
stande gegenüber allein möglich ist: nämlich als Yariirung der sub-
jectiv mit den Beobachtungsobjecten vorzunehmenden Gruppirungen.
Ist auch diese Yariirung durch die Gebundenheit an ein bestimmtes
Beobachtungsmaterial meist weit beschränkter als das in die ob-
jectiven Erscheinungen selbst verändernd eingreifende experimentelle
Yerfahren, so liegt doch ein gewisser Yorzug der statistischen
Methode wieder eben in dieser Unabhängigkeit und Unveränderlich-
keit des objectiven Materials. Denn es werden dadurch natürlich
auch die Gefahren subjectiver Täuschung vermindert, die bei einer
allzu sehr von vorgefassten Hypothesen geleiteten Experimental-
untersuchung unvermeidlich sind. Solche vorläufige Hypothesen
fehlen natürlich auch hier nicht: sie geben in der Regel die Gesichts-
punkte her, nach denen die Gruppenzerlegungen vorgenommen werden,
und die Möglichkeit, dass correlative Beziehungen zwischen zwei
Gruppen dennoch kein directes causales Yerhältniss enthalten, ist
darum keineswegs ausgeschlossen; aber durch wiederholte Gruppen-
zerlegungen wird doch die Gefahr einer Täuschung sehr vermindert
werden können.
Mannigfache Beispiele für die Methode der Gruppenzerlegung
finden sich schon auf dem Gebiete der Mortalitätsstatistik. Gesetzt
z. B. zwischen zwei einem und demselben Lande angehörigen und
daher unter im allgemeinen gleichen Bedingungen der Rasse und
der Cultur lebenden Bevölkerungen finde sich ein bedeutender und
constanter unterschied der Mortalitätsziffer, um die Ursache dieses
Unterschieds zu finden, wird man von verschiedenen Gesichtspunkten
BevölkeruBgBlehre. 469
aus Gruppenzerlegungen yomehmen können, wobei jeder der ge-
wählten Eintheilungsgründe eigentlich wieder eine besondere pro-
risorische Hypothese einschliesst. Vermuthet man, dass bei der einen
Bevölkerung eine grössere Anzalü ungesund gelegener Wohnungen
rorkomnie als bei der andern, so wird eine topographische Gruppen-
bildung gefordert, die namentlich auf Flussniederungen, Sumpf- und
Höhenlagen oder auf Wohnungsverhältnisse, wie z. B. die relative
Anzahl von Kellerwohnungen in den Städten, Rücksicht nimmt.
Will man die Emährungsverhältnisse prüfen, so wird eine Gruppen-
bildung nach den Subsistenzmitteln nöthig sein. Regt sich der
Verdacht, dass aus bestimmten in Sitte und Lebensgewohnheiten
gelegenen Gründen eine besondere Gefährdung des Eindesalters vor-
liege, so geht man von der Gruppirung nach Lebensaltem aus, u. s. w.
Natürlich sind die Aussichten für die vollständige Ermittelung der
wirklichen Ursachen um so günstiger, je mehr alle diese Momente
neben einander berücksichtigt werden, und insbesondere kann dadurch
auch allein die etwaige Goncurrenz bestimmter Bedingungen sowie
die Ausschliessung anderer bewiesen werden.
Die statistische Gruppenverknüpfung besteht in einer
Umkehrung der vorigen Methode, und sie setzt daher in der Regel
eine vorangegangene Gruppenzerlegung voraus. Doch ist nicht
selten, namentlich bei der Bildung topographischer und zeitlicher
Gruppen, schon die ursprüngliche statistische Erhebung gruppen-
weise vorgenommen worden, so dass die zu behandelnden Massen-
erscheinungen von vornherein in zureichender Zerlegung gegeben
sind. Die Methode beruht auf folgender Erwägung. Yertheilt sich
eine bestimmte Massenerscheinung M auf verschiedene Gruppen a,
hy Cy d . , . und W; W; 0; p . . . \u verschiedcuer relativer Frequenz,
und zeigt es sich, dass eine Bedingung X, die auf die Erscheinung
£infiu8s haben könnte, auf gewisse Glieder der Reihen a, b, c, d . . .
und m, n, 0, p . . . einwirkt, auf andere aber nicht, so combinirt
man die unter dem Einfluss von X stehenden Glieder und ebenso
diejenigen, auf die X zweifellos keine Wirkung ausgeübt hat. Er-
gibt sich dann, dass die relative Frequenz der Massenerscheinung
M durch die Combination der mit X verbundenen Gruppen zu-
und der von X unabhängigen abnimmt, so wächst auch die Wahr-
scheinlichkeit, dass X wirklich in causaler Verbindung mit M stehe.
Die Methode stützt sich demnach einerseits auf die zunehmende
Sicherheit einer Annahme mit der Zunahme der relativen Anzahl
bestätigender Fälle und anderseits auf die Elimination zufälliger
470 Logik der GesellschaftswissenBchaften.
Nebenbedingungen, die um so leichter gelingen ¥rird, je zahlreicher
und je verschiedenartiger in ihren übrigen Bedingungen die Er-
scheinungen sind.
Ein gutes Beispiel fUr dieses Verfahren gibt die Untersuchung
der beiden Fragen, ob die Schutzpockenimpfung die Häufigkeit der
Erkrankungen und der Todesfalle an Pocken, und ob sie die Lebens-
gefahr überhaupt vermindert habe. Das hauptsächlichste statistische
Material, das man zur Entscheidung der ersten Frage besitzt, be-
steht in den Jahresziffern der in den verschiedenen europäischen
Ländern seit dem Anfang dieses Jahrhunderts verzeichneten Pockeu-
todesfälle. Diese Ziffern bilden für jedes Land eine zeitliche Reihe
von Gruppen und für alle Länder zusammen in jedem Jahr eine
räumliche Reihe von Gruppen. Nun ist eine einzelne zeitliche Reihe
nicht beweisend. Stellt sich in ihr auch eine allmähliche Abnahme
der durchschnittlichen Pockensterblichkeit heraus, so wäre es doch
möglich, dass eine solche nicht von der Einführung der Vaccination,
sondern von andern Ursachen herrühre, eine Vermuthung die in der
That dadurch unterstützt wird, dass in dem einzigen Lande, von dem
man eine über das Zeitalter der Yaccination hinaufreichende Sta-
tistik der Pockentodesfälle besitzt, in Schweden, unverkennbar schon
vorher eine Abnahme der Epidemien zu bemerken war. Da nun aber
in den verschiedenen Ländern die zeitlichen Gruppen eine ähnliche Ab-
nahme zeigen, so wird dadurch allerdings die Annahme einer andern
Ursache schon unwahrscheinlicher; dennoch ist sie noch nicht aus-
geschlossen, weil auch bei andern epidemischen Krankheiten, gegen
die ähnliche Vorbeugungsmassregeln nicht eingeführt sind, eine an-
scheinend spontane, d. h. ursächlich unbekannte Abnahme beob-
achtet wurde. Hier tritt nun die zweite Reihe statistischer Gruppen,
die räumliche, ergänzend hinzu. Sie ist deshalb besonders werth-
voU, weil die Strenge des Impfzwangs in den verschiedenen Ländern
variirt, so dass sich die räumlichen Gruppen wieder nach dem Ge-
sichtspunkt der mehr oder minder strengen Schutzimpfung zusammen-
fassen lassen. Indem nun hier dem geringeren Impfzwang durchweg
die grössere Pockensterblichkeit parallel geht, wird offenbar die
Wahrscheinlichkeit eines causalen Zusammenhangs dieser Factoren
grösser, und es wird zugleich die entsprechende Deutung der zeit-
lichen Reihen unterstützt. Eine grössere Sicherheit würden aber
natürlich diese Schlüsse erst dann gewinnen, wenn man nicht bloss
die relative Zahl der Pockentodesfälle, sondern auch die der Pocken-
erkrankungen und die Vertheilung beider auf Geimpfte und Unge-
Bevölkerungslehre. 471
impfte kennte. Zu einer solchen Statistik in weiterem Umfange
fehlt jedoch das erforderliche Material: man hat dieselbe bis jetzt
nur für engere Gruppen, nämlich in Krankenhäusern, und zwar
im allgemeinen mit bestätigendem Erfolg durchzuführen vermocht.
Das im letzteren Fall angewandte Verfahren besteht aber augen-
scheinlich wieder in einer Gruppen Zerlegung. Ebenso würde
diese direct analytische Methode anzuwenden sein, wenn man
der bis jetzt einer statistischen Untersuchung noch fast ganz
unzugänglichen Frage nach dem Einflüsse der Yaccination auf die
sonstige Morbidität und Mortalität nahetreten wollte. Denn es würde
dazu erforderlich sein, nachdem die Anzahl der Geimpften und der
Ungeimpften in einer Gesammtheit festgestellt ist, wieder bei den
einzelnen Krankheiten und Todesfällen eine Zerlegung in Gruppen
geimpfter und ungeimpfter Kranker und Gestorbener auszuführen''').
So hat überhaupt die Methode der Gruppenzerlegung eine unmittel-
barere Bedeutung für die Auffindung bestimmter Ursachen der
Massenerscheinungen. Die Methode der Gruppenverknüpfung da-
gegen tritt vor allem da ergänzend ein, wo ein fest gegebenes
Material vorliegt, das an und für sich schon in bestimmte räumliche
oder zeitliche Gruppen zerfällt, und das eine weitere willkürliche
Zerlegung aus Mangel zureichender statistischer Erhebungen nicht
zulässt. Uebrigens erweisen sich beide Yerfahrungsweisen auch
darin als specielle Formen der vergleichenden Methode, dass jede
von ihnen sowohl auf Erkennung von Unterschieden wie auf Fest-
stellung von Uebereinstimmungen beruht. So ist die Gruppen-
zerlegung zwar an und für sich eine unterscheidende Thätigkeit,
aber die Ordnung der individuellen Fälle in bestimmte Gruppen er-
folgt auf Grund übereinstimmender Merkmale; und die Gruppen-
verknüpfimg geht zwar zunächst von Uebereinstimmungen aus,
aber bei der darauf folgenden Gegenüberstellung verschiedener
Gruppen spielen theils Qualitäts- theils Quantitätsunterschiede eine
entscheidende Rolle. In beiden Fällen muss man ferner stets im
Auge behalten, dass einzelne Uebereinstimmungen und Unter-
schiede oder einzelne correlative Veränderungen an und für sich
nichts beweisen, auch wenn die statistischen Zahlen in denen sie
hervortreten noch so gross sind. Vielmehr müssen die correlativen
Veränderungen durch alle möglichen Variationen sonstiger Be-
*) Das ganze für die Methodik der Statistik sehr interessante Material
über diese Fragen erörtert J. Körösi, Kritik der Yaccinationsstatistik und
neue Beiträge zur Frage des Impfschutzes. 1889.
472 Logik der Gesellschaftewisfienschaflen.
dinguDgen hindurch nachgewiesen werden, und es muss so viel als
möglich durch zweckmässige Gruppenzerlegungen und -Verknüpfungen
die Möglichkeit einer bloss zufälligen d. h. in Wirklichkeit auf
andern unbekannten Ursachen beruhenden Correlation ausgeschlossen
werden. Leider wird dieser Gesichtspunkt nicht immer mit zu-
reichender Strenge festgehalten, und man ist nur zu sehr geneigt irgend
einer vereinzelten Beziehung, sobald sie durch grosse Zahlen unter-
stützt ist, eine allgemeingültige Bedeutung beizulegen oder sie nach
Yorgefassten Meinungen causal zu deuten''').
Sobald durch die angegebenen Methoden entweder bestimmte
regelmässige Beziehungen zwischen gegebenen socialen Massen-
erscheinungen und ihrem zeitlichen oder räumlichen Vorkommen
oder aber solche zwischen zwei Massenerscheinungen selbst auf-
gefunden sind, besitzen solche Beziehungen den Charakter von
empirischenGesetzenim gewöhnlichen Sinne des Wortes. (Vgl.
Bd. II, 1, S. 26 u. oben Cap. I, S. 135 ff.) Die erste und einfachste
Art dieser empirischen Gesetze, die sich unmittelbar an die rein
descriptiven Zustandsbestimmungen anschliesst und in ihrer Form
den empirischen Gesetzen der Naturwissenschaft am nächsten steht,
ist diejenige, bei der die eine der beiden in functionelle Beziehung
gesetzten Grössen in bestimmten Zeit- oder Raumwerthen, die andere
in dem numerischen Werth gewisser Massenerscheinungen besteht.
So erscheint bei der Bestimmung der Sterblichkeitsziffer für die ver-
schiedenen Bezirke eines Landes die erstere als Function des Raumes,
und bei der Untersuchung ihrer Verschiedenheiten während der
einzelnen Jahresmonate tritt sie als Function der Zeit auf. Von
den empirischen Naturgesetzen findet hier nur die in den Verhält-
nissen der Massenbeobachtung begründete Abweichung statt, dass
im allgemeinen nicht an eine stetige Abstufung der Veränder-
lichen gedacht werden kann, sondern dass meist ein sprung weiser
*) Mehr noch als in den personalstatistischen Untersuchungen der Be-
völkerungslehre spielt diese Beurtheilung vereinzelter Correlationen in der national •
Ökonomischen Realstatistik eine Rolle. Dass der Wohlstand einer Bevölkerung
zu- oder abnehme, dass ein Schutzzoll wohlthätig oder verderblich gewirkt habe
u. dergl., kann unter Umständen auf Grund des nämlichen statistischen Materials
bewiesen werden. Hier setzt eben, wie früher erörtert, jede statistische Inter-
pretation eine sorgfältige Analyse der einzelnen zu berücksichtigenden Factoren
voraus. (Vgl. Cap. I, S. 109 ff.) Freilich muss aber auch gesagt werden , dass
eine solche Analyse wirklich durchgeführt sehr häufig die Unmöglichkeit ergibt,
auf Grund des zur Verfügung stehenden statistischen Materials das Problem
endgültig zu lösen.
BevÖlkerungslehre. 473
Uebergang zwischen benachbarten Raum- und Zeitgebieten ge-
schieht. Entweder entspringt dies nur aus der Zusammenfassung der
Einzelbeobachtungen in bestimmte Gruppen; oder es sind zugleich,
z. B. wenn geographische Bezirke als die Urveränderlichen auftreten,
die Bedingungen solche, dass für die zu Grunde liegende Beziehung
selbst keine Stetigkeit vorauszusetzen ist. Bei der zweiten Art
dieser Gesetze werden direct in der Beobachtung von einander un-
abhängige Massenerscheinungen in eine regelmässige Beziehung ge-
bracht. So z. B. wenn man die Mortalität gewisser Gewerbe, die
Vertheilung der Verbrechen nach dem Berufsstand und ähnliches
numerisch zu bestimmen sucht. Auch hier finden sich natürlich
immer zugleich räumliche und zeitliche Beziehungen der Erschei-
nungen; es kann aber von ihnen abstrahirt werden, und es ge-
schieht dies namentlich dann, wenn die Beziehung als eine aus-
nahmslose, also zu jeder Zeit und an jedem Ort stattfindende, dar-
gestellt werden soll. Die Regelmässigkeiten dieser zweiten Art sind
offenbar ebenfalls empirische Gesetze, sie weisen aber meist unmittel-
barer als die bloss räumlichen und zeitlichen Correlationen auf be-
stimmte causale Beziehungen hin.
Insoweit nun die durch Massenbeobachtung gefundenen empi-
rischen Bevölkerungsgesetze überhaupt einer causalen Deutung zu-
gänglich sind, ist diese übrigens niemals aus ihnen selbst zu
gewinnen, sondern aus psychologischen, historischen und, wenn
es sich um die physische Seite des Menschen handelt, aus physio-
logischen und physikalischen Thatsachen. Wenn z. B. die Statistik
zeigt, dass die Eheschliessungen zunehmen, sobald die Getreide-
preise sinken, so sind die psychologischen Motive, die dieses Ge-
setz erklären, lange vor ibrer statistischen Nachweisung bekannt
gewesen. So gibt es überhaupt schwerlich irgend ein causales
Öesetz, welches durch die sociale Statistik direct aufgefunden
worden wäre; sondern diese kann überall nur auf ursächliche Be-
ziehungen aufmerksam machen, deren eigentliche Auffindung dann
der Psychologie oder den in Betracht kommenden physischen Hülfs-
wissenschaften überlassen bleibt. Hiermit hängt zusammen, dass
die Gesetze der socialen Massenerscheinungen, ganz ebenso wie die
Gesetze der Sprache, des Mythus u. dergl. , in ihrer Formulirung
durchweg den Charakter empirischer Gesetze beibehalten, dass
sie sich aber in solche scheiden, deren psychische oder physische
Ursachen noch unbekannt oder zweifelhaft sind, und in solche, bei
denen wir jene Ursachen ohne Schwierigkeit hinzudenken können.
474 Logik der Gesellschafts Wissenschaften.
Hierbei sind es übrigens gerade diese letzteren, die durchaus nicht
von unwandelbarer Allgemeingültigkeit zu sein pflegen, da sie nicht
selten durch psychologische Motive, die den gewöhnlichen entgegen-
wirken, durchkreuzt werden können. (Vgl. Cap. I, S. 142 f.) Deshalb gibt
es überhaupt nur wenige Sätze, denen der Charakter causaler Gesetze
der Gesellschaft im allgemeinsten Sinne zugeschrieben worden ist, und
viele von ihnen sind überdies hypothetischer Art. (Vgl. unten 4, c.)
Der Werth der Nachweisung numerischer Regelmässigkeiten besteht
nun aber auch hier ebenso sehr in der Erkenntniss des physischen und
moralischen Zustandes der Bevölkerungen wie in der Aufhellung
ursächlicher Beziehungen ; und da für die Erklärung geschichtlicher
Veränderungen die Erkenntniss der Zustände ein wesentliches Hfllfs-
mittel ist, ebenso wie hinwiederum gegebene Zustände zum Theil
in geschichtlichen Bedingungen ihre Erklärung finden, so bilden die
Zustandsbestimmungen der Bevölkerungslehre namentlich das werth-
voUste Material für das causale Verständniss der Geschichte.
Doch darf man sich nicht verführen lassen zu glauben, deshalb^
weil die statistischen Thatsachen selbst eine exacte Form be-
sitzen, müsse nun auch der auf sie gegründeten Interpretation eine
solche zukommen. Schon die schwierigeren Gebiete der Natur-
forschung, wie Meteorologie oder Biologie, bieten vielfach Erschei-
nungen dar, die zwar exacte Massbestimmungen gestatten, deren
causale Erklärung aber nur eine qualitative sein kann. Noch mehr
trifft dies bei den socialen Erscheinungen zu, nicht bloss in Folge
der Beschaffenheit der Wissenschaften, auf die sich die Bevölkerungs-
kunde stützen muss, wenn sie die Massenerscheinungen erklären will
sondern auch in Folge des eigenthümlichen Verfahrens der Ab-
straction und Generalisation , dessen sie sich zum Behuf der Auf-
stellung ihrer empirischen Gesetze bedient. Causale Gesetze von
exactem Charakter lassen sich überall nur gewinnen, wenn die
numerisch festgestellten Wirkungen einzelne Thatsachen sind, zu
denen nun andere einzelne Thatsachen als numerisch festzustellende
Ursachen gefunden werden können. So beschaffen sind aber die
Thatsachen der statistischen Massenbeobachtung niemals. Denn die
Statistik verwendet grosse Zahlen, nicht um die mehr oder minder
erheblichen Abweichungen einzelner Beobachtungen, deren jede schon
das ganze gesuchte Gesetz enthält, zu eliminiren, sondern weil bei
ihrem Untersuchungsobject das Gesetz überhaupt nur für Massen-
erscheinungen gilt. Darum können auch irgend welche Fragen, **
sich auf das Individuum als solches beziehen, niemals durch i
Bevölkerungslehre. 475
Massenbeobachtung entschieden werden. Die Regel, dass für einen
vierzigjährigen Mann die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit be-
steht zehn weitere Jahre zu leben, kann für eine Lebensversiche-
rungsgesellschaft massgebend sein, die es bei ihren Berechnungen
nur mit Massen zu thun hat, nicht für den Einzelnen selbst. Und
niemand wird nach den Resultaten der Yerbrecherstatistik die Neigung
eines bestimmten Individuums zu einzelnen Formen der Gesetzes-
übertretung bemessen wollen. Wo die Statistik trotzdem ihre Durch-
schnittswerthe auf das Individuum bezieht, da besteht für sie die
Bedeutung dieser Abstraction des „mittleren Menschen" nur darin,
dass sie am einfachsten eine Yergleichung des Zustandes verschie-
dener Bevölkerungen oder Bevölkerungskreise ermöglicht, wobei aber
die Vergleichung eine unvollkommene bleibt, wenn nicht ausserdem
Zahlwerthe für die Grösse der Schwankungen angegeben werden.
Während jedoch bei der Ermittelung physikalischer Gesetze diese
letzteren Werthe nur ein Mass für die Genauigkeit der Beobachtung
sind, beziehen sie sich hier auf die Erscheinungen selbst. In Folge
dieser Bedeutung der Durchschnittswerthe und der Abweichungen von
denselben sind für die Verwerthung der statistischen Beobachtungen
die Ghrundsätze der Wahrscheinlichkeitstheorie massgebend, deren
Anpassungen an den vorliegenden Fall sich aus den oben geltend
gemachten allgemeinen Gesichtspunkten ergeben^).
Neben den arithmetischen Methoden spielen aber ausserdem
geometrische Darstellungen als Hülfsmittel der Yeranschaulichung
und bis zu einem ge¥rissen Grade auch der Auffindung regelmässiger
Beziehungen eine nicht unwichtige Rolle. Der specifische Charakter
des statistischen Verfahrens findet bei ihnen seinen Ausdruck darin,
dass die darzustellenden Functionsbeziehungen meist viel zu ver-
wickelt sind, um einfache Curven, bei denen die Zeit oder der
Raum als lineare Abscissen dienen, verwenden zu können. So führt
z. B. schon eines der einfachsten Probleme des Bevölkerungswechsels,
die Darstellung der Geburts- und Todesfälle in ihrer Vertheilung
über einen bestimmten Zeitraum und in ihrer Be-' Dhimg zu der zu-
gehörigen Gesammtheit der Lebenden, zu eir . mit den gewöhn-
Uchen Mitteln der geometrischen Construction nicht zu lösenden
Aufgabe, auch wenn man die dritte Dimension des Raumes zu Hülfe
nimmt. Man ist daher zur Einführung besonderer, für diesen Zweck
*) Vgl. W. Lexia, Zur Theorie der Massenerscheinungen der mensch-
ichen Qesellschaft. 1877, S. 13 fF. Wcstergaard, Die Grundzüge der Theorie
der Statistik. 1890.
476 Logik der Gesellschafts Wissenschaften.
geeigneter Darstellungsweisen genöthigt. Man verzeichnet z. B.
nach dem Vorgänge von Knapp die einzelnen Lebenslängen al>
gerade Linien, die der Äbscissenlinie der Zeiten parallel gezogen
und zugleich in dem Masse, als ihre Anfangspunkte, die Geburts-
zeiten, späteren Zeitabscissen entsprechen, in zunehmend grössere
Ordinatenhöhen gehoben werden. Es bilden dann die Anfangs- und
Endpunkte dieser Lebenslinien, die Geburts- und Sterbepunkte, Punkt-
mengen, die ein unmittelbares Bild von der durch Geburt und Tod
verursachten Bewegimg der Bevölkerung gewähren und sich in ihrer
wechselnden Dichtigkeit ebensowohl zu der mittleren Grösse der
Lebenslinien wie zu den Gesammtheiten der Geborenen und Ver-
storbenen in Beziehungen bringen lassen*). Sobald die Anzahl der
zu berücksichtigenden variabeln Werthe grösser wird, sind aber
auch diese Methoden nicht mehr anwendbar, und man bedient sich
daher in solchen Fällen vereinfachter Veranschaulichungen, die sich
aus den vorigen von selbst ergeben, wenn man sich die Punkt-
mengen, die der Frequenz irgend eines Ereignisses oder einem
sonstigen durch Abzahlung gewonnenen Massenwerth entsprechen,
durch Flächengrössen, z. B. durch Rechtecke, ersetzt denkt, wo die
Basis jedesmal einem bestimmten Abscissenwerth der Zeit oder der sonst
angenommenen Urveränderlichen entspricht, während die Höhe den
auf diesen Abscissenwerth kommenden numerischen Betrag der be-
treffenden Massenerscheinung misst. Derartiger Diagramme können
dann, durch verschiedene Farbe oder Schraffirung unterschieden, so
viele über einander gesetzt werden, als man neben einander her-
gehende Massenerscheinungen, bezogen auf die nämliche Zeit, dar-
zustellen wünscht. Wo räumh'che Abhängigkeiten vorliegen, da
versagen aber in der Regel auch diese Hülfsmittel quantitativer
Veranschaulichung, und es bleiben nur die oben (S. 454) erwähnten
Darstellungen auf Grundlage der geographischen Karte übrig, eine
Verbindung die der gemischten, halb demologischen halb ethno-
logischen Natur solcher Erscheinungen entspricht**).
*) Ueber verschiedene Confitruetionen dieser Art vgl. Lexis, Einleitung
in die Theorie der Bevölkerungsstatistik, 1875, und in kürzerer Darstellung im
Handwörterbuch der Staatswissenschaften, II, Art. Bevölkerungswechsel, S. 456 ff.
**) Vgl. G. Majr, Die Gesetzmässigkeit im Gesellschaftsleben, S. 70 ff-
Statistik und Gesellschaftslehre, T, S. 102 ff.
Staatswissenschaft. 477
d. Die Staatswissenschaft.
Indem die Ethnologie die menschliche Gesellschaft in ihren
durch Rasse und Volksthum bestimmten qualitativen Differenzirungen,
die Demologie dieselbe in ihren durch das sociale Leben bedingten
Massenerscheinungen erforscht, enthalten sich beide, so weit es ohne
Beeinträchtigung der eigenen Aufgaben möglich ist, einer näheren
Betrachtung der socialen Organisationen, die das Zusammen-
leben bestimmen, und' die den verschiedenen Gruppen social ver-
bundener Individuen nach innen und aussen den Charakter zu-
sammengesetzter Einheiten verleihen. Die Untersuchung
dieser socialen Organisationsformen bildet nun die Aufgabe der
dritten und letzten unter den allgemeinen Socialwissenschaften,
der Staats wissen Schaft. Sie trägt ihren Namen von der wich-
tigsten jener Gemeinschaften, an deren Betrachtung sie sich zuerst
herangebildet hat, und die bis in die neueste Zeit fast das aus-
hchliessUche Object ihrer Untersuchungen gewesen ist. In dem
System der Gesellschaftswissenschaften kommt ihr aber an und für
sich, wie gegenwärtig mehr und mehr anerkannt wird, eine allge-
meinere Stellung zu. Setzt doch das Studium der Organisation des
Staates, wenn es sich auf ein historisch-genetisches Yerständniss
gründen will, die Eenntniss der dem Staate vorangehenden primi-
ti?eren socialen Organisationen, der Horde, des Stammes, der Familie,
voraus. Vollends bilden die in ihm enthaltenen socialen Bildungen,
die Vereine, Corporationen , Gemeinden u. s. w., einen wesentlichen
Bestandtheil der Staatsorganisation selbst, während die über ihn
hinausreichenden internationalen und völkerrechtlichen Verbindungen
eine immer mehr zur Entwicklung gelangende wichtige und noth-
wendige Ergänzung seiner Organisation sind.
Für die Sonderung der Staatswissenschaft von andern ihrer
Aufgabe nach ihr nahe verbundenen Socialwissenschaften ist nun
die Unterscheidung derPersonal- von den Realorganisationen,
die uns in den Untersuchungen der Bevölkerungslehre in der Form
der Personal- und Realstatistik bereits begegnete (S. 458), von
wesentlicher Bedeutung. Da der Staat, ebenso wie jeder andere
sociale Verband, Personen als letzte Bestandtheile in sich schliesst,
so ist die Staatswissenschaft vor allem eine Lehre von den Personal-
organisationen der menschlichen Gesellschaft. Da sich aber das
Leben dieser persönlichen Verbände zu einem wichtigen Theil in
478 Logik der Gesellschaftswiasenachafteii.
Realorganisationen bethätigt, so fallen im weiteren Sinne auch
diese der staatswissenschaftlichen Untersuchung anheim. Denmach
werden die persönlichen Organisationen der Gesellschaft in Familie,
Gemeinde, Staat und Staatenverbindungen sowie in den freieren
Gesellschaftsbildungen der Vereine, Genossenschaften und Corpora-
tionen einer allgemeinen Staatslehre zugerechnet, während
die sämmtlichen Realorganisationen, wie die Staatswirthschaft, das
Finanzwesen, Polizei, Cultus und Unterricht, Verkehr, Arbeitsschutz.
Armenpflege u. s. w., Specialgebiete bilden, von denen die wichtigeren
überall zu selbständigen Wissenschaften ausgewachsen sind. Unter
ihnen nehmen zwei Gebiete, nämlich die Volkswirthschafts-
lehre und die Rechtswissenschaft, aus verschiedenen Gründen
wieder eine noch selbständigere Stellung ausserhalb der Staats-
wissenschaft in der engeren Bedeutung dieses Begriffes ein: die
Volkswirthschaft weil sie in so aUgemeinen menschlichen Bedürf-
nissen ihren Ursprung hat, dass dieselben an sich ganz unabhängig
von bestimmten politischen und sonstigen socialen Organisations-
bedingungen untersucht werden können; die Rechtswissenschaft weil
die Rechtsnormen zwar zunächst Producte der socialen und nament-
lich der politischen Organisation sind, ausserdem aber mit allgemein-
gültigen ethischen Eigenschaften des Menschen zusammenhängen,
die ihrerseits der Bildung socialer Gemeinschaften normgebend gegen-
übertreten. In diesem letztem Verhältnisse liegt es dann begründet,
dass auch die Rechts begriffe eine Stufenleiter von Abstractionen
bilden, von denen gerade die allgemeinsten auf die besonderen Be-
dingungen der socialen Organisation gar keine Rücksicht nehmen,
wogegen die specielleren überall den concreten Bedingungen des
gesellschaftlichen Lebens nachgehen, daher nun den einzelnen Gre-
bieten der Staats Wissenschaft überall auch besondere Gebiete
des Staatsrechts entsprechen: so einerseits der allgemeinen Staat«-
wissenschaft das allgemeine Staatsrecht mit den in ihm enthaltenen
Theilen des Familienrechts, Gemeinderechts, Corporationsrechts u. s. w.,
und anderseits den verschiedenen realen Organisationsgebieten be-
sondere Theile des öffentlichen Rechts, wie das Verwaltungsrecht
Verkehrsrecht, Armenrecht u. s. w. Während also die Volkswirth-
schaftslehre ausserhalb des engeren Gebiets der Staatswissenschaft
liegt, weil ihr Gegenstand mit ursprünglichen Bedürfnissen des
menschlichen Lebens zusammenhängt, die von jeder besonderen Be-
schaffenheit der Gesellschaft unabhängig sind, verdankt die Rechts-
wissenschaft ihre Sonderstellung dem Umstände, dass ihre Begriffe
Staatswissenschafb. 479
auf ethische Normen gegründet sind, die wiederum unabhängig von
jeder besonderen Gestaltung der Gesellschaft gelten. Während aber
dort diese Abhängigkeit von allgemein menschlichen Bedürfnissen
und Forderungen schon in den primitivsten Stadien der socialen
Entwicklung und auf ihnen am deutlichsten hervortritt, setzt sie
hier, wo sie ein Product sittlicher Entwicklung ist, eine Reife der
Anschauungen voraus, die nur auf den höchsten Stufen der socialen
Organisation erreicht wird. Vorher ist das Recht ein social ge-
bundenes, sein ethischer Charakter wird zurückgedrängt von dem
Zwang gesellschaftlicher Bedürfnisse: man erinnere sich nur der
langsamen Anerkennung humaner Anschauungen im Strafrecht, im
Völkerrecht, und an das sehr allmähliche Eindringen ethischer Ideen
in die verschiedensten Gebiete des inneren Staatsrechts. Demnach
ist das Yerhältniss der Volkswirthschaft und des Rechts zur Staats-
wissenschaft und allgemeinen Gesellschaftslehre, obgleich äusserlicli
ähnlich, doch innerlich ein entgegengesetztes — ein unterschied der
auch für die Entwicklung beider Gebiete eine grosse Bedeutung
hat. In der Volkswirthschaft überwindet allmählich der sociale Zweck
die ursprünglichen, vorgesellschaftlichen Beweggründe ; in dem Recht
Terdrängt das ethische Princip mehr und mehr die ursprünglich
unter dem alleinigen Einflüsse der socialen Noth entstandenen Nor-
men. Dagegen ist es hinwiederum eine Folge der äusseren Aehn-
lichkeit der Verhältnisse, dass beide Wissenschaften ihre relative
Unabhängigkeit von den besonderen socialen Bedingungen vor allen
Dingen in den abstracteren begrifflichen Untersuchungen zur
Geltung bringen, worauf sich dann die concreten Theile von selbst
zu Anwendungen der abstracten Theorie auf die besonderen Formen
des socialen Lebens gestalten.
Die staatswissenschaftlichen Methoden bestehen natur-
gemäss überall in Anwendungen der vergleichenden Methode,
die auch hier wieder in den beiden Formen der individuell-histo-
rischen und der generischen Vergleichung vorkommt. (Vgl. S. 68 ff.)
Sucht jene über die Entwicklung der gesellschaftlichen Organi-
sationen Aufschluss zu gewinnen, so ist diese bemüht die Organi-
sationsformen der einzelnen socialen Bildungen durch die Feststellung
ihres Verhältnisses zu andern von verwandter Art zu beleuchten.
Im allgemeinen ist auf diesem Gebiet die generische Vergleichung
die weit früher geübte. Sie hat zu den bekannten Eintheilungen
der Staatsformen in Monarchie, Aristokratie und Demokratie, Autori-
480 Logik der GesellschaftswissenBchaften.
täts- und Rechtsstaat, Krieger-, Ackerbau- und Industriestaat u. s. w.,
ebenso der Familie in Einzelfamilie und Gesammtfamilie, mono-
gamische und polygamische Eheform, endlich der verschiedenen
freien Verbände in Gesellschaften, Vereine, Genossenschaften und
Corporationen geführt. So unerlässlich solche auf wenige descrip-
tive Merkmale gegründete Eintheilungen sind, so sind doch die
meisten derselben und namentlich die der verwickelteren Organi-
sationen, wie des Staates, von nur geringem Erkenntnisswerth ; und
dem Mangel der hierbei im allgemeinen vorzeitig angewandten
generischen Abstraction wird auch durch die verschiedenen schema-
tischen Untereintheilungen, die das künstliche System den concreten
Verhältnissen näher bringen sollen, wie z. B. die Aristotelische
Unterscheidung jeder der drei Hauptformen in eine gute und eine
schlechte Art oder, wie wir es wohl heute nennen würden, in eine
Rechts- und eine Autoritätsform, wenig abgeholfen. Die neuere
Staatswissenschaft pflegt daher durchgängig vor der generischen die
individuell-historische Methode zu bevorzugen. Sie sieht ihre nächste
und wichtigste Aufgabe in der Untersuchung der Organisations-
verhältnisse der concreten einzelnen Staaten und gönnt der gene-
rischen Vergleichung nur insoweit Raum, als sich aus den indivi-
duellen Erscheinungen allgemeingültige Regeln ergeben. Demnach
legt dann eine solche auf Grund der concret-historischen Unter-
suchung entstehende allgemeine Staatstheorie auch bei den gene-
rellen Verhältnissen nur einen verhältnissmässig untergeordneten
Werth auf die äusseren Formen, den weitaus grösseren dagegen auf
die Beschaffenheit der einzelnen im Staate zusammenwirkenden per-
sonalen und realen Organisationen und auf die durch sie erstrebten
socialen Zwecke*).
*) In diesem Geiste sind daher die meisten neueren Darstellungen der
Staatswissenschafb und des Staatsrechts, wie die Werke von R. von Mohl
(Encyklopädie der Staatewissenschaften, 2. Aufl. 1872), Bluntschli (Deutsche
Staatslehre und die heutige Staaten weit, 1890), Schaf fle (Bau und Leben des
socialen Körpers, Bd. 4, S. 217 ff.) u. A. gehalten. Röscher folgt zwar in
seiner Politik (2. Aufl. 1892) in der Hauptgliederung des Stoffs der Aristotelischen
Classification, sucht sie aber dann im einzelnen nach geschichtlichen Gesichts-
punkten zu ergänzen : so z. B. indem er die Aristokratie in eine Ritter-, Priester-
und Stadtearistokratie eintheilt u. s. w., und ausserdem gewisse politisch wichtige
Erscheinungen, wie Plutokratie und Proletariat, Cäsarismus, in ergänzenden
Capiteln behandelt. Freilich lässt sich aber auch an der DarsteUung Rösche rs
erkennen, dass durch diese Bevorzugung des formalen Eintheilungsprincips die
eigentlichen Organisationsfragen zurücktreten, wie denn z. B. in dem sonst so
Staatswissenscliaft. 481
Immerhin bleibt es eine Aufgabe der Staatswissenschaft, auch
aof ihrem Gebiete, entsprechend dem regelmässigen Gang der ver-
gleichenden Methode, von der individuellen zur generischen Betrach-
tung fortzuschreiten, und wenn dieser Aufgabe durch die gewöhn-
lichen formalen Unterscheidungen nur sehr mangelhaft entsprochen
wird, so liegt darin eine um so dringendere Aufforderung, an
die Stelle dieser äusserlichen Auffassung der Staatsformen eine
tiefere Betrachtung des Wesens und der Wesensunterschiede der
Staatsorganisationen zu setzen. So leicht nun aber jene äusseren
Unterscheidungen sind, so schwierig ist eine befriedigende Lösimg
dieses mehr und mehr in den Mittelpunkt der neueren Staatswissen-
schaft gerückten Problems. Setzt sie doch neben der Kenntniss der
politischen und socialen Zustände auch eine solche der mannigfachen
Factoren voraus, die diese Zustände und ihren wechselseitigen Zu-
sammenhang bestimmen. So sieht sich hier die Staatswissenschaft
bei einem ähnlichen Wendepunkt angelangt wie die Geschichts-
wissenschaft, seitdem in ihr die Forderung nach einer allseitigen
Berücksichtigung der culturhistorischen und socialen Factoren der ge-
schichtlichen Zustände zur Geltung gelangt ist. Nur freilich dass
die Kräfte, von denen die Organisation der Gesellschaft abhängt,
im allgemeinen noch weniger aufgehellt sind als jene wirthschaft-
lichen und geistigen Bedingungen, die in das geschichtliche Leben
bestimmend eingreifen. So ist es denn verständlich, dass sich hier
die Staatswissenschaft vielfach gewisser Hülfsmethoden bedient,
die sie entweder ganz und gar andern Gebieten entnimmt, oder die
doch unmittelbar nur gewissen Theilerscheinungen des politisch-
sodalen Lebens entsprechen. Solcher Methoden sind in der Staats-
wissenschaft vier zur Anwendung gekonmuen; wir wollen sie nach
den in ihnen herrschenden hauptsächlichsten Gesichtspunkten als
die physikalische, die biologische, die juristische und
diesociologische bezeichnen. Das Yerhaltniss dieser vier Methoden
ist derart, dass die erste und dritte durch die individualistische,
Tiele treffende poUtische und historische Bemerkungen enthaltenden Werke die
oonititationelle Monarchie und der Parlamentarismus nicht einmal erwähnt sind«
Ganz im Gegensatz hierzu nennt 6. Ratzenhofe r (Wesen und Zweck der
Politik, Bd. I, 8. 198) die Aristotelische Classification eine «unwissenschaftliche*
und legt, abgesehen von der Unterscheidung des absoluten Staats und des
Eechtsstaats, auf die formalen Unterschiede Überhaupt einen geringen, auf die
socialen und civilisatorischen Aufgaben des Staates und die ihnen dienenden
Organisationen aber den Hauptwerth.
Wandt, Logik. II, >. 2. Aufl. 31
482 Logik der GeselUchaftswiBsenschaften.
die zweite und vierte durch die collectivistische Gesinnung, die
in ihnen vorherrscht, einander näher stehen, während die erste und
zweite durch die Anlehnung an bestimmte naturwissenschaftliche
Methoden, die dritte und vierte durch das Streben dem Oebiet des
gesellschaftlichen Lebens selbst die leitenden Gesichtspunkte zu ent-
nehmen einander verwandt sind. Aus der letzteren Beziehung er-
klärt es sich auch, dass üebergänge zwischen diesen Methoden und
den Anschauungen, von denen sie getragen sind, in der Regel ent-
weder als eine Verbindung der physikalischen mit der biologischen
oder als eine solche der juristischen mit der sociologischen Betrach-
tung vorkommen.
Die physikalische Methode wurzelt in den Anschau-
ungen der mechanischen Naturphilosophie. Hatte Hobbes den
Staat als einen „ künstlichen Körper ** bezeichnet, so stellte dem
die nachfolgende Entwicklung des Naturrechts, namentlich in ihren
einer materialistischen Metaphysik zugeneigten Vertretern, die Idee
gegenüber, dass er ein , natürlicher Körper'* sei oder doch sein
sollte, von den physischen Körpern im engeren Sinne nur durch
seine verwickeitere Zusanunensetzung verschieden *). In der neueren
Ausbildung der physikalischen Methode tritt jedoch dieser meta-
physische Gesichtspunkt zurück: nicht weil die Gesellschaft ein zu-
sammengesetzter Körper, sondern weil sie überhaupt ein zusammen-
gesetzter Begriff ist, sollen auf sie die Methoden anzuwenden sein,
welche die Physik zur Analyse solcher concreter Erscheinungen ge-
schaffen hat, bei denen sich die resultirenden Wirkungen als noth-
wendige Folgen aus den Eigenschaften der einzelnen Gomponenten
und Bestandtheile ergeben. Dies ist der Sinn, in welchem Com te
seine sociale Statik und Dynamik unterschied"'"'), und in welchem
*) Einen Beleg filr diese Fortbildang liefert Montesquieu« .Geist der
Gesetze* zusammengehalten mit den daza gelieferten kritischen Anmerkungen
des Helvetius. Den Naturgesetzen, die aus dem Wesen des Menschen ent-
springen, stellt Montesqieu die , positiven Gesetze' gegenüber, die allerdings
ebenfalls möglichst der natürlichen Beschaffenheit des Landes und Volkes ent-
sprechen sollen, ihrem Ursprung nach aber Erzengnisse des Willems nnd Te^
•nünfdger üeberlegung seien. (Geist der Gesetze, Buch I, Gap. 1 — 8.) Helvetiiu
h< diese Unterscheidung für .schwach und dunkel*, weil die wahre Quelle
aller Gesetze die «wohl begründete Natur des Menschen* seL
*^ Allerdings stützt Gomte seine Sociologie zugleich anf die Biologie;
aber er hebt doch nachdrücklich hervor, dass die Harmonie oder der Consenstis
der Theile des Ganzen, der den Org^ismus auszeichne, nichts diesem spedfisch
eigenthümliches sei, sondern dass derselbe schon in d«r unorganischen Natur,
V
Staatswissenschafk. 483
Quetelet die Gesellschaftslebre eine „Physique social^ nannte. Am
schärfsten hat aber John Stuart Mill diese methodologische Ana-
logie mit der Physik hervorgehoben, indem er das entscheidende
Gewicht darauf legte, dass die gesellschaftlichen Erscheinungen genau
so aus der Natur des individuellen Menschen abzuleiten seien, wie
in der Physik aus den Eigenschaften der einzelnen Körper die Er-
scheinungen ihres Zusammenwirkens. Darum ist ihm auch die
Sociologie ihrem Qrundcharakter nach eine deductive Wissen-
schaft: aus den Eigenschaften des Individuums habe sie zuerst
die socialen Gesetze psychologisch zu deduciren, um dann die Resultate
nachträglich durch die directe Beobachtung zu verificiren'*').
Gegen das Princip dieser Methode lässt sich vor allem ein-
wenden, dass dasselbe auf einer falschen, nirgends durch die Er-
fahrung bestätigten Voraussetzung ruht, auf der Voraussetzung
nämlich, alle Eigenschaften einer Gemeinschaft seien aus den Eigen-
schaften der Individuen die ihr angehören a priori abzuleiten. Eine
z. B. in dem astronomiflchen System, vorkomme. (Cours de Philos. pos., lY, Le^. 48.)
Comte steht hier, ähnlich wie Spencer (s. u.), zwischen physikalischer und
biologischer Methode mitten inne. Doch hat immerhin Spencer die , organische'
Natnr der Gesellschaft stärker betont, weshalb es angemessener scheint, ihn den
Vertretern der biologischen Methode zuzuzählen.
*) Mill, Logik, n, Buch VI, Cap. VII, deutsche üebers. von Schiel,
2. Aufl., II, S. 486 ff. Mill unterscheidet seine .physikalische' von der „geo.
metrischen' und der , chemischen' Methode. Dabei versteht er unter geometrischer
Methode ein abstract-constructives, unter chemischer ein ezperimentell-inductives
Verfahren, welches da angewandt werden müsse, wo, wie in der Chemie, die resul-
tiienden Wirkungen nicht aus ihren Componenten deducirt, sondern nur em-
pirisch ermittelt werden könnten. Da nun diese Voraussetzung auch für die
biologische Methode massgebend ist, bei der jene Verschiedenheit des Ganzen
von der Summe seiner Theile in der , organischen" Structur der Gesellschaft
gesehen wird, so ist offenbar die chemische mit der biologischen Methode
identisch. Die letztere Bezeichnung dürfte aber doch die angemessenere sein,
da die Vergleichung der Gesellschaft mit einem organischen Gebilde immerhin
i^er liegt, als die mit einer chemischen Verbindung. Mill tadelt es an
Comte, dass er zwar im ganzen die physikalische Methode anzuwenden ver-
sacht, aber die erforderliche Reihenfolge der Verfahrungsweisen umgekehrt
habe, indem er zuerst generalisire, um dann wo möglich die gefundenen
empirischen G^etze zu deduciren. Die Ansicht, dass man unmittelbar durch
die Sammlung zahlreicher Beobachtungen sociale und historische Gesetze auf-
finden könne, ist aber bei Comte selbst noch bei weitem nicht so ausgesprochen
^e bei Quetelet und Buckle, bei denen diese Ansicht mit der Forderung
einer unmittelbaren Anwendung der statistischen Methode auf Sociologie
Qod Geschichte zusammenhängt. (Vgl. hierzu Cap. m, S. 342.)
484 Logik der Geaellschaftswissenschaften.
solche Deduction ist aber nicht nur unmöglich, sondern es sind sogar
umgekehrt die socialen Erscheinungen, wenn sie empirisch gegeben
sind, immer nur theilweise durch das Zurückgehen auf die psychischen
Eigenschaften des einzelnen Menschen verständlich zu machen. Was
hierbei überall noch hinzukommen muss, ist die Erwägung der Be-
dingungen, die aus dem Zusammenleben der Einzelnen entstehen,
und durch deren Rückwirkung auf den Einzelnen auch in diesem
neue psychische Eigenschaften entbunden werden. Das wird Tor
allem deutlich an den ursprünglichsten, allen weiteren Formen
des socialen Lebens zu Grunde liegenden Gemeinschaftserzeugnissen,
der Sprache, der Sitte, die überall zuerst in ihrer thatsächlichen
Beschaffenheit und in ihren besonderen geschichtlichen Entwicklungs-
bedingungen erkannt sein müssen, ehe an eine psychologische
Deutung gedacht werden kann, und wo diese Deutung selbst stets
den concreten Bedingungen menschlichen Zusammenlebens Rechnung
tragen muss. Der Schematismus der physikalischen Methode beruht
daher auf einer völligen Yerkennung der methodischen Grundlagen
aller Interpretation. (Vgl. Cap. I, S. 99 f.) Einigermassen begreif-
lich wird dieser Irrthum nur dadurch, dass diesem Versuch, die
Socialwissenschaften als deductive Wissenschafken im Sinne der theo-
retischen Physik aufzufassen, die theoretische Volkswirthschafkslehre,
nicht die eigentliche Staatswissenschaft, als Vorbild gedient hat.
Aber auch für jene trifft das Schema nicht zu, da die Erscheinungen
des wirthschaftlichen Verkehrs schliesslich nach den nämlichen
Regeln der Interpretation beurtheilt werden müssen, die, nur modi-
ficirt nach den besonderen Bedingungen, für alle Geisteswissen-
schaften gelten. (Vgl. unten S. 503.) So lässt sich denn der , physi-
kalischen Methode*^ in keiner Hinsicht irgend ein werth voller Ge-
sichtspunkt abgewinnen: sie bleibt ein warnendes Beispiel für die
schädliche Wirkung einer nach spärlichen äusseren Analogien aus-
geführten üebertragung.
Die biologische Methode geht bis in das Alterthum zurück.
Sie hat ihre Wurzel in der hellenischen Staatsauffassung der classi-
schen Zeit und findet, während freilich im öffentlichen Leben selbst
diese Auffassung bereits geschwimden war, ihren Ausdruck in der
Platonischen und in einer gemilderten Form in der Aristotelischen
Staatslehre. Dem Plato ist der Staat ein Mensch im grossen, dem
Aristoteles ist der Mensch ein politisches Wesen, beiden aber
ist der Staat ein organisches und lebendiges Ganze. Dieselbe An-
schauung taucht im Mittelalter wieder auf als Symptom des Gegen-
Staatswifisenschaft. 485
Satzes gegen die von der Kirche angenommene Lehre von dem künst-
lichen, bloss auf Vertrag und üebereinkunft beruhenden Wesen des
Staates. Ihr gegenüber betont schon ein Nikolaus von Gues die
organische, auf ursprünglichen und natürlichen Bedingungen be-
ruhende Natur desselben. Diese organische Staatslehre zieht sich
dann mit wechselndem Glück, aber meist durch Anschauungen ent-
g^engesetzter Art zurückgedrängt und daher nur auf einzelne
Denker beschränkt, durch die neueren Jahrhunderte, bis sie sich in
unserer Zeit, angeregt zuerst durch politische Instinkte, dann durch
naturphilosophische und sociologische Anschauungen, mit grösserer
Macht wieder erhebt. So lange freilich bloss das politische Interesse
hinter ihr stand, konnte es die «organische Staatslehre'' zu keinem
rechten Erfolg bringen. War auch an sich der Wunsch, die orga-
nische Natur des Staats und seine dem Einzeldasein überlegene
ReaUtät zu betonen, ein wohl berechtigter und im ganzen auf rich-
tiger Beobachtung ruhender; so blieb doch die Ausbildung der
Theorie so lange eine allzu äusserliche, als diese organische Staats-
lehre in der mystisch verschwonmienen Naturphilosophie Schellings
und seiner Nachfolger einen Anhalt für die Ausbildung ihrer Be-
griffe suchte. Hier wurde dann unausbleiblich der weitgehende
Missbrauch, den diese Naturphilosophie mit vagen Analogien trieb,
nur auf ein anderes Gebiet verpflanzt. So entstand eine Staats-
philosophie, die an die Stelle einer wirklichen Interpretation der
Dinge eine Versinnlichung derselben durch mehr oder minder poetisch
gedachte, meist aber sehr willkürliche und nicht selten geschmack-
lose Gleichnisse setzte : so wenn die Verbindung von Staat und Kirche
mit der Ehe verglichen und in diesem Ehebunde der Staat als der
Mann, die Kirche als das Weib bezeichnet wurde, oder wenn man
gar die verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsorgane mit den
Sinneswerkzeugen und sonstigen Theilen des Körpers in Analogie
brachte*).
Eine ernstere Bedeutung gewann die biologische Methode, als
auf der einen Seite die Naturphilosophie aus der Darwin'schen
Theorie neue und exacter begründete Anregungen schöpfte, während
auf der andern in die Staatswissenschaft der Gedanke eindrang,
dass sie nur ein Theil einer allgemeinen Sociologie sei. Es lag
nun nahe genug, als die Vorstufe dieser Sociologie die Biologie
*) Vgl über diese Lehren R. von Mohl, Die Geschichte und Literatur
der StaatawiasenBchaften, I, 1855, S. 259 f.
486 Logik der GesellBchafbswiBsenschaften.
zu betrachten und daraus die Folgerung zu ziehen, dass die Methoden
des relativ einfacheren Gebietes auch in dem verwickelteren anwend-
bar sein müssten, analog wie sich ja die Biologie ihrerseits der
physikalischen und chemischen oder die Physik der mechanischen
imd mathematischen Methoden bediene. Die biologische Methode
der Staatswissenschaft ergab sich so als eine unmittelbare Folgerang
aus dem von Comte so genannten System der , Hierarchie der
Wissenschafken'' *). Damit entstand aber zugleich eine Spaltung
dieser biologischen Richtung in zwei einzelne Richtungen von theil-
weise entgegengesetzter Tendenz. Fasste man die Anwendung der
biologischen Methode im Sinne des Gomte'schen Systems, so musste
dieselbe nothwendig um so mehr, je vollständiger der Gedanke der
Hierarchie auf den gesammten Inhalt der Naturphilosophie Einfluss
gewann, ihre specifische Beschaffenheit verlieren und einer all-
gemeinen Methode naturphilosophischer Interpretation Platz machen,
bei der es ungewiss blieb, wie viel die organischen und wie viel die
imorganischen Erscheinungen zu ihr beitragen mochten; ja im all-
gemeinen war zu erwarten, dass diesen letzteren der Hauptantheil
an der Entstehung der grundlegenden Anschauungen zufallen werde,
da sie vorausgehen und so von vornherein die Gesichtspunkte be-
stimmen, unter denen auch die verwickeiteren organischen Erschei-
nungen betrachtet werden. Indem aber die Biologie selbst wieder
physikab'sche oder allgemeiner ausgedrückt kosmologische Principien
anwendet, müssen von diesem Standpunkte aus auch die socio-
logischen oder staatswissenschaftlichen Methoden nur in einer fort-
gesetzten Anwendung gewisser allgemein für die Erscheinungsweli,
insbesondere also schon für die Erforschung der unorganischen Ag-
gregate gültiger Methoden bestehen. Damit wird zunächst für die
Biologie der Gesichtspunkt massgebend, dass der Organismus ein
Aggregat physikalischer Einheiten, für die Sociologie der, dass Ge-
sellschaft und Staat Aggregate physiologischer Einheiten seien. So
entsteht auf der Grundlage dieser biologischen Methode eine indi-
vidualistische Staats- und Gesellschafkslehre , wie sie am folge-
richtigsten, freilich aber auch mit der verwegensten Benützung rein
äusserer Analogien Herbert Spencer in seinen Systemen der Socio-
logie und der Ethik gegeben hat. Seine Methode besteht wesent-
lich darin nachzuweisen, dass die nämlichen Processe der Integration
und der Desintegration, der Vereinigung zu einem Ganzen und der
*) Comte, Cours de Philos. positive, I, Le9. 1.
Staatawissenschafb. 487
Aufhebung des Zusammenliangs, in deren fortwährender rhythmischer
Aufeinanderfolge er das , Entwicklungsgesetz ** sieht, sich in der
ganzen Natur von den einfachsten astronomischen Erscheinungen an
bis zu den höchsten organischen und gesellschaftlichen Bildungen
wiederholen. Da nun jede der so durch fortgesetzte Integration ent-
stehenden Gestaltungen vermöge der durchgängigen Analogie der
Erscheinungen nur eine Wiederholung der sämmtlichen voran-
gegangenen Bildungen auf einer höheren Stufe ist, so hat der Staat
ebenso gut wie die zunächst unter ihm stehende Integrationsstufe,
die zusammengesetzte physiologische Einheit, den Charakter des
, Organismus **, er hat aber auch mit dieser das Wesen der ursprüng-
licheren unorganischen Einheit, des „Aggregates^, gemein, und genau
wie bei einem unorganischen Aggregat sind daher bei ihm die
sänmstliehen Eigenschaften des Oanzen ' in den Eigenschaften der
Einheiten, aus denen sich dies Ganze zusammensetzt, vorgebildet.
So kommt es, dass diese Gesellschaftstheorie organisch und atomistisch
zugleich ist. Und da bei der Erörterung der allgemeinen gesell-
schaftlichen Erscheinungen der organische Zusammenhang, also die
biologische Analogie, bei der Betrachtung der sittlichen Zwecke aber
das Yerhältniss des Einzelnen zu dem socialen Aggregat dem er
angehört, also die unorganische Analogie, die Hauptrolle spielt, so
U^ der scheinbare Widerspruch der Theile dieses Systems, dass
die „Sociologie* auf den Begriff des socialen Organismus, die „Ethik''
aber auf den der Autonomie des Individuums aufgebaut ist, in den
Grundvoraussetzungen der Methode begründet. Gleichwohl ist dieser
Widerspiruch zugleich ein Zeugniss für die Willkürlichkeit dieser Me-
thode. Eine solche Vereinigung entgegengesetzter Grundanschauungen
ist eben nur deshalb möglich, weil jene m einem rein formalen
Analogieverfahren besteht, welches nirgends dem Gegenstand selbst
adäquat ist, sondern auf ihn überall anderwärts entlehnte Anschauungen
hinüberträgt: so auf den physiologischen Organismus den Begriff
des unorganischen Aggregates, auf die Gesellschaft als solche, ohne
sonderliche Rücksicht auf die unendliche Verschiedenheit der in ihr
sich durchkreuzenden Organisationsformen, den Begriff des Organis-
mus. Dass dieses Verfahren äusserlicher Analogiebildungen, das
die entlegensten Erscheinungen schliesslich einem und demselben
mit dem Namen eines Entwicklungsgesetzes geschmückten Begriffs-
8chematismus unterordnet, die wahre Interpretation der Thatsachen
wenig fordern kann, und dass es ein Hineintragen sonst erworbener
subjectiver üeberzeugungen nicht schwer macht, ist einleuchtend.
488 Logik der GesellBchaftswissenschaften.
Wenn Spencer in der Sociologie die Analogie der Gesellschaft mit
dem unorganischen Aggregat und in der Ethik die mit dem orga-
nischen Gbnzen in den Vordergrund gekehrt hätte statt umgekehrt,
so würde schwerlich jemand berechtigt sein, dies als einen Verstoss
gegen die Methode zu rügen. Da nach dieser Alles analog ist,
Niemand aber Alles zugleich in Analogie bringen kann, so gestattet
sie eben die Vergleichspunkte nach Belieben zu wählen*).
Tritt nun aber die biologische Methode nicht, wie es hier ge-
schehen ist, in den Zusammenhang eines allumfassenden philosophi-
schen Systems, sondern beschränkt man sich, wie es dem Standpunkt
des ausschliesslichen Sociologen und Politikers angemessen ist, auf
die Uebertragung der auf biologischem Gebiete gewonnenen An-
schauungen über Entstehung und Wesen organischer Bildungen auf
das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens, so gewinnt die Anwendung
derselben einen ganz andern Charakter. Von diesem engeren
staatswissenschaftlichen Standpunkte aus wird man von vornherein
nur dann zur biologischen Methode greifen, wenn man dadurch der
Anschauung, dass die Gesellschaft, besonders der Staat, ein organi-
sches Ganze sei, einen entschiedenen Ausdruck geben und die Frucht-
barkeit dieser Anschauung durch ihre methodische Verwerthung dar-
thun will. Die Bestrebungen dieser Art sind also selbst schon
von einer collectivistischen Tendenz eingegeben, die sich zu
dem Individualismus der vorhin erwähnten philosophischen Form der
biologischen Methode im äussersten Gegensätze befindet, und die als
eine directe, nur den veränderten Anschauungen der Zeit und den
neueren biologischen Erkenntnissen Rechnung tragende Fortbildung
der älteren «organischen Staatslehre*^ erscheint. Während jene
philosophische Richtung, wie dies namentlich die Vergleichung der
unorganischen Aggregate mit den physiologischen und socialen Or-
ganisationen zeigt, ausschliesslich mit formalen Analogien operirt,
werden hier die Beziehungen zwischen dem einzelnen Organismus
und der socialen Gemeinschaft nachdrücklich als «reale Analogien''
bezeichnet, und die Bedeutung dieser Analogien wird gerade darin
*) Zu Spencers Methode im allgemeinen vgl. dessen , First Frinciples',
deutsch u. d. T. Grundlagen der Philosophie, Gap. XII, S. 282 ff., zur Anwen-
dung der Methode in der Sociologie die einleitenden Gapitel des zweiten Bandes
der Sociologie, S. 8 ff und die Einleitung in die Sociologie, Cap. III, S. 59 ff.
der deutschen Ausgabe, zur Charakterisirung von Spencers Standpunkt den
zweiten Band der Ethik (Justice) und die Schrift .The man versus the state**,
1884. Ueher die Anwendung der Analogie bei Spencer vgl. auch oben S. 441.
Staatswissenschaft. 489
gesehen, dass sie die Gesellschaft und vor allem den Staat nicht
als ein blosses Aggregat von Individuen sondern als eine ähnliche
lebendige Einheit erkennen lassen, wie der Einzelorganismus eine
solche ist. Daraus wird dann weiterhin die methodisch wichtige
Folgerung gezogen, dass den Geweben, Organen und Hauptfunctionen
des individuellen Organismus im allgemeinen auch Gewebe, Organe
und Functionen des socialen Organismus entsprechen müssten, und
es werden in diesem Sinne Gesellschaftslehre und Staatswissenschaft
zusammen eine „Anatomie und Physiologie des socialen Körpers^
genannt*).
Nun hat augenscheinlich diese Methode der ,, realen Analogien*^
zwei Seiten von ungleichem Werthe. Erstens kann sie der Ver-
anschaulichung von Zusammenhängen dienen, die an und fUr
aich schon bekannt sind, durch die Beziehung auf das biologische
Bild also nur verdeutlicht werden sollen. Bei dieser Verwendung
hat sie also nur einen didaktischen Werth. Zweitens kann die
biologische Analogie möglicher Weise auf bisher unbekannte Be-
*) Die Anregung zu einer derartigen Yerwerthung der neueren biologi-
schen Anschaungen fär die Staatswissenschaft hat Paul von Lilien feld ge-
geben (Gedanken über die Staatswissenschaft der Zukunft, Mitau 1873—79;
4 Bde.), ihren systematischen Ausbau hat A. Schäffle unternommen in seinem
Werke: Bau und Leben des socialen Körpers, 4 Bde. 1875 — 78, 2. in der Ein-
leitung umgearbeitete, sonst unveränderte Aufl. 1881. Schaf fle ist der Ansicht,
die menschliche Gtemeinschafb, namentlich die staatliche, sei ein socialer, aber
kein ^organischer Körper", zum , Organismus" werde sie erst, wenn man den
Begriff des letzteren künstlich erweitere (a. a. 0. 2. Aufl. I, S. 9). Natürlich
sind solche terminologische Fragen wenig erheblich, aber wie sich nun einmal
die begriffliche Bedeutung der Wörter «Körper" und , Organismus' gestaltet
hat, scheint mir doch vielmehr das umgekehrte Verhältniss obzuwalten. Die
Gemeinschaft ist kein einheitlicher Körper, sondern eine Vielheit von Körpern,
sie besitzt aber eine Organisation (die Berechtigung dieses Ausdrucks räumt
auch Schäffle ein), die sich unter bestimmten Bedingungen zum „Organismus"
verdichtet. Hierbei beruht nun freilich die Anwendung dieses Begriffe auf einer
Erweiterung desselben, die aber doch sicherlich viel eher in dem ursprünglichen
Begriff selbst schon vorgebildet ist, als die üebertragung des Begriffs «Körper"
auf eine Vielheit von einzelnen Körpern. Als Thomas Hobbes dereinst von
emem «Corpus politicum" redete, wollte er damit theils seine materialistische
drundanschauung betonen, theils aber auch auf den Gegensatz dieses künst-
lichen Körpers zu dem natürlichen, der immer ein einzelner sei, hinweisen.
Wenn man mit Schäffle der Ansicht ist, dass auch die Organisation der Ge-
seUschaft durch natürliche Kräfte erfolgt, dass 'aber diese Kräfte in letzter
Instanz psychische, nicht physische sind, so hat man, wie ich meine, um so
mehr Grund, die an Hobbes erinnernde Bezeichnung zu vermeiden.
490 Logik der GeselischaftswiBsenschaften.
Ziehungen socialer Thatsachen aufmerksam machen: dann besiizt sie
einen heuristischen Werth, und allein in diesem Fall kann sie
daher auf den Namen einer Forschungsmethode Anspruch erheben.
Natürlich kann nur die Erfahrung darüber entscheiden, welche dieser
beiden Anwendungsweisen die überwiegende ist; und die Erfahrung
lehrt, dass der erste dieser Zwecke, der didaktische, jedenfalls
weitaus vorherrscht, so sehr dass sich wohl nur wenige Bei-
spiele werden auffinden lassen, in denen wirklich neue Beziehungen
zwischen socialen Erscheinungen mittelst realer Analogien gefunden
worden sind. Der Hauptnutzen, ja wahrscheinlich der einzige eine
wirkliche Bedeutung beanspruchende der Methode bleibt also der
einer Yeranschaulichung , wobei sich übrigens diese stets zugleich
mit der Tendenz verbinden wird, die individualistische Ansicht von
der Natur der Gesellschafk zurückzuweisen'*'). Dabei ist aber nicht
zu verkennen, dass dieser berechtigte Zweck auch gewisse Gefahren
mit sich führt. Sie bestehen theils in der üebertreibung der Ana-
logie, für die ja die ältere organische Staatslehre abschreckende Bei-
spiele geliefert hat, theils darin, dass das Streben nach Auffindung
realer Analogien die nicht minder vorhandenen und besonders wich-
tigen realen Unterschiede übersehen lässt. Hier führt dann die Methode
nur dann ihr eigenes Heilmittel mit sich, wenn man sie der vergleichen-
den Methode im allgemeinen unterordnet, wo sie als eine specielle
Form der Methode der üebereinstimmungen erscheint, die selbst-
verständlich durch die andern Bestandtheile des Yergleichungsver-
fahrens, nämlich durch die directe Yergleichung der sociologischen
Thatsachen mit einander und durch die Methode der Unterschiede,
ergänzt werden muss. Hierbei hat dann die letztere unter anderem
auch die wesentlichen Differenzen zwischen dem physischen und dem
socialen Organismus festzustellen.
Die juristische Methode betrachtet den Staat sowie alle
andern socialen Verbände von politischer Bedeutung als rechtliche
Organisationen, indem sie von der Thatsache ausgeht, dass überall
erst das positive Recht die Verhältnisse dieser Organisationsformen
ordnet. In Folge des grossen Einflusses, den die privatrechtlichen
Begriffe auf die juristische Auffassung aller Rechtsverhältnisse aus-
geübt haben, ist nun die juristische vorzugsweise in der Form der
civilistischen Methode auch in der Staats Wissenschaft angewandt
*) Das ist, während von Lilien felds Intentionen allerdings weiter geheiL
im wesentlichen auch Schaf fies Ansicht von der Sache. Vgl. Bau und Leben,
I, S. 53 ff.; IV, S, 505 ff. und namentlich 2. Aufl. 1, S. 8.
Staatswissenschafb. 491
worden*). In dieser Form geht die juristische Methode von einer
der , organischen*' Auffassung des Staates diametral entgegengesetzten
Grundvoraussetzung aus. Sie nimmt an, das einzige reale Object
der Gesel}schaftslehre und Staatswissenschaft sei der einzelne
Mensch, die socialen Organisationen, insbesondere auch der Staat,
seien demnach entweder wirklich willkürliche Schöpfungen
der Individuen oder doch nach ihrer juristischen Bedeutung als
solche zu betrachten. Mit dieser Voraussetzung verbindet sich noth-
wendig die weitere, dass diese Organisationen niemals andere Zwecke
haben könnten als solche, die dem individuellen Bedürfhiss der Mit-
glieder der Gemeinschaft entsprechen. Nur wenn dies zugestanden
wird, ordnen sich in der That alle staatsrechtlichen Verhältnisse
civilrechtlichen Gesichtspunkten unter. Das Verhältniss des
Einzelnen zum Staat regelt sich dann im wesentlichen nach den
nämlichen Normen, denen das Verhältniss der Einzelnen zu einander
unterworfen ist; ja es ist principiell von diesem gar nicht verschie-
den, da es im Grunde nur ein civilrechtliches Verhältniss Aller zu
Allen ist. Demnach ist auch die Organisation der Gesellschaft zwar
als eine « Selbstorganisation ^ zu betrachten, aber als eine solche,
die sich nicht vermöge der ursprünglichen menschlichen Eigen-
schafben, sondern auf Grund eines Willensentschlusses der Einzelnen
ToUzieht, der ebenso gut hätte unterbleiben können. Die juri-
stische Methode ruht demnach auf einer streng individualisti-
schen Auffassung der Gemeinschaft. Aber diese Auffassung ist
doch hier gänzlich andern Ursprungs als bei der oben erwähnten
ersten Art der biologischen Methode. Während diese vermöge ihrer
naturphilosophischen Grundlage ein socialer Atomismus ist, der
bei der Gemeinschaft auf den Begriff des Aggregats das Haupt-
gewicht legt, beruht die juristische Methode auf einem eigent-
lichen Individualismus, dem auch in der Vielheit das Indivi-
duum immer die Hauptsache bleibt, und der daher energisch dessen
Freiheit, nach Willkür Verträge zu schliessen oder zu lösen, betont.
Natürlich können sich übrigens beide an sich wahlverwandte Anschau-
ungen verbinden, wofür namentlich der hervorragendste Vertreter
der civilrechtlichen Methode in der Staatslehre, Hobbes, ein Vor-
bild ist: denn ihm ist die politische Gemeinschaft bei ihrem Ursprung
ein vollkommen freies Erzeugniss der Individuen; einmal entstanden
*) üeber das Verhältniss dieser Methode zu den sonstigen rechtswissen-
scfaaftlichen Methoden vgl. unten S. 561 ff.
492 Logik der Gesellschafts wissenachaffcen.
wird sie aber zu einem Aggregat socialer Atome, dessen Elemente
ihre Selbständigkeit vollkommen verloren haben — eine Anschauung
die von da an bis auf Rousseaus „Gontrat social" und dessen
Nachwirkungen ein bequemes Mittel geblieben ist den Staat ganz
auf das Individuum zu gründen und ihm trotzdem diesem gegenüber
seine Autorität zu sichern. Der Ursprung dieser Anschauungen
ist aber jedenfalls so alt wie der der , organischen Staatslehre*.
Hatte doch schon die griechische Sophistik die Vorstellung aus-
gebildet, dass jede sociale Gemeinschaft das Erzeugniss eines frei
eingegangenen Vertrages sei. Nun ist dieser Begriff des Vertrags die
Gh'undlage der juristischen Methode. Wie nach ihr der Privatvertrag die
Form ist, nach der sie alle öffentb'chen Rechtsverhältnisse beurtbeilt,
so ist ihr die private Vertragsgesellschaft das Urbild für alle Formen
der Selbstorganisation der Gemeinschaft. Die Theorie des Natur-
rechts hat diese Anschauung mit allen ihren Folgerungen ausgebildet.
Der Name «Naturrecht'' selbst weist aber auch schon auf eine
doppelte Wurzel dieser Theorie hin: auf eine Naturphilosophie,
der nur der einzelne Körper und also auch nur der einzelne indivi-
duelle Mensch selbständige Realit&t hat, und auf eine Rechts-
wissenschaft, die das Netz ihrer privatrechtlichen Begriffe über
aUe Verhältnisse des menschlichen Lebens auszubreiten strebt.
In der neueren Staatswissenschaft sind, vornehmlich unter dem
Einflüsse historischer Betrachtung, diese Anschauungen der Natur-
rechtstheorie fast ganz zurückgedrängt; und auch die aus den Zwecken
des Individuums die socialen Verbindungsformen abstract deducirende
Methode ist demnach bis auf geringe Reste verschwunden« Eine
üebertragung der civilrechtlichen Begriffe auf das öffentliche Leben
wird daher meist principiell abgelehnt. Aber in methodischer
Beziehung wirken doch jene Anschauungen noch immer nach, und
dieser Nachwirkung kommt wesentlich die grössere Einfachheit und
Klarheit der privatrechtlichen Verhältnisse zu Hülfe. Gesteht man
auch zu, dass ein wirklicher Vertrag höchstens einer kleinen Anzahl
modernster staatlicher Bildungen zu Grunde liege, und dass er selbst
hier ohne die ihm vorausgehenden socialen Bedingungen vmrkungs-
los bleiben würde, so erscheint es doch mindestens als ein Mittel
der Verdeutlichung der politischen Organisationen, wenn man sie an
den einfacheren, zur Erreichung fest begrenzter Zwecke willkürUch
gegründeten Privatverbänden, wie Genossenschaften, Actiengesell-
Schäften u. dergl., verständlich zu machen sucht. In der That hat
ja die Organisation des Vorstandes einer solchen Gesellschaft eine
Staatswissenschaft. 493
gewisse Aehnlichkeit mit der Organisation der Staatsbehörden; die
Finanzverwaltung, die Mitgliedervertretung, der Einfiuss dieser auf
die Aufstellung des Budgets u. dergl. zeigen vermöge der Aehnlich-
keit der Zwecke auch manche innere Aehnlichkeit mit den ent-
sprechenden politischen Einrichtungen *), Durch diese Betrachtungs-
weise geht nun aber offenbar auch hier die Methode in ein
Analogieverfahren über, das mit den «realen Analogien' der
biologischen Methode verwandt ist, — nur dass freilich die Analogie-
gheder völlig andere geworden sind. Denn es ist nicht mehr die
Voraussetzung einer Aehnlichkeit der socialen mit der physischen
Organisation, sondern die einer inneren üebereinstimmung
der socialen Organisationsformen verschiedener Stufe,
von der diese Methode geleitet wird. Eine solche Voraussetzung
wird nun in der That so lange eine Berechtigung und bei der Aus-
führung der Untersuchung wieder theils einen veranschaulichenden
theils einen heuristischen Werth haben, als über den Aehnlichkeiten
die wesentlichen unterschiede nicht übersehen werden. Dass dies
bei den älteren, auf die Natiu*rechtstheorie gegründeten Anwendungen
der juristischen Methode geschah, ist zweifellos. Hatte man doch
hier jeden Unterschied zwischen Organisationen verschiedener Stufe
grundsätzlich negirt. Die Ursache dieses Fehlgriffs lag haupt-
sächlich darin, dass von vornherein für alle diese Organisationen
eine und dieselbe übereinstimmende Entstehungsweise,
nämlich eben die des Vertrags, angenommen wurde. Es ist aber
klar, dass, wenn auch im allgemeinen eine gewisse Verwandtschaft
der socialen Organisationsformen wegen ihrer überall aus mensch-
lichen Individuen bestehenden Zusammensetzung wahrscheinlich ist,
damit doch noch keineswegs der Ursprung dieser Formen als ein
übereinstimmender vorausgesetzt werden darf. Vielmehr wird dieser
*) YgL Beispiele dieser Methode bei Lab and, Staatsrecht des Deutschen
Reiches, 1876—82, 8 Bde., besonders Bd. I, S. 251 ff. Zur Kritik dieser Methode
F. Stoerk , Zur Methodik des öffentlichen Rechts, 1885, S. 87 ff., und 0. Gierke,
Schmollers Jahrb. f. Gesetzgebung, Verwaltung u. s. w. YII, 1888, S. 1097 ff.
Allerdings wird von Lab and hervorgehoben, dass die Methode eben dadurch
in eine publicistische übergehe, dass man sich Überall bei der Untersuchung
der politischen Verhältnisse deren Eigenthümlichkeiten und wesentliche Unter-
schiede von den privatrechtlichen klar mache. Aber insofern dabei immer die
letzteren zum Ausgang genommen werden und eine ähnliche führende Rolle
spielen wie die biologischen Begriffe bei der Methode der «realen Analogien",
mofls doch die Methode selbst nach diesen ihren begrifflichen Grundlagen be-
^tttheilt werden.
494 Logik der Gesellfichaftewissenschaflen.
Ursprung in jedem einzelnen Fall so viel wie möglich dir e et durcli
die Anwendung der yergleichend-historischen Methode ermittelt wer-
den müssen. So bleibt der juristischen Methode nur die eine Auf-
gabe als eine relativ berechtigte übrig, dass sie die Erkenntniss der
bestehenden socialen Organisationen durch die Vergleichung der
zusammengesetzteren mit den einfacheren zu fördern sucht. Auch
diese Aufgabe ist aber ihrer Natur nach eine beschränkte und, ähn-
lich wie die der biologischen Methode, in dem Sinne eine äussere,
als sie in blossen Analogien besteht, mögen gleich diese der
Sache selbst näher kommen als dort die naturwissenschaftlichen Yer-
anschaulichungen. Jedenfalls ist demnach auch die juristische Me-
thode bloss als ein secundäres Hülfsmittel anzuerkennen, das nicht
von der Verpflichtung entbinden kann^ vor allem jede sociale
Organisation aus sich selbst zu erklären. Dies ist es nun
aber was die dritte und letzte dieser Methoden zu leisten sucht.
Die sociologische Methode konnte erst von dem Augen-
bUck an als die den staatswissenschaftlichen Problemen vor allen
andern adäquate erkannt werden, als man überhaupt den Beziehimgen
von Staat und Gesellschaft näher nachging und daher auch das
politische als ein sociologisches Problem aufzufassen begann, womit
die von nun an allmählich zur Geltung gelangende Auffassung der
Staatswissenschaft als einer socialen Organisationslehre unmittelbar
zusammenhängt. Hatte nun aber auch die politische Theorie viel-
fach schon von sich aus das Bedürfniss empfunden, sich in diesem
Sinne in der Gesellschafbslehre eine allgemeinere Grundlage zu suchen
(vgl. oben S. 440), so waren es doch vornehmlich Einflüsse, die von
zwei andern Wissensgebieten ausgingen, die hier der sociologi-
schen Methode zum Durchbruch verhalfen, ihr aber freilich auch
zum Theil eine Richtung gaben, die noch allzu deutlich die Spuren
dieser äusseren Einwirkung an sich trug. Auf der einen Seite war
es nämlich die Ethnologie, die in den mannigfachen socialen
Organisationen primitiver Culturvölker eigenthümliche Bildungen
kennen lehrte, die, in mancher Beziehung von den bekannten gesell-
schaftlichen und politischen Zuständen der Culturvölker verschieden,
dennoch geeignet schienen auf die Entstehung und die früheren
Stufen der letzteren Licht zu werfen. Auf der andern Seite wies
die generelle Entwicklungsgeschichte der Organismen unter
dem Einfluss der von der Darwin'schen Theorie ausgehenden neuen
Anschauungen auf die noch primitiveren Formen des Zusammenlebens
der Thiere hin, die, insoweit äussere Naturbedingungen und Ursprung-
Staatewissenschaft. 495
liehe Triebe das Leben der Thiere bestimmen, als natürliche Vor-
stufen der menschlichen Gesellschaftsformen erscheinen*). Beide
Änschanungskreise wirkten nun darin übereinstimmend , dass sie
daran gewöhnten die gesellschaftlichen Verbindungen in ihrem Ur-
sprung als natürliche Erzeugnisse allgemein menschlicher Triebe zu
betrachten. Dadurch stellte sich die sociologische Richtung vor allem
in den entschiedensten Gegensatz zu den Gbnindanschauungen der
juristischen Methode. Von der biologischen trennte sie sich aber,
indem sie durch die Thatsachen, von denen sie ausging, von vorn-
herein auf eine strengere Beachtung der Grenzen zwischen dem
rein Physiologischen und dem wirklich Sociologischen hingewiesen
wurde. Denn nicht das einzelne Individuum sondern die überall auf
psychologische Triebe zurückführende Verbindung der Individuen
war ja das Urphänomen, mit dem sie rechnete. Gegenüber diesem
wurde der ursprünglich isolirte Mensch als eine Abstraction erkannt,
die in der Wirklichkeit entweder überhaupt nicht vorkomme oder doch
jedenfalls nicht als der allgemeine Anfangspunkt menschlicher Entwick-
lung angesehen werden dürfe. Danach versteht es sich von selbst,
dass die realen Grundlagen für die Erkenntniss der socialen und
staatlichen Organisation in der Ethnologie und Völkerpsychologie
zu suchen sind, nicht in der Jurisprudenz, die vielmehr überall erst
da helfend einzutreten hat, wo jene Organisationen zur Entwicklung
Ton Rechtsnormen geführt haben, — ein Punkt von dem aus nun
allerdings die neu entstehenden socialen Bildungen entweder von
Tomherein unter der directen Mitwirkung oder mindestens unter
dem normirenden Einflüsse des Rechts zu Stande kommen.
Indem nun so die sociologische Methode eine zoologische und
eine ethnologische Grundlage hat, kann sie, je nachdem die eine
oder die andere den massgebenden Einfluss ausübt, ihrerseits wieder
in verschiedenem Geiste angewandt werden. Bei dem grossen Ein-
flüsse, den die Darwin^sche Theorie des „Kampfes ums Dasein'
*) Einen bedeutenden Einfluss hat in dieser Richtung namentlich das
Werk von A. Espinas, Die thierischen Gesellschaften, eine vergleichend-
psychologische Untersuchung, 1877, deutsche Ausgabe 1879, ausgeübt. Es gibt eine
treffliche üebersicht der socialen Erscheinungen im Thierreiche, die nur an dem
Fehler leidet, dass sie die Grenzen des rein Biologischen und des wirklich
Sodologischen nicht immer streng g^nug innehält. Ein besonderes Verdienst
hat sich Espinas dadurch erworben, dass er die Bedeutung des Begriflfs der
,'niientaaten' auf sein richtiges Mass zurfickführte. Auch auf die Sociologen
der biologischen Richtung hat in Folge der erwähnten Eigenschaften das Werk
eingewirkt Vgl. Schäffle, Bau und Leben» 2. Aufl. I, S. 11 fp.
496 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
weit über die Grenzen ihres ursprünglichen Anwendungsgebietes hin-
aus gewann, war es begreiflich, dass zunächst mehr der zooli^^che
als der ethnologische Gesichtspunkt wenigstens auf die Gestaltung
der grundlegenden Anschauungen einwirkte. Hatte Darwin nach
eigenem Geständniss die Anregung zu seinen Gedanken den Ideen
der Nationalökonomen über die Wirkungen der wirthschaftlichen
Concurrenz entnommen, so war es ja verstandlich, dass die Erschei-
nungen des menschlichen Zusammenlebens ihrerseits wieder zu einer
Rückübertragung von dem zoologischen auf das sociologische Gebiet
aufforderten; und dass bei dieser Rückübertrag^g gel^entlich,
nach Schaf fies*) treffendem Ausdruck, an dem „Kampf ums Da-
sein'^ allzu viel „bestialisches'' hängen blieb, verstand sich von
selbst. Auf die politische Theorie angewandt musste so der Horden-
und Rassenkampf zur Grundbedingung aller staatlichen Bildungen
werden. Die Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände,
das Zusammenwachsen grösserer Staaten aus kleineren Stanmies-
einheiten, schliesslich selbst der Fortschritt der Civilisation liessen
sich so, nach dem alten Wort, dass der Streit der Vater der Dinge
sei, als eine Art Fortsetzung des allgemeinen Kampfes der Arten
um ihre Lebensbedingungen auf der Bühne der Menschheitsgeschichte
betrachten. Auf dieser soll jener Kampf nur deshalb theils müdere
theils aber auch wirkungsvollere und gefahrlichere Formen annehmen,
weil die ursprünglichen Triebe nach Erhaltung und Erweiterung des
Daseins unter die' Leitung der menschlichen Vernunft treten**). Ge-
schichtlich lenkt diese Auffassung wieder zu den Anschauungen zu-
rück, auf die der Vater der neueren Naturrechtstheorie, Thomas
Hobbes, die Entstehung des Staates gegründet hatte. In der That
ist er es, der lange vor Darwin in dem Wort „Homo homini lupus*
den Daseinskampf der Menschen und der Thiere als einander ver-
wandte Phänomene gekennzeichnet hat. Nur setzt die neuere socio-
logische Theorie an die Stelle der Einzelnen, die bei Hobbes
um die Existenz kämpfen, die Gruppen der Gesellschaft, und^
psychologisch weiter sehend als der unerbittliche Logiker des Social-
vertrags, lässt sie den Streit nicht mit der Entstehung des Staates
*) Yierteljahrsschrift f. wies. Philos., I, S. 540. Vgl. auch desselben Ver-
fassers Aufsatz in Bd. U, S. 38 ff. derselben Zeitschrift.
**) In der neueren staatswissenschaftlichen Literatur wird diese Richtung
vertreten durch L.Gumplowicz, Der Rassenkampf, sociologische Untersuchungen,
1888; Grundriss der Sociologie, 1885; Die sociologische Staatsidee, 1892 u. a»
sowie durch G.ustav Ratzenhofe r, Wesen und Zweck der Politik, 3 Bde. 1893.
StaatswiBsenschaft 497
Terschwinden , sondern sucht fortan alle Entwicklungen des staat-
lichen Lebens auf ihn zurückzuführen, wobei sich dann zugleich der
Kampf um die Existenz allmählich zu einem Kampf um die Herr-
schafk ermässigt.
Nun ist es zweifellos ein Verdienst dieser Auffassung, dass sie,
gegenüber der biologischen und den neueren Gestaltungen der juristi-
schen Methode, die beide auf die friedliche Entwicklung der
socialen Organisationen das Hauptgewicht legen, die Bedeutung des
Wettstreit-s der Interessen und das Eingreifen des Kampfes um die
Macht namentlich in die politische Entwicklung betonen. Auch lenkt
dieser Factor von selbst die Aufmerksamkeit auf den springenden
Punkt, der bei der Anwendung der vorigen Methoden allzusehr im
Hintergrund bleibt, auf die Grundtriebe nämlich, die alle socialen
Gestaltungen bedingen, und die sehr häufig selbst wieder gegen
einander streitende psychische Kräfte sind. In der That spricht
sich diese Wirkung augenfällig darin aus, dass zum^ ersten Mal bei
der Anwendung der sociologischen Methode Versuche gemacht werden,
in einer Psychologie der Triebe die letzten Erklärungsgründe
der socialen Bildungen aufzusuchen. Mag auch in diesen Versuchen
der Individualismus des alten Naturrechts noch allzu sehr in dem
Bestreben nachwirken, in dem Egoismus die Wurzeln aller andern
Triebe zu finden — eine Anschauung die ja durch die in den
Vordergrund gestellte Theorie des Daseinskampfes nahe gelegt
wird — und mögen überhaupt diese Versuche noch der erforder-
lichen psychologischen Vertiefung entbehren, so ist damit doch das
unerlässliche psychologische Fundament aller Sociologie und Politik
richtig bezeichnet'*'). Noch mehr, es ist auch der Weg gezeigt,
auf dem die erforderliche Selbstcorrectur dieser sociologisch-politi-
schen Anschauungen allmählich eintreten kann. Ist doch schon
dadurch, dass die neue Anwendung der sociologischen Methode an
die Stelle des Kampfes der Einzelnen die des Wettstreits der socialen
Gruppen an den Anfang der Gesellschaftsentwicklung stellt, von
selbst den GemeinschaffcsgefQhlen eine wichtige, ja eigentlich die
ursprüngliche Stelle eingeräumt'*''''). Sobald man aber einmal einen
solchen Trieb nach Vereinigung als einen primären zugibt, so ist
nicht einzusehen, warum derselbe nicht auch fortan neben allen den
*) Vgl. namentlich in dieser Beziehung die von Ratzenhofer ver-
suchte Darstellung einer die Politik begründenden Trieblehre a. a. 0. I, S. 65 ff.,
U, S. 287 ff.
**) Vgl. Gnmplowicz, Der Raasenkampf, S. 240 ff.
Wnn dt, Logik. 71,9. ?. Anfl. 32
498 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
Motiven, die den Kampf der Gruppen und der Einzelnen yerursachen,
seine Wirkungen äussern soll, Wirkungen die nicht weniger wie die
Motive des Kampfes an Ausdehnung zunehmen werden, da mit der
Entwicklung der Gesellschaft die socialen Verbände und mit ihnen
die entsprechenden socialen Gefühle und Triebe immer umfassender
werden.
Der Fehler der sociologischen Methode in ihren bisherigen
Anwendungen liegt also in ihrer Einseitigkeit, und an dieser Ein-
seitigkeit trägt vneder theils die trotz des verdienstlichen Hin-
weises auf die allgemeingültigen socialen Triebe noch mangelhafte
psychologische Erkenntniss dieser Triebe theils die einseitige Rück-
sichtnahme auf die Frage des Ursprungs der socialen und politi-
schen Bildungen die Hauptschuld. Neben dem Problem, wie der
Staat geworden, ist doch das andere, wie er beschaffen ist,
mindestens von gleichem Interesse. Wirken bei der Entstehung der
Staaten zerstörende und erhaltende Ejräfte stets neben einander, so
dass sich eben daraus meist ein Kampf zwischen beiden ergibt, so
überwiegen aber in dem Bestand der fortdauernden Organisationen
unbedingt die erhaltenden Kräfte, und der Kampf, der freilich auch
hier nicht fehlt, wird schon durch die den bestehenden Zustand
regulirende Rechtsordnung in engere Grenzen eingeschränkt. So
trägt die sociologische Methode gegen die Ausschreitungen, die der
einseitigen Betonung des Kampfes ums Dasein entspringen, zum
Theil das Heilmittel in sich selbst: es besteht in der Ausdehnung
der Untersuchung auf die Probleme der realen socialen und politischen
Organisation. Namentlich aber vrird dazu die erweiterte Herbei-
ziehung der ethnologischen und völkerpsychologischen sowie der
geschichtlichen Hülfsmittel beitragen. Von jenen in vorübergehenden
Zeitströmungen begründeten Mängeln abgesehen wird man daher die
sociologische Methode als diejenige betrachten dürfen, der vor allen
andern die Zukunft gehört. Denn sie ist die einzige, die die Probleme
der Staats Wissenschaft direct zu lösen sucht, während die andern
immer nur einen indirecten theils veranschaulichenden theils
heuristischen Werth beanspruchen können. Wird nun aber die
Staats Wissenschaft, wie es ihre wissenschaftliche Stellung verlangt,
in dem erweiterten Sinne einer socialen Organisationslehre
aufgefasst, so liegt darin auch die Forderung, dass auf ihre Objecte,
ebenso wie auf die aller Geisteswissenschaften, die allgemeinen
Methoden der individuellen und generischen Yergleichung anzuwenden
seien. Der Ausdruck .sociologische Methode" hat dann eine ebenso
Aufgaben und Riebtungen der Volkswirtbscbaftalebre. 499
selbstverständliche Bedeutung wie die Ausdrücke „philologische
Methode'^ in der Philologie oder «historische Methode* in der Ge-
schichte: er kann nur noch andeuten wollen, dass auch in der Staats-
wiesenschaft die allgemeinen Methoden der Interpretation und Kritik
Ton dem Object der Untersuchung ihr besonderes Gepräge empfangen.
2. Die Volkswirthschaftslehre.
a. Aufgaben und Riebtungen der Volkswirtbscbaftslehre.
Die meisten Nationalökonomen verzichten auf eine eigentliche
Definition ihrer Wissenschaft. Denn wenn als deren Forschungs-
gebiet das «wirthschaftliche Gemeinschaftsleben der Menschen* oder
der «Zusammenhang der Privatwirthschaften unter einander und mit
grösseren Wirthschaftsganzen* bezeichnet wird*), so sind diese und
andere ähnliche BegrifFsbestinunungen wenig mehr als tautologische
Umschreibungen, da sie den Begriff, auf den es bei einer Definition
der Wirthschaftslehre zunächst ankommt, den der Wirthschaft selbst,
unbestimmt lassen. Will man diesem Mangel abhelfen, so muss
also jedenfalls dem Begriff der « Wirthschaftslehre* eine nähere
Definition der Wirthschaft beigefügt werden, indem man diese etwa
bezeichnet als den «Inbegriff derjenigen gesellschaftlichen Erschei-
nungen, welche in der durch vorsorgliche Arbeit zu erreichenden
Befriedigung der Lebensbedürfnisse ihre Quelle haben* '^'''). Nachdem
♦) Vgl. Knies, Das Geld. 2. Aufl. 1885, S. 40. Jul. Lehr, Grundbegriffe
und Grundlagen der Volkswirtbschaft, 1898, S. 10. H. von Scbeel, Scbön-
bergs Handbuch der politischen Oekonomie, 1, 1882, S. 57. Ein Reihe weiterer
theilfl ähnlich tautologischer theils bestimmte theoretische Anschauungen, wie
die Subsumtion der Volkswirthschaft unter die Geschichte (Roscheri Br. Hilde-
brand, Mangold t) oder unter den allgemeinen «Kampf ums Dasein '^
(Ümpfenbach) aufnehmende Begriffsbestimmungen stellt G. Meng er zu-
sammen. (Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der
politischen Oekonomie. 1883, S. 241 ff.)
**) Aehnliche Definitionen geben A. Wagner, Grundlegung der politi-
schen Oekonomie, 3. Aufl., 1892, I, S. 81, und C. Menger, a. a. 0., S. 232 Anm.
Doch nehmen beide den Begriff des .Gutes' mit in die Definition auf, indem
sie die Beschaffimg und Vertheilung von Gütern als den Zweck der Wirthschaft
bezeichnen. Da aber hier das Gut ausschliesslich im Sinne des „wirthschafblichen
Ontes' gemeint ist, so setzt dieser Begriff abermals den der Wirthschaft vor-
aus. Früher (in der 2. Auflage seiner Grundlegung, S. 67) hat Wagner über-
dies die Staatseinheit des Wirthschaftsganzen in die Begriffsbestimmung der
Ml
! •!
f
500 Logik der GenellschafUwiBseiiBchaften.
auf diese Weise der Begriff der Wirthschaft ohne Benutzung der
erst durch ihre Existenz möglichen Begriffe festgestellt ist, hat dann
die Bestimmung der wirthschafUichen Einzelbegriffe, unter denen
die yerschiedenen Erscheinungen des wirthschafUichen Lebens unter
bestimmten Gesichtspunkten zusammengefasst werden, abermaLs in
der für die einzelnen Definitionen logisch erforderlichen Reihenfolge
zu geschehen, mit der Bedingung also dass jeder Begriff sich zwar auf
die vorangegangenen Definitionen stützen darf, nicht aber die noch
zu bestimmenden specielleren Begriffe bereits in sich schliesst. In
diesem Sinne bilden die Begriffe des wirthschaftlichen Gutes, des
Werthes, des Preises, des Lohnes, des Vermögens^ des Gapitals, der
Rente, des Geldes u. s. w. ein System, dessen einzelne Glieder, so
weit dabei Begriffe yon grundlegender Bedeutung in Betracht
kommen, nicht in einem Verhältniss successiver Subsumtion, sondern
in einem solchen stufenweiser logischer Abhängigkeit stehen, so
dass ein in der Reihe später kommender Begriff stets in ein Functions-
yerhältniss zu mehreren der vorangegangenen Begriffe gebracht
werden kann, durch welches Functionsverhältniss er eben zugleich
definirt ist.
Die Anfange dieses Begriffssystems beginnen, wenn auch wenig
ausgebildet und der ezacten logischen Bestimmung völlig ermangelnd,
in der gewöhnlichen praktischen Lebenserfahrung, wie schon die
Thatsache bezeugt, dass die grosse Mehrzahl der Begriffsbezeichnungen,
und unter ihnen namentlich die wichtigsten, wie die des Ghites,
Werthes, Preises, Lohnes, Vermögens, der allgemeinen Sprache ent-
nommen sind. Die Wissenschaft hat nun gegenüber diesem ihr von
der Erfahrung überlieferten Begriffssystem offenbar drei allgemeine
Aufgaben zu lösen. Sie bestehen: 1) in der präcisen Bestimmung
der einzelnen Begriffe, 2) in der Feststellung der logischen Ab-
hängigkeitsbeziehungen, in denen dieselben zu einander stehen, und
endlich 3) in der Ermittelung der geschichtlichen Entwicklung der
einzelnen jedem dieser Begriffe zu subsumirenden Erscheinungen und
Volkswirthschafb anfgenommen, ebenso wie dies auch von Schmoller (Art
Volkswirthschaft im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, VI, 8. 529) und
manchen Andern geschieht. Aber dadurch wird der Begriff ohne Noth yerengt.
Der wirthschafUichen entspricht zwar in der Regel eine staatliche Volkseinheit;
doch ist dies an sich kein unbeding^s Erfordemiss. Denn in dem wirthschaft-
lichen Verkehr selbst liegen Bedingungen einer gesellschaftlichen Selbstorgani-
sation, vermöge deren, auch ohne hinzukommende Staatseinheit, eine Wirth-
Schaftseinheit entstehen kann.
Aufgaben und Richtungen der Volkswirthschafbslehre. 501
der in dieser geschichtlichen Entwicklung sich darstellenden Stufen-
folge wirthschaftlicher Zustände. Von diesen drei Aufgaben stehen
?or allem die beiden ersten im engsten Zusammenhang, da wegen
der eigenthümlichen Verhältnisse der allgemeinen Wirthschaftsb^riffe
zu einander eine erschöpfende Definition der einzelnen durchaus nur
in der Form geschehen kann, dass man die wechselseitigen functio-
nellen Beziehungen derselben feststellt. Dagegen steht die dritte
Aufgabe den beiden ersten selbständiger gegenüber. Dennoch ist
auch diese Selbständigkeit eine bloss relative, da sich in Wahrheit
mit der geschichtlichen Entvncklung der Wirthschaftserscheinungen
die reale Bedeutung der sie zusammenfassenden Begriffe vielfach ver-
ändert hat. Wenn daher die beiden ersten Aufgaben überhaupt nicht
zu trennen sind, so ist immerhin auch ihrer beider Sonderung von
der dritten nur in Folge einer Abstraction möglich, bei der man die
zurückgelegte Entwicklung und eventuell sogar die mögliche Weiter-
bildung der. Begriffe ausser Betracht lässt.
Seine ersten Anregungen hat nun das Studium der volkswirth-
schaftlichen Erscheinungen aus Beobachtungen gewonnen, die im
wesentlichen dem Gebiet der zweiten der genannten Aufgaben zu-
gehören. Regelmässige Beziehungen concreter Erscheinungen drängten
sich naturgemäss früher der Aufmerksamkeit auf als allgemeine
Begriffsverhältnisse oder langsam vor sich gehende geschichtliche
Entwicklungen socialer Zustände. Dass der Beichthum eines Landes
steigt mit dem Absatz seiner Producte, dass die Möglichkeit eines
solchen Absatzes mit der Zahl der Arbeitskräfte und der Möglichkeit
sie zu beschäftigen wächst u. s. w. — solche Beobachtungen mehr
oder minder regelmässiger und im allgemeinen verständlich scheinen-
der Correlationen boten sich dar, sobald sich nur überhaupt der
Trieb regte über die verschiedenen Factoren, die den durch den
Handel vermittelten Wirthschaftsverkehr der Länder bestimmen,
Rechenschaft zu geben. So ist das von Adam Smith so genannte
«Merkantilsjstem'^ des 16. und 17. Jahrhunderts der erste frei-
lich noch äusserst unvollkommene und überdies durch die starke
Einmischung praktischer Tendenzen wesentlich beeinträchtigte Ver-
such einer Theorie des wirthschaftlichen Lebens. Gegründet auf
die dem politischen Absolutismus der Zeit entsprechende Voraus-
setzung einer unumschränkten staatlichen Lenkung der wirthschaft-
lichen Verhältnisse, vermochte es aber dem immer mächtiger werdenden
Drang der Neuzeit nach individueller Freiheit auf die Dauer nicht
Stand zu halten, während zugleich die Schwäche jener äusserlichen
502 Logik der GesellschafiswissenBchaften.
und einseitigen Ableitung des Volkswohlstandes aus den günstigen
Bedingungen des Handels einem tieferen Nachdenken über die letzten
Quellen der Erhaltung und Förderung menschlicher Existenz nicht
verborgen bleiben konnte. Dass diese Quellen schliesslich der um-
gebenden Natur angehören, dass insbesondere die ursprünglichsten
Lebensbedürfnisse, auf deren zureichendem Vorhandensein alle weitere
Cultur beruht, dem Boden der Erde entstammen, und dass also alles
wirthschaftliche Leben in der rationellen Ausnützung und Vertheilung
dieser natürlichen Hülfsmittel der Bedürfnissbefriedigung bestehen
müsse, — dies war nun um so mehr ein von selbst sich darbietender
Gedanke, als die Philosophie nicht weniger wie die Rechts- und
Staatslehre namentlich vom Ende des 17. Jahrhimderts an immer
energischer darauf drang, auch das menschliche Dasein in seinem
natürlichen Bedingtsein yerstehen zu lernen. So entstand als die
gemeinsame Frucht der naturalistischen Tendenz in der Philosophie,
der Naturrechtstheorie in der Staatslehre und einer selbständigen
Besinnung über den letzten Ursprung der ökonomischen Verhältnisse
selbst das „physiokratische System', die erste national-
ökonomische Theorie von bleibender Bedeutung, da zwar auch dieses
System im einzelnen durch die folgende Entwicklung überholt wurde,
in seinem entscheidenden Grundgedanken aber immer noch fortwirkt*).
Denn in Wahrheit bestand die Leistung Adam Smiths, des Haupt-
begründers der heutigen wissenschaftlichen Nationalökonomie, im
wesentlichen in einer Fortbildung der Grundgedanken des physio-
kratischen Systems, bei der einerseits, den fortgeschrittenen wirth-
schaftlichen Bedingungen der Zeit gemäss, unter den Factoren des
wirthschaftlichen Lebens neben der Agricultur die Industrie stärkere
Berücksichtigung fand, während anderseits überhaupt die Grund-
begriffe der Volkswirthschafb und ihre wechselseitigen Beziehungen
exacter bestimmt wurden. Insbesondere aber begründete Smith
diejenige Methode der Volkswirthschaftslehre , die bis gegen die
Mitte unseres Jahrhunderts die herrschende geblieben ist, und die
man wohl deshalb auch als die «classische^ oder wegen ihres ab-
stract deducirenden Charakters als die ^ezacte" bezeichnet hat.
*) Der nahe Zusammenhang des physiokratischen Systems mit der Philo-
sophie des 18. Jahrhunderts und mit der Naturrechtstheorie tritt vor allem bei
Quesnay, dem wissenschaftlichen Begründer dieses Systems, deutlich hervor.
Vgl. hierüber W. Hasbach in Schmollers Staate- und socialwissenschafUichen
Forschungen, X, 2, 1890, und A. Oncken im Handwörterbuch der Staats-
wissenschaften, V, S. 315 ff.
Aufgaben und Richtungen der Volkswirthschafkslehre. 503
Sie bestand darin, dass er die Grundgesetze der Production und
Tertheilung der wirthschaftlichen Güter, unter Absti*action von allen
entgegenwirkenden Bedingungen, aus der Voraussetzung ableitete,
dass die Oesammtwirthschaft eines Volkes das Product aller einzelnen
Privatwirthscbaften desselben, und dass für die letzteren das wohl
verstandene eigene Interesse das allein massgebende und daher
allein zu berücksichtigende sei. Erst nachdem diese theoretische
Deduction vollendet war, wurde dann die Erfahrung mit den Ergeb-
nissen verglichen, theils um diese zu bestätigen, theils aber auch um
praktische wirthschaftspolitische Folgerungen daran zu knüpfen.
Diese mit noch grösserer Strenge später yon Ricardo befolgte
Methode ist es, die J. St. Mill vollkommen zutreffend eine psycho-
logische Deduction mit darauf folgender empirischer Verification
genannt hat, und in der er sogar die universelle Methode aller
Socialwissenschaften sah (vgl. oben S. 484), ohne dass er freilich
die Beschränktheit der psychologischen Prämissen der Deduction, die
sie von vornherein zu einer solchen Ausdehnung unfähig machte,
erkannte. Mochte aber auch diese Uebertragung verfehlt sein, auf
ihrem eigenen Gebiete hatte die Methode ihr grosses und unvergäng-
liches Verdienst. Es bestand darin, dass sie zum ersten Mal exacte,
wenn auch natürlich noch nicht sofort überall endgültig stehen
bleibende Definitionen der vnrthschaftlichen Grundbegriffe möglich
machte, und dass sie in der Bestimmung der functionellen Beziehungen
dieser Begriffe ein wegen der stattgehabten Abstraction zwar keines-
wegs absolut massgebendes, immerhin aber heuristisch äusserst wirk-
sames Hülfsmittel zur Subsumtion einzelner Erscheinungen unter
allgemeine Wirthschaftsgesetze abgab. Daneben stand allerdings der
Nachtheil, dass die nachträgliche empirische Verification, vne so oft
in ähnlichen Fällen, allzusehr ausschliesslich als ein Bestätigungs-
mittel der vorher theoretisch gewonnenen Ergebnisse behandelt wurde,
und dass namentlich die wirthschaftspolitischen Anwendungen des
Systems ganz und gar von der üeberzeugung geleitet waren, jene
theoretischen Ergebnisse seien nicht die unter den gemachten Vor-
aussetzungen richtigen, sondern sie seien die absolut richtigen. EUer
wirkten eben auch auf Smith die Traditionen der naturrechtlichen
und physiokratischen Schule: die Abstraction von den historisch
gewordenen wirthschaftspolitischen Zuständen und Organisationen,
die das Princip des freien, vom natürlichen Selbstinteresse geleiteten
Verkehrs der Individuen nirgends zu einer imbeschränkten Geltung
kommen lassen, galt ihm nicht bloss als ein theoretisches Hülfs-
504 Logik der OeBellschaftswissenschafben.
mittel, um auf diesem Wege die Wechsel?mrkuiigen der rein wirth-
schafÜichen Bedingungen zu erforschen, sondern sie war ihm zugleich
der absolut vollkommene wirthschaftliche Zustand. So gewann die
Doctrin des freien wirthschaftlichen Verkehrs und der Selbstreguliruug
der wirthschafUichen Interessen der Einzelnen in dem abstract dedac-
tiyen Theil des Systems dieser Volkswirthschaftslehre eine wissen-
schaftliche Grundlage, die um so wirksamer war, je mehr die ver-
wandte naturrechtliche Strömung in Staats- und Rechtswissenschaft
die nämliche individualistische Tendenz begünstigte.
Dieser Parallelismus in der Entwicklung der Wirthschafts- und
der Rechtstheorien bewährte sich nun auch darin, dass nicht minder
die wider jene naturalistische und individualistische Richtung sich
erhebenden Oegenströmungen auf beiden Gebieten verwandten Ur-
sprungs sind. War die anAdamSmith sich anschliessende Schule
des ökonomischen Liberalismus eine Nachblüthe der Naturrechts-
theorie gewesen, so wiederholte sich in der Richtung der geschicht-
lichen Nationalökonomie, wie sie, nachdem Röscher in der
Verwerthung philologisch-historischer Methoden für das Studium
der Wirthschaftsgeschichte vorangegangen war, am entschiedensten
zuerst von E. Knies eingeschlagen wurde, die verwandte, im
Gegensatz gegen die ungeschichtliche Auffassung des Naturrechts
entstandene historische Rechtsschule. Den concreten Gestaltungen
des wirthschaftlichen Lebens zugewandt suchte sie vor allem die
Wirklichkeit der Zustände aus ihrem geschichtlichen Werden zu
begreifen und war geneigt, innerhalb dieses geschichtlichen Werdens
allen überhaupt in Betracht kommenden psychischen Motiven, ins-
besondere auch den ethischen, sowie den politischen und socialen
Organisationsbedingrungen ihren berechtigten Einfluss einzuräumen*).
*) Die neuere historische Richtung der Nationalökonomie wird eingeleitet
durch W. Roschers Grundriss zu Vorlesungen über die Staatswirthschaft nach
geschichtlicher Methode, 1843. Das Hauptwerk dieser Richtung in methodo-
logischer Beziehung ist aber E. Knies, Die politische Oekonomie vom Stand-
punkte der geschichtlichen Methode, 1853, 2. Aufl. u. d. T. Die politische
Oekonomie vom geschichtlichen Standpunkte, 1888. Die Yerändernng dee Titels
ist wohl nicht ohne Bedeutung: sie scheint der abstract deductiven Methode
ihre relative Berechtigung einräumen zu wollen, wie denn auch ein solcher ver-
mittelnder Standpunkt noch mehr in dem späteren Werk des gleichen Ver-
fassers .Geld und Credit" (2 Bde. 1873 — 79) zu erkennen ist Die Berück-
sichtigung der psychologischen und ethischen Motive des wirthschaftlichen
Lebens betont namentlich Gust. Schmoller in seiner Schrift: lieber einige
Grundfragen des Rechts und der Volks wirthschaft, 2. Aufl., 1875. (Ein Send-
Aufgaben und Richtungeii der Volke wirthschaftBlehre, 505
Hatte der ökonomiBche Liberalismus abstracte Ergebnisse in
praktische Fostulate umgewandelt, so begegnete es nun alter dieser
historischen Richtung nicht selten, dass sie den Werth iler festen
ökoDomischen Begriffe, weil er ihr in dem Fluss des historischen
Qeschehens als ein reränclerlicher erschien, Oberhaupt untpr^ch ätzte,
Dod dass sie auf ihrem eigensten Oebiete zwar aber eine Fülle coucreter
geschichtlicher Entwicklungen Liebt verbreitete und so im einzelnen
die wirthachaftliche Erkenntniss in hohem Masse förderte, es aber
uoterlieflB, den allgemeinen geschichtlichen EntwickluRf^s^^^äetzen
des Wirthschaftslebens nachzugehen, obgleich hier ebenso j^ut wie
>nf andern verwandten Gebieten allgemeiner Organisation, wie z. B.
denen der Sprache und der Sitte, solche von vornherein zu erwarten
sind. Immerhin kann wohl der letztere Mangel als ein »iolcber
gelten, der mit der allmählichen Entwicklang der historischen Unter-
suchungen naturgemäss verknOpft ist, da diese hier wie übt;raU zu-
i&hst vom Einzelnen ausgehen mOssen, um erst von da aus Oenerali-
satioosversuche machen zu können. In der That sind derartige,
freilich zum Theil bestrittene Versuche in der neuesten Zeit mehr-
fach unternommen worden*).
Nun war es eine begreifliche Wirkung der im Kampf sich
steigernden Gegensätze, dass die historische Richtung nicht nur die
üebergriffe der vorangegangenen .classischen* NationalökuDomie in
die praktische Gestaltung des wirthschaftlichen Lebens zurückwies,
sondern dass sie vielfach auch die an sich berechtigte Seite der
abstracten Methode auf dem Gebiet der allgemeinen Untii-iuchung
der Begriffe verkannte. So konnte es denn nicht ausblcilien, dass
aQmählich Yersuche entstanden, jedem dieser Standpunkte auf seinem
Gebiete sein Recht zu wahren. Für den allgemeinen Charakter dieser
vermittelnden Bestrebungen ist es bezeichnend, dass nur wenige ihrer
Vertreter in praktischer Hinsicht dem ökonomischen Liberalismus
and Individualismus zuzurechnen sind, und dass der Ruf nach
Khrdben an H. t. Treitschke. Vgl. daza Treitschke, Der Socialif^mus und
Küe Gönner, 1875.)
*) Vgl 1. B. Scbmoller. Die Thatsacben der Arbei^ibeilmig , .Talirb.
üi Geaetigebimg, Verwaltung und Volkswirthachaft im Deutschen Ceich, XllI,
3, 1889. Das We«en der Arbeitatheilnug und der socialen Classenbilduni^, ebend,
ItV, 1, 1890. Dazu: E. Bücher, ArbeiUtheilttng und sociale Cl»a^>;iibi!dung,
ia: Die Entatebnog der Voltowirthschaft, 1893, S. 119. Derselbe, Ari, Gewerbe
im HudwSrterbuuh der StaatswisBeiiBcbafteii, III, S. 922 ff. und EnUtubung der
Tolknrirthscbaft, S. 1 ff.
506 Logik der Gesellschaftswissenscliafben.
psychologischem Verständniss der Erscheinungen hier nicht min-
der laut geworden ist wie bei den Anhängern der geschichtlichen
Betrachtung. Endlich verräth sich der wesentliche unterschied von
dem Individualismus der älteren politischen Oekonomie auch noch
darin, dass der Ausbau der abstracten Theorie nicht mehr fOr un-
yereinbar gilt mit den Anschauungen der „ organischen*' Staats- und
Oesellschaftslehre *).]
Bei dem jetzt erreichten Standpunkte wissenschaftlicher Be-
trachtung kann wohl nicht mehr dies die Frage sein, welchen der
beiden Wege man als den richtigen einzuschlagen habe, sondern
nur noch, welche Stellung jeder der beiden Methoden in dem
Zusammenhang der wirthschaftlichen Doctrinen anzuweisen sei, und
wie sie sich systematisch zu dem Ganzen der theoretischen National-
ökonomie verbinden müssen. Als der wesentliche Ertrag des zwischen
beiden Richtungen geführten Streites kann daher die mehr und mehr
allseitig eingetretene Erkenntniss angesehen werden, dass die ab-
stracto Wirthschaftstheorie und die concrete, auf die Hülfsmittel
der historischen und der statistisch-sociologischen Forschung gestützte
*) Der erste einschneidende Yersuch einer Rehabilitation der abstracten
Methode der classischen Nationalökonomie wurde von C. Menger gemacht mit
seiner Schrift: Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und
der politiBchen Oekonomie, 1883. An diese Schrift schloss sich ein methodo-
logischer Streit zwischen den Anhängern der so genannten exacten und der
historischen Richtung, der zum Theil noch fortdauert. Die schärfsten Gegen-
sätze vertraten dabei Schmoll er in seiner Recension der Menger'schen Arbeit
(Zur Literaturgeschichte der Staats- und Socialwissenschaften , 1888, S. 275 ff.»
abgedruckt aus Schmollers Jahrbuch fiir Gesetzgebung, Verwaltung etc., VII.
1883, S. 975 ff.) und Menger in seiner Gegenschrift: Die Irrthümer des Historis-
mus in der deutschen Nationalökonomie, 1884. Ausserdem betheiligten sich an
diesem methodologischen Streit von Seiten der historischen Richtung L. Bren-
tano. Die cl assische Nationalökonomie, 1888; von Seiten der classischen Rich-
tung H. D i e t z e 1 , lieber das Verhältniss der Volkswitthschaftslehre zur Social-
wirthschaftslehre, 1882, und Beiträge zur Methodik der Wirthschaftswissenschaft,
in Hildebrand-Conrads Jahrbüchern der Nationalökonomie und Statistik, N. F.
IX, S. 17 ff. Die psychologischen Gesichtspunkte in der Theorie, sowie die
Vereinbarkeit derselben mit einem coUectivistischen Standpunkt wurde besonders
betont von E. S a x (Die neuesten Fortschritte der nationalökonomischen Theorie,
1889, und Grundlegung der theoretischen Staats wirthschaft, 1887, vgl. die ein-
leitenden Ausführungen S. 4 ff.). Eine objectiv gerechte Würdigung der relativen
Verdienste der beiden gegensätzlichen Richtungen sucht £. von Philipovich
zu geben in seiner Rede : Ueber Aufgabe und Methode der politischen Oekonomie,
1886, sowie A. Wagner in den methodologischen Erörterungen der 3. Auflage
seiner Grundlegung der politischen Oekonomie, 1892, I, S. 37 ff.
Aufgaben und Richtungen der VolkswirthscbafUlehre. 507
Nationalökonomie nicht zwei sich ausschliessende Systeme, sondern
zwei einander ergänzende Theile eines und desselben Systems sind*).
*) C. Menger hat die genannten Unterschiede als die der ^exacten"
und der .realistisch-empirischen" Forschung bezeichnet (Untersuchungen S. 49 ff.),
und manche andere Nationalökonomen sind seinem Beispiel gefolgt. So sehr
man es nun afuch vermeiden soll, einmal eingeführte Namen ohne Noth zu ver-
ändem, so scheinen mir doch in diesem FaU die M e n g e raschen Bezeichnungen
so wenig dem sonstigen logischen Sprachgebrauch und auch der logischen
Zweckmässigkeit zu entsprechen, dass ich es vorziehe, die schon in der ersten,
gleichzeitig mit Mengers Schrift erschienenen Auflage dieses Werkes gebrauchten
Ausdrücke beizubehalten. ,£zact* und , realistisch-empirisch' sind in der That
keine Gegensätze, während es sich doch zweifellos hier um methodologische
Gegensätze handelt. Man kann in empirischen Dingen ezact und in abstracten
höchst unexact verfahren. So spricht man z. B. mit Recht von einer exacten
Anwendung der philologischen Methoden, obgleich diese nach der Natur ihrer
Gegenstände immer realistisch und empirisch sein müssen. Dagegen ist gerade
in der Nationalökonomie die abstracte Methode oft in sehr unexacter Weise an-
gewandt worden. Der Umstand, dass die Geometrie und Mechanik abstracte
nnd zugleich exacte Wissenschafben sind, hat offenbar zu dieser Yertauschung
der Begriffe den Anlass gegeben. Aber was von der Geometrie und Mechanik
gilt, das gilt darum noch nicht von andern Grebieten. Es sei mir gestattet,
bei dieser Gelegenheit noch einige weitere Punkte zu erwähnen, in denen ich
Ton M e n g e r s Terminologie abweichen muss, weil mir diese weder der eigent-
lichen Bedeutung der Ausdrücke noch dem logischen BedÜr&iss zureichend zu
entsprechen scheint. Singular nenne ich, was nur ein einziges Mal vor-
konmit, individuell das Einzelne, gleichgültig ob es einmal oder mehr-
mals existirt. Das Individuelle ist also der allgemeinere Begriff, der das Singulare
als einen Specialfall unter sich enthält. Der Gegensatz des Singulären ist das
Reguläre, der Gegensatz des Individuellen das Generelle. Indem das Regu-
läre zwei Merkmale in sich schliesst, nämlich erstens eine Vielheit gleichartiger
Fälle und zweitens eine bestimmte Ordnung dieser Fälle, stehen ihm auch zwei
Gegensätze, ein positiver und ein negativer, gegenüber. Der positive Gegensatz
ist das Singulare: es schliesst die Vielheit der Fälle aus; der negative
Gegensatz ist das Irreguläre: es verneint die Möglichkeit einer Ordnung
der gleichartigen Fälle. Femer: viele Individuen oder individuelle Fälle über-
einstimmender Art bilden ein Genus oder eine generelle Regel, aber das Singu-
lare bleibt immer individuell. CoUectiverscheinungen (oder auch Massen-
erecfaeinungen) nenne ich eine Vielheit individueller Erscheinungen, die der
Dämlichen allgemeinen Classe angehören, innerhalb dieser Classe aber im ein-
zelnen sowohl singulär als regulär sein können. So sind die TodesfUUe inner-
halb einer bestimmten Bevölkerung eine CoUectiverscheinung , und sie sind zu-
gleich eine generelle Erscheinung, wenn sie bloss mit Rücksicht auf den Tod
überhaupt, nicht auf die besondere Form desselben betrachtet werden. Dagegen
kann diese Form selbst bald eine reguläre bald eine singulare sein, ersteres
wenn sie sich einer gleichartigen Gruppe, z. B. der der Lungenentzündungen,
unterordnet, letzteres wenn sie mindestens innerhalb der betrachteten Massen-
508 Logik der Gesellschaftswissenschafleii.
b. Die abstracte Wirthschaftstheorie.
Yermöge einer natürlichen Anwendung der isolirenden Ab-
straction greift man bei der Untersuchung der wirthschafUichen Er-
scheinungen zunächst dasjenige Motiy des menschlichen Handelns
heraus, welches erfahrungsgemäss auf die Production und den Um-
lauf der materiellen Oüter vom allgemeinsten Einflüsse ist. Dieses
Motiv ist das eigene Interesse. Die abstracte Untersuchung be-
trachtet demnach die Gesellschaft als eine Summe in Verkehr stehen-
der Individuen, deren jedes von dem Wunsche beseelt werde, mög-
erscheinungen einzigartig dasteht. Die Begriffe des Regul&ren und des Generellen
können demnach zwar ftb: einen und denselben Thatbestand zutreffen, aber sie
behalten dabei doch eine verschiedene logische Bedentang: regulär ist das
IndividueUe, das sich einer übereinstimmenden Regel fügt, generell das All-
gemeine, das viele individuelle F&Ile von übereinstimmender Art unter sich
begreift. So ist z. B. ein niemals wiederkehrender Komet eine singulare Er-
scheinung; ein Komet der, wie der £ncke*sche, seine ümlaufsdauer nach einer
bestimmten Gesetzmässigkeit verändert, ist, so lange nicht eine grössere Zahl
gleicher Erscheinungen nachgewiesen ist, eine reguläre, aber keine generelle
Erscheinung; ein immer nach derselben Zeit wiederkehrender Komet endlich
ist eine reguläre und eine generelle Erscheinung zugleich, weil es eine grosse
Zahl von Kometen gibt, für die diese Regel gilt. Menger (a. a. 0., 8. 6
Anm.) bringt die Singulärerscheinung in einen Gegensatz zur Collectiverscheinung,
während in Wirklichkeit .generell' und .collectiv* zwei Begriffe sind, die beide
das Individuelle zum Gegensatz haben, wobei aber nur jedesmal der Gegensatz
einem andern Gesichtspunkt der Betrachtung entspringt: das collective Game
entsteht, wenn ich eine grosse Zahl individueller FäUe ohne Rücksicht auf
die Gleichartigkeit oder Ungleichartigkeit der einzelnen zusammenfasse; das
Generelle dagegen entspringt aus der Verbindung gleichartiger Individuen.
Darum ist das Genus zugleich ein Merkmal des Individuums, die CoUectir-
erscheinung ist aber bloss ein Durchschnittsergebniss vieler, unter Umständen
weit auseinandergehender individueller Erscheinungen. Gerade mit Rücksicht
auf die auch für die Yolkswirthschaftslehre massgebende CoUectivbetrachtaiig
der individuellen Erscheinungen ist es nun aber beachtenswerth, dass das Indi-
viduelle je nach dem Gesichtspunkt der Yergleichung mit andern Objecten
wieder ein mehr oder minder umfassender Begriff sein kann, der unter einem
abweichenden Gesichtspunkt auch als Gollectivbegriff auftreten kann. So ist
nicht bloss der einzelne Mensch gegenüber einem andern einzelnen Menschen,
sondern auch ein Volk oder Staat gegenüber einem andern einzelnen Volk
oder Staat ein Individuum. Innerhalb jedes umfassenderen socialen Individnal-
begriffs, mit Ausnahme des untersten, der individuellen Persönlichkeit, sind
aber CoUectiverscheinungen in Bezug auf die in ihm enthaltenen Particular-
individuen möglich.
Abstracte Wirthschaftstheorie. 509
liehst viel Güter durch nützliche Arbeit zu erwerben und wieder
nutzbringend zu verwerthen; sie abstrahirt aber von allen andern
Neigungen, die in der Wirklichkeit diesem Wunsche entgegenwirken
können. Diese Abstraction führt von selbst zu der weiteren, dass
die Unterschiede in der wirthschaftlichen Beanlagung der Menschen
ignorirt werden, indem man einen Zustand voraussetzt, in welchem
jedes Individuum in jedem Augenblick nicht nur eine richtige £r-
kenntniss seines eigenen Interesses und der für dasselbe erspriess-
lichsten Hülfsmittel sondern auch den Willen besitze, dieser Er-
kenntniss gemäss zu handeln. Es ist klar, dass die so angenom-
menen wirthschaftlichen Kräfte nur dann imgestört sich entfalten
können, wenn keinerlei politische Einrichtungen ihnen Schranken
auferlegen, wenn also der Staat dem aus dem Selbstinteresse ent-
springenden Wechselverkehr der Privatwirthschaften nirgends hem*
mend im Wege steht. Freier Verkehr und Abwesenheit wirthschaft-
licher Vorrechte ist daher die dritte Voraussetzung, die zu den beiden
in axiomatischer Form vorangestellten Hypothesen der Alleinherr-
schaft des eigenen Nutzens und der wirthschaftlichen Vollkommen-
heit der Individuen hinzukommt.
Die abstracte Theorie von Production und Vertheilung der
wirthschaftlichen Güter, von Werth, Tausch, Preis, Geld, Capital
und Credit beruht im wesentlichen auf den genannten Voraussetzungen.
Indem hierbei von der Qualität der Werth- und Tauschobjecte, von
den Formen der Production und Capitalisirung, von der verschiedenen
socialen Stellung der Individuen und von allen sonstigen äusseren
Bedingungen abgesehen wird, gewinnt die Untersuchung einen Cha-
rakter logischer Allgemeinheit, der, da alle jene Begriffe nicht bloss
eine qualitative sondern auch eine quantitative Seite haben und in
bestimmten quantitativen Relationen zu einander stehen, zur mathe-
matischen FormuUrung der Schlussfolgerungen herausfordert. In
der That ist eine solche mehrfach mit Erfolg versucht worden*).
Sie hat den Vorzug, dass sie zu vollkommen präcisen Definitionen
Döthigt, verwickelte Schlussfolgerungen übersichtlicher gestaltet und
manche Irrungen vermeiden lässt, die sich bei der unbestimmteren
logischen Form der gewöhnlichen Darstellung einstellen können.
Die hauptsächlichsten Schwierigkeiten einer derartigen ab-
stracten Untersuchung bestehen nun aber darin, dass allgemein-
*) W. St. Jevons, Theorie of political economy. London 1871. L6on
Walras, Mathematische Theorie der Preisbestimmang der wirthschaftlichen
O&ter. 1681. ^l^ments d'I^conomie politique pure. 2. Edit. 1889.
510 Logik der Geeellschaftswissenschaften.
gültige Definitionen der in die Betrachtung eingehenden Begriffe
nicht in analoger Weise wie etwa in den sonst in ihrer methodischen
Behandlung verwandten Gebieten der Mathematik möglich sind.
Diese Schwierigkeit entspringt zunächst daraus, dass die wirthschaft-
lichen Begriffe nicht wie die mathematischen in einem unabänder-
lich gegebenen Anschauungssubstrat ihre Quelle haben, sondern dass
die Objecte, aus denen sie abstrahirt werden, Erzeugnisse einer ge-
schichtlichen Entwicklung sind, innerhalb deren ihre eigene Bedeu-
tung gewisse Wandelungen erfahren hat. Sodann aber kann eben
wegen dieser Entwicklungsfähigkeit, je nachdem die Rücksicht auf
den gegenwärtigen Moment oder die auf vorangegangene Stufen oder
endlich Ausblicke auf künftige Zustände eine Rolle spielen, fast jeder
Begriff ein Gegenstand des Streites zwischen verschiedenen An-
schauungen sein. So wird z. B. der für alle weiteren Begriffs-
bestimmungen massgebende Begriff des Werthes noch in der
heutigen Wirthschaftslehre in sehr verschiedener Weise definirt.
Wenn nun die eine dieser Begriffsbestimmungen das Mass des Werthes
in der Seltenheit eines wirthschaftlichen Gutes oder in der Schwierig-
keit es zu erlangen (Scharling), eine .andere in den auf seine
Erlangung aufgewendeten Kosten (H. Dietzel), eine dritte in dem
geringsten Nutzen (Grenznutzen), zu dem es wirthschaftlicher Weise
noch verwendet werden darf (Menger, v. Wieser), eine vierte in der
zur Herstellung erforderlichen Arbeit (K. Marx), eine fünfte endlich
in dem ,, wahren Vortheil" der wirthschaftlichen Gemeinschaft sieht
(Moriz Naumann)*) u. s. w. , so ist es klar, dass hier mit dem
*) M. Naumann, Die Lehre vom Werth, 1898, S. 60 ff. Naumann be-
zeichnet diesen ihm eigenthümüchen Werthbegriff, zu dem sich übrigens namentr
lieh bei £. Sax (Grundlegung der theoretischen Staatswirthschaft, 1887, S. 801)
in dessen .collectivistischer Werthungsform* bereits Ans&tze finden, auch als
.theoretiBChe Wertbschätzung*. Das Wesentlichste ist aber doch, dass bei dieser
Definition der gemein- oder staatswirtbschafUiche, bei der Nutzungs- und Kosten-
theorie dagegen ausschliesslich der privatwirthschaftliche Gesichtspunkt mass-
gebend ist. Im Gegensatze zu beiden ist sodann für die Marx'sche Definition
der socialistische Standpunkt bestimmend: das Mass des Werthes ist hier
die .gesellschaftlich (d. h. unter den gesellschaftlich-normalen Productions-
verh<nissen) nothwendige Arbeitszeit", und es wird daher die einfachste Arbeits-
form als das allgemeine Mass aller irgendwie complicirteren Arbeiten betrachtet,
welche letzteren nach Uebereinkunft als Multipla der einfachen Arbeitszeit be-
rechnet werden sollen : eine solche conventionelle Festlegung würde aber offen-
*bar nicht in dem System freier Frivatwirthschafben, sondern nur in der oom-
munistisch organisirten Gesellschaft möglich sein. (K. Marx, Das Kapital, I,
4. Aufl., S. 5 ff.) Uebrigens werden die obigen Definitionen vielfach auch nur
Abstracte Wirthschaftstheorie. 511
definirten Begriff in der Regel auch das übrige Begriffssystem mit
dem dieser zusammenhängt sich verändern wird.
Eine weitere Schwierigkeit entspringt aus dem einer sehr ver-
schiedenen Beurtheilung unterliegenden Verhältnisse der aus den
abstracten Begriffen abgeleiteten Theorie zur Wirklichkeit der
wirthschaftlichen Erscheinungen. Dass sich beide im allgemeinen
nicht decken, und dass sich diese von jener nicht bloss quantitativ
entfernen, sondern ihr sogar qualitativ widerstreiten kann, lehrt ohne
weiteres die Erfahrung. Aehnlich wie die Mechanik durch Deter-
mination ihrer abstracten Voraussetzungen allmählich einen üeber-
gang zu den concreten Thatsachen der Physik gewinnt, so sucht
nun auch die abstracte Wirthschaftstheorie meist mittelst der Hin-
zunähme weiterer Voraussetzungen den wirklichen Erscheinungen
des wirthschaftlichen Lebens näher zu kommen. Dies ist geschehen
durch bestinunte Annahmen über die Formen der nützlichen Arbeit
und ihre Vertheilung, über das Verhältniss der Bevölkerungs-
zunahme zu dem Wachsthum der Güter u. dergl. Hierbei verbindet
sich aber bestimmter noch ala bei den allgemeineren wirthschaft-
lichen Axiomen mit der Abstraction die Hypothese, um Voraus-
setzungen aufzustellen, die sich nirgends in der Wirklichkeit erfüllt
finden. So trennt die Abstraction die Berufskreise in gewisse Classen,
ohne die innerhalb derselben stattfindenden oft sehr wichtigen Unter-
schiede zu beachten, und zu dieser Eintheilung pflegt ausserdem
die Annahme hinzuzutreten, dass jedes Individuum nur einem
wirthschaftlichen Beruf angehöre, z. B. Grundeigenthümer, Capitalist
oder Arbeiter, niemals aber dieses zugleich sei, eine Annahme
der offenbar die Erfahrung wenigstens in sehr vielen Fällen wider-
streitet.
Vergleicht man demnach diese Abstractionen und Hypothesen-
bildungen mit den Voraussetzungen der allgemeinen Mechanik, mit
denen sie äusserlich eine nahe Verwandtschaft zu haben scheinen.
als partielle verstanden, indem man sie für bestimmte Werthformen durch
andere ersetzt: so z. B. die Kostendefinition für Seltenheits- oder Affections-
güter durch die Nutzungsdefinition (Dietzel). Die so genannte ,claflsi8che Werth-
theorie' von Smith und Ricardo ist sogar in Folge des Bestrebens, den
verschiedensten Anwendungen des Begriffs gerecht zu werden, eigentlich nur
eine eklektische Verbindung einer Anzahl von Definitionen, die heterogenen
Oerichtsponkten entspringen. Zum neueren Stand der Frage vgl. eine Reihe
▼on Aufsätzen in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik von Böhm-
Bawerk, Dietzel, Scharling u. A., Bd. 13 (1886) bis 21 (1892), und Böhm-
Bawerk, Art Werth im Handw. d. Staatsw. VI, S. 681 ff.
512 Logik der GeseUschaftswissenschaften.
so fällt der Unterschied zu üngansten der Wirthschaftstheorie in
die Augen. Die Annahmen der letzteren entsprechen nicht nur in
viel geringerem Grade der Wirklichkeit, sondern sie setzen auch der
allmählichen Annäherung an dieselbe durch Hinzufügung deter-
minirender Bestimmungen grössere, in vieler Beziehung offenbar un-
lösbare Schwierigkeiten entgegen. Die Abstractionen eines absolut
starren Körpers, einer absolut beweglichen Flüssigkeit u. dergl. sind
zwar weit entfernt jemals mit den wirklichen Körpern übereinzu-
stimmen. Aber die aus ihnen abgeleiteten Resultate bleiben doch
immer in grösserer oder geringerer Annäherung f&r die Elrfahmng
gültig, so dass es der Beobachtung verhältnissmässig leicht wird,
aus der Art und dem Grad der stattfindenden Abweichungen selbst
die weiteren Voraussetzungen zu finden, die in einem gegebenen
Füll den mechanischen Abstractionen beigefügt werden müssen, um
eine grössere üebereinstimmung zu erzielen ; und f&r diese Zugaben
sind schliesslich wieder die nämlichen Axiome und Postulate gültig
wie für die ursprünglichen Sätze. In einer ganz andern Lage be-
findet sich die abstracte Wirthschaftstheorie. Hier bietet die Er-
fahrung nicht bloss Fälle dar, in denen die Erscheinungen irgendwie
hinter den Voraussagen der Theorie zurückbleiben, sondern nicht
selten solche, in denen sie in directem Gegensatz zu denselben stehen.
Diese Widersprüche zwischen Theorie und Erfahrung lassen sich
aber nur theilweise durch die Einführung speciellerer Voraussetzungen
ausgleichen. Denn bei diesen bleibt man immer auf die Hinzufügung
objectiver Bedingungen beschränkt, wie der Güter- und Arbeits-
theilung in einer Gesellschaft, bestimmter politischer Verhältnisse
u. dgl. ; die subjectiven Postulate der Alleinherrschaft des Eigen-
nutzes und der wirthschaftlichen Vollkommenheit der Individuen
lassen sich aber nicht abändern, ohne das Fundament der Wirth-
schaftstheorie überhaupt zu beseitigen. Und doch sind gerade diese
Postulate thatsächlich sehr häufig unrichtig; mindestens ist der Er-
fahrungskreis, innerhalb dessen sie als annähernd gültig betrachtet
werden können, ein beschränkter. Da nun der menschliche Wille
nicht wie ein gestossener Körper unter der Einwirkung verschiedener
Motive eine mittlere Richtung einschlägt, sondern einem herrschenden
Motiv ausschliesslich zu folgen pflegt, ja durch eine solche Ebindlung
auf seine eigenen künftigen Willensbestimmungen und unter Um-
ständen selbst auf die von andern Individuen in gleichem Sinne ein-
wirkt, so ist es begreif lieb, dass in vielen Fällen die Erscheinungen
nicht bloss hinter den Voraussagen der Theorie zurückbleiben, son-
Abstracte Wirthschaftstheorie. 513
dern in vollem Gegensatze *zu ihnen stehen. Versucht man aber
durch eine gründlichere Berücksichtigung der psychologischen Eigen-
schaften des Menschen auch jene subjectiven Voraussetzungen zu
erganzen, so wird dadurch der exacte Charakter der Theorie noth-
wendig aufgehoben. Denn dieser beruht gerade auf der einheitlichen
Natur der Voraussetzungen. Sobald man der Mehrheit widerstreitender
Motive und der thatsächlichen Ungleichheit der Menschen Rechnung
tragen will, gelangt man zu variabeln Factoren, deren Wirksamkeit
von Fall zu Fall sich verändert, so dass dieselbe höchstens nach
jedem Ereigniss geschätzt, nicht aber als allgemeine Voraussetzung
der Erklärung aller Ereignisse zu Grunde gelegt werden kann. Die
abstracte Wirthschaftstheorie würde sich also, wenn sie diese Zuge-
ständnisse machte, von selbst auf den Boden der concreten Be-
trachtung begeben.
Man könnte nun daran denken, diesem Mangel auf dem Boden
der abstracten Theorie selbst abzuhelfen*^ indem man an Stelle des
Eigennutzes und der wirthschaftlichen Vollkommenheit andere Eigen-
schaften in ähnlicher Ausschliesslichkeit voraussetzte, nach dem Grund-
satze dass, wo eine Wirkung von mehreren Ursachen abhängt, es
zweckmässig ist zuerst die Effecte der einzelnen Ursachen isolirt zu
studiren, ehe man sie alle in ihrem Zusammenwirken ins Auge fasst.
Das so einzuschlagende Verfahren successiver Abstraction und De-
duction würde zwar von dem in der Mechanik und andern exacten
Wissenschaften üblichen Verfahren allmählicher Determination weit
abweichen, und die Frage, wie die aus den verschiedenen Voraus-
setzungen gewonnenen Folgerungen schliesslich mit einander zu com-
biniren seien, würde überdies kaum zu überwindende Schwierigkeiten
bereiten. Immerhin könnte fnan meinen, eine solche Methode ver-
schiedenartiger Deductionen sei wegen der Eigenthümlichkeit der
wirthschaftlichen Erscheinungen gerade die . angemessene. Nun ist
aber von vornherein klar, dass sich unter allen möglichen sonstigen
Bedingungen nur eine zu einer principiellen Voraussetzung von
ähnlich allgemeiner Bedeutung wie die des wirthschaftlichen Egois-
mus eignen würde: das ist der diesem Egoismus 'entgegengesetzte
Altruismus, der folgerichtig durchgeführt überall nach dem Grund-
satze der Verleugnung des eigenen Interesses zu Gunsten Anderer
verfahren müsste*). Alle andern etwa dem wirthschaftlichen Selbst-
*) L. Dargun» Egoismus und Altruismus in der Nationalökonomie. 1885.
Auch A. Wagner hat den Versuch gemacht, so viel als möglich die sämmt-
lichen bei dem wirthschaftlichen Handeln in Betracht kommenden «Leitmotive',
Wandt, Logik, n, s. 2. Aufl. 33
514 Logik der GesellschaftswiBsenschaften.
Interesse entgegenwirkenden Bedingungen, wie mangelnde Einsicht,
Verschwendung, politische Einflüsse, besitzen den Charakter mehr
oder minder singulärer Erscheinungen. Das altruistische Princip
würde jedoch, wollte man es auf die Individuen anwenden, den Be-
griff einer sittlichen Gemeinschaft von idealer VoUkommenheit
ergeben, deren Mitglieder unter einander keinerlei wirthschaftliche
Beziehungen mehr unterhalten könnten. Eine solche Gemeinschaft
würde daher nur noch in ihrem wirthschaftlichen Verhaltniss andern
ähnlichen Einheiten gegenüber als eine wirthschaftliche Individualität
betrachtet werden können, ähnlich wie ja auch schon in dem ge-
wöhnlichen wirthschaftlichen System die Individuen nicht die ein-
zelnen Mens.chen sondern die Privatwirthschaften sind, deren Mit-
glieder zu einander auch hier im aUgemeinen als in einem sittlichen,
nicht in einem wirthschaftlichen Verhältnisse stehend vorausgesetzt
werden. Dass nun eine j^^mfassendere Gemeinschaft r namentlich
ein Staat, ein solches untheilbares Wirthschaftsindividuum bilden
könnte, würde zwar praktisch gewiss schwer durchzuführen sein,
aber theoretisch ist es sehr wohl denkbar. In wirthschaftUeher Be-
ziehung würde jedoch dadurch immer nur der Begriff der wirth-
schaftlichen Individualität verschoben, an den Wirthschaftsbegriffen
selbst würde nichts geändert. Denn ein vollkommen altruistisch
organisirter Staat, in welchem alle Production und Vertheilung der
Güter von der Gemeinschaft zu Gunsten der Einzelnen geleitet würde,
könnte selbst wiederum nur dadurch wirthschaftlich existiren, dass
er mit andern ähnlichen Einheiten, also mit andern Staaten, in
Wirthschafts verkehr stünde, ähnlich wie ja auch z. B. Fouriers
auf dieses Princip des Altruismus gegründete Genossenschaften nur
deshalb möglich wurden, weil sie selbst nichts anderes als um-
fassende Privatwirthschaften waren. Erst dann, wenn die ganze
die Erde bewohnende Menschheit eine einzige solche Einheit im
Sinne der heutigen Privatwirthschaft darstellte, würde wirklich ^in
solches System des Altruismus und mit ihm die Aufhebung aller
gültigen Wirthschaftsbegriffe durchführbar sein — eine Utopie der
Utopien, die natürlich nicht in ernsthafte Erwägung gezogen werden
auch die unegoiatiBchen und ethischen, in ihren Wirkungen zu erörtern. Er
bedient sich aber dabei nicht der Methode der Theilung der Ursachen, sondern
sucht, nachdem die rein wirthschaftlichen Beweggründe betrachtet sind, die
Modificationen ihrer EfiPecte durch anderweitige Motive im allgemeinen zu be-
stimmen. A. Wagner, Grundlegung der politischen Oekonomie. 3. Aufl.
I, S. 83 ff.
Abstracte WirthschafUtheorie. 515
•
kaon. Auf allen Zwischenstufen würde aber einer grösseren Be-
theiligung altruistischer Motive nicht dadurch Rechnung getragen
werden können, dass man zuerst ein consequentes System des Egois-
mus und dann des Altruismus entwickelte, wie dies nach der Me-
thode der getheilten Untersuchung der Ursachen Torgeschlagen wird,
sondern die anzubringende Veränderung würde lediglich in der Aus-
dehnung des Begriffs der Wirthschaftseinheit auf die altruistisch
verbundenen Gemeinschaften, d. h. also in der Ersetzung der heutigen
Priyatwirthschaften durch umfassendere Wirthschaftsgemeinschaften
bestehen können. Nun enthält die abstracto Wirthschaftstheorie
selbst eigentlich gar keine Voraussetzungen über die wirthschaft-
üchen Einheiten: als solche könnten streng genommen ebenso gut
communistische Staats- wie Priyatwirthschaften gedacht werden. Das
altruistische Wirthschafkssystem ist also, so lange überhaupt noch
eine Vielheit selbständiger Wirthschafbseinheiten angenommen wird,
rein wirthschaftlich betrachtet mit dem' egoistischen Wirthschafts-
system identisch. Die wirklichen Unterschiede liegen nicht auf dem
Gebiet der abstracten Theorie, sondern theils auf dem der concreten
Wirthschaftslehre theils aber auf dem der Ethik und Politik.
Zu den oben erwähnten theoretischen Eigenthümlichkeiten
kommt endUch noch ein praktischer Unterschied, der die abstracto
Wirthschaftstheorie zu ihrem Nachtheil von den ihr methodisch ver-
wandten Gebieten der Naturforschung trennt. Die physikalische
Beobachtung zieht der Gültigkeit der mechanischen Voraussetzungen
unzweideutig ihre Grenzen, indem sie zugleich auf die Ergänzungen
hinweist, deren dieselben bedürfen. Die Correctur, die der abstracten
Wirthschaftstheorie durch die Erfahrung zu Theil wird, ist praktisch
weit weniger wirksam. Denn wo diese Theorie mit der Realität in
Conflict geräth, da ist man, yermöge jenes Glaubens an die Wirklich-
keit abstracter Ideen, der so leicht aus der Beschäftigung mit ihnen
entspringt, imd dessen sogar der speculirende Mathematiker nicht ganz
entbehrt, geneigt, dem Sein durch ein Sollen nachzuhelfen: wenn
die Erscheinungen den Gesetzen nicht gehorchen, so sollten sie es
doch thun und werden es in Zukunft gewiss thun, wenn erst die
Hindemisse beseitigt sind, die den gemachten Voraussetzungen wider-
streiten. Als solche Hindemisse betrachtet man aber meistens nicht
die relativ unveränderlichen Eigenschaften der menschlichen Natur,
sondern hauptsächlich gewisse äussere, durch die Gesetzgebung
leicht zu beseitigende Schranken, wie die Hemmnisse des Verkehrs
und der Freiheit der wirthschaftlichen Arbeit. Das Postulat der
516 Logik der Gesellschaftawissenschaften.
abstracten Theorie, dass jedes Individuum in seinem wilihschaftiichen
Handeln unbeschränkt sei, wird auf diese Weise Ton der Richtung
des ökonomischen Liberalismus unmittelbar in eine Forderung um-
gewandelt, zu deren Begründung man sich auf die Resultate der
abstracten Theorie beruft, uns beschäftigt hier nicht der materielle
Inhalt dieser Forderung, die ja, insoweit sie auf die Möglichkeit der
Selbstregulirung der wirthschaftlichen Interessen gegründet ist,
eine gewisse, freilich beschrankte relative Berechtigung hat. Hier
ist nur auf den logischen Fehler hinzuweisen, den man begeht, in-
dem man aus einer Anzahl gleich abstracter Voraussetzungen einen
befriedigenden Zustand des wirthschaftlichen |Gleichgewichts ableitet
um nun daraus zu folgern, dass diejenige Voraussetzung, deren Er-
füllung in unserer Macht steht, praktisch verwirklicht werde, ohne
danach zu fragen, ob auch die andern Voraussetzungen erf&llt seien.
Wie unzulässig solche einseitige Anwendungen der* Theorie sind,
das hat denn auch der Erfolg thatsächlich gezeigt, indem die näm-
lichen allgemeinen Voraussetzungen zu praktischen Forderungen von
ganz entgegengesetztem Inhalte führten. Die befriedigte «Selbst-
regulirung der egoistischen Interessen', die in der Selbsthülfe des
Einzelnen und in der Staatsweisheit des «Laissez faire, laissez aller '^
gipfelt, und das ,,eheme Lohngesetz" Lassalles, das die Hunger-
grenze als den Normalzustand der arbeitenden Massen betrachtet,
diese beiden Lehren sind Kinder einer und derselben abstracten
Theorie, der sie auch darin nacharten, dass sie die Vielheit der
ethischen Motive des Handelns und die Verschiedenartigkeit der
Menschen unbeachtet lassen.
Mit der Zurückweisung solch praktischer Nutzanwendungen ist
nun aber keineswegs der Werth der Wirthschaftstheorie selbst auf-
gehoben. Vielmehr liegt ihre grosse Bedeutung gerade darin, dass
sie die isolirte Wirkung der im eigentlichen Sinne wirthschaft-
lichen Factoren des realen Wirthschaftslebens untersucht und auf
diese Weise die Analyse der complexen Erscheinungen , in denen
jene Factoren mit andern Bedingungen zusammenwirken, vorbereitet.
Eine solche Analyse kann naturgemäss erst unternommen werden,
wenn man sich zuvor mindestens über die Wirkungen der allge-
m'einsten in der Natur des wirthschaftlichen Lebens selbst be-
gründeten Bedingungen Rechenschaft gegeben hat. Die Ermittelung
der weiteren realen Factoren dieses Lebens in seinen einzelnen Er-
scheinungen ist aber das Werk einer an der Hand der historischen
und socialen Thatsachen unternommenen Induction, nicht einer Theorie,
Abstracte Wirthschaftstheorie. 517
die zum Theil wenigstens den Thatsachen yorausgeht. Bei dieser
dem Gebiet der concreten Yolkswirthschafitslehre angehörenden In-
duction spielt dann allerdings auch die abstracte Theorie die Rolle
eines flOlfsmittels. Doch ist diese Rolle eine von derjenigen, die
den abstracten Theorien der Mechanik und der mathematischen
Physik im Yerhältniss zu den ihnen entsprechenden concreten Ge-
bieten zukommt, wesentlich abweichende. Die abstracte Wirth-
schaftstheorie vermag weder allgemeingültige Gesetze aufzustellen,
wie es die theoretische Physik z. B. in dem Trägheitsgesetz, dem
Princip der Gleichheit von Action und Reaction und andern ähn-
lichen ihut, noch vermag sie durchgängig erste Annäherungen an
die Wirklichkeit zu formuliren, wie solche etwa das Gesetz des
mathematischen Pendels oder die Eepler'schen Gesetze sind; son-
dern ihre Gesetze sind, an der Wirklichkeit gemessen, Regeln die
nur zuweilen in Annäherungen zutreffen, wie das mit Noth-
wendigkeit schon daraus hervorgeht, dass diese Regeln unter Be-
dingungen abgeleitet sind, die sich nicht bloss stets mit andern
Bedingungen verschiedener Art verbinden, sondern die sogar unter
dem Einfluss solch abweichender Bedingungen gänzlich wirkungslos
werden können. Daraus geht aber auch hervor, dass als einem
Hülfismittel zur Auffindung der die wirkliche Erfahrung beherrschen-
den Gesetze der abstractän Wirthschaftstheorie nur ein höchst be-
schränkter Werth zukommt, und dass sie in dieser Beziehung mit
den abstracten Disciplinen der Naturwissenschaft nicht zu ver-
gleichen ist. Dagegen gibt es eine andere Eigenschaft dieser Theorie,
in der sie als Hülfsmittel der concreten Untersuchung eine ungleich
grössere Bedeutung hat, als sie jene exacten Gebiete ihren con-
creten Anwendungen gegenüber besitzen. Erschöpfende«Definitionen
der naturwissenschaftlichen Begriffe, wie z. B. der Materie ; des
Lichtes, der Elektricität u. s. w., zu gewinnen, wird niemals als die
Aufgabe solcher abstracten mathematischen Grundlegungen be-
trachtet. Man überlässt jene vielmehr der concreten Untersuchung,
die erst mit dem voUen Rüstzeug dazu versehen ist. Die abstracten
Theorien begnügen sich auch hier mit ersten Annäherungen oder
auch geradezu mit hypothetischen Fictionen, von denen sich an-
nehmen lässt, dass sie zu einem allgemeinen theoretischen Zusammen-
hang des betrachteten Erscheinungsgebietes verhelfen können. Der
Zweck der abstracten Untersuchung ist eben hier von vornherein
nicht darauf gerichtet Begriffe zu definiren, sondern Gesetze zu
finden, denen sich alle empirisch zu beobachtenden Erscheinungen
518 Logik der GesellschaftswisseDschaften.
unterordnen lassen. Ganz anders steht die abstracte Wirthschafts-
theorie ihren Objecten gegenüber. Die wirklichen Gesetze des
wirthschaftlichen Lebens zu finden muss sie zum allergrössten Theil
der concreten Untersuchung überlassen. Dagegen ist ihr ganzes
Bemühen von vornherein auf die exacte Definition der Begriffe
gerichtet, und diese erzielt sie eben dadurch, dass sie diese Be-
griffe aus allen den Verbindungen loslöst, in denen sie in der Wirk-
lichkeit stets enthalten sind, und sie rein nur in Bezug auf die in
sie eingehenden wirthschaftlichen Factoren betrachtet. Durch solche
Definitionen werden aber die wirthschaftlichen Begriffe unter ein-
ander in die mannigfaltigsten Beziehungen gebracht. Denn da ir.
jeden Begriff, abgesehen von dem alle andern tragenden der Wirth-
schaft selbst, gar keine Elemente eingehen dürfen als solche, die
an und für sich schon eine wirthschaftliche Bedeutung besitzen, so
werden durch die Definitionen immer nur die Wirthschaftsbegriffe
selbst wechselseitig bestimmt. Dadurch wird es möglich, die De-
finitionen allmählich immer exacter zu gestalten, indem man sich
dabei auf das Postulat stützt, dass ein in bestimmter Weise de-
finirter Begriff in derselben Bedeutung zugleich in allen andern
Definitionen vorkommen muss. So ist denn auch das Bemühen
der Wirthschaftstheoretiker in erster Linie keineswegs darauf ge-
richtet, nachzuweisen, dass die von ihnen formulirten Begriffis-
relationen empirisch gelten, sondern darauf, dass diese Begriffe
sämmtlich ein widerspruchlos in sich zusammenhängendes System
bilden. Hierin liegt aber der praktische Beleg dafOr, dass die ab-
stracte Wirthschaftstheorie nicht in der Feststellung der
Gesetze des wirklichen Wirthschaftslebens, sondern in
der exacfen Bestimmung der Wirthschaftsbegriffe und
ihrer wechselseitigen Beziehungen ihre Aufgabe zu sehen
hat. Die Untersuchung der wirthschaftlichen Gesetze wird bei der
Lösung dieser Hauptaufgabe nur insofern berührt, als die in den
Verhältnissen der wirthschaftlichen Begriffe zum Ausdruck kommen-
den thatsächlichen Verhältnisse zugleich den Charakter psycho-
logischer Motive besitzen können, die neben andern auf das
wirkliche Handeln der wirthschaftlichen Individuen einen Einfluss
ausüben.
Mit dieser Auffassung von der vorwiegend definitorischen, nicht
oder nur in beschränkter Weise explicativen Bedeutung der ab-
stracten Wirthschaftslehre steht es nun vollkommen im Einklang,
dass die meisten der sogenannten „ Theorien ** derselben, wie die
Abstmcte Wirthschaftstheorie. 519
von Werth, Preis, Lohn u. s. w., in Wahrheit gar nicht Theorien,
sondern Definitionen sind, und dass namentlich sehr oft an Stelle
einer wirklichen Theorie der Erscheinungen ein blosses Nebenein-
ander verschiedener Definitionen eines und desselben Begriffs aus-
helfen muss. So besteht z. B. die „ Werth theorie" der classischen
Nationalökonomie im wesentlichen nur in einer Summe von ein-
ander abweichender Definitionen des Werthbegriffs, wie des Nutzungs-
werths, des Tauschwerths , des Seltenheitswerths , durch die dem
allgemeinen logischen Bedürfniss genügt werden soll, dass zu jeder
einzelnen Wertherscheinung ein Allgemeinbegriff vorhanden sei, dem
dieselbe subsumirt werden kann. Nun hat freilich die neuere Wirth-
schaffcslehre dieses eklektische Verfahren, bei welchem die „Theorie*
nur in einer nach Bedürfniss wechselnden Subsumtion besteht, zu
vermeiden gesucht, indem sie möglichst einheitliche, consequent fest-
gehaltene Definitionen einführte. Aber auch die so aufgestellten
Begriffsbestimmungen, wie z. B. die des Werthes als „(^^ei^znutzen'*
oder als , verdichtete Arbeit* *). sind an und für sich betrachtet
nicht Theorien, wie sie genannt zu werden pflegen, sondern Defini-
tionen. Deshalb weil sie nur dies sind, ist es auch möglich, dass
so verschiedene Bestimmungen eines und desselben Begriffs, wie
z. B. die beiden eben genannten, neben einander existiren, ja dass
sie, wenn man die Gesichtspunkte im Auge behält unter denen sie
aufgestellt wurden, sogar neben einander wahr sein können. Das
ist bei zwei Definitionen sehr wohl möglich, weil hier die eine eine
descriptive, die andere eine genetische, die eine eine causale., die
andere eine teleologisch begründende sein kann u. s. w. ; von zwei
Theorien, die einen gänzlich verschiedenen Inhalt haben, muss aber
nothwendig, wenn die eine wahr ist, die andere falsch sein. In der
That ist nun die Begriffsbestimmung des Werthes nach dem „ Grenz-
nutzen * * offenbar eine teleologische Definition, insofern sie aus-
schliesslich vom Gesichtspunkte der ökonomischen Verwendung der
Güter ausgeht; die Definition als , verdichtete Arbeit* dagegen ist
eine genetische Definition: sie steht unter dem Gesichtspunkt der
ökonomischen Entstehung der Werthe. Diese Definitionen können
dann allerdings auch die Grundlagen bestimmter ökonomischer
Theorien abgeben. Damit dies geschehen könne, müssen aber stets
weitere Voraussetzungen hinzutreten. In diesem Sinne ist z. B. die
Definition des Grenznutzens zu einer wirklichen „Theorie* ent-
• Siehe oben S. 510.
520 Logik der Gesellachaftgwissenschafleii.
wickelt worden, indem man auf die Voraussetzung, dass jedes ^Be-
dttrfhiss in eine Anzahl von Theilbedürfnissen von verschiedener In-
tensität zerlegt werden könne, sowie auf allgemeine psychologiBche
Betrachtungen über die Verhältnisse der Intensität yerschiedener
Triebe zu einander und zu der Menge der zu ihrer Befriedigung
verfügbaren Güter Schlüsse über die Abhängigkeit der dkonomischen
Werthe von ihren allgemeinen Bedingungen gründete*). Ebenso sind
die von E. Marx auf die Definition des Werthes als «verdichteter
Arbeit** gegründeten Folgerungen über den Verwerthungsprocess
der Arbeit, die Waarencirculation, die Gapitalbildung, die Erzeugung
von «Mehrwerthen* Bestandtheile einer Theorie, in die theils wei>
tere Begriffsdefinitionen, wie der Waare, des Capitals u. a., theils
aber auch bestimmte Hypothesen eingehen, wie z. B. die, dass alle
Werthe auf verschieden grosse Arbeitszeit zurückführbar sein müss-
ten, indem jede noch so hoch qualificirte Arbeit in Zeiteinheiten
einer einfachsten Arbeitsform ausgedrückt werden könne**). Mit der
Einführung dieser und ähnlicher Voraussetzungen verlässt nun aber
jede Theorie regelmässig zugleich den Boden abstract logischer Be-
trachtungen : sie nimmt entweder, wie die Theorie des Grenznutzens,
empirisch-psychologische Momente zu Hülfe, oder sie stützt sich,
wie die des Normalarbeitsmasses, auf socialistische Pdstulate, unter
allen umständen also auf Voraussetzungen, denen eine ähnliche ab-
stracte Allgemeingültigkeit wie den ökonomischen Begriffen selbst
nicht zugeschrieben werden kann, unter diesen Voraussetzungen
hat man mehr und mehr die psychologischen vor den früher
meist allein berücksichtigten äusseren Momenten, die, wie z. B. die
Seltenheit der Güter, die Kosten, Angebot und Nachfrage, erst
directe oder indirecte ViTirkungen psychischer Bedingungen sind,
bevorzugt. Und gewiss mit Recht. Sind doch Gut, Bedürfiiiss,
Werth, Arbeit, diese Grundbegriffe des ökonomischen Lebens* psycho-
logische oder psychophysische Begriffe. Die Erscheinungen, auf die
sie sich beziehen, können daher unmöglich exact verfolgt werden,
ohne dass man auf die Gesetze zurückgreift, denen die Lust- und
ünlustgefühle in ihrer Abhängigkeit von der Befriedigung , dem
*) Vgl. hierher gehörige Ausführungen bei C. Meng er, Grundsätze der
Volkswirthschaftslehre, 1871, S. 100 ff., E. Saz, Grundlegung der theoretischen
Staatswirthschaft, 1887, S. 256 ff., M. Naumann, Die Lehre vom Werth, 1893^
S, 26 ff.
**) Vgl. hierzu die Bemerkungen über die Theorie der .Mehrwerthe^
unten S. 6^0 ff.
Abstracie Wirthachaftstheorie. 521
Hangel, der Arbeit und von dem Ineinandergreifen verschiedener in
Wettstreit stehender Bedürfnisse folgen "**). Aber diese psychologische
Aufgabe ist nicht nur eine äusserst schwierige, sondern sie ist eine
solche, die eine abstracte Theorie Ton allgemeingültiger Bedeutung
von Tomherein ausschliesst. Liesse sich auch allenfalls noch auf
Grund allgemeiner psychologischer Abstractionen über die Gesetze
des Gefühlslebens eine exacte Functionsbeziehung zwischen der Grösse
eines Bedürfnisses und der zu seiner Befriedigung vorhandenen
Gütermenge als allgemeiner Ausdruck der Grösse des Werthes unter
der Annahme, dass nur ein Bedürfniss in Betracht zu ziehen sei,
und ebenso eine wahrscheinlich in seiner Form dem allgemeinen
psychophysischen Gesetze gleichende Relation zwischen Werth-
zunahme und Güterzimahme unter der gleichen Voraussetzung finden,
so wird doch, sobald mehrere Bedürfnisse mit einander in Wett-
streit gerathen, deren jedes sich in Theilbedürfnisse von mehr oder
minder rasch abnehmender Intensität zerlegen lässt, das Problem so
verwickelt, dass sich an eine allgemeine Lösung desselben nicht
mehr denken lässt. Und selbst wenn man sich auf eine Lösung
in schematisch-hypothetischer Form beschränken wollte, würde das
wegen der unendlichen Variabilität der Gefühlsvorgänge für die
concrete Lösung ökonomischer Aufgaben kaum eine nennenswerthe
Bedeutung haben. Vielmehr wird eine derartige psychologische
Analyse erst in der nachträglichen Anwendung auf die Interpretation
bereits abgelaufener ökonomischer Erscheinungen ihren Werth haben,
vermöge des allgemeinen Charakters der Psychologie, die nicht eine
a priori mathematisch deducirende, sondern eine auf Grund ge-
gebener Inductionen analysirende Hülfsdisciplin der Geisteswissen-
schaften ist. Mit einer solchen psychologischen Interpretation voll-
zieht sich daher von selbst der üebergang aus der abstracten Wirth-
schaftstheorie in die concrete Volkswirthschafbslehre '*''*').
*) Die Nothwendigkeit einer solchen psychologischen Gnindlegung mittelst
der Gefühlslehre ist besonders eindringlich von £. Saz (Die neuesten Fort-
schritte der nationalOkonomischen Theorie, 1889) und von M. Naumann (a. a. 0.)
horrorgehoben worden. Aber auch sonst, namentlich bereits bei Menger, liegt
eine psychologische Betrachtung den Auseinandersetzungen der Vertreter der
Theorie des Grenznutzens zu Gininde; und man darf vieUeicht umgekehrt
ngen, dass die wachsende Erkenntniss der Nothwendigkeit einer psychologi-
schen Fundirung der allgemeinen Wirthschaftsbegriffe wesentüch zu der Ver-
breitung dieser Theorie, wenn auch bei manchen NationalOkonomen in modifi-
cirter Form oder bloss für einen Theil der Erscheinungen, beigetragen hat.
**) Allerdings haben die Vertreter der mathematischen Wirthschaftstheorie,
522 Logik der Gesellscbaftswissenschaflen.
c. Die concrete Volkawirtbschaftslehre.
Da die concreten gesellschaftlichen Zustände stets die Ergeb-
nisse geschichtlicher Entwicklung sind, so beruht die Erkenntniss
derselben in erster Linie auf historischer Forschung, in zweiter auf
allen den Hülfsmitteln, die der Untersuchung der in der Gegenwart
gegebenen Zustände zu Gebote stehen. Insbesondere ist es da-
her die Statistik, die hier die geschichtliche Untersuchung er-
gänzen muss. Durch diese Vereinigung der sämmtlichen Hülfs-
mittel, die die empirische Erforschung der thatsächlichen Wirth-
schaftszustände und ihrer Entstehung zur Verfügung hat, tritt die
concrete Volkswirthschaftslehre in einen logischen Gegen-
satz zur abstracten Wirthschaftstheorie. Für diesen Gegensatz ist
namentlich die verschiedenartige Verwendung der statistischen That-
' Sachen bezeichnend. Während dieselbe in der Wirthschaftstheorie
höchstens zur Verification und quantitativen Abschätzung der Ergeb-
nisse, die auf dem Wege logischer Deduction gewonnen sind, dienen
kann, wobei freilich nicht selten aus den oben erörterten Gründen
die Uebereinstimmung ganz ausbleibt, betrachtet die concrete Wirth-
schaftslehre das statistische Material als Grundlage ihrer In-
ductionen. Damit hängt zusammen, dass die abstracte Theorie
von diesem Hülfsmittel zugleich einen beschränkteren Gebrauch
macht: sie begnügt sich mit der Auslese jener Zahlen der Wirth-
J ey 0 n 8 uod W a 1 r a 8 , jene Verwicklung der Probleme, welche durch den Rück-
gang auf die p87chologi8chen Grundlagen der Gefühlstheorie entsteht, zu ver-
meiden gewusst. £8 wurde ihnen dies aber doch nur dadurch möglich, dass
sie an Stelle der psychologischen äussere Ökonomische Begriffe, wie Nachfrage,
Angebot, Preis u. dergl., einführten, wodurch dann das Hereingreifen jener ver-
änderlichen psychischen Factoren umgangen, aber auch freilich eine im psycho-
logischen Sinne erklärende Theorie nicht gegeben wurde. Eine mathematische
Theorie ist eben nur unter Abstraction von allen besonderen psychologischen
Gefühlsgesetzen auf Grund der rein logisch^ökonomischen Definition der Wirth-
schaftsbegriffe möglich. Es werden in Folge ctessen aber auch alle besonderen
quantitativen FeststeUungen über die Relationen der ökonomischen Grössen rein
hypothetisch, und es ist nicht zu erwarten, dass sie auch nur in einem einzigen
Fall mit der Wirklichkeit übereinstimmen werden. Damit ist diesen Unter-
suchungen nicht im geringsten ihr Werth genommen, sondern es ist nur ge-
sagt, dass dieser Werth eben zum wesentlichsten Theile in der ezacten De-
finition der Begriffe und in der Feststellung der ezacten Verhältnisse derselben
besteht.
Concrete Volkswirthschaftslehre. 523
scfaaftssiatistik, die auf die Ergebnisse ihrer Deductionen unmittel-
bar Bezug haben. Die concrete Untersuchung dagegen sucht die
sämmtlichen Thatsachen zu verwerthen, die für den socialen Zu-
stand bedeutsam sein können; namentlich schenkt sie neben der
Wirthschafts- auch der Bevölkerungsstatistik ihre Aufmerksamkeit.
Der ursprünglich für diese Untersuchungen gebrauchte Ausdruck
»historische Nationalökonomie '^ ist daher jedenfalls ein zu beschränkter.
Immerhin bleibt der historischen Betrachtung eine sehr wichtige
Aufgabe; denn überall da, wo man ein causales Verständniss ge-
gebener wirthschafklicher Zustände zu gewinnen sucht, kann dies
nur auf dem Wege der geschichtlichen Entwicklung geschehen,
während die Statistik dazu dient, die Zustände selbst in ihrem Detail
festzustellen, üeberdies ist die Statistik wegen der kurzen Dauer
ihrer methodischen Anwendungen auf die Zustände einer weiter
zurückliegenden Vergangenheit nur unter den beschränkenden Be-
dingungen anwendbar, die die mangelhafte Beschaffenheit der üeber-
lieferungen mit sich bringt*).
Die geschichtlichen Aufgaben der concreten Volkswirth-
schaftslehre erstrecken sich wieder nach zwei Richtungen. Indem
die historische Forschung einzelnen Bedingungen des wirthschafi;-
lichen Lebens nachgeht, ergibt sich, dass diese an dem allgemeinen
Flusse des geschichtlichen Werdens theilnehmen, und es erwächst
so zunächst die Aufgabe, die individuellen wirthschaftlichen Er-
scheinungen von den sonstigen Vorgängen der Culturgeschichte
abzusondern und in ihren ursächlichen Beziehungen zu den poli-
tischen und socialen Zuständen historisch zu verfolgen. Als Resultat
dieser Untersuchungen ergibt sich eine Geschichte des Wirt h-
schaftslebens der einzelnen Völker, die ebenso sehr dazu
bestimmt ist, der allgemeinen historischen Untersuchung Gesichts-
punkte für das Verständniss der geschichtlichen Vorgänge entgegen-
zubringen, wie der Erkenntniss der in der Gegenwart bestehenden
concreten wirthschaftlichen Zustände die Wege zu bereiten. Diese
Untersuchung steht demnach ebensowohl im Dienste der eigentlichen
Geschichte wie in dem der Volkswirthschaftslehre. Indem nämlich
mittelst individueller Vergleichungen und so viel als möglich an der
Hand der statistischen Data, die sich urkundlichen üeberlieferungen
entnehmen lassen, die Wirthschaftszustände der einzelnen Territorien
und Zeiten erforscht werden, bildet zunächst die sich hieraus ergebende
*) Vgl. oben Cap. III, S. 850 f.
524 Logik der GesellschaflBwissenschafteiL
indiTiduelle WirÜischaftsentwicklung, wie schon früher (S. 328, 349)
erörtert, eine wichtige Grundlage für das Yerstandniss der politischen
wie der culturgeschichtlichen Vorgänge. Eine so gewonnene indi-
viduelle Wirthschaftsgeschichte dient aber auch der Volkswirth-
schaftslehre in einem ähnlichen Sinne, in welchem die Geschichte
überhaupt das Yerstandniss gegenwärtiger Zustände vermittelt, in-
sofern nämlich als die Vergangenheit den Hauptantheil der cau-
salen Bedingungen gegenwärtiger Erscheinungen in sich birgt. Da
die Volksförthschaftslehre neben ihren theoretischen auch praktische
Aufgaben verfolgt, und in diesem Interesse den bei den heutigen
Culturvölkem bestehenden Wirthschaftsformen ihre besondere Auf-
merksamkeit zuwendet, so ist daher diese Methode der individuellen
historischen Betrachtung insbesondere in der Anwendung auf die
näher zurückliegende Vergangenheit in ihrem üebergang zur Gegen-
wart für die Volkswirthschaft selbst von Wichtigkeit*).
In dieser volkswirthschaftlichen Verwerthung bleibt nun aber
die historische Untersuchung nicht bei der individuellen Betrach-
tung stehen. Denn die wirthschaftlichen Erscheinungen gehören zu
jenen Bestandtheilen der Geschichte, die nicht, wie im allgemeinen
das politische Leben, in eine grosse Summe singulärer Verkettungen
auseinanderfallen, so dass in ihnen nur eine ganz abstracto Be-
trachtung gewisse regelmässige Beziehungen, wie sie sich zu den
früher (S. 407 ff.) betrachteten historischen Beziehungsgesetzen for-
muliren lassen, aufzufinden vermag; sondern das «wirthschaftliche
Leben gehört zu jenen CoUectiverscheinungen, die, wie die Sprache,
die Sitte, in weitem Umfange auch das Recht, Entwicklungsformen
darbieten, die zwar in manchen einzelnen Bestimmungen abweichen,
in gewissen Grun,dzügen aber auch da übereinstimmen, wo die con-
creten Entwicklungen ausser jedem historischen Zusammenhang
stehen. Diese allgemeinen wirthschaftlichen Entwicklung»-
gesetze aufzufinden ist ein Hauptproblem der historischen Volks-
wirthschaftslehre. Zu diesem Zweck muss sich aber an die
individuell - historische Vergleichung der einzelnen Wirthschafts-
entwicklungen eine generische anschliessen , die den verschiedenen
Wirthschaftsbegriffen, abstrahirend' von den concreten Verbindungen
in denen sie vorkommen, in ihren räumlich und zeitlich getrennten
Erscheinungsformen nachgeht. Die Aufgabe einer solchen allge-
*) Ueber die Hülfsmittel der historischen Statistik vgl. G. von May r,
Statistik und Gesellschaftslehre, I, S. 24 fP.
Goncrete Volkswirthschaftilehre. 525
meinen Wirthschaftsgeschichte ist es demnach, zunächst die
allgemeine Entwicklungsgeschichte der Wirthschaftsformen,
der Haus«, Stadt-, Volkswirthschaft u. s. w., sodann die der ein-
zelnen Wirthschaf tsbegrif fe in ihrer Anwendung auf die
Wirklichkeit des wirthschaftlichen Lebens, wie der Arbeit, der
Arbeitstheilung, des Werthes, Preises, Lohnes, Geldes, Capi-
tals u. 8. w., endlich die der einzelnen Wirthschaftsgebiete, der
Viehzucht, des Landbaus, des Gewerbee, des Handels, zu verfolgen.
Dabei sind naturgemäss auch die abzuleitenden Entwicklungsgesetze
um so genereller, um je allgemeinere Begriffe es sich handelt.
Am wenigsten fQgen sich daher die Objecte der dritten Classe
der Subsumtion unter allgemeine Entwicklungsgesetze, und in der
That bilden dieselben eine Art von üebergangsgebiet zwischen
der allgemeinen Entwicklungsgeschichte des wirthschaftlichen Lebens
und der individuellen Wirthschaftsgeschichte. Auch da wo sich die
erstere auf ihrem eigensten Boden befindet, in der Genese der all-
gemeinen Wirthschaftsformen und Wirthschaftsbegriffe , wird sie
aber zu einer weitgehenden Abstraction theils von den Besonder-
heiten der individuellen Entwicklung, theils und namentlich von den
niemals fehlenden üebergangsstufen derselben genöthigt, um ge-
wisse begrifflich scharf gegen einander abgegrenzte Entwicklungs-
stufen fixiren zu können, die in der Wirklichkeit natürlich nicht in
dieser Trennung vorkommen. So geht die Hauswirthschaft nicht
mit einem Male in die Stadt- und diese in die Volkswirth-
schaft, so der Tausch- nicht unvermittelt in den Geld- und dieser
in den Greditverkehr Ober, sondern es finden sich hier überall
Zwischenstufen, die lange Zeiträume einnehmen und geschichtlich
eme hervorragende Bedeutung besitzen können. Diese üebergangs-
stufen, die in den schematischen Gliederungen der wirthschaft-
lichen Entwicklungsgesetze nicht zum Ausdruck kommen, sind so-
gar für die Interpretation der generellen Gesetze von besonderer
Bedeutung. Denn gerade ihnen müssen die Bedingungen ent-
nommen werden, die jeweils das Verlassen der vorangegangenen
und den TJebei^ang in die folgende Stufe begreiflich machen. Diese
Interpretation selbst kann aber natürlich in letzter Instanz überall
nur eine psychologische sein, während die besonderen Cultur-
bedingungen als äussere bestimmende Momente in Rechnung kom-
men. Hier steht daher die generelle Wirthschaftsgeschichte einer-
seits hinsichtlich der allgemeinen Gesichtspunkte psychologischer Be-
urtheilung mit der Völkerpsychologie, anderseits in den That-
526 Logik der Gesellschaf iBwiBseuBcliafteii.
Sachen auf die sie sich stützt mit der Ethologie in nächster Be-
ziehung*).
Der so nach zwei Richtungen auseinandergehenden geschicht-
lichen Forschung steht nun die Betrachtung des Zusammenhangs
gegebener Zustande als die systematische Aufgabe der Volks-
wirthschaftslehre gegenüber. Indem sich nämlich die gesammten
Wirthschaftszustände eines Volkes in verschiedene Wirthschafts-
gebiete scheiden, die doch sämmtlich unter einander zu einer Ein-
heit verbunden werden, sind für diese Untersuchung im wesentlichen
die nämlichen logischen Gesichtspunkte massgebend, die für jedes
einheitliche Begriffsystem gelten. Unter Zuhülfenahme der von der
abstracten Wirthschaftstheorie bestimmten allgemeinen Wirthschafts-
begriffe handelt es sich daher hier darum zunächst das der Betrach-
tung unterworfene Wirthschaftsganze in seinem allgemeinen Zu-
sammenhang mit den bestehenden Gesellschafks-, Verfassungs- und
Rechtszuständen zu untersuchen, und dann die einzelnen Wirth-
schafbsgebiete, aus denen jenes Gknze besteht, wie Land- und Forst-
wirthschaft, Gewerbe und Handel, Verkehrswesen, endlich den alle
diese einzelnen Gebiete umschliessenden staatlichen Finanzhaushalt,
einer Eleihe successiver Sonderbetrachtungen zu unterziehen. Da-
bei zeigt es sich überall, dass das Ganze dieser Untersuchungen
nicht bloss in dem Sinne einen systematischen Charakter hat, als
auf die concreten Erscheinungen des wirthschaftlichen Lebens überall
das nämliche System allgemeiner Wirthschaftsbegriffe anwendbar
ist, die nur in jedem Gebiet durch die besonderen Eigenschaften
der Objecte modificirt werden, sondern dass auch der Zusammenhang
der einzelnen Wirthschaftsgebiete unter einander einen organi-
schen Charakter besitzt. Dieser besteht hier wie überall darin,
dass sich die Theile wechselseitig bestimmen, und dass sie ebenso-
wohl durch die Zwecke des Ganzen bestimmt werden, wie sie selbst
wieder auf diese Zwecke von Einfluss sind. Dies ist der Grund,
weshalb das Wirthschaftssystem, ebenso wie andere in Staat und
Gesellschaft bestehende Cultursysteme, z. B. die Sitte, das Recht,
als eine eigenthümliche Form psychophysischer, aber in ihren letzten
Gründen psychisch bedingter Organisation mit dem physischen
Organismus in Analogie gebracht werden kann. Dabei weist aber
zugleich diese Analogie über sich selbst hinaus, da in dem Ghknzen
♦) Vgl. oben Cap. II, S. 231, Cap. III, S. 369 ff. Ueber Wirthschafts-
gesetze als eine spedelle Form historiscber Entwicklungsgesetze vgl. ansserdem
S. 394, Über ihre Bedeutung als sociale Gesetze unten 8. 614 ff.
Concrete Volks wirthschaftslehre. 527
der menschlichen Gemeinschaft das Wirthschaftsleben immerhin nur
die Bedeutung eines Systems von Organen neben andern beanspruchen
kann. Die organische Betrachtung der Yolkswirthschaft fordert auf
diese Weise eine Eingliederung derselben in das umfassendere System
der Staats- und Gesellschaftslehre*).
Die Methoden der concreten Volks¥mrthschaftsl6hre in diesem
ihrem systematischen Theile zerfallen im wesentlichen in zwei
Hauptmethoden: in die statistische Untersuchung der einzelnen
Wirthschaftsbetriebe und ihrer Factoren, und in die allgemeine
sociologische Erforschung der Organisationsformen des. wirthschaft-
lichen Lebens. Die erste dieser Methoden, die systematische
Wirthschaftsstatistik, zerfällt wieder in zwei Verfahrungs-
weisen, von denen das erste die Haupt-, das zweite die Hülfs-
methode genannt werden kann. Die Hauptmethode der Wirth-
schaftsstatistik besteht nämlich in allen den planmässig ausgeführten
numerischen Feststelluügen, denen sich die quantitativen Eigen-
schaften der einzelnen Wirthschaftsbetriebe im ganzen wie in ihren
Bestandtheilen, in ihren absoluten wie in ihren relativen Werthen
entnehmen lassen. Es ist dies das gewöhnlich im engeren Sinne
als , Wirthschaftsstatistik'' bezeichnete Gebiet, dessen hauptsäch-
lichste Aufgaben realstatistischer Natur sind und nur in den
Beziehungen, wo sich die Probleme mit denen der Bevölkerungslehre
berühren, zum Theil mit personalstatistischen sich verbinden, wie
z. B. in der personalen Gewerbe-, Arbeiterstatistik u. s. w.**). Diese
eigentliche Statistik liefert nun aber kein zureichendes Bild der
wirthschaftUchen Zustände. Theils kann der Statistiker, angewiesen
auf die hauptsächlich nur von beschränkteren praktischen Interessen
geleitete amtliche Erhebung, nicht auf alle Fragen eine Antwort
^ Von den Vertretern der .biologischen Methode' in der GesellBchafbs-
lehre, wie z. B. von A. Schäffle, wird daher auch der Znsammenhang der
Volkswirthachaftslehre mit dem Ganzen der Staatswissenschaft besonders stark
betont (VgL oben S. 488 ff.) Speciell für die Yolkswirthschaft ist der orga-
lösche Zusammenhang ihrer einzelnen Gebiete unter einander und mit den ge-
sammten gesellschaftlichen Zuständen, im Gegensatz zur individualisirenden
Betrachtung der Smith*schen Schule, wohl zuerst von E. Dietzel (Die Yolks-
wirthschaft und ihr Yerhältniss zu Gesellschaft und Staat, 1864) hervorgehoben
worden. Den nämlichen Gedanken führt, namentlich im Hinblick auf die wirth-
schaftlicben Entwicklungsgesetze, AI fr. Wenzel aus in seinen Beiträgen zur
Sodalwirthschaftslehre, Phil. Stud. X, S. 431 ff., 604 ff.
**) Üeber die unterschiede der Personal* und Realstatistik im allgemeinen
Tgl. oben S. 458.
528 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
erhalten, die gestellt werden können; theils sind die Antworten Über-
haupt wegen ihrer generellen, überall nur GoUectiv- oder Durch-
schnittswerthe angebenden Beschaffenheit nicht geeignet ein Detail-
bild des wirthschaftlichen Lebens zu geben. So tritt hier, in neuerer
Zeit einen immer weiteren umfang einnehmend, die Einzelerhe-
bung (die sogenannte Enquete) der Massenstatistik als HOlfsmethode
zur Seite. Sie besteht in der sorgfältigen Ermittelung der Verhält-
nisse der einzelnen in ein concretes Wirthschaftsganzes eingehenden
Privatwirthschafben. Da es selbstverständlich unmöglich ist, die
sämmtlichen individuellen Fälle, z. B. alle Privatwirthschaften eines
Gewerbes, mit Rücksicht auf das Budget des Haushaltes, Oeschäfts-
gewinn und -verlust, Zahl der Arbeiter, Wohnungs- und sonstige
LebensverhältniBse derselben, zu untersuchen, so beschränkt sich
die ^inzelerhebung auf eine Anzahl typischer Beispiele, die mög-
lichst den verschiedenen Schichten des Wirthschaftsganzen entnommen
werden. Ist auf diese Weise ein System planmässig ausgeführter
Einzelerhebungen entstanden, so ergänzt nun dasselbe die Resultate
der eigentlichen Statistik in der wirksamsten Weise. Oibt diese über
den Gesammtzustand der untersuchten Wirthschaftseinheit Rechen-
schaft, so lässt jenes die Einzelzustände und die Breite der Schwan-
kungen beurtheilen, die in dem betreffenden Lebensgebiet vorkommen.
Natürlich hat die Statistik vor der Einzelerhebung den Vorzug der
grösseren *Objectivität. Ihre Zahlen bleiben, falls sie nicht absicht-
lich gefälscht sind, unter allen Umständen wahr. Bei der Einzel-
erhebung steht aber die Wahl der typischen Beispiele frei: absicht-
lich vrie unabsichtlich kann darum hier das Bild im einzelnen treu
und dennoch, insofern es eine typische Bedeutung haben soll, falsch
sein. Umgekehrt hat die Statistik den Nachtheil, dass sich in ihr
ein gewisser mittlerer Zustand allzusehr in den Vordergrund drangt,
während die Grenzfälle, die namentlich in socialer Beziehung schwer
ins Gewicht fallen, im Hintergrund bleiben. Das Hauptstreben der
methodischen Untersuchung hier wie dort ist daher auf möglichste
Ausgleichung dieser Mängel gerichtet. Das geschieht bei der Stati-
stik durch thunlichste Specialisirung der Gruppen, bei der Einzel-
erhebung durch eine planmässige Vertheilung der als Typen aus-
gewählten Fälle, die von vornherein die Willkür ausschliesst*).
Die sociologische Methode tritt nun diesen beiden Formen
*) Vgl. Specielleres über die Einzelerhebungen und die Fehlerquellen
derselben beiG. Schnapper-Arndt, Zur Methodologie der socialen Enqudten
1888, und G. von Mayr, Statistik und Gesellschafbslehre, I, S. 8 ff .
Theoretische und praktische Nationalökonomie. 529
statistischer Erhebung ergänzend zur Seite, indem sie der qualitativen
Ennittelung der typischen Formen der Wirthschaftsorganisation zu-
gewandt ist. Diese Organisationsformen sind aber wieder doppelten
Ursprungs. Einerseits beruhen sie auf dem allen socialen Bildungen
innewohnenden, durch die Bedürfnisse der Einzelnen und ihre Wechsel-
wirkungen geregelten Trieb zur Selbstorganisation. Anderseits greift
in diesen Trieb, theils die vorhandenen Entwickelungen lenkend,
theils selbständig Organisationen begründend, die staatliche Fürsorge
ein, so dass bei diesem Punkte das Wirthschaftsleben, ebenso wie
die andern wichtigeren Gestaltungen des socialen Lebens, mit der
rechtlichen Organisation des Staates in den innigsten Wechsel-
beziehungen steht. Dies ist der Grund, weshalb die Probleme der
Wirthschaftsorganisation zu einem wesentlichen Theile immer zu-
gleich Probleme der Staatswissenschaft sind, wie ja die letztere über-
haupt ihrer allgemeineren Aufgabe nach selbst nichts anderes als eine
Organisationslehre der Gesellschaft ist. Dieser Zusammenhang tritt
b^edf lieber Weise besonders bei den praktischen Fragen des Wirth-
schaftslebens zu Tage, bei denen die Auseinandersetzung mit den
concreten staatlichen und rechtlichen Zuständen am wenigsten zu
vermeiden ist, da sich aus diesen nicht nur die für das wirthschaft-
liche Leben entscheidenden äusseren Bedingungen ergeben, sondern
auch aus diesem Leben und aus den von ihm getragenen socialen
Zuständen Forderungen an die Thätigkeit des Staates erhoben werden.
In Folge dieser Verhältnisse besitzen alle hier in Rede stehenden
praktischen Anwendungen der Yolkswirthschaftslehre durchaus den
Charakter eines Zwischengebietes zwischen ihr und der Staatswissen-
schaft, eine Stellung die in dem meist für sie gebrauchten Namen
der „Wirthschaftspolitik" unmittelbar ausgedrückt ist. Bei der grossen
Bedeutung der Yolkswirthschaftslehre für das praktische Leben ist nun
die klare Sonderung der so sich ergebenden zwei Hauptgebiete der
theoretischen und der praktischen Nationalökonomie und
die genaue Bestimmung der wissenschaftlichen Zwecke einer jeden
von ihnen eine wichtige logische Aufgabe.
d. Theoretische und praktische Nationalökonomie.
Das System der theoretischen Nationalökonomie stand bis auf
die neueste Zeit namentlich in Deutschland noch vielfach unter dem
■
Einflüsse der Staatswissenschaft, von der es sich zusammen mit
der Statistik und Bevölkerungslehre abgezweigt hatte. Dieser üm-
Wundt, Logik. II, 2. s. Aufl. 34
530 Logik der GeseUschaftswissenschafteii.
stand begünstigte eine Vermengung der theoretischen mit den prak-
tischen Aufgaben und stand einer scharfen logischen Scheidung beider
Gebiete im Wege. Die von Adam Smith und Ricardo be-
gründete abstracte Wirthschaftstheorie arbeitete zwar einer solchen
Scheidung vor; aber indem die Schule des ökonomischen Liberalis-
mus die unmittelbare üeberführung der Theorie in die Praxis er-
strebte, war auch sie unfähig diese Aufgabe mit genügender Klar-
heit durchzuführen. Dazu kam, dass sie nur für die eine Seite der
Theorie, die des logischen Zusammenhangs der Begriffe, nicht aber
für die andere, nicht minder wesentliche, für die psychologische und
geschichtliche Entwicklung der Begriffe, ein Verstandniss besass.
So kam es, dass erst die neuere Zeit, welche die Ansprüche der
abstracten und der concreten Forschung gerechter gegen einander
abzuwägen begann, den realen Bedürfnissen der Gebietsscheidung
mehr zu entsprechen suchte. Doch herrscht noch jetzt ein gewisser
Zwiespalt der Meinungen darüber, inwieweit die Unterscheidung
eines theoretischen und eines praktischen Theils der Nationalökonomie
überhaupt gerechtfertigt, oder, falls man dies zugesteht, in welchem
Umfange die mit den Hülfsmitteln der Geschichte und Statistik
arbeitende concrete Yolkswirthschaftslehre zu dem theoretischen oder
zu dem praktischen Gebiet zu rechnen sei*).
Zur theoretischen Nationalökonomie gehören nun an und
für sich alle diejenigen Untersuchungen, die der Erkenntniss
des wirthschaftlichen Lebens, sei es in seinen allgemeingültigen
Eigenschaften sei es in seinen einzelnen Gestaltungen, dienen. Die
theoretische Nationalökonomie umfasst also ebensowohl allgemeine
wie specielle, abstracte wie concrete, statistische und sociologische
wie historische Probleme. Der praktischen Nationalökonomie
werden dagegen, entsprechend den allgemeinen Aufgaben der tech-
nischen Disciplinen, lediglich die Anwendungen der in der
theoretischen Untersuchung gewonnenen Ergebnisse auf die Bedürf-
*) Bekämpft wird die Scheidung der Nationalökonomie in einen theoreti-
schen und einen praktischen Theil namentlich von Anhängern der historischen
Schule oder Solchen, die ihr nahe stehen: so von F. J. Neumann, Schönbergs
Handbuch der politischen Oekonomie, 1, S. 184 ff. Von Andern, wie z. B. von
L. Brentano (Die klassische Nationalökonomie, 1888, S. 28), werden die Be-
griffe allgemein und theoretisch, speciell und praktisch identificirt. Für die
Scheidung in , theoretisch* und , praktisch* treten dagegen ein Ad. Wagner ;
(Grundlegung, 3. Aufl., I, S. 2 f.) und C. Menger (Untersuchungen, S. 239 ff. !
und Grundzüge einer Klassification der Wirthschaftswissenschaften, Conrads \
Jahrbücher, XIX, 1889). \
Theoretische und prakÜBche Nationalökonomie. 531
nisse des praktischen Lebens, insbesondere auf die zur Erhaltung
und Förderung der wirthschaftlichen Cultur erforderlichen politi-
schen Massregeln zufallen.
Die angemessene Gliederung der theoretischen National-
ökonomie ergibt sich dann ohne weiteres aus der logischen Ord-
nongy in der die oben erörterten Methoden und Hülfsmittel abstracter
und concreter Untersuchung jenem allgemeinen Erkenntnisszweck
dienen. Da das theoretische System in allen seinen Theilen mög-
Uchst exacte Definitionen der wirthschaftlichen Grundbegriffe, ihrer
psychologischen Bedingungen und ihrer allgemeinen Beziehungen
voraussetzt, so ¥mrd die abstracto Wirthschaftstheorie in der ihr oben
zugewiesenen Bedeutung zunächst die logische Grundlage des Systems
bilden müssen. Daran wird sich dann zweckmässig die generelle
Entwicklungsgeschichte der Wirthschaftsformen, Wirthschaftsgebiete
und Wirthschaftsbegriffe, wie sie aus der yergleichend historischen
Behandlung entspringt, anschliessen. Indem diese unter anderm
zeigt, wie die von der abstracten Theorie dem heutigen Cultursystem
entnommenen Begriffe allmählich entstanden sind, arbeitet sie einer
starr dogmatischen Auffassung derselben entgegen, während sie zu-
gleich ein angemessenes Mittelglied ist zwischen der abstracten Be-
trachtung und ihren concreten Anwendungen auf die theoretische
Untersuchung der wirthschaftlichen Zustände der Gegenwart, die
sich den beiden vorigen als eine dritte Aufgabe anschliesst. Bilden
jene beiden ersten Aufgaben zusammen den allgemeinen Theil
der theoretischen Nationalökonomie, der demnach wieder in eine
logisch-psychologische und eine entwicklungsgeschichtliche Unter-
suchung zerfällt, so ist dieses dritte Gebiet in doppeltem Sinne
als eine specielle Theorie zu bezeichnen: einmal deshalb weil
die Einführung der besonderen Bedingungen des gegenwärtigen
Wirthschaftssystems an und für sich der Betrachtung einen spe-
cielleren Charakter gibt, sodann aber auch weil diese Betrachtung
neben der Gesamratorganisation der bestehenden Wirthschaft die
besonderen Wirthschaftsgebiete, aus denen sich jene Organisation
zusammensetzt, nicht von sich ausschliessen kann. Bei der grossen
praktischen Bedeutung, die allen solchen einzelnen Fragen zukommt,
liegt es aber allerdings sehr nahe, an diese theoretische Unter-
suchung der einzelnen Wirthschaftsgebiete sofort die wirthschafts-
politische Behandlung derselben anzuknüpfen, so dass es gerecht-
fertigt erscheint, wenn man hier die concreto theoretische und
die praktische Aufgabe zu verbinden pflegt, worauf dann meist
532 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
das Ganze dieser Untersuchungen zur praktischen Nationalökonomie
gerechnet wird. In diesem Sinne pflegt man also die National-
ökonomie des Ackerbaus, der Gewerbe, des Handels u. s. w. und
namentlich die gesammte Finanzwissenschaft ohne weiteres dem prak-
tischen Theil des Systems zuzuzählen, obgleich man in diesen Capiteln
auch die Theorie der betreffenden Gebiete abhandelt. Nach dem
vorwaltenden Zweck richtet sich eben auch hier der Gesichtspunkt
der Eintheilung.
Abgesehen von diesen nur aus äusseren Zweckmässigkeits-
gründen hervorgegangenen Verbindungen gehört nun principieU zur
praktischen Nationalökonomie jede systematische Anwendung
der theoretischen Lehren auf die durch Gesetzgebung und Verwaltung
zu beeinflussenden Wirthschaftszustände. Hierbei ist auf den syste-
matischen Charakter dieser Anwendungen, der einen ähnlichen inneren
Zusammenhang derselben begründet wie ihn die Theorie hat, ein
entscheidender Werth zu legen. Denn an diesem Merkmal unter-
scheidet sich die praktische Nationalökonomie als Wissenschaft von
einer beliebigen Summe vereinzelter Anwendungen der Theorie auf
concrete Fragen. Die praktische hat hier zur theoretischen Volks-
wirthschaft genau dasselbe Verhältniss wie die technische Physik und
Chemie zu den entsprechenden theoretischen Gebieten. Es ist gerade
bei der Nationalökonomie die Frage aufgeworfen worden, ob solche
Anwendungen überhaupt als Wissenschaft zu bezeichnen seien oder
nicht'*'). Auf dieses Bedenken ist jedoch zu entgegnen, dass hier
wie überall die systematische Verbindung der Theile den Charakter
der Wissenschaft ausmacht. So wenig wir einzelne Anwendungen
theoretisch-mechanischer Sätze auf eine Maschine eine techniscbe
Mechanik nennen, gerade so wenig können einzelne Exemplifica-
tionen der wirthschaftlichen Theorie eine besondere Wissenschaft be-
gründen. Indem aber solche Anwendungen in eine systematische
Verbindung gebracht werden, bilden sie ein eigenthümhches, in der
Theorie noch keineswegs mitenthaltenes Wissenschaftsgebiet, das
ähnlich, wie es auch ausserhalb liegende theoretische Wissenschaften
thun, auf die Theorie aus der es entsprungen befruchtend zurück-
wirken kann. Das zeigt vor allem das Vorbild dieser praktischen
Disciplinen, die technische Mechanik. Wie in ihr die Anwendungen
der mechanischen Theoreme auf besondere Materialien und be-
*) Vgl. über diese Frage C. Menger, Conrads Jahrbuch, XIX, S.-A.
S. 20 ff.
\
Entwicklung des Rechts. 533
stimmte constructive oder maschinelle Zwecke der Untersuchung
ihre besonderen Richtungen anweisen, so geschieht das ähnliche
in der praktischen Yolkswirthschaft durch die stete Rücksicht-
nahme auf die Bedingungen von Staat und Gesellschaft, durch
die zugleich in diesem Fall die ganze Disciplin zu einem eben-
sowohl der Nationalökonomie wie der Staatswissenschaft zugehörigen
öebiet wird. Immerhin hat diese wie jede praktische Wissenschaft
einen halb wissenschaftlichen halb technischen Charakter, weshalb
man auch mit Recht unter Wissenschaften im engeren Sinne oder
miter reinen Wissenschaften nur die theoretischen, d. h. die dem
blossen Erkenntnissbedürfniss dienenden zu verstehen pflegt.
3. Die Rechtswissenschaft.
a. Die Entwicklung des Rechts.
Wie Sprache, Mythus und Sitte, so ist auch das Recht nicht
aus willkürlicher IJebereinkunft hervorgegangen, sondern ein natür-
liches Erzeugniss des Bewusstseins, das in den Gefühlen und Stre-
bungen, die durch das Zusammenleben der Menschen erweckt werden,
seine fortdauernde Quelle hat. Es fällt ursprünglich mit der Sitte
zusammen und ist innig geknüpft an religiöse Anschauungen, indess
die Sprache ihm die Symbole leiht, mit deren Hülfe seine Begriffe
sich ausbilden und befestigen können. Aber verschieden von jenen
ihm nahe verbundenen Aeusserungen des Geistes hat das Recht unter
dem Zwang der Bedürfnisse des geselligen Lebens frühe schon eigen-
thfinüiche, in höherem Grade von willkürlichen Eingriffen und ein-
zelnen geschichtlichen Vorgängen abhängige Wege der Entwicklung
emgeschlagen. Nachdem zuerst die unmittelbare Zurückführung auf
die Gebote der Götter die Normen des Rechts von andern, gleich-
gültigeren Bestandtheilen der Sitte gesondert hatte, folgte unter dem
zunehmenden Einfluss weltlicher Interessen jener ersten eine weitere
Scheidung, indem sich dem göttlichen ein weltliches Recht von
immer wachsender Ausdehnung gegenüberstellte*). Wie auf diese
*) Vgl. über diese Differenzining des Rechts bei den arischen Völkern
6. W. Leist, Gräco-italische Rechtsgeschichte» S. 175 ff. Bei den Semiten ist
die Scheidung zwischen sacralem und weltlichem Recht niemals vollständig
eingetreten. Bei primitiven GolturvOlkem aber weist einerseits die ursprüng-
liche Einheit von Häuptling und Priester (A. H. Post, Ethnologische Juris-
534 Logik der GesellscliaftswiBsenschaften.
Weise der Inhalt des Rechts von der Sitte sich sondert, so ge-
winnt dasselbe aber gleichzeitig, gegenüber den mit Sprache und
Mythus durch blosse Ueberlieferung sich forterbenden Gewohnheiteo
der Sitte, eigenthümliche Formen seiner Auffindung und An-
wendung. Auch sie entstammen ursprünglich dem sacralen Recht.
Wie bei diesem der Mund des Priesters die Gebote eines Gottes ver-
kündet und deutet, so bleibt fortan, auch nachdem das Recht welt-
lich geworden ist, die Feststellung der Rechtsnorm für jeden
einzelnen Fall nicht, wie bei der Sitte, dem insünctiyen Takt Aller
überlassen, sondern sie ist die persönliche und bewusste Hand-
lung eines Einzelnen oder einer dazu ausersehenen Gemeinschaft. So
wird mit dem Recht das Richteramt geboren. Jede Rechtsnorm
aber besteht ursprünglich nur in der von Fall zu Fall geschehenden
Feststellung dessen was Recht sei. Indem für diese Feststellungen
gleichförmige Regeln sich ausbilden, entspringt dann aus solchen
individuellen , durch das natürliche Gerechtigkeitsgefühl geleiteten
Bestimmungen das Gewohnheitsrecht, das nun den Charakter
einer allgemeingültigen Norm annimmt, der neue Rechtsent-
scheidungen folgen. Das Gewohnheitsrecht endlich erweckt das Be-
dürfniss einer ausdrücklichen, in einer bestimmten sprachlichen
und womöglich schriftlichen Form geschehenden Feststellung all-
gemeiner Rechtsregeln. So entsteht als letzte Stufe das Gesetzes-
recht, das aber noch fortan in gewohnheitsrechtlichen Normen
sowie nicht minder in jener individuellen Anpassung der Rechts-
normen an den einzelnen Fall, aus der das ursprüngliche Gewohn-
heitsrecht selbst entsprungen ist, seine Ergänzung findet.
Aus diesen drei Bestandtheilen, dem Gesetzesrecht, dem Ge-
wohnheitsrecht und den einzelnen Rechtsentscheidungen, setzt sich
daher von nun an das geltende Recht zusammen. Dabei kann je
nach der Entwicklungsstufe bald der eine bald der andere dieser
Bestandtheile übervnegen'*'). Im allgemeinen aber geht das Streben
prndenz, I, S. 440)j anderseits der wahrscheinlich überall als ursprüngliche
Processform vorkommende zauberpriesterliche Process (abend. 11, S. 454) anf
den gleichen religiösen Ursprung der Rechtsnormen hin, welcher wahrscheinlich
überall zugleich das früheste Mittel der Scheidung von Sitte und Recht ge-
wesen ist.
*) So war schon nach der Ansicht der Alten das Recht Spartas blosses
Gewohnheitsrecht, das Athens blosses Gesetzesrecht, das Roms beides zugleich.
(Leist, Gräco-italische Rechtsgeschichte, S. 602 ff. , Alt- arisches Jus civile, I,
S. 2.) Dabei sind freilich diese Ausdrücke nicht im absoluten, sondern ixa
Entwicklang des Recht«. 535
der Rechtsentwicklung dahin, das Gewohnheitsrecht yoUständig durch
das Gesetzesrecht zu verdrängen, und das letztere dadurch systema-
tisch zu regeh), dass dem Richter zugleich die allgemeinen Gesichts-
punkte vorgezeichnet sind, nach denen der einzelne Fall zu beur-
iheilen ist'*'). Für diese systematische Ausbildung des Rechts ist
dann überdies die Mithülfe der Wissenschaft unerlässlich.
Mit dem üebergang zum Gesetz verstärkt sich nun wesentlich
der unterschied des Rechts von andern, sonst ihm verwandten Geistes-
erzeugnissen. So frühe auch diese, allen voran Sprache und Mythus,
in bleibenden Denkmälern der Literatur und der Kunst bewahrt
worden sind, so hat dieser Vorgang doch die weitere Entwicklung
nur durch jene natürlichen, ohne jede Reflexion entstehenden Wechsel-
wirkungen beeinflussen können, in denen sich der individuelle Geist
überall mit dem geistigen Leben der Gemeinschaft beflndet. Da-
gegen gibt es keinen Vorgang, der auf die Weiterbildung der
Rechtsanschauungen selbst mit so unmittelbarer Gewalt eingewirkt
hätte wie der von planmässiger Willkür geleitete Üebergang des
Rechts in die Gesetzgebung. Und noch eigenthümlicher gestaltet
sich das Verhältniss zur Wissenschaft. Für sie sind Sprache,
Mythus und Sitte durchaus nur Gegenstände theoretischer Be-
trachtung; niemals kann diese auf die realen Vorgänge einen
nennenswerthen Einfluss gewinnen , oder wo ein solcher versucht
werden mag, da muss er selbst den Weg des Rechtes einschlagen,
wenn er eine Wirkung äussern will. Die Jurisprudenz dagegen ist
die in eminentem Sinne praktische Wissenschaft. Sie bringt die
gegebenen Rechtssatzungen in eine systematische Form, die den Um-
fang und die Richtigkeit ihrer Anwendungen sichert, während sie
gleichzeitig die künftigen Acte der Gesetzgebung vorbereitet.
Aus diesen eigenthümlichen Beziehungen, die zwischen Erkennt-
niss und Anwendung des Rechts bestehen, ergeben sich die Gesichts-
punkte für die Unterscheidung gewisser Stadien der Rechts-
entwicklung. Das erste dieser Stadien gehört der praktischen
relativen Sinne zu verstehen. Wedfr fehlte den Spartanern das Gesetz, noch
den Athenern das Gewohnheitsrecht gänzlich.
*) Dass das fßr jeden einzelnen Fall in zwingender Weise geschehen
könne, ist aber freilich bei der unendlichen, durch keine Regel ganz zu be-
herrschenden Mannigfaltigkeit der RechtsfäUe unmöglich, daher auch, wie
0. Bülow (Gesetz und Richteramt, 1885) treffend nachgewiesen hat, das
Richteramt noch jetzt Rechtsquelle ist und stets bleiben wird. .Nicht das
Gesetz, sondern Gesetz und Richteramt schafft dem Volke sein Recht!' (S. 48.)
536 Logik der Gesellschaffcswissenechaflen.
Bethätigung der Rechtsanschauungen an, wie sie in den sittlichen
Vorstellungen eines Volkes ihre unmittelbare Quelle hat. Das zweite
entspricht der Scheidung von Recht und Sitte in Folge der Auf-
stellung bestimmter Rechtssatzungen , in denen bereits das Streben
nach theoretischer Darstellung der Rechtsideen bemerkbar wird. Im
dritten endlich werden die Rechtssatzungen Gegenstand einer syste-
matischen wissenschaftlichen Untersuchung in Bezug auf die in ihnen
zum Ausdruck gelangenden Rechtsbegriffe. Das erste dieser Stadien
ist demnach das der natürlichen Rechtsanschauungen, im
zweiten vollzieht sich die Codification, im dritten die Syste-
matisirung des Rechtes.
£s ist bezeichnend für den stetigen Fluss der Rechtsentwick-
lung, dass diese drei Stadien nicht bloss auf einander gefolgt
sind, sondern dass sie, sobald das letzte erreicht ist, neben ein-
ander bestehen bleiben. Nachdem die Godification des Rechtes
längst alle Gebiete des privaten und öffentlichen Lebens ergriffen,
fliesst in dem Gewohnheitsrecht eine niemals ganz versiegende Quelle
ursprünglicher Rechtsanschauungen. Beiden tritt aber die wissen-
schaftliche Systembildung lenkend und beschränkend gegenüber. In-
dem sie das Recht auf bestimmte Principien zurückführt, deren An-
wendung unter speciellen Bedingungen eine logische Ai^fgabe ist,
die dem einzelnen Fall überlassen bleiben kann, legt sie der Gesetz-
gebung heilsame Schranken auf; denn sie verhütet die willkürliche
und zufällige Gasuistik, in welche diese verfällt, so lange sie allein
durch die praktische Erfahrung geleitet wird. Und damit gleich-
zeitig gelingt es dem wissenschaftlichen System, allmählich die Ge-
biete des blossen Gewohnheitsrechts, wenn nicht den positiven Rechts-
satzungen, so doch den allgemeinen Principien, aus denen dieselben
entsprungen sind, unterzuordnen. So liegt die praktische Bedeutung
der wissenschaftlichen Rechtsbildungen hauptsächlich in dieser Ver-
allgemeinerung der Rechtsideen, die immer zugleich, gegenüber den
schrankenlosen Gestaltungen des Gewohnheitsrechts und der Gesetze,
eine Vereinfachung ist.
Hat sich nun auch die Entwicklung durch jene drei Stadien
für die einzelnen Rechtsgebiete in verschiedener Zeit und bei ein-
zelnen Völkern in abweichender Weise vollzogen, so ist doch für die
Ausbildung der Wissenschaft vor allem die Entwicklung des
römischen Rechts massgebend geworden. Abgesehen von der be-
wundernswerthen Begabung für die klare praktische Auffassung der
Rechtsideen ist es hauptsächlich die, freilich wieder durch specifische
Entwicklung des Rechts. 537
Anlage und politische Verhältnisse bestimmte, individualistische
Entwicklung des römischen Rechts, die ihm seine universelle Be-
deutung gegeben hat. Das öffentliche Recht blieb bei den Römern
zu einem grossen Theil den Normen der Sitte überlassen, und, so-
weit es vorhanden war, entzog es sich durch seinen fragmentarischen
Charakter der systematischen Bearbeitung. So ist es gekommen,
dass noch heute nicht bloss das römische Recht den ausschliesslichen
Charakter des Privatrechts besitzt, sondern dass dieses die Rechts-
wissenschaft überhaupt in weitem Umfang beherrscht. Nichts ist
hierfür bezeichnender, als dass in einer nicht allzu fernen Vergangen-
heit in den Augen mancher praktischen Juristen gerade die wichtig-
sten Gebiete des öffentlichen Rechts, wie das Verfassungs- und Ver-
waltungsrecht, kaum zur eigentlichen Jurisprudenz gehörten. In der
Sache ist diese aus der historischen Entwicklung der Wissenschaft
begreifliche Vorstellung offenbar nicht begründet. Der Staat ist das
umfassendere Rechtsgebiet, das, je vielseitiger und schwieriger die
socialen Beziehungen der Individuen geworden sind, um so mächtiger
mit seinen Veranstaltungen auch in die Sphäre des Privatrechts ein-
greifen muss. Aber dass eine Rechtsbildung von dem universellen
Charakter; wie ihn das römische Recht annahm, nur in der indivi-
dualistischen Form geschehen konnte, wie sie allein innerhalb des
Privatrechtes durchführbar ist, begreift sich leicht. Verfassung und
Verwaltung der Staaten sind in so vielfacher Weise von historischen
Bedingungen abhängig, dass hier niemals auch nur annähernd die
nämlichen Verhältnisse wiederkehren. Das Individuum ändert sich
wenig, und die Triebe, von denen sein Leben in der Gesellschaft
beherrscht wird, das Streben Eigenthum zu erwerben, den Besitz zu
behaupten, für Verträge und andere freie Rechtshandlungen Sicher-
heit zu finden, diese Neigungen bleiben auch bei mannigfach wechseln-
den Culturverhältnissen unveränderlich. Hiermit hängt ein anderer,
namentlich für die wissenschaftliche Entwicklung wichtiger Einfluss
der individualistischen Beschaffenheit des römischen Rechtes zu-
sammen. Für die Ausbildung abstracter Rechtsbegriffe sind die
allgemein menschlichen Verhältnisse, die den Gegenstand des Privat-
rechts ausmachen, ungleich geeigneter als die theils mehr von con-
creten Bedingungen abhängigen, theils eine weit umfassendere histo-
rische Vergleichung erfordernden Thatsachen des öffentlichen Rechts.
Auch die Begriffe der Person, des Eigenthums, der Familie und die
mit diesen Begriffen zusammenhängenden Rechtsverhältnisse können
zwar mit den Gulturbedingungen in einem gewissen Grade wechseln.
538 Logik der GeseUschaftswissenschaften.
aber ihr allgemeiner Charakter bleibt immer der nämliche. Zugleich
stehen die einzelnen Rechtsgebiete mit dem Yerhältniss des Indivi-
duums zur Oesellschaft in so unmittelbarem Zusammenhang, die
Motiye bestimmter Rechtsordnungen entspringen in so zwingender
Weise aus den für das individuelle Interesse massgebenden Motiven,
dass sich die Ghrundzüge des positiven Rechts als nothwendige logisclie
Folgen der in den natürlichen Bedürfnissen des Menschen und in
der Existenz geordneter Yerkehrsverhaltnisse liegenden Bedingungen
ergeben. Auf dem Boden dieser individualistischen Rechtsauffassung
vollzieht sich daher am leichtesten der üebergang zu jener wissen-
schaftlichen Systematisirung der Rechtsbegriffe, die sich thatsächlich
im Anschlüsse an das römische Privatrecht ausgebildet hat
Ganz anders geschah die Entwicklung des Rechts bei den ger-
manischen Völkern'*'). Hier spielt von Anfang an der sociale Ver-
band eine grössere Rolle. Selbst über das Eigenthum steht nicht
dem Einzelnen, sondern der Familie das nächste Verf&gungsrecht
zu; die wichtigsten Rechtsinstitute lehnen sich an die historisch ge-
gebenen Gliederungen der Gesellschaft an. Pietät und Gemeinsinn
halten dem eigennützigen Interesse die Wage. Daher im deutschen
Recht auch für privatrechtliche Handlungen die Fülle poesievoller
Symbole, die im römischen bis auf wenige dürftige üeberreste ver-
schwunden sind. Denn Pietät und Gemeinsinn können selbst den
Verkehr des täglichen Lebens verklären; die Phantasie verschwindet
aber, wo die eigennützige Berechnung das Wort führt. Dagegen
entziehen sich freilich dort die concreten Gestaltungen der Rechts-
ordnung vielfach dem Versuch logischer Systembildung.
Dem Einflüsse , den innerhalb der nationalen Rechtsbildung
Gesetzgebung und Wissenschaft auf die natürliche Entwicklung der
Rechtsanschauungen gewinnen, entspricht durchaus die eigenthüm-
liche Form der Wechselbeziehungen; in welche die Rechtsbildungen
verschiedener Völker mit einander getreten sind. Alle jene Wir-
kungen, die in Sprache, Kunst und Literatur einzelne Gulturvölker
auf andere ausgeübt haben, lassen sich nicht entfernt der tiefgreifen-
den Wirkung des römischen Rechts auf das moderne Recht ver-
gleichen. Denn diese Wirkung hat sich nicht auf dem stetigen
Wege des natürlichen geistigen Verkehrs und durch den unmerk-
lichen Eintritt einzelner fremder Vorstellungen in das Rechtsbewusst-
sein der Völker vollzogen, sondern das römische Rechtssystem ist
*) Vgl. W. Arnold, Cultur und Rechtaleben. 1865, S. 225 ff.
Entwicklang des Rechts. 539
durch die Wissenschaft, durch den Einfiuss, welchen der das
fremde Recht wegen seiner klareren logischen Durchbildung bevor-
zugende Juristenstand ausübte, in die moderne Rechtsentwick-
lung eingetreten , und sobald es Aufnahme fand , hat es die ihm
gegenüberstehenden Rechtsbildungen zunächst beinahe völlig ver-
drängt, um dann erst in den allmählichen Umwandlungen die es
erfuhr den Bedingungen der fremden Gultur und Sitte sich anzu-
passen. Dieses Ereigniss, eines der wunderbarsten in der Geschichte
des Geistes, war nur durch den Einfluss möglich, den hier wie auf
keinem andern Gebiete Wissenschaft und willkürliche Satzung aus-
üben. Wie die systematische Anlage des römischen Rechts seine
totale Aufnahme begünstigte , so war es durch seinen abstracten
Charakter zu jener universellen Geltung befähigt, nach der die kosmo-
pohtischen Bestrebungen des mittelalterb'chen Kaiserthums und der
Kirche verlangten. Darum kam die Macht der Gesetzgebung dem
unter dem Einfluss der Wissenschaft entstandenen Rechtssystem zu
Hülfe. Aber gerade weil das fremde Recht nahezu als ein Ganzes
aufgenommen worden war, musste nun jene Assimilation, die bei
den stetig und allmählich wirkenden Cultureinflüssen anderer Art
von selbst den Process der Aufnahme zu begleiten pflegi, hier in
einer Jahrhunderte dauernden Entwicklung nachgeholt werden*).
In dieser Assimilation des fremden Rechts, die unbrauchbare Be-
8tandtheile ausscheidet, neue hinzuf>, andere umformt, um sie den
specifischen Bedürfnissen der modernen Gultur anzupassen, sind wir
noch heute begriffen. Wenn dieselbe vollendet ist, so wird wahr-
scheinlich das römische Recht als solches die herrschende Stellung,
die es gegenwärtig in der systematischen Jurisprudenz einnimmt,
verloren haben, um innerhalb des historischen Rechtsstudiums fortan
einen wichtigen Platz zu behaupten.
Der universelle Charakter, den das römische Recht theils durch
seine eigene ursprüngliche Anlage, theils durch die angedeuteten
geschichtlichen Bedingungen gewonnen , musste der Anschauung,
dass es überhaupt ein universelles, für alle Menschen und Völker
vermöge der ursprünglich gleichartigen Beschaffenheit der Menschen-
natur gleichartiges Recht gebe , fördernd entgegenkommen , wenn
auch diese Anschauung in dem Streben nach einer allgemeingültigen
philosophischen Erkenntniss der Rechtsideen ihre selbständige Quelle
*) R. Stintzing, Greschichte der deutschen Rechtswissenschaft, I, 1880,
S. 37 ff.
540 Logik der GesellschaftewiBsenschafben.
hat. Der Umstand, dass dem positiven Recht thatsächlich eine ge-
wisse üniformität zukam, liess den Gedanken an ideale Rechtsnormen
von ganz allgemeiner Anwendbarkeit mindestens als zulässig er-
scheinen, wie sehr sich derselbe auch vielfach in directem Wider-
streit gegen die Herrschaft des römischen Rechts Geltung verschafft;
hat. Und noch in anderer Beziehung hat die thatsächliche Rechts-
entwicklung derartigen philosophischen Anschauungen, wie sie dann
nicht selten auch auf Sprache, Mythus und Sitte übertragen wurden,
eine Stütze geliehen. Die Codification des Rechts beruht überall
auf willkürlicher Satzung, und in nicht wenigen Fällen hat diese
den Charakter eines Vertrags, durch den der Kampf widerstreiten-
der Interessen beigelegt wird. Schon das römische Zwölftafelgesetz
zeigt diesen Ursprung, der sich bei jedem Gesetzgebungsacte wieder-
holt, der nicht gerade aus dem Willen eines absoluten Machthabers
hervorgeht. So hat die Vertragstheorie, die bei der Erklärung
von Staat und Gesellschaft dereinst eine so grosse Rolle gespielt,
ihre Quelle in der wirklichen Rechtsentwicklung. Sie begeht nur
den grossen Fehler, dass sie die Codification des Rechtes mit der
Entstehung der ursprünglichen Rechtsnormen verwechselt; und eine
begreifliche Folge dieses Fehlers ist dann der andere, dass sie alles
positive Recht als eine Summe willkürlicher Institutionen ansieht,
die ebenso beliebig, wie sie entstanden sind, auch wieder beseitigt
und durch andere angemessenere ersetzt werden könnten.
Auf diese Weise verwickelte sich die so genannte natur-
rechtliche Theorie in den Widerspruch, dass sie ein natür-
liches Recht verlangte, und dass sie sich gleichwohl der Meinung
hingab, alles Recht sei künstlich entstanden, auch jenes natürliche
Recht könne daher durch die Kunst der Gesetzgebung in das Leben
eingeführt werden. Die Vertiefung in die wirklichen Rechtsquellen,
wie sie die seit dem Beginn dieses Jahrhunderts allmählich hervor-
tretende historische Richtung der Jurisprudenz angebahnt hat,
musste zu einer vollständigen Umkehrung dieser Anschauung führen.
Indem man hier auf die natürliche Entstehung des Rechtes hin-
wies, wurde der Gedanke eines universellen Rechtes der Menschheit
dem Reich jener philosophischen Träume überwiesen , in welches
schon längst die Idee einer Universalsprache entrückt war. Die
historische Schule hat dann freilich ihrerseits den Gedanken der
natürlichen Rechtsbildung einseitig angewandt, indem sie geneigt
war, die drei Stadien der natürlichen Rechtsentwicklung, der Codi-
fication und der Systematisirung als ein reines Nacheinander zu be-
Entwicklung des Rechts. 541
trachten*). So verfiel sie in den nämlichen Fehler wie die nalur-
rechtliche Lehre, dass sie die wirkliche Entwicklung nach einem
a priori construirten oder einseitig abstrahirten Schema beurtheilte.
Dazu kam, dass die historische Rechtsschule zwar für die geschicht-
liche Entwicklung des Rechts, nicht aber für die analoge Ent-
wicklimg des Staates ein Verständniss gewonnen hatte, sondern dass
sie fortan geneigt blieb, diesen als eine künstliche Bildung zu be-
trachten, der Sprache, Sitte und Recht als natürliche Bildungen
gegenübergestellt wurden. Durch das Zusammenwirken aller dieser
Bedingungen gewann die historische Doctrin theoretisch nicht weniger
wie die naturrechtliche den Charakter eines philosophischen Dogmas,
und praktisch unterstützte auch sie die dauernde Vorherrschaft des
römischen Rechts**).
Nun liegt es hier, wie überaU, im Charakter philosophischer
Dogmen, dass ihre Fehler nicht bloss einzelne Theile, sondern so-
fort das ganze Gebäude eines Systems unsicher machen. Speciell
die Rechtsphilosophie ist in dieser Beziehung noch ungünstiger ge-
stellt als die Philosophie der Geschichte. Während die meisten Yer-
irrungen der letzteren durch die Bemerkung zurückzuweisen waren,
dass die philosophische Betrachtung der Geschichte kein anderes
Object als die Geschichtswissenschaft selbst habe, dass sie sich also
nur auf die wirklich geschehenen Thatsachen, nicht auf die Zukunft
oder auf eine der Erfahrung unzugängliche Vergangenheit beziehen
könne, ist die Rechtsphilosophie in einer andern Lage, weil die
Rechtswissenschaft gleichzeitig eine historische und eine systema-
tische Seite hat, wobei diese nicht bloss die auf einer bestimmten
geschichtlichen Entwicklungsstufe gültigen Begri£fe fixirt, sondern
dieselben ausserdem gewissen Rechtsbegriffen von allgemeingültiger
Bedeutung unterzuordnen sucht. Dazu kommt die praktische
Richtung der Jurisprudenz, vermöge deren sie nicht nur das geltende
Recht systematisirt und analysirt, sondern auch, soweit es durch die
Entwicklung der Rechtsideen und durch neu eintretende Cultur-
bedingungen gefordert wird, umzugestalten strebt. Hierdurch kann
es dann aber leicht geschehen, dass, wo philosophische Anschauungen
mit der Erfahrung in Widerspruch gerathen, dieser Widerspruch sich
in eine Forderung umwandelt, die man einem Recht der Zukunft
*) Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissen-
schaft, 2. Aufl., S. 31 flf,
**) Vgl. K. Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, I, 1892,
S. 480 flf.
542 Logik der GesellschaftswiBsenflcbaften.
entgegenbringt. So erneuert sieb hier immer wieder das alte Plato-
niscbe Ideal von der Herrschaft der Philosophie. Dem g^enüber
ist, gemäss der Stellung die wir heute der Philosophie einraomen,
daran festzuhalten, dass zwar die Rechtswissenschaft, gerade so
gut wie jede andere Einzel Wissenschaft, eine philosophische
Untersuchung ihrer Principien und Methoden fordert, dass aber auch
hier diese Untersuchung eine ganz und gar theoretische bleibt, die
sich zugleich nirgends auf ein bloss mögliches Recht, sondern ledig-
lich auf den durch die Rechtswissenschaft bearbeiteten Inhalt des
thats'achlich gegebenen Rechts zu beziehen hat. Dass dieser Stand-
punkt die Kritik des gegebenen Rechts sowie die Untersuchung seines
Zusammenhangs mit Cultur und Sitte und mit den allgemeinen sitt-
lichen Normen nicht aus- sondern einschliesst, versteht sich von
selbst.
b. Der Begriff des Rechts und die Aufgaben der Rechtswissen-
schaft.
Das Recht im objectiven Sinne oder die Rechtsordnung ist
überall ein Erzeugniss der oben geschilderten Entwicklungen. Es
ist stets gegeben in der Form eines concreten positiven Rechts.
Es gibt daher ebenso wenig ein Recht in abstracto, wie es eine all-
gemein menschliche Sprache oder allgemein menschliche Sitte gibt
Allerdings aber zeigt das entwickelte Recht der Culturvölker nach
Form wie Inhalt weit grössere Uebereinstimmungen, als solche jenen
andern geistigen Erzeugnissen zukommen; es steht in dieser Hinsicht
zwischen den letzteren und den noch allgemeingültigeren sittlichen
und logischen Normen mitten inne. Diese Uebereinstimmung hat
hier wie dort einen doppelten Grund: theils ist sie eine noth wendige
Folge der gemeinsamen geschichtlichen Entwicklung, theils aber ent-
springt sie aus den allgemeingültigen sittlichen Anlagen des Menschen,
die in einem übereinstimmenden Rechtsgefühl und in übereinstim-
menden Vorstellungen über das was recht und gerecht sei ihren
Ausdruck finden. Ohne diese gleiche sittliche Anlage wäre schwer-
lich jene von dem römischen Recht ausgehende einheitliche Ent-
wicklung möglich gewesen — gerade so wenig wie die Ethik und
Logik der griechischen Philosophen ohne ein ähnliches gemeinsames
geistiges Band heute noch unter uns nachwirken könnten. Die^e
Gleichförmigkeit der Rechtsentwicklung macht daher auch erst, trotz
der niemals ganz aufzuhebenden Unterschiede der einzelnen positiven
Begriff des Rechte und Aufgaben der Recbtawisaenscbaft. 543
Rechtsordnungen, eine einheitliche Begriffsbestimmung des Rechts
und auf Grund derselben eine allgemeine Rechtswissenschaft möglich.
Hierbei hat sich nun die Begriffsbestimmung des Rechts
vor allem vor dem Fehler zu hüten ^ dass sie einzelne, entweder
nicht für alle wirklichen Rechtsformen gültige oder für das Recht als
solches nicht erschöpfende und vielleicht nicht einmal entscheidende
Merkmale herausgreife. Sie muss vielmehr den Inhalt des Begriffs
nach seinen wesentlichen und allgemeingültigen Eigen-
schaften zu bestimmen suchen. Als solche werden aber am sichersten
diejenigen anzusehen sein, die ihm, sobald nur erst die ursprüngliche
Trennung von der Sitte eingetreten ist, in allen seinen Entwicklungs-
formen zukommen. So betrachtet ist das Recht die Summe der
Befugnisse und Pflichten, die ein in einer Gemein-
schaft geltender übergeordneter Wille den einzelnen
Mitgliedern dieser Gemeinschaft und sich selber zu-
erkennt. Das Subject jenes übergeordneten Willens ändert sich
nun aber allmählich in der Vorstellung der Rechtsgenossen; und
gerade dieser scheinbare Wechsel ist es, der leicht über Ursprung
und Wesen des Rechts ein ungewisses Dunkel verbreitet. Zuerst ist
jenes Subject, wie wir oben gesehen haben, die Gottheit, dann
der weltliche Richter, der nebenbei Häuptling, König, eine
richterliche Versammlung sein kann. In Wahrheit sind aber alle
diese verschiedenen Formen nur wechselnde Verkleidungen des näm-
lichen Willenssubjectes, nämlich der Gemeinschaft selbst, deren
Gesanmitwille zuerst, gemäss den Gesetzen des mythologischen
Denkens, vergöttlicht, dann vermöge der natürlichen Unter-
ordnung unter führende Personen auf einzelne weltliche Richter
übertragen, und schliesslich unter der dauernden Vermittlung
dieser Personen in Vorschriften von unpersönlichem Cha-
rakter fizirt wird. Dass diese Vorschriften den Zwang zu
Hülfe nehmen können, nicht müssen; dass sie zum Theil, nicht durch-
gängig, einen ethischen Gehalt aufweisen; dass die Mitglieder der
Rechtsgemeinschaft zumeist, aber gleichfalls nicht durchgängig, sie
anerkennen — alles das sind nebensächliche Merkmale, schon
deshalb weil es nicht absolut constante Merkmale sind.
Jede Gemeinschaft, die durch eine hinreichende Uebereinstim-
mung der Vorstellungen, Strebungen und Interessen befähigt ist
einen Gesammtwillen zu erzeugen, kann sich nun auch zu einer
Kechtsgemeinschaft entwickeln. In diesem Sinne bilden nicht
^loss die Staaten Rechtsgemeinschaften, sondern Ansätze zu solchen
544 Logik der ^lesellschafts Wissenschaften.
sind schon in den Gemeinden und Corporationen gegeben; und in
Folge einer leicht begreiflichen Wechselwirkung wird die Rechts-
bildung innerhalb solcher engerer Verbände um so umfassender, je
loser das rechtliche Band ist, das die Glieder der Staatsgemeinschafk
zusammenhält. Darum hatten die mittelalterlichen Corporationen der
Zünfte und Gilden, die einem völlig in der äusseren Politik auf-
gehenden und überdies vielfach zerrütteten Staatswesen angehörten,
eine grosse Bedeutung auch als Rechtsgemeinschaften. Vor allem
aber machte sich dem Staate gegenüber die Kirche als eine selb-
ständige Rechtsgemeinschaft geltend, da sie sich neben der Pflege
des Gultus überall auch die Oberaufsicht über diejenigen weltlichen
Ordnungen zuschrieb, die zugleich das religiöse und sittliche Leben
berührten, so dass auf allen diesen Gebieten der Staat nur als das
Vollzugsorgan für das von der Kirche für sich in Anspruch ge-
nommene Richteramt galt. Aber je sicherer die staatliche Rechts-
ordnung sich ausbildet, je mehr zugleich jene Nachwirkungen des
religiösen Ursprungs aller Rechtsbildung verschwinden, um so mehr
setzt sich noth wendig die Anschauung, dass der einzige völlig
autonome Rechts wille der des Staates sei, als eine logische
und ethische Forderung durch. Als eine logische, weil es ein
innerer Widerspruch ist, dass die letzte Entscheidung über Than
und Lassen des Einzelnen oder der besonderen Verbände bei einer
Mehrheit übergeordneter Willen stehe, die möglicher und sogar
wahrscheinlicher Weise in vielen Fällen einander entg^engesetzt
sein können. Als eine ethische, weil der Kampf des Gewissens,
der dem Einzelnen nicht erspart werden kann, wo es sich um die
Wahl zwischen verschiedenen freien moralischen Pflichten handelt,
ihm nicht auch noch zwischen einander widerstreitenden äusseren
Autoritäten aufgebürdet werden darf. Kann es als letzte Rechts-
quelle nur einen Willen geben, so kann, nachdem der grosse Process
der Verweltlichung des Rechts endgültig eingetreten ist und selbst
im Sinne der ursprünglichen Auffassung des Christenthums vom
Wesen der Religion nothwendig eintreten musste, dieser eine Wille
nur der des Staates sein, weil der Staat die einzige reale Gesammt-
heit ist, die nach aussen eine der Autonomie der individuellen Per-
sönlichkeit analoge Autonomie, nur freilich als Gesammtheit eine
Autonomie höherer Stufe für sich in Anspruch nimmt. Wo irgend
ein sonstiger corporativer Wille als Rechtswille auftritt, da ist der-
selbe daher als ein vom Staate übertragener, und da ist in diesem
Sinne die betrefi^ende corporative Gemeinschaft als ein Rechtsorgan
Begriff des Rechts und Aufgaben der Rechtewissenschaft. 545
des Staates zu betrachten. Die religiösen Genossenschaften aber
haben, sobald einmal das Recht auf allen den Gebieten des socialen
Lebens, die eine Rechtsordnung fordern, weltlich geworden ist, an
und für sich überhaupt nicht mehr die Kraft einen rechtlichen
Gesammtwillen zu entwickeln, — oder, wo sie es dennoch thun, da
handelt es sich um üeberlebnisse vorübergegangener Rechtszustände^
die dem Wesen des heutigen Rechtsbegriffs widersprechen*). Auf
der andern Seite würde es freilich dem Princip der Entwicklung,
das die Vergangenheit des Rechts beherrscht, widerstreiten, wollte
man annehmen, dass auch für alle Zukunft der Einzelstaat das
oberste Rechtssubject bleiben werde. Scheint es doch, dass sich in den
Staatenverbindungen und in dem Völkerrecht umfassendere Rechts-
gemeinschaften allmählich vorbereiten, als deren ideales, freilich viel-
leicht nie ganz zu erreichendes Ziel sich eine allgemeine Rechts-
gemeinschafb der Völker betrachten lässt. Immerhin würde auch
dann die Forderung, dass es für eine gegebene Gemeinschaft nur
ein unbedingt autonomes Rechtssubject geben könne, vermöge der
einheitlichen Natur des Willens seine Geltung behaupten. Denn es
würde dann eben an die Stelle des heutigen Einzelstaats ein Mensch-
heitsstaat getreten sein, in welchem die einzelnen nationalen Staaten
nur noch relativ autonome Glieder bilden könnten, ähnlich etwa
wie heute die Glieder eines Bundesstaates.
Durch die oben gegebene Definition ist der Rechtsbegriff zu-
nächst nur formal gegenüber andern Begriffen abgegrenzt. Um
*) Mit dieser Forderung steht es vollkommen im Einklang, wenn R. Sohm
deine Darstellung des "Kirchenrechts mit dem Satze eröffnet: „Das Eirchenrecht
steht mit dem Wesen ^der Kirche im Widerspruch*. (Kirchenrecht, I, 1892,
S. 1.) Wenn Sohm diesen Satz aus der ursprünglichen Verfassung der christ-
lichen Gemeinden, in welcher die Zwecke des Stifters der christlichen Religion
jedenfaUs am reinsten zum Ausdruck kamen, ableitet, so ist es ofifenbar nur
eine Bestätigung dieser Auffassung, wenn die umgekehrt von der Natur des
staatlichen Rechtewillens ausgehende Betrachtung zu dem nämlichen Ergebnisse
kommt Natürlich soll damit die Thatsache, dass es gegenwärtig noch ein
Kirchenrecht gibt, nicht bestritten, sondern es soll nur behauptet werden, dass
dasselbe nicht bloss, wie Sohm erklärt, mit dem ursprünglichen Wesen und
der wahren Aufgabe der christlichen Kirche, sondern auch, dass es mit der
wahren Natur eines entwickelten Rechts im Widerspruch steht. Ist
das Eirchenrecht eine logische und ethische Abnormität, so ist es aber um so
mehr eine historisch begreifliche und sogar mit der allgemeinen Entwicklung
des Rechts übereinstimmende Erscheinung.
Wandt, Logik. H, 8. 8. Aufl. 35
i
546 Logik der GesellschaftfiwiBsenschaften.
die aus ihm sich ergebendeo allgemeinen Probleme übersehen zu
lassen, muss er weiterbin nach seinen wesenÜichsten Ijibalts-
merkmalen bestimmt werden. Solcher lassen sich wieder äussere
und innere unterscheiden, von denen sich jene unmittelbar an die
gegebene formale Definition anschliessend während diese geeignet
sind die psychologischen Motive zu beleuchten, auf denen die Ent-
stehung des Rechts selber beruht.
Als äussere Elemente setzt der Rechtsbegriff, wie aus jener
formalen Begriffsbestimmung unmittelbar hervorgeht, Willens-
verhältnisse voraus. Dem allgemeinen Subjegt der Rechts-
ordnung, das in dem übergeordneten Gesammtwillen besteht, sind
die einzelnen Rechtssubjecte gegenübergesteUt, über die jener
Gesammtwille seine Macht ausübt, und die, als Einzelpersonen,
Corporationen, Gemeinden, Vereine, in ihren Verhältnissen zu einander
und zu dem ihnen übergeordneten Rechts willen bewirken, dass die
Rechtsgemeinschaft ein organisch gegliedertes Ganzes ist, und
dass demgemäss auch das Recht selbst eine organische Structur zeigt.
Entspricht das Recht darin ganz und gar den allgemeinen geistigen
Erzeugnissen der Gemeinschaften, wie der Sprache, dem Mythus,
der Sitte, so verräth sich übrigens auch hier seine Eigenart darin,
dass dieses Ganze überall nach klarbewussten, d. h. aus vor-
sichtiger Zweckerwägung hervorgegangenen Motiven aufgebaut ist
und daher, verschieden von jenen mehr naturgesetzlich entstandenen
geistigen Schöpfungen, eine durchgehends logische Structur zeigt.
Doch ist auch diese Eigenschaft nicht sowohl eine ursprüngliche als
eine erworbene, die sich mit der Entfernung des Rechts von seinem
Ursprung und namentlich mit dem wachsenden Einfluss der Wissen-
schaft auf die Rechtssatzung und Rechtsprechung in steigendem
Masse einstellt.
In dem Verhältniss des allgemeinen Rechtswillens zu den ihm
untergeordneten individuellen und coUectiven Willenseinheiten kommt
nun eine Eigenschaft des Rechtes zum Vorschein, die für seinen
Inhalt in erster Linie bedeutsam ist: sie besteht in der engen Cor-
relation der Befugnisse und Pflichten, die jede Rechts-
ordnung enthält. Das Recht, wie es selbst den einzelnen Rechts-
subjecten gegenüber eine Macht ist, ertheilt auch diesen Subjecten
Machtbefugnisse, Rechte im subjectiven Sinne. Solche sub-
jective Rechte sind theils individueller theils collectiver Art, und
unter den Gemeinschaften, die neben den individuellen Rechtspersonen
subjective Rechte geltend machen, nimmt wieder das oberste Subject,
Begriff des Rechts and Aufgaben der Rechtawissenscbaft. 547
die Rechtsgemeinschafb selbst, die erste Stelle ein. Sie allein ist
Sechtssubject in doppeltem Sinne: erstens als Trägerin alles Rechts,
wo ihr die Einzelnen und die Sondergemeinschaften als Objecte
gegenüberstehen; imd zweitens als ein in zahlreichen Rechtsverhält-
nissen mit diesen letzteren in Wechselwirkung tretendes, ihnen ent-
weder Töllig coordinirtes oder doch nur vermöge besonderer aus der
Werthabstufung der einzelnen subjectiven Rechte sich ergebender
GrOnde übergeordnetes Rechtssubject.
Jedem subjectiven Rechte stehen aber anderseits Pflichten
gegenüber, die sich als zwingende logische und ethische Folgen aus
der Ausübung der Rechte ergeben. Sie zerfallen in zwei Gruppen:
erstens in diejenigen Pflichten, die durch die Ausübung der Rechte den
Nichtberechtigten, Einzelnen wie Gemeinschaften und darunter
insbesondere auch der Rechtsgemeinschaft selbst, auferlegt werden —
sie sind die logischen Folgen des subjectiven Rechts, die sich
aus der Erwägung der Mittel zu seiner Durchführung als nothwendig
ergeben; und zweitens in jene Pflichten, die dem Berechtigten
auferlegt werden, und um deren willen allein die Ausübung des
Rechts zugleich ein Interesse der Rechtsgemeinschaft selbst ist —
sie sind die ethischen Folgen des subjectiven Rechts. Eben weil
sie ethische Folgen sind, können sie aber in vielen Fällen dem
moralischen Gewissensantrieb der Verpflichteten überlassen werden,
namentlich da wo eine directe Schädigung der Rechte Anderer
daraus nicht hervorzugehen pflegt. Unter diesem Gesichtspunkte
scheiden sich daher die aus den subjectiven Rechten entspringenden
Pflichten in Zwangspflichten und in freie oder moralische
Pflichten. Zu den Zwangspflichten gehören die Pflichten der Nicht-
berechtigten und ein Theil der Pflichten der Berechtigten. Die freien
Pflichten werden durch den Rest dieser Pflichten der Berechtigten
gebildet. Die Grenze zwischen beiden letzteren Pflichtarten ist
keine ein für allemal festgelegte. Ob eine bisher freie Pflicht zur
Zwangspflicht gemacht werde, oder aber ob ein subjectives Recht,
dessen Ausübung nicht wohl anders als nach freier Pflicht möglich
ist, wie z. B. das private Eigenthumsrecht an bestimmten Sach-
gütem, sei es direct sei es in Bezug auf bestimmte Formen der
Erwerbsthätigkeit, zu beschränken sei, weil es einem übergeordneten
Interesse der Gesammtheit widerstreitet, oder weil die freie Aus-
übung unter veränderten sittlichen Anschauungen nicht mehr als
eine im allgemeinen pflichtmässige anzusehen ist, — die Entscheidung
dieser Fragen ist schliesslich von dem allgemeinen Rechtswillen ab-
548 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
hängig. Hierbei verfährt dieser nach der Maxime, dass alle üe
freien Pflichten, denen solche subjectire Rechte gegenüberstehen,
die zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Theilnahme an dem
allgemeinen Rechtswillen befähigen, also die öffentlichen Pflichten,
an und fQr sich jederzeit in Zwangspflichten umgewandelt werden
können, während dagegen bei denjenigen Pflichten, die sich aus-
schliesslich auf die persönlichen Lebensverhältnisse des Einzelnen
beziehen, ein zureichendes Gleichgewicht zwischen Recht und Pflicht
immer nur dadurch hergestellt werden kann, dass das Recht selbst
in die Grenzen eingeschränkt wird, wo es im aUgemeinen noch
eine ihm entsprechende freie Pflichterfüllung erwarten lässt, oder
wo es nicht die Quelle einer subjectiven Macht wird, die mit
dem Gesammtinteresse unverträglich ist. In allem dem bewährt es
sich, dass nicht bloss die Zwangspflichten, sondern dass auch
alle diejenigen moralischen Pflichten, denen überhaupt
subjective Rechte gegenüberstehen, zum Bestand der
Rechtsordnung gehören. Kein objectives Recht würde ohne
sie bestehen können. Dass sie freie Pflichten sind, vermindert;
nicht, sondern erhöht ihren Werth. Aber die Beschränktheit der
menschlichen Natur bringt es mit sich, dass auch der Umfang der
Rechte, denen solche freie Pflichten gegenüberstehen, nur ein be-
schränkter sein kann, und dass es ftlr jeden Menschen eine Grenze
gibt, über die hinaus ihm eine äquivalente Pflichtleistung unmögUch
wird. Darum ist, von den primitivsten Stufen beginnender Rechts-
entwicklung abgesehen, der Absolutismus eine unmoralische, und
der Anarchismus, wenn er, wie es von seinen theoretischen Ver-
tretern geschieht, als eine realisirbare Form friedlichen Zusammen-
lebens gedacht wird, eine psychologisch wie moralisch unmögliche
Ordnung*).
*) Beide bilden hierbei insofern Gegensätze, als der eine nur eine Person,
den absoluten Herrscher, der andere jede Person zum absoluten Rechtssubject
macht. Der Absolutismus hat übrigens selbst ein Gefühl davon, dass das dem
Einen zugestandene Recht durch keine menschliche Pflichtleistung gedeckt
werden kann, daher er, wenigstens conventionell , an der primitiven Lehre
von dem unmittelbaren göttlichen Ursprung des absoluten Rechts festzuhalten
pflegt. Der Anarchismus gesteht ausdrücklich ein, dass mit der Geltendmachung
schrankenloser Rechte fQr Jeden eine Rechtsordnung Überhaupt unverträglich
ist, und er fordert daher Ersatz derselben durch beliebige Conventionelle Rege-
lung der momentanen Bedürfnisse. Darin ist aber erstens vorausgesetzt, dass
der in einer Gesammtheit entstehende Rechtswille nichts sei als die Summe der
Einzelwillen, was psychologisch wie historisch nicht zutrifft; und zweitens, dass was
Begriff des Rechts und Aufgaben der Rechtswissenschaft. 549
Dem Recht steht das unrecht als seine unvermeidliche Kehr-
seite gegenüber. Wie es ein Recht nur unter willensfreien, aber
einem übergeordneten Willen unterworfenen Wesen geben kann, so
setzt auch das Unrecht diese beiden Bedingungen voraus, und zwar
die Willensfreiheit in der Form eines durch klar bewusste Motive
bestimmten Wollens, der Zurechnungsfähigkeit, Rechte und
Pflichten aber als gegeben in einer dem Einzelwillen seine Richtung
anweisenden positiven Rechtsordnung. Von diesen beiden Bedingungen
ist die zweite von Anfang an eine unerlässliche Rechtsgrundlage,
wenn auch das Mass der Rechte und Pflichten und namentlich das
Verhältniss zwischen beiden mannigfachem Wechsel unterworfen ist.
Die erste di^egen ist ganz und gar ein Erzeugniss der allmählichen
Durchdringung des Rechts mit humanen Motiven. Eine rohere Rechts-
anschauung nimmt überall die äussere That zum Mass des richter-
lichen ürtheils. Erst ein feineres Rechtsgefühl bringt die inneren
Motive mit in Rechnung: es verlangt so zunächst für die schweren
Formen des Unrechts, die gegen den Bestand der Rechtsordnung
selbst gerichtet sind, die Zurechnungsfähigkeit als eine zu dem ob-
jectiven Thatbestand hinzukommende subjective Bedingung. Viel
später erst vermag sich diese auch im Rechtsstreit der Einzelnen
und in den in ihm zum Austrag kommenden Schädigungen der
subjectiven Rechte Geltung zu verschaffen*). Dennoch muss sie
auch hier unvermeidlich sich Bahn brechen, sobald alles Un-
recht als eine Verletzung des allgemeinen Rechts-
willens betrachtet wird, so dass es mit Bezug auf dies letzte Sub-
der Ahsolutismus für Einen annimmt für Alle gelte, das heisst, dass alle Menschen
Götter seien. Die Bemerkung von R. Stammler (Die Theorie des Anarchis-
mos, 1894y S. 42), das Rechtssystem müsse dem Conventionalsystem des theoreti-
schen Anarchismus deshalb vorgezogen werden, weil das letztere auf die un-
mündigen und Unzurechnungsfähigen nicht anwendbar sei, beruht also, abge-
sehen davon, dass sie im Grunde an der Fiction der Naturrechtstbeorie von
einer Entstehung der socialen Ordnung durch willkürliche Uebereinkunft der
Einzelnen festhält, doch wohl auf einer allzu optimistischen Ansicht von den
mündigen und zurechnungsfähigen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft.
^ In der That ist die Controverse hierüber noch in der heutigen Juris-
prudenz nicht ganz geschlossen. Die Nothwendigkeit, beide Bedingungen, die
objective und die subjective, für jede Form des Unrechts festzuhalten, ist be-
sonders von A. Merkel (Kriminalistische Abhandlungen, I, 1867, S. 49) und
Bin ding (Die Normen und ihre Uebertretung. I, 2. Aufl., 1890, S. 237 ff.) gegen-
über den noch heute den Begriff eines «Unrechts ohne zurechenbare Schuld"
vertretenden Civilrechtslehrem betont worden.
550 Logik der GeseUschafUwissemchaiten.
ject des Unrechts yerschiedene Formen desselben überhaupt nicht
geben kann. Auch darin bildet das Unrecht nur die Kehrseite de^
Rechts, für das mehr und mehr in der heutigen Rechtswissenschaft
der Grundsatz zur Anerkennung gelangt: ^Es gibt an und f&r sich
nur öffentliche Rechte*. Das subjective Recht des Einzelnen ist
nur deshalb Recht, weil es von dem allgemeinen Rechtswillen ab
Recht anerkannt und geschützt wird**"). Eben deshalb ist nun aber
auch jede Verletzung eines Einzelrechts Verletzung des allgemeinen
Rechts wiUens, und nur insofern sie das letztere ist, kann sie die
Organe jenes Rechtswillens zur Sühne der begangenen Rechtsver-
letzung und, so weit es möglich ist, zur Wiederherstellung des ge-
schädigten Rechtsgutes in Anspruch nehmen.
Wie nun jedem Recht eine Pflicht oder eine Mehrheit von
Pflichten gegenübersteht, die sich zumeist auf mehrere Rechtssubjecte
vertheilt, so ist auch das Unrecht in einer doppelten Form möglich :
in der positiven der Rechts Verletzung und in der negativen der
Pflichtversäumniss, wobei aber freilich diese beiden Momente
eben wegen jenes engen Zusammenhangs von Recht und Pflicht in
der Regel verbunden sind*'*'), daher sich auch eine principielle Schei-
dung der Formen des Unrechts auf dieses Verhältniss nicht gründen
lässt. Denn obgleich selbstverständlich die schwereren Formen die-
jenigen sind, die von vornherein in Rechtsverletzungen bestehen, und
jene die leichteren , bei denen solche erst nachtnlglich aus einer
vorangegangenen Pflichtversäumniss entspringen, so spielt doch in
beiden Fällen das Mass der überhaupt eintretenden Störung der
Rechtsordnung eine so überwiegende Rolle, dass dagegen das Ver-
hältniss jener positiven und negativen Momente verschvrindet. Dies
und die Schwierigkeit, überhaupt feste Grenzbestimmungen für die
Arten und Grade des Unrechts zu finden, ist denn auch die Ursache,
weshalb die Rechtswissenschaft in der Regel ganz auf eine caasale
*) Vortrefflich ist dies an der Hand der Kritik der entgegengesetzten
Anschauung und ihrer verschiedenen Formalirungen von A. Merkel dargelegt
worden (Kriminalistische Abhandlungen, I, S. 1 ff.)« Vgl. auch desselben Vei^
fassers Elemente der allgemeinen Rechtslehre, in von HoltzendorfFs EncyUop&die
der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. , femer A. Thon, Rechtsnorm und subjectives
Recht, 1878, S. 108 ff., 6. Jellinek, System der subjectiTen öffentlichen Rechte,
1892, S. 89 ff., Bierling, Juristische Principienlehre, I, S. 169 ff., 0. Gierke,
Deutsches Privatrecht, I, 1895, S. 251 ff.
**) Vgl. Merkel, Kriminalistische Abhandlungen, I, S. 76 ff. und, theil-
weise gegen Merkels Auffassung Über die Bedeutung dieser Unterschiede,
Bin ding. Normen, 1, 2. Aufl., S. 252 ff.
Begriff des Rechts und Aufgaben der Rechtswissenschaft. 551
Eintheilung der Formen desselben verzichtet, indem sie sich damit
begnügt es nach den eintretenden Rechtsfolgen in das Civil-
delict und das Strafdelict zu scheiden, wobei als die Rechts-
folge des ersteren ausschliesslich die Wiederherstellung des einge-
tretenen Schadens, als die des zweiten neben ihr die Strafe des
Thäters betrachtet wird**"). Aber Wirkungen können niemals,
und am allerwenigsten bei den verwickelten Erscheinungen des
Rechtslebens, in der principiellen Untersuchung der Erscheinungen
die Ursachen ersetzen: sie weisen in diesem Fall offenbar auf einen
Unterschied hin, der in dem entwickelten Rechtsbewusstsein be-
gründet ist; sie sagen aber nicht, welches dieser Unterschied sei.
Wären Privatrecht und öffentliches Recht zwei grundsätzlich zu
scheidende Gebiete, so würde die Sache natürlich keine Schwierig-
keit machen: dann wäre das Privatdelict als Verletzung eines privaten
subjectiven Rechts, das Strafdelict als eine solche des öffentlichen
Rechts vollkommen zureichend definirt '*''*'). Aber wenn jedes Recht
seiner Natur nach öffentliches Recht und demnach auch jedes Un-
recht eine Verletzung des rechtlichen Gesammtwillens ist, so lässt
diese Hülfe im Stich, und der Unterschied kann nur noch in der
Bedeutung begründet sein, die der Rechtswille in verschiedenen
Fällen der Rechtsverletzung beilegt, und die allerdings in den Rechts-
folgen leicht erkennbar sich ausspricht. Diese Verschiedenheit der
Bedeutung muss sich aber ergeben, sobald man sich die Rechts-
anschauungen psychologisch zu vergegenwärtigen sucht, aus denen
jene Rechtsfolgen hervorgehen. Hier weist nun die des Privat-
delicts augenscheinlich darauf hin, dass das Rechtsbewusstsein die
hier vorliegende Form des Unrechts als eine solche auffasst, die
bloss einen einzelnen, im Hinblick auf den ganzen Zusammen-
hang zufälligen Bestandtheil der Rechtsordnung verletzt, so dass
mit der Beseitigung der Störung zugleich das begangene Unrecht
völlig gehoben erscheint. Bei dem öffentlichen Delict dagegen
wird der allgemeine Bestand der Rechtsordnung verneint, daher
*) Vgl. Bin ding, Normen, I, S. 260 ff., Thon, Rechtsnormen und sub-
jectives Recht, S. 120 ff.
**) So in der That durchgängig die ältere Jurisprudenz, wobei dann in
der Regel das Privatrecht als die Summe der subjectiven Vermögensrechte oder
auch mit Brinz bloss negativ als die Summe der Rechte definirt wird, die
«nichts als Rechte sind'', d. h. denen keine Pflichten (wobei selbstverständlich
T»ir die Zwangspflichten als solche anerkannt werden) gegenüberstehen. (Brinz,
Pandekten, 1. Aufl., I. S. 48.)
552 Logik der GesellBcbaftswissenscbaflen.
in diesem Fall eine eigentliche Aufhebung des begangenen Unrechts
unmöglich ist und statt ihrer nun das Rechtsbewusstsein einerseüß
eine Sühne verlangt, die zur Grösse der Störung in einem ange-
messenen Verhältnisse steht, anderseits aber eine Sicherung gegen
die in der Rechtsverletzung gelegene -Bedrohung der Rechtsordnung
fordert*). So ist die Nichterfüllung einer vertragsmässig einge-
gangenen Verbindlichkeit ein Privatdelict: der Schuldner negirt nicht
die allgemeine Verbindlichkeit zur Erfüllung eingegangener Zwangs-
pflichten, noch weniger die Rechtsordnung überhaupt. Ein Mord^
ein Diebstahl dagegen sind Handlungen, die, wenn auch gegen ein-
zelne Personen und gegen einzelnes Eigenthum gerichtet, doch durch
ihre Beschaffenheit die Rechtsordnung, die den Schutz des Lebens
und des Eigenthums anerkennt, verneinen. Die Frage jedoch, was
bloss als Verletzung eines Einzelrechts, und was als allgemeiner
Rechtsbruch anzusehen sei, ist nicht für jeden Fall unzweideutig zu
beantworten. Denn theils können sich Privatdelict und StrafdeUet
in dem Sinne combiniren, dass eine That nach ihrer einen Seite
nur als Verletzung eines Einzelrechts, nach ihrer andern aber als
ein aUgemeiner Rechtsbruch erscheint: dann ist natürlich auch die
Beurtheilung eine gemischte. Theils aber ist überhaupt die Schei-
dung dieser Gebiete in hohem Masse den Wandlungen der Rechts-
anschauungen im Laufe der Zeit unterworfen. Diese Wandlungen
sind durchgängig in dem Sinne eingetreten, dass sich der Begriff
des öffentlichen Delicts mehr und mehr erweitert und einstige
Formen des Privatdelicts in sich aufgenommen hat. Zwar fehU>
namentlich unter dem Einflüsse eines stark ausgebildeten Eigenthums-
schutzes, auch die umgekehrte Bewegung, die Zurückweisung ein-
stiger Straf vergehen in das Gebiet der blossen Privatdelicte , nicht
ganz; aber sie bildet doch gegenüber der vorherrschenden Tendenz
der Rechtsentwicklung nur eine untergeordnete Strömung. In pri-
mitiven Zuständen gilt überall die Verletzung von Leben und Eigen-
thum als eine Schädigung des Einzelnen oder der Sippe, nicht als
öffentliche Rechtsverletzung. Und auch der Begriff der letzteren
hat zuerst eine persönliche Richtung: in dem König, dem Häupt-
ling, dem Priester findet sich der ganze Stamm verletzt. Von diesen
Ersten der Gemeinschaft geht dann allmählich der Begriff des öffent-
lichen Unrechts auf andere hervorragende Glieder der Sippen, end-
*) Ueber den aus diesen Elementen sich zusammensetzenden Begriff der
Straf© vgl. Ethik, 2. Aufl., S. 535 ff.
Begriff des Rechts and Aufgaben der Rechtswissenschaft. 553
lieh auf alle freien Mannen und zum Theil auch auf die Frauen,
zuletzt auf die Nichtfreien und die Stammesfremden über. Der
Sclave wird in der Regel erst mit seiner Befreiimg zum wirklichen
Rechtssubject und damit zum Gegenstand des Rechtsschutzes.
Von den äusseren, in dem Yerhältniss des rechtlichen Ge-
sammtwillens zu den Einzelwillen begründeten Merkmalen des Rechts
unterschieden wir oben (S. 546) dessen innere Merkmale. Ihrer
lassen sich zwei unterscheiden: die Zweckmässigkeit der von
dem Elechts willen gesetzten Ordnung, und die Gerechtigkeit
dieser Ordnung*). •^"'^*''^' .;
In der Regel hat die Rechtstheorie ein einzelnes dieser Merk-
male bevorzugt, oder sie hat wohl auch das einzig wesentliche Merk-
mal des Rechts in der oben betrachteten äusseren Eigenschaft
des Rechts willens , in seiner Macht, gesehen. Stellte man dieses
äussere Merkmal in den Vordergrund, so verband sich damit natur-
gemäss ein Verzicht auf jede logische wie ethische Begründüng des
Rechtsbegriffs , also die principielle Verneinung allgemeingültiger
Rechtsnormen. Denn als die einzige Quelle dieser Normen wurde
ja das jeweils geltende positive, als solches allein mit den er-
forderlichen Machtmitteln ausgerüstete Recht betrachtet**). Bei
*) A. Merkel (Juristische Encyklopädie , 1885, S. 12 ff.) unterscheidet
als die wesentlichen Momente des ohjectiven Rechts Lehre und Macht und
gliedert die erstere wieder in die Momente des Zwecks und der Gerechtigkeit.
Diese Voranstellung des Begriffs der .Lehre' scheint mir jedoch nicht unbedenk-
lich. Zweckmässigkeit und Gerechtigkeit sind dem Rechtswillen unmittelbar
immanent: sie bilden schon Bestandtheile des Rechtsgefühls, bei dem es zu
einem lehrhaften Ausdruck dessen was Recht sei noch gar nicht gekommen ist.
Die Lehre ist also hier meines £rachtens ein Secundäres, wenn sie auch selbst-
verständlich der Zweckmässigkeit und Gerechtigkeit des Rechts nothwendig zu
ihrem Ausdruck verhelfen muss. Die ältere Theorie verlegte den Schwerpunkt
des Rechtsbegriffs, im Anschlüsse an die Platonische und Aristotelische Staats-
ehre, zumeist in die Gerechtigkeit. Der ethische Utilitarismus und die Natur-
rechtfltheorie stellten dann seit Hobbes und Locke die Zweckmässigkeit in
den Vordergrund, unter den neueren Schriftstellern hat vor allen Jhering
wieder die Zweckmässigkeit als das entscheidende Princip des Rechts betont.
(Der Zweck im Recht. 2 Bde., 1877—83.) Ueber die Nothwendigkeit der Ver-
einigang der beiden Begriffe vgl. auch L. Oppenheim, Grerechtigkeit und
Gesetz. 1895.
**) Der hauptsächlichste Vertreter dieser Anschauung ist, abgesehen von
der schon in der antiken Sophistik sich regenden verwandten Grundstimmung,
Thomas Hobbes, an den sich die neueren Vorkämpfer des reinen Autoritäts-
staats, ein deMaistre, Haller u. A., anschliessen. Von etwas abweichenden
554 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
dieser reinen Autoritätstheorie kann, wenn sie folgerichtig duitsh-
geführt wird, von einer Begründung der RechtsbegrifFe überhaupt
nicht die Rede sein. Dagegen theilen sich die Zweckmässigkeits-
und die Gerechtigkeitstheorie derart in die möglicher Weise an-
zunehmenden Motive der Rechtsbildung, dass die erstere diese Motive
psychologisch ganz und gar auf die intellectuelle, die zweite
vorwiegend oder mindestens theil weise auf die emotionale Seite
verlegt. Diesem psychologischen entspricht zugleich ein ethischer
unterschied. Die Zweckmässigkeitslehre nimmt in der Regel den
Nutzen und zwar im Sinne des wohlverstandenen Interesses der Ein-
zelnen zur Grundli^e ihrer Deductionen: dieses Interesse der Ein-
zelnen ist ihr sowohl ursprüngliches Motiv wie endgültiger Zweck
aller Rechtsbildung. Die Gerechtigkeitstheorie dagegen geht zurück
auf die in den ursprünglichen Sympathiegeffihlen begründeten Be-
dingungen des Zusammenlebens. Die Gerechtigkeit erscheint ihr als
die angemessene Ausgleichung zwischen dem eigenen Interesse und
der Sympathie mit dem Nebenmenschen. In den Rechtsnormen sieht
sie daher die Verwirklichung dieses ursprünglich ebenfalls in der
Form eines Gefühls vorhandenen Strebens nach gerechter Verthei-
lung der Lebensgüter und nach einer die Störungen dieses Strebens
ausgleichenden Ordnung*).
Aber das Recht ist ebensowohl eine logische wie eine ethi-
sche Ordnung. Findet die erste in der Zweckmässigkeit, so findet
die zweite in der Gerechtigkeit ihren Ausdruck. Und dazu kommt
als ein unerlässlicher äusserer Bestandtheil, der dem logischen wie
dem ethischen Princip erst zur Verwirklichung verhilft, die Macht,
durch die sich der allgemeine Rechtswille die Einzelwillen unter-
wirft und die Störungen ausgleicht, die aus dem Widerstand gegen
Grundlagen aus v ertheidigen das nämliche Princip v.Eirchmann, Grandbegriffe
des Rechts und der Moral, 2. Aufl., 1873, und Gumplowicz, Der Raaaenkampf,
1888, S. 218 ff. Freilich ist die Autoritätstheorie nirgends streng festgehalten
worden. Schon bei Hobbes hat sie wesentliche Bestandtheile der Zweck-
raässigkeitstheorie in sich aufgenommen.
*) Psychologisch am feinsten hat diese (allerdings von der alten Platonisch-
Aristotelischen Form sehr abweichende) moderne Gerechtigkeitstheorie der Be-
gründer des neueren ökonomischen Liberalismus, Adam Smith, dorchgefiihrt
(in seiner Theorj of moral sentiment, 1759). Wie nach seiner Anschauung
das wirthschaftliche Leben von dem Egoismus, so wird die Gerechtigkeit von
der Sympathie regiert Neuere Gestaltungen der Gerechtigkeitstheorie bei
Herbart u. A. unterscheiden sich von der Lehre Smiths zumeist nur in Neben-
dingen. Weiteres über die neueren Rechtstheorien vgl. Ethik, 2. Aufl., S. 565 ff.
Begriff des Rechts und Aufgaben der Rechtswissenschaft. 555
seine Autorität entstehen. Nur jene drei Begriffe zusammen er-
schöpfen also den Begriff des Rechts nach seinen wesentlichen inneren
wie äusseren Merkmalen. Zugleich bedarf aber der Inhalt dieser
Begriffe gegenüber der ihnen in den einseitigen Theorien zumeist
beigelegten Bedeutung einer Erweiterung und Berichtigung. So weit
sich nämlich auch diese Theorien in der Beantwortung der Frage
nach den letzten Motiven der Rechtsordnung von einander entfernen
— darin sind sie im allgemeinen einig, dass sie die Einzelnen,
die die Träger fest abgegrenzter subjectiver Rechte sind, zugleich
za Urhebern und Trägem des objectiven Rechts machen. In dieser
einseitig individualistischen Tendenz tragen alle diese Theorien
die Spuren ebensowohl der utilitarischen Ethik wie der von der
Naturrechtstheorie ins ungemessene erweiterten privatrechtUchen An-
schauungen an sich. So schreibt die Autoritätstheorie dem
Herrscher ein rein individuelles absolutes Recht zu, das er ent-
weder direct von Gott oder von allen Einzelnen in einem ursprüng-
lichen Unterwerfungsvertrag empfangen haben soll. Die Zweck-
mässigkeitstheorie macht das Interesse der Individuen zur
Grundlage des Rechts. Der Rechtswille ist ihr ein zur Aus-
gleichung des Streites der individuellen Interessen und zur Sicherung
Aller vor der Gefährdung dieser Interessen willkürlich geschaffenes
Werkzeug. Die Gerechtigkeitstheorie endlich betrachtet den
Grundsatz des ,,Suum cuique^ als die oberste Regel des Rechts, aus
der alle besonderen Rechtssatzungen abzuleiten seien. Dieses Suum
caiqne aber versteht sie wieder ausschliesslich im individuellen Sinne :
es ist ihr theils ein Grundsatz der ausgleichenden theils ein solcher
der vergeltenden Gerechtigkeit für die Einzelnen. Der aus-
gleichenden, indem Jeder so viel Rechte über die ihm durch Geburt
und Erwerb zufallenden Sachgüter und vertragsmässig zugesicherten
Leistungen beanspruchen darf, als mit den ähnlichen Rechten Anderer
vereinbar ist; der vergeltenden, indem Jeder der die Rechte Anderer
schädigt zur Sühne dieser Schädigung durch Ersatz und Strafe an-
gehalten wird. Alle diese Anschauungen machen endlich, so weit
sie überhaupt dem «Recht einen menschlichen Ursprung geben , die
Einzelnen zu Urhebern des Rechts; sie betrachten dieses als eine
willkürliche Schöpfung, die sich empfiehlt, weil sie zweckmässig
und gerecht ist, die aber doch an sich ebenso gut auch nicht sein
könnte.
Diese Annahme einer willkürlichen Einsetzung des Rechts
durch die Einzelnen ist nun aber geschichtlich ebenso falsch wie
556 Logik der Gesellscbaftswissenschaften.
psychologisch unmöglich — so unmöglich wie die Entstehung der
Sprache durch wiUkürliche Uebereinkunft. Der allgemeine Rechts-
wille ist nicht durch Vertrag entstanden, weil er allen Vertragen
vorausgehen muss. Er ist nicht durch die Willkür der Einzelnen
hervorgebracht, weil er ein natürliches Erzeugniss der Gemeinschaft
ist, auf das erst, wenn es ezistirt, der Einzelwille einen Einfluss
gewinnen kann. Ist das Recht, wie seine Entwicklungsgeschichk
lehrt, ein natürliches Differenzirungsproduct der Sitte, so muss eb
auch, wie diese selbst, in dem ursprünglichen Gesammtwillen be-
gründet sein, der freilich unmittelbar aus der übereinstimmenden
Willensrichtung der Einzelnen resultirt, der aber eben deshalb, weil
eine gemeinsame Willensrichtung von Anfang an da ist, nicht erst
durch Abstimmung oder Anerkennung gefunden und festgestellt zu
werden braucht. Mag die naive Anschauung hier, wie in allen andern
ähnlichen Fällen, den inneren Vorgang nach aussen verlegen, indem
sie ihn auf einen Gott oder einen ersten Gesetzgeber und Richter
zurückführt — in allen diesen Vorstellungen verkörpert sich nur
der eigene Gesammtwille, und die Vertrags- und Erfindungstheorien
sind, in diesem Lichte betrachtet, nichts anderes als späte Raüonali-
sirungsversuche der nämlichen mythologischen Denkweise.
Ist der Rechtswille nie als eine Schöpfung ursprünglich ver-
einzelter Individuen zu begreifen, und kann demnach das Recht als
Macht nur dadurch sich rechtfertigen, dass es, wenngleich nicht
ausserhalb, sondern in der Gemeinschaft entstanden, doch von An-
fang an über den Einzelnen steht, so gewinnen nun aber noth wendig
auch die beiden inneren Merkmale des Rechts, die Zweckmässig-
keit und die Gerechtigkeit, eine andere als jene individuelle Be-
deutimg, wie die Naturrechtstheorie und die das Recht wesentlich
unter dem Gesichtspunkt der subjectiven Einzelrechte betrachtende
Richtung der Jurisprudenz sie statuiren. Zweckmässigkeit wie Ge-
rechtigkeit sind nicht die ursprünglichen Ursachen, sondern die
Wirkungen des Rechts willens , — eben darum durchdringen sie
keineswegs von Anfang an alle Rechtsbildungen, sondern bilden
namentlich in ihren vollkommeneren Gestaltungen nur die späten
Blüthen einer langen Entwicklung. Ursache des Rechts ist zunächst
die Existenz eines realen Gesammtwillens und weiterhin einer Ge-
meinschaft, die in Folge übereinstimmender Anschauungen, Gefühle
und Triebe einen solchen Gesammtwillen erzeugen kann. Der Ge-
sammtwille aber hat von Anfang an eine autoritative Macht, welcher
der natürliche Gehorsam der Genossen gegenübersteht. Er will»
Begriff des Rechts und Aufgaben der Rechtswissenschaft. 557
wenn auch mannigfach irrend und durch die Verkörperung des
Recbtswillens in einzelnen Individuen Sonderinteressen dienstbar ge-
macht, was für die Gemeinschaft zweckmässig und gerecht ist.
In solchem Sinne genommen haben beide Begriffe eine doppelte
Richtung. Das Zweckmässige ist zunächst das für die Gesammtheit
Förderliche: hier ist der Einzelne lediglich Werkzeug des Ganzen,
seine eigenen Interessen kommen überhaupt nicht in Frage. Da-
neben bildet sich aber immer entschiedener ein Lebensgebiet aus,
das der Einzelne für sich hat, in dem er seine subjectiven Zwecke
verfolgt, die theilweise mit den ähnlichen Interessen Anderer sich
kreuzen. So treten die individuellen Zwecke mit den Gesammt-
zwecken in Wettstreit, und die wesentlichste Entwicklung des Rechts
nach der Seite der Zweckmässigkeit besteht daher darin, dass Rechts-
organisationen gebildet werden, die ein friedliches und wechselseitig
förderndes Zusammenbestehen collectiver und individueller
Zweckthätigkeit möglich machen. Diese Zweckmässigkeit des
Rechts ist aber nicht Ursprung sondern Product seiner Entwick-
lung. Aehnlich verhält es sich mit der Gerechtigkeit. Auch sie
schhesst von Anfang an zwei Bestandtheile ein. Der eine besteht
in der gerechten Abwägung der Pflichten gegen die Gemeinschaft
und der Rechte, die dem Einzelnen nach Massgabe dieser Pflichten
zugetheilt werden. Diese coUective Form der Gerechtigkeit, die mit
der grössten individuellen Ungleichheit der Rechte zusammenbestehen
kann, weil sie das subjective Recht des Einzelnen durchaus nicht an
dem Recht des Andern sondern nur an der zugleich auferlegten
Pflicht misst, überwiegt ganz und gar in den Anfängen der Rechts-
entwicklung; sie tritt aber auch später thatsächlich überall da in
den Vordergrund, wo das Geroeinschaftsinteresse starke Ansprüche
erhebt, hinter denen die individuellen Zwecke zurückstehen müssen.
Der Gerechtigkeitsbegriff des Platonischen Staats ist völlig von dieser
Art: er geht vielleicht um so energischer nach dieser Richtung, weil
der Philosoph in seiner eigenen Zeit diese , wie er meinte , wahre
Form der Gerechtigkeit nicht mehr vorfand. Denn in der That ist
es unvermeidlich , dass dieselbe allmählich mit einer zweiten , der
individuellen Form des Begriffs in Streit geräth. Sie besteht
darin, dass die Befugnisse wie Pflichten gleich unter die Einzelnen
getheilt werden. Da nun aber der Streit der Interessen, der überall
sich regt, wo der Eine dem Andern in der Erstrebung gleicher
Zwecke gegenübertritt, naturgemäss in allererster Linie ein Streit
um das subjective Recht, kaum gemals oder doch nur unter aus-
558 Logik der GesellschaftswiBsenBcbaften.
nahmsweisen Yerhältnisseii ein solcher um die Pflicht ist, so wird
in diesem Streit der Interessen das Recht mehr und mehr zu einem
Hülfsmittel, welches die Rechte der Einzelnen gerecht gegen ein-
ander ausgleicht ; und indem , mit yöUiger Vernachlässigung der
gegenüberstehenden Pflichten, nur das subjective Recht als beliebig
zu gebrauchendes Machtmittel des Einzelnen angesehen wird, gilt
nun Yon diesem individuellen Standpunkte aus das .gleiche Recht
für Alle* als die wahre Maxime der Gerechtigkeit. Ist das Recht
weder eine willkürliche Schöpfung der Einzelnen noch auch aus-
schliesslich um der Einzelnen willen da, so muss aber nothwendig
in den Begriff der Gerechtigkeit jedes dieser Elemente aufgenommen,
und beide müssen in der Rechtsordnung in dem Sinne mit einander
in Uebereinstimmung gebracht werden, dass im allgemeinen das Recht
der Gesammtheit, weil diese das Subject des RechtswiUens selbst
und zugleich Urheberin aller Einzelrechte ist, dem subjectiven Recht
der Einzelnen vorgeht, dass dagegen die Ausgleichung zwischen den
auf Grund subjectiver Einzelrechte erhobenen Ansprüchen, so weit
nicht jenes Gemeinschaftsinteresse in Frage kommt, unter der Vor-
aussetzung der Rechtsgleichheit der Einzelnen zu ordnen isi Auf
diese Weise nimmt der Grundsatz des ,Suum cuique'' eine doppelte
Bedeutung an. Er sagt erstens: „ Jedem das Seine nach dem Mass
seiner Pflichten!* Und er sagt zweitens: „Jedem das Seine nach
dem Mass der gleichen Rechte Anderer!* Dass diese beiden Grund-
sätze niemals vollkommen zusammentreffen können, und dass daher
die Rechtsordnung zwischen den aus beiden sich ergebenden Forde-
rungen überall den richtigen Ausgleich zu finden bemüht sein muss,
ist eine nothwendige Folge menschlicher UnvoUkommenheit. Ab-
solute Gleichheit der Rechte würde nur zu verwirklichen sein in
einer Gemeinschaft, in der Jeder im Stande wäre auch das gleiche
Mass der Pflicht auf sich zu nehmen. Darum kann thatsächlich die
Forderung der Rechtsgleichheit imter den wirklichen Bedingungen
des menschlichen Lebens immer nur die Bedeutung eines gleichen
Rechtsschutzes für Alle haben. Aber dabei gilt oft noch allzu
sehr dieser gleiche Rechtsschutz an und für sich als der Zweck des
Rechts. Das würde nur dann einen Sinn haben, wenn das Recht
eine von den Einzelnen ausschliesslich zur Verfolgung ihrer sub-
jectiven Interessen eingesetzte Institution wäre. Wie liesse sich
jedoch auf Grund einer solchen Auffassung die Macht begründen,
die das Recht thatsächlich über Leben und Eigenthum ausübt?
Diese Macht ist nur dadurch möglich, dass es nicht bloss Rechte
Begriff des Rechts und Aufgaben der Rechtswissenschaft. 559
schützt sondern auch Pflichten auferlegt, und dass es daher die von
ihm geübte Gerechtigkeit vor allem im Sinne der richtigen Ab*
wägung des Verhältnisses der Rechte zu den Pflichten versteht,
gleichgültig ob diese Pflichten Zwangspflichten sind, oder ob sie, wie
gerade die werthvolleren , im Interesse der zu erreichenden Zwecke
selbst der freien Pflichtleistung überlassen bleiben. Unter allen um-
ständen kann eine solche Macht nicht der Einzelne über den Ein-
zehen und nicht die Majorität über die Minorität, sondern nur ein
seinem ursprünglichen Wesen nach übergeordneter Wille, wie ein
solcher der Gesammtwille ist, über einen untergeordneten Willen
ausüben*).
Es ist die Aufgabe der Rechtswissenschaft, die Begriffe
der Zweckmässigkeit und der Gerechtigkeit in den doppelten Be-
deutungen, in denen sie in der Rechtsordnung zur thatsächlichen
Anwendung kommen, innerhalb der verschiedenen Rechtsinstitutionen
in ihrem wechselseitigen Verhältnisse und in ihren durch die socialen
Zustände gegebenen Bedingungen zu verfolgen. Diese Aufgabe ist
in ihrer Durchführung wieder eine doppelte: eine theoretische und
eine praktische. Die theoretische Aufgabe besteht in der an der
Hand jener Begriffe der Zweckmässigkeit und Gerechtigkeit und auf
Grund der gegebenen socialen Organisationsbedingungen ausgeführten
systematischen Interpretation der positiven Rechtsordnungen. Als
praktische Aufgabe schliesst sich daran die Anwendung der in
diesen Ordnungen gegebenen Rechtssätze auf die einzelnen Erschei-
nungen des wirklichen Rechtslebens. Wegen des üebereinander-
greifens verschiedener Rechtssätze schliesst diese Anwendung selbst
wieder ein theoretisches Problem ein: das der angemessenen Sub-
sumtion unter die für den concreten Fall geltenden Rechts-
sätze, — eine Durchdringung von Theorie und Praxis, die zwar
auch in andern Gebieten nicht fehlt, in der Rechtswissenschaft aber
wegen der Schvrierigkeiten, denen jene Subsumtion nicht selten be-
gegnet, besonders augenfällig hervortritt.
Die systematische Interpretation der positiven Rechts-
ordnungen, welche demnach die Grundlage für alle weiteren theo-
retischen wie praktischen Methoden der Jurisprudenz bildet, ist nun
theils ein logisches theils ein psychologisches Geschäft, und sie
setzt überdies die sorgfältige Beachtung sowohl der ethischen wie
*) Vgl. hierzu Ethik, 2. Aufl., S. 447 ff., 565 ff.
560 Logik der Gesellflchafts Wissenschaften.
der thatsächlicheii historischen und socialen Bedingungen der in
Frage stehenden Rechtsordnung voraus. Der Jurisprudenz der Ver-
gangenheit wird man, bei aller Anerkennung ihrer Verdienste um
die Systematisirung und die logische Interpretation des Rechts, den
Vorwurf nicht ganz ersparen können, dass sie, unter dem vor-
waltenden Einfluss des Privatreclits und der Ideen der Naturrechts-
theorie, über der logischen die übrigen Aufgaben einigermassen
verabsäumt hat. Es ist dadurch ein einseitig dialektischer und
formalistischer Betrieb der Jurisprudenz entstanden, bei dem nicbt
nur die psychologische Würdigung der Motive der Rechtshandlungen
und die ethische der Zwecke zu kurz kamen, sondern der auch der
zureichenden Vertiefung in die realen Bedingungen des gesellschafir
liehen Lebens nicht selten entbehrte. Der nämliche Apparat formaler
Begriffe und logischer Deductionen sollte geeignet sein, ebensowohl
in dem Streit der Parteien über Vermögensbefugnisse wie über die
aus einem verwickelten Gewebe psychologischer Beweggründe ent-
springenden Verletzungen der Rechtsordnung wie endlich über die
mannigfaltigsten Fragen wirthschaftlicher und politischer Art, die sich
in den verschiedensten Gebieten der Verwaltung und Gesetzgebung
erheben, zu entscheiden. Da die einzige Rettung vor der Fülle der
so von den einzelnen Lebensgebieten aus an den Juristen erhobenen
Anforderungen die Zurückziehung auf die von dem Inhalt der Probleme
möglichst abstrahirende formale Seite derselben war, so konnte die
Steigerung der Forderungen, die vor allem die modernen socialen
Verhältnisse mit sich führten, zunächst nur dahin wirken diesen ein-
seitig logisch-formalistischen Geist der Jurisprudenz zu verschärfen.
Aber wenn nicht alle Anzeichen trügen, so hat für diesen Zustand
die Stunde geschlagen. Wenn sie erst wirklich gekommen ist, dann
dürfte es sich ereignen, dass die Rechtswissenschaft nicht mehr,
wie es heute noch namentlich bei denen geschieht, die sich ihr
zuwenden wollen, als die leichteste, sondern dass sie als eine der
schwersten Wissenschaften gilt, weil sie in Wahrheit vielleicht die
umfassendsten realen Kenntnisse voraussetzt.
Der Lösung dieser Aufgaben tritt nun die Rechtswissenschaft
zunächst vermittelst einer systematischen Gliederung der ein-
zelnen Rechtsgebiete näher. Dieses System gründet sich gegen-
wärtig noch auf zwei Haupteintheilungsgründe: auf eine Eintheilang
nach den Rechtssubjecten, — hieraus entspringt vor allem die
Eintheilung in Privatrecht und öffentliches Recht; und auf eine Ein-
theilung nach den einzelnen socialen Erscheinungsgebieten, denen
CivilisÜBche und publicistische Methode. 561
bestimmte Rechtsinstitutionen entsprechen, also nach den Rechts-
objecten. Nach diesen letzteren unterscheidet man Vermögens-
recht, Familienrecht, Corporationsrecht, Handelsrecht, Gewerberecht,
Verkehrsrecht, Strafrecht, Processrecht, V erwaltungsrecht , Staats-
recht, Völkerrecht u. a. Es ist wohl vorauszusehen, dass das zweite
Eintheilungsprincip das erste allmählich y erdrängen wird, da es
absolut in sich abgeschlossene Privatrechte, solche die das öffent-
liche Recht nicht berühren, überhaupt nicht gibt und vermöge der
öffentlichen Natur alles Rechts nicht geben kann. So ist insbeson-
dere auch der Civilprocess gleichzeitig eine Institution des öffent-
lichen Rechts und eine unerlässliche Bedingung für die Durchsetzung
privatrechtlicher Ansprüche. Nur jene Gliederung der gesammten
Rechtsordnung nach den einzelnen Objecten seiner Anwendung ver-
mag aber auch den fortwährend sich verändernden Anfordenmgen
gerecht zu werden, die das Leben an die Wissenschaft stellt, imd
in Folge deren zu den vorhandenen Rechtsgebieten fortan neue hin-
zutreten können.
Wenn gleich die Scheidung in Privatrecht und öffentliches
Recht der Erkenntniss, dass alles Recht seiner eigensten Natur nach
öffentliches Recht ist, auf die Dauer nicht standhalten kann, so wird
jedoch die Thatsache, dass das Recht auf allen Gebieten berufen
ist, das Gesammtinteresse mit den Interessen der Einzelnen
in üebereinstimmung zu bringen, bestehen bleiben. Den zwei
Interessen, die sich hier bei der Prüfung der Zweckmässigkeit
wie der Gerechtigkeit der Rechtsbestimmungen durchkreuzen, ent-
sprechen nun die zwei Hauptmethoden der juristischen Unter-
suchung: die civilistische und die publicistische. An sie
schliessen sich endlich die eigenthümlichen Anwendungen an, welche
die zwei wichtigsten Ghrundformen des systematischen Denkens, die
Definition und die Deduction, im Gebiet der Rechtsbegriffe ge-
fanden haben.
c Die civilistische und die publicistische Methode.
Die civilistische Methode hat, wie ihr Name andeutet, ihren
Ursprung im Civilrecht. Ihr Wesen besteht darin, dass sie nur
die civikechtlichen Verhältnisse bei der Untersuchung der Rechts-
ordnungen in Rücksicht zieht, und dass sie daher, wo sie überhaupt
auf öffentlich rechtliche Verhältnisse eingeht, die bei diesen sich
ergebenden Probleme entweder mittelst einfacher TJebertragung der
Wandt, Logik. U, S. S. Aufl. 86
562 Logik der GesellBchaftswissenschaften.
civilrechtlichen Begriffe auf sie oder mindestens nach einer der
civilrechtlichen Betrachtung analogen Methode zu lösen sucht.
Indem nun die wesentliche Aufgabe des Civilrechts nur in der
Ordnung der Rechtsverhältnisse der Einzelnen besteht, während
die diesen Rechten gegenüberstehenden Pflichten, weil sie theils
öffentlich rechtlicher theils moralischer Natur sind, ausser Betracht
bleiben, so kennt die civilrechtliche Methode nur subjectiye Rechte.
Beschränkungen dieser Rechte aber nur insoweit, als dem Recht des
Einzelnen gleich berechtigte Ansprüche Anderer oder gewisse in der
positiven Rechtsordnung gegebene Schranken gegenüberstehen. Hier-
bei bringt es dann die der civilrechtlichen Methode eigene ein-
seitige Berücksichtigung der subjectiven Rechte mit sich, dass sich
derselben leicht zugleich die Tendenz bemächtigt, jene Schranken
der Rechtsordnung überhaupt nur da als logisch begründet anzu-
sehen, wo sie auf der Geltendmachung der subjectiven Rechte
Anderer beruhen. Ihre geschichtliche Quelle hat diese Auffassung
in dem mächtigen individuellen Freiheitsbewusstsein, das dem römi-
schen Volksgeiste eigen war, und das dem römischen Recht, mit
seiner schrankenlosen Durchführung der vermögensrechtlichen Be-
fugnisse und der väterlichen Gewalt sowie mit seiner freilich auf die
Dauer nicht durchführbaren Auffassung des Richteramtes im Civil-
process als eines die Anrufung durch beide Parteien voraussetzen-
den Schiedsrichterthums, sein eigenthümliches Gepräge verlieh. Ihre
Festigung empfing aber diese Auffassung durch die Naturrechts-
theorie, die, vielfach unter Missachtung der im römischen Recht
vorhandenen Correcturen dieses streng individualistischen Rechts-
gedankens, denselben als die logisch consequente und in der Wirk-
lichkeit zu erstrebende Folgerung aus dem Begriff einer natur-
gemässen Rechtsordnung betrachtete. So gewann die civilistische
Methode nicht nur einen ähnlichen abstracten Charakter vne die
Methode der abstracten Wirthschaftstheorie, sondern es waren auch
die Voraussetzungen dieser Methoden im wesentlichen von überein-
stimmender Art, indem beide ausschliesslich das individuelle In-
teresse zur Grundlage ihrer Deductionen machten'*'). Nur findet
*) Sehr augenfällig tritt diese Verwandtschaft in v. Jherings , Zweck
im Recht" hervor. (2 Bde., 1877—83.) Obwohl Jhering, wie dies namentlich
auch sein Hauptwerk, der , Geist des römischen Rechts* , zeigt, keinerwegs ein
einseitiger Vertreter der civilistischen Methode ist, so hat er doch in den vor-
liegenden Bänden des , Zwecks im Recht*' (das Werk ist leider nicht au Ende
gediehen) möglichst strenge den Versuch einer Ableitung der wichtigsten socialen
CivilisÜBche und publicistische Methode. 563
bei der juristischen Methode in Folge einer nothwendigen Rück-
wirkung ihres Gegenstandes neben der von dem individuellen Interesse
getragenen Zweckmässigkeit auch die Gerechtigkeit ihre Stelle,
indem jene richtige Vertheilung der Güter, welche die Wirthschafts-
theorie als Ergebniss der Selbstregulirung der einzelnen indivi-
duellen Interessen eintreten lässt, hier schon als die Aufgabe der
positiven Rechtsordnung betrachtet wird. Aber die Begriffe der
Zweckmässigkeit wie der Gerechtigkeit finden dabei nur in jenem
einseitig subjectiven Sinne Verwendung, in welchem die erstere
mit dem individuellen Interesse zusammenfällt, die zweite ausschliess-
lich in der gleichen Berechtigung der subjectiven Ansprüche der
Einzelnen besteht. Dem Erwerb subjectiver Vermögens- und Ver-
tragsrechte sind dabei, soweit er sich innerhalb der bestehenden
Rechtsordnung bewegt, keine Schranken gesetzt; und die Rechts-
ordnung selbst ist im Interesse der möglichst freien Gestaltung der
Einzelrechte geneigt, jene Schranken so weit wie möglich zu ziehen
nnd so auch für das Gebiet des Rechts der Verwirklichung des
Princips der Selbstregulirung der individuellen Interessen thunlichst
nahe zu kommen. Ganz freilich vermag das keine Rechtsordnung.
Auch das römische Recht hat dies keineswegs gethan. Aber der
civilistischen Methode an sich sind doch Beschränkungen fremd.
Wo sie existieren, da rühren sie von publicistischen Gesichts-
punkten her. Jene kennt die Gerechtigkeit nur in dem subjectiven
Sinne, in welchem ihre strengste formelle Durchführung mit der
grössten materiellen Rechtsungleichheit zusammenbestehen kann. Denn
neben den aus der Existenz und der Collision der subjectiven Rechte
sich ergebenden logischen Folgerungen kennt jene Methode an sich
keine beschränkenden Bedingungen.
Die publicistische Methode bedient sich da, wo sie rein
zur Anwendung kommt, gerade derjenigen Seiten des Zweckmässig-
keits- und des Gerechtigkeitsbegriffs, die bei der civilistischen ausser
Betracht bleiben. Als Zweck einer Rechtsordnung gilt ihr das
Gesammtinteresse ; gerecht ist ihr diejenige Vertheilung der Rechte,
die den zu leistenden Pflichten entspricht, insbesondere also diejenige,
Verkehnformen auf Grundlage des nämlichen Princips der subjectiven Zweck-
mässigkeit gemacht, welches auch in der civilistischen Methode massgebend ist.
Hierbei ist es nun augenfällig, dass Jhering in durchaus selbständiger^ Weise
dazu kommt, das Prihcip der .Selbstregulirung der egoistischen Interessen"
den wirthschaftlichen Erscheinungen ebenso wie den Rechtsformen zu Grunde
«1 legen.
564 Logik der Gresellschaftswissenschaften.
bei der die jedem Einzelrecht entsprechende Pflichterfüllung mög-
lichst vollkommen gesichert ist. Das subjective Elecht kommt darum
hier nicht als ein für sich bestehender Begriff, sondern nur in
seinem Zusammenhang mit' der ihm gegenüberstehenden Pflicht
zum Ausdruck, und bei der Erwägung dieses Gleichgewichts zwi-
schen Rechten und Pflichten sind ebensowohl die im Gtesammt-
interesse zu fordernden Zwangspflichten wie die imter den gegebe-
nen socialen Culturbedingungen durchschnittlich vorauszusetzenden
freien Pflichtleistungen in Betracht zu ziehen. Die Begründung der
Rechtsinstitutionen und die Entscheidung der einzelnen Rechtsfalle
ist daher bei der publicistischen Methode nie eine bloss logische
Thätigkeiit, sondern sie steht zunächst unter ethischen Voraus-
setzungen, wie denn der Begriff des Gemeinschaftsinteresses und
der von ihm abhängigen subjectiven Pflicht selbst schon eihische
Begriffe sind.
Die Anwendung der publicistischen Methode ist natürlich vor
allem in den Rechtsgebieten gefordert, in denen von vornherein das
Einzelinteresse nur eine secundäre, das Gesammtinteresse die ent-
scheidende Bedeutung hat, wie Verfassung, Verwaltung, Polizei,
Strafrechtspflege. Von da aus greift sie aber auch in die privat-
rechtlichen Verhältnisse ein, indem sie hier den Ergebnissen der
civilistischen Logik dadurch regulirend und berichtigend gegenüber-
tritt, dass sie ethische und politische Forderungen einführt, die
theils schon in die Voraussetzungen aufzunehmen theils bei den Er*
gebnissen zu berücksichtigen sind. Da nun das Privatrecht seine
logische Ausbildung empfangen hat, lange bevor an eine wissen-
schaftliche Behandlung des öffentlichen Rechts gedacht wurde, so ist
in Wirklichkeit die publicistische Methode nicht, wie es logisch
nothwendig scheint, ursprünglich von jenen Gebieten des öffentlichen
Rechts ausgegangen, sondern ihre Anfönge sind umgekehrt inner-
halb des Privatrechts entstanden, wo sie sich eben in jener Form
regulirender und berichtigender Maximen gegenüber dem streng
logischen Verfahren der civilistischen Methode geltend machten.
Gerade die Römer haben die Logik der civilistischen Methode bereits
in bewundemswerther Weise durch derartige Maximen zu mildem
gewusst. Wenn das römische Recht die Grundsätze festhält, dass
Niemand über seine Kraft verpflichtet werden könne, dass Freiheiten
stets im weitesten, eingegangene Verpflichtungen im engsten Sinn
zu verstehen seien; dass das Gute in Jedem als selbstverständlich,
das Schlechte aber niemals vorauszusetzen sei, sondern bewiesen
Civilistische und publicisÜBche Methode. 565
werden müsse; wenn es der «bona fides*, dem ehrlichen Glauben
und der muthmasslichen Absicht, in Verkehrs- und Besitzfragen
eine weitgehende Berücksichtigung gegenüber dem «strictum jus'
einräumt: so sind dies und ähnliches Bestandtheile der Rechts-
ordnung, die mit der Logik der Begriffe nichts zu thun haben. Sie
beruhen ganz und gar auf ethischen Motiven, aber auch hier wieder
nicht etwa oder doch wenigstens nicht in erster Linie auf dem
Streben, die Strenge des Rechts gegenüber dem Einzelnen zu
mildem, sondern auf der Erwägung, dass das Gesammtinteresse
diese ethischen Rücksichten fordert. In dem Wechselverhältniss der
beiden für diese ethische Seite des Rechts überaus bedeutsamen
Begriffe der ^aequitas' und der «utilitas** finden jene Motive
ihren treffenden Ausdruck. Die «aequitas* gebietet, vor jeder
Anwendung eines Rechtssatzes die besondere, nicht in bestimmten
Rechtsverhältnissen zum Ausdruck kommende Sachlage mit zu be-
achten. Die aequitas steht aber im Dienste der „utilitas**, und
diese ist nicht der individuelle Nutzen, sondern das allgemeine
Interesse, das überall neben der Anerkennung der subjectiven Rechte
Befriedigung heischt.
Lnmerhin hat diese Entwicklung der publicistischen Methode
mitten aus den Anwendungen der civilistischen Praxis heraus es mit
sich gebracht, dass eine planmässige logische Ausbildung der Prin-
cipien hier nicht zu Stande kam, sondern dass die ethische Cor-
rector des privatrechtlichen Standpunktes dem Takt des Richters
nnd Gesetzgebers überlassen blieb. Dies mochte, namentlich nach-
dem sich jene Ermässigungen des strengen Rechts zu festen Grund-
sätzen verdichtet hatten, so lange verhältnissmässig unschädlich
bleiben, als es sich bloss um civilrechtliche Verhältnisse handelte.
Anders stand die Sache von dem Augenblick an, wo das öffent-
liche Recht eine selbständige juristische Behandlung forderte. Da
musste noth wendig der Mangel, dass die Jurisprudenz überhaupt
nur die eine civilistische Methode logisch ausgebildet hatte, em-
pfindlich fühlbar werden. Die Folge, unter der die Bearbeitung
dieses Gebiets noch heute leidet, war, dass man, statt sofort eine
den neuen Objecten adäquate Methode auszubilden, vielmehr die
gelaufige und an den allgemeinen privatrechtlichen Begriffen erprobte
civilistische Methode auf das öffentliche Recht übertrug. Da aber
eine solche üebertragung nicht ohne weiteres anging, sondern die
neuen und eigenthümlichen Rechtsverhältnisse selbstverständlich neue
Begriffe forderten, so griff man zu zwei Hülfsmethoden, die
I
566 Logik der GesellachaftswissenschafteD.
speciell dieser üebertragung dienten. Die erste und ältere dieser
Methoden ist die der juristischen Fictionen, die zweite und
jüngere die der civilistischen Analogien.
Die Methode der juristischen Fictionen ist ursprüng-
lich von einem beschränkten Anwendungsgebiet ausgegangen. Sie
diente der üebertragung der für ein bestimmtes Rechtsverhältniss
gültigen Regehl auf ein neues ähnliches Rechtsverhältniss, für das
nun durch die Anwendung des nämlichen Begriffs in der Form der
„Fiction^ die wiederholte Anführung jener Regeln erspart wurde.
So wenn das Gesetz vorschreibt, Thatsachen, die im Process nicht
ausdrücklich bestritten werden, seien als zugestanden anzusehen,
oder Parteien, die auf ergangene Ladung vor Gericht nicht erscheinen,
seien als anwesend zu betrachten, u. dergl.'*'). Der ürspnmg der
Fiction ist in diesen Fällen, wo sich die üebertragung in einem
und demselben Rechtsgebiete bewegt, augenscheinlich nur der einer
Vereinfachung der Subsumtion. Wenn zu einem bestimmten
durch feste Normen geregelten Rechtsfall ein neuer hinzutritt, auf
den man die nämlichen Normen anwenden will, so würde es streng
genommen logisch noth wendig sein, erst einen Generalbegriff zu
bilden, der beide Falle unter sich fasst, und dann auf diesen die
nun verallgemeinerten Normen anzuwenden. Statt dieses umsl^d-
licheren Verfahrens wählt man nun das einfachere der Subsumtion
unter den bereits normirten Fall, was einfach dadurch ge-
schieht, dass fictiv der zweite dem ersten Fall identisch gesetzt wird.
In diesem Sinne ist also die Fiction nichts anderes als die an Stelle
der Subsumtion mehrerer Arten unter eine gemeinsame Gattung
ausgeführte Subsumtion einer Art unter eine andere ihr coordinirte,
was natürlich nur unter der hinzugefügten Erklärung geschehen
kann, diese Subsumtion sei im theoretischen Sinne keine w^kliche
sondern eine „fingirte*", d. h. sie sei nur mit Rücksicht auf die in
Rede stehenden praktischen Rechtsverhältnisse, nicht aber an sich
als eine zutreffende anzusehen.
Nun ist bei jenen privatrechtlichen Fictionen, bei denen sich
*) Auf diesen historischen Ursprung der Fictionen hat schon Saviguy
hingewiesen, ihre praktische Bedeutung hat vornehmlich Jhering (Geist des
römischen Rechts, 2. Aufl., III, 1 , S. 293 ff), beleuchtet. Wie sehr aber diesen
praktischen Vortheilen vielfach eine theoretische Trübung des wirklichen Sach-
verhalts schon auf dem engeren Gebiet ihrer ursprünglichen Anwendung gegen-
übersteht, hat 0. B ü 1 0 w (Archiv für die civilistische Praxis, Bd. 62, 1879) an
den civilprocessualischen Fictionen einleuchtend dargethan.
Civilistische und publicisÜBChe Methode. 567
die Subsumtion zwischen Begriffen desselben Rechtsgebiets bewegt,
die Qefahr, dasa der fingirte Begriff für Wirklichkeit gehalten
werde, vielleicht weniger gross als die andere, dass sich hinter jener
Uebertragung wirkliche Veränderungen der Rechtsbegriffe
verbergen, die klar zum Vorschein kommen müssten, wenn man
nicht den neuen Fall unter einen andern ihm in Wahrheit coordi-
nirten subsumirte, sondern wenn man, was logisch eigentlich ge-
fordert ist, zu beiden FäUen die wirklich übergeordnete Rechts-
regel aufsuchte. Geschieht dies, so entsteht natürlich immer eine
neue Rechtsregel, die sich von der früheren, die für den ursprüng-
lichen Fall allein galt, mehr oder weniger weit entfernen kann.
So hat die nach altrömischem Vorbild zum Theil bis in die neuesten
Gesetzgebungen sich erstreckende Voraussetzung, dass jeder Rechts-
streit ein zweiseitiger sein müsse, und dass daher, wo sich die
eine der Parteien nicht in den Streit einlässt, eine Fiction der Ein-
lassung nöthig sei, eine gewisse Mitschuld an der mit der öffentlich
rechthchen Bedeutung des Richteramtes unvereinbaren Stellung, die
noch heute in weiten juristischen Kreisen der Rechtskraft des ürtheils
gegenüber den streitenden Parteien eingeräumt wird. Denn wenn
es die Gesetzgebung den Parteien freistellt, auf die Rechtskraft des
ürtheils zu verzichten, und dem Gericht vorschreibt, die ürtheils-
wirkung nur dann zu berücksichtigen, wenn sie von Seiten der Par-
teien geltend gemacht wird, so verräth das nicht nur „ein erstaun-
lich geringes Mass von Achtung vor der Bedeutung und Würde der
staatlichen Rechtsschutzthätigkeit^,'*') sondern man kann sich auch
des Eindrucks nicht erwehren, dass in solchen Bestimmungen immer
noch die alte Auffassung des Richteramtes als eines „ Schiedsrichter-
amtes" nachwirkt. Der ungeheure Wandel der Rechtsanschauungen,
der darin liegt, dass das öffentliche Richteramt unter allen Umständen
den Rechtsstreit zum Austrag bringen muss, auch wenn nur eine
*) Bülow, Absolute Rechtskraft des Ürtheils, Archiv für civilistische
Praxis, Bd. 83, 1, 1894, S. 15. Die Kritik des Verfassers richtet sich besonders
gegen die ganz im oben angedeuteten Sinne gehaltenen Bestimmungen im Ent-
wurf des Civilgesetzbuches fQr daa deutsche Reich (§ 191). Die Frage, ob auf
die Partei ein Zwang sich in den Streit einzulassen ausgeübt werden dürfe,
die gegenwärtig noch unter den Juristen controvers ist, hat natürlich mit der
Anwendung der Fiction als solcher, sowie mit den Folgen, die dieselbe auf die
juristische Auffassung ausübt, in diesem Fall nichts zu thun. Auch wer jenen
Zwang annimmt gesteht zu, dass derselbe nach heutigem Recht nur vom
Staate, nicht von der Gegenpartei ausgeübt werden kOnne.
568 Log^k der GesellschaftewisseBachaften.
der Parteien seine Entscheidung anruft, wird hier durch jene Fiction,
dass eine zweiseitige Einlassung unter allen Umständen anzunehmen
sei, verhüllt, während doch die praktische Bedeutung der- Fiction
nur darin liegt, dass der Partei die Gelegenheit zur Einlassung um
der Wahrung ihrer Rechte willen ermöglicht werde.
Ungleich bedenklicher noch ist aber schon in logischer Be-
ziehung die Methode der Fictionen, wenn sie nicht die Uebertragong
der für einen bestimmten Fall geltenden Bestimmungen auf einen
neuen Fall desselben Rechtsgebietes yermitteln, sondern zwischen
verschiedenen Rechtsgebieten eine Verbindung herstellen soll.
Hier handelt es sich nicht mehr um die Subsumtion einer Axt unter
eine ihr in Wirklichkeit gleichgeordnete, sondern unter eine andere,
Ton ihr specifisch verschiedene. In gewissem Betracht gehört hier-
her schon der geläufige Begriff der , juristischen Person*. Wenn
Gorporationen, Vereinen, Stiftungen in yermögensrechtlicher Be-
ziehung die Rechte einer Person yerliehen werden, so wird durch
diesen Ausdruck ausgesprochen, sie sollten in den genannten Be-
ziehungen den wirklichen Personen gleichzuachten sein. Da aber
jede dieser „juristischen Personen' neben dieser vermögensrechilicheii
Analogie noch ihre öffentlich rechtliche Bedeutung hat, in der sie
sich sowohl von den Einzelpersonen wie von andern Arten juristischer
Personen wesentlich unterscheiden kann, so ist hier von yomherein
eine strenge Begrenzung des Begriffs auf die subjectiven Rechte,
welche die Uebertragung veranlassten, geboten; und auch dann ist
selbstverständlich die Uebertragung nur insoweit statthaft, als jene
öffentlich rechtlichen Eigenschaften nicht auf die yermögensrecht-
lichen Befugnisse zurückwirken, wie das in der That bei vielen
juristischen Personen, namentlich z. B. bei den Stiftungen, in aus-
gedehntem Masse stattfindet. Indem das Attribut .juristisch» eine
falsche Vermengung mit dem Begriffe der vnrklichen Person yerhüten
soll, ist es nun aber um so mehr geeignet, nach der entgegengesetzten
Richtung durch die Subsumtion von Rechtssubjecten sehr verschie-
dener Art unter einen und denselben Begriff Bedenken zu erwecken.
Stellt man sich unter einer „juristischen'' Person ohne weiteres ein
Rechtssubject vor, das der Eigenschaften einer wirklichen Person
entbehrt, so verfahrt z. B. die Anwendung dieses Begriffs auf den
Staat zu einer Verkennung der realen Bedeutung desselben; denn
die Subsumtion des Staates mit Stiftungen und Gesellschaften von ver-
mögensrechtlichen Befugnissen unter einen Begriff lässt zweifellos
sehr wichtige Unterschiede zwischen diesen gesellschaftlichen Bil-
Civilistiache und publidstische Methode. 5(59
dangen sogar in den für die Subsumtion massgebenden Merkmalen
ganz ausser Betracht'*').
Noch ganz anders verhält es sich aber mit jenen Uebertragungen
von einem Bechtsgebiet auf ein anderes, deren Zweck überhaupt
nicht in der Subsumtion verschiedener, irgendwie verwandter That-
sachen unter gleiche Bechtsregeln besteht, und die demnach keine
praktische, sondern die rein theoretische Tendenz haben,
Rechtsbildungen von minder bekannter durch solche von bekannterer
Beschaffenheit zu erklären oder, wie Jhering sich ausdrückt, nur
, eine Erleichterung der juristischen Vorstellung^ zu bewirken. Manche
Juristen sehen gerade in diesen allein dem theoretischen Erkennen
dienenden Fictionen die werthvolleren und gegenüber jenen auf der
thatsächlichen historischen üebertragung der Rechtssätze beruhenden,
die nachdem der üebertragungsvorgang vorüber ist auch verschwin-
den können, die bleibenden**). Diese Werthschätzung begegnet
jedoch zwei Bedenken, einem äusseren und einem inneren. Erstens
bleibt die Subsumtion eines Begriffs unter einen andern, der ihm
in Wirklichkeit gar nicht übergeordnet, sondern entweder neben-
geordnet ist oder überhaupt einer andern Gattung angehört, immer
ein theoretisch fehlerhaftes Verfahren, das, wo nicht etwa, wie bei
den durch natürliche geschichtliche Entwicklung entstandenen Fic-
tionen, praktische Vortheile gewonnen werden, in rein theoretischem
*) Damm bekämpft; 0. Gierke gerade unter dem Gesichtspunkt, dass
der Staat und andere Verbände als reale Gresammtpersonen aufzufassen seien,
die Anwendung des Begriffs der «juristiseben Person". (Schmollers Jahrbuch
ftr Gesetzgebung, Verwaltung etc. N. F. VII, 1888, S. 1127. Deutsches Privat-
recht, I, S. 463 ff.)
**) So z. B. Bierling, Zur Entik der juristischen Grundbegriffe, II,
S. 86 ff., Juristische Principienlehre, I, S. 220 ff. Wenn dieser Autor übrigens
die juristischen Fictionen mit den Voraussetzungen der reinen Mechanik und
andern .fictiven Voraussetzungen ** der exacten Naturwissenschaften in Parallele
bringt, so muss ich die Berechtigung dieser Vergleichung bestreiten. Der Be-
griff des absolut starren Körpers in der Mechanik z. B. ist dadurch entstanden,
dasB man gewisse Eigenschaften der wirklichen Körper, geometrische Aus-
dehnung und Masse, allein berücksichtigt imd von allen andern Eigenschafben
abstrahirt. Von einer Subsumtion unter einen coordinirten Begriff des näm-
lichen oder eines andern Gebiets, wie eine solche das Wesen jeder juristischen
Fiction ausmacht, ist hier nirgends die Rede, während umgekehrt bei der Fiction
jene isolirende Form der Abstraction, auf denen alle abstracten Hypothesen-
bildungen der Physik beruhen, ganz fehlt. Die physikalischen Hypothesen und
die juristischen Fictionen haben also logisch nur das negative Merkmal gemein,
dass sie der Wirklichkeit nicht entsprechen. In diesem negativen Merkmal
treffen sie aber auch mit jeder beliebigen Einbildung oder Erdichtung zusammen.
570 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
Interesse niemals gerechtfertigt sein kann. Zweitens steht dem
didaktischen Zweck der Anknüpfung eines unbekannteren BegrifEs
an einen bekannteren der Nachtheil gegenüber, dass diese An-
knüpfung gerade deshalb, weil sie bei der Fiction auf dem Wege
einer falschen Subsumtion geschieht, zu einer üebertragung yon
Merkmalen herausfordert, die in Wirklichkeit gar nicht überein-
stinunen. Vor allem wird das dann der Fall sein, wenn, was ja
nahe liegt, die Erläuterung des unbekannteren BegrifEs darin ge-
sehen wird, dass man eben den Eigenschaften, die un-
bekannt sind, die Eigenschaften des bekannten Be-
griffs substituirt.
Nirgends haben sich diese Nachtheile augenfälliger offenbart
als bei derjenigen Fiction, die eine Hauptgrundlage der Naturrechts-
theorie gebildet hat, bei der Fiction des Staatsvertrags. Es
ist zwar richtig, dass viele Rechtsphilosophen den Staatsyertrag gar
nicht für eine Fiction, sondern für Wirklichkeit gehalten haben.
Aber gewiss ist, dass diese Lehre überhaupt ohne die geläufige
Handhabung der Methode der juristischen Fictionen niemals hätte
entstehen können. Auch nahmen schon die Begründer derselben an.
der Vertrag könne ebensowohl ein ausdrücklicher wie ein still-
schweigender sein*). Ein stillschweigend geschlossener Vertrag ist
aber eben nichts anderes als die Fiction eines Vertrages, und so lehren
denn auch die tiefer denkenden unter den späteren Naturrechtsphilo-
sophen, Allen voran Hu me und Kant, dass der Staatsvertrag nicht
bloss zuweilen sondern durchgängig als eine Fiction zu betrachten
sei. Welchen theoretischen Zweck kann aber diese Fiction haben?
Offenbar keinen andern als den, die im allgemeinen unbekannte
Entstehung das Staates aus der bekannten Entstehung privatrecht-
licher Verbindungen zwischen Personen begreifHch zu machen.
Diesen Zweck verfehlt aber die Fiction vollständig. Daraus dass
privatrechtliche Oenossenschaften durch vertragsmässige üeberein-
kunft ihrer Mitglieder zu entstehen pflegen, folgt nicht im mindesten,
dass der Staat auf diesem Wege entstanden sei. Das wird auch
gerade von denen offen zugestanden, die den Staatsvertrag für eine
Fiction erklären. In Wahrheit tritt daher an die Stelle dieses theo-
retischen Zwecks, den die Fiction nicht erfüllt, wieder ein prak-
tischer, und zwar ein solcher, gegen den alle aus der Rechts-
*) So vor Allen Altliusius. Vgl. 0. Gierke, Johannes Althusius und
die Entwicklung der naturrechtlicfaen Staatstheorien. 1880. S. 21.
CivilistiBche und publiciatische Methode. 571
praxis auf natürlichem Wege heryorgegangenen civilrechtlicheu Fic-
tionen von verschwindender Bedeutung sind. Das Verhältniss
des Staates zu den Staatsbürgern soll so aufgefasst werden, als
wenn es auf einem Vertrag beruhte. Daraus lässt sich
mancherlei folgern. Fichte z. B. in der Sturm- und Drangperiode
seines Philosophirens folgerte, dass es jedem Staatsbürger jederzeit
freistehen müsse vom Staatsvertrag zurückzutreten. Hobbes fol-
gerte das unumschränkte und unverletzbare Recht der Herrscher-
gewalt, Locke das Recht der Revolution, u. s. w. u. s. w. Man
sieht, je weniger diese Fiction dazu beiträgt, das wirkliche Wesen
des Staates theoretisch zu erleuchten, eine um so schärfere Waffe
wird sie zur Verfechtung bestimmter politischer Anschauungen, die
dann freilich wieder nach verschiedenen Richtungen gehen können,
in diesem Fall aber doch darin übereinstimmen, dass sie dem stark
ausgeprägten Individualismus und Utilitarismus des 17. und 18. Jahr-
hundert ein Mittel zur Entwicklung einer ihm adäquaten Staatstheorie
in die Hand gaben. Je mehr sich aber auf diese Weise die Fiction
in ein philosophisches Hülfsmittel verwandelt, um so mehr
verliert sie ihre Bedeutung als juristische Methode. Als solche ist
sie daher in Wahrheit heute nur noch für jene praktischen Fälle
der üebertragung von Rechtsregeln innerhalb eines und desselben
Gebietes anzuerkennen, und auch hier nur unter der beschränkenden
Bedingung, dass sie als ein Verfahren vereinfachter logischer
Subsumtion betrachtet werde, von der aber niemals ein theo-
retischer Gebrauch gemacht werden darf, weil sie in Wirklichkeit
stets eine falsche Subsumtion ist.
In dieser Beziehung ist nun die Methode der civilisti-
schen Analogien wesentlich einwurfsfreier. Sie erkennt von
Tomherein den verschiedenen Gattungscharakter der Begriffe und
die daraus entspringende Unzulässigkeit einer eigentlichen Sub-
sumtion an, und sie beschränkt sich daher darauf, die schwierigeren
und verwickeiteren Begriffe des publicistischen Gebiets durch die in
juristischer Beziehung einfacheren des civilistischen zu erläutern. Es
ist besonders das eigentliche Staatsrecht, das sich solcher Analogien
zu bedienen pflegt, und in dieser Verwendung sind wir denselben
bereits bei den staatswissenschaftlichen Methoden begegnet. (Vgl.
oben S. 490 f.) Was dort als „juristische Methode** bezeichnet wurde,
ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Methode der civilistischen
Analogien, da eine andere Anwendung juristischer Gesichtspunkte, eine
solche etwa die vom öffentlichen Recht ausgeht im Gebiet der Staats-
572 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
Wissenschaft wohl kaum von der sociologischen Methode (S. 494 ff.) zu
trennen ist. Auf die Vorzüge wie die Schwächen der civilistischen
Methode ist dort bereits hingewiesen worden. Gleich der Methode der
Fictionen, aus der sie unverkennbar hervorging, beansprucht sie mehr
einen didaktischen als einen theoretisch erklärenden WertL Jener
älteren Methode gegenüber hat sie aber den Vorzug, dass sie nicht
bloss die falsche Subsumtion vermeidet, sondern dass sie auch im
allgemeinen die Analogie auf die wirklich übereinstimmenden Merk-
male und die mit solchen zusammenhängenden Eigenschaften be-
schränkt, und nur wenig von dem in diesem Fall, wo es sich um
Begriffe verschiedener Oebiete handelt, bedenklichen Princip des
Analogieschlusses Gebrauch macht, aus der üebereinstimmung be-
stimmter Merkmale auf eine ähnliche Üebereinstimmung anderer Merk-
male zu schliessen, die nur an dem einen der vei^lichenen Begriffe
direct nachzuweisen sind. (Vgl. Bd. I, S. 346.) Wenn man z. B.
die Organisation der Staatsverwaltung durch die einer privatrecht-
lichen Genossenschaft erläutert, so ist es nicht nöthig auf andere
Eigenschaften einzugehen als auf diejenigen, die in dem beiden Or-
ganisationen gemeinsamen Moment, dass sie sociale Bildungen sind,
begründet sind. So hat denn überhaupt diese Methode in der all-
gemeinen Üebereinstimmung der socialen Triebe des Menschen, die
nothwendig auch eine gewisse üebereinstimmung der aus diesen Trieben
entspringenden gesellschaftlichen Formen erzeugen muss, ihre berech-
tigte Grundlage. Dem steht aber gegenüber, dass auch sie leicht daza
verführt, darüber die wesentlichen Unterschiede zu übersehen. Denn
die Methode ist ja an sich darauf angelegt, nur die Beziehungen
der Üebereinstimmung hervorzuheben, so dass gerade das was für die
publicistische Untersuchung das wichtigste ist, nämlich die charak-
teristischen Merkmale der Gebilde des öffentlichen Elechts, unbeachtet
zur Seite liegen bleibt, wenn nicht, was schlimmer ist, da wo die
Hülfe der Analogie versagt die Methode der Fictionen ergänzend
eingreift, eine Gefahr die um so näher liegt, als die Tendenz, die
öffentliche Rechtsordnung mittelst civilistischer Begriffe juristisch zu
construiren, beiden Methoden gemeinsam ist.
So ist es denn eine unerlässliche Aufgabe der Jurisprudenz,
dass sie die publicistische Methode so viel wie möglich selbständig
und unter Verzicht auf derartige Hülfen des Civilrechts ausbildet.
Ihren von dem letzteren verschiedenen Charakter muss aber diese
Methode nothwendig dadurch gewinnen, dass bei ihr das Gemein-
interesse die Grundlage aller Deductionen bildet. In Wahrheit
Civilistische und publiciaÜBche Methode. 573
ist daher dies auch das Verfahren, dessen sich namentlich das Yer-
fassungsrecht und, nach unten und oben an dasselbe sich anschlies-
send, das Yerwaltungs* und das Völkerrecht thatsächlich bedienen«
Wenn es diese publicistische Methode noch nicht zu einer ähnlichen
festen Logik der Begriffe gebracht hat wie das Givilrecht und es
auch schwerlich jemals ganz dazu bringen wird, so liegt der ver-
ständliche Ghrund davon in dem ungleich verwickeiteren und in weit
höherem Masse dem Fluss geschichtlicher Bedingungen unterworfenen
Begriff des Gemeininteresses, im Unterschiede von dem überall
auf die nämlichen Grundtriebe der Selbsterhaltung und eigenen För-
derung zurückführenden individuellen Nutzen. Verwickelter ist aber
jener Begriff des Gemeininteresses nicht bloss deshalb, weil er stets
eine Fülle in einem gegebenen Moment zusammenwirkender Factoren
umfasst, sondern auch vor allem weil er in ungleich weiterem Um-
fang der Zukunft zugewandt ist. Da femer die Interessen der
Gesammtheit und die der Einzelnen überall in einander eingreifen,
wobei theils jene eine Beschränkung dieser, theils aber auch diese
eine Beschränkung jener erheischen, so ist damit von selbst ein
fortwährendes Zusammenwirken der publicistischen und der civi-
listischen Betrachtungsweise geboten. So wird in allen den Gebie-
ten, wo das Einzelinteresse im Vordergrund steht, zunächst die
civilistische Methode zur Anwendung kommen, worauf dann ihre
Ergebnisse nach publicistischen Gesichtspunkten geprüft und, wo es
erforderlich scheint, berichtigt werden. Das ist in der That die Art
und Weise, in der schon das römische Recht von den Begriffen der
j,aequitas" und der „utilitas* Gebrauch machte. Wo es sich da-
gegen in erster Linie um das Gesammtinteresse handelt, da hat die
publicistische Methode voranzugehen. Sie leitet aus jenem Gesammt-
interesse, wie es in Folge der gegebenen socialen und politischen
Bedingungen sich ergibt, die zu treffenden Einrichtungen oder Mass-
regeln ab; und hierauf sind diese dann nachträglich in Bezug auf
ihre Vereinbarkeit mit berechtigten individuellen Interessen an der
Hand der civilistischen Methode zu prüfen. So geht in jedem der
Hauptgebiete zunächst diejenige Methode voran, die dem allgemei-
nen Charakter des Gebietes entspricht, während die andere zur
nachträglichen Prüfung und Berichtigung der Ergebnisse herbei-
gezogen wird.
Sind die Methoden der Rechtswissenschaft in ihrer Durchfüh-
rung logisch, in ihren Voraussetzungen, namentlich überall da wo
das allgemeine Interesse ins Spiel kommt, zu einem wesentlichen
574 Logik der G^ellschaftswiBsenschafteii.
Theile ethisch, so ruhen nun aber beide Bestandtheile auf
psychologischen Motiven, die überdies, als die allgemeinsten
Bedingungen menschlicher Handlungen, bei der Beurtheilung der
Einzelinteressen wie der Oesammtzwecke und bei der Abwägung
dessen was in der Sphäre des Rechtslebens geschehen ist und ge-
schehen soll eine hervorragende Bedeutung besitzen. In diesem
Sinne ruht die Rechtswissenschaft mit allen ihren Methoden theils
direct theils indirect auf der Psychologie: direct insofern die Rechts-
handlungen wie alle andern menschlichen Handlungen auf psychische
Motive, sei es auf solche der Gemeinschaft sei es auf solche der
Einzelnen zurückführen; indirect insofern die Rechtsbegriffe einen
logischen Zusammenhang bilden und ethische Zwecke verwirklichen,
die beide selbst wieder eine psychologische Grundlage haben. Ins-
besondere ist, da das Rechtsleben vornehmlich in Willenshandlungen
und Willensmotiven seinen Ausdruck findet, die Psychologie des
Willens eine wichtige Voraussetzung sowohl der theoretischen
Elechtswissenschaft wie ihrer praktischen Anwendungen. Freilich
aber, so wenig der Wille ein für sich vorkommendes psychisches
Phänomen ist, ebenso wenig lässt sich schliesslich eine solche an-
gewandte Willenspsychologie aus dem Zusammenhang mit der übrigen
Psychologie lösen*).
*) Dass dieses psychologische Fundament mehr und mehr in der neueren
Rechtswissenschaft zur Anerkennung gelangt, ist sicherlich, gegenüber dem ein-
seitig logischen Betrieb der älteren Jurisprudenz, ein erfreuliches Zeichen theo-
retischer Vertiefung, welches nicht verfehlen wird, auch für die Praxis mit der
Zeit Früchte zu tragen. Unter den Versuchen, die von juristischer Seite ge-
macht worden sind, Rechtsprobleme auf Grund einer selbständigen Bearbeitung
der Psychologie des Willens zu lösen , seien hier genannt : B i n d i n g , Die
Normen, II, 1877 (Schuld und Vorsatz), und Zitelmann, Irrthum und Rechts-
geschäft, eine psychologisch-historische Untersuchung, 1879. Neben der Psycho-
logie hat in neuerer Zeit, besonders unter dem Einflüsse Lombrosos und seiner
Schule, die so genannte Criminalanthropologie die Aufmerksamkeit der
Juristen auf sich gelenkt und sogar mehr oder minder bedingte Anhänger unter
ihnen gewonnen. Dass es in gewissem Sinne «geborene* Verbrechematuren
gibt, d. h. solche bei denen die Anlage eine so dominirende Rolle spielt, dass
nur die günstigsten äusseren Lebensbedingungen diese ursprüngliche Anlage zu
compensiren vermögen, ist gewiss zuzugeben, ebenso dass Vererbung bei den
moralischen nicht minder wie bei den physischen Anlagen eine Rolle spielt;
und wenn Lombroso dagegen kämpft, dass unsere Strafrechtspflege noch immer
auf diese verschiedenen Bedingungen des Verbrechens gar keine Rücksicht nimmt,
ebenso wenig wie auf die während der Strafzeit zu beobachtenden Wirkungen
der Strafe, dass sie überhaupt viel zu äusserlich und schematisch verfährt, so
wird der Unbefangene dem nur in allen wesentlichen Punkten beistimmen
CiviÜBtiscbe und publicistiBche Methode. 575
Es ist hier sieht der Ort auf dieses Gebiet angewandter Psy-
chologie näher einzugehen. Nur auf die Hauptformen der Anwen-
dung psychologischer Principien und auf die Hauptvorurtheile, die
in der heutigen Jurisprudenz vielfach störend der psychologischen
Beurtheilung in den Weg treten, mag hier noch hingewiesen werden.
Die Anwendung der Psychologie ist zunächst eine doppelte:
eine theoretische und praktische. Die theoretische spaltet sich wieder
in zwei Richtungen. Erstens gehen in alle Rechtsbegriffe, da
sie sich auf menschliche Lebensverhältnisse und menschliche Hand-
lungen beziehen, noth wendig psychische Elemente ein. Diese Ele-
mente, wie sie theils als Willenselemente, theils aber auch als
sonstige Bewusstseinsvorgänge in den Begriffen des Besitzes, des
Eigenthums, des Rechtsgeschäfts, des Irrthums, des Unrechts und
der Rechtsverletzung, des Dolus und der Culpa, der Strafe u. s. w.
enthalten sind, deutlich auszusondern und in ihrer Beziehung zu
dem logischen Zusammenhang der Begriffe zu bestimmen, ist eine
nächste wichtige Aufgabe juristischer Untersuchung. Eine zweite
bezieht sich nicht auf die Begriffe, sondern auf die Rechtssätze,
wie sie in Gesetzen und in Normen des Gewohnheitsrechts nieder-
gelegt sind. Solche Rechtssätze können niemals derart gegeben
sem, dass sie die Anwendung auf jeden einzelnen Fall unzweideutig
sichern. In zweifelhaften Fällen ist es daher die Aufgabe, den
Willen des Gesetzgebers festzustellen, und zwar kann dies wieder
in einer ein fUr allemal zu gebenden Interpretation der Rechtsregel
oder aber in dem Fall der Einzelanwendung selbst geschehen. Die
praktische Anwendung psychologischer Gesichtspunkte endlich
bezieht sich auf die Motive der einzelnen Handlungen, die in das
Rechtsgebiet gehören. Der Wille beim Abschluss eines Rechts-
geschäfts, die Möglichkeit eines absichtlichen oder eines unabsicht-
lichen Rechtsfehlers, die Willensmotive, aus denen Rechtsverletzungen
können. Anderseits ist es aber ebenso gewiss, dass Lombroso selbst in einen
vielleicht noch schlimmeren Schematismus der entgegengesetzten Art verfällt,
wenn er, namentlich in seiner ersten Arbeit (L*Huomo delinquente, deutsch von
M. 0. Fraenkel, 1887, in neuerer Zeit hat er seine Ansichten in dieser Beziehung
etwas erm&saigt), die Verbrecher zu einer besonderen Menschenspecies macht,
die an bestimmten , den atavistischen Ursprung verrathenden physischen Merk-
malen zu erkennen sei — Annahmen, die an die phantastischen Ausschreitungen
der vormaligen Phrenologie erinnern. Kritisch besonnene Behandlungen dieser
Frage findet man in den Werken von A. Baer, Der Verbrecher in anthropo-
logiacher Beziehung, 1893, und H. Ellis, Verbrecher und Verbrechen, deutsch
von H. Kurella, 1894.
576 Logik der Gesellachaftswissenschafben.
•
entspringen, die Beurtheilung der Freiheit und Zurechnung des
Einzekien — alles das sind Fragen, die zwar zunächst der prak-
tischen Psychologie zufallen und, ¥rie diese überhaupt, praktische
Menschenkenntniss voraussetzen, aber doch ohne gründliche Vertie-
fung in die theoretischen Probleme der Psychologie selbstrerstand-
lich nur dilettantisch und mangelhaft beantwortet werden können.
Dies führt uns auf die Vorurtheile, die, theils aus der vul-
gären Psychologie des praktischen Lebens theils aus gewissen meta-
physischen Lehren hervorgegangen, noch in der heutigen Jurisprudenz
weit verbreitet sind. Ihrer gibt es hauptsächlich zwei von all-
gemeinerer Bedeutung. Das eine besteht in der Meinung, dass die
indeterministische Willenslehre ein unerlässliches Erfordemiss
für die Ableitung der Begriffe der Freiheit des Handelns, der Ver-
antwortlichkeit und der Strafe sei. Dies Vorurtheil ist deshalb
schädlich, weil das Gegentheil zutrifft, weil in Wahrheit ein
psychologisches Verständniss jener Begriffe und eine Motivirung der
concreten Handlungen nur auf dem Boden des psychologischen Deter-
minismus zu gewinnen ist — freilich eines psychologischen Deter-
minismus, der über die grobe Verwechselung der psychischen mit
der mechanischen Gausalität hinaus ist'^). Das zweite Vorurtheil,
das ebenfalls in der Rechtsvrissenschaft noch vielfach vorkommt, ist
die Annahme der Existenz eines unbewussten Willens. Die
Annahme unbewusster psychischer Vorgänge ist überhaupt eine Fic-
tion, mit der sich nie und nirgends irgend etwas psychologisch er-
klären lässt. Das ünbewusste ist der Natur der Sache nach ein
metaphysischer Abgrund, der sich nach Belieben mit den Gespenstern
der eigenen Einbildungskraft bevölkern lässt. Aus demselben Grunde,
aus dem man mittelst unbewusster psychischer Vorgänge in der
Psychologie nichts erklären kann, kann mau aber auch in allen
Gebieten angewandter Psychologie mit Hülfe solcher Vorgänge nichts
motiviren. Für ein unbewusstes Wollen kann man ebenso wenig
einen Menschen verantwortlich machen, wie man für die That des
Individuums A ein anderes Individuum B verantwortlich machen kann,
das von jener That und ihren Motiven nichts weiss. Wie man die
psychischen Vorgänge nicht zur einen Hälfte psychologisch und
zur andern metaphysisch erklären darf, gerade so wenig darf man
daher über den Unterschied von Dolus und Culpa dadurch Rechen-
schaft geben, dass man den ersten zu einer Handlung des Bewusst-
0 Ethik, 2. Aufl., S. 462 ff.
Rechtsnormen und Rechtsdefinitionen. 577
fieins, die zweite zu einem unbewussten Vorgang macht: denn das
blasse nichts anderes als dort ein psychologisches, hier ein meta*
physisches Motiv annehmen. Die Metaphysik gehört in Wahrheit
so wenig in die Jurisprudenz, wie sie in die empirische Psychologie
gehört. Glücklicher Weise reicht man aber auch für alle jene Zwecke,
für die man sich des «unbewussten'' Willens benöthigt glaubte, mit
dem bewussten oder wirklichen Wollen aus, sobald man nur zugleich
die Entwicklung des Willens in Betracht zieht*).
d. Rechtsnormen und Rechtsdefinitionen.
Die wissenschaftliche Bearbeitung des Rechts geht von der-
jenigen Gestaltung aus, welche die Rechtsanschauungen in Gesetz-
gebung und Gewohnheitsrecht gefunden haben. Der Inhalt beider
besteht in Sätzen, die fQr das gesellschaftliche Handeln der Mit-
glieder einer Rechtsgemeinschaft bestimmte Regeln entweder ausdrück-
lich feststellen oder als gültig voraussetzen. Diese Regeln sind die
Rechtsnormen. Sie bilden die unmittelbaren Grundlagen des
Rechts und daher auch die Ausgangspunkte für dessen wissenschaft-
liche Bearbeitung. Ihrer logischen Bedeutung nach sind sie den
Axiomen der theoretischen Wissenschaften vergleichbar. Denn sie
lassen wie diese keine Begründung durch andere Sätze zu, sondern
entspringen unmittelbar aus der von dem Rechtsgefühl geleiteten
Rechtsanschauung; auch besitzen sie eine ähnliche Allgemeinheit, da
sie alle einzelnen Rechtsanwendungen, aus denen sie durch ver-
allgemeinernde Abstraction hervorgegangen sind, nun umgekehrt
*) Ich möchte in der That glauben, dass der Gebrauch, den Binding
(Nonnen, U, S. 107 ff.) in seiner Lehre von Dolus und Culpa von dem Gegensatz des
bewussten und des unbewussten Willens macht, vollständig durch den Gregensatz
^es einfachen, eindeutig bestimmten oder triebartigen Willensactes und des Wahl-
actes ersetzt werden kann, ja dass vielleicht dem Verfasser dunkel dieser Untere
schied vorschwebte, dem er dann, durch den Einfluss der Schopenhauer*schen
und Hartmann*schen Metaphysik veranlasst, de^^egensatz von „bewusst* und
sunbewusst' substituirte. Da das Bewusstsein/ ^^^^anderes ist als die Wirk-
lichkeit der psychischen Vorgänge selber, ny ^^esen vorhandenes, so
folgt daraus schon, dass der Begriff »unbew -ler Vorgänge* psycho-
logisch ein Unding ist. Vgl, hierzu mein iber die Menschen- und
Thierseele, 2. Aufl., S. 252 ff., Ethik, J ff. Auch Zitelmann
fQhrt den Begriff des unbewussten Y -. 0. S. 79). Es ist aber
bezeichnend, dass er ihn nur als ei^' Möglichkeit hinstellt, ohn
für jaristische Zwecke von ihm G/ n.
Wnndt, Logik. H, 2. 2. Aufl. / 37
580 Logik der Gesellflchaftswiasenschaften.
die meisten der spät, entwickelten Principien des Yerfassimgs- und
Yerwaltungsrechts höchstens hinsichtlich ihrer praktischen Zweck-
mässigkeit, kaum aber in Bezug auf den Inhalt der in ihnen zum
Ausdruck kommenden Rechtsanschauungen Gbgenstiinde des Streites
sein können.
In der Aufsuchung der Rechtsnormen schlägt die wissenschaft-
liche Untersuchung einen eigenthümlichen Weg ein, der von der That-
sache bestimmt ist, dass die Grund- wie die HOlfsnormen des Rechts
auf gewissen mit mehr oder minder klarem Bewusstsein befolgten
Rechtsauschauungen beruhen. Diese sind, wie aUe Anschauungen,
nicht in der Form logischer Allgemeinbegriffe, sondern in den Vor-
stellungen einzelner rechtlicher Verhältnisse gegeben, die freilich
frühe schon nach Beziehungen der Aehnlichkeit geordnet, unter ge-
meinsame Bezeichnungen gebracht und in dieser verallgemeinerten
Form von der Gesetzgebung geregelt werden. Aber der natürlichen
Begriffsbildung, die hier wirksam ist, fehlt es, so sicher sie aach
durch einen glücklichen Instinct die verschiedenen Rechtsgebiete und
Rechtsfälle im ganzen zu ordnen weiss, durchaus an einer tieferen
Einsicht in die Entstehung und den Inhalt der Rechtsbegriffe.
Dennoch ist eine solche nothwendig, wenn eine erschöpfende Er-
kenntniss jener Grundnormen, in denen der ethische Gehalt der
Rechtsordnung seinen Ausdruck findet, gewonnen werden soll. Zur
Erreichung dieses Zieles bedarf es einer Analyse der Rechts-
begriffe, die theils in den bruchstückweise vorliegenden Grund-
normen, theils in den in Gesetzen und gewohnheitsrechtlichen
Satzungen gegebenen Hülfsnormen vorausgesetzt werden. Die Resul-
tate dieser Analyse bestehen in den Rechtsdefinitionen. Ist
die Analyse eine erschöpfende, so müssen die Definitionen in ihrem
Zusammenhang so vollständig die Grundnormen einschliessen, dass eine
ausdrückliche Formulirung dieser gar nicht mehr erforderlich ist. Die
Definitionen enthalten aber zudem weit mehr, als die Normen selbst
enthalten können, da vorzugsweise die Form der Definition es mög-
lich macht, den Charakter der Thatsachen, die Objecte der Rechts-
normen sind, genau anzugeben und sie von andern Thatsachen zu
unterscheiden. Für die wissenschaftliche Bearbeitung kommt hienu
noch ein weiterer Vorzug. Obzwar die Norm vermöge ihrer impera-
tiven Beschaffenheit die kürzere und eindrucksvollere Form ist, so ent-
zieht sie sich doch durch eben diese Eigenschaft der Einreihung in
einen systematischen Zusammenhang, während sich eine solche aus
der Analyse der Begriffe, die in den Definitionen ihren Abschluss
Rechtsnormen und Rechtsdefinitdonen. 581
findet, von selbst ergibt. Die Theorie wie die von wissenschaftUchen
Gesichtspunkten geleitete Praxis des Rechts kann, wo es sich um
den Inhalt der Grundnormen handelt, der Befehlsform entbehren;
diese bleibt nur noch für jene Hülfsnormen erforderlich, die für den
Vollzug des Rechts bestimmte Regeln aufstellen, die als willkürliche
Satzungen, die mit concreten Gulturbedingungen zusammenhängen,
eine andere Form überhaupt nicht gestatten. Je wünschenswerther
es dagegen ist, dass die auf diese Aussentheile der Rechtsordnung
herQberwirkenden inneren Rechtsnormen selbst für jede einzelne An-
wendung mit voller Klarheit gegeben seien, um so unerlässlicher
wird es, dass bei ihnen die ethische Form des Imperativs durch
die logische der Definition ersetzt werde. So wird mit innerer
Nothwenigkeit die Definition zur logischen Grundform der Rechts-
wissenschaft. Aus ihr geht auf der einen Seite die Classification
der Rechtsbegriffe hervor, indem die in den einzelnen Definitionen
behandelten Begriffe in mannigfache Verhältnisse der Ueber- und
Unterordnung und der Coordination treten; auf der andern Seite
entspringt aus ihr die Rechtsdeduction, die überall theils Rechts-
definitionen theils einzelne Thatsachen, die einem concreten, dem
juristischen Urtheil unterworfenen Fall angehören, als ihre Prämissen
verwerthet.
Indem die Jurisprudenz diese systematischen Formen keines-
wegs bloss zur Ordnung gegebener Begriffe und Resultate benützt,
sondern sich ihrer neben der Analyse und der synthetischen Ver-
knüpfung der Begriffe fortwährend in der Untersuchung selber be-
dient, ist sie eine in eminentem Sinne systematische Wissenschaft.
Durch diesen streng logischen Charakter ist sie in einer gewissen
Hinsicht der Mathematik vergleichbar. Aber während in dieser die
Methoden der Untersuchung ihre vollkommenste Ausbildung ge-
funden haben, die dann erst auf die exacte Gestaltung auch der
systematischen Formen zurückwirkte, liegt der Schwerpunkt der
juristischen Forschung durchaus in diesen Formen selbst, wogegen
es selbständige, von der fortwährenden Handhabung von Definitionen
und Beweisen unabhängige Untersuchungsmethoden in ihr nicht gibt.
Dem entspricht ein charakteristischer Unterschied in der Anwendung
der elementaren logischen Formen. Während die Mathematik fast
nur mit Identitätsurtheilen und Begriffssubstitutionen operirt, ist die
juristische Deduction durchaus beherrscht von dem Subsumtions-
schlusse. Die concreto Erfahrung fordert zu ihrer Beurtheilung
die Unterordnung unter bestimmte Rechtsdefinitionen, und nicht
582 Logik der Gesellschaftewissenschaften.
minder wird die theoretische Verbindung dieser Definitionen aus-
schliesslich geleitet von dem Princip der Ueber- und Unterordnung.
Der Grund dieser Gegensätze liegt schliesslich in der Natur der Be-
griffe, die den Inhalt beider Wissenschaften bilden. Die mathe-
matischen Begriffe ergeben sich aus den abstracten Verhältnissen
der Anschauungsformen, und sie führen stets auf Elemente von ein-
fachster anschaulicher Form zurück. Die Jurisprudenz entnimmt
ihre Begriffe den verwickeltsten Verhältnissen des menschlichen Ver-
kehrs und des willkürlichen Handelns. So ist die Mathemiatik nach
der Natur ihrer Probleme die einfachste, die Jurisprudenz die com-
plicirteste aller Wissenschaften. Aber dieser Gontrast erstreckt sich
nun vor allem auch auf die qualitativen Eigenschaften der Begriffe.
In der Mathematik waltet die isolirende, in der Jurisprudenz die
generalisirende Abstraction vor; jene bezieht sich auf subjective
Anschauungsfunctionen, diese auf objective Verhältnisse der Erschei-
nungen. In den mathematischen Begriffen bleiben vermöge der
Uniformität unserer Anschauungsformen stets die anschaulichen Ele-
mente erhalten, und das Resultat der verwickeltsten Speculation
lässt sich darum meist in eine anschauliche Form zurückübersetzen.
Die Rechtsbegriffe bewahren vermöge der unendlichen Vielgestaltig*
keit, die die Erscheinungen der menschlichen Gesellschaft darbieten,
immer ihre abstracte Natur, und sie lassen daher keine andere Ver-
bindung mit der concreten Erfahrung zu als die Subsumtion der
letzteren, wobei man sich aber fortan bewusst bleibt, dass niemals
der Begriff durch die Subsumtion erschöpft werden kann, ja dass es
nicht einmal eine Anschauung gibt, die als irgend zureichende logische
Stellvertreterin des Begriffs gelten könnte. Darum ist in dem mathe-
matischen Denken die abstracte Form der algebraischen Symbolik
etwas Secundäres ; sie gehört den äusseren Hülfsmitteln desselben an
und dient der Verallgemeinerung der Untersuchungen, deren wirk-
licher Inhalt von durchaus anschaulicher Art bleibt. In dem juristi-
schen Denken ist die abstracte Form das Primäre; jene Rechts-
anschauung, aus welcher dereinst die Rechtsbegriffe entsprungen sind,
gehört dem vorwissenschaftlichen Denken an, dem gegenüber die
Arbeit der Wissenschaft darin besteht, ein System von Begriffen
aufzustellen, die allgemein genug sind, dass sich das ganze Rechts-
leben in sie einordnen lässt. Das mathematische Denken ist daher
anschaulich in abstracten Formen, das juristische könnte man abstract
in anschaulichen Formen nennen; denn der anschaulichen Bedeutung,
die das gewöhnliche Denken den die Rechtsbegriffe bezeichnenden
Rochtsnormen und RechUdefinitionen. 583
Worten beilegt, wird hier überall eine abstracte substituirt, die nicht
mehr in einer anschaulichen Thatsache, sondern in einer bestimmten,
durch eine Definition festzustellenden Begriffsverbindung ihren Aus-
druck findet.
Die Rechtsdefinition ist nun nicht bloss die (Grundlage,
auf welche die andern systematischen Rechtsformen zurückfuhren,
sondern sie ist auch theoretisch wie praktisch die wichtigste unter
diesen Formen. Indem sie aus den praktisch gültigen Rechts-
anschauungen, sowie aus den vielfach nur in Oestalt secundärer Hülfs-
normen vorliegenden Acten der Gesetzgebung als das nächste Resultat
wissenschaftlicher Bearbeitung hervorgeht, vollzieht sich ein Vor-
gang, den man als „Präcipitation der Rechtss'ätze zu Rechtsbegriffen "
bezeichnet hat"**). Dieser Ausdruck deutet in der That ziemlich treffend
die eigenthümliche Art der Abstraction an, um die es sich hier
handelt. Kein einziger der Rechtssätze, die bei einer Definition zu-
sammenwirkten, ist als solcher in dieser enthalten, und doch lassen
sie sich nicht nur sämmtUch aus ihr wiedergewinnen, sondern neben
ihnen ergeben sich fast immer noch zahlreiche andere Rechtssätze,
die bei der von zufälligen Erfahrungen geleiteten praktischen Formu-
lirung der Gesetze leicht übersehen werden. In der Definition voll-
zieht sich also eine Verdichtung der Rechtsbegriffe, die
gleichzeitig deren Anwendbarkeit nicht verengt sondern erweitert,
und die Anwendung auf den einzelnen Fall nicht erschwert sondern
erleichtert. Dieser Erfolg wird aber dadurch ermöglicht, dass,
während die einzelnen Rechtserfahrungen in nebensächlichen Um-
ständen mannigfach variiren, doch die wesentlichen Begriffselemente
eine ausserordentlich grosse Gonstanz darbieten. Zum Vollzug jener
Generalisationen, aus denen die Rechtsdefinitionen hervorgehen, be-
darf es daher keineswegs einer grossen Zahl von Erfahrungen, sondern
wenige deutlich ausgeprägte Fälle, nöthigenfalls ein einziger, können
genügen, um den Rechtsbegriff; der in ihnen verborgen liegt, in
seiner vollen Schärfe und Allgemeinheit auszusprechen. In dieser
Beziehung sind die Generalisationen der Jurisprudenz wiederum den
verallgemeinernden Abstractionen der Mathematik vergleichbar, so
unendlich verschiedenartig auch bei beiden der Inhalt der concreten
Erfahrung ist. Aber was hier die grosse Einfachheit der mathe-
matischen Anschauungsobjecte ermöglicht, das vollzieht sich dort
gerade unter der Mitwirkung der unendlichen Complication der That-
*) Jhering, Geist des römischen Rechts» 2. Aufl., I, S. 87.
584 Logik der GesellschaftswisseiiBcbaften.
Sachen, die um so mehr dazu nöÜiigt, zunächst durch eine tief e>
dringende Analyse und eine daran geknüpfte isolirende Abstracto
alle Bestandtheile auszusondern, die f&r den Inhalt der Rechtsordimg
gleichgültig sind. Dass sich diese Abstraction nicht mit einem
Schlage vollzogen hat, lehrt die auf niedrigeren Entwicklungsstufen
der Rechtsanschauung so verbreitete Trübung der Rechtsbegpriffe durch
zufällige Einflüsse der Sitte, eine Trübung von der auch die spätere
Entwicklung nicht ganz frei bleibt.
Die einzigen Führer durch solche Verirrungen sind schliesslich
die sittlichen Normen, die, weil sie alle Einflüsse zufalliger Lebens-
gewohnheiten überdauern, immer mehr in den bleibenden Rechts-
normen zur Herrschaft gelangen müssen. Das Yerhältniss der sitt-
lichen Normen zu den Rechtsnormen ist aber weder ein solches der
Identität noch der einfachen Ueberordnung. Die Rechtsordnung
umfasst das ganze geseUschaftUche Leben der Menschen, und in
diesem sind, vrie in dem Einzelleben, die sittlichen Zwecke die höchsten,
doch nicht die einzigen. Ihr domiuirender Charakter kommt nur
darin zur Geltung, dass zwar die sonstigen Rechtszwecke mannig&cb
mit einander in einen Gonflict gerathen können, der durch eine Aus-
gleichung, die sich mit partiellen Erfolgen begnügt, vermieden werden
muss, dass aber mit den sittlichen Zwecken ein solcher Gonflict un-
möglich oder nur so lange möglich ist, als die Rechtsordnung selbst
an schweren Mängeln leidet. Den sittlichen Zwecken müssen alle
andern sich beugen. Darum behält auch in den Gebieten des Rechts^
die sich auf das sittlich Gleichgültige beziehen, das Ethische immer-
hin in prohibitiver Form seine normative Bedeutung, indem es von
vornherein Rechtssatzungen ausschliesst, die direct oder in ihren
Folgen einen unsittlichen Inhalt bergen. Die positiven Normen, die
in diesen Fällen den Inhalt der einzelnen Rechtssätze bestimmen,
bleiben die speciellen Zwecke der einzelnen Rechtsinstitute, die
naturgemäss wieder alle Richtungen des Lebens umfassen können.
Die Bestimmungen dieser Zwecke und die Ableitung der aus ihnen
sich ergebenden Rechtsbegriffe ist aber eine rein logische Aufgabe^
die eine Abstraction aus den gegebenen Rechtsverhältnissen voraus-
setzt. Auf diese Weise gründen sich die Rechtsdefinitionen schliess-
lich auf eine doppelte Subsumtion, auf eine solche unter die
ethischen Normen und auf eine andere unter die logischen
Gesichtspunkte, die sich aus der Erwägung der speciellen Rechts-
zwecke ergeben. Naturgemäss tritt in der Fassung der Rechts-
definitionen die letztere. Subsumtion in den Vordergrund, während
r
e»
Rechtsdeductioo und juriBtischer Thatsachenbeweis. 585
die erstere meistens nur stillschweigend vorausgesetzt ist, darum
aber nicht weniger auf den Inhalt der Sätze ihren Einfluss ausübt.
Diese logische Einseitigkeit der Rechtsdefinitionen ist es übrigens,
die leicht die Aufmerksamkeit vorwiegend den speciellen Zwecken
der Rechtsordnung zuwendet und auf diese Weise, namentlich wenn
die privatrechtlichen Begriffe in den Vordergrund gerückt werden,
das Recht ausschliesslich unter den Gesichtspunkt des individuellen
Nutzens stellt. Auch liegt hierin der Qrund für die früher her-
vorgehobene unvollkommene Ausbildung einer selbständigen publi-
cistischen Methode und für die verbreitete Neigung, diesem Mangel
durch die einfache üebertragung civilistischer Anschauungen mit
Hülfe von Fictionen und Analogien abzuhelfen (S. 565).
Auf den Recht>sdefinitionen erhebt sich die Classification
der Rechtsbegriffe. Auch sie ist zunächst eine rein theore-
tische Aufgabe, die aber gleichwohl auf die praktische Rechtsübung
und namentlich auf die Weiterentwicklung des Rechts nicht ohne
Einfluss bleibt. Indem die systematische Verbindung der Rechts-
begriffe den einzelnen Rechtsinstituten die nach den logischen Folgen
ihrer Zwecke zukommende Stellung anweist, gibt sie zugleich Rechen-
schaft über das Verhältniss dieser Zwecke selbst zu den sonstigen
Ghrundlagen der Rechtsordnung und sichert für die Rechtsanwendung
die richtige Subsumtion des einzelnen Falls unter die allgemeine
Regel. Die logische Ausbildung der Classification ist in hohem Grade
dadurch gefördert worden, dass die wissenschaftliche Entwicklung
des Rechts von den privatrechtlichen Begriffen und zugleich von
einer verhaltnissmässig einfachen Form des gesellschaftlichen Lebens
ausging. Die Gestaltungen des römischen Rechts ordnen sich fast
von selbst unter systematische Gesichtspunkte. Die mannigfaltigeren
Formen des Rechtslebens, die an die Schöpfungen der modernen
Cultur sich anlehnen, bieten in dieser Beziehung weit grössere
Schwierigkeiten, die nur mit Hülfe der an den einfacheren Rechts-
formen gewonnenen Vorbereitung zu überwinden sind.
e. DieRechtsdeduction und der juristische Thatsachenbeweis.
Auf die Definitionen der Rechtsbegriffe und ihren systematischen
Zusammenhang gründet sich die Rechtsdeduction. Sie hat zwei
Hauptformen, deren erste und wichtigste in der Unterordnung
gegebener einzelner Thatsachen unter die durch Defini-
tionen festgestellten Rechtsbegriffe besteht. Da das Ver-
586 Logik der GesellschaftswiBsenschaften.
hältniss der concreten Erfahrung zu den einzelnen Rechtsbegriffen
nicht selten ein schwankendes ist, indem bald Zweifel entstehen
können, welcher unter einer gewissen Anzahl verwandter Begriffe
im gegebenen Fall anzuwenden sei, bald aber die einzelne Thatsache
unter mehrere Begriffe fallt, deren Merkmale sie in sich vereinigt,
so leistet hierbei zugleich die Classification der Begriffe wichtige
Dienste. Gemäss der schon die juristischen Definitionen beherrschen-
den Form der Subsumtion beruht die Rechtsdeduction stets auf
Subsumtionsschlüssen, und speciell im vorliegenden Falle ist es die
classificirende Form des Schlusses, die vorzugsweise benutzt
wird. (Vgl. Bd. I, S. 331.) Die Thatsache aber, dass jede Rechts-
deduction nicht bloss eine üebertragung fertiger Ergebnisse in ein
systematisches Schema, sondern selbst eine Form der Untersuchung
ist, verräth sich in der Benützung logischer Hülfsoperationen, die
hier eine analoge Rolle spielen wie etwa die geometrischen Gon-
structionen in dem Euklidischen Beweisverfahren. Diese Hülfs-
operationen sind Begriffsanalysen, die sich an die feststehen-
den Definitionen anschliessen und zugleich auf die speciellen Um-
stände des zu beurtheilenden Falls Rücksicht nehmen. Demnach ist
die juristische Begriffsanalyse im allgemeinen vergleichender
Art: sie besteht in parallel laufenden Zergliederungen der in An-
wendung kommenden Rechtsbegriffe und der zu beurtheilenden That-
sachen, und sie ist, insoweit sie sich auf die letzteren bezieht
meistens zunächst eine psychologische und dann erst eine
logische, da nur auf Gh*und der psychologischen Erkenntniss einer
Willenshandlung der für die Deduction in Betracht kommende
logische Charakter derselben bestimmt werden kann. (Vgl. oben
S. 575.)
Die zweite Form der Rechtsdeduction ist die Anwendung
allgemeiner Rechtsbegriffe auf die Interpretation spe-
cieller Rechtsregeln. In diesem Falle handelt es sich zunächst
um lediglich wissenschaftliche Fragen, die aber nicht selten aus
Anlass einzelner Erfahrungen aufgeworfen werden und darum auch
wieder auf die Beurtheilung specieller Thatsachen Einfluss gewinnen.
Jede Rechtsdeduction solcher Art geht von der Voraussetzung aus,
dass eine gegebene Rechtsordnung ein in sich widerspruchsloses
System sein müsse, und dass daher, wo ein Widerspruch sich zu
ergeben scheint, dieser wo möglich durch die Interpretation zu be-
seitigen sei. Die Interpretation geschieht nun aber auf dem Wege
der Deduction aus Rechtsdefinitionen, wobei man sich des Postulates
Rechtsdeduction und juristischer Thatsachenbeweis. 587
bedient, dass, wenn zwischen verschiedenen Rechtsdefinitionen ein
Widerspruch vorliegt, der allgemeineren der Vorzug einzuräumen
ist. Bei coordinirten Definitionen entscheidet daher der Umstand,
welche von ihnen mit allgemeineren Rechtsbegriffen übereinstimmt.
Meistens treten übrigens solche Gonflicte nicht zwischen den Rechts-
definitionen selbst, sondern zwischen Recht ss'ätzen hervor, welche
die Probe einer genauen begrifflichen Zergliederung noch nicht be-
standen haben ; und der scheinbare Widerspruch entspringt aus einer
Vieldeutigkeit des Ausdrucks, welche durch die von allgemeineren
Rechtsbestimmungen ausgehende Interpretation beseitigt wird. Die
Interpretation selbst beruht wieder auf Subsumtionsschlüssen , in
die Begriffsanalysen als Hülfsoperationen eintreten. Als specielle
Form überwiegt hier der exemplificirende Subsumtionsschluss.
(Bd. I, S. 334.)
Eine Art Zwischenform zwischen dieser und der vorigen Art
der Rechtsdeduction bildet die Prüfung von Rechtsentschei-
dungen, wie sie z. B. von der höheren Rechtsinstanz an den Ur-
theilen des ersten Richters geübt wird. Insofern es sich darum
handelt, einen Rechtssatz von concreter Beschaffenheit an den all-
gemeinen Rechtsbegriffen zu prüfen, gehört das Verfahren der zweiten
Form an ; sobald aber dabei ausserdem eine Prüfung der Thatsachen
selbst stattfindet, kommt zugleich die erste Form zur Anwendung.
Ganz zu scheiden von der Rechtsdeduction ist der juristische
Thatsachenbeweis. Er dient dazu, jene Thatsachen, welche die
erste Form der Deduction allgemeinen Regeln subsumiren soll,
sicherzustellen und auf diese Weise den Stoff für die speciellen
R«chtsdeductionen herbeizuschaffen. Demgemäss besitzt dieses Ver-
fahren durchaus den Charakter eines Inductionsbeweises (Bd. II,
1, S. 75), und specifisch juristische Principien kommen bei ihm gar
nicht zur Geltung, da mit der Feststellung des Thatbestandes erst
die Anwendung der Rechtsbegriffe auf denselben beginnen kann.
Der Charakter menschlicher Handlungen bringt es nun mit sich,
dass eine derartige Induction unter Umstanden höchst einfach und
überzeugend, manchmal aber auch ausserordentlich schwierig und
unsicher sein kann. Ersteres ist der Fall, wenn die Thatsache selbst
durch eine grössere Zahl zuverlässiger Beobachter festgestellt ist,
letzteres dann, wenn sie nur auf Grund mehrdeutiger Indicien vermuthet
wird. Das aus praktischen Gründen begreifliche Streben, der hieraus
entspringenden Unsicherheit zu steuern, hatte im Verein mit über-
triebenen Vorstellungen von der rechtsbildenden Ejraft der Gesetz-
I
588 Logik der GeseUschaitowissenschaften.
gebung im älteren deutschen Recht zur willkürlichen Feststellung
gewisser Merkmale geführt, deren Vorhandensein für die richterliche
Annahme oder Verwerfung der Thatsachen entscheidend sein sollte.
Diese formale« Beweistheorie ist eine merkwürdig unlogische Ab-
normität innerhalb der sonst so logischen Jurisprudenz. Sie wider-
spricht so offenkundig allen Regeln der Induction, dass sie nur eine
schwache Stütze in der Fiction findet, der Gesetzgeber müsse, um
jeder Rechtsunsicherheit vorzubeugen, nöthigenfalls von Rechts w^en
feststellen, was als Thatsache zu betrachten sei. Die neuere Rechts-
übung ist daher im Anschlüsse an die römische Auffassung überall
zu einer materialen Beweistheorie übergegangen. Sie stellt den
Grundsatz auf, dass jeder einzelne Fall aus sich selbst zu beurtheilen
sei. Für die Entscheidung der Frage, von wem der Beweis zu
führen, ob von den Organen der Rechtspflege selbst oder den recht-
suchenden Personen, und wie unter den letzteren die Beweislast zu
vertheilen sei, werden hierbei Grundsätze der socialen Ethik und
Gesichtspunkte praktischer Zweckmässigkeit massgebend, die sich
einer allgemeineren logischen Betrachtung entziehen.
Beachtenswerth für die letztere ist nur die Thatsache, dass
die erste der obigen Fragen zugleich als logisches Kriterium ge-
dient hat, nach welchem die Gebiete des öffentlichen Rechts
und des Privatrechts sich scheiden. Gerade darum aber mag
es zweifelhaft sein, ob diese Gebiete für alle Zeit in derjenigen Form
einander gegenüberstehen werden, die sich wesentlich im Anschlüsse
an die römische Rechtsentwicklung ausgebildet hat. Wenn das Ge-
bot des öffentlichen Wohles das Verbrechen des Einzelnen der Privat-
klage des Beschädigten enthebt, um die Last des vollen Beweis-
verfahrens den Organen des Staats zuzuweisen, so ist es augen-
scheinlich, dass das nämliche Gebot zahlreiche sociale Einrichtungen,
die ursprünglich als Unternehmungen Einzelner entstanden sind,
allmählich der individuellen Willkür entziehen kann. Die Aus-
dehnung, die dieser Entwicklung in der Zukunft noch bevorstehen
mag, ist unabsehbar. Sie wird voraussichtlich in erster Linie von
den fortan dem Wandel unterworfenen socialen Zuständen und von
der mit zunehmender Gultur wachsenden Ausgleichung der persön-
lichen Interessen und Bedürfhisse abhängen — Bedingungen, die fOr
die sich gleich bleibende Aufgabe des Rechts, zwischen dem 6e-
sammtinteresse und den individuellen Lebenszwecken ein befriedigen-
des Gleichgewicht herzustellen, immer wieder veränderte Lösungen
erfordern.
Gesellschaft und Gemeinschaft. 589
4. Die Frincipien der Sociologie.
a. Gesellschaft und Gemeinschaft.
Der Begriff der Gesellschaft hat im Laufe der Zeit drei
wesentlich verschiedene Bedeutungen angenommen, die theils auf
Grund allgemeiner wissenschaftlicher Anschauungen theils unter dem
Einflüsse specifisch juristischer Begriffe zur Ausbildung gelangt sind.
Nach der ersten und ursprünglichsten dieser Bedeutungen bezeichnet
die Gesellschaft jede freie Vereinigung Einzelner, wie sie von selbst
aus dem Zusammenleben der Menschen und aus dem Bedürfniss des
Verkehrs hervorgeht. Die Gesellschaft in diesem Sinne steht als
die loseste aller menschlichen Verbindungen den verschiedenen Formen
der Gemeinschaft gegenüber, die, namentlich in der Form der
Familien-, Stammes- und Staatsgemeinschaft, eine zu dauernden
Zwecken entstandene Einheit, nicht, wie die Gesellschaft, eine zur
Befriedigung vorübergehender Bedürfnisse gebildete und darum jeden
Augenblick von den Einzelnen selbst wieder zu lösende Vereinigung
darstellt. Das entscheidende Merkmal, an dem sich diese Begriffe
innerhalb des sie umfassenden Allgemeinbegriffs des Zusammen-
lebens zu Gegensätzen entwickelt haben, besteht denmach darin,
dass in der Gesellschaft der Wille des Einzelnen frei bleibt, während
er sich in der Gemeinschaft einer umfassenderen Willenseinheit unter-
ordnet. In die ursprünglichen Gemeinschaftsformen wird der Ein-
zelne hineingeboren, und wie die Verbindung ohne seine Zustimmung
entstanden ist, so vermag er sich auch nicht nach bloss eigener
Willkür aus ihr zu lösen. Dieser dauernderen von dem Einzel-
willen unabhängigeren Natur der Gemeinschaft entspricht zugleich
ihr allgemeinerer Zweck. Wie dieser bei der Gesellschaft ein
individueller, so ist er bei der Gemeinschaft ein allen Mitgliedern
derselben gemeinsamer Lebenszweck; daher auch filr das Zweck-
gebiet einer jeden Gemeinschaft vor allem die Theilung der Zwecke
massgebend ist, die sich zwischen den verschiedenen neben einander
bestehenden Gemeinschaften ausgebildet hat. Diese sind stets über
und neben einander geordnet Bestandtheile eines zusammengehörigen
Gemeinschaftsganzen, wobei sie in die gemeinsamen Lebenszwecke
dieses Ghmzen sich theilen. In diesem Sinne ist daher jede Ge-
meinschaft eine organische, von bestimmten Zwecken regierte
590 Logik der Gesellschaftswissenflchaften.
Einheit, und die Verbindung einer Anzahl solcher Einheiten zu
einem grösseren Gemeinscbaftsganzen bildet abermals eine ähnliche
Einheit von zusammengesetzterem Charakter. Im Gegensätze dazu
bleibt die GeseUschaft immer nur eine Vielheit von Individuen: sie
ist keine organische Einheit, sondern ein Aggregat.
Das menschliche Zusammenleben hat nun aber im Laufe seiner
Entwicklung allmählich Formen der Verbindung hervorgebracht, die
sich nach ihrer allgemeinen Bedeutung zwischen jene ursprünglichen
Begriffe der Gesellschaft und der Gemeinschaft als Zwischenformen
einschieben. Sie sind im allgemeinen dadurch entstanden, dass sich
innerhalb der Gesellschaft besondere Vereinigungen zum Behuf der
Verfolgimg neuer, durch die fortschreitende Cultur entwickelter
Lebenszwecke bildeten, die durch die Unterwerfung der Einzelwillen
unter den gemeinsamen Zweck und durch die Organisation, die die
Verfolgung dieses Zwecks erzeugte, das Wesen wahrer Gemein-
schaften annehmen mussten. Jenen ursprünglichen Gemeinschafts-
formen der Familie, des Stammes, des Staates gegenüber sind sie
in gewissem Sinne künstliche Gemeinschaften, die aus der selbst
nicht organisirten, aber in hohem Masse organisationsfähigen Gesell-
schaft heraus entstanden sind und fortan von neuem entstehen, frei-
lich aber auch gelegentlich sich wieder in die Gesellschaft aus der
sie hervorgingen auflösen können. Es ist ohne weiteres ersichtlich,
dass diese Processe der Gemeinschaftsbildung aus der Gesellschaft und
ihrer Wiederauflösung in die Gesellschaft mannigfach auch auf die
ursprünglichen Gemeinschaftsformen zurückwirken. So hat der Stamm
in der Gulturgesellschaft sich aufgelöst, um durch den Staat und
die sich ihm unterordnenden engeren Gemeinschaftsbildungen ersetzt
zu werden. So ist ferner die Familie bei der monogamischen Ehe
eine fortwährend aus der Gesellschaft sich neubildende Gemeinschaft
geworden, die das individuelle Leben des ihren Mittelpunkt bilden-
den Eltempaars nur in schwachen gesellschaftlichen Nachwirkungen
überdauert. So ist endlich für den Staat neben seinem natürlichen
Hervorwachsen aus der Stammesgemeinschaft die Neubildimg aus
gesellschaftlichen Umwälzungen und Kämpfen die wahrscheinlich
häufigere Entstehungsform ; und dieser Neubildung stehen als noth-
wendige Begleiterscheinungen die Auflösung vorhandener Staats-
gemeinschaften oder ihr durch irgend welche Umbildungen und
Katastrophen vermittelter Uebergang in neue politische Einheiten
gegenüber. In noch weit mannigfaltigerer Weise ergreifen aber
natürlich diese Umwandlungen, Auflösungen und Neubildungen die
Qesellschaft und Gemeinschaft. 591
zwischen die Gesellschaft und die ursprünglichen Oemeinscbaffcs-
formen sich einschiebenden Verbindungen, die selbst schon die
mannigfachsten Uebergänge zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft
baden, indem sie bald zu festen Lebensyerbänden werden können,
bei denen der ursprüngliche Zweck eine Fülle weiterer demselben
an sich fremder Lebenszwecke assimilirt, bald aber verhältniss-
mässig lose und vorübergehende Sonderyerbindungen darstellen, die,
durch gewisse beschränktere Zwecke zusammengehalten, von der
unablässig fluctuirenden Gesammtmasse der Gesellschaft sich aus-
sondern.
In Anbetracht dieser unendlich verschiedenen Abstufungen
zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft hat denn auch das Recht
und die der Rechtsbildung folgende juristische Begriffsbildung das Be-
dürfniss empfunden, wenigstens die hauptsächlichsten dieser Ueber-
gangsformen auseinanderzuhalten. So betrachtet man als „Gesell-
schaft* (Societas) im engeren juristischen Sinne die freie, durch
Vertrag oder ausdrückliche Willenserklärung erfolgende Verbindung
Einzelner zu bestimmten individuellen oder allgemeinen Zwecken.
Zur 9 Genossenschaft* wird eine solche Vereinigung dann, wenn
deren Mitglieder gemeinschaftliche Verpflichtungen eingehen, durch
die sie den Charakter einheitlicher Rechtssubjecte gewinnen. Da
der gewöhnliche Anlass zum Eingehen solcher Verpflichtungen in
wirthschaftlichen Erwerbszwecken besteht, so hat sich der an sich
einer weiteren Ausdehnung fähige Begriff der Genossenschaft in der
neueren Zeit, die die Neubildung solcher Verbindungen aus dem
Schosse der Gesellschaft heraus begünstigte, wesentlich auf Erwerbs-
und Wirthschafbsgenossenschafben eingeschränkt. Weil hierbei die
gemeinsame Verpflichtung eines öffentlichen Schutzes bedarf, welcher
der Pflicht gewisse Rechte gegenüberstellt, so hat die Genossen-
schaft, im Unterschiede von der bloss den allgemeinen Vertrags-
pflichten unterstehenden engeren Gesellschaft oder Societas, bereits
den Charakter einer auf einer besonderen öffentlichen Anerkennung
beruhenden Rechtsgemeinschaft '^). Ihre Existenz beruht auf der ihr
*) Ob diese Anerkennung in jedem einzelnen Fall oder für bestimmte
Verbandsformen ein für aUemal geschieht, kommt für den allgemeinen Cha-
rakter dieser socialen Zwischenbildungen nicht in Betracht und wird gegen-
wärtig noch Ton der Gesetzgebung verschiedener Länder, je nachdem diese
vorwiegend imter dem individualistischen Einfluss des römischen oder unter
dem collectiTistiBchen des deutschen Rechts steht, Terschieden geordnet. Vgl.
Oierke, Deutsches Priyatrecht, I, S. 468.
592 Lo^k der (lesellschaftswiBseiischaften.
durch diese Anerkennung yerliehenen Fähigkeit ihre Hechte ebenso-
wohl den eigenen Genossen wie andern Rechtssubjecten gegenüber
zu wahren. Sie ist daher in Bezug auf die von ihr yerfolgten
wirthschaftlichen Gemeinschaftszwecke ein der individuellen Persön-
lichkeit analoges Rechtssubject. Die Genossenschaft wird endlich
zur „Körperschaft" (Corporation), wenn die gemeinsam erstrebten
Zwecke eine Verbindung der Genossen zu einem organischen Ganzen
herbeifahren, das die Fähigkeit der selbstthätigen inneren Entwick-
lung besitzt, eine Fähigkeit die sich namentlich in der selbständigen
Veränderung und Erweiterung der Gemeinschaftszwecke ausspricht
Bei der Genossenschaft ruht daher der Schwerpunkt der Bedeutung
des Begriffs auf dem gesellschaftlichen Ursprung, bei der Körper-
schaft auf der einheitlichen Natur der Vereinigung. Dem entspricht
es, dass die Gorporationen des ehemaligen deutschen Rechts zum
Theil in weitem Umfang selbst zu einer actiyen Rechtsbildimg be-
fähigt waren. In dem Masse als unter der wachsenden Uebermacht
der mächtigsten aller Gemeinschaften, des Staates, diese Selbstän-
digkeit der engeren Gemeinschaften hinfallig wird, verwischen sich
natürlich diese Unterschiede, die daher überhaupt ebensowohl eine
geschichtliche wie eine systematische Bedeutung besitzen, insofern
sie Gemeinschaftsformen bezeichnen, die unter wechselnden zeitlichen
Bedingungen für einander eintreten. Zuerst lösen sich die Gorpo-
rationen in der Gesellschaft auf, damit dann später unter dem Drang
der Lebensbedingungen und des gegenseitigen Schutzbedürfhisses aus
dieser wieder Genossenschaften heryorgehen. Und in andern Fällen,
wo die Corporation dereinst allgemeine Zwecke verfolgte, tritt sie
ihre Rechte ganz oder doch mit so geringen Resten ehemaliger
Selbständigkeit an den Staat ab, dass der Begriff der Körperschaft
zu einer Spielart des Gesellschaftsbegrififs in seiner losesten Form
wird, indem er die Vereinigung derjenigen bezeichnet, denen von
irgend einer umfassenderen Gemeinschaft, Staat oder Gemeinde, ein
bestimmter Pflichtenkreis zugewiesen ist, dessen Erfüllung eine ge-
wisse Gemeinschaft des Lebens Toraussetzt. In diesem Sinne be-
zeichnet man etwa die Lehrerschaft einer Hochschule, den hohen
Adel eines Landes und andere ähnliche Berufs- und Standesverbände
als n Gorporationen'. Natürlich ist hierüberall von dem juristischen
Corporationsbegriff nicht mehr die Rede; aber eine Art geschicht-
licher Nachwirkung des letzteren ist doch in vielen Fällen noch
insofern vorhanden, als derartige gesellschaftliche Verbindungen nicht
selten aus einstigen wahren Corporationen hervorgegangen sind und
Gesellschaft undGremeinschafb. 593
daher auch in Anschauungen und Sitten Reste solcher untergegan-
gener Formen bewahrt haben.
Die Folie der Begriffe, die so durch die Bildung dieser zwischen
der Gesellschaft in ihrer ursprünglichsten Bedeutung und den wesent-
lichsten Gemeinschaftsbegriffen sich einschiebenden Uebergangsglie-
der entstanden ist, hat nun endlich, als den Schlussstein dieser
Entwicklung, einen Allgemeinbegriff erforderlich gemacht, der alle
jene speciellen Formen menschlicher Verbindung wieder umfasst. Die
Entstehung dieses Begriffs ist eine noth wendige Folge davon, dass
eben die Verbindung Einzelner das bei allen Formen der Gesell-
schaft und der Gemeinschaft überall wiederkehrende Merkmal ist.
Ein solch gemeinsames Merkmal rechtfertigt an und für sich einen
Classenbegriff, dem die besonderen Formen je nach den weiter hin-
zutretenden Merkmalen systematisch untergeordnet werden können.
Zur Bezeichnung dieses allgemeinsten Begriffs eignet sich aber
in Ermangelung eines besonderen Namens, unter allen yorhandenen
Formen nur diejenige, die der losesten Verbindung entspricht, also
wiederum die , Gesellschaft''. Denn jede aus irgend welchen Ghrün-
den engere Gemeinschaftsform hat an und für sich auch alle die
Eigenschaften, die einem loseren Verbände zukommen. Höchstens
könnte dieser Uebertragung das Bedenken entgegengestellt werden,
dass der ursprüngliche Begriff der Gesellschaft immerhin einen un-
mittelbaren persönlichen Verkehr der Individuen voraussetze, wie er
bei gewissen Gemeinschaftsformen, z. B. beim Staate, durchaus nicht
mehr stattfindet. Aber gerade in dieser Beziehung hat der wachsende
Umfang des menschlichen Verkehrs jene Bedingung allmählich in
den Hintergrund treten lassen, so dass auch f&r die Gesellschaft in
ihrer ursprünglichen Bedeutung der directe persönliche Verkehr zwi-
schen aUen Mitgliedern der nämlichen Gesellschaft nicht mehr vor-
ausgesetzt wird. Damit ist aber ohne weiteres jene letzte wissen-
schaftliche Erweiterung des Begriffs nahegelegt, nach der die Ge-
sellschaft als der allgemeine Zusammenhang betrachtet wird, der
alle besonderen Verbände, die wir theils als speciellere Gesell-
schaftsformen theils als Arten der Gemeinschaft betrachten, in sich
schUesst. Hierbei nimmt nun dieser letzte und weiteste Gesellschafts-
begriff gleichzeitig eine formale und eine reale Bedeutung an.
Formal ist die , Gesellschaft*' der Allgemeinbegriff, dem alle jene
specielleren Begriffe als seine Arten unterzuordnen sind. Real aber
bezeichnet sie die Gesammtheit der Individuen, die eine durch be-
stinunte zeitliche und räumliche Begrenzungen näher definirte, in
Wnndt, Logik, n, s. s. Anfl. 38
594 Logik der GesellschaftswisseiiBchaften.
einzelne Gesellschaften und Oemeinschaften gegliederte Verbindung
bilden. Die zeitlichen und räumlichen Grenzen , innerhalb deren
jener umfassendste GesellschaftsbegrifiP anzuwenden ist, können hier-
nach fast beliebig weit oder eng gezogen werden. In zeitlicher
Beziehung gilt nur die Bedingung, dass zwar jeder geschichtlich
gegebene Zeitpunkt gewählt werden kann, um irgend eine in
diesem Zeitpunkt vorhandene Verbindung von Menschen als eine
Gesellschaft zu betrachten, dass aber doch ein relativ beharrender
Zustand dazu unerlässlich ist. Die Vereinigungen der Menschen in
verschiedenen Perioden der Geschichte bilden nicht eine Gesell-
schaft, sondern verschiedene Gesellschaften, mögen diese auch durch
eine stetige Entwicklung mit einander verbunden sein. In räum-
licher Beziehung findet der Begriff nach oben hin erst in dem Be-
griff der gesanmiten gleichzeitig lebenden Menschheit, insofern die
Glieder derselben überhaupt nur in irgend welchen Verkehrs- und
Gulturbeziehungen zu einander stehen, seine Grenzen. Dieser räum-
lich umfassendste Gesellschaftsbegriff ist aber das Product einer ge-
schichtlichen Entwicklung, im Laufe deren er sich fortwährend er-
weitert hat, so dass erst seit wenig mehr als einem Jahrhundert
die Begriffe der ,, Menschheit" und der „menschlichen G^eUschaft*
nahezu identisch geworden sind. Diese letzte Erweiterung greift nun
freilich den Thatsachen vor, indem sie die Theile der Menschheit,
die gegenwärtig noch dem allgemeinen Gulturverkehr entzogen sind,
diesem einstweilen schon zurechnet. Darin verräth sich deutlich der
Zusammenhang dieses letzten Gesellschaftsbegriffs mit ethischen For-
derungen, wie denn ja auch dieser Begriff, durch das christliche
Humanitätsideal auf religiösem Boden vorbereitet, in dem verwelt-
lichten Humanitätsbegriff des Aufklärungszeitalters seine nächste
Quelle hat. Als untere räumliche Grenze dieses allgemeinen Gesell-
schaftsbegriffs ergibt sich aber die Bedingung, dass derselbe stets
einer Vielheit zusammenlebender Menschen entsprechen muss, die
noch in einzelne Gesellschaftsgruppen oder Gemeinschaften zerfallt.
Die sämmtlichen räumlich zusammenlebenden, aus mehreren Einzel-
familien bestehenden Inwohner eines Dorfes oder Gehöftes bilden
also die engsten Grenzen für diesen allgemeinen Gesellschaftsbegriff.
Die Bewohner eines einzelnen Hauses innerhalb eines grösseren Be-
völkerungscomplexes entsprechen ihm dagegen deshalb ziicht mehr,
weil ihre örtliche Verbindung keine die Gesammtheit der Lebens-
verhältnisse bestimmende Begrenzung gegenüber ihrer nächsten Um-
gebung bedingt. Für die Einzelfamilie endlich wird, auch wenn sie
Gesellschaft und Gemeinschaft. 595
etwa als einzige Bewohnerschaft eines Ortes dem Merkmal der räum-
lichen Sonderang zureichend entsprechen sollte, der BegrifiP deshalb
hinfallig, weil er hier unmittelbar in einen der speciellen Gesell-
schaftsbegriffe, nämlich in den der Familiengemeinschaft, übergeht.
Neben diesen allgemeinen Bedingungen pflegen die einzelnen
Socialwissenschaffcen noch besondere Anforderungen zu stellen, die
erfbllt sein müssen, wenn sie einer räumlich und zeitlich begrenzten
Gresammtheit den allgemeinen Charakter der Gesellschaft zuerkennen
sollen. So verlangt die Rechtswissenschaft irgend welche, wenn auch
nnr durch die Gewohnheit begründete, gemeinsame Rechtsnormen ;
die Wirthschaftelehre verlangt mindestens die Anfänge eines auf
Arbeitstheilung und Tausch begründeten wirthschaftlichen Verkehrs.
Aber wenn man auch zweifellos von einer Rechts- oder einer
Wirthschaftsge Seilschaft erst dann reden kann, wenn diese
Bedingungen erfüllt sind, so würde es doch ebenso wenig berechtigt
sein, für den allgemeinen Begriff der Gesellschaft diese Merkmale
zu fordern, als wenn man noch andere, die den höher entwickelten
Stufen der Gesellschaft eigenthümlich sind, wie z. B. gemeinsame
Literatur und Kunst, als Merkmale der Gesellschaft überhaupt be-
trachten wollte. An sich wird vielmehr jener allgemeinste Begriff
der Gesellschaft überall dort als verwirklicht anzusehen sein , wo
irgend welche allgemein menschliche Eigenschaften eine Verbindung
zwischen einer Vielheit Zusammenlebender herstellen; und principiell
wird daher eine Verbindung, die bloss durch Sprache, Sitte und
gemeinsame Vorstellungen vermittelt ist, ebenso gut als eine Gesell-
schaft zu gelten haben wie eine solche, die auf gemeinsamer Rechts-
bildung oder auf wirthschaftlichem Verkehr beruht. Praktisch aber
ist die Subsumtion von Verbindungen ersterer Art um so noth-
wendiger, als sie jedenfalls die ursprünglichen Formen der Gesell-
schaft sind, aus denen sich Rechts-, Wirthschafts- und andere Cultur-
geseUschaften allmählich entwickelt haben.
Jede Art der Gesellschaft, von der losesten, zu einem be-
stimmten einzelnen Zweck entstandenen Association an bis zu dem
&Ue wichtigeren Lebensgebiete umfassenden Stammes- und Staats-
verband, vereinigt in sich die logischen Momente der Einheit und
des Zusammenhangs. Von ihnen ist die Einheit, ebenso wie die
sämmtUchen durch die Wiederholung der Einheit gebildeten Zahl-
begriffe, ein formaler, der Zusammenhang aber ein realer Be-
griff. Denn jener bezieht sich nur auf die logische Verbindung eines
596 Logik der GesellBchaftswissenschafbetL
Ganzen ohne Kücksicht auf die Existenz irgend welcher Inhalts-
merkmale, durch die eine solche Verbindung zu Stande kommt
Dieser dagegen entspringt unmittelbar aus den Beziehungen, die die
Bestandtheile eines Ganzen yermöge ihrer inneren Eigenschaften dar-
bieten. Darum erstreckt sich der EinheitsbegrifiP ebensowohl auf
das inhaltlich Einfache, auf das der Begriff des Zusammenhangs gar
nicht anwendbar ist, wie auf das beliebig Zusammengesetzte. Nur
im ersteren Fall, in der Anwendung des Einheitsbegriffs auf das
Einfache, kann man die formale zugleich eine reale Einheit nennen,
weil sie allein hier nicht bloss die einheitliche logische Auffassung,
sondern auch f&r das aufzufassende Object selbst die Abwesenheit
jener realen Beziehungen der Theile anzeigt, die an sich nur bei
einer zusammengesetzten Einheit möglich sind. In diesem Sinne ist
schon die individuelle Seele keine reale, sondern nur eine formale
Einheit. Sie ist aber zugleich ein realer Zusammenhang und würde
natürlich ohne ein solcher zu sein gar keine formale Einheit sein
können. (Vgl. oben Cap. 11, S. 247.)
In der Anwendung auf die Gesellschaftsbegriffe hat nun der
Individualismus des 17. und 18. Jahrhunderts einseitig die formale
Natur dieser Einheitsbegriffe betont, womit dann die meist ebenso
energische Hervorhebung der realen Natur des Individuums zu-
sammenhing, indem man dieses insbesondere nach seiner hier allein
in Betracht kommenden psychischen Seite nicht als einen realen Zu-
aammenhang, sondern als eine reale Einheit oder als eine einfache
Substanz ansah. Diese Anschauung war getragen einerseits von
einer wesentlich verschiedenen praktischen Werthschätzung der
individuellen und der gesellschaftlichen Einheiten und anderseits von
entsprechenden Vorstellungen über die Entstehung beider. In
ersterer Beziehung galt die individuelle Persönlichkeit als der ein-
zige reale Zweck des menschlichen Daseins, die Gesellschaft in ihren
mannigfaltigen Gestaltungen aber nur als ein Mittel zur Erreichung
individueller Zwecke. In letzterer Beziehung wurde die Bildung
jeder Art socialer Vereinigungen als ein willkürlich und absichtlich
von den Einzelnen im Hinblick auf die zweckmässigste Erreichung
jener Zwecke ins Werk gesetzter Vorgang betrachtet. Hingen auf
diese Weise individualistische und rationalistische Denkweise auf das
engste zusammen , so verband sich aber mit beiden ebenso noth-
wendig eine unhistorische Betrachtung des menschlichen Gesell-
schaftslebens, indem naturgem'äss eine erhebliche Veränderung jener
individuellen Daseinszwecke nicht zugegeben werden konnte und da-
Organisation der Geaellsohaft. 597
her auch die zur Erreichung derselben zweckmässigste Form gesell-
schaftlicher Verbindung als eine allgemeingültige angesehen wurde.
Eine weitere Folge war es, dass man sich über die unendlich mannig-
faltigen Gestaltungen des gesellschaftlichen Lebens und der socialen
Verbände nur ganz unzureichend Rechenschaft gab. Vom Stand-
punkte einer Auffassung aus, für die überhaupt nur die Individuen
RealitiLt hatten, musste nothwendig der nämliche Begriff der „ Gesell-
schaft'' auf alle möglichen Formen angeblich willkürlicher Ver-
einigung der Einzelnen gleichmässig anwendbar sein.
Diese Anschauung , die in den Doctrinen von der einfachen
individuellen Seelensubstanz, vom Gesellschaftsvertrag, von dem allem
positiven Recht vorausgehenden und daher überall wiederherzustellen-
den Naturrecht, endlich auch in der Forderuog des absolut freien
Arbeitsvertrags und der unbeschränkten Selbstregulirung der indivi-
duellen Interessen durch unbeschränkte Goncurrenz oder gelegentlich
sogar in der Forderung einer an die Stelle der Staatsorganisation
tretenden bloss conventionellen Organisation von Fall zu Fall und
in andern ähnlichen Lehren ihren Ausdruck fand, ist zuerst in ihren
geschichtlichen, dann in ihren socialwissenschaftlichen und endlich
auch in ihren psychologischen Voraussetzungen als irrthümlich er-
kannt worden. Geschichtlich ist die Lehre vom Gesellschafts-
vertrag eine der unhaltbarsten Fictionen, die es jemals gegeben hat.
Denn Geschichte und Völkerkunde vereinigen sich, um darzuthun,
dass der primitive Stammesverband eine feste sociale Einheitsform
ist, in die der Einzelne hineingeboren wird, und die seiner indivi-
duellen Freiheit nur einen geringen Spielraum lässt. Die Geschichte
lehrt weiterhin, dass erst mit der Bildung umfassenderer Verbin-
dungen zugleich losere und mannigfaltigere Gesellschaftsformen auf-
treten, in deren Bildung wie Untergang aber fortan die natürlichen
socialen Triebe eine wesentliche und insbesondere bei den bestän-
digsten der socialen Verbände, der Familie und der Volksgemein-
schaft, eine entscheidende Rolle spielen. Die Socialwissenschaft
lässt femer erkennen, dass der allgemeine Begriff der Gesellschaft
die verschiedensten Formen menschlicher Vereinigung umfasst, so
dass auch jene Gegensatzbegriffe der Gesellschaft im engeren Sinne
und der Gemeinschaft, durch die oben die wesentlichsten der hier
vorkommenden Unterschiede angedeutet wurden, nur die Grenzpunkte
abgeben, zwischen denen die mannigfachsten Uebergänge vorkommen
— Uebergänge unter denen die der „ Vertragsgesellschaft " , wiBlche
die individualistische Gesellschaftstheorie zum allgemeinen Typus ge-
I
I
598 Logik der GresellschaftswissenBcliaften.
wählt hat, eine verhältnissmässig spät entwickelte Form ist. Vermag
nun auch diese Form auf die Entstehung der einer ursprünglicheren
Bildungsweise folgenden Verbindungen zurückzuwirken, so kann sie
doch niemals denselben ihr ursprüngliches Wesen ganz rauben. Viel-
mehr wirkt die in den Grundeigenschaften unverändert bleibende
sociale Natur des Menschen darin stets auch unter yerwickelteren
und der Reflexion einen weiteren Spielraum gönnenden socialen Ver-
hältnissen nach, dass Gesellschaftsformen, die zunächst als Vertrags-
verbände entstanden sind, in natürliche, durch Gemeinschaftsgefühle
und -triebe zusammengehaltene Verbände übergehen, und dass solche
Triebe, yermöge ihres natürlichen Einflusses auf das reflexionsmässige
und willkürliche Handeln, sogar bei der anfänglichen Entstehung
sonst planmässiger Verbindungen eine mitwirkende Rolle spielen
können. Das augenfälligste Beispiel dieser Art ist die Ehe, die
durch Sitte und Recht die Form einer Vertragsyerbindung ange-
nommen hat, bei der aber doch diese Form einen Inhalt birgt, der
auch in seiner socialen Bedeutung durch den eingegangenen Vertrag
nicht entfernt erschöpft wird. Das nämliche gilt aber in gewissem
Grade für Vertragsverbindungen jeder Art, und das um so mehr, je
mehr geistige Interessen und Mannigfaltigkeit der Zwecke ins Spiel
kommen.
Das letzte und entscheidende Zeugniss legt endlich die Psycho-
logie ab. Nachdem sich in ihr die Erkenntniss Bahn gebrochen
hat, dass das Wesen der Seele in der unmittelbaren Wirklichkeit
der seelischen Erlebnisse selbst bestehe, gilt yor allem für die Be-
urtheilung des Verhältnisses des Einzelnen zur Gemeinschaft der
Grundsatz: „so yiel Actualität so yiel Realität!'' Wie schon
das geistige Wesen des Einzelnen formal eine Einheit, real aber ein
Zusammenhang geistiger Erlebnisse ist, so auch das der Gemein-
schaft. Nur ist sie ein Zusammenhang höherer Ordnung, indem sich
in ihr nicht indiyiduelle Erlebnisse, sondern Indiyiduen mit bestimmten
ihnen gemeinsamen und zugleich in Wechselwirkung stehenden psychi-
schen Inhalten zu complexeren Einheiten verbinden. Sprache, Re-
ligion und Sitte sind die drei Lebensgebiete , in denen sich diese
Gemeinschaft des psychischen Lebens zugleich mit der schöpferischen
Synthese höherer Stufe, die aus ihr entspringt, am unmittelbarsten
bethätigt. Aber nach den gleichen psychologischen Gesetzen yoU-
ziehen sich auch in den Gebieten des sonstigen socialen Lebens die
Beziehungen und die Verbindungen der Einzelnen. Je mehr dabei
beschränkte und zugleich klar bewusste Zwecke in den Vordergrund
Gesellschaft und Gremeinschaft. 599
treten, um so stärker greift willkürliche Absicht in die socialen Bil-
dungen ein und ist an der Entstehung wie am Untergang derselben
betheiligt. Aber in den wesentlichsten Zügen ist hierbei der Vor-
gang doch kein anderer als bei der Sprache und Sitte, wo ebenfalls
mit steigender Cultur individuelle geistige Kräfte, z. B. bei der
Sprache einzelne hervorragende Schriftsteller , einen zunehmenden
Einfluss gewinnen, wo nun aber diese individuellen Wirkungen durch
die Assimilation die sie erfahren zu einem collectiven Besitz werden,
der in seinen weiteren Gefühls- und Yorstellungswirkungen zugleich
neue Entwicklungen anregt. Diese Wechselwirkungen zwischen dem
Einzelnen und der Gemeinschaft entsprechen durchaus dem fort«
währenden Uebergang planmässiger WUlkürhandlungen in einfache
triebartige Willensacte, wie sie schon das individuelle Seelenleben
darbietet« In der Gesellschaft und Gemeinschaft gestalten sich solche
üebergänge nur dadurch eigenthümlich , dass sich nicht bloss in
jedem Glied eines Ganzen ursprünglich planmässig gewollte all-
mählich in triebmässig gewollte Zwecke umwandeln, sondern dass
auch einzelne führende Personen zumeist den Trieben der Massen
ihre Impulse geben, worauf dann in beiden Fällen erst durch diese
intensiv oder extensiv geschehende Umwandlung des reflexions- in
ein instinktmässiges Wollen die Sicherheit und die Stärke der Wir-
kungen des gemeinsamen Handelns verbürgt wird. In allen diesen,
in bekannten geschichtlichen und socialen Erscheinungen zu Tage
tretenden abwechselnden Evolutionen socialer Triebe zu willkürlichen
Qesellschaftsacten , und in den an sie sich anschliessenden Involu-
tionen willkürlicher Handlungen Einzelner zu socialen Trieben, die
wiederum den Individuen sich mittheilen und in ihnen neue auf die
Gemeinschaft einwirkende Impulse anregen können , spiegeln sich
allgemeine Gesetze der Willensentwicklung — Gesetze deren Ver-
standniss daher für die Auffassung der socialen Erscheinungen von
grundlegender Bedeutung ist*).
*) In seinem gedankenreichen Buche «Gemeinschaft und Gesellschaft*
(1887) hat Ferd. Tönnies eine Theorie der Gresellschaftsentwicklnng auf*
gestellt, in der er anerkennt, dass alle socialen Bildungen mit einer ursprüng-
lichen Gemeinschaft heginnen, die nicht willkürlich geschaffen sei, sondern
durch die natürlichen Triebe ihrer Mitglieder zusammengehalten werde. Indem
aber mit wachsender Cultur diese ursprüngliche Gebundenheit sich löse, sollen
in jener (Gemeinschaft mehr und mehr willkürliche Vereinigungen der Einzelnen
entstehen, bis endlich die Gemeinschaft selbst durch eine solche auf willkür-
licher üebereinknnft beruhende und darum fQr verschiedene Zwecke wieder in
QQQ Logik der GesellBchaftswissenschaften.
Ihre Bestätigung findet diese Auffassung yon der realen, aber
naturgemäss je nach Werth und Umfang der Zweoke sehr verschie-
denen realen Bedeutung der GeseUschafts- und Gemeinschaftsformell
praktisch durch die Maximen, die auf den einzelnen Gebieten des
socialen Lebens als massgebend anerkannt werden. Der leitende.
Grundsatz, der sich hier mit zwingender Nothwendigkeit Gbltung
erringt, ist überall der, dass die Gesammtheit nicht lediglich um
der Zwecke des Einzelnen willen besteht, sondern dass namentUch
diejenigen Gemeinschaften, die dem Einzelnen gegenüber eine die
yerschiedensten Lebensgebiete umfassende Autonomie in Anspruch
nehmen, ausserdem allgemeine, den Einzelnen mit der geschicht-
lichen Gemeinschaft der Menschheit in Verbindung setzende Zwecke
Terschiedener Weise und Qruppirung eintretende G^ellschafb ersetzt werde.
So soll der Weg von der Gemeinschaft zur Gesellschaft oder vielmehr zu einem
System mannigfach interferirender und wechselnder Gesellschaften der thatsäch-
liehe Weg der socialen Entwicklung sein, und der Socialvertrag des Natorrechts
soll zwar nicht den Anfang dieser Entwicklung bilden, wie fölschlich Toraus*
gesetzt wurde, wohl aber das letzte Ziel, auf das dieselbe hinaasfiihre. Tönnies
bringt zugleich dieses Entwicklungsschema mit einer Willensunterscheidang in
Verbindung, die der der heutigen Psychologie geläufigeren in einfsichea oder
triebartiges und zusammengesetztes Wollen oder Wahl entsprechen dürfte. Die
ursprüngliche Gemeinschaft soll durch einen , Wesenwillen' zusammengehalten
werden; dieser soll aber mit der Ausbildung der Gesellschaft mehr und mehr
der «Willkür* weichen und zuletzt in den nach individuellen Bedürfnissen ge
schlossenen Sodalverträgen ganz durch diese ersetzt werden. Diese Theorie
begeht meines Erachtens den Fehler, dass sie von den drei oben angeführten
Zeugpiissen nur das erste, das historische, berücksichtigt, bei dem socialen aber
eine einseitige Abstraction an die Stelle der Wirklichkeit treten lässt, und end-
lich die psychologischen Entwicklungsformen von Trieb und Willkür zu dialekti-
schen Gegensätzen macht. Es ist zweifellos richtig, dass die uniforme, nicht
darch Willkür sondern durch sociale Triebe zusammengehaltene Gemeinschaft
der geschichtliche Anfang aller socialen Bildungen ist. Es ist ebenfalls richtig,
dass dieser Anfangszustand durch die Bildung mannigfacher Gemeinschafts- und
GeseUschaftsformen, bei deren Entstehung nicht mehr bloss Triebe sondern in
wachsendem Mass Willkür und klar bewusste sociale Zwecke eingewirkt haben,
abgelöst worden ist. Aber es ist nicht richtig, dass diese Differenzirung die
ursprünglichen socialen Triebe und die ursprünglichen Formen des Gesammt-
wiUens zerstört hat, oder dass sich irgend eine historische oder psychologische
Wahrscheinlichkeit dafür beibringen lässt, dies werde dereinst eintreten. Gerade
jene wichtigen psychologischen Vorgänge der Involution der Wahlhandlangen
in Triebe, die schon im individuellen Seelenleben eine überaus wichtige Rolle
spielen und dann, wie vor allem die Entwicklung von Sprache und Sitte lehrt.
im Gemeinschaftsleben eine wo möglich noch erhöhte Bedeutung gewinnen, hat
Tönnies bei seiner Construction übersehen.
Gesellschaft und Qemeinschaft. 601
verfolgen. So ist ebensowohl der Einzelne ein Werkzeug zur Voll-
bringung der Gemeinschaftszwecke, wie die Gemeinschaft fQr den
Einzelnen ein Httlfsmittel zur Erreichung seiner individuellen Lebens-
zwecke ist. Eine solche Wechselbeziehung ist nur möglich, wenn
die Gemeinschaft nicht bloss eine formale Einheit, sondern, wie die
einzelne Persönlichkeit selbst, zugleich ein reales Ganzes von
selbstöndigem Werthe ist. Zugleich hängt aber allerdings der Grad
und der Werth dieser Realität von der Beschaffenheit und dem
ümfiEmg der Gemeinschaftszwecke ab, nach denen auch das Wechsel-
verhältniss individueller und gemeinsamer Zwecke selbst sich be-
stimmt. Je beschränkter diese, um so mehr tritt die Gesellschaft
ganz in den Dienst der Einzelnen die sie zusammensetzen, je um-
fassender und dauernder, um so mehr wird die individuelle Persön-
lichkeit zum Organ der selbständigen Zwecke des Gbnzen. In dieser
Hinsicht bilden daher die socialen Verbände von den zu einzelnen
äasserlichen und eventuell vorübergehenden Zwecken gebildeten
Associationen an bis zu den über die wichtigsten Lebensgebiete sich
erstreckenden Volks- und Staatsgemeinschaften eine continuirliche
Beihe von Entwicklungen, deren Bedeutung auf jeder ihrer Stufen
keineswegs ein- für allemal fest bestimmt ist, sondern von den Be-
dingungen der geschichtlichen Entwicklung und von der von dieser
getragenen praktischen Lebensanschauung abhängt. Nach diesen
geschichtlichen Bedingungen scheinen Perioden eines vorwiegenden
Collectivismus und solche eines jenen verdrängenden Individualismus
in der theoretischen Lebensanschauung wie in ihrer praktischen Be-
thätignng zu wechseln, ohne dass aber wohl jemals anders als in
der abstract logischen Theorie die eine dieser Gesinnungen ohne
jeden Zusatz der andern möglich wäre. So ist denn auch unsere
heutige Rechts- und Staatsordnung jedenfalls thatsächlich durchaus
auf den Gedanken der selbständigen Realität der Gemeinschaft ge-
gründet, und dieser verschafft namentlich da sich Geltung, wo in-
dividuelle und collective Zwecke einander widerstreiten. Das klarere
Bewusstsein dieses Verhältnisses, das insbesondere auf volkswirth-
schaftlichem Gebiet den Individualismus immer mehr als eine in
ihrer einseitigen Durchführung unter heutigen Culturverhältnissen
unmögliche und fortan unmöglicher werdende Lebensanschauung
erkennen lässt, gestattet wohl die Vermuthung, dass auch in der
Zukunft eine noch weitere Ausbreitung dieser Anschauung und
namentlich eine tiefergreifende Rückwirkung derselben auf die Wirk-
lichkeit des socialen Lebens bevorsteht. Das wachsende Persönlich-
*602 Logik der Gesellschaflswisaeiuchafteo.
keitsbewusstsein der Individuen aller Lebenskreise steht damit keines-
wegs im Widersprach. Vielmehr geht gerade der extensiT aufs
äusserste gesteigerte Individualismus mit innerer Nothwendigkeit in
einen intensiven Gollectivismus über, weil dieser allein dem Bedürf-
niss nach freiester Bethätigung der Ejräfbe der Einzelnen genügen
kann. Diese Wechselwirkung kann momentan verkannt werden
— so erklären sich die absolut staatsfeindlichen Bestrebungen, die
gerade unserer Zeit strafferer Zusammenfassung aller socialen Kräfte
gelegentlich eigen sind — auf die Dauer muss sie aber nothwendig
durch alle Widerstände hindurch siegreich sich Bahn brechen*).
b. Die Organisation der Gesellschaft.
Alle socialen Verbindungen, der Staat sowohl wie die ihm
vorausgehenden, in ihm enthaltenen und über ihn hinausreichenden
Gesellschaftsformen, fallen insofern unter den allgemeinen Begriff
der Organisation, als bei ihnen stets die Individuen zu Gesammt-
heiten verbunden sind, in denen für sie nicht bloss gewisse gemein-
same Regeln gelten, sondern deren jede auch ein gegliedertes
Ganze darstellt, indem der Einfluss der Einzelnen auf die Fest-
stellung der gemeinsamen Normen sowie die Betheiligung an den
gemeinsamen Zwecken nach Art und Umfang verschiedene sind.
Dieser Unterschied charakterisirt überall die organisirte Gesell-
schaft gegenüber der blossen Menge, in der Jeder dem Andern
gleichwerthig ist oder wenigstens als gleichwerthig angesehen wird.
Im übrigen kann aber natürlich die Organisation wieder eine sehr
*) Vgl. zu obigem die psychologische Erörterung des Begriffs der geistigen
Gemeinschaft in Cap. I, S. 291 ff. und Ethik, 2. Aufl., S. 447 ff. In der heutigen
Rechts- und Staatswissenschafb hat, nachdem B eseler und einige andere Ver-
treter der deutschen Rechtswissenschaft in einzelnen Punkten vorangegangen, be-
sonders 0. Gierke in seinen historischen und systematischen Werken über das
Genossenschaftswesen die Bedeutung der Gemeinschaften als realer der Einzel-
person analoger Gesammtwesen zur Geltung gebracht. Vgl. Gierke, Die Ge-
nossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, besonders S. 121 ff.,
603 ff., Deutsches Privatrecht, I, S. 456 ff. Verwandte Gedanken vertritt, mehr
nach der politischen und wirthschaftlichen Seite gewandt, 0. Klöppel in seinem
viele treffende Ausführungen enthaltenden Buche »Staat und Gesellschaft ', 1887.
Auch die früher (S. 485 ff.) berührte organische Auffassung von Staat und
Volkswirthschafb steht in naher Beziehung zu diesen Anschauungen, üeber die
mit den obigen Fragen nahe zusammenhängenden Begriffe der Gesammtperson
und der Rechtsperson vgl. unten S. 611 ff.
Organisation der GeBellschaft. 603
verschiedenartige sein, und sie kann die verschiedensten Grade der
Ausbildung besitzen, von der nomadisirenden Horde an, die sich
von der „Menge* nur dadurch unterscheidet, dass sie der Führung
eines Häuptlings oder zeitweise auch bloss dem überwiegenden
Einfiuss einiger hervorragenden Mitglieder unterworfen ist, bis hin-
auf zu dem ausgebildeten Verfassungsstaat, der in einer sehr ver-
wickelten Weise in verschiedene theils neben einander geordnete
theils über einander greifende sociale Gruppen gegliedert ist, die
sammtlich selbst wieder in sich organisirt und sowohl mit einander
wie mit der sie umfassenden politischen Gesammtheit organisch ver-
bunden sind.
Alle diese Bildungen, die als letzte Einheiten selbständige
menschliche Individuen enthalten, können wir mit Rücksicht auf diese
ihre Zusammensetzung aus lebenden Persönlichkeiten als Personal-
organisationen bezeichnen. Da sie aus Einheiten bestehen, die
nicht nur selbst lebendig sind sondern sich auch zu einem Ganzen ver-
binden, das seinerseits wieder Lebenseigenschafben besitzt und zwischen
dessen Gliedern eine dem individuellen Organismus entsprechende
Functionstheilung stattfindet, so hat eine solche Personalorgamsation
im allgemeinen den Charakter eines zusammengesetzten Organis-
mus, der sich von dem individuellen eben nur dadurch unterscheidet,
dass seine Einheiten imd Glieder nicht bloss lebende Einheiten und
lebende Organe, sondern selbst schon Organismen sind — eine
Eigenschaft die allerdings sehr wichtige Unterschiede gegenüber
dem individuellen Organismus begründet, aber doch nicht daran
hindern kann den Begriff des Organismus überhaupt anzuwenden'*').
Insbesondere entsprechen diese zusammengesetzten Bildungen auch
darin dem individuellen Organismus, dass sie ursprünglich stets und
in vielen Fällen auch noch in ihren späteren Ent¥ncklungsformen
Producte einer Selbstorganisation sind, vermöge deren sich ent-
weder eine Gesammtheit zusammenlebender Individuen oder aus einer
grösseren Gemeinschaft irgend eine beschränktere durch bestimmte
Lebenszwecke zusammengeführte Anzahl solcher zu einer neuen
Einheit verbindet, die in irgend einer Weise jene Merkmale organi-
scher Gliederung erkennen lässt. Aber auch da wo eine derartige
sociale Verbindung nicht unmittelbar Product einer Selbstorganisation
sein sollte — wie z. B. wenn der Staat für einzelne in ihm ent-
*) Vgl. hierzu und zu dem folgenden mein System der Philosophie,
Abschn. VI, S. 596 ff.
^
604 Logik der GeseUschaftswiBseiischafteii.
haltene sociale Gruppen, Corporationen oder Gemeinden, eine gewisse
Organisation feststellt, oder wenn ein fremder Staat einem be-
stimmten Yolksthum willkürlich eine politische Verfassung auf-
zwingt — selbst in solchen, in besonderen geschichtlichen Be-
dingungen begründeten Fällen einer anscheinend ganz und gar künst-
lich von aussen her durchgeführten Organisation wird diese nur
dadurch möglich und lebensfähig, dass sociale Bedürfnisse und
ihnen entsprechende Triebe vorhanden sind, denen die ent-
stehende Organisation irgendwie adäquat ist. Dies gibt sich im all-
gemeinen daran zu erkennen, dass, wenn auch jener äussere direct
die Organisation bedingende Einfluss nicht vorhanden gewesen wäre,
doch von selbst in Folge der nämlichen socialen Triebe, die der
Wirkung der äusseren geschichtlichen Kräfte zu Hülfe kamen, irgend
eine Art gesellschaftlicher Ordnung, die dem gleichen Bedür&isse
genügte, hätte entstehen müssen, wenn dieselbe wahrscheinlich auch
eine wesentlich andere Form angenonunen hätte. Obgleich also die
Bedingungen der Selbstorganisation bei den socialen Bildungen sehr
viel variabler sind als bei den individuellen Organismen, entsprechend
den Einflüssen denen jene namentlich in Folge wandelbarer histo-
rischer Bedingungen unterworfen sind, so Uegt darin doch immer
nur ein grad weiser, kein qualitativer Unterschied, da auch dort
äussere Einflüsse eine bald deutlich nachweisbare, bald in dem Zu-
sammenfluss ursprünglicher Entwicklungsbedingungen schwer zu er-
messende Wirkung ausüben. Für alle Organisationen, mögen sie
nun individuelle oder sociale sein, gilt also der Satz, dass sie theils
Producte ursprünglicher, in den Einheiten aus denen sie bestehen
gelegener Anlagen sind, theils durch äussere natürliche und ge-
schichtliche Einflüsse in den besonderen Formen ihrer Entstehung
bestimmt werden. Dass diese äusseren Einflüsse bei den durch freie
Verbindung individuell selbständiger Organismen entstehenden Or-
ganisationen sehr viel mächtiger sind als bei den individuellen Or-
ganismen, aus denen sie sich zusammensetzen, ist aber leicht be-
greiflich. Denn bei dem Einzelorganismus gestattet der physische
Zusammenhang der Elemente den äusseren Einwirkungen nur einen
relativ geringen Spielraum, innerhalb dessen sie wirken können,
ohne den organischen Zusanunenhang überhaupt aufzuheben. Der
Gesammtorganismus dagegen kann bei der freien Beweglichkeit und
der relativ grossen Selbständigkeit seiner Einheiten, der individuellen
Organismen, innerhalb einer weit grösseren Breite äusserer Ver-
änderungen den socialen Bedürfnissen genügen und dabei immer
Organisation der Gesellfichaft. (>05
noch den Charakter einer zusammengesetzten organischen Einheit
bewahren.
Diese Beweglichkeit und Selbständigkeit der Theile und Glieder
innerhalb einer durch die. Verbindung von Individuen entstehenden
Selbstorganisation bringt es nun aber auch mit sich, dass jene Eigen-
schaft eines aus lebenden Einheiten bestehenden zusammengesetzten
Ganzen, das für den Begriff des Organismus erforderlich ist, in
sehr verschiedenem Grade ausgebildet sein kann. Der üebergang
von der blossen Organisation zum Organismus würde daher als ein
völlig fliessender erscheinen, wenn es nicht neben jenen Eigen-
schaften der Selbstorganisation und der Verbindung lebender Ele-
mente zu einer Einheit noch weitere Merkmale gäbe, die für die
Art dieser Verbindung charakteristisch sind, und deren Vorhanden-
sein oder Mangel darüber entscheidet, ob wir im gegebenen Fall
einer socialen Vereinigung bloss die Bedeutung einer Organisation
oder die eines Organismus im engeren Sinne des Wortes zuerkennen
werden. In der That gibt es zwei solche Merkmale: ein äusseres
und ein inneres. Das erste lässt sich aus der für das sociale Leben
durchaus bezeichnenden und es von dem individuellen organischen
Leben wesentlich unterscheidenden Thatsache des üebereinander-
greifens vieler Organisationen innerhalb der nämlichen socialen
Oesammtheit entnehmen. Keine Zelle, kein physiologisches Organ
kann gleichzeitig verschiedenen individuellen Organismen angehören.
Aber in der Gesellschaft ist der Einzelne um so mehr, je voll-
kommener organisirt sie ist, stets Mitglied vieler socialer Verbände.
Familie, Gemeinde, Staat, daneben in mehr wechselnder Weise Be-
rufs- und Wirthschaftsgenossenschaften, Vereine und Corporationen,
die den verschiedensten Zwecken dienen mögen, bilden um ihn ein
vielverschlungenes Netz von Verbindimgen. Nun erscheint es voll-
kommen begreiflich und den thatsäcUichen Verhältnissen angemessen,
dass der Einzelne gleichzeitig an verschiedenen Organisationen theil-
nimmt. Es ist aber offenbar mit denä Begriff des Organismus als
einer Einheit, deren Glieder sich in sämmtlichen dem Ganzen eigen-
thümlichen Lebenszwecken diesem Ganzen unterordnen, nicht mehr
vereinbar, dass der Einzelne gleichzeitig zu mehreren socialen Or-
ganismen der gleichen Art als Glied oder organischer Bestandtheil
gehöre. Wenn die Unterscheidung von Organisation und Organis-
mus überhaupt eine Bedeutung haben soll, so wird es vielmehr
zweckmässig sein, das entscheidende Kriterium eben darin zu sehen,
dass die Organisation als solche die Individuen im allgemeinen nicht
606 Logik der GesellBchaftswissexischalten.
in ihrer freien Selbstbestimmung gegenüber andern gesellschaftlichen
Vereinigungen beschränkt, so dass die Fähigkeit des Einzelnen Ter-
schiedenen Organisationen gleicher Art gleichzeitig anzugehören nur
insofern eine begrenzte ist, als etwa die von yerschiedenen Ver-
bänden verfolgten Zwecke mit einander unverträglich sind. Auch
dann pflegt aber die Auswahl unter den Organisationen, denen er
angehören will, der freien Selbstbestimmung des Einzelnen über-
lassen zu bleiben. So kann Jemand z. B. Mitglied verschiedener
gemeinnütziger und politischer Vereine, Erwerbs-, Bildungs- und,
insofern er in seiner Thätigkeit verschiedene Berufe vereinigt, sogar
mehrerer Berufsverbände sein, ohne dass dadurch an sich seine
Theilnahme an jeder einzelnen dieser Verbindungen beeinträchtigt
wird. Dagegen können die Glieder eines Organismus niemals gleich-
zeitig andern Organismen gleicher Art angehören. In diesem Sinne
sind der Staat, die Gemeinde, die Familie Verbände, die den Ein-
zelnen ganz für sich fordern; und eine ähnlich ausschliessende Ein-
heit pflegen diejenigen Berufskörperschaften zu bilden, in denen die
Gleichheit des Berufs auch eine Uebereinstimmung sonstiger Lebens-
normen herbeigeführt hat, wie das z. B. bei den Zünften und Gilden
des Mittelalters in hohem Masse der Fall war.
Dies fbhrt uns auf das zweite oder innere Merkmal, das den
socialen Organismus von der blossen Organisation unterscheidet: es
besteht in der Vielheit der Zwecke und in der mit dieser eng
verbundenen Fähigkeit neuer Zwecksetzungen. Die Or-
ganisation als solche bewegt sich innerhalb des festbegrenzten Zweck-
gebiets, das ihre Entstehung veranlasst hat. Damit hängt die Frei-
heit zusammen, die sich der Einzelne der Gemeinschaft gegenüber
wahrt: er kann im allgemeinen oder mindestens unter Erfüllung der
Verpflichtungen, die er für diesen Fall freiwillig übernommen, aus
der Verbindung ausscheiden, sobald er durch diese sein Bedürfhiss
nicht mehr befriedigt findet. Das ist anders bei dem socialen Or-
ganismus: er verfolgt von vornherein eine Vielheit von Zwecken,
und er ist in der Erweiterung oder Verengerung seines Zweck-
gebiets so weit unbeschränkt, als er selbst nicht wieder Glied eines
umfassenderen Organismus ist. Dem entsprechend vermag sich auch
der Einzelne aus der Verbindung im allgemeinen nicht ohne weiteres
in Folge eines individuellen Willensentschlusses zu lösen, sondern
jede solche Ausscheidung setzt eine Handlung eines Gesammtwillens
voraus , der durch die geordnete Verbindung der Glieder und Ein-
heiten des socialen Organismus zu Stande kommt. So scheiden sich
Organisation der GeaellBchaft. 607
Staat, Familie, Gemeinde zwar in ihren Zweckgebieten von einander
wie von den individuellen Lebenszwecken ; aber keine dieser Gemein-
schaften ist ein- für allemal auf ein fest bestimmtes Zweckgebiet
eingeschränkt, sondern jede hat innerhalb der ihr durch den Zu-
sammenhang mit dem Ganzen des socialen Lebens angewiesenen
Grenzen ein selbständiges Leben, das sich in den mannigfachsten,
immer nur durch die Wirkungssphären anderer gleich selbstöndiger
Organismen begrenzten Formen bethätigen kann.
Es liegt nun aber in der Natur dieser Merkmale, dass die
Grenze zwischen der Organisation und dem eigentlichen Organismus
eine fliessende ist, und dass es ebensowohl blosse Organisationen
gibt, die sich den Organismen in ihrem Verhalten nähern, wie um-
gekehrt Organismen, die zwar in Folge bestimmter Eigenschaften
▼on uns zu diesen gezählt werden, die aber doch in andern Be-
ziehungen ganz und gar die losere Beschaffenheit der Organisationen
bewahren. Namentlich kann es vorkommen, dass in Folge geschicht-
licher Wandlungen sociale Bildungen, die zu einer bestimmten Zeit
durchaus den Anspruch auf den Namen wahrer socialer Organismen
erheben können, allmählich in blosse Organisationen sich auflösen;
und natürlich wird auch das umgekehrte möglich sein, obgleich es
wohl in den unserer genaueren Eenntniss zugänglichen Perioden
socialer Entwicklung seltener vorgekommen ist. So waren die Zünfte
und Gilden des Mittelalters zweifellos Organismen, heute bilden die
entsprechenden Berufe zum Theil nicht einmal mehr Organisationen,
sondern haben sich vollständig in ihre individuellen Einheiten auf-
gelöst. Ebenso zeigen unsere städtischen Gemeinwesen gegenüber
firüheren Zuständen nur noch theilweise ein festeres organisches
GtefOge, in mancher Beziehung bilden sie nur eine verhältnissmässig
lose Organisation der zufällig denselben Ort bewohnenden Staats-.
büiger. Die Familie endUch hat zwar ihre Bedeutung als relativ
fest gefügtes und eine grosse Zahl von Lebenszwecken in sich ver-
einendes Ghed in der Gesammtorganisation der Gesellschaft nicht
Terloren, aber durch ihre Zurückziehung auf die Einzelfamilie ist
sie doch zu einer so vergänglichen Verbindung geworden, dass sie
nach ihrer socialen Bedeutung nur noch als ein wichtiges Organ in
dem Organismus des Staates, nicht aber selbst mehr als ein Organis-
mus im eigentlichen Sinne erscheint. So bleibt in der gegenwärtigen
Lage der europäischen Culturvölker der Begriff des socialen Organis-
mus in uneingeschränkter Bedeutung nur noch für den Staat selbst
bestehen. Anderseits ist es aber eine geschichtliche Thatsache, dass
608 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
zu Zeiten dieser organische Charakter des Staates zurückgetreten
oder ganz verschwunden war. Das gilt nicht bloss Yon Zeiten yöUi-
ger Umwälzungen, die entweder die vorhandene politische Organi*
sation auflösten, um eine neue an deren Stelle zu setzen, oder die
zu völlig neuen nationalen und politischen Gruppirungen f&hrten,
sondern insbesondere auch von Perioden politischer Schwäche, in
denen sich dann gerade solche Corporationen , die sonst bloss den
Charakter loserer Organisationen haben, wie die Berufs- und Standes-
verbände, zu Organismen mit grosser Selbständigkeit und innerer
wie äusserer Autonomie ausbildeten. Wie in dieser Beziehung die
Selbstorganisation engerer Lebenskreise stellvertretend fQr eine hin-
fällig werdende staatliche Gesammtorganisation eintreten kann, dies
lehrt namentlich die Entwicklungsgeschichte des Genossenschafts-
wesens der deutschen Vorzeit, die überhaupt für den Process der
socialen * Selbstorganisation und für die Tendenz der auf solche
Weise entstandenen socialen Bildungen bei dem Mangel äusserer,
namentlich politischer Hemmungen sich zu wahren Organismen zu
festigen, augenfällige Belege darbietet*).
Jene Bedürfnisse und Triebe, welche die Individuen einer Ger
meinschaft dazu führen, sich in mannigfachen, bald engere bald
umfassendere Zwecke verfolgenden Verbänden an einander an-
schliessend, Selbstorganisationen hervorzubringen, die in der ver-
schiedensten Weise über einander greifen, führen nun aber mit der-
selben inneren Nothwendigkeit zu einer zweiten Reihe wichtiger
Erscheinungen, auf die wir, da sie nicht nur auf die nämliche
Eigenschaft der Selbstorganisation gegründet sind, sondern auch in
dem Zusammenhang ihrer Bestandtheile einen ähnlich zweckmässig
gegliederten Aufbau zeigen, in einem weiteren Sinne ebenfalls den
Begriff des Organischen anwenden können. Da die Einheiten, aas
denen diese Organisationen bestehen, nicht Personen sondern irgend
welche materielle oder geistige Objecto sind, so können dieselben
im Unterschiede von den Personalorganisationen als Realorgani-
sationen bezeichnet werden. Dieser unterschied geht durehaus
dem früher (S. 458) bei den statistischen Methoden erwähnten
Unterschied der Personal- und Realstetistik parallel; und zugleich
entspricht dies den überhaupt zwischen Bevölkerungslehre und Staats-
*) Diesen Organisationstrieb im deutschen Genossenschaftswesen weist
eingehend nach 0. Gierke in seinem Deutschen Genossenschaftsrecht, 3 Bde.
Vgl. auch desselben Verfassers oben (S. 602) erwähntes Werk: Die Genossen-
schaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887.
Organisation der Gesellschaft. 609
Wissenschaft stattfindenden Beziehungen: die Personalstatistik ist
nämlich ein Hülfsmittel, das überall bei der Untersuchung der im
Staate vorhandenen persönlichen Selbstorganisationen zu Rathe ge-
zogen wird, während die Realstatistik ebenso der Erforschung
der in ihm vorhandenen realen Organisationen zu gute kommt.
Liegt dabei auch das eigentlich staatswissenschaftliche Problem, die
Organisationsfrage, ausserhalb der statistischen Methode, so sind
doch die durch diese ermittelten numerischen Werthe fOr das Macht-
verhältniss der einzelnen Organisationen von grosser Bedeutung.
In dieser wie in jeder andern Beziehung ist aber für das Yerh'ält-
niss der Personal- zu den Realorganisationen in erster Linie mass-
gebend, dass die letzteren, da sie aus unpersönlichen Objecten zu-
sammengesetzt sind, niemals Organismen sondern immer nur Organi-
sationen von verschiedener Festigkeit sein können. Ebenso kann bei
ihnen von einer Selbstorganisation im eigentlichen Sinne nicht
die Rede sein. Denn die Organisation materieller oder geistiger Objecte
von unpersönlicher Natur kann niemak durch Kräfte erfolgen, die
in den Objecten selbst gelegen sind. Vielmehr ist sie stets eine
indirect entstandene: sie ist den Objecten erst durch die Personen
mitgetheilt, für die jene Objecte theils an sich selbst theils durch
die Art ihrer Verbindung eine mit ihren eigenen individuellen oder
gemeinsamen Zwecken zusammenhängende Zweckbedeutung gewinnen.
So ist diese ganze Scheidung von Personal- und Realorganisationen
schliesslich nur ein Ausdruck der Thatsache, dass der Mensch nicht
nur seinen Mitmenschen gegenüber ein in eminentem Masse zur
coUectiven Organisation angelegtes Wesen ist; sondern dass er diese
seine organisirende Macht auch allen den Objecten, mit denen er in
irgend eine Zweckbeziehung tritt, den Gegenständen der äussern
Natur, die er zu seinen Zwecken verwerthet, nicht weniger ak
seinen eigenen geistigen und physischen Leistungen, mittheilt. Aber
diese organisirende Kraft bethätigt der Mensch doch vor allem da,
wo seine Verwerthung äusserer Naturgüter oder seine eigene zweck-
thätige Leistung an die gemeinsame Thätigkeit mit seinesgleichen
gebunden ist, und wo nun auf diese Weise die reale Organisation
zugleich das Product einer entweder schon bestehenden oder gleich-
zeitig sich ausbildenden Organisation einer Vielheit menschlicher
Persönlichkeiten ist. So ist vor allen andern schon die Sprache
eine reale Schöpfung, die durchaus den Charakter eines organischen
Ganzen hat; ihre Erzeugung lässt sich aber, wie man auch über
die psychologischen Bedingungen ihres Ursprungs denken möge,
Wundt, Logik, ü, 2. 2. Aufl. 39
610 Logik der Gesellscbaftswissenschafben.
jedenfalls nicht anders begreifen als unter der Annahme, dass sie
einerseits einen organischen Zusammenhang der redenden Gemein-
schaft voraussetzt, und dass sie anderseits auf diesen Zusammenhang
wieder zurückwirkt, indem sie allen jenen Vorgängen der Selbst-
organisation, die in der Gesellschaft wirksam sein mögen, als unent-
behrliches Hülfsmittel dient. Aehnlich der Sprache yerhalten sich
die mythologischen Anschauungen und die Normen der Sitte. Jedes
dieser Gebiete bildet ein Gkinzes, dessen Theile in den correlativen
Beziehungen stehen, die überall die Merkmale des .Organischen'
ausmachen. Sie sind sämmtlicfa Realorganisationen psychophysischer
Art, denn psychische und physische Leistungen setzen sich bei ihnen
zu einem wohlgegliederten Ganzen zusammen, das bestimmten Zwecken
angepasst und mit der Fähigkeit ausgerüstet ist, sich jederzeit selbst
den Veränderungen der objectiven Bedingungen gemäss zu yerändem.
Mit dem Merkmal der organischen Gliederung kommen daher auch
die andern Merkmale der organischen Entwicklung, die Selbst-
regulirung und die Selbstanpassung, allen diesen Schöpfungen zu.
Das ist aber augenscheinlich nur dadurch möglich, dass die Eigen-
schaft der Selbstorganisation menschlicher Gemeinschaften auch auf
die realen Erzeugnisse derselben einwirkt, so dass diese ebenfalls
an jener Eigenschaft theilzunehmen scheinen. In Wirklichkeit ist
das natürlich nicht der Fall, sondern diese Erscheinung ist hier nur
eine naturgemässe Folge des Gesetzes, dass der einzelne Mensch
so gut wie jeder menschliche Verband seine eigenen Fähigkeiten
in seinen Leistungen zum Ausdruck bringt. Darum ist nun aber
auch der Begriff des , Organismus*^ für jedes in sich zusammen-
hängende und entwicklungsfähige System gemeinsamer Leistungen
zwar ein vollkommen adäquates Bild, aber er ist in diesem Falle
doch nicht mehr als ein Bild, während er bei den persönlichen Ver-
bänden, die den oben erwähnten Bedingungen der äusseren Einheit
und der inneren Freiheit der Zwecksetzung genügen, nicht bloss
ein Bild ist sondern der Sache selber entspricht. Wenn gleichwohl
auch die persönlichen Organisationen nur zu einem kleinen Theil
wirkliche Organismen sind, so beruht dies vor allem auf der steten
Veränderlichkeit der socialen Gebilde, vermöge deren der orga-
nische Charakter derselben gleichfalls eine fliessende Beschaffenheit
hat. Dies aber ist wieder eine nothwendige Folge ihrer Zusammen-
setzung aus lebenden Persönlichkeiten als letzten Einheiten — einer
Eigenschaft der socialen Organismen, die, für den Begriff der-
selben von der grössten Bedeutung, von vornherein alle zu weit ge-
Organisation der Gesellschaft. 611
triebenen Analogien mit dem physischen Organismus verbietet, trotz-
dem aber das Wesen des Organismus nicht aufheben kann.
Sprache und Sitte gehören als die ursprünglichsten Real-
organisationen nicht in das Oebiet der einzelnen Gesellschaftswissen-
schaften, sondern sie sind die Hauptbestandtheile der allgemeinen
psychologischen Orundlage derselben, der Völkerpsychologie. Aber
indem die Gemeinschaft der Sprache, der religiösen und sittlichen
Anschauungen ein gemeinsames Leben überhaupt erst möglich macht,
bringt sie mit diesem jene weiteren Realorganisationen hervor, die,
wie die Volks wirthschaft, das Recht, die Verwaltung, für die be-
sondere Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens bestimmend werden
und in dieser Beziehung namentlich auch auf die persönlichen Ver-
bände in Familie, Gemeinde, Staat u. s. w. zurückwirken. In dem
gesammten Zusammenhang socialer Erscheinungen übertreffen wohl
jene realen Erzeugnisse an Mannigfaltigkeit und umfang das System
der persönlichen Organisationen. An principieller Bedeutung be-
haupten gleichwohl die letzteren den Vorrang, da die Verbindung
menschlicher Lidividuen selbstverständlich die Grundbedingung aller
sonstigen socialen Schöpfungen ist.
Diese ursprünglichere Bedeutung findet ihren Ausdruck in
der wichtigen Thatsache, dass die Personalorganisationen der Ge-
sellschaft zu einer Erweiterung des Begriffs der Person heraus-
fordern, welche Erweiterung in ihrer Ausbildung zugleich der Fort-
entwicklung des Begriffs der socialen Organisation zu dem des
socialen Organismus parallel geht. Aber während sich der Begriff
des Organismus auf die Wechselbeziehungen der Bestandtheile des
Gkmzen, also bei dem socialen Organismus auf die der einzelnen
Individuen und der aus untergeordneten Verbänden von Individuen
bestehenden Organe dieses Ganzen bezieht, geht der Begriff der
Person auf die einheitlichen psychischen Eigenschaften des
Selbstbevnisstseins imd des an eine besonnene Erwägung von Motiven
und Zwecken geknüpften WoUens zurück. Wie diese Eigenschaften
die Merkmale der freien, ihre Handlungen mit Ueberlegung und
Absicht vornehmenden individuellen Persönlichkeit sind, so wird
auch umgekehrt überall da, wo jene uns in wesentlich ähnlicher
Form an einem socialen Ganzen entgegentreten, dieses Ganze als
eine Person oder, zum Behuf der Unterscheidung von der indivi-
duellen Persönlichkeit oder der Person im gewöhnlichen Sinne, als
eine Gesammtperson bezeichnet werden können. Natürlich
differiren diese beiden Gestaltungen des Persönlichkeitsbegriffs in
612 Logik der GeeellsdiaftfwisseiiBchafteii.
wichtigen Merkmalen. Die besondere Eigenschaft der coUectiven
Persönlichkeit, dass sie aus einer Vielheit von Individuen besteht,
deren jedes wieder eines selbstbewussten Wollens und Handelns fähig
ist, begründet eine Reihe weiterer, fOr die Entstehung der das ge-
meinsame Leben bildenden Vorstellungen und der Acte des Ge-
sammtwillens wesentlicher Eigenthümlichkeiten. Aber da hierbei
jene allgemeinen Merkmale des PersönlichkeitsbegrifFs unberOhri
bleiben, so kann dies auch nicht hindern, denselben auf die Gb-
sammtperson genau in demselben Sinne wie auf die Einzelperson
anzuwenden, in dem Sinne also, dass jene als eine reale, nicht als
eine bloss bildlich oder vermittelst einer „juristischen Fiction* so-
genannte Person betrachtet wird.
Wie nun der Begriff der socialen Organisation uns inner-
halb der Gesellschaft auf den mannigfaltigsten Stufen der Aus-
bildung entgegentritt, so der eng an ihn gebundene Begriff der
collectiven Persönlichkeit. Auch in dieser Beziehung bietet dieselbe
Analogien wie bedeutsame Unterschiede dar gegenüber der Einzel-
person. An einer Entwicklung der Persönlichkeit, die verschiedene
Stufen mit successiver Ausbildung der wesentlichen Merkmale unter-
scheiden lässt, fehlt es hier so wenig wie dort. Doch während sich
diese Entwicklung bei der Einzelperson wesentlich nur auf die
rechtliche Handlungsfähigkeit bezieht, die in diesem Fall
nur der ausgebildeten Person zukommt, der unentwickelten ^ dem
Kinde, dem Unzurechnungsfähigen, mangelt, besteht sie bei den
gesellschaftlichen Personen in dem zunehmenden Umfang der Willens-
thätigkeit. Handlungsfähigkeit besitzt nothwendig jede collective
Person, da sie aus Einzelpersonen zusammengesetzt ist, die entweder
sämmtlich, oder von denen wenigstens viele im rechtlichen Sinne
handlungsfähig sind. Ohne Uebertragung dieser Eigenschaft von
den Mitgliedern auf das Ghinze kann es daher immer nur zu zu-
fälligen und vorübergehenden gesellschaftlichen Verbindungen kom-
men. Dagegen kann die Willenssphäre der collectiven Personen eine
mehr oder minder umfassende sein. Bei der unvollkommensten Aus-
bildung dieser erstreckt sich der Oesammtwille nur auf einen fest
bestimmten Zweck. In Bezug auf ihn sind die Einzelwillen geeint
und gebunden, in allen andern Beziehungen verhalten sich die In-
dividuen wie eine unverbundene Menge. Selbstverständlich erstreckt
sich dann auch die Handlungsfähigkeit nur auf jenen Zweck. Für
ihn verschafft sich der Oesammtwille innerhalb der bestehenden
Rechtsordnung Anerkennung; und mit Bezug auf ihn wird so die
OrgazuBation der Gesellschaft. 613
Verbindung zu einem Bechtssubject. Es scheint aber kaum ange-
messen, collectiye Einheiten auf dieser Stufe der Ausbildung Oe-
sammtpersonen zu nennen. Fehlt ihnen doch ein wesentliches
Merkmal der freien Persönlichkeit : die selbstthätige Wahl der Zwecke,
eine Wahl die hier mindestens durch die Begrenzung auf ein fest
gegebenes Zweckgebiet im höchsten Masse eingeschränkt ist. Wohl
aber wird man die coUective Persönlichkeit auf dieser Stufe als eine
Rechtsperson bezeichnen können, insofern die rechtliche Hand-
lungsflLhigkeit innerhalb eines bestimmten Zweckgebiets ihr äusseres
Merkmal ist.
Von diesem Fall unterscheidet sich noch nicht wesentlich der
andere, wo die Gemeinschaft eine Mehrheit von Zwecken ver-
folgt. So lange überhaupt die Willenssphäre eine von vornherein
fest begrenzte ist, kann doch immer nur von einer höheren Ent-
wicklungsstufe der Rechtsperson die Rede sein. Dies ist wesentlich
anders, wenn der Qesammtwille einer Gemeinschaft in dem Sinne
autonom wird, dass er neue Zwecke den vorhandenen hinzufügen
kann, so dass nunmehr seine Fähigkeit der Selbstbestimmung voll-
kommen der des individuellen Willens auf seinem Gebiet entspricht.
Eine Einheit dieser Art ist nicht mehr bloss Rechtsperson, sondern
im vollen Sinne des Wortes Gesammtperson. Sie trägt aUe
Merkmale der Persönlichkeit an sich, nur mit den besonderen Modi-
ficationen, die durch die Unterschiede des Gesammtwillens vom indi-
viduellen Willen nothwendig bedingt werden. Es springt aber ohne
weiteres in die Augen, dass der in diesem Sinne bestimmte Begriff
der Gesammtperson durchaus mit dem des socialen Organismus in
der engeren, ihn von der blossen Organisation unterscheidenden
Bedeutung zusammenfallt. Die blossen Rechtspersonen entstehen
überall aus Selbstorganisationen, die höchstens als partielle oder
unter Umständen als werdende Organismen betrachtet werden können.
Die Gesammtpersonen sind aber wirkliche sociale Organismen, die
selbst wieder aus mannigfaltigen Real- und Personalorganisationen
bestehen können'*').
*) üeber die allgemeine Bedeutong und die psychologischen Grundlagen
des Begriffs der Oesammtpersöniichkeit vgl. Ethik, 2. Aufl., S. 665 ff. und System
der Philosophie, S. 604 ff. 0. Gierke, der gegenwärtig in der Rechtswissen-
schaft der Hanptrertreter der Realität der coUectiven Persönlichkeiten ist,
nennt auch die oben als .Rechtspersonen' bezeichneten nnyollkommeneren
Formen .Gresammtpersonen". (Gierke, Die Qenossenschaftstheorie und die
deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 5 ff., Deutsches Privatrecht, I, S. 469 ff.) Mag
614 Log^k der Gesellschaftswiasenfichafben.
c. Die socialen Gesetze.
Die Oesellschaft ist in allen ihren Erscheinungen geschichtlich
bedingt. Jeder Zustand ist das Ergebniss yorausgegangener Zu-
stände und Vorgänge, und er besteht selbst historisch betrachtet
aus einer Fülle von Bedingungen, aus denen nachfolgende Entwick-
lungen hervorgehen. Demnach kann auch an eine principielle Schei-
dung zwischen socialen und historischen Gesetzen nicht gedacht werden.
Das einzige relative Merkmal, nach welchem in Anbetracht der aus-
einandergehenden Zwecke von Geschichte und Sociologie eine solche
Unterscheidung möglich ist, kann nur darin liegen, dass man von
dies nun auch fttr die praktischen Fragen unerheblich sein, da juristisch die
Gesammtpersonen überall nur als Rechtspersonen in Betracht kommen, so dürfte
es doch sowobl im Interesse der Abstufung der BegrifiFe, wie in dem der Her-
vorhebung der psychologischen und ethischen unterschiede der verschiedenen
Entwicklungsstufen liegen, wenn man, in ähnlichem Sinne wie oben die par-
tielle Organisation von dem eigentlichen Gesammtorganismns, so hier die bloss
partielle Persönlichkeit oder Rechtsperson von der Gresammtperson unter^eidet
Auch dürfte der Ausdruck «Rechtsperson* hinreichend vor der bei der Juristi-
schen Person" leicht obwaltenden Nebenvorstellung schützen, als wenn solche
coUective Organisationen nicht durch ihren eigenen Willen, sondern gewisser-
massen erst durch den Willen der Juristen, also auf dem Wege der .juristischen
Fiction'^ in Objecto von persönlicher Bedeutung verwandelt würden. In seinem
neuesten Werke (Deutsches Privatrecht, I, 1895, S. 469 ff.) bedient sich Gier ke
des Ausdrucks .Yerbandsperson". Dieser würde wohl als eine zweckmässige Be-
zeichnung namentlich dann gebraucht werden können, wenn man ihn bloss für
die corporativen Rechtspersonen von beschränkter Handlungssphäre zur Unter-
scheidung von den eigentlichen, autonomen Gresammtpersonen anwendete. Dies
geschieht freilich von Gierke nicht, der einerseits auch den Staat als eine
.Yerbandsperson' bezeichnet (S. 475 ff.)» anderseits von den Stiftungen be-
merkt: «ihre Rechte seien die einer Verbandsperson* (S. 655), was immerhin
wieder etwas an den Kunstgriff der .juristischen Fiction" erinnert. Der Aus-
druck .Rechtsperson* vermeidet diese logischen und terminologischen Schwierig-
keiten. Die Rechtsperson ist der allgemeine Begriff, der ebensowohl die reale
Gesammtperson, den Staat, wie einzelne corporative Verbände, wie endlich die
Stiftungen unter sich begreift. Auch die Stiftungen besitzen übrigens die Eigen-
schaften realer Rechtspersonen nicht als sachliche Objecto, so genannte .Zweck-
vermögen", sondern dadurch, dass in ihnen einerseits der Wille einer wirklichen
Person, des Stifters, unter Vermittelung des staatlichen Gesanmitwillens fort-
wirkt, und dass anderseits bestimmte Einzelpersonen mit ihrer Rechtsvertretung
beauftragt sind. Die Handlungsfähigkeit ist also auch hier eine persönliche;
sie ist nur eine noch strenger gebundene als bei den corporativen Rechts-
personen.
Sociale Gesetze. 615
historischen Gesetzen im engeren Sinne reden wird, wenn vorzugs-
weise die causale Verbindung der Vorgänge in ihrer Aufeinander-
folge, also eine Aufstellung von Gesetzen im Interesse einer Inter-
pretation der Geschichte in Frage steht, während man dem gegen-
über als sociale Gesetze solche bezeichnen wird, die entweder die
gesetzmässige Aufeinanderfolge bestimmter Zustände der Gesellschaft
oder aber die ursächlichen Beziehungen der einzelnen Bestandtheile
eines gegebenen Zustandes zu einander ausdrücken. In der hier
unterschiedenen doppelten Möglichkeit liegt aber auch bereits aus-
gesprochen, dass die nach solchen Gesichtspunkten aufzustellenden
socialen Gesetze, ganz wie es der hervorgehobene enge Zusammen-
hang mit den historischen Gesetzen erwarten lässt, in die nämlichen
zwei Classen zerfallen vrie diese: in Entwicklungsgesetze und Be-
ziehungsgesetze. (Vgl. oben S. 396, 407 ff.) Unter ihnen bilden
die socialen Entwicklungsgesetze der Natur der Sache nach
nur eine Abtheilung der historischen Entwicklungsgesetze, und als
solche sind sie bereits oben erörtert worden. Alle jene Gesetze
geschichtlicher Entwicklung nämlich, die eine regelmässige oder
vermöge der Verkettung der Bedingungen eine als nothwendig an-
gesehene Aufeinanderfolge bestimmter Zustände feststellen , sind
natürb'ch zugleich sociale Gesetze, sobald wir diesen auch solche
allgemeine Formulirungen zurechnen, die über die ursächliche Ent-
stehung gegebener socialer Zustände Rechenschaft zu geben suchen.
In diesem Sinne sind also namentlich die früher hinsichtlich ihrer
empirischen wie causalen Bedeutung besprochenen Gesetze der Auf-
einanderfolge der Verkehrs-, der Wirthschafts- , der Verfassungs-
formen (S. 393 f.) sociale Entwicklungsgesetze. Wir haben aber
gesehen, dass unter den mannigfachen Fortschritts- und Entwick-
lungsgesetzen, welche die Geschichtsforschung aufgestellt hat, gerade
diese, die sich auf bestimmte gesellschaftliche Lebensformen be-
ziehen, und die eben in diesem Sinne zugleich sociale Gesetze sind,
verhältnissmässig den grössten Werth haben, weil sie der Aufgabe,
die Mannigfaltigkeit der Erfahrungen in ein angemessenes logisches
Schema zu ordnen, das die ursächlichen Bedingungen der Aufein-
anderfolge erkennen lässt, am meisten entsprechen, und dass sie in
dieser Beziehung namentlich den universalhistorischen Fortschritts-
gesetzen, bei denen speculative Voraussetzungen und Forderungen
eine überwiegende Rolle spielen, weit überlegen sind. Dieser Vor-
zug hat zwei Gründe: erstens entspringt er daraus, dass die
dauernderen Zustände vor den singulären geschichtlichen Vorgängen
QIQ Logik der GesellBchaftswiwenschaften.
überhaupt eine grössere Regelnlässigkeit der Erscheinangen und
demzufolge auch eine grössere Durchsichtigkeit der ursächlichen
Verknüpfungen voraushaben; und zweitens ergibt er sich aus der
Selbstbeschränkung, die sich die socialgeschichtlichen gegenüber den
uniyersalhistorischen Gesetzesformulirungen auferlegen. Einerseits be-
ziehen sie sich nämlich bloss auf Theilphänomene der socialen Zu-
stände, und darunter namentlich wieder auf solche, die mehr von
collectiven als von individuellen Einflüssen abhängen; anderseits
haben sie ausschliesslich den empirisch gegebenen Verlauf der Ge-
schichte, nicht aber, wie die geschichtsphilosophischen Entwicklungs-
gesetze, ausserdem noch oder gar vorzugsweise die transcendenten
Ziele derselben im Auge.
Von wesentlich selbständigerer Bedeutung sind die socialen
Beziehungsgesetze. Zwar sind auch sie nur in den drei Formen
möglich, in denen überhaupt geschichtlich gewordene Erscheinungen
und Zustände in ihren einzelnen Bestandtheilen ursächlich verbunden
sein können, und in denen sie zugleich auf die allgemeinen Prin-
cipien der psychologischen Verknüpfung geistiger Vorgänge zurück-
führen, nämlich als Gesetze der Resultanten, Relationen und
Contraste (S. 408). Aber während diese (besetze in der Geschichte,
vermöge der allgemeinen Natur der geschichtlichen Objecte, auf ein-
ander folgende Erscheinungen in wechselseitige Beziehung setzen,
erstrecken sie sich in der Sociologie zunächst auf das Gleichzeitige,
also auf die Factoren eines gegebenen Zustandes. Daraus ergibt
sich, dass, obgleich in beiden Fällen die Gesetze übereinstimmen-
den Formen und demnach auch übereinstimmenden Ehincipien psychi-
scher Causalität folgen, doch im einzelnen Fall das sociale von
dem historischen Gesetz an dem Kriterium der Gleichzeitigkeit
der ursächlich verbundenen Factoren zu unterscheiden ist. Aller-
dings führt aber auch diese Unterscheidung wieder dadurch eine
gewisse Einschränkung mit sich, dass nicht selten eine historische
in eine sociale Resultante übergeht, oder dass Relationen und Con-
traste, die sich zunächst in geschichtlicher Aufeinanderfolge geltend
machen, dann auch noch neben einander innerhalb eines gegebenen
socialen Zustandes bestehen bleiben. Immerhin werden jedoch in
solchen Fällen ein historisches und ein sociales Verhältniss zu unter-
scheiden sein, deren Elemente zwar inhaltlich übereinstimmen, aber
mittelst der verschiedenen zeitlichen Form der Verknüpfung zu son-
dern sind. Ein zweiter Unterschied, der sich ohne weiteres aus dem
Zeitverhältniss der Factoren ergibt, besteht sodann darin, dass bei
Sociale Gesetze. 617
den streng historischen Gesetzen immer nur eine einseitige causale
Verknüpfung möglich ist, in welcher, der Zeitform der Begeben-
heiten entsprechend , die Ursachen den Wirkungen vorausgehen,
während sich namentlich die socialen Relationen und Contraste sehr
häufig zu Wechselwirkungen gestalten, eine Eigenschaft durch
die der Oesammteffect der Ursachen wesentlich gesteigert wer-
den kann.
Nachdem der allgemeine Charakter der Beziehungsgesetze histo-
rischer und socialer Erscheinungen, ebenso wie ihr Zusammenhang
mit den psychologischen Principien der schöpferischen Synthese, der
beziehenden Analyse und der Contrastverstärkung bereits im vorigen
Capitel (S. 408 ff.) eingehend erörtert worden ist, vnrd es an dieser
Stelle genügen, für jedes dieser G^etze auf ein charakteristisches
Beispiel hinzuweisen. Ich entnehme diese Beispiele der Bevölke-
rungs- und Wirthschaftslehre , weil hier derartige Oesetzesformuü-
rungen bis jetzt die grösste Bedeutung gewonnen haben. In andern
Gebieten, wie z. B. in denen der Literatur und Kunst, können
übrigens, wie namentlich manche der für das Princip der Contraste
angeführten Beispiele (S. 413 f.) lehren, ohne weiteres die Beziehungen
der Aufeinanderfolge auch in solche der Gleichzeitigkeit übergehen.
Nach dem Gesetz der socialen Resultanten ist ein ge-
gebener Zustand im allgemeinen stets auf gleichzeitig' vorhandene
Componenten zurückzuführen, die sich in ihm zu einer einheitlichen
Gesammtwirkung verbinden. Ein Beispiel eines solchen Gesetzes ist
das so genannte Malthus'sche Bevölkerungsgesetz. Es sagt
aus, die Grösse einer Bevölkerung sei, sobald eine vollständige Be-
siedelung des Bodens eingetreten ist, eine Resultante aus deren Yer-
mehrungstrieb und aus den diesem Triebe entgegenwirkenden Hem-
mungen , derart dass die Bevölkerungszahl stets die Grenze der
Erhaltungsmöglichkeit zu erreichen strebt und sobald diese erreicht
ist constant bleibt'*'). Malthus hat dieses Gesetz nicht ganz, aber
doch vorzugsweise durch Speculation gefunden. Die Anregung zu
dessen Aufstellung gab nämlich zunächst die aus den statistischen
Ergebnissen über die Bevölkerungszunahme geschöpfte Besorgniss
einer üebervölkerung der europäischen Culturländer. Um diese Frage
*) Vgl. über die Formulirang dieses Gesetzes bei Malthus, sowie über
die Schicksale desselben in der späteren Nationalökonomie H. Soetbeer, Die
Steüung der Socialisten zur Malthns^schen Bevölkerungslehre, 1886. F. Fetter,
Yenuch einer BevGlkerungslehre, ausgehend von einer Kritik des Malthus^schen
BeTÖlkemngsprincips, 1894.
618 Logik der GeseÜBchafts Wissenschaften.
zu prüfen, analysirie Malthus logisch die positiven und negativen
Bedingungen der BeTölkerungszunahme. Er fand sie gegeben: 1) in
dem Fortpflanzungstrieb, 2) in der durch die Bewirthscbaftung des
Bodens gewährten Emährungsmöglicbkeit, und 3) in den theils durch
moralische Selbstbeschr'änkung theils durch Laster und Elend ent-
stehenden Hemmungen der Fortpflanzung. Aus diesen drei (Kom-
ponenten muss in der That, wenn man von Auswanderung, Einfuhr,
kurz von allen äusseren Einflüssen absieht, nothwendig die Bevolke-
rungsgrösse resultiren, da einerseits nur so viele Menschen leben
können, als der Boden zu ernähren vermag, und da anderseits die
moralische und physische Lage der Bevölkerung fortwährend auf
ihre Zunahme theils vorbauend theils nachträglich regulirend, durch
Abkürzung der Lebenszeit, einwirkt. Die Bedeutung der Aufstel-
lung des Gesetzes bestand nun darin, dass es diese unter dem Be-
griffe der „Hemmungen* zusammengefassten Einflüsse als ein Mittel
der Selbstregulirung betrachten lehrte, durch das jederzeit eine that-
sächliche üebervölkerung unmöglich gemacht werde, da, sobald die
Bevölkerung die Grenze der Emährungsmöglichkeit erreicht habe,
eben durch jene Hemmungen, günstigen Falls durch die vorbauenden
moralischen, jedenfalls aber, falls sie nicht zureichen, durch die re-
pressiven von Mangel und Laster, Gleichgewicht eintreten müsse.
Damit es überhaupt zu einer solchen Selbstregulirung komme, dazu
ist jedoch erforderlich, dass die beiden primären Bedingungen der
Bevölkerungszunahme, die Fortpflanzung der menschlichen Gattung
und das Wachsthum der Unterhaltsmittel durch die Cultur des Bodens,
im allgemeinen nicht gleichen Schritt mit einander halten köimen,
sondern dass die erstere eine stärkere Wachsthumstendenz hat als
die zweite. Malthus suchte das nachzuweisen, indem er jede dieser
Componenten für sich allein in Betracht zog. Dann ist es zweifel-
los, dass, wenn die moralischen und physischen Eigenschaften der
Bevölkerung constant angenommen werden, und wenn man von der
Ernährungsmöglichkeit völlig abstrahirt d. h. sie als unbegrenzt
voraussetzt , die Bevölkerung in einer geometrischen Progression
wachsen müsste: hätte sie sich z. B. in 25 Jahren verdoppelt*), so
*) Malthus hat in der That, auf Beobachtungen Über die Bevölkerungs*
zunähme in den neu colonisirten amerikanischen Gebieten gestützt» angenommen«
dass sich eine Bevölkerung mit unbeschränkter Fortpflanzongsföhigkeit in 25 Jahren
verdopple. Die Einwände gegen diese wahrscheinlich irrige und möglicher Weise
fQr verschiedene Rassen durchaus nicht identische Zahl berühren aber natürlich
das Malthus'sche Gesetz als solches gar nicht.
Sociale Gesetze. 619
würde sie sich in 50 vemerf achen , in 75 verachtfachen u. s. w.
Wollte man nun etwa ebenso die mögliche Steigerung der Ernäh-
rnngsmöglichkeit bestimmen, so müsste man dem entsprechend einen
Boden voraussetzen, zu dessen Bearbeitung fortwährend beliebig viele
Arbeitskräfte zum Behuf der Steigerung seines Ertrags zur Ver-
fQgung stünden. Dann würde aber immer noch diese Steigerung
von der Möglichkeit dem Boden die ihm entzogenen Stoffe wieder-
zuersetzen abhängig sein. Malthus nahm an, dass eine solche Steige-
rung der Ertragsfähigkeit allerhöchsten Falls in der Form einer
arithmetischen Progression möglich sei — eine Annahme die natür-
lich durchaus willkürlich ist, wie denn überhaupt fttr diese Steige-
rung ein irgend regelmässiges Gesetz gar nicht existiren kann, weil
sie zumeist von Erfindungen der landwirthschaftlichen Technik, der
Chemie u. s. w. abhängt, die in einzelnen Momenten eine plötzliche
Veränderung bedingen können, während dann wieder die Verhält-
nisse während längerer Zeit stabil bleiben. Aber offenbar hängt
der wesentliche Inhalt des Malthus'schen Gesetzes nur davon ab,
dass die Voraussetzung, die Tendenz zur Bevölkerungszunahme über-
treffe , sobald eine gewisse Grenze erreicht ist , die Tendenz zur
Steigerung des Bodenertrags, im allgemeinen richtig ist. Die Frage,
ob irgendwo in einem gegebenen Fall diese Grenze ganz oder nahe-
zu erreicht sei, oder ob durch eine wichtige Entdeckung irgend
einmal eine weitere Hinausschiebung derselben erfolge, ebenso ob
dazwischen tretende historische Ereignisse oder grosse sociale Re-
volutionen Veränderungen hervorbringen, ist hier ganz irrelevant,
und die meisten der in diesem Sinne gegen das Malthus'sche Gesetz
erhobenen Einwände übersehen durchaus den Charakter desselben
als eines , Maximalgesetzes*, das eben wegen der ungeheuer wandel-
baren Bedingungen seines Zusammenwirkens mit andern socialen
Gesetzen nur fttr die allgemeine Richtung der Bevölkerungsbewegung
massgebend sein kann*). In dieser Beziehung verhält es sich eben
*) Manche jener Einwände beruhen übrigens auf offenbaren Missverständ-
nissen und operiren nebenbei selbst mit den Voraussetzungen des Malthus'schen
Gesetzes. Der Versuch, ein specielles Populationsgesetz für eine bestimmte
ökonomische Lage der Bevölkerung aufzustellen, wie ihn Marx gemacht hat
(Capital, I, 4. Aufl., S. 598), schUesst an und fQr sich nicht das Malthus*sche
Gesetz aus, da er sich nur auf die besondere Vertheilung der Bevölkerungs-
zunahme Über die verschiedenen Glassen der Bevölkerung bezieht. Eine un-
gerechtfertigte Anwendung machte dagegen Las s alle in seinem „Lohngesetz*
von dem Malthus*schen Gesetze, indem er die Annahme einer begrenzten Ver-
mehrungsfähigkeit der Subsistenzmittel von dem Boden auf den Arbeitslohn
620 Logik der GesellschaftswiBsenschaften.
mit den socialen nicht anders als mit den historischen Beziehungs-
gesetzen: sie entspringen Abstractionen, die überall nur eine be-
stimmte Seite der Erscheinungen ins Auge fassen, neben der andere
Seiten und Vorgänge, die aus sonstigen Bedingungen herrorgehen,
nicht fehlen. Wenn solche bei dem richtig yerstandenen Malthus-
schen Gesetze sogar verhältnissmässig wenig in Betracht kommen,
so hat dies seinen Grund in der sehr allgemeinen Fassung desselben,
die es namentlich gestattet, unter jenen Elementen der Selbstregu-
lirung, die es als hemmende Factoren betrachtet, die yerschiedensten
Einflüsse , und darunter auch manche zu yerstehen , die in ihrem
Effect mit den „ moralischen '^ Hemmungen zusammentreffen, ohne
als solche irgendwie zum Bewusstsein zu kommen: so z. B. die von
der Sitte ausgehende Regelung der Yerheirathung oder die ver-
mindernde Wirkung, die angestrengte physische und geistige Arbeit
auf den Fortpflanzungstrieb ausübt.
Das Gesetz der socialen Relationen bezieht sich auf
die Erfahrung, dass jede wichtigere sociale Erscheinung mit andern
gleichzeitigen Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens in einer
Wechselbeziehung steht, vermöge deren sie mit diesen zusanunen
ein Ganzes bildet, in welchem sich der Gesammtcharakter des all-
gemeinen socialen Zustandes mehr oder minder deutlich ausprägt.
Als ein Beispiel solcher socialer Relationen mag das von E. Marx auf-
gestellte Gesetz des Mehrwerthes dienen*). Dieses Gesetz
sagt aus, dass die geldcapitalistische Waarenproduction die Tendenz
hat einen Mehrwerth an Geld zu erzeugen , welcher nur dadurch
entstehen kann, dass die Arbeit der die Waare erzeugenden Arbeiter
während einer längeren Zeit in Anspruch genommen wird, als der
zu ihrer Lebenserhaltung erforderlichen und in ihrem Arbeitslohn
repräsentirten Arbeitszeit entspricht, so dass demnach der ,Mehr-
übertrog und demgemäss annahm, der Lohn and die Vermehrong durch Fort^
Pflanzung hielten sich stets derart das Gleichgewicht, dass der Lohn gerade för
die Fristung der Existenz genüge. In der neueren socialistischen Literatur
pflegt man dem Malthus'schen Qesetz im allgemeinen die sehr optimisÜBche
Vorstellung einer unbegrenzten Zunahme der ExistensmOglichkeit durch die
Fortschritte der Wissenschaft und Technik entgegenzuhalten, eine Annahme die,
wie so manche andere ähnlicher Art, zu den utopischen Zukunftsträumen gehört,
die in der wirklichen Socialwissenschaft ebenso wenig eine Stütze finden wie
die auf das zukünftige Ziel der Geschichte gerichteten Speculationen der früheren
Qeschichtsphilosophie in der wirklichen Geschichte.
♦) K. Marx, Das Capital, 4. Aufl., I, 1890, S. 109, 276 ff.. IV, 1894,
S. 15 ff.
Sociale Gesetze. 621
werth*, den das Capital erzielt, in nichts anderem als in dem Er-
trag eben dieser überschüssigen Arbeitszeit besteht. Dieses Gesetz
hat den Charakter eines Relationsgesetzes: es stellt die Capitalver-
mehrung und die Steigerung der Arbeitszeit über das zur Selbst-
erhaltung des Arbeiters erforderliche Mass als zwei correlative Vor-
gänge dar, von denen zwar der eine, nämlich der Capitalzuwachs,
insofern er als bereits eingetreten angesehen wird, die Wirkung des
andern, der gesteigerten Arbeitszeit, ist, wo aber auch, wenn man
die causale Beziehung der zu Grunde liegenden Tendenzen ins Auge
fasst, umgekehrt die Gapitalyermehrung, da sie der zu erreichende
Zweck ist, als der verursachende Trieb betrachtet werden muss, der
die Zunahme der Arbeitszeit erstrebt. Da sich nun dieser Process,
so lange nicht äussere zufällige Hemmungen eintreten , ins unbe-
grenzte fortsetzt, so werden jene Factoren fortan in solcher Wechsel-
wirkung mit einander stehen, dass der eine Vorgang den andern
und dieser wieder den ersten steigert. Marx hat dieses Gesetz
durch eine beziehende Analyse dargethan, welche deutlich die schon
bei der historischen Form des gleichen Gesetzes hervorgehobene
psychologische Wurzel desselben erkennen lässt (S. 412). Indem er
ausgeht von dem Begriff des ursprünglichen Tauschhandels, bei dem
Waare und Waare stets einander äquivalent bleiben {W — TT), er-
gibt sich als nächste Stufe der Waarentausch unter Vermittelung des
Geldes, wo nicht Waare für Waare, sondern Waare für Geld und
dann wieder Geld fOr Waare getauscht wird (nach dem Schema
W — G — TT), in welchem Falle abermals die Bedingung erfüllt ist,
dass die einzelnen Glieder des Processes einander äquivalent sind.
Sobald nun aber das Geld nicht mehr als blosses Tauschmittel, son-
dern zugleich ab Hülfsmittel zur Erzeugung von Waare benützt
wird, so nimmt es die Form des Capitals an, und der vorige Pro-
cess tritt jetzt in der veränderten Form auf, dass nicht für Waare
Geld und für Geld wiederum Waare, sondern dass für Geld Waare
und für diese abermals Geld eingetauscht ¥rird {G — W — G).
Hierbei ist dann stets die als mittleres Glied des Processes auf-
tretende Waare die menschliche Arbeitskraft bez. die in irgend einer
Waarenform verdichtete menschliche Arbeitskraft. Nun würde aber
jeder Antrieb zur Einleitung eines derartigen Tauschprocesses fehlen,
wenn bei demselben ebenso wie bei dem ursprünglichen Tausch alle
einzelnen Glieder einander äquivalent blieben. Das einzige Motiv zu
einem Geldaufwand, der die Herstellung einer Waare bezweckt, die
selbst wieder in Geld umgetauscht werden soll, kann vielmehr nur
622 Logik der GesellBchaftawissenschaften.
darin liegen, dass Aussieht vorhanden ist, durch die Waare mehr
Geld zu gewinnen, als zu ihrer Herstellung gebraucht wurde. Die
Formel des capitalistischen Productionsprocesses lautet daher:
e_ TT— G', wo G'=G + 8G ist, 8 C? also den durch die Waare TT
oder yielmehr durch die in ihr verdichtete Arbeitszeit gewonnenen
Mehrwerth bezeichnet.
Dass auch dieses Gesetz, wie alle socialen und historischen
Beziehungsgesetze, auf einer Abstraction beruht, dass es sich also
nur auf gewisse Erscheinungen der capitalistischen Production be-
zieht, ist ohne weiteres einleuchtend. Erstens berücksichtigt es, was
hier unerheblicher ist, das Capital nur in der Form des Geldcapitals,
nicht als Capital an Productionsmitteln ; zweitens aber abstrahirt es
davon, dass in sehr vielen Fällen der das Geldcapital beigebende
Producent selbst mit seiner Arbeit wesentlich in den Productions-
process eingreift und durch diese Arbeit unter Umstanden, wie z. B.
bei gewissen ein hohes Mass von Erfindungskraft voraussetzenden
technischen Unternehmungen, die Erzielung von Mehrwerth en erst
möglich macht, worauf dann diese wieder bei günstiger Organisation
der Arbeit nicht ihm allein, sondern zu einem mehr oder weniger
erheblichen Theil auch den Arbeitern zu gute kommen können. Das
Gesetz in der von Marx aufgestellten, Capital und Arbeit absolut
von einander trennenden Form ist also auch innerhalb der heutigen
Productionsweise nicht von allgemeingültiger Bedeutung. Dass es
aber als ein Gesetz neben andern gilt, und dass es sogar in zahl-
reichen einzelnen Fällen im wesentlichen unvermischt zur Geltung
kommt, daran lässt sich allerdings nicht zweifeln. In dieser Be-
ziehung gleicht es vollständig dem Malthus'schen Gesetz; nur dass
hier und dort die Abstraction einen verschiedenen Weg nimmt. Das
Bevölkerungsgesetz ist, unter der bei ihm stets festzuhaltenden Vor-
aussetzung einer vollständigen Bodenbesiedelung, ein allgemeines,
aber in Folge der Concurrenz mit andern Gesetzen und mit singu-
lären historischen Ereignissen in der Regel nur annähernd, d. h. in
der Form einer Grenzbestimmung gültig. Das Gesetz von Marx
ist für zahlreiche Productionsbetriebe unbedingt, ffir andere in be-
dingter oder partieller Weise und endlich für noch andere überhaupt
gar nicht oder wenigstens nicht in dem von^arx damit verbundenen
Sinne einer absoluten Trennung von Capital und Arbeit gültig.
Daraus ergeben sich vor allem wichtige praktische Unterschiede.
Das Malthus'sche Gesetz kann vernünftigerweise nur insofern zu
praktischen Nutzanwendungen Anlass geben, als man entweder der
Sociale Gesetze. 623
unvermeidlichen Selbstregulirung der Bevölkerungszahl durch äussere
Mittel, z. B. durch Begünstigung einer zv^eckmässig geleiteten Aus-
wanderung namentlich auf dem Wege der Colonisation unbebauter
Gebiete oder durch Eröffnung von Emährungsquellen , die von dem
bewohnten Boden unabhängig sind, auf dem Wege der Industrie
und des Handels, zuvorkommt, oder dass man, wo diese Hülfsmittel
versagen, wie das bei zunehmender Verbreitung des Menschen über
die Erde und wachsendem Industrialismus aUer Nationen nothwendig
allmählich eintreten muss, nun unter jenen Mitteln der Selbstregu-
lirung den freien und moralischen die Vorherrschaft über die ge-
zwungenen und unmoralischen zu verschaffen sucht. Anders bei dem
Marx'schen Gesetze. Hier kann die einzige praktische Nutzanwendung
nur darin liegen, dass man es als eine Aufgabe der Staats wirthschaft-
lichen Entwicklung betrachtet, diejenigen Productionen , auf die das
Princip der Erzeugung von Mehrwerth mittelst fremder Arbeit in
unvennischter Form Anwendung findet, zu beseitigen, also aus der
individualistischen entweder in eine corporative oder in eine staatlich
geleitete Productionsform überzuführen. Auch dann wird freilich,
so lange überhaupt der privatwirthschaftlichen Freiheit der für die
freie Entwicklung der individuellen Persönlichkeit unerlässliche Spiel-
raum bleiben soll, das Gesetz der Mehrwerthe seine Geltung be-
halten, wenngleich vielleicht nirgends mehr ausschliesslich, aber doch
in der Goncurrenz mit andern, zum Theil entgegengesetzt wirkenden
Bedingungen. Der letzte Grund dieser partiellen Geltung ist jedoch
hier, ebenso wie bei bem Malthus'schen Gesetze, die so oft über-
sehene Thatsache, dass alle diese fundamentalen Wirthschaftsgesetze
in den allgemeingültigen psychischen Eigenschaften der menschlichen
Natur ihre Quellen haben, was eben darin zum Ausdruck kommt,
dass sie lediglich Anwendungen allgemeinster psychologischer Prin-
cipien sind. Wie die sänuntlichen in das Malthus'sche Gesetz
eingehenden Factoren, der Fortpflanzungstrieb, der Nahrungstrieb
und die Selbstregulirungen zwischen diesen beiden Grundtrieben des
Menschen, nur dadurch wirksam werden können, dass sie als psychische
Motive das menschliche Handeln bestimmen, so sind bei dem Marx-
schen Gesetze der Trieb nach eigener Förderung in der ökonomischen
Form des Strebens nach Gewinn sowie auf der andern Seite das in
mancherlei Lust- wie ünlustgefühlen sich kundgebende zwingende
Bedürfhiss das eigene Leben zu erhalten schliesslich die wirklichen,
freilich mit mancherlei äusseren Bedingungen innig verwobenen Ele-
mente des Geschehens. Je unveräusserlicher die psychischen Eigen-
624 Logik der GeseUschaftowiasenschaften.
Schäften sind, die hier in Frage kommen, um so weniger wird aber
an eine absolute Aufhebung der Gesetze, in denen sich jene Eigen-
schaften äussern, jemab gedacht werden können.
Dem Gesetz der socialen Gontraste lassen sich alle
diejenigen Vorgänge des socialen Lebens unterordnen, bei denen
bestimmte Erscheinungen durch ihren Gegensatz zu andern Toran-
gegangenen oder gleichzeitigen Erscheinungen gesteigert werden.
Wie bei den historischen Gontrasten, denen diese Erscheinungen voll-
ständig entsprechen (S. 413 ff.), so pflegen auch hier zwar die Anlasse
zur Entwicklung der Gegensätze äussere zu sein; die wirkliche Er-
klärung der Gegensätze selbst führt aber auf die allgemeinsten Eigen-
schaften des GefiLhlslebens zurück. Zugleich ist in diesem Fall die
Beziehung zu den analogen historischen Erscheinungen noch eine
engere als bei den beiden Torangegangenen Gesetzen, weil auch die
socialen Gontraste insofern eine geschichtUche Form annehmen, als
gegensätzliche GefQhle, wie in dem einzelnen Bewusstsein, so nicht
minder in einer Gemeinschaft vieler Individuen nicht gleichzeitig
sondern successiv aufzutreten pflegen. Das ist aber in jener Einheit
der Geftthlslage begründet, die es unmöglich macht gleichzeitig ent-
gegengesetztes zu wollen, eine Einheit die vermöge der überein-
stimmenden Lebensbedingungen in gevrissem Grade immer auch
für die sociale Gemeinschaft gültig ist. Nichts desto weniger wird
man nun solche Gontrasterscheinungen, deren wesentliche Bedeutung
ganz und gar auf socialem Gh)biete, nicht oder doch nur in weit
zurücktretendem Masse auf historischem lieget, eben darum dem
socialen Gontrastgesetze zuzählen können. An sich sind eben auch
hier die Gesetze social und historisch zugleich, aber das Schwer-
gewicht fallt in diesem Fall auf die sociale Seite.
Ein charakteristisches Gontrastgesetz in diesem Sinne ist das
Gesetz der ökonomischen Krisen. Der Ausdruck «Krisen*,
der bekanntlich den so genannten Krankheitskrisen der Medidn ent-
nommen wird, ist, angewandt theils auf allgemeine ökonomische
theils auf specielle Börsen-, Handels-, Productions und andere Krisen,
deshalb vor allem ein unzutreffendes Bild, weil die Krankheitskrisis
ein einmaliger, die ökonomische ICrise dagegen in allen Fällen ein
periodisch wiederkehrender Process ist. Das erhellt aus der folgenden
Gharakteristik ihrer einzelnen Stadien, wie sie ziemlich überein-
stimmend von Nationalökonomen der verschiedensten Richtung ge-
geben wird: „Ruhezustand, Geschäftszunahme, wachsendes Vertrauen,
günstiger Erfolg, Aufregung, Ueberstürzung, Druck, Stockungen,
Sociale Gesetze. 625
l^oili, Wiedereintritt des Ruhezustandes*'*'). Mit dem seinem Anfang
gleichenden Endstadium pflegt dann der Process nach kürzerer oder
längerer Zeit von neuem zu beginnen. Dabei ist freilich die Perio-
dicitöt keine regelmässige. Aber bei den allgemeinen Krisen zeigt
sich doch darin eine einigermassen regelmässige Tendenz der Ver* •
änderung, dass sich die Dauer der Krisen seit dem vorigen Jahr-
hundert fortschreitend verlängert hat'*''*'). Man pflegt die Krisen als
noth wendige Uebel des Wirthschaftslebens, mindestens bei den heutigen
Grundsätzen desselben, und vor allem als nothwendige Folgen einer
wenn auch nur partiellen Herrschaft der Grundsätze des ökonomischen
Liberalismus anzusehen. Als nächste Ursachen derselben betrachtet
man aber die mangelnde Voraussicht und Umsicht, wobei die erstere
um so schwieriger werde, je mehr allmählich die Volkswirthschaft
einer Weltwirthschaft Platz mache*'*''*'). Aber so zweifellos diese Ur-
sachen mitwirken, so würden sie allein doch den vorhin geschilderten
Verlauf nicht erklären. Denn dieser lässt deutlich erkennen, dass
in der Aufeinanderfolge der Erscheinungen Gefühle und Affecte eine
Hauptrolle spielen. Der Erregung folgt, wie überall im Gefühlsleben,
auch hier Depression, eine Depression die um so tiefer geht, je höher
vorher die Leidenschaft gesteigert war. Und diese Gefühlsmomente
verstärken nicht etwa bloss die Erscheinungen, sondern es ist leicht
zu sehen, dass sie, natürlich in enger Verbindung mit den ent-
sprechenden intellectuellen Processen, an ihrer Entstehung wesentlich
mitwirken. Ohne «den Trieb nach Gewinn, der zuerst zur Leiden-
schaft wird, un^dann, sobald sich die Symptome des Misserfolgs
einstellen, plötzlich in Furcht umzuschlagen, würde jener intellectuelle
Mangel an Voraussicht gar nicht zur Geltung kommen. Das Krisen-
gesetz ist also augenscheinlich ein Gontrastgesetz, und es gilt in dem
nämlichen Sinne wie alle diese socialen Beziehungsgesetze, unter dem
Vorbehalt nämlich, dass noch weitere Bedingungen in die Erscheinungen
eingreifen, die andern Principien, namentUch dem der Resultanten
und der Relationen, zu subsumiren sind. Wie diese Gesetze, so ist aber
auch das Gontrastgesetz in seiner Anwendung auf das sociale Gebiet
nichts anderes als eine besondere Anwendung des entsprechenden all-
*) Vgl. H. Herkner, Art. Krisen im Handwörterbuch der Staatswissen-
schaften, IV, S. 891.
**) L. Brentano, Ueber die Ursachen der heutigen socialen Noth.
1889, S. 19.
***) Vgl. z. 6. Schäffle, Bau und Leben des socialen Köipers, UI, S. 431 fL
Brentano a. a. 0.
Wandt, Logik. II, 2. s. Aufl. 40
626 Logik der Gesellschaftswissenschaften.
gemeineren psychologischen Princips. In der Concurrenz dieser Prin-
cipien macht das Gontrastgesetz namentlich dann seine Wirkungen
geltend, dass es die aus den andern Gesetzen abgeleiteten Ergebnisse
und Voraussagen abändert oder völlig in ihr Gegentheil umwandelt.
Besonders sind es politische Constellationen, die dem Walten des
Contrastes durch die wechselnde Erregung von Furcht und Ho&ung
günstig sind, und wo jener sich freilich zugleich nicht bloss wegen
der singulären Natur der geschichtlichen Ereignisse sondern auch
wegen der nie zu übersehenden Steigerung der Gefilhlswirkungen
jeder Vorausberechnung zu entziehen pflegt. Darum spiegeln sich
z. B. in den Börsencursen nur mittelbar die Veränderungen der
ökonomischen und poUtiscben Lage. Unmittelbar aber haben die-
selben die Bedeutung eines Geftthlsbarometers, auf dessen Schwan-
kungen das Gontrastgesetz, gemäss den allgemeinen Bedingungen
des Gefühlswechsels, einen entscheidenden Einfluss ausübt.
Sind in allen diesen Beziehungen, in ihren Formen wie in ihren
letzten Bedingungen, die socialen und die historischen Gesetze durch-
aus einander verwandt und nicht selten sogar im einzelnen Fall nicht
von einander zu trennen, so kommt nun aber dazu auf soci^em
Gebiet noch eine Glasse weiterer Gesetze, denen in der GFeschichts-
wissenschaft nichts analoges gegenübersteht. Dies sind solche Gesetze,
die nicht bloss, oder die sogar nur in untergeordneter Weise ein Sein,
sondern die zugleich und in erster Linie ein Sollen ausdrücken,
Gesetze die wir wegen dieses ihres befehlenden Gharakters als Normen
oder auch als Normgesetze bezeichnen.
d. Die socialen Normen.
Frühe schon hat die ^^Norm" gegenüber dem „Gesetz* die
Bedeutung einer bindenderen und daher höherstehenden Regel an-
genommen. Bezeichnet das Gesetz, die Lex, ursprünglich die ein-
zelne Vorschrift, die innerhalb der bürgerlichen Rechtsordnung Geltung
hat, so ist die Norm die ungeschriebene, aber in dem allgemeinen
Rechtsbewusstsein begründete Regel, die zugleich die Quelle des
Gesetzes isf*"). Nachdem nun vollends der Begriff des Gesetzes durch
*) »Nonü" und , Gesetz* sind, das erste durch unmittelbare Aufiiahme,
das zweite durch freie üebersetzung in die Sprache der deutschen Wissenschaft
an die Stelle der römischen Begriffe Norma und Lex getreten. Die Stellung
.beider Begriffe im Lateinischen bezeichnet deutlich der Ciceronische Satz: .Natura
norma legis est* — ein Satz, in dem bereits der Grundgedanke des Naturrechta
Sociale Nonnen. 627
seine früher (S. 130) geschilderte allmähliche Ausbreitung über die
theoretischen Wissenschaftsgebiete jene Verallgemeinerung erfahren
hatte, durch die ihm die einstige Bedeutung einer Regel für das
menschliche Handeln genommen war, trat überall da, wo jener einstige
Begri£F des Gesetzes als einer Willensv^orschrift gegenüber dem neu
Ton der Naturwissenschaft ausgebildeten eines regelmässigen Ver-
hältnisses von Erscheinungen deutlich zum Ausdruck gebracht werden
soUte, der Begriff der Norm ergänzend in die entstandene Lücke
ein. Norm in diesem im wesentlichen erst durch die Bedeutungs-
differenzirung gegenüber dem Gesetze entstandenen Sinn ist demnach
jede Regel, die sich an das innere oder äussere Handeln, das Denken
oder Thun des Menschen wendet, indem sie sagt, was dieses Handeln
erstreben oder vermeiden soll. Normen in dieser allgemeinsten Be-
deutung gibt es daher in allen den Wissenschafken, die neben der theo-
retischen zugleich eine praktische Seite haben, wenn man es auch
meistens vorzieht den Ausdruck auf die fundamentaleren Willens-
gebote zu beschränken, und daher zwar von logischen, ethischen,
rechtlichen Normen, dagegen von grammatischen, technischen Regeln
und bei den veränderlicheren Rechtsnormen von Gesetzen und Ver-
ordnimgen zu reden. Immerhin haben auch solche relativ unter-
geordnete Vorschriften den allgemeinen Charakter von Normen. Ihr
Unterschied von den wichtigeren Normen liegt überall nur darin,
dass sie blosse Hülfs normen sind, die der besonderen Anwendung
gewisser Grundnormen und ihrer Verbindung mit den Bedürfnissen
des praktischen Lebens dienen, eine Vermittlerrolle die ihnen dann
zugleich im allgemeinen wandelbarere Eigenschaften verleiht, als sie
den Grundnormen zukommen'*').
Geschichte und Sociologie bieten nun darin ein wesentlich ver-
schiedenes Verhalten dar, dass der Geschichte als solcher der Be-
anklingt, nnr dass freilich der Begriff der «Natur" bei den römischen Juristen
eine etwas andere Bedeutung hatte, als bei den Vertretern der späteren Natur-
rechtstheorie. Darin, dass in erster Linie Rechtsbegriffe durch Verallgemeine-
rung und üebertragung die philosophische Terminologie bestimmt haben, wirken
Oberhaupt noch heute Recht und Philosophie der Römer bei uns nach. So ist
in der üebertragung der Begriffe »Urtheil* (Judicium), »Schluss* (conclusio),
»Erkenntniss'' (cognitio) u. a. vom Gebiet des Rechts auf das der Philosophie
die deutsche Wissenschaft, hauptsächlich seit Leibniz, dem römischen Beispiel
gefolgt. Die secundäre Differenzirung des Begriffs «Erkenntniss* in die Er-
kenntniss im philosophischen und das Erkenntniss im rechtlichen Sinne ist sogar
erst ein Product des letzten Jahrhunderts.
♦) Vgl. oben S. 578 und Ethik 2. Aufl., S. 1 ff., S. 539 ff.
628 Logik der GesellBchaftswissenschafben.
griff der Norm völlig fremd bleibt, während die Sociologie nicht
bloss Gesetze des Seins aufzufinden sondern auch praktische Normen
zu entwickeln sucht, nach denen der Wille der Einzelnen oder der
Gemeinschaften sich richten oder in den Verlauf der Erscheinungen
eingreifen soll, mögen nun solche Normen die Bedeutung von Grund-
normen oder von blossen Hülfsnormen besitzen. Auf diese Weise
ruht nicht nur die ganze Jurisprudenz auf der Existenz der Rechts-
normen, sondern auch die Staatswissenschaffc, die Bevölkerungslehre,
die Volkswirthschaft haben in der Staatskunst, der Bevölkerungs-
und Wirthschaftspolitik praktische Zweige entwickelt, in denen es
sich schliesslich inuner darum handelt aus der eingehenden Kenntniss
des socialen Lebens Normen für die zweckmässigste Lenkung der
öffentlichen Angelegenheiten zu gewinnen. Weshalb sich die histori-
schen Gebiete dem gegenüber auf ein rein theoretisches Verhalten
beschränken müssen, ist einleuchtend. Das menschliche Handeln
gehört direct niu: der Gegenwart an, erst indirect, durch die zu er-
wartenden Folgen, der Zukunft; die Vei^angenheit aber bleibt inuner
nur ein Object theoretisch reflectirender Betrachtung. Uebrigens
hören die Normen dadurch dass sie Willensvorschriften sind keines-
wegs auf zugleich Gesetze im theoretischen Sinne zu sein. Sie können
nur ein Sollen ausdrücken, wenn sie zugleich ein Sein bedeuten. In
doppelter Weise offenbart sich dieser theoretische Gesetzescharakter der
Normen. Erstens müssen sie aus den thatsächlichen Willensvorgängen
abstrahirt werden: so können wir die logischen Normen nur aus dem
wirklichen logischen Denken, die sittlichen nur aus den thatsäch-
lichen Erscheinungen des sittlichen Lebens gewinnen. Zweitens muss
die Vergleichung der wirklichen Erscheinungen eines Gebiets mit
den entsprechenden Normen überall die Grundlage einer WerÜi-
beurtheilung bilden. Dass hierbei die Normgesetze ihrer Natur nach
immer nur Regeln sein können, die in vielen, nicht in allen Fällen
zutreffen, begründet keine Ausnahmestellung gegenüber den rein
theoretischen Gesetzen, für die ebenfalls stets die Bedingung gilt,
dass sie nur zutreffen, sofern sie nicht durch das Dazwischentreten
anderer Gesetze oder auch irgend welcher singulärer Ereignisse, die
causal bestimmt sind, aufgehoben werden. (Vgl. Gap. I, S. 140 ff.)
Nicht alle die oben erwähnten Gebiete, in denen Normgesetze
von praktischer Bedeutung auftreten, können nun aber auf die Ent-
wicklung selbständiger socialer Grundnormen Anspruch erheben.
Vielmehr besitzen die Normen überall, wo sie nicht ursprüngliche
Bestandtheile der Wissenschaft selbst sind, sondern erst auf Grund
Sociale Normen. 629
der theoretischen Untersuchung der Erscheinungen als Maximen für
die praktische Einwirkung auf diese entstehen, bloss den Charakter
Ton Hülfsregeln, die ein Zusammenleben nach Massgabe der all-
gemeinen menschlichen Eigenschaften und der allgemeinen sittlichen
und rechtlichen Pnncipien möglich machen sollen. Darum gibt es
keine allgemeingültigen Normen der Politik, der praktischen Be-
Tölkerungslehre und Volkswirthschaffc, sondern es gibt nur praktische
Regeln, die sich in diesen Gebieten durchaus nach den jeweils be-
stehenden Zustanden richten und daher ausserordentlich abweichen-
der Art sein können, die aber unter allen umständen den wirklichen
socialen Grundnormen gegenüber die Bedeutung von Hülfsregeln
haben, die innerhalb der gegebenen socialen Zustände jenen Normen
so yiel als mögUch zur Durchführung verhelfen sollen. Nach Aus-
scheidung dieser blossen Hülfsregeln bleiben allein drei Classen
socialer Normen übrig, die Grundnormen und, soweit die allgemeinen
Bedingungen der Entwicklung dies zulassen, zugleich allgemeingültig
sind. Dies sind die Normen der Sitte, der Sittlichkeit und
des Rechts. Sie stehen wieder zu einander in dem Verhältniss
einer Entwicklungsfolge, indem die Normen der Sitte die ursprüng-
lichsten sind, aus denen sich durch eine allmähliche Differenzirung
unter dem gleichzeitigen Einfluss der fortschreitenden Entwicklung
der sittlichen Gefühle und praktischer Bedürfnisse die sittlichen und
die rechtlichen Normen abgezweigt haben. Bei diesem Process hat
die Sitte die relativ gleichgültigeren und darum wechselnderen Normen
des socialen Lebens für sich behalten, während die wichtigeren auf
Sittlichkeit und Recht übergingen. Hierbei ergänzen sich dann diese
beiden Gebiete wieder in dem Sinne, dass nicht nur das Recht direct
wie indirect das sittliche Leben sichert, sondern dass es auch überall
sittliche Pflichten als eine Ergänzung der Rechtspflichten voraussetzt.
(Vgl. oben S. 547.) Dieser enge Zusammenhang der socialen Normen
unter einander sowie die Nothwendigkeit, bei der Untersuchung ihrer
Entstehung und Entwicklung die Psychologie, insbesondere auch die
Völkerpsychologie zu Hülfe zu nehmen, hat dieselben zu Objecten
einer allgemeinen oder philosophischen Wissenschaft gemacht, der
Ethik. Ihre wahre Grundlage ist weder die Metaphysik, auf die
sich die rationaHstisch-speculative Ethik der philosophischen Schulen
zu stützen pflegte, noch die Individualpsychologie, die zumeist der
Empirismus als solche betrachtete, sondern die Ethologie, als Natur-
geschichte und Geschichte der Sitte, und die Rechtswissenschaft. Die
Psychologie aber, die Individual- wie Völkerpsychologie, ist das un-
630 Logik der GesellBchaftswissenschaften.
entbehrliche Werkzeug ihrer Untersuchungen. Die Principien dieser
ethischen Wissenschaft zu entwickeln, muss ihr selbst überlassen
bleiben. Nur auf das Verhältniss der drei Normengebiete und auf
das übereinstimmende allgemeine Zweckprincip, das in ihnen zum
Ausdruck kommt, sei hier hingewiesen.
Die Sitte sagt uns was sich geziemt, das Recht was ge-
recht ist, die Sittlichkeit was gut ist. Wie das Geziemende,
das Gerechte und das Ghite nicht auseinanderfallen, sondern über
einander greifen und sich voraussetzen, so stützen und tragen sich
auch die Normen dieser drei Gebiete wechselseitig. Und diese dreier-
lei Normen weisen auf eine ihnen allen gemeinsame Voraussetzung
hin. Sie besteht darin, dass weder der Einzelne bloss um der Ge-
meinschaft willen noch auch die Gemeinschaft bloss um des Einzelnen
willen sei. Andeutend sagt dies die Sitte, indem sie das Gebot der
Achtung gegen den Nächsten mit dem der Wahrung der eigenen
Würde verbindet. Energisch kommt die nämliche Verbindung in
dem Rechte zum Ausdruck, das Befugnisse wie Pflichten der Ein-
zelnen sorgsam gegen einander abwägt, im entscheidenden Fall aber
stets dem Recht der Gesammtheit und der Pflicht gegen sie den
Vorrang über individuelle Interessen einräumt. Am unzweideutig-
sten endlich bezeugen dies Bedingtsein aller von dem Einzehien
zu erstrebenden Güter durch die aUgemeinmenschlichen Zwecke
die sittlichen Gebote, da die sittliche Norm überall die freiwillige
Hingabe des Einzelinteresses an die gemeinsamen geistigen Zwecke
der Menschheit zum Mass des Werthes der Handlungen nimmt. So
führt die Betrachtung der socialen Normen auf ihrem Gebiet zu
einem ähnlichen Ergebnisse, wie die Frage nach den der Ge-
schichte immanenten Zwecken*); nur dass an die Stelle des dort
sich darbietenden Verhältnisses der Gegenwart zur Zukunft hier
das des Einzelnen zur Gemeinschaft tritt. Wie in der Geschichte
jedes Zeitalter sein eigenes Leben lebt, das seinen Werth in sich
selbst trägt, durch diesen aber zugleich Mittel für die Zwecke
nach ihm kommender Generationen und so für das Ganze menschlicher
Entwicklung wird, — so hat auch in der Gesellschaft der Einzelne
seinen Werth für sich selbst ; aber dieser eigene Werth ist zugleich
eng geknüpft an die Verbindung mit der Gemeinschaft, deren Zwecken
der Einzelne mit seinem Streben angehört.
0 Vgl. oben Cap. in, S. 427 ff.
Methodologische Richtangen der Philosophie. 631
Fünftes Capitel.
Die Methoden der Philosophie.
1. Die methodologischen Bichtiuigen der Philosophie.
Das Verhältniss der Phflosophie zu den Einzelwissenschaften
bringt es mit sich, dass die Methodenlehre als eine allgemeine oder
philosophische Disciplin zwar die Methoden aUer andern Wissen-
schaften sowie die principiellen Voraussetzungen, auf denen sie ruhen,
zu untersuchen hat, dass aber die Principien und Methoden der Philo-
sophie selbst nicht in ähnlicher Weise von ihr behandelt werden
können. Denn es ist die Eigenschaft der Einzelwissenschaften, dass
sie bestimmte Principien und Methoden meist mit grosser Sicherheit
anwenden, dass sie jedoch, mit den praktischen Erfolgen solcher
Anwendung zufrieden, über den Ursprung und Zusammenhang und
über den logischen Charakter derselben keine Rechenschaft geben.
Und das mit Recht, weil eine derartige Untersuchung eine erkenntniss-
theoretische Grundlegung und eine vergleichende Prüfung der ver-
schiedenen Wissenschaftsgebiete fordert, wodurch sie sich sofort als
eine philosophische Aufgabe zu erkennen gibt. Dies verhält sich
anders mit der Philosophie, die, weil sie selbst eine principielle Wissen-
schaft ist, von vornherein mit klarem kritischem Bewusstsein über
ihre Voraussetzungen und Verfahrungsweisen Rechenschaft geben
muss. Die Principien und Methoden der Philosophie bilden also
samt ihrer Begründung den eigensten Inhalt der Philosophie selbst,
nicht einer besonderen, über sie reflectirenden Disciplin.
Nur in einer Beziehung kann auch eine allgemeine Logik der
Wissenschaften von einer kurzen Betrachtung der philosophischen
Methoden nicht Umgang nehmen: insofern nämlich, als die Frage,
ob es speci fische, von den sonstigen wissenschaftlichen Ver-
fahrungsweisen grundsätzlich abweichende Methoden der Philosophie
gebe, von allgemein logischer Bedeutung ist. Diese Frage kann
nun bejaht oder verneint werden, und danach, ob dies geschieht
oder nicht geschieht, und in welchem Sinne es geschieht, trennen
sich die hauptsächlichsten in der Geschichte auftretenden philoso-
phischen Richtungen. Bejaht man die Frage, so kann entweder die
632 Methoden der Philosophie-
Aufgabe der Philosophie darin erblickt werden, dass sie die in den
Erfahmngs Wissenschaften geübte empirische Methode aufzonehmen
und wo möglich mit grösserer logischer Strenge als es in jenen ge-
schieht auf die allgemeinen Objecte des Wissens anzuwenden habe.
Oder es kann der Philosophie 'eine eigenthümliche, in ihrem all-
gemeinen Charakter begründete rein rationale Methode der Ent-
wicklung und Verknüpfung der Begriffe zugeschrieben werden, die
dialektische Methode, die dann wieder in verschiedenen Formen
möglich ist. Wird endlich jene Frage verneint, so lieg^ darin
von selbst, dass die in der vorangegangenen Untersuchung er-
örterten allgemeinen Methoden der Wissenschafken auch die Metho-
den der Philosophie sind. Zugleich bringt es aber der Charakter
der philosophischen Aufgaben als allgemeiner Erkenntnissprobleme
mit sich, dass es vorzugsweise die in den Geisteswissenschaften ge-
übten Methoden der psychologischen Analyse und Abstraction, der
Interpretation und Kritik sind, von denen die Philosophie Gebrauch
machen muss. Obgleich die Philosophie als allgemeine Wissen-
schaft gleicher Weise zu Mathematik und Naturforschung wie zu
den Geisteswissenschaften Beziehungen darbietet, so werden daher
auch von diesem Standpunkte aus ihre Methoden zweckmässig im
Anschlüsse an die Logik der Geisteswissenschaften zu besprechen
sein *).
*) Aus andern, aber theilweise damit nahe zusammenhängenden Gründen
kann der Theologie in methodologischer Beziehung keine besondere Stellung
in dem System der Wissenschaften angewiesen werden. Zu ihrer einen H&lfte^
als Interpretation und Kritik der christlichen Ueberlieferungen und als Ge-
schichte der Kirche imd ihrer Lehre, gehört die wissenschaftliche Theologie
ganz und gar zu den philologisch-historischen Disciplinen, und zwar in den
exegetischen Theilen zur Philologie, in den historischen zur Geschichte. Zu
ihrer andern Hälfte aber, als so genannte systematische Theologie, sucht sie,
insofern sie Überhaupt den Anspruch erhebt Wissenschaft* zu sein, die Religion
mit den allgemeinen wissenschaftlichen Anschauungen, also in erster Reihe mit
der Philosophie, in der diese allgemeinen Anschauungen ihren nächsten
Ausdruck finden, in Zusammenhang zu bringen. Insbesondere sind es Erkenntniss-
theorie, Metaphysik, Ethik und Religionsphilosophie, mit denen sich auf diese
Weise die systematischen Theile der Theologie, Dogmatik imd theologische
Ethik, auseinanderzusetzen haben. Demgemäss sind denn auch auf diesen Ge-
bieten die theologischen durchaus mit den im Folgenden zu schildernden philo-
sophischen Methoden identisch. Aus diesem ganzen Verhältniss ergabt sich
zugleich, dass die Theologie zwar, insofern sie concreto geschichtliche Erschei-
nungen und einen bestimmten Thatbestand religiöser Anschauungen zu ihren
Objecten hat, gegenüber der Philosophie eine Einzel Wissenschaft ist, dass sie
Empirische Methode. 633
2. Die empirische Methode.
Von dem Grundsatze ausgehend, dass alle Erkenntniss aus der
Erfahrung entspringe, betrachten die Vertreter der empirischen Me-
thode die Feststellung der Thatsachen der Erfahrung als eine Auf-
gabe, die der Philosophie mit allen andern Wissenschaften gemein-
sam sei. Da sich nun aber mit dieser Aufgabe die speciellen Wissen-
schaften schon für den ganzen Umfang des menschlichen Wissens
beschäftigen, so besteht auf diesem Standpunkte nur noch darin ein
eigenthümliches Problem der Philosophie, dass sie jenen methodo-
logischen Qrundsatz aus der thatsächlichen Entwicklung der Er-
kenntniss nachzuweisen sucht. Folgerichtig wird daher die Philo-
sophie im wesentlichen auf Erkenntnisslehre zurückgeführt, der
man dann meist noch die Moraltheorie als ihre praktische An-
wendung anfügt. Der Werth dieser Erkenntnisslehre wird aber darin
gesehen, dass sie tbeils die ünzulässigkeit anderer philosophischer
Richtungen aufzeige, theils die in den Einzelwissenschaften zur Gel-
tung kommenden Bestrebungen nach üeberschreitung der Erfahrung
zurückweise. Hier berührt sich die empirische mit der in allen
Wissenschaften geübten kritischen Methode. Sie fällt mit dieser
zusammen, so lange sie sich nur bemüht, die Bestandtheile des
Wissens zu sondern; sie erhält aber ihre Bedeutung als philoso-
phische Methode in dem Augenblick, wo sie aus den empirischen
Elementen allein Inhalt und Form der Erkenntniss zu gewinnen
strebt. Da dieser Schritt mit Schwierigkeiten verbunden ist, indem
er an den Methoden und Principien der Erfahrungswissenschaften
selbst einem fortwährenden Widerstände begegnet, so ist es begreif-
lich, dass die Entwicklung der empirischen Methode zwar bis in die
Anfange der Philosophie zurückgeht, dass sie aber eine strengere
Ausbildung spät erst erreicht hat. Anderseits ist sie seit Hume,
dessen Untersuchungen des Substanz- und Causalbegriffs noch immer
aber doch in viel höherem Masse als andere Einzelwissenschaften ihrerseits auf
die Hülfe der Philosophie angewiesen ist. üebrigens ist auch das kein gmnd-
sätzlicher unterschied, denn ähnliche Wechselwirkungen bestehen naturgemäss
aUer Orten. Auch Psychologie, Geschichte und Sodalwissenschaften führen ja,
wie wir sahen, auf philosophische Fragen zurück, deren Beantwortung wiederum
f&r die Lösung der einzelnen Probleme von prindpieller Bedeutung wird.
634 Methoden der Philosophie.
als unübertroffene Beispiele derselben dastehen, nicht wesentlich ge-
fördert worden.
An diesen Beispielen erkennt man zugleich, dass die empirische
Methode in einer Verbindung von Analyse und Abstraction besteht,
wobei die letztere in der Elimination derjenigen Begriffselemente
sich bethätigt, die nicht empirischen Ursprungs sind. Hierin zeigt
sich nun aber sofort die Unzulänglichkeit derselben. Die Qesetze
des Denkens, nach denen die Erfahrungselemente verbunden und
geordnet werden, bleiben hier völlig dahingestellt, und da eine ab-
solute Abstraction von diesen Bedingungen nicht gelingt, so tritt
an die Stelle einer sorgfaltigen Untersuchung derselben zumeist die
Einführung roher psychologischer Hülfsbegriffe, wie der Gewohnheit,
der regelmässigen GoSxistenz und Aufeinanderfolge der Vorstellungen.
Hinter allen diesen Hülfsbegriffen verhüllt sich die Idee einer be-
stimmten Regelmässigkeit der Erfahrung, deren Erkenntniss,
welche Bedeutung man ihr auch beilegen, ob man sie als eine
nothwendige oder zufällige ansehen mag, nur im Denken entspringen
kann. Wie und unter welchen Bedingungen sie hier entspringt,
darüber gibt aber die empirische Methode als solche gar keine Rechen-
schaft. Die Aufgabe, die sie sich stellt, alle Erfahrungsbegriffe in
ihre letzten Bestandtheile zu zerlegen, vermag sie abo selbst nie-
mals vollständig zu lösen.
3. Die dialektischen Methoden.
a. Die antithetische Methode.
Wer sich die Entwicklung der älteren Speculation von den
Eleaten bis auf Plato vergegenwärtigt, kann sich dem Eindrucke
nicht entziehen, dass die kunstmässige Uebung des Denkens, wie
sie hier zum ersten Mal entstand^ auf ihre Entdecker eine Art be-
rauschender Wirkung ausgeübt habe. Um so unwiderstehlicher aber
erschien die Macht, die man den logischen Hülfsmitteln zutraute, je
mehr ihr die Forderungen des Erkennens und Glaubens zu Hülfe
kamen. Diesen Quellen verdankt der Piatonismus seinen Einfluss
auf künftige Zeiten. Zum ersten Male hat er das zuvor schlum-
mernde Princip der dialektischen Methode mit Bewusstsein verkündet.
Dieses Princip lautet, dass die Wahrheit nur im begriff-
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636 Methoden der Philosophie.
luDgen und Beweisführungen dieses Zeugniss zu verstärken, erhebt
sich allmählich die Forderung, in der Constitution der Begriffe Merk-
male aufzufinden, die denselben die Denknothwendigkeit sichern,
damit aber zugleich ihre Entstehung im Denken über allen Zweifel
erheben sollen. Es ist naturgemäss, dass man hierbei auf gewisse
für die Erkenntniss- und Qlaubensbedürfnisse besonders werÜiTolle
Begriffe den Hauptwerth legt, um so mehr da sie meist die Grenzen
der Erfahrung zu überschreiten und also hierdurch schon ihren
überempirischen Ursprung zu beweisen scheinen. In Descartes'
Meditationen hat dieses Streben nicht den ersten, aber doch einen
vorzugsweise charakteristischen Ausdruck gefunden. Das Interesse
an den transcendenten Fragen brachte es mit sich, dass hier die
speculative Theologie der Philosophie den Weg bereitete. Der onto-
logische Gottesbeweis des Anseimus von Ganterbury wird durch
Descartes nur unwesentlich modificirt und dann von Spinoza in
eine abstractere philosophische Form gebracht. So entsteht jene
classische Entwicklung des Substanzbegriffes, welche die Doppel-
eigenschaft der Definition und der Deduction in sich vereinigt. Diese
Verbindung ist ein nothwendiges Ergebniss des Princips der onto-
logischen Methode, nach welchem das Kriterium der Wahrheit
eines Begriffs in den logischen Eigenschaften besteht,
die ihm die Existenz sichern. Die Substanz ist die Causa sui;
als solche ist sie ein Begriff, der sich selbst trägt, den man nur
richtig zu definiren braucht, um seine Noth wendigkeit einzusehen,
und dessen Aufhebung darum sofort einen Widerspruch im Denken
erzeugen muss. Es ist klar, dass auf diese Weise der Schwerpunkt
der Methode ganz und gar in die Definition fallt; aber es ist zu-
gleich bemerkenswerth, wie daneben das antithetische Verfahren der
älteren Dialektik als Hülfsmethode Verwendung findet, indem es in
zahlreichen apagogischen Beweisen die zwingende Gewalt der ur-
sprünglichen Definition anschaulich zu machen sucht, ohne ihr begriff-
lich etwas neues hinzuzufügen.
Wie die antithetische Methode den Apriorismus der alten, so
beherrscht die ontologische den Rationalismus der neueren Philosophie.
Die zwei hauptsächlichsten Anwendungen, welche diese Methode
gefunden, entsprechen den zwei Hauptformen des Substanzbegriffs
der rationalistischen Metaphysik, der absolut unendlichen und der
absolut einfachen Substanz. Aehnlich wie Spinoza aus der Definition
der Causa sui die erste, so sucht Leibniz in einer verwandten,
freilich viel unvollkommeneren Weise aus dem Begriff des Zusammen-
OntologiBche Methode. 637
gesetzten die zweite zu gewinnen. Denn seine Begründung der
Annahme einfacher Substanzen beruht allein auf dem Argumente,
dass die Existenz des Zusammengesetzten nothwendig die des Ein-
fachen fordere. Unvollkommen ist dieses ontologische Verfahren,
weil das Zusammengesetzte nicht aus einer begrifflichen Nothwendig-
keit abgeleitet, sondern empirisch vorausgesetzt wird. Auch hierin
verräth sich Leibniz' vermittelnder Standpunkt. Erst Herbart
hat die strengere ontologische Deduction nachgeholt, indem er
zu zeigen suchte, dass der Begriff des Seins nur als einfache
Position gedacht werden könne. Seine Methode der Beziehungen,
die, Analyse und Abstraction verbindend, zur Reduction der wider-
spruchsvollen Erfahrungsbegriffe auf ihre letzten widerspruchsfreien
Elemente dienen soll, ist ein hierbei zur Anwendung kommendes
Hülfsverfahren. Da dasselbe rein begrifflichen Operationen unmittel-
bar eine reale Bedeutung beilegt, so steht es unter der nämlichen
Voraussetzung wie die Methode Spinozas und unterliegt dem näm-
lichen Einwand wie diese, dem Einwände den Kant schlagend in
den Satz zusammenfasste, dass die unbedingte Nothwendigkeit eines
ürtheils immer nur eine bedingte Nothwendigkeit der Sache beweist,
auf die sich das ürtheil bezieht. Die ontologischen Beweise sind
triftig, sofern es Objecte gibt, die den postulirten Begriffen ent-
sprechen. Wird auf diese Weise den Resultaten der ontologischen
Methode ein bloss hypothetischer Werth zugesprochen, so wird
denselben damit freilich in den Augen ihrer Vertreter die Spitze
abgebrochen, aber objectiv betrachtet wird ihnen doch keineswegs
jede Bedeutung geraubt. Die Substanzbegriffe eines Spinoza und
Leibniz behalten einen hypothetischen Werth. Wenn sie auf
die Dauer dem philosophischen Bedürfnisse nicht genügt haben, so
geschah dies nicht deshalb, weil ihnen die reale Nothwendigkeit
fehlte, die ihnen ihre Urheber zuschrieben, sondern weil sie in Wider-
sprüche verwickelten, sobald es sich darum handelte eine Ueberein-
Stimmung mit den sonstigen Postulaten der Erkenntniss herzustellen.
Von diesem Gesichtspunkte aus wird aber auch jene unhistorische
Ansicht hinfällig, die in der ontologischen Methode schlechterdings
nichts als eine Verirrung der Philosophie erblickt. Man übersieht
dabei nicht bloss die Bedeutung, welche die Hypothesenbildung, die
überall zimächst aus der Objectivirung bestimmter Forderungen des
Denkens hervorgeht, für die Wissenschaft überhaupt hat, sondern es
bleibt insbesondere auch der grosse und nicht selten fruchtbare Ein-
fluss, den die rationalistische Denkweise ebenso sehr wie die ihr
638 Methoden der Philosophie.
entgegengesetzte empiristische auf die Entwicklung der Einzelwissen-
Schäften ausübte, ein vollkommenes Räthsel.
c. Die Methode der immanenten Begrif fsentwicklang.
Da die ontologische Methode den kritischen Einwürfen, die
namentlich mit Rücksicht auf die transcendente Natur ihrer Begriffe
erhoben wurden, nicht Stand halten konnte, so war der Versuch
gerechtfertigt, für das dialektische Verfahren neue Wege aufzufinden,
die nun im wesentlichen in einer Vereinigung der antithetischen Me-
thode Pia tos mit der ontologischen des neueren Rationalismus be-
standen. Abgesehen von einigen weiteren nicht zu allgemeinerer
Qeltung gekommenen Versuchen ähnlicher Richtung gehört hierher
besonders die mit Fichte beginnende tmd in Hegel endende Ent-
wicklung der neueren Speculation. Kein Anderer aber als Kant
ist es, der zuerst wieder auf die antithetische Methode der
Alten zurückging, um sie durch eine Synthesis der Begriffe zu er-
gänzen. An einem Philosophen, der so mannigfache Seiten der
Betrachtung darbietet wie Kant, ist jede Zeit geneigt, das ihrer
eigenen Denkweise am nächsten liegende zu beachten. Die anti-
philosophische Richtung der soeben vergangenen Zeit hat in Kant
vorzugsweise den Kritiker gesehen und dabei weder beachtet, dass
Kritik immer nur der Anfang, nie das Ende der Wissenschaft sein
kann, noch dass Kant selbst seine kritischen Untersuchungen nur
als Vorläufer eines »doctrinalen*^ Systems betrachtet wissen wollte.
Und wie sehr man auch zugeben mag, dass die Ausführung dieses
Systems durch das hohe Alter des Philosophen verkümmert worden
sei, über die allgemeine Richtung desselben kann nach dem Inhalt
der Schriften über die Metaphysik der Natur und der Sitten und
nach den in den kritischen Werken gegebenen Vorbereitungen kein
Zweifel obwalten. Schon die Kritik Kants ist eine ebenso einseitig
rationalistische, wie diejenige Humes eine empiristische gewesen
war. Wie dieser von allen transcendentalen Bedingungen der Be-
griffe abstrahirt, um bloss deren empirische Elemente zurückzu-
behalten, so abstrahirt Kant umgekehrt von diesen, um bloss jene
einer Untersuchung zu unterwerfen. Die Empfindung ist ihm ein
gegebener Stoff, nach dessen Entstehung und nach dessen Beziehungen
zu den Erkenntnissformen nicht weiter gefragt wird ; sogar bei diesen
wiederholt sich das einseitig rationalistische Interesse: nachdem die
weitere kritische Scheidung in Anschauungs- und Begriffsformen
Methode der immanenten Begriflbentwicklung. 639
ToUzogen ist, beschränkt sich der Versuch einer Deduction ganz und
gar auf die letzteren. Diese Deduction benützt für die Ordnung
der Kategorien die antithetische Methode, von der Kant überdies
in sinnreicher Weise und unter Herbeiziehung der apogogischen
Beweisform in den Antinomien seiner transcendentalen Dialektik
Gebrauch macht. Zugleich ist es die Deduction der Kategorien, in
der die folgenreiche Ergänzung der Antithese durch die Synthese
zum ersten Male in Anwendung kommt. Aber die Ausgangspunkte
dieser Deduction ermangeln bei Kant noch der dialektischen Noth-
wendigkeit. Die Urtheilsformen werden lediglich als thatsächlich
vorhandene aufgegriffen, ohne dass nach ihrem Zusammenhang mit
den allgemeinsten Gesetzen des Denkens gefragt würde. Auf diese
selbst, auf die Sätze der Identität, des Widerspruchs und des Grundes,
in dieser ihrer logisch nothwendigen Reihenfolge zurückzugehen,
ergab sich daher als eine unmittelbare Forderung. Mit ihr ver-
knüpfte Fichte alsbald den Gedanken, jene logischen Grundsätze
mit den einzelnen Acten des antithetisch-synthetischen Verfahrens in
Beziehung zu bringen. So wurde das Identitätsaxiom zur ursprüng-
lichen Thesis, die durch die Kraft der Verneinung von selbst den
Satz des Widerspruchs als die Antithesis aus sich erzeuge, worauf
sich endlich beide in dem Satz des Grundes als ihrer logischen
Synthesis vereinigen. Zu diesem ersten Princip der Methode, das
auf die Platonische Dialektik zurückgeht, tritt aber als ein zweites
das Postulat der ontologischen Methode, dass es einen ursprünglichen
Begriffsinhalt geben müsse, der durch sich selbst Evidenz besitze.
Fichte bestimmte als diesen Begriff zuerst das reine Ich, Hegel
setzte an dessen Stelle den allgemeineren des reinen Seins. In beiden
Fällen ist es eine absolute Abstraction, die das Resultat herbeiführt.
Dort soll von jedem zufälligen Inhalt des Selbstbewusstseins , hier
von jedem wechselnden Merkmal des zu Denkenden abstrahirt werden.
So kann denn nur das reine Selbstbewusstsein oder das bestimmungs-
lose Sein zurückbleiben. Diese ersten ontologisch nothwendigen
Begriffe werden nun die Anfangspunkte einer antithetisch-syntheti-
schen Begriffsentwicklung, in der durch eine den Begriffen selbst
immanente Dialektik das System der Begriffe entstehen soll.
Wie diese Methode eine Verbindung der beiden vorangegangenen
ist, so vereinigt sie auch ihre Fehler in sich. Mit der ontologischen
verwandelt sie die hypothetische Nothwendigkeit der Begriffe in eine
thatsächliche, und mit der antithetischen missbraucht sie die Function
der Verneinung, um leeren Begriffsformen reale Anschauungen unter-
640 Methoden der Philosophie.
zuschieben. Beide Irrthümer steigern sich gegenseitig, und je mehr
die Methode sich anheischig macht ein lückenloses System des
Wissens zu erzeugen, um so offenkundiger wird es, dass dieses
System ein leerer Formalismus ist, der mit den Forderungen der
wissenschaftlichen Erkenntniss überall in Streit gerath. Insbeson-
dere ist es die Uniformität der Methode, die mit der lebendigen
Entwicklung des Wissens und mit dem Reichthum der wirklichen
Methodik der Wissenschafken in schroffem Widerspruch steht. Hier
aber offenbart sich zugleich in der Methode der immanenten Be-
griffsentwicklung nur am augenfälligsten eine Schwäche, die auch
den andern Formen der dialektischen Methode gemein ist, und bei
ihnen bloss wegen ihres mehr sporadischen oder vorzugsweise auf
transcendente Begriffe gerichteten Gebrauches zurücktritt Diese
Schwäche besteht in dem Vorurtheil, dass es eine einzige philo-
sophische Methode gebe, die für alle Probleme gleichmässig gültig
sei, ein Vorurtheü das nothwendig zugleich mit dem andern ver-
bunden ist, dass es eine speci fisch philosophische Methode gebe,
die von den sonstigen wissenschaftlichen Methoden verschieden sei.
Nun können, wie unsere Untersuchung gelehrt hat, zwar im einzelnen
die wissenschaftlichen Verfahrungsweisen je nach ihren Objecten
mannigfach abweichen; aber gewisse fundamentale Methoden und
bestimmte allgemeine Principien der wissenschaftlichen Forschung
kehren überall wieder. Selbst die dialektischen Methoden stehen
nicht ausserhalb derselben: sie beruhen auf Analyse und Synthese,
Abstraction und Determination; aber sie wenden regelmässig diese
Operationen in einer einseitigen, durch ihre Uniformität imfrucht-
baren Weise an, während sie sich ausserdem durch die Vermengung
von Hypothesen und Thatsachen, von begrifflicher Gliederung und
wirklicher Entwicklung in die schwersten logischen Irrthümer und
in die bedenklichsten Widersprüche mit den Ergebnissen der Einzel-
wissenschaften verwickeln. Um dieser gefahrvollen Lage, in die sie
durch die Verirrungen der dialektischen wie der einseitig empirischen
Methode gerathen ist, zu entgehen, muss die Philosophie vor allem
anerkennen, dass, wie sie mit den andern Wissenschaften ein ge-
meinsames Ziel hat, so auch keinerlei specifische Methoden ihr
eigenthümlich sein können.
Philosophie als Wissenschaftslehre. Q^\
4. Die FhUosopliie als Wissenscliaftslehre.
Auf eine selbständige Aufgabe kann die Philosophie nur dann
Anspruch erheben, wenn es ihr gelingt, die Stellung einer allge-
na einen Wissenschaft zu behaupten. Nicht wenige unter ihren
eigenen Vertretern scheinen gegenwärtig der Meinung zu sein, diese
Stellung sei unhaltbar geworden. Die Philosophie als solche gilt
ihnen als eine „ verflossene Wissenschaft. Die Psychologie habe
sich zur selbständigen Erfahrungsdisciplin entwickelt, die Ethik werde
von der Qesellschaftslehre und Rechtswissenschaft in Anspruch ge-
nommen, und um die sonstigen Grundbegriffe und Methoden sollen
die Einzelwissenschaften sich selbst kümmern. Was bleibt dann
dem Philosophen zu thun übrig, als allenfalls zum Leichenbestatter
der Philosophie zu werden und der Welt zu verkünden, die Philo-
sophie bestehe von nun an nur noch in der Geschichte ihrer eigenen
Vergangenheit.
Aber diese Lage ist eine unmögliche. Ist die Philosophie wirk-
lich eine solche fossil gewordene Wissenschaft, so muss sie über-
haupt verschwinden. Ist sie es nicht, so wird ihre Entwicklung wie
bisher an die der Einzelwissenschaften geknüpft sein; aber diesen
gegenüber wird sie von nun an um so mehr eine selbständige Stel-
limg behaupten, je mehr sie sich bemüht, Wissenschaftslehre in
der wahren Bedeutung des Worts zu sein'*').
Als Wissenschaftslehre hat schon Fichte seine Philosophie
bezeichnet. Er verstand darunter eine Wissenschaft, die die Grund-
lage aller andern sei, ihnen vorausgehe, jeder ihre Grundbegriffe und
Grundsätze fertig überliefere. Eine Wissenschaftslehre dieser Art
ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil ihr das Object fehlt. Noth-
gedrungen geräth daher ein solcher Versuch auf den Abweg, eine
Methode erfinden zu wollen, der das Unerreichbare zugemuthet wird,
ihr Object selber hervorzubringen. Wissenschaftslehre kann die
Philosophie nur in dem Sinne sein, dass sie umgekehrt die Me-
thoden und Ergebnisse der Einzelwissenschaften als den eigentlichen
Gegenstand ihrer Forschungen betrachtet. Ihr letztes Ziel bleibt
dabei die Gewinnung einer Weltanschauung, die dem Bedürfniss des
*) Vgl. hierzu Cap. I, S. 25, und System der Philosophie S. 21 ff.
Wandt, Logik. II, 2. 2. Aufl. 41
642 Methoden der Philosophie.
menschlichen Geistes nach der Unterordnung des Einzehien unter
umfassende theoretische und ethische Gesichtspunkte Genüge leistet
Dieses Bedürfniss ezistirt heute wie immer, und keine andere Wissen-
schaft kann es befriedigen. Denn die Gesichtspunkte, zu denen die
Einzelforschung gelangt, sind nothwendig einseitig und beschränkt.
In nichts zeigt sich dies augenfälliger als in den Widersprüchen,
die sich sogar zwischen einander nahe stehenden Wissenschaften in
Bezug auf die ihnen gemeinsamen Begriffe herausstellen. Eben
darum aber bedarf die Philosophie bei ihrer Untersuchung der all-
gemeinen wissenschaftlichen Principien des vollen Unterbaues der
Einzelwissenschaften. Nur wenn sie sich auf ihn stützt, kann sie
sich zugleich der Hoffnung hingeben, dass auch ihre Ergebnisse
wieder klärend und fordernd auf die einzelne Forschung zurück-
wirken.
Hat demnach die Philosophie die Arbeit weiterzuführen, welche
die Einzelwissenschaften begonnen, so liegt darin eingeschlossen, dass
sie auch das gesammte Rüstzeug der methodischen Hülfsmittel er-
fordert, deren sich jene bedienen. Eine bloss kritische Philo-
sophie, eine solche die sich darauf beschränkt die Elemente unseres
Wissens mit Rücksicht auf ihren Ursprung und ihren Wahrheits-
werth kritisch zu sondern, ist an und für sich eben so unmöglich,
wie Philologie und Geschichte jemals mit blosser Kritik, unter
Verzicht also auf jede Interpretation der Erscheinungen, ausreichen
können. In der That ist auch Kants kritische Philosophie keines-
wegs bloss eine kritische. Aber hinter dem in ihr vorwaltenden
Gesichtspunkte der Kritik sind doch die interpretatorischen Aufgaben
der Philosophie unverhältnissmässig zurückgeblieben, und es hat dies
zugleich die richtige Auffassung ihres Verhältnisses zu den Einzel-
wissenschaften beeinträchtigt. Insoweit jedoch Kant wirklich den Auf-
gaben der philosophischen Interpretation gerecht zu werden sucht,
ist sein Blick mehr nach rückwärts als nach vorwärts gekehrt : seine
Philosophie ist ein durch die empiristische Skepsis ermässigter dog-
matischer Rationalismus, der schon die Keime zu der falschen Form
einer den Einzelwissenschaften vorausgehenden Wissenschaftslehre
in sich birgt, die Fichte thatsächlich aus ihm entwickelt hat. Da-
neben bewirkt es dann freilich der ernüchternde Einfluss einer die
empirischen und die transcendentalen Elemente des Erkennens vor-
sichtig scheidenden Kritik, dass Kant selbst nicht nur vor den
schlimmeren Verirrungen seiner Nachfolger bewahrt bleibt, sondern
dass seinem eigenen System neben jenen Keimen einer falschen
Philosophie als Wissenschaftslehre. 643
auch manche Anlagen zu einer echten Wissenschaftslehre nicht
fehlen*).
Wird die Aufgabe der Philosophie im Sinne dieser letzteren
verstanden, so versteht es sich nun aber von selbst, dass es eine
specifische Methode der Philosophie nicht geben, sondern dass höch-
stens von einer eigenthümlichen Gestaltung der allgemeinen Me-
thoden in ihr die Rede sein kann. In dieser Beziehung ist besonders
auf die vorwiegende Betheiligung der Analyse und der Abstraction
an der philosophischen Kritik und Interpretation hinzuweisen. Wäh-
rend die philosophische Analyse die psychologischen Entstehungs-
bedingungen und die logischen Elemente der wissenschaftlichen Funda-
mentalbegrifiPe, die von der durch praktische Zwecke bestimmten
Einzelforschung in der Regel nur partiell erkannt werden, in ihrer
allgemeinen Bedeutung zu erfassen sucht, vollzieht die philosophische
Abstraction, unterstützt durch die vielseitigere Berücksichtigung der
Anwendungsformen, eine vollständigere Elimination unwesentlicher
oder heterogener Elemente, als dies in der Einzeluntersuchung ge-
schehen kann. Femer hat bei der philosophischen wie bei jeder
Interpretation die Induction, die nur in diesem Falle die einzelnen
Thatsachen den speciellen Wissenschaftsgebieten entnehmen muss,
die Wege der Deduction vorzubereiten.
Auf eine eingehendere Schilderung der Eigenthümlichkeiten
philosophischer Methodik kann hier um so mehr verzichtet werden,
als der ganze Inhalt des vorangegangenen Werkes als ein Beispiel
derselben gelten möchte.' Insbesondere in der zuletzt gegebenen
Darstellung der Methodenlehre ist der Versuch gemacht worden,
eine der Aufgaben zu bearbeiten, welche die Philosophie als Wissen-
schaftslehre zu lösen hat.
*) Vgl. hierzu meinen Aufsatz: «Was soll uns Eant nicht sein?' Phil.
Stud. VU, S. 1 flF.
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Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
Kultorgeschiclite der HenscM
Von
JULIUS LIPPERT.
Zwei Bände.
gr. 8. geh. 1886 u. 1887. Preis M. 20. — , eleg. geb. M. 25. — .
Xxxlialt:
Einleitang. — Die Lebensfürsorge als Prinzip der Kulturgeschichte. — Die
Urzeit. — Ausblick auf die Verbreitung der Menschheit. — Die ersten Fort-
schrittsversnche der Lebensfürsorge. — Die Zähmung des Feuers. — Die Fort-
sebrittedes Werkzeugs als V^affe. — Ausblick auf die Entwickelung differenzierter
Geräte. — Fortschritte der Speisebereitung. — Fortschritte des Schmuckes und
der Kleidung und ihr sozialer Einfluss. — Der beginnende Anbau und die Ver-
breitung der jüngeren Völker in Europa. — Das Komadentum und die Yer-
breitang der Zugtiere. •— Die Nahrungspflanzen im Gefolge der Kultur. — Die
Genussmittel engeren Sinnes und ihre kulturgeschichtliche Bedeutung.
Lipperto leitender Orundgedanke Ut, die LebensfüTflorKe als das treibende
Agens in der Entwickelung der mensohliohen Knltiir anzusehen; er geht von dem
Grundsatz aus: unsre Bedürfnisse sind unsre treibenden Kräfte, und von diesem Ausgangs*
punkte aus deduziert er in streng logisober^ von echt philosophischem (leiste getragener Weise
den ganzen Aufbau unsrer Kultur. In der geistvoll klaren Einleitung zeichnet er uns den
Urmenschen, so wie er sich uns noch Im Wilden der heutigen Welt darstellt, als ein Wesen,
welches beinahe ohne Phantasie und Oed&chtnis auch den erschütterndsten Naturerscheinungen
seiner Umgebung im ganzen fast gleichgültig gegenüberstand und die höchsten Glieder der
Tierwelt nur um weniges überragte. Die an den Urmenschen herantretenden Anforderungen
der Lebeiusfürsorge weckten in dem Menschen Thätigkeiten , welche zunächst als unbewusst
vorhandene «Beflexbewegungen** sich geltend machten, sich von Gesohlecht zu Gesohlecht fort-
pflanzten, sich mit der Zeit anhäuften und so den «vererbten Instinkt" bildeten. Die Lebens-
(ürsofge oder der Darwinische Kampf ums Dasein führte zur Erweckung, Entwickelang und
allniählichen Vervollkommnung der Geisteskräfte des Menschen, welche uns so hoch über alle
andern Glieder der organischen Schöpfung erheben. Aus der Sorge für das Notwendigste ent-
stand die Sorge für das Nüteliohe, dann für das Angenehme; aus Eitelkeit und wirklichem Be-
dürfniB entstand die Sorge für Kleidung, Nahrung und Obdach, aus der Kot das sittliche und das
Pflichtgefühl, die Schamhaftigkeit , die BochtsbegrifTe , die Idee der Beliglon, die Fürsorge für
die Zukunft, der Mensch wurde erfinderisch und haushälterisch und er lernte sich den An-
forderungen anbequemen, welche das einfache physische Dasein an ihn. den Wehrlosen und
Schwächeren, machte. So entstanden in ihm Erinnerungsvermögen oder Gedächtnis, Ideen,
Vorstellungen. Gewohnheiten, Begriffe, Sprache u. s. w. Dies ist der Entwiokelungsgang der
Kultur, wie ihn Lippert mit logischer Schärfe und in echt philosophischem Geiste schildert,
und zwar in so streng logischem Gedankengang, in solcher Klarheit und Fassllchkeit, dass
jeder Denkende und Strebsame auch ohne philosophische Vorbildung seinen Ideen und Dar-
legungen mit höchstem Interesse zu folgen vermag. Lipperts Buch ist ein Werk ersten Banges,
von höchstem Interesse und grösster Lehrhaftigkelt für Jeden Gebildeten.
(Ausland 1886. Nr. 24.)
Ludwig Feuerbach.
Von
IDr- O- 3^T. Starolte-
gr. 8. 1885. geh. M. 9. —
Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
System der Nationalökonomie.
Von Gustav Cohn,
ord. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Oöttingen.
I. Band: Grundlegung.
gr. 8. 1885. geh. M. 12. —
U. Band: Finanzwissenscliaft.
gr. 8. 1889. geh. M. 16. —
Deshalb und nach seinen formellen und materiellen Vorzügen eignet sich
Cohns Werk in besonderem Grade für die Elite der höher gebildeten Klassen.
Staatsmännern, hohem Beamten, Parlamentariern und den doch gottlob noch
nicht ausgestorbenen Gelehrten und üngelehrten, welche nach universeller
Lebensbildung im Sinne des Goetheschen Ideals streben, kann Cohns Buch gar
nicht genug empfohlen werden.
(Aas Prof. Dr. Adolf Wagners Besprechung des Werkes in den Jahrbüchem für
Nationalökonomie and Statistik. N. F. Bd. XU)
Das Buch ist geistvoll und mit einer sprachlichen Durchsichtigkeit ge-
schrieben, die es in hohem Grade zu einem Lesebuch für alle Gebildet<en ge-
eignet macht. £s ist nicht ein trockenes und langweiliges Aneinanderreihen
von Lehrsätzen, sondern eine anregende, gefällige, lebendige und elegante
Schilderung, die uns fesselt und packt.
(Aus Prof. Dr. Meüis Besprechung des Werkes in der Zeitschrift für HandeJarechL
Bd. xzxn.)
Wenn wir den Wert des ganzen Buches für unsre Wissenschaft kurz
formulieren sollen, so beruht er darauf^ dass es energischer als irgend ein
andres systematisches Werk, das bisher erschienen, die ganze Wissenschaft wieder
auf ihre wahren Quellen zurückführt, auf die psychologischen, sittlichen und
historischen Probleme; dass es jener Versteinerung und Verlederung der Wissen-
schaft, die durch eine scheuklappenartige Abschliessung auf die angeblich rein
volkswirtschaftlichen Fragen drohte, eine Vergeistigung und Ethisierung ent-
gegensetzt, wie sie auch von seinen Vorgängern angestrebt, aber in dieser Weise
bisher nicht erreicht wurde. Ein Teil der weiter notwendigen Ausbildung and
Umwandlung, welcher die Nationalökonomie — nach unsrer subjektiven Üeber-
zeugung — noch entgegengeht, ist von Cohn noch nicht vollzogen. Ein erheb-
licher Teil dessen, was er an den altem Doktrinen korrigiert, ist Miteigentum
vieler Gesinnungsgenossen des Verfassers. Aber wir können nur wiederholen,
es ist das nirgends noch in solchem Zusammenhang, in so schöner Sprache,
mit so taktvollem Masse und dabei auch da, wo der Verfasser sich mit andern
berührt, doch in so eigenartiger, individueller Weise gesagt worden. Und des-
halb wird das Buch nicht eines der zahllosen, rasch vneder den Fluten der
Vergessenheit anheimfallenden Lehrbücher sein, sondern es wird einen dauernden
Markstein in der Entwicklung unsrer Wissenschaft bilden.
(SchmoUers Jahrbach fUr Gesetzgebong, Verwaltung u. Volkswirtschaft. X. S.)
Aehnlich wie Leopold von Rankes Weltgeschichte zum ereten Male eine
wirkliche Weltgeschichte ist, in der der Meister, in voller Beherrschung allen
Materiales, sich loslösend aus allem verwirrenden Detail, in gewaltigen Zügen
zu uns von dem Werden dessen, was wir unsre Geschichte nennen, spricht, so
hat es auch Gustav Cohn verstanden, mit einem Bück die ganze Welt er-
fassend, uns mit meisterhaften Strichen den Stand der wissenschaftlichen Er-
kenntnis über die letzten Gründe zu zeichnen, welche die wissenschaftlichen,
d. i. die eigentlichen Grundlagen unsrer Gegenwart so gestalten, wie wir sie
vor uns sehen. (Deatsche Randschaa, 1886, S. S18.)
Druck der Union Deutsche Verlagtgesellsohaft In Stattgart. y'
NAMENVERZEIGHNISS
i^
UND
SACHREGISTER
v^
Zu
WUNDT'S LOGIK
ZWEITE AUFLAGE.
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■ {
VON
D« HANS LINDAU
)
STUTTGART.
VERLAG VON FERDINAND E N K E.
1902.
Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
BonhöfFer, A., Epictet und die Stoa.
UntereuchuBgen zur stoischen Philosophie, gr. 8^ 1890. geh. M. 10. —
Bonhöffer, A., Die Ethik des Stoikers
^J^II^4-a4' Anhang: Ezkane Ober einige wichtige Punkte der
J^piUtOI;« gtoischen Ethik, gr. 8». 1894. geh. M. 10.—
Bozi, richte? A.. Pie natürlichen Gnindlagen
des Strafrechts, s». 1901. geh. H.s.20.
Cohn, 'au'It.v' System der National -Oeko-
I10IX116« Ein Lesebuch für Stndirende. Vier Bände.
I. Band: Grundlegung, gr. 8^ 1885. geh. M. 12.—
II. Band : Finanzwissenschaft, gr. 8^ 1889. geh. M. 16.—
III. Band: Nationalökonomie des Handels und des Verkehrswesens, gr. 8^
1898. geh. M. 24.—
Gohn^ 7„'Ita°j; Nationalökonom^ Studien.
8^ 1886. geh. M. 16.—
Gohn, ''^^!J: Zur Geschichte und Politik
des Verkehrswesens.
8°. 1900. geh. M. 14.-
John, Prof. Dr. V., Geschichte der Statistik.
Ein quell enmässiges Handbuch für den akademischen Gebrauch wie fär
den Selbstunterricht. I. Theil. Von dem Ursprung der Statistik bis auf
Quetelet (1835). S^ 1884. geh. M. 10.-
Knapp, Doc. Dr. L., System der Bechts-
philosophie.
gr. 8°. 1857. geh. M. 4.—
NAMENVERZEICHNISS
UND
SACHREGISTER
zu
WUNDT'S LOGIK
ZWEITE AUFLAGE.
VON
D« HANS LINDAU
IN BERLtit.
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STUTTGART.
VERLAG VON FERDINAND ENKE.
1902.
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Die römischen Zahlen „I, II, ni** bedeuten: „r den'erstenBand, „n* die erste Abtheilang
des zweiten Bandes und „III" die zweite Abtheilong des zweiten Bandes.
Druck der Union Deutsche Yerlagsgesellschaft in Stattgart.
Namen verzeichniss.
A.
Abendroih, R., II, 428 A.
Adam UI, 49.
Aepinus II» 367.
Agassis, LoTiiB, II, 57. 539.
Alberi, E. (Ediz. Galilei), II, 288 A.
294 A. 382 A.
d*AIembert I, 582. 615; II, 206.
226. 236. 308. 304 A. 305. 315 f.
823 A.
Alexander der Grosse III, 3.
Althusius, Johannes, III, 570 A.
Ampere H, 367. 370. 872. 438. 450;
m, 2 A. 12. 182.
Anaxagoras I, 525; II, 274; III, 244.
Anaximenes II, 580.
Apelt I, 373 f. A.; II, 24 A.
Arago II, 367.
Archimedes II, 178. 181. 282. 261. 268.
291 f. 895. 403. 405; III, 481.
d'Arcy U, 810. 312.
Aristoteles I, 4. 87 f. 95. 118. 117 f.
127. 155. 164 f. 213. 303. 807. 818.
326. 348. 367 f. 371. 380 f. 399. 450.
481. 491. 524 f. 564 f. 584 f. 632 f.
635. 641. 647; II, 20 f. 28 f. 52 f.
64. 261 f. 274 f. 277 f. 284. 286 f.
471. 533; III, 3f. 121. 126. 128. 129 A.
151. 159. 212. 241 f. 244. 301. 315.
392 f. 400. 406. 414. 418. 445 A. 480 f.
484. 553 A. 554 A.
Arndt s. G. Schnapper-Arndt.
ArrheniuB II, 508. 513 A.
Ast III, 87 A.
Aogastin I, 554; UI, 414 A.
Avenarius I, 408 A.
Avogadro II, 494. 497 f.
Lindau, Register zu Wandt, Logik. 2.
B.
Baader, Franz, I, 682 A.
Bachofen, J. J., III, 371. 378 f.
Bacon I, 3^; II, 21 f. 265. 287 f. 841 f.
363 f. A. 588; III, 56. 64. 84 A. 173 f.
Bar, A., m, 575 A.
Bärenbach, Fr. v., III, 425 A.
Bain, A., m, 161 A.
Ballot, Buys, II, 452.
Barth, P., III, 825 A. 442 A.
Bastian, A., III, 104 A.
Baumann, J. J., II, 106 A.
Bawerk s. BOhm-Bawerk.
Beneke I, 316. 820 f.
Benfey, Th., III, 105 A.
Bentham III, 2 A. 12.
Bergbohm, E., III, 541 A.
Bergmann I, 218; II, 471. 482 f.
Berkeley I, 46. 89. 403. 491 f. 507. 588.
599; II, 101 A. 108 f.
Bemheim, £., UI, 116 A. 124 A. 320 A.
340 A. 423 A.
BemhOfb III, 372 A.
BemouUi, Daniel, I, 446; II, 304. 310.
388.
— Jacob, I, 449; II, 304.
— Johann, I, 351 f.; II, 202. 804. 388.
Berthelot II, 502 A.
Berthold, G., II, 545 A.
Berthollet II, 483. 490. 506.
Berzelius II, 484. 491. 497 f.
Beseler III, 602 A.
Bierling lü, 550 A. 569 A.
Binding, K„ III, 549 f. A. 574 A. 577 A.
579 A.
Bischof, G., II, 337 f.
Blass, Fr., ID, 87 A. 116 A. 313 A.
Anfl. 1
Namenverzeichniss.
Blumenbach, J. F., II, 538 A.
Bluntschli III, 480 A.
Böckh. Aug., III, 86 f. A. 116 A. 308 f.
810 A. 813 A.
Böhm-Bawerk III, 511 A.
Boefame, Jacob, I, 632 A.
Bogthiufi I, 164.
du Bois-Rejmond, E., II, 101 A. 203 A.
226 A. 528.
Bolzano, B., II, 152 A.
Bonnet II, 561 A. 571 A.
Boole, Qeorge, I, 249 f. 254. 258. 298 f.
811. 895.
Boscovich I, 526; II, 433.
Boveri, Th., II, 571 A.
Boyle, Robert, II, 27. 74 f. 264. 361.
471. 498 f. 506.
Brahe, Tycho de, I, 456 ; II, 404 f.
Bratuschek, E. (Boeckh), III, 86 A.
303 A.
Braun, Alex., 11, 56, 518 A.
— F., II, 506 A.
Braune, W., II, 520 A.
Brenner, Oscar (Bugge), III, 105 A.
Brentano, F., I, 178 A.; III, 171 A.
— L., III, 506 A. 530 A. 625 A.
Bresslau, H., III, 340 A.
Brinz in, 551 A.
Brix, Walter, II, 141 A.
Bronn, H. G., II, 56, 518 A.
Brown II, 583.
Brückner. A., III, 435 A.
Brugmann I, 152; III, 97 A. 140 A.
358 f. A.
Bruno, Giordano, I, 526.
Bruns, H., III, 190 A.
Buchholz III, 423 A.
Buckle, H. Th., lü, 325. 342. 384.
483 A.
Bücheier, F., III, 313 A.
Bücher, K., lU. 394 A. 401 A. 463 A.
505 A.
Bülow, 0., III, 535 A. 566 f. A.
BuflFon I, 447.
Bugge, SophuB, III, 105 A.
Bunsen II, 399.
Burckhardt, J., III, 328. 410 f.
C.
Candolle s. Decandolle.
Canterbury, Anseimus v., III, 686.
Cantor, G., II, 142 f. 152 f.
Cantor, M., II, 91 A. 115 f. A. 138 Ä.
168 A. 293 A. 417 A.
Carlisle II, 484.
Garlyle, Thomas III, 323 f.
Camot, L. M. N., 11, 328 A.
Cartedus s. Descartes.
CaruB II, 63 A.
CaBsini II, 398.
Cauchy I, 458; II, 429. 433.
Cavendish II, 73.
Chasles H, 185 A.
Chladni II, 349.
Christus III, 49.
Cicero III, 626 A.
Clausius IL, 75 A. 434 A. 464 A.
503 A.
Cohnheim, Jul., II, 517 A. 587 f.
Columbus I, 413.
Comte, August«, I, 577; 11, 126, 845;
III, 12. 132. 149 f. 171 f. 824 f. 391.
396 f. 404. 406. 431. 440 f. 446. 482 f.
486.
Condorcet III, 390.
Conrad III, 506 A. 532 A.
Copernikus 1, 414. 430 f. 456. 647;
II, 264. 286 f. 886 f. 398; III, 430 A.
Cotes II, 380.
Coulomb II, 371 f. 429.
Cousin (Descartes- Ausgabe), II, 95 A
101 A.
Grelle (Journal f. Math.), II, 114 A.
141 A. 208 A. 438 A.
Cues, Nikolaus v., III, 485.
Curtius, G.. I, 184; UI, 140. 354 A.
Cuvier II, 56 f. 566; III, 411.
D.
Dalton II, 29. 483. 495. 506.
Dana II, 421.
Dante III, 312 f.
Danton III, 327 A.
Dargun, L., III, 513 A.
Darmesteter, A., III, 361 A.
Darwin I, 377. 459 f. 649 f.; H, 59. 841.
535. 539 f. 548 f. 565 f. ; lU, 358 A. 425.
485. 494 f.
Daubr^e, A., II, 338 A.
Davy, Humphry, II, 484.
Decandolle II, 58. 57. 487. 566.
Dedekind II, 142 f.
Delboeuf I, 248.
Delbrück, B., III, 859 A. 370 A. 373 A.
Namenverzeichnias.
Demokrit I, 525 f.; II, 275 f. 279. 284.
289. 431. 445; III. 242.
Descartes I, 4. 400. 408. 427 f. 491.
496. 502. 527. 540. 568. 587. 618.
621 f. 626. 684; II, 89. 92. 94 f. 98.
101 f. 108. 157. 161 f. 165. 191 f.
196. 199. 209. 265. 804 f. 382 f. 387 f.
588; III, 16. 180. 242 f. 250. 262.
686.
Dessoir, Max, III, 159 A.
Diels, H., n, 581 A.
Dietzel, H., III, 506 A. 510 f.
— K., m, 527 A.
Düthey, W, III. 84 A.
Dirichlet ü, 76 A. 84. 122 A. 125 A.
182 A.
Dollond U, 361.
Dove, A., III, 852 A.
— H. W., n, 840.
Drobisch I, 154.
Drojsen III, 839 A. 342 A. 348 A.
DühriDg, E., I, 501 A. ; II, 293 f. A.
Dnlong n, 494. 500. 510.
Domae II, 55. 486.
Dnzaont b. Schmitz-Damont.
Duncker, Max, III, 46 A. 379.
£.
Ehrenberg II, 63.
Eicken, v., III, 329 A. 398 f. A. 414 A.
Eimer, Th., II, 543 A.
Eisenlofar, A., II, 114 A.
EIUb, H., III, 575 A.
Elster, E., III, 348 A.
— L., lU, 461 A.
Empedokles II, 274. 288 f. 581.
EmpiricoB b. Sextas Empiricvis.
Encke UI, 508 A.
Endlicher II, 56.
Engel, EmBt, III, 444 A.
Engelmann, Th. W., II, 528.
EngelB, Fr., m, 325 A.
Epiknr U, 275.
Erdmann, B., I, 501.
— (Leibniz-Ansgabe), II, 102 A.
Espinas, A., III, 495 A.
Euklid I, 85. 215. 493. 501 f.; II, 10.
41. 67 f. 70 f. 76. 81. 83 f. 94 f. 97 f.
102 f. 105. 107. 118. 121. 123. 131.
168. 170 f. 178. 297. 379 f. 382. 886.
380. 417; III, 586.
Euler, Leonhard, I, 457. 588, 600 f.;
II, 103. 206. 225 f. 238 f. 245. 300 A.
310. 312. 888.
EuBebiuB III, 338 A.
Exner III, 208 A.
F.
Faraday II, 848 f. 859. 866—73. 437.
441. 496; III, 57.
Fay, du, II, 366.
Fechner, G. Th., I, 496. 526 ; II, 350 A.
433. 451 f. 577; III, 180 f. 219 A. 230 f.
vgl. Dr. Mises.
Fetter, F., III, 617 A.
Fichte. Johann Gottl., I, 407 f.; III, 242.
425. 571. 689. 641 f.
FiBcher (Gesch. d. Phys.), II, 848 A.
— 0., II, 520 A.
Flemming II, 521 A. 561 A. 571 A.
Fol II, 572.
Fontana II, 514.
Foucault I, 356. 456.
Fourier U, 392. 429; m, 514.
Frankel, M. 0. (LombroBo), III, 575 A.
Franklin, Benjamin, II, 367.
Fraunhofer II, 341. 398.
Freising, Otto v., III, 414 A.
Fresnel I, 457; II, 285. 429. 435.
Friea I, 448.
G.
GalenuB I, 807. 638; 11, 534. 581.
Galüei, GaUleo, I, 454. 587. 600. 610 f.
620. 647; II, 81. 261. 264. 278. 286 f.
293 f. 300 f. 805. 314 f. 340. 347. 356.
376. 880. 382. 387. 898. 447 f. 458.
465 A.; m, 132.
Gall m, 171 A.
Galle I, 457.
Galton, Francis, III, 800 A.
Galvani II, 362. 402.
Gassendi II, 101 A. 347 f.
Gatterer III, 380. 332.
Gauss II, 313 f. 419. 426. 449.
Gehler II, 371 A.
Geiger, L. (Burckhardt), III, 828 A.
Geiser, C. F., II, 182 A.
Gerhardt, E. J. (Leibniz), I, 587. 616.
689 A.; II, 96 A. 102 A. 200 A. 238 A.
305 A.; III, 131 A.
— (Chemiker), II, 486.
Namenveneichniss.
Gerland HI, 451 A.
Gervinus, Georg Gottfr., III, 847. 399 A.
403 A. 413 A.
Gierke, 0., III, 493 A. 550 A. 569 f. A.
591 A. 602 A. 608 A. 618 f. A.
Gilbert II, 264.
Göring, C, I, 408 f. A.
Goethe III, 216. 222. 813 f. 431.
GompertK (Mill), III, 171.
Gothein, Eberb., III, 823 A.
Grassmann, H., I, 268. 273. 575 f.;
II. 89 f. A. 197.
Green II, 449.
Grimaldi ü, 848.
Grimm, Jacob, III, 103 f. 107 A. 132.
138 t. 145 f. 149. 857.
Grotefend, G. F., III, 318 A.
Grove I, 602 A.
Guldberg II, 506 A.
Gumplowicr, L., III, 442 A. 496 f. A.
554 A.
H.
Häckel, Ernst, II, 535 A. 544 A. 566 f.
Haller, Albrecht v., II, 514. 584. 583.
— K. L. V., III, 553 A.
Hamilton, W. R., I, 258. 521. 569 A.,
599 A.; TI, 141. 147. 813. 849 f.
Hankel H., I, 578 f. ; II, 116 f. A. 135 f. A.
148 A. 168 A. 176 A.
Hamack, A., I, 501 ; H, 84 A.
Hartenstein (Herbart), IH, 158 A. 301 A.
Hartley III, 158. 160.
Hartmann, Ed. v , 1, 431 f. 632 ; III, 577 A.
Harvey, William, 11, 265. 514. 586. 562.
Hasbach, W., III, 502 A.
Hauff (Laplace), II, 552 A.
Haym, R., III, 85.
Hazard I, 599 A.
Heeren, A. H. L., III, 312 A. 322. 380.
422.
Hegel I, 4. 407 f. 492. 594; II, 10. 64.
152. 279; III, 2 A. 35 A. 242. 325 A.
379. 389 f. 396. 398. 404. 425 f.
431. 638 f.
Hehn, Victor, III, 370 A.
Hellwald, Fr. v., III, 825.
Helm, G., U, 409 A.
Helmholtz, H , I, 458. 494. 500 f. 504 f.
507 f. 580; H, 308 A. 857. 411 A. 438.
440 A. 456. 502 A. 522 A. 555 A.
576 A.
Helmont, J. B. van, I, 638; 11, 582.
585.
Helvetius III, 482 A.
Henle, J., II, 585 A.
Henrici (Herschel), H, 368 A.
Hensen, V., II, 539 A. 575.
Heraklit I, 584; U, 274.
Herbart I, 28. 44 f. 103. 154. 311. 407.
464. 474 f. 488. 510. 516. 526. 540.
594 f. 640 f.; II. 228; III, 48 f. 158f.
161 f. 286 A. 248 f. 260. 299. 801 f.
554 A. 637.
Herder lU, 48 f. 329. 378 f. 382 A
889 f. 404 f. 422 f. 452.
Herkner, H., III, 625 A.
Hermann, F., (t'Hoff). II, 493 A.
— (Handbach), II, 539 A. 575 A.
Herodot lU, 2.
Heron (von Alexandrien). H, 263.
Herschel, John, I. 599; II 363 f. A.
Hertwig. Herrn., II, 424 A.
— 0., n, 571 f.
Hertz. H., U, 850. 436 A.
Hesiod III, 364.
Hildebrand, Br.. III, 499 A. 506 A.
Hipparch II, 261. 268. 405.
Hippokrates II, 581. 583.
His, Wilh., n, 541 A. 543. 546 A
571.
Hobbes, Thomas, I, 400; II, 106 f.;
m, 482. 489 A. 491t. 496. 558 f. A.
571.
Hoff, K. E. A. V., II, 552 A.
t'Hoff, J. H. van, H, 493 A. 499. 506 A
513 A.
Hohlfeld (Krause), III, 391 A.
Holtzendorff, v., III, 358 A. 550 A.
Holzweissig I, 152 A.
Homer III, 364. 368 f. 481.
Hübschmann I, 152.
Humboldt, A. v., II, 114 A.
— W. V., m, 352 A. 451.
Hume, D., I, 403 f. 466 f. 469. 491.
531 f. 534. 546. 568. 588 f. 594. 598.
606 f.; II, 109 f.; III, 158 f. 242. 570.
633 f. 638.
Huygens I, 457; H, 285. 297. 300. 803 f.
306. 379 f. 414. 429.
1.
Ingenhouss II, 554.
Isenkrahe II, 434 A.
NamenTerzeicbniBS.
J.
Jacob (Hume), I, 589 A.
Jacobi n, 252. 818. 870 A.
Jellinek» G., III, 550 A.
Jevons, W. St., 1, 259. 816. 892; n, 24 A. ;
m, 509 A. 522 A.
Jhering, R.V., III, 872 A. 558 A. 562 f. A.
566 A. 569. 588 A.
Jodl, Fr., m, 322 A.
John III, 456 A.
JoUy (Whitney), III, 358 f. A.
Jossieu U, 58.
Jnstinian III, 4.
K.
Kant I, 116 f. 154. 164. 170 f. 178 f.
226. 308. 807 f. 814. 848 f. 401. 405 f.
417. 422. 427. 463. 468 f. 481 f. 486 f.
491 f. 496. 502 f. 509. 521. 529 f.
589. 544. 546 f. 552 f. 568. 582. 590 f.
594. 598 f. 606 f. 616 f. 685 f. 650;
n, 24. 83. 104 f. 113. 126. 180. 141.
153 A. 166. 428. 431 f. 460 f. 514 A.
551 f. A.; III, 53. 126. 172. 242. 314.
829. 422 f. 570. 687 f. 642 f.
Katscher; L., (Taine), III, 327 A.
Eantskj, E., lU, 325 A.
Kepler I, 852 f. 481. 647; II, 27 f. 77.
264. 287 f. 809 f. 386. 840. 876;
m, 57. 181 f. 188 f. 141. 517.
Kiesewetter I, 810.
Kirchhoff I, 577. 615; II, 818 A. 341.
845 A. 899. 436 A.
Kirchmann I, 416; III, 554 A.
Klebs, E., II, 589 A.
Klein, Felix, I, 494 f.
Klemm III, 322 A.
Klöppel, 0., III, 602 A.
Knapp III, 476.
Knies, E., HI, 499 A. 504.
Knight II, 530.
Köhler, Alfr., III, 181 A.
König, Edm., II, 411 f. A. 484 A.
Kömer, Reinh., II, 57 A.
Eörosi, J., m, 461 A. 471 A.
Kohler, J., III, 372 A.
Kolb, G. F., III, 322 A.
Kopp, H., U, 471 A. 498 A. 510.
Koro, A., II, 434 A.
Kossak II, 124 A.
Erftpelin, E., DI, 169 A. 800 A.
Krause, K. Chr. Fr., III, 391 f. A. 396.
398.
Kronecker II, 140 f. A.
Kühnemann, Engen, III, 423 A.
Külpe I, 428.
Kahn, Adalb., III, 105 A. 107 A. 149 A.
368 f. A.
Enrella, H., (H. Ellls), ÜI, 575 A.
L.
Laas I, 529, 591.
Laband III, 498 A.
Lachmann (Lessing), III, 120 A. 127 A.
Lacroix I, 448.
Lagrange II, 108. 225 f. 240 f. 247.
255 f. .303. 807. 810. 812 f. 815 f.
828. 325 A. 328. 831 f. 889 f.
Laistner, L., III, 369 A.
Lambert I, 814 f.
Lamprechi^ K., III, 108 A. 328. 850 A.
394 A.
Lange, A., I, 88. 127. 820 f.
— L., I, 620; m, 181 A. 195 A.
Langendorff III, 227 A.
Langer, C, II, 508 A.
Laplace I, 344. 446 f. 664 f.; II, 429.
462 f. 552 A.
Lassalle III, 516. 619 f. A.
Lasswitz, Kard, II, 429 A. 441 A.
Laurent II, 486.
Lavoisier II, 471. 478 f. 558. 569.
Lazarus III, 284 A. 236 A.
Leibniz I, 4. 18. 65. 117. 249. 254.
401 f. 414. 468. 491. 525 f. 540.
562. 564. 568 f. 586 f. 616. 621 f.
685. 689 f.; II, 96. 102 f. 192. 200.
225 f. 281 f. 304 f. 412 A. 430 f. 456.
463; m, 48. 180 f. 162. 166. 241.
248. 251. 266. 481. 627 A. 686 f.
Lehmann, A., III, 228 A.
— H., m, 861 A.
— Max, in, 35 A.
Lehr, Julius, in, 499 A.
Leist, B. W., m, 872 f. A. 583 f. A.
Lejeune II, 84 A. 122 A. 125 A. 182 A.
Lennan, Mc, III, 871. 373 f.
Lessing HI, 49. 120 f. 126 f. 129.
Leuwenhoek II, 898.
Leverrier I, 457. 460.
Lexis, W., III, 466 f. A. 475 f. A.
Liebig, Justus, II, 364 A. 485 A.
Lüienfeld, P. v., HI, 489 f.
L
Namenverzeichniss.
Linn^ II, 42. 50 f. 53. 487.
Lippert, Julius, III, 325.
Lissajou II, 402.
Littrow (Whewell), U, 262 A.
Lloyd II, 350.
Lobatschewsky I, 498.
Locke I, 46. 401 f. 427 f. 466 f. 491.
568. 588; II, 107 f.; HI, 166. 558 A.
571.
Lockyer, J. N., II, 511.
LombrOBO III, 574 f. A.
Lorenz, Ottokar, III, 339 A. 352 A. 399 A.
415 A.
Lotze I, 102. 117. 119. 154. 164. 812f.
483. 499. 501. 507. 595; II, 81 f. A.;
III, 83 A. 377.
Labbock, III, 240 A. 371.
Lassac, Gay, II, 74 f. 497 f.
Luther, Martin, I, 554.
Lyell II, 552.
M.
Mach II, 411 A.
Maclaarin II, 236.
Maistre, de, III, 553 A.
Malthus III, 132. 617 f.
Multzahn (Lessing), III, 120 A. 127 A.
Mangoldt m, 499 A.
Minkowski III, 105 A.
Mannhardt III, 363 A.
Marat III, 327 A.
Marx, K., III, 325. 510. 520. 619 f.
Matthiessen, L., II, 158 A.
Maupertius II, 311 f.
MaxweU, Clerk, I, 448. 458; II, 350.
437 A.
Mayer, Ad., II, 311 A.
— J. R., II, 412 A. 456. 555 A.
Mayr, G. v., lll, 461 A. 463 f. 476 A.
524 A. 528 A.
Melloni II, 849.
Menger, C, III, 499 A. 506 f. A. 510.
520 A. 530 A. 532 A.
Merkel, A., II, 561 A. 571 A. ; III, 549 f. A.
553 A.
— Julius, III, 187 A. 189 f. A. 195 A.
Mersenne II, 264.
Meumann III, 205 A.
Meyer, A. B., 11, 549 A.
— E. H., III, 363 A.
— Ed., III, 98 A.
— G. H., II, 547 A.
Meyer. Lothar, II, 498 A. 506 A. 508 A.
— 0. E., n, 441 A.
— Victor, II. 503 A.
— W., I, 457 A.
Miklosich I, 178 A.
Mill, John Stuart, I, 111. 154. 321 f.
392 f. 408 A. 449. 597. 599. 602. 606 f. ;
n, 22 f. 41. 106. 110 f. 126. 182.
363 f. A.; III, 2 A. 52 A. 64. 88 f.
100 A. 161 A. 171 A. 369 A. 483.
503.
Mirabeau III. 327 A.
Mises, Dr.. I, 496 vgl. Fechner.
Misteli m, 358 A. 860 A.
Möbius. A. F., n, 197 A.
Mogk III, 98 A.
Mohl, R. V., III, 440 A. 480 A. 485 A.
Mommsen, Th., III, 385 A. 848. 370 A.
Monge II, 184.
MongeoUe. F., III. 888 f. A.
Montesquieu III, 382 A. 889 A. 482 A.
Morgan. L. H., III, 371, 874.
MosBO, A., III, 227 f.
MüUer, Fr., I, 152 A.; III, 359 A. 451 A.
— Herrn., II, 549 A.
— Iwan, III, 87 A. 116 A. 303 A. 313 A.
— Job., I, 506 f.; II. 534.
— Max. m, 107 A. 353 A. 361 A. 368 f. A.
367. 370 A.
Muschenbroek II, 358.
N.
Nägeli II, 522 A. 542 f. A. 560 f.
Napoleon III, 827 A.
Naumann. Moritz, II, 338; III, 510.
520 f. A.
Navier II, 429.
NaviUe I, 456.
Nedich, L., I, 258 A.
Nemst, Walther, II, 504.
Neuberg, J. (Carlyle). III, 324 A.
Neumann, C, I, 581 ; U, 482. 465 A.
— F., II, 500.
— F. J., lU, 530 A.
Newton, J., I, 336 f. 351 f. 453. 459.
495, 536. 581. 587. 600. 616; H, 10.
29 f. 37. 73. 77. 89. 96 f. 184. 225 f.
229 f. 236 f. 264. 284 f. 297 f. 303.
307. 309 f. 315. 340. 352 f. 357 f.
360 f. 876. 379 f. 387. 389. 408. 425.
429 f. 444. 447 f. 450 f. 453. 465 A.
482; III. 130 f. 138 f. 262. 431.
Namenyerzeichniss.
Nicholson II, 488.
Niebuhr III, 335.
Kikoraedes II, 178.
0.
Oerstedt II, 348. 359. 867.
Oettinger, A. ▼., III, 461 A.
Ohm II, 850; III, 132.
Oken II, 559 A.
Oncken, A., III, 502.
Oppenheim, L., III, 553 A.
Osthoff III, 97 A. 140 A. 858 A.
Ostwald, W.. 11, 409 f. A. 424 A. 499 A.
502 A. 504 A. 513 A.
P.
Paracelsas I, 526. 633; II, 264. 582.
Pascal II, 190.
Paul, e., III, 97 f. A. 234 A. 304 A.
313 A. 354 A. 358 A. 360 f. A.
Paulsen, Fr., III, 152 A.
Peirce, A., I, 250. 273.
Peschel III^ 452 A.
Petit II, 494. 500. 510.
Pfeffer, W., II, 525 A. 544 A. 547 A.
557 A.
Pflüger II, 536. 544 A. 568 f. 579 A. ;
III, 208 A.
Philipovich, E. v.. lü, 506 A.
Pictet III, 370 A. 395 A.
Planck II. 409 A. 411 A.
Plateau II, 337 f.
Plato I. 3. 399 f. 417. 463. 491. 527.
647 ; II, 15 f. 57 f. 88. 94 f. 101. 168.
263. 274. 382. 533 f.; III, 3. 128. 151.
262. 314 f. 351 f. 369. 375. 409. 418.
484. 542. 553 f. A. 557. 634 f. 638 f.
Plücker I, 497.
Poggendorff (Gesch. d. Phys ), II, 353 A.
(Annalen); II, 337 A. 350 A. 868 A.
370 A. 450 A. 452 A. 500 A. 522 A.;
III, 203 A.
Poincar^ II. 437 A.
Poinsot II, 321.
Poisson II, 892. 429. 451 A.
Polybios m, 299. 398 f. 406.
Post, A. H., III, 371 f. A. 533 f. A.
Pott I. 152; II, 114 A.
Preston, S. T.,* II, 434 A.
Protagoras II, 284.
Proat II, 508.
Ptolem&us I, 429. 456. 647; II, 263.
286. 386.
Pythagoras I, 647; II, 70. 88. 116 f.
171 ; III, 2 f.
Q.
Qaesnay III, 502 A.
Quetelet I, 448 ; III, 80 f. 391 A. 488.
B.
Ranke, Leopold v., III, 319. 324. 328 A.
832. 388 A. 348. 352 f. A. 399 A. 408 A.
409. 411. 414 f. 429 f.
Ratzel, Fr., II, 552 A.; III, 888 A. 897 A.
451 A. 453 A.
Ratzenhofer, Gustav, III, 481 A. 496 f. A.
Rauber, A., II, 546 A.
Rehmke, J., I, 407 f.
Ribbeck, 0., III, 869 A. 375 A.
Ricardo III. 503. 511 A. 530.
Richter, H. E., II, 576 A.
Riehl, A., I, 259. 510. 569. 612 A.
Riemann, B., I, 495 f. 499. 504; II, 90 A.
206 A. 252 A.
Ritter, Carl, II, 54; III, 879. 452.
Robespierre III, 327 A.
RochoU III, 829 A.
Rohde, Erwin, III, 43 A. 98 A 869 A.
Röscher, H. W., lU, 148 A. 363 A. 480 A.
499 A. 504.
Roscblau, E. (Comte), III, 441 A.
Rosenkranz (Kant), II, 104 A., 552 A.;
III, 172 A. 424 A.
Rousseau III, 424. 492.
Roux, W., II, 523 A. 546 A.
Rümelin, B. G., III, 136 A. 444 A.
461 f.
Rüge, A. (Buckle), III, 325 A. 842 A.
Russdorf (Grove), I, 602 A.
S.
Sachs. Julius, II, 57 A. 522 A. 525 A.
530 A.
Saussure II. 554.
Savigny III, 541 A. 566 A.
Sax, E., III, 506 A. 510 A. 520 f. A.
Schäfer, Dietrich, III, 328 A.
8
Namenverzeichniss.
Scb&ffle III 442 A. 480 A. 489 f. 495 f.
527 A. 625 A.
Scharling lU, 510 f.
Scharnhorst III, 35 A.
Scheel, H. v., III, 499 A.
Schellbach (Poinsot), II, 321 A.
Schelling I, 594; II» 279. 518; III, 485.
Schiel (Mül), I, 597 A.; II, 110 A.;
III, 52 A. 84 A. 100 A. 483 A,
Schüler HI, 830. 431.
Schimper, C, II, 56. 518 A.
Schleicher, Angost, III, 353 A.
Schieiden II, 559.
Schleiermacher I, 4. 155. 170 f.; III,
116 A. 313 A.
Schlözer III, 330.
Schmidt (H. d. Med.), II. 576 A.
— Leop., III, 369 A. 375 A.
Schmitz-Dumont I, 259. 510.
Schmoller, Gusta?, III, 493 A. 500 A.
502 A. 504 f. A. 569 A.
Schnapper- Arndt, G., III, 528 A.
Schneider, G. H., III, 240 A.
Schönberg III, 499 A. 530 A.
SchOnlein II, 585.
Schopenhauer, A., I, 79. 89. 407. 507 f.
552 f. 566. 569 f. 588 f. 591 f. 599.
608. 616. 639 f.; III, 385 f. 577 A.
Schrader. 0., III, 395 A.
Schröder, Ernst, I, 250. 254. 273;
II, 123 A.
Schröter, H., II, 176 A.
Schubert (Kant), II, 552 A.; lU, 172.
424 A.
Schubert-Soldem, R. v., I, 408 A.
Schuchardt, Hugo, III, 140 A. 358 A.
Scbultze, Fritz, III, 425 A.
— Max, II, 560.
Schuppe, W., I, 306. 408 A.
Schurtz, H„ III. 451.
Schwann II, 559 f.
Schwartz, W., III, 104 A. 107 A.
Schwartze, Th., II. 434 A.
Schwendener, S., II, 522 A.
Scripture, W. E., III, 213.
Senebier II, 544.
SextuB Empiricus I, 320. 584.
Shakespeare III, 127. 313. 431.
Sigwart I, 102. 119 A. 181 A. 213 A.
223 A. 311 A. 319 A.; II, 24 A. 81 A.
Simmel. G., III, 136 A.
Simon, St., III, 391 A.
Smith, Adam, III, 501 f. 511 A. 527 A.
530. 554 A.
Snell II, 264. 361.
Sötbeer, H., III, 617 A.
Sohm, Rud., III, 545 A.
Sohnke II, 185 A.
Sokrates III. 3. 418.
Soldem s. Schubert-Soldem.
Sophokles III, 818 f.
Spallanzani II, 515.
Spencer, Herbert, I, 418 f.; II, 541 A.;
m, 160 f. 371 A. 398. 404. 441f.
446. 488 A. 486 f.
Spinoza I, 4. 79. 89. 396. 401. 527 f.
568. 586. 634 f.; U, 83. 85; lU, 251 f.
254 A. 258. 636 f.
Sprengel, Kurt, I, 638; II, 582 A.
StaU I, 633.
Stammler, R., IH, 549 A.
Stanley, W., I, 316.
Starcke, N., lU, 374 A.
Stein, Lorenz v., III, 440 A.
Steiner, Jacob, II, 176 A. 182 A. 189 f.
Steinhansen III, 350 A.
Steinthal ü, 63; III, 234 A. 236 A.
859 f. A.
Stevinns, Simon, II. 264. 293 A.
Stewart, Dagald, I. 408 A.
Stintzing, R., III, 359 A.
Störk, F., III, 498 A.
Strasburger II, 561 A.
Sydenham II, 583 f.
Symmer, Robert, II, 367.
T.
Tacitus III, 373.
Taine, H.. III, 87 A. 326 f. 880 A. 382 A.
411. 423.
Tait I, 618; U, 308 A. 313 A.
Thomson, Julius, II, 502 A.
Thomson, W., I, 413; II, 308 A. 813 A.
438. 576 A.
Thon, A., lU, 550 f. A.
Thukydides III, 2. 101. 299. 333.
Tobias I, 501.
Tönnies, Ferdin., III, 325 A. 442 A.
599 f. A.
Treitschke, H. v., III, 8 A. 505 A.
Trendelenburg 1, 4. 155. 171. 178. 320 A
325. 492; II. 80 f. A.
Turgot III, 391 A.
Tycho s. Tycho de Brahe.
Tylor, E. B , III, 98 A.* 104 A. 366 A
371 A.
Naroenverzei clmies.
ÜBberweg I, 4. 155. 348.
Dmpfenbach III, 499 A.
Driichi, L. V., III, 308 A.
üsener, H., UI, 116 A. SOS A. 869 A.
V.
Veno, J., I, 249 f.
Tenier in, 149.
Temlam e. Baco.
VatUr, B. (Spencer), III, 371 A. 442 A.
Vico, GiambattUta, III, 829.
Virchow. R., 11, 547 A. 562. 584; III,
SS8A.
Yitet I, 127.
Yolkelt, J-, lU, 171 A.
Volkmann, F., U, 437 A.
Volt» U, 362. 368 f. 402. 483 f.
Voltaire ID, 127.
Vriea. Hugo de, II. 542 A.
Waage II, 506 A.
Wnolj, von der, U, 499. 513 A.
Waclumnth, C, III, 312 Ä. 322 A.
Wlntig, H., lir. 171 A. 891 A.
Wagner, Ad, 111, 499 f. A., 506 Ä.
513 f. A. 530 A.
Waitz. Theod., 111, 867. 451 A.
Wallace U, 549 A.
Wallig n, 306. 380,
Wftlrai, L6on. IJI, 509 A. 522 A.
Weber (Gebrflder). II, 848.
— E. H., lU, 192 f. 284.
— H. F., n, 500 A.
Weber. W. E- U, 482. 450; III, 132.
Weierstra»! II, 124 A. 202 f. A.
WoiBmann. A., U, 542 f. A. 574 A.
WeiBB, Julius, II, 588 A.
Wenzel (Chemiker), 11, 471.
— Älfr., III, 527 Ä.
Weatergaard III. 475 A.
Westermarck Ol, 374 A.
Whfttely I, SU A. 320 A.
Wheatatone III, 203 f.
Whewell II, 18 A. 262 A,
Whitney III, 353 f. A. 361 A.
Wiedemann (Annalen), 11, SSO A
506 A.
Wieser, v., lU, 510.
Wilke 11, 867.
Windelband I, 213.
Winkler, H.. III, 361 A.
Winter, G., III, 850 A.
Witmer, L., III, 218 A.
Wolfen (Newton), I, 587 A. 600 f. A,;
II, 236 A. 382 A.; (Euler), 1, 588 A.
600 f. A.; II, 300 A.
Wolff, Caspar Friedrich, II. 541.
— Chiist, I, 89. 401 f, 501. 540. 588.
588, 631 ; II. 300 A. 389 : III, 158.
241. 260. 209.
— JolinB, II, 547 A.
Wren U, 306. 380.
Wünsche (Krause), III, 301 A.
Zoller, Edoard (i. Jubiläum). II, 141 A.
261 A.
Zeno II, 228.
Zennet II, 380 A.
Zitelmann III, 574 A. 577 A.
ZSckler I, 632 A.
Sachregister.
A.
Abendwolken III, 363.
Aberglaube I, 420 f. 582; III, 97 f.
108 f. 361. 370, vgl. Animismus,
Fetischismus, Mythologie etc.
Aberkennung I, 216, vgl. Verneinung.
Aberration II, 81.
Abgeschlossenheit I, 521.
Abgrenzung vgl. Definition.
Abhängigkeit, A. der BegrifiPe I, 136 f.
142. 166 f. 274 f. 378 f. 571 f.; Ab-
hängigkeitsurtheile I, 198. 198. 204 f.
231 f. 240 f. 353 f. 869 f. 382 f. 479;
II, 8. 11; nU 144; A. und Vemeinang
I, 216 f. 231; A. von der geistigen
Umgebung III, 34—40, vgl. geistige
Umgebung ; A. der Empfindung vom
Reize III, 173. 181 f.; Abhängigkeits-
verhältnisse III, 166. 188. 217. 230.
290. 387. 389. 407. 476. 500. 520 f.,
vgl. Causalität, Function.
Ablativ I, 152.
Ableitung, Bildung abgeleiteter Urtheile
I, 227. 243 f.
Abmessungen s. Dimensionen.
Abnahme, unbegrenzte II, 150 f.; ab-
nehmende Veränderungen II, 573;
A. der Intensität durch die Dauer
III, 283.
Abnorme Lebenserscheinungen II, 515.
Abortus II, 57.
Abplattung der Planeten II, 837.
Abscissenlinie II, 227 f. 281. 234 f.
252. 509 f.; III, 475 f., vgl. Coordi-
naten.
Absicht, Absichten des Schopfers III,
130 f. ; Absichtlichkeit störend III, 17 1,
vgl. Tendenz etc.
I Absolut, Begriff des Absoluten I, 517,
524. 580. 533. 543. 594; das Absolute
bei Hegel I, 408; absoluter Idealis-
mus und Realismus I, 626 ; absolute
Gebilde der Physik I, 581 A. 623 f.;
II, 282. 820. 825. 439 f. 518; III. 60 f.
512. 569 A.; Absolutheit von Null
und Unendlichkeit II, 150 f.; absolute
Isolirunglll, 89 ; politischer Absolutis-
mus III, 148f. 400. 481 A. 501. 548 f.;
absolute Massbestimmungen II, 425 f. ;
III, 188; abs. Veigleichung III, 196.
Absorption II, 399. 465. 506. 520.
Abstammung II, 574; Abstammungs-
lehre II, 561 A., vgl. Entwicklung:
A. der Völker lU, 448 f.
Abstoasung I, 616 f. 622; elektrische
A. und Anziehung II , 366 f. 405.
481 f. 451 f. 561.
Abstraction I, 48 f. 51 f. 362. 871. 495;
II, 1. 11 f. 25. 48 f. 112 f. 118. 120.
126. 884. 389. 842. 393. 446; UI, .S.
13 f. 56 f. 96. 102. 147. 149. 160.
178. 198. 281 f. 241. 268. 298. 347 f.
356. 359 f. 420 f. 474. 478. 495. 501.
503. 508 f. 511 f. 521. 569 A. 577 f.
582 f. 622. 682 f.; abstracte Be-
griffe I, Ulf.; abstracter Charakter
der Qegenstandsbegriffe I, 124. 126.
157. 162 f. ; abstractes Einzelurtheil
I, 180; abstractes Ürtheil in be-
schreibender Form 1, 187 f. ; abstracte
Abhängigkeit 210 f., vgl. Bedingung;
A. und Determination I, 268; snc-
cessive A. III, 518; abstracteres Zeit-
bewusstsein I, 185; abstracte Zahl
I, 528 ; populäre A. der Psychologie
III, 20; psychologische A. UI, 55 f.
57—64. 74. 89 f. 157 f. 167. 197. 207.
Saohregiater.
11
282; isolirende und generalisirende A.
II, 12 f. 49. 52 f. 564; generische A.
III, 480; mathematische A. II, 125 f.
183. 375. 458; III, 129; physikalische
A. II, 373—378. 379. 460 ; mechanische
A. II, 407 f. 460; chemische A. II,
491—495; abstracte Wirthschafta-
theorie III, 508—521. 522. 526. 530.
562; A. bei Hobbes II, 107; A. bei
Locke II, 107 f.; A. bei Berkeley
II, 108 f.; A. beiHume 109 f.; A.bei
J. St. Mill II, 1 10 f.
Abstufung II, 476 f. 479 f. 486 f. 530;
III, 178 f. 185 f. 217 f. 222. 472 f.;
unendliche A. I, 526; gradweise A.
n, 364 A. ; III. 65; mittlere A. III. 187 ;
A. nicht übereinstimmender Erschei-
nungen II, 339. 341, vgl. Grad.
Abwehr vgl. Verneinung.
Abweichung III, 186; zuf&llige A. I, 81,
vgl. Fehler.
Abz&hlungsmethoden III, 185. 187 f.
190 f. 456.
Abziehnng s. Subtraction.
Accent III, 149.
Acclimatisation II, 548.
Accommodation des Auges II. 894; Ac-
commodationsbewegungen III. 204.
Accord III. 156. 197. 272.
Accusativ I. 145. 148 f.
Acetylen II. 480. 579.
Ackerbau III, 370. 502. 525. 532; Acker-
baustaat III, 480.
Actiengesellschafb III, 492 f.
Actio in distans II, 434 f. 441. 451.
Action, kleinste II. 311 f.; Gleichheit
von A. und Reaction II, 299 f. 324.
Activit&t II, 568, vgl. Spontaneität
Actualitat III, 168. 242. 244 f. 249.
269—267. 294. 598 ; A. der Substanz
I, 527 f.; actuelle Energie I, 621 f.,
vgl. Energie.
Acute Krankheiten II, 586.
Adams Sündenfall III, 49.
Adel III. 592 ; Adelsherrschaft s. Aristo-
kratie.
Addition I, 261 f.; II, 87 f. 97 f. 120.
132 f. 136. 144 f. 150 f. 155. 168.
211. 217. 244 f. 247 f. 821. 468;
III, 214 A.;Add. von Geraden II, 195 f.;
A. von Punkt und Gerade II, 197,
vgl. Summation.
Adhäsionskräfte II. 892.
Adjectivnm I. 119. 145 f. 165 f. 186 f.
Adverbium 1, 61 f 118 f. 145 f. 168. 184.
Aegyptisches Rechnen II, 114 f
Aehnlichkeit II, 196. 585. 589; III, 159 f.
355. 363 f. 871 f. 493. 580; Ae. und
Analogie I, 346 f. 374; Aehnlichkeits-
association 1, 24 f.; III, 159. 212, 214;
ähnliche Dreiecke II. 191. 196; Ae.
bei Hume I, 589.
Aenderung s. Veränderung.
Aequator II, 425.
Aequidistanz II, 45.
Aequipollenz der Begriffe I, 131; Ae.
der ürtheile I, 227 f. 241 f.
Aequitas III. 565. 573.
Aequivalenz III, 146 ; Ae. von Ursache
undWirkung 1,612; chemisches Aequi-
valentgewicht II, 495 f.
Aequivoca, generatio aequiv. II, 576 f.
Aerztlicfae Schulen II. 580 f.
Aesthetik I, 32; III, 16. 33. 41. 69. 84.
116. 118 f. 126 f. 158. 164. 217 f.
287 f. 274. 282. 814. 318; ästheti-
sches Bedürfniss I, 455, 646 f. ; ästhe-
tisirende Naturbetrachtung II, 518;
ästhetischer Einfluss der Naturum-
gebung III, 42 f. ; ästhetisches Gefühl
und ästhetische Urtheilskraft bei Kant
I. 636 f ; transscendentale Ae. Kants
II. 104 f.
Aether II, 376. 393. 434 f. 485; Aether-
schwingungen III. 271 ; Aetheratome
II, 482 f
Aethyl II, 485. 508.
Aeusserer und innerer Sinn bei Kant
I. 549.
Affecte I, 11; III, 160. 197. 222 f. 227 f.
271 f. 283. 295. 625; A. bei Descartes
I, 634.
Affectionsgüter III, 511 A.
Affen III. 374.
Affinität, chemische II. 29. 469. 471.
474 f 478 f. 482 f. 488 f. 494 f 498.
501 f 511. 516; Grösse und Richtung
der A. II, 484.
Affirmation s. Bejahung.
Agentien, chemische II, 478 f.
Agglutination, Theorie der A. III. 359 f.;
A. der Vorstellungen I, 33. 35 f.
Aggregatszustand II, 373. 474. 492. 494.
499 f. 505. 510. 560; III. 270. 272.
486 f. 491 f. 590.
Agricultur s. Ackerbau.
Akademie, Platonische III. 3.
Akustik II, 78. 264. 396. 400 f.
12
Sachregister.
Albtraum 111, 869 A.
Alchemie 1, 535; II, 264. 471. 491.
Alexandrinische Periode III, 5 f.
Algebra II, 89; algebraische Zeichen
I, 84. 249; II, 86. 154; III, 582; al-
gebraische Operationen II , 154 f. ;
algebraische und logische Operatio-
nen 1 , 284 f. ; A. und algebraische
Analyse II, 154 f. ; algebraische Geo-
metrie II, 192; algebraische Functio-
nen II, 211 f.; A. bei Home I, 408.
Algen II, 575.
Algorithmus der Urtheilsfunctionen
I, 246 f. ; A. des Schliessens I, 877 f.;
mathematischer A. II, 90.
Alibibeweis II, 80.
Alkalien II, 477. 480.
Alkohol II, 480. 485.
Allgemeinbegriffe I, 105 f. 138 f. 142 f.
808 f.; II, 11 f. 538; III, 67.81. 159.
212. 241. 259.
Allgemeine Psychologie III, 19.21. 169.
Allgemeingültigkeit II, 427. 457 ; lU, 69.
71. 123. 129. 135. 148. 150. 168 f.
180. 195. 202. 214. 232. 236 f. 251.
273 f. 277. 308. 812. 317. 822. 366.
378. 381. 405 f. 420. 472. 474. 480.
498. 509 f. 517. 520 f. 534. 539. 541 f.
553. 597; A. der Denkgesetse I, 18.
86 f.; III, 84. 120; A. der Begriffe
I, 98 f.; A. im Urtheil I, 185 f.;
Allgemeinheit und aligemeingflltige
Form I, 192.
Allgemeinheit I, 98 f. 117. 309; II, 251 f.
859 f. 457; III, 131. 135. 138. 142 f.
145. 148. 169. 237. 273 f. 357. 379 f.
383 f. 508 f. 519. 577. 580. 583; A.
der Zahlgesetze II, 155; Erklllrung:
allgemeinster Standpunkt I, 191;
allgemeiner Charakter der Sprache
I, 197 : Grad der A. der Denkgesetze
I, 566; allgemeine Urtheile bei Kant
I, 173. 182.
Allgemeinvoratellungen III, 221.
Alphabeten und Analphabeten HI, 460.
Alter, Lebensalter III, 391 A. 397. 475;
Lebensalterstatistik III, 5. 462.
Alternation derBewegungsgesetzel, 516.
Alternative I, 201. 203 f. 232 f. 234.
381; II, 81 f.; III, 152 f.; negative
A. I, 220 f. 224. 885; alternative
Schlösse I, 358 f.
Alterthum III, 6. 329. 419; Alterthums-
Wissenschaft III, 308.
Altruismus III, 513 f.
Ameisen III, 240 A.
Ameisensäure II, 480. 579.
Ammoniak II, 477. 486. 488.
Amnesie UI, 228 f.
Amylon II, 525.
Analogie I. 224 f. 828. 846 f. 878 f.
488 f. 494 f. 508; II, 131 f. 149. 868.
483 f. 493 f. 500. 505. 507 f. 511 f.
538. 541. 544A. 545. 557. 570. 572f.
585 f. 588 f.; III. 14. 88 f. 97. 141.
154. 159. 244. 269 f. 275. 281. 810.
813. 887. 345 f. 856. 858. 363. 872.
891 f. 401 f. 422. 446. 488 f. 526. 566.
568. 571 f. 578. 585. 611 f.; historische
A. III, 71. 78 ; analoge (physiologische)
und homologe (morphologische) Cha-
raktere II, 566.
Analphabeten III, 460.
Analyse I, 158. 170 f. 809. 326 f. 381.
890 f. 894 f. 501 f. 516; II, If. 12. 338.
839. 842 f. 846. 558. 561; III, 20.
27. 118. 175 f. 262. 276. 279.285—289.
298. 305 f. 408. 410. 412 f. 445. 467.
472 A. 482. 516. 580 f. 584. 586. 617.
621. 632 f.; elementare A. II, 3 f.
475 f.; causale A. II, 4 f. 475. 553;
III. 197. 201—214. 270; logische A.
II, 6 f.; psychologische A. III, 58.
55 f. 57—64. 65. 70. 74. 89 f. 94 f.
101 f. 107. 113. 121 f. 127. 160. 162.
166 f. 170. 178. 196—201. 288 f. 268.
300. 379 f. 521; morphologische A.
II, 517—524; III, 228; physiologische
A. III, 228; physiologische und physi-
kalische A. der Wahrnehmungen
II, 396 f.; physiologische und patho-
logische Funcdonsanalysell, 528—538 ;
mathematische A. I, 349 f. ; II, 61 f.
89. 94 f. 388. 866. 382 f. 388. 391.
416. 480. 482. 445; algebraische A.
II, 154 f. 161 f. 430; geometrische A.
IL 194 f.; chemische A. U, 470— 478.
481. 491 f. 525. 561 f.; stufenweise
A. (der Chemie) II, 476 f. 479. 481.
486 f. 494; qualiUtive A. U, 471 f.;
III, 200 f. 211 f.; quantitative A.
II, 471 f. 483; III, 201; A. der Ge-
fühle, Affecte und Willensvorgftnge
III, 215—227; A. der Natureraehei.
nungen II, 347-356. 357 f. 379;
analytische Deduction II, 38. 379.
382 f. ; analytische Classification II,
60 f.; analytisches Beweisverfahren
Sachregister.
13
ir, 71 f. ; analytische Geometrie II, 89.
192 f. 883. 417 f.; analytische Func-
tion n, 208 f.; analytische Mechanik
II, 449; Klanganalyse II, 857. 401 f.;
III, 200. 228; allgemeines Princip der
analytischen Methode II, 94. 165.
210; Kennzeichen der analytischen
Methode II, 97; analytischer Scharf-
sinn und Beobachtungstalent II, 856.
Anarchismus III, 548 f.
Anatomie II, 271. 343 f. 515. 517 f.
523; III, 67. 489; pathologische A.
II, 584.
Aneinanderreihung, zeitliche III, 197;
A. vgl. Association.
Anekdotenjagd III, 240 A.
Aneroidbarometer II, 402.
Anfangszustand II, 463 f. ; III, 356.
Angeborene Vorstellungen l,400f. 468f ;
II, 101 f, vgl. Apriorismus.
Angebot III, 137. 879. 520. 522 A.
Anhäufung kleiner Wirkungen II, 551 f.
Animalculisten und Ovulisten II, 541.
Animalische Physiologie , Psycholo«
gie etc. s. Thierphysiologie, Thier-
Psychologie etc.
Animismus I, 633; II, 265. 533 f. 581 f.;
III, 97 f. 367 f.
Anlage I, 26 f. 80; II, 542. 579. 588;
III, 40. 63. 226. 229. 289. 260. 275.
280. 287. 295. 321. 330 f. 414. 423 f.
433. 458. 587. 542. 574 A. 604; A.
bei Leibniz I, 402; psychische An-
lagen I, 506 f.
Anlass der Evidenz I, 85; A. der Ur-
theilsbildung I, 214.
Annäherung III, 517; Annäherungs-
werthe III, 188; Annäherungscha-
rakter der Infinitesimalmethode II,
235 f.
Anpassung II, 535. 540. 545 f. 557.
565. 590; III, 44 f.; mechanische A.
II, 545 f. 563; chemische A. II, 545.
547 f.; functionelle A. II, 545. 548 f.
554.
Anregung II, 571.
Anschaulichkeit I, 502. 618; II, 278.
278 f. 324. 327. 388. 409 f. 480. 485.
438 f. 444 f. 458 f. 507. 514 A; III, 55.
259. 291. 475 f. 489 f. 498 f. 498,
vgl. Evidenz; anschauliches Denken
1,208 f.; griechische A. I, 162 f.; an-
schauliche Sprachstufe 1 , 162 f. : A.
bei mathematischer Synthese II, 98 f.
Anschauung I, 82 f. 151. 225, 544 f.
571; II, 880. 387. 893. 518; III. 259 f.
510. 582; Anschauungs- und Begriffis-
gegenüber Erfahrungswissenschaften
II , 83. 86. 40. 49 ; A. und Begriff
II, 514 A. ; (Atomistik) II, 458; A. und
Zahlbegriff II, 148 f.; Erfahrung und
reine A. I, 618 f.; II, 324; reine A.
I, 508. 505. 574; II, 88. 130; reine
A. bei Kant I, 469. 580; II, 126;
Widersprüche gegen die A. II, 440 f. ;
A. bei Schopenhauer I, 598.
Anschauungsformen I, 435 f. 461. 481.
510; II, 463. 513; A. bei Kant I, 406.
507 ; II, 104 f. ; III, 688 f.
Anspielung III, 313.
Ansteckung U , 532. 576. 578. 582 f.
585 f.
Anstoss (impetus) II, 294 f.
Anstrengung vgl. Spontaneität.
Antagonismus der Anlagen III, 425.
Anthropocentrische Denkweise III, 44.
Anthropogeographie II, 270; III, 358.
888 f. 397 A. 458 f
Anthropologie III, 235. 320 f. 335.
366 f. 371 f. 399 A. 428 A. 438. 448.
452 f. 457 f. 464.
Anthropometrie III, 457 f.
Anthropomorphismus I, 557. 584. 625.
649; II, 287. 294. 801; III, 582 f s.
auch Teleologie.
Anthropopathische Teleologie I, 631 f.;
II, 314.
Anticipation I, 454; III, 20. 24. 186.
Antike III, 6, vgl. Alterthnm.
Antinomie UI, 890; Antinomien des
Causalbegriffs I, 628 f. ; A. zwischen
Endlichkeit und Unendlichkeit 11,
459 f. ; A. bei Kant II, 83. 460 f.
Antiteleologie I, 684 f.
Antithese IIL 684 f.
Anwendungen III, 517.
Anwesender Ort bei conditionaler Be-
gründung I, 209.
Anzahl II, 140.
Anziehung I, 616 f. 622 ; II, 78. 866 f.
405. 451 f. 471. 561. 572; III, 262;
attractio electiva III, 482 f.
Apagogiscber Beweis II, 69. 79 f.
Aphasie III. 228 f.
Apodiktische ürtheile I, 213. 225 f.
378. 484 ; II, 25 ; apodiktische mathe-
matische Sätze II, 106 ; apodiktische
ürtheile bei Kant I, 174 f. 505 f.
14
Sachregister.
Apollon III, 863 f. 369.
Apperception I, 17. 22 f. 28 f. 467 f.
524. 532 f. 539. 543. 555 f.; 11.273;
III, 207 f. 211. 219 f. 246. 266 f.
286 f. 290; saccessive A. I, 55 f.;
Apperceptionsdauer III, 458 ; passive
und active A. 1, 30 f. 80 ; III, 280.
282. 287; Formen der activen A.
I, 31 f. ; apperceptiver Gedanken ver-
lauf I, 59 f. ; Complicaiionen mit der
Association 1 , 65 f. ; active A. und
Syllogismus I, 71; Einheit der A.
I, 468 f. ; III, 246. 266 f.
Approximative Werthe III, 188.
Apriorismus und Wahrscheinlichkeit I,
342. 440 f. ; A. und Constanz I, 514;
A. und Causalität I, 507 f. 514. 592 f.
606 f.; mathematischerA.il, 130;
A. bei Aristoteles I, 308 f.; A. bei
Plato I, 899; synthetische Urtheile
a priori II, 105 ; Apriorit&t der An-
schauungsformen II, 104 f.; aprio-
ristische Voraussetzungen I, 400 f.
426 f.; aprioristische GflItigkeit I,
574 ; II, 457.
Arabische Mathematik II, 91 f. 157 f. A.
Aräometer II, 405.
Arbeit II, 305 f. 308. 408. 424. 450.
453 f. 502. 504. 556 ; III, 499. 509 f.
519 f. 525; freie A. Ul, 515; freier
Arbeitsvertrag III, 597 ; Arbeitsschutz
III, 478; Vertheilung der A. III, 511 ;
Arbeitstheilung III. 3. 13. 15. 22. 231.
512. 525. 595; ArbeitsOlhigkeit II,
453 f. ; Arbeitserzeugnng II. 527. 567 ;
wissenschaftliche A. III, 67 ; Arbeiter
III, 511. 516; Arbeiterstatistik III,
527 f.
Archaistische Nachahmungen III, 123.
Architektur III, 35 A. 411. 417.
Argumente der Function II, 199 f.
Arier III, 370 A. 533 A.
Aristokratie III, 398. 400. 479 f.
Arithmetik I, 139. 570. 579 f. ; II, 37.
88 f. 155. 380 ; III, 475; arithmetische
Messung irrationaler Zahlen II, 143;
arithmetischer Differentialbegriff II,
238 f.; A. bei Hume I, 403; poli-
tische A. III, 456 A.
Armenpflege III, 465. 478.
Armenrecht III, 478.
Arragonit II, 350.
Areen II, 478. 485.
Art II, 564 f. 574 ; A. des Zählens II,
140; A. und Weise I, 150 f. ; A.- und
Gattungsbegriffe I, 362 f.
Artefact vgl. Kunsterzeugnin.
Articulation III. 357.
Arzneiknnde II. 580-590.
Assertorisches ürtheil I, 225; ass. ü.
bei Kant I. 174 f.
Assimilation I, 17 f. 604 ; II. 559. 561,
568 ; Ul, 206. 539. 599 ; Assimüations-
kraft II, 835; A. ein Associations-
vorgang I, 18.
Association I, 13 ; III, 48. 97. 141. 155.
206 f. 211 f. 218 f. 221. 225 f. 251.
272. 287 f. 858; A. u. Apperception
I, 28 f. 34. 60. 65 f. 80. 469 ; III. 211.
219. 267. 280. 282; Associations-
psychologie III, 48. 157 f. 164. 166.
212 f.; Associationsregeln I, 23 f.;
Correctur derselben I, 25; Ass. und
Uebung IIT, 228 ; simultane A 1, 13 f. ;
III, 218; successive A. I, 22 f. 59;
Ul, 210 f. ; A. und Mehrheitsurtheil
I, 180 f. ; A. und Beschreibung und
Erz&hlung I, 184 f.; A. u. Causalität
I, 589 f.; AsBodationsgesetse der
Grössenlehre I, 579 ; associative Ver-
bindungen bei der Addition I, 266;
associative Verschmelzung I, 13 f.
509. 512; A. bei Hume I, 403;
Associationsgesetz der Addition und
Multiplication II, 122.
Assyrische Geschichte III, 338. 414.
Astrochemie II, 511.
Astronomie I, 447. 641. 644 f. 647;
II, 31 f. 76 f. 81. 261. 263 f. 269.
286. 288. 836. 340. 886. 398. 404 f.
413 f. 415. 463 f. 551 f.; III, 3. 65.
76 f. 139. 208. 430 A. 488 A. 487 ;
Alexandrinische A. II. 417.
Astrophysik II, 269. 837 f.
Asymmetrie für wechselseitige Reci-
procität I, 274 f.
Atavismus III, 575 A.
Athen lU, 534 f. A.
Athmung II, 530. 536. 548. 553 f. 567.
571 f. 580; III, 222 f. 227.
Atom, psychologische Atombypothese
s. Psychologie.
Atomistik I, 491. 517. 525 f. 527. 540.
584 f. 616. 632. 634 ; II, 273 f. 278 f.
288 f. 326. 429 f. 457 f. 483 f. 495 f.
505 f. 533. 542. 559; lU, 154. 242.
271 f. 292 f. 295; chemischer Atom-
begriff II, 506—513. 579; Atom-
Sachregister.
15
gewicht II, 495 f. 506 f. ; Atomvolom
n, 509 f.; AtomgruppiroDg II, 55.
493. 510 ; socialer Atomifimus II], 487.
491 f.
A tropin II, 581.
Attractionserscheimingexi II, 484. 482 f.
498 f. 572.
Attribut I, 60 f. 156. 162 f. 167 f. 252 f.
473 ; attributive Beziehungen 1, 147 f. ;
A. u. Negation I, 221 ; A. bei Spinoza
I, 408. 527. 586.
Aufeinanderfolge III, 159. 487; regel-
massige Beziehung der A. III, 159;
Regeln der A. I, 368; A. in der Er-
zählung I, 184; A. und Causalität
I, 409. 598 f.; A. und Bedingtsein
I, 588. 605 f. ; A. rhythmischer Ein-
drflcke I, 519, vgl. auch Rhythmus;
A. der Denkacte U, 141 ; A. der Vor-
stellungen III, 208.
Auffassung, causale A. s. Cansalit&t,
genetische A. II, 515; III, 423 f.
Auffassungswerth, intensiver (Klarheit)
und extensiver (Deutlichkeit) III,
179.
Aufgaben bei Euklid II, 172 f.; bei
Euler II, 389.
Aufhebung einer Qualität I, 272; A.
einer Function II, 529, vgl. Ver-
neinung.
Auf klärungszeitalter III, 49. 481. 594.
Auflösung logischer Gleichungen I,
291 f.; Methoden der A. I, 877 f.;
prädicative A. 167 f.
Aufmerksamkeit 11,835; HI, 175.211A.
212. 215. 225. 282 ; Umfang der A.
III, 205; A. und Wille III. 226, vgl.
Apperception ; plan massige Richtung
der A. IH, 170. 174. 188 f. 212.
Aufrechtsehen I, 508 ; Auf- u. Abwärts-
bewegung des Doppelauges 513.
Aufregung, Dionysische III, 369.
Aufstreben der Vorstellungen bei Her-
bart III, 168.
Aufzählung I, 200 f.
Auge II, 394. 396 f. 404. 412 ; III, 203 f.
228; Augenbewegungen I, 508 f.;
III, 204. 228.
Ausbreitung der Erregungen, Gesetz
der A. d. E. bei A. Bain III, 161 A
Ausdehnung I, 141, 403. 476; II, 395
439. 445. 460. 462 f.; UI, 569 A.
Ansdehnungslehre I, 263 A.; II, 89
A. bei Spinoza 1, 408. 527, vgl. Raum ;
A. durch Wärme II, 402; A. und
Masse der Materie II, 466.
Ausdrucksbewegungen I, 21; III, 214.
222 f.
Ausfallserscheinungen II, 530.
Ausgangspunkt, causaler A. einer Be-
wegung II. 460.
Ausgezeichnete Werthe II, 224. 421;
III, 184 f. 188. 190 f. 217 f.
Ausgleichung III, 184; A. der Neben-
wirkungen I, 441; III, 184; A. der
Störungen II, 548. 582. 584. 589 f.
Auslegung s. Interpretation.
Auslösung II, 544 f. 563 f.
Ausnahmslosigkeit III, 140 f. 357.
Attssageform I, 118.
Aus- und Einschachtelung II, 573.
Ausscheidung der Fnnctionszeichen I,
279 f. ; A. der subjectiven Bestand-
theile I, 515 f.; A. der Copula 1, 337;
A. des Mittelbegriffs 1 , 394 f. ; Un-
organische Ausscheidungen des Or-
ganischen II, 577, vgl. auch Elimi-
nation.
Ausschliessung I, 218 f. 359. 367 f.;
II, 79. 277. 399 ; III, 469 f. 513, vgl.
auch Elimination; ausschliesslicher
Grund 1, 231 ; ausgeschlossenes Drittes
I, 358, 565 f. ; n, 79 ; III, 46. 152 f.
Aussonderung s. Ausscheidung, Elimi-
nation.
Auswanderung III, 459 f. 618.
Aussenwelt I, 424. 461 f. 516 ; H, 394.
563; m, 158. 164. 244 f. 264; Stel-
lung zur A. II, 568; A u. geistiges
Sein I, 27 f. 80 ; III, 46 244 f.
Automatisirung III, 207. 225 A. 226.
Autonomie III, 487. 544 f.
Autorität lU, 119 f. 480. 492. 544.
554 f. , Autoritätsglaube III, 129 A. ;
Autoritätsstaat III, 479 f 553 f.
Avunculus und Patruus III, 378 A.
Axiome I, 85. 212. 559; II, 34 f. 67 f.
70. 105. 107 f. 118 f. 131. 168 f.
299 f. 388 ; III, 25. 100. 130 f. 142.
383. 511 f. 577; A. der Geometrie
I, 493 f. 580 ; algebraische A. I, 284.
578; allgemeine Begriffsaxiome 1, 331 ;
mathematische A. I, 574 f. ; A. der
Zeit 1, 482 f. ; physikalische A. 1, 618 f. ;
II, 411 f A. ; A. der allgemeinen
Grössenlehre 1 , 578 f. ; A. der ein-
zelnen Grössenbegriffe I, 579 f.;
arithmetische A. I, 579 f. ; phorono-
16
Sachregister.
mische A. I, 580 f. ; II, 324 ; A. bei
Newton II, 299 f. 880 ; A. bei Galilei
II, 882.
B.
Babylon, altbabylonische Sagen III,
105 A.
Bakteriologie II, 585 f.
Barbaren und Griechen and Römer
III, 329.
Barock III, 411. 417.
Barometer II, 401 f. 405 f.
BasaltkngeWersuch Bischofs II, 837 f.
Basis II, 215 f.; chemische B. II, 488 f.
Bastzellen II, 547.
Baukunst III, 85 A. 411. 417.
Baum II, 574.
Bedeutungsentwicklung in, 90.
Bedeutungswandel I, 89 f. 74. 112; II,
17 ; III, 187. 854. 360 f. 364 f. 870,
vgl. Sprache.
Bedingtheit, physische B. III, 28. 94 f. ;
physische B. des geistigen Geschehens
III, 12. 18. 40. 41—46. 55. 379 f. ;
physische JB. des Einzelnen III, 42.
Bedingung I, 150 f. 173 f. 205 f. 231 f.
440 f. 569. 577. 587 ; II, 8. 18 f. 25 f.
96; III, 145. 174 f. 184 f. 188. 195 f.
198. 206 f. 214 f. 289. 264. 279. 842 f.
356 f. 865 f. 872. 877. 378—382. 895 f.
405 f. 411 f. 420 f. 483 f. 452 f. 459 f.
466. 473. 478. 481. 484 f. 489 A. 492.
494. 496. 500 A. 502 f. 512 f. 516 f.
520. 523 f. 529. 581. 533. 536 f. 589.
541. 549. 559 f. 563 f. 573 f. 578 f.
593 f. 601. 604. 609 f.; Concurrenz
der Bedingungen III, 469 f. 628; B.
und Aufeinanderfolge I, 588 ; B. und
Ursache I, 597. 603. 612; B. u. Ideen
III, 848; Bedingungsschlflsse I, 810 f.
828. 834. 353 f. 355. 389 f. ; letzte B.
I, 421; psychophysische B. I, 514;
B. und Umstönde einer Erscheinung
II, 887. 350 f. 363; Elimination und
Gradation der B. II, 863 f. ; Grada-
tion der B. II, 371. 373. 529; gene-
relle B. und singulare Ereignisse III,
142 f. \ Variation der B. IH, 202 f.
208. 212. 216 f. 222. 224 f. 240 A.
342. 471 f.; Isolirung der B. UI, 219.
342; Constanterhaltung II, 365; III,
186 f. 190. 205. 224 f.
Bedfirfnisse III, 478 f. 491. 499. 502.
529. 588. 538. 604; ästhetische und
ethische B. I, 455; logische B. III,
519; wirthschafUiche B. III, 188.
520 f.
Befriedigung III, 520 f.
Befruchtung ü, 515. 524. 542 f. 549.
564. 572 f. 575.
Befugniss III, 548. 546. 557. 568. 680.
Begabung III, 63 f. s. Anlagen.
Begehren III, 264 s. Wille.
Begleiterscheinungen, körperliche B. d.
Gefühle u. Affecte III, 222 f. 227 f. ;
körperliche B. der Aufmerksamkeit
III, 226.
Begleitung und Folge I, 208 f.
Begreiflichkeit H, 284. 488 f.; B. der
Erfahrung I, 89 f. 559 f. ; objective
B. II, 446; subjective B. und objective
Anschaulichkeit II, 279.
Begrenzung des Universums II, 462 f. ;
B. des Lebens II, 564. 574; B. der
Begriffe 1, 216, vgl. auch Bestimmung,
Definition, Determination.
Begriffe III, 221. 518; B. bei Aristoteles
II, 276; Begriffsformen bei Kant III,
688 f.; wissenschaftliche B. I, 95;
Rechtsbegriffe 111,478; Begriffsbildung
1,83.85. 43 f. 828. 391 ; III, 580; Defini-
tion des Begriffs 1, 51. 502 ; Merkmale
der B. I, 94 f. ; Begriff und Gattungs-
Vorstellung I, 101; Gattungsbegriffe
1, 106 f. 493. 502; U, 25 f.; Allgemein-
u. Einzelbegriffe 1, 105 f.; Beziehungs-
begriffe 1, 108 ; Beziehungsformen der
B. I, 144 f.; abstracte und concrete
B. I, 111 f.; Inhalt und Umfang I,
110 f.; Begrifisvergleichung I, 127 f.;
naturgemässer und künstiicher Be-
griffswandel I, 138; Verhältnisse der
B. I, 127 f.; m, 522 A.; Arten der
B. I, 116 f.; Begriffsoperationen I,
251 f.; Begriffszerlegung u. -bestim-
mung I, 75 f.; Begriffsanalyse als
Hülfsverfahren der synthetischen De-
duktion II, 85; B. a. H. d. analyti-
schen Deduktion II, 86 f. 888; Trans-
formation von Begriffen II, 37 f.;
Begriff und Urtheil I, 55 f. 93; B.
und Gedankenverlauf I, 73 f. ; B. und
Sprache I, 74; B. und Anschauung
II, 514 A.; B. und Gedanke I, 158:
Begriffs- und Lautgeschichte III, 72;
allgemeine Begriffsaxiome I, 381;
Sachregister.
17
Begriffs- und Anfichauungs- gegen*
über den Erfahrangswissenschaften II,
33. 36. 40. 49.
BegrQndungBschlnss I, 353 f.
BegrOndungaurtheil I, 207 f. 826. 459.
Begrüssung III, 871. 373.
Beharren I, 488. 525. 552 ; UI, 66. 163.
168; Beharrungaprincip II, 287. 294 f.
299 f. 304 f. 824; relatives Beharren
III, 249 ; Beharrlichkeit der Substanz
I, 528 f. 545. III, 245 f.
Beiordnung s. Coordination.
Beispiel I, 814 f. 884 f.; III, 126. 817.
Bejahung I, 137 f. 142 f. 173 f. 212 f.
Bekenntnisse III, 169.
Bekräftigung I, 213. 225, vgl. apodik-
tiache Urtheile.
Beleuchtung, instantane B. III, 204.
Beleuchtungsapparate II, 522.
Benennung II, 16 f. 29, vgl. Sprache.
Beobachtung II, 333 f. 384. 894. 395 bis
403. 416. 514 f. 523. 525. 532. 548 f.
555 f. 581 f. 589; HI, 142. 150. 159.
166. 168 f. 201 f. 279. 299 f. 385.
465. 483. 485. 501. 512. 515; Selbst-
beobachtung III, 29. 169 f. 175. 199.
212 f. 215 f. 222 f. 226 f. 264. 266.
800 f.; unbefangene Beobachtung III,
20. 171. 216. 222; Sammlung von
Beobachtungen III, 78. 184 f. 310
385. 465. 483 A. ; Schwankungen bei
der B. II. 28. 415. 418 f.; m, 184
Präcisionsmass der B. HI , 190 f.
gleichartige Beobachtungen III, 77
B. und Erleben UI, 29 ; geregelte B
III, 174 f. 212 : experimentelle B. s
Experiment ; astronomische Beobach
tungskunst III, 208; Hippokratische
Methode der B. 11, 583 ; Beobachtungs-
talent und analytischer Scharfsinn
II, 356.
Bemsteins&ure II, 477.
BerOhrung I, 616 f.; II, 440. 442 f. 484;
m, 160; B. der BegriflFe I, 184 f.
Berflhrungsassociation 1 , 24 f. ; III,
1 59. 2 12. 214 ; B. verglichener Strecken
m, 187.
Beruf m, 433 f. 511; B. und Verbre-
chen III. 473; Berufsstatistik III, 5.
450. 460.
Beruhigung III, 221.
Beschaffenheitsurtheil I, 207.
Beschleunigung I, 518 ; II, 38. 295 f.
309. 317. 824. 390. 392. 406 f. 448.
Lindau, Register zn Wundt, Logik. S.
4.52 f.; III, 194 A.; centrifugale B.
II, 530; centripetale B. III, 141; Fall-
beschleunigung II, 425.
Beschränkung vgl. Determination.
Beschreibung II, 8. 45 f. 336. 341. 848 f.
362. 519 f.; III, 154. 161. 319 f. 355.
464. 472. 480. 519; B. im ürtheil I,
183. 186 f. 363; B. und Verneinung
I, 216; B. und Erklärung I, 615 A.;
II, 844 f. 487 ; descriptive Classification
II, 49 f.
Beseelung II, 579.
Besitz III, 575. 579.
Besonderheit, besondere Urtheile bei
Kant I, 173.
Bestätigung I, 459; II, 481. 588, vgl.
Verification.
Bestandtheile III, 209, vgl. Elemente,
Zerlegung.
Bestimmtheit des Begriffs 1, 95 f. ; die be-
stimmten Begriffsverhältnisse 1, 130 f.;
die unbestimmten Begriffsverhältnisse
I, 137 f.; B. im beschreibenden ür-
theil I, 186 ; B. der Conclusion I, 373.
880 f.; B. mathematischer Grössen
I, 260.
Bestimmung 1, 122. 144; B. der Urtheile
I, 205 f.; innere B. I, 510; sittliche
B. I, 415 f.
Betonung III, 149.
Betrug in, 578.
Beugung des Lichts II, 348. 360. 865;
B. der Wärme II, 349 ; B. des Schalls
n, .365 f.
Beurtheilung I, 213 f.; subjective B.
III, 27—34. 34 f. 47. 49. 62. 323. 348 f.
374 f. 381.
Bevölkerung III, 455 f. 617 f.; Bevölke-
rungszunahme III, 51 1 ; Bevölkerungs-
lehre (Demologie) III, 5. 76 f. 144.
437 f. 444 f. 450 f. 455—476. 477.
529. 608 f.
Bewaffnung III, 451. 454.
Bewegung I, 403. 428. 486. 489. 517.
518 f. 545. 575; II, 38. 193. 273 f.;
III, 269; Molecularbewegungen II,
329 f. 393. 456. 477. 493 ; III, 153 f.
164. 258; Puls III, 222. 227 ; Athmung
II, 530. 536. 548. 553 f. 567. 571 f.
580 •, III, 222 f. 227 ; Augenbewegun-
gen 1,508 f; 111,204.228; Ausdrucks-
bewegungen I, 21; III, 214. 222 f.;
Bewegungsempfindungen 1, 513 ; will-
kürliche Bewegungen 1, 642 ; III, 175.
Aufl. 2
18
Sachregister.
209; thierische B. II, 520. 524. 567 f.;
Bewegungsenergie 11, 329. 409 f. ; Re-
lativität der B. I, 581. 619; U, 324;
einfachste B. I, 581; Zusammen-
setzang der B. I, 582; II, 301. 820 f.;
absolute B. II, 301 f. ; absolute Be-
wegUchkeit II, 325; III, 512; B. als
Figurenerzeoger II, 178 f. 189. 191 f.;
gleichförmige B. III, 61 ; Erdbewe-
gung II, 76. 81. 341. 386. 413 f.;
Bewegungstheorien der Vererbung II,
542 f.; B. bei Kant U, 104; B. bei
Lagrange II, 318. 328; B. bei Galilei
II, 347; Quantität der B. bei Des-
cartes II, 304. 306 f.; B. bei Newton
ü, 225. 227 f. 299 f. 380 ; B. bei Zeno
U, 228; unendlich dauernde B. II,
441, vgl. Mechanik, Phoronomie, Kine-
matik etc.
Bewegungsgründe III, 158; B. des Glau-
bens I, 421, vgL Motiv.
Beweisführung I, 77. 326. 433 f , 11, 2.
65 f. 322; III, 586 f.; directe und
indirecte B. II, 69 f.; ontologische
Beweise I, 400 f. 531 ; II, 389.
Bewusstsein III, 167. 168. 175. 177.
183 f. 199. 205 A. 207. 212. 220. 229.
231 f 287. 243 f. 261. 265 f. 273.
278 f. 282 f. 286 f, 295 f. 361 f. 365 f.
575. 577 A.; Enge des Bewusstseins
ÜJ, 412 f.; Reflexion über das B.
I, 15. 30 f. 80 f. 470 f.; Theilinhalte
des Bewusstseins III, 60 f.; Bewusst-
Seinsvorgänge III, 20; Bewusstseins-
inhalte 1, 428 f.; Bewusst^einselemente
III, 178 f. ; Umfang des Bewusstseins
III, 205, vgl. Apperception etc.
Beziehungen der Begriffe I, 104; Be-
ziehungsbegriffe I, 108; Beziehung
I, 118 f.; Beziehungsform der Be-
griffe I, 121 f. 144 f. 479 f.; Be-
ziehungsschlüsse I, 328 f. 361 f. 439,
vgl. Relationen, Abhängigkeit, Gau-
salität etc.
Bibliothek III, 3.
Bienen III, 240 A.
Bild der Aussen weit I, 516.
Bildende Kunst III, 220.
Bildung, geistige B.,III, 388, vgl.Gultur.
Bildungs- u. Wacbsthumstrieb II, 538;
Bildungsmangel u. -excess II, 564.
Billigung s. Beurtheilung.
Binäre GUederung I, 34. 56. 59 f. 71.
121. 127. 144. 158. 167; binäre Ver-
bindung der Chemie II, 477. 479 f.
485. 494.
Bindung, chemische B. U, 473 f. 479.
495. 497. 501.
Binoculares Sehen III, 208 f.
Binomium II, 238.
Biographie UI, 34 f. 90. 169. 236. 386 A.
411. 432.
Biologie I, 611. 633 f. 636. 688; II,
265. 268. 270 f. 346. 464. 474. 514
bis 590; lU, 9. 17. 44. 55. 98. 324.
461 A. 481 f. 484 f.
Biophoren II, 542.
Biquadratische Gleichungen II, 165.
Blatt II, 568; Blattstellnng n, 56. 546;
UI, 138.
Bleiben s. Beharren.
Blickpunkt des Bewusstseins s. Apper-
ception.
Blüthe n, 568; Blfithengemch ü, 549;
Blüthengestaltung und Insekten II,
549.
Blut II, 525 f. 581. 588. 587; arterielle
und venöse Beschaffenheit des Blutes
II, 556 f.; Blutkreislauf n, 265. 514.
519. 536. 548; Blutdruck II, 530;
Schwankungen der BlutftQle der 0^
gane UI, 227 f.
Bodenbeschaffenhdt lU, 449. 452 f.;
Bodenertrag lU, 618 f.; Bodener-
schöpfung U, 586.
Börse m, 624 f.; BOrsencurse lU. 112 f.
Bogen II, 417; Bogenlänge U, 218 f.
Botanik I, 649 ; II, 56. 843 f.
Brachystochrone II, 298.
Brechbarkeit der Sonnenstrahlen U, 285.
854 f. 360 f. ; Brechbarkeitsstnfen II,
399.
Brechung U, 436. 469. 501 ; Brechusgs-
indices U, 422 f. ; Brechung des Lichts
II, 312. 349. 361. 365. 373. 377; B.
der Wärme U, 849; B. der Elektrt-
cität U, 350; B. des Schalls U, 365 f.
Breite und Höhe UI, 218.
Brennpunkt U, 180.
Brom II, 478. 510.
Bruchzahlen 1, 135; U, 138 f. 140. Ulf.
258 f.; gebrochene Functionen II,
212 f.
Bruder der Mutter III, 373; B. des
Vaters UI, 378 A.
Brustwirbel lU, 133. 144.
Buchführung, doppelte B. bei Kant
I, 553 f.; UI, 53.
Sachregister.
19
Bnchstabensymbolik s. algebraische
Symbolik.
Budget III, 493.
Büchereinband III, 219 A.; Bacher-
Sammlung III, 8.
BOigerkrieg ÜI, U9.
Bundesstaat III, 545.
Butyl II, 508.
C.
Cäsarismus lU, 148 f. 393. 480 A.
Cäsiam II, 508.
Calcül, logisches und mathemaÜBches
I, 259. 290 f.
Calorimetrie II, 501. 527. 558.
Capillarität U, 392. 422 f.; capiUare
Kreifilauferscheinungen 11, 524.
Capital ni, 500. 509. 520. 525. 620 f. ;
Capitalisirung m, 137. 509; Gapi-
talist m, 511.
Cardnome II, 588.
Cardinalsäfte II, 581. 583.
Caauistik UI, 586.
Casusformen in kateg. Function 1, 144 f. ;
Casussumze I, 118 f. 149 f.
Causalit&t I, 207. 209 f. 354 f. 417 f.
448. 490. 517. 537. 556. 567 f. 588 f.;
U, 26 f. 346. 427 ; causale Auffassung
II, 386 f. 343 f. 861. 447 f. 455 f. 461.
466. 515. 533 f. 538 f 544 f. 553 f.
563, 574. 586. 588; III, 46—51.
62. 73. 110. 116. 131—150. 150 f.
157. 330. 461 A. 473 f. 519. 528 ;
Causalzusammenhang III, 17. 229.
275. 278 f. 356 f. 407 f. 464 f. ;
psychische Causalität III, 259. 289
bis 291. 292. 388. 395. 576; ps. C.
und Naturcausalität II, 382 f. 551.
580; m, 142. 146. 231. 249 f. 256 f
276. 284. 385; NaturcausalitAt III,
140 ; geschlossene Naturcausalit&t II,
382 f. ; III, 256 f. 259 ; mechanische C.
II, 273 f 280. 289; causale Auf-
fassungaufgehoben II, 464; Causal-
gleichung II, 327 f.; Causalprincip
III, 25. 140 f. ; psychologisches Causal-
princip n, 29 f.. 332; ÜI, 57. 142.
177; psychophysische Causalität III,
177. 249 f. 256 f.; Ableitung von
Causalgesetzen II, 28 f. 361; III, 129.
145; regressive Cansalerklärung III,
280 f. ; höhere Causalreihe und em-
pirische Causalität II, 463; sub-
stantielle C. n, 328; III, 260; C. und
Substanz I, 614 f.; II, 280 f. 324.
383. 394; logische C. und Natur-
causalität I, 627 f.; C. und Raum
I, 543; II, 281; apriorische G. I,
507 f.; Causa sui I, 422. 528. 586.
594; Erscheinungsformen der C. I,
596 f. ; Nothwendigkeit der C. I, 590 f.
606 f. ; Causalgesetz und Satz vom
Grunde I, 606 f.; C. bei üume I,
403 f. 568. 590 f. ; III, 633 f. ; C. bei
Kant I, 406 ; II, 24 ; C. bei Schopen-
hauer I, 508. 555. 569 f 592 f. 689 f ;
C. bei Hill I, 606 f. ; II, 23 f.
Cellularpathologie II, 584. 587.
Cellulose II, 525.
Gentimeter U, 422.
Centrale Sinneserregung III, 193 f.;
centrale Processe III, 228 f.
Centralkräfte I, 621 f. ; U, 448 ; Centri-
petalkraft II, 381.
Charakter III, 63; dauernde Willens-
richtungen I, 30. 80; innere Cau-
salität I, 625; vererbte Charaktere
II, 563 ; Volkscharaktere III, 46. 235 ;
Charakter eines Zeitalters III, 382.
434 f.; Charakterentwicklung UI, 87.
801 f.
Charakteristisches Dreieck II, 231f. 236 f
Charakterologie III, 64. 169. 235. 800.
869 A. 448. 453 f.
Chemie I, 535. 611; II, 3 f. 10 f. 55.
77 f. 264. 268. 838. 846. 399. 402.
409. 429. 438. 468—514. 516. 518.
524 f. 553. 561 f. 579. 581 f. 586 ;
III, 9. 55. 78. 94. 117. 209 f. 285.
298 f. 486. 532. 619; unorganische
u. organische Gh. II, 270 ; chemische
Verbindungen U, 454. 468—514. 543 ;
Gh. und Contacthypothese II, 362;
chemische Anpassung II, 545. 547 f. ;
chemische Methode der Staatswissen-
schaften III, 483 A.; physikalische
Gh. II, 271; theoretische und syste-
matische Ch. II, 271 ; Structurchemie
II, 486 f. 494. 512 f.
China UI, 394.
Chlor II, 477 f. 488. 498; Chlorkalium
II. 480 ; Chlorophyll H, 525 ; Chloro-
phyllathmung II, 567; Chlorwasser-
stofF II, 488; Chlorwasserstoffäther
II, 480 ; Chlorwasserstoff'Bäure II, 486.
497 f.
20
Sacliregiiter.
Chorologie II, 270.
Christenthum III, 829. 399 A. 417. 419.
• 544. 594; Christus III, 49; christ-
liche Legenden III, 105 A.; christ-
liche Festbräache III, 369 A. ; christ-
liches Trauerspiel III, 127.
Chronologie II, 270; III, 388.
Chronometer II, 414 f. ; chronometrische
Methoden III, 208. 224 f., vgl. Zeit-
messung, Chronoskop II, 414 f.
Cirkel II, 895; C. und Lineal II, 167.
177.
Cirkulation der Waaren III, 520 ; C. der
GQter III, 508.
Cirkulationsstörnngen II, 548.
Civüisation III, 888 f. 496 ; civilisato-
rische Aufgaben III, 481 A.
Civildelict III, 551.
CinUstische Methode III, 490 f. 561
bis 563.
Civilprocess III, 561.
Civilrecht III, 490 f. 561 f.
Classicismus III, 129 A. 417 ; classische
Sprachen I, 149; classische Volks-
wirthschaftslehre III, 502 f. 505 f.
Classification I, 77 f. 196 f. 216. 810.
362 f. ; II, 2. 18 f. 19. 47 f. 263. 270 f.
345. 469. 487. 588 ; III, 2. 4. 12. 22.
88. 157. 159. 166. 199. 212. 260 f.
361. 449. 466. 480 f. 581. 585 f.;
classificirender Subsumtionsschluss I,
866 ; verfehlte Cl. I, 254 A. ; Classen-
begriflFe III, 221, vgl. Eintheilung.
Codification des Rechts III, 4. 586.
540.
Coefficient, unbestimmter C. II, 165.
Coexistenz III, 251; räumliche C. I,
150 f. 206 f. ; C. von Ich und Körper
I, 467 f.
Cohäsion der Knochen und Muskeln
II, 526; Cohäsionskräfbe der Mole-
cüle II, 392; Cohäsion II, 877. 547.
Collective Ereignisse III, 30; coli. Er-
zeugnisse III, 802; Collectiverschei-
nungen III, 75 f. 89 f. 144. 185. 456 f.
472 f. 477. 507 f. A. 524; coUective
Untersuchung III, 88.
Collectivismus III, 482. 488. 506 A.
591 A. 601.
CoUigation (Mitberücksichtigung be-
gleitender Umstände) II, 18 f. 342 f.
874. 877 f. 498.
Colonisation III, 444. 623.
Combination I, 878; II, 48, 120. 180.
184. 359. 420. 422; Combinations-
f&higkeit III, 57.
Communismus III, 510 A. 515.
Commutationsgeseti I, 579; II, 123.
181 f. 146 ; C. bei transfiniten Zahlen
unzulässig II, 152; Commutatintät
I, 576 ; C. aufgehoben II, 197 f.
Comparative Methode s. Methode der
Vergleichung.
Compensation der Nebenwirkungen I,
441; m, 184.
Competenz zur Psychologie III, 19.
Compilation III, 128.
Complementärfarben 11, 358.
Compleze Grösse I, 141. 576; II, 92.
140. 144 f. 197. 203 f. 212. 258 f.:
complexe Variable II, 219 f. 258 f.;
complexe Abhängigkeit I, 285 ; Com-
plex von Empfindungen I, 466 f. 511 ;
Complex von Eigenschaften und Zu-
ständen I, 473; complexe Local-
zeichen I, 512 f.; complexer That-
bestand II, 12 f. ; complexe Reactions-
zeit III, 209.
Complication I, 14, 20. 53; III. 467;
C. von Apperception und Association
I, 65 f.; C. der Bedingungen II, 368;
Complicationsmethode III > 211 A.;
complicirte Structur des Protoplasma
II, 561.
Gomponenten III, 269. 274. 280. 408 f.
482 f.; C. der Bewegung II, 317;
III, 269.
Composition und Hierarchie der Kräfte
II, 538.
Compressibilität II, 390 f. 444 ; C. des
Aethers II, 436; C. der Luft nach
Boyle II, 361.
Concave und convexe Linsen II, 396 f.
Concentration I, 49, vgl. Aufmerksam-
keit.
Conchoide II, 178.
Conclusion 1, 305 ; Noth wendigkeit der C.
I, 225; problematischer Charakter
der C. I, 873 f.; Bestimmtheit I,
880 f. ; negative C. I, 883. 887 f..
vgl. Schlttss.
Concrete BegriflFe I, 111 f.; c. Einzel-
urtheüe I, 180; c. Zahl I, 523; cEr-
fahrung III, 18 ; c.-historische Unter-
suchung III, 480; c. Erscheinungen
III, 482. 501 ; c. Massenerscheinungen
bei Lexis III, 466 f. A. ; c. Bedingun-
gen III, 484; c. Thatsachen III, 511;
Sachregister.
21
c. Betrachtung III, 518. 517 f.; c, An-
wendung III, 527; c. Yolkswirth-
scbaftolehre III, 521. 522—529.
Concurreni III, 379. 496. 597; C. der
Bedingungen III, 469 f. 628 ; C. und
Variabilität II, 550.
Conditionalbeziehung I, 150 f. 206 f.,
vgl. Bedingung.
Conductor der Elektricität II, 865 A.
Confiict und Harmonie, Gesetz für C.
u. H. bei A. Bain III, 161 A.
Conformität I, 546.
Confuse (ungenaue) Wahrnehmung III,
153 f. 158. 164.
Congruenz I, 505. 518. 580; II, 121.
134. 173.
Coi\jecturalkritik III, 115 f.; philo-
logische Conjectur III, 108. 115.
Coi\jiinctionen 1, 169. 202 ; C. u. Associa-
tionen I, 66. 184; C. u. Gedanken-
kette I, 72; C. u. Kategorie I, 118 f.;
C. u. Abhängigkeit I, 206. 853 f. 869.
Connexion I, 122.
Consensus der Theile III, 482 f. A.
Consonanten in, 357.
Constanz III, 145. 168. 192 f. 246 f.;
C. des BegriflFs I, 95 f.; II, 101. 132;
constante Thätigkeit der Appercep tion
I, 159; C. des Subjects I, 161 f.;
Entscheidung über C. I, 182 ; C. der
Wahrnehmung I, 425; C. der Be-
dingungen I. 442; II, 364 A.; Con-
stanterhaltung von Bedingungen II.
365; III, 186 f. 190. 205. 224 f.;
Constanterhaltung von umständen
II, 363. 371; C. der Eigenschaften
m, 133. 247. 464 ; C. d. E. und Zu-
stände I, 462 f. ; C. des Zeitelements
I, 484 ; C. der Erscheinung I, 488 f. ;
C. und Aphorismus I, 514; C. der
Materie I, 585; II, 274. 327. 383.
429. 431. 456 f. 506 f.; III, 166. 243.
246 f.; C. der Objecto I, 563; II,
25; III, 246; C. der Schwere II,
406 f. ; C. der Naturvorgänge III, 182 ;
C. der Wirkungsfähigkeit I. 621 f. ;
II, 457 ; C. der Namen II, 107 ; Con-
stanzprincip der Mathematik II, 135.
139 f. 149 ; constante und veränder-
Hche Grössen II, 156 f.; III, 190;
physikalische Constanten II, 366. 421
bis 427. 469. 494 f. 501 ; III, 226 ;
psych. C. III, 458 f. ; C. der Energie
U, 466 f. 555 ; III, 246 f. 276 f., vgl.
Erhaltung der Energie ; C. bei mat.
A^ggreg&ien II, 438; constante Ge-
wichtsverhältnisse bei ehem. Verb.
II, 471 f. 482 f.; Constantenbestim-
mung III, 226 ; C. der Arten II, 58 ;
C. der Raumeigenschaften III, 183;
C. des Bewusstseinszustandes III,
183 f.; constanter Fehler (Abwei-
chung) III, 186. 191 f.
Constitutionelle Monarchie III, 481 A.
Construction I, 385. 570 f. ; II, 9. 35 f.
50. 69. 92. 95. 98 f. 109. 113. 117.
129 f. 166 f. 170 f. 177 f. 333. 417 f. ;
III, 262. 483 A. 586 ; C. bei Kant II,
105 ; Reconstruction II, 55. 58 f.
Contacthypothese B, 362. 480 f. 442 f.
458 f. 484; Contactwirkung II, 541.
Contagiöse Krankheiten II, 582 f. 585.
Contiguität I, 589.
Contingente Begriffe I, 184 f. 142. 200 f.
238.
Continuität I, 465 f. 486. 504 f. 513.
522. 526. 539. 617; II. 428—431.
440. 458 f. 506. 571 ; III, 274 f. 403 f.
482 f., vgl. Stetigkeit; historische C.
der wissenschaftlichen Arbeit II, 356 ;
h. C. der Volksüberlieferungen III,
107.
Continuum bei Herbart II, 228 ; C. eines
Begriffs I, 284; C. ideale I, 491.
Contraction II, 527 f. 557. 561.
Contradiction I, 137 f. 237. 239 f. 381.
385 f. 567 ; II, 62 f. 79 f. 84 f. 428
bis 431. 440. 458 f. 506. 571.
Conträre Begriffe I, 134. 137 f. 140.
142. 200 f. 219 ; c. UrtheUe I, 287 f. ;
c Gegensatz II, 68. 79. 81 f.
Contraposition I, 240 f.
Contrast III, 159. 219 A. 408. 413 f.
433 f. 616 f. 624 f., vgl. Gegensatz;
binocularer C. III, 204 ; Verstärkung
durch C. III, 282—285. 416.
Controle III, 175; C. der Wahrneh-
mungen I, 429 f. 487; II, 418 f.
Convention III, 185.
Convergenz der Gesichtslinien III, 204.
Convexe und concave Linsen II, 396 f.
Coordinaten I, 497. 519. 581. 583; II,
203 f. 227 f. 317 f. 449 f.; Coordi-
natengeometrie II, 181. 193.
Coordination I, 122. 183 f. 142. 166 f.
182. 193. 199 f. 264. 273 f. 362 f.
365. 370. 876 f. 479; III, 581. 587;
coordinirendes Identitätsurtheil 1, 196.
22
Sachregister.
200 f. 286; C. Ton Zweck und Ur-
sache I, 685 f. 649 f.
Gopula I, 60. 122. 168 f. 168 f. 186 f.
190 f. 196 f. 210 f. 278 f. ; C. und
Negation I, 220. 228. 240; copular
tives ürtheü II, 11; c. U. bei Sig-
wart I, 181.
GoroUarsatz II, 67. 85.
Gorporationen III, 417 f. 480. 544. 546.
568. 592 f. 604 f.; Gorporationsrecht
III, 478. 561.
Gorpus, G. juris III, 4; G. politicum
III, 482. 489 A.
Gorpusculare Atomistik I, 526. 542 f.;
II, 444 f. 471. 506.
Gorrelation III, 464 f. 501 ; G. der Merk-
male II, 51 ; oorrelate BegrifÜBpaare
I, 115. 184. 140. 142. 200 f.
Gorrespondenz von Wirkung und Gegen-
wirkung II, 868; correspondirende
Yerftnderungen II, 163 f.
Gosinus II, 217 f. 220 f.
Gotangente II, 218 f.
Credit III, 137. 509; Greditverkehr III,
110 f.; Greditwirthschaft lU, 894.
400 f. 525.
GriminaJanthropologie III, 574 A. ; Gri-
minalrechtspflege III, 459 ; Griminal-
Btatistik III, 5. 144. 146 f. 450. 462 f.
475.
Gubikzahl II, 191; Cubikcentimeter
Wasser (Qramm) II, 422.
Gnlpa III, 575 f.
Gült, DionysiBcher G. III, 869; Gultus
ni, 478. 544 ; Gült- und Kunstformen
III. 72.
Gultur UI, 502. 589. 542. 599 ; G. einer
Zeit III, 36. 74. 95 f. 809 f. 821. 324 f.
886. 373 f. 879. 383. 418 f. 432. 434 f. ;
Pflanzencultur II, 586 ; geographische
Gulturgesetze III, 388 f. 394 f. ; Gul-
tur und Natur III, 44 f. 58 ; üeber-
gangsepochen d. C. III, 4 f. 74; chi-
nesische G. III, 394; semitische G.
m, 6; hellenische C. III, 418; helle-
nistisch-römische G. III, 4. 419;
alexandrinische Periode III, 5 f.;
Renaissance III, 5 f. 328. 393 A. 410 f.
417; Aufklärungszeitalter III, 49.
481. 594; primitive G. III, 578.
Gulturgeechichte ÜI, 7 f. 28 f. 33 f. 46.
69. 72 f. 74 f. 149 f. 304 f. 307. 321 f.
325 f. 352. 361. 382. 410 f. 422 f.
439. 442. 481. 523 f.
Culturwissenschaft UI, 804.
Gurve ü, 417. 420 f. 546; IH, 475;
Gleichung einer G. II, 6. 87 f. 43.
157. 159 f. 199 f. 224. 249 f. ; Ein-
theilung der Gurven II, 51 f. ; Ent-
stehung der G. n, 54. 180 f.; Con-
stmction von G. U, 207 ; Gurven als
Tangentengebilde II, 188 f.; G. als
mechanische Linien II, 191 f.; vez^
wickelte Gurven II, 178. 180 f.; C.
des schnellsten Falls II, 812.
Gurvendarstellung II, 510.
Gyan II, 480. 579.
Gyklus, Lebenscyklen niederer Organis-
men II, 585.
Gylinder II, 178.
D.
Dämonen I, 631 ; III, 97, vgL Animis-
mus.
Dämpfung der Schallschwingnngen
II 394.
Dahanä III, 864.
Dampf, Metalldämpfe II, 398 f. ; Dampf-
kraft II, 409 ; Verdampfung 11, 505.
Daphne III, 864.
Darmabschorfungen des Typhus U, 585.
Darmsaite II, 528.
Darstellung, graphische 11, 420 f.;
Gurvendarstellung II, 510; beschrei-
bende D. 8. Beschreibung.
Dauer 1, 184 f. ; II, 894 f. 462 f . ; HI, 224 f.;
D. der Vorstellungen III, 208; D. der
Gefühle III, 217, vgl. Zeit
D^cadence III, 419 A.
Decimalsystem II, 136 f.
Deckung, theilweise D. der Beg^e
I, 136. 198 f., vgl. Gongruenz.
Deduction I, 324 f. 327 f. 836. 381.
390 f. 459 f. 510. 516; II, 1. 31 f.
99. 117. 162. 166 f. 333 f. 338. 346.
361. 366. 872. 378. 416. 418. 427 f.
457. 464. 494; III, 64. 85. 99 f. 109.
121 f. 125 f. 187. 202. 237. 308. 810.
312. 817 f. 826. 841. 343. 346 f. 355.
860. 385. 408. 449 f. 464 f. 488 f.
492. 502 f. 513. 522 f. 554. 560 f.
572. 581. 585 f. 636 f.; physikalische
D. II, 379—394; chemische D. II, 491.
493-495; mathematische D. II, 181 f.
458f . ; synthetischeD. II, 33f. 379—388 :
analytische D. II, 33. 36 f. ; syntheti-
SachregiBter.
23
scher DeductionsbeweiB II, 70 f. ; de-
dactiTer Beweis II, 121.
Definition I, 77. 189 f. 195. 205 f. 229.
329. 504; II, 2. 84 f. 39 f. 67 f. 70.
105. 107 f. 130 f. 168. 181.880.888;
III, 192 f. 499 f. 509 f. 517 f. 522 A.
581. 561. 580 f. 636; Definitions-
gleichung II, 828; lU, 194; D. and
Axiom I, 575 f. 580 A.; II, 118 f.;
analytische D. II, 44 f. ; synthetische
D. II, 45 f.; genetische D. II, 178;
III, 519.
Definitive Atome II, 444.
Deismus I, 422.
Dekalog ID, 578.
Delict III, 551 f.
Demographie III, 444 f. s. BeTölkemngs-
lehre.
Demokratie III, 148 f. 398. 400. 479.
Demologie III, 488 A. 444 A. s. B^vOl-
kerungslehre.
Demonstration II, 2. 65 f., vgl. Bevreis.
Demonstrative Wurzeln I, 125 ; Demon-
strativpronomen I, 177 f.
Denken I, 11 f. 59; lU, 17.207. 245 f.;
discursiTe Beschaffenheit I, 65. 158;
Gedankenverlauf 1 , 74 f. ; D. und
Zahl I, 523; Merkmale des logischen
Denkens I, 78 f. 96 f. ; D. und Wirk-
lichkeit I, 479 f. 611 f. 626 f.; Spon-
taneität des Denkens I, 627 f.; D.
und Anschauung I, 82 f. 550 f. ; III,
529 f.; das Denkbare I, 117. 288;
Aufgabe des Denkens I, 6 f. 90; D.
bei Spinoza I, 408. 527; Denkbarkeit
anderer Räume I, 500; Denkobjecte
I, 472; allgemeine Denkgesetze III,
181 ; denkende Bethätigung des Wil-
lens III, 18.
Denkmäler lil, 884 f. 864.
Derivirte Function bei Lagrange II, 225.
239 f. 259. 818.
Descendenz s. Abstammung.
Descriptives Stadium 11, 836. 487, vgl.
Beschreibung.
Desintegration bei Spencer III , 486 f.
Despotismus III, 148 f.
DestiUation II, 472. 474.
Determination 1, 122. 144 f. 169. 251 f.
281 f. 885. 877. 390; II, 1. 17 f. 210.
216. 246. 384. 339. 885 f.; III, 13.
511 f. 640; innere D. I, 147 f.; äussere
D. I, 149 f. 480; D. der Mannigfal-
tigkeit II, 140; Determinator und
Determinand I, 258 f.; D. als Nega-
tion bei Spinoza I, 528.
Determinismus I, 558 f. 629. 634 f.;
III, 576.
Deukalion III, 864.
Deutewurzeln I, 125.
Deutiichkeit und Klarheit ni, 179. 201.
266. 286. 492.
Deutsche üebertragungen logisch be-
leuchtet I, 148 f.; altdeutsche Ag-
glutinationen I, 87 ; deutsche Psycho-
logie III, 158 f.; das junge Deutsch-
land III, 417; das deutsche Recht
m, 591 f.
Deutschlands Trennung von Oesterreich
UI, 124.
Devolutionäre Auffassung III, 397 A.
Dialekt, sprachlicher D. (Mundart) III, 7.
Dialektik III, 396 f. 600 A. 632. 634 f.;
die dialektische Logik I, 3 f. 7. 407 f.;
transscendentale D. I, 406 f. 533;
ontologische D. I, 407; synthetische
D. II, 10; Hegels D. II, 64; III, 426;
Aristoteles* D. III, 159.
Dialog II, 382; III, 128. 810.
Dichotomie s. Zweitheilung.
Dichter III, 481; Dichtkunst III, 222;
Dichtung III , 864 f. 875. 886 , vgl.
Poesie.
Dichtigkeit II, 142 f. 149. 423. 466.
469. 499; Substanzverdichtung II,
510.
Dicotyle Pflanzen II, 529.
Didaktik III , 489. 570 f. ; Werth der
Reihenfolge I, 97.
Diebstahl lU, 552. 578.
Dielektrika II, 486.
Differentia specifica II, 42 f.
Differentialbegriff 1, 135 f. ; II, 202. 225 f.
Differentialgleichung II, 391; D. und
Integral I, 299.
Differentialquotient I, 519 f.
Differentiation, partielle D. II, 252. 318.
Differenz vgl. Subtraction, Unterschied,
grösst- und kleinstmögliche D. 1, 134 f. ;
Geschlechtsdifferenz II, 575.
Differenziren II, 84; Differenzirung
III, 414. 600 A. 629; D. der Formen
II, 540; Differenzmethode III, 209.
Diffusion II, 474. 527.
Digitalin II, 581.
Dilemmen II, 83.
Dilettantismus III, 240 A.
Diluvialfunde III, 58.
24
SachregiBter.
Dimension, einfache D. 1, 141 ; III, 183 f. ;
mehrfache D. I, 494 f.; Dreizahl I,
497. 513. 580; II, 845. 492; Räume
von mehr Dimensionen II, 134; Di-
mensionszahl psychischer Grössen
(üebergangsrichtungen) III, 179.
DingbegriflF I, 118, 409. 462 f. 524.
581 f. 584. 543. 546; II, 44. 456;
III. 245; geistige Dinge I, 469 f.;
Ding an sich I. 899. 405 f. 422. 488.
533. 541. 546 f.
Dione III, 362.
Dionysischer Cult III, 369.
Diplom atik III , 840 A. ; diplomatische
Verhandlungen III, 125.
Directes Beweisverfahren II , 69 f. ;
directe und indirecte Elimination II,
863 ; directe und indirecte Methoden
ps. Messung III, 185 f.
Discrete Zahl II. 91, 189; d. Elemente
II. 458; d. Grössen I, 135; II, 139.
393. 429 ; d. Mannigfaltigkeit I, 522.
Disdiaklasten II, 528.
Disharmonie III, 272..
Disjunction I, 184. 138. 142. 200 f. 237.
283 f. ; disjunctives ürtheil 1 , 173 f.
182. 201 f. 232. 234. 342. 566 f.; II,
8; disjunctiver indirecter Beweis II,
79 f.; disjunctiver Schluss I, 310 f.
859. 3H9f.; II. 24 A. 79.
Diskontsatz III, 110 f.
Dislocation I, 516. 518 f.
Disparate Begriffe I, 139 f. 143. 221 f.
235. 272 f.
Disposition, latente D. I, 26 f. 30; III,
229; disponible Association III, 207;
individuelle D. II, 586. 589; vererbte
D. U, 588.
Dissociation 11, 502 f. 511. 514 A.
Distanz s. Entfernung.
Distributionsgesetz II, 123.
Divinatorische Interpretation III, 116.
— Kritik III, 115 f.
Division I, 267 f. 284. 298; II. 98. 114.
133. 187. 145. 155. 158f. 191. 211 f.
239. 242. 247 f. 258. 432; D. mit
Null II, 150; D.von Geraden II, 195 f.
Documente, historische D. III, 807.
Dogmatismus I, 899 f. 584 f. ; III, 126.
581. 541. 642.
Dolmetscher III, 56.
Dolus III, 575 f.
Donner III, 868.
Doppelbrechung II, 285. 374. 433. 560 f.
Doppelte Verneinung 1, 288 f. 241 f. 286 f.
— Reize bei Merkel UI, 187 A.
Doppeltes Functionssymbol I, 278 f.
Dorf III, 594.
Drama III, 120. 127. 169. 310. 317.
Drehung 1 . 580 A. 622. 624; II , 178.
310. 321 f. 887. 854. 390. 423 f.;
magnetische D. derPolarisatiooMbene
n, 349. 437.
Drehungsgesetz der Winde II, 340 f.
Drehwage II, 371. 402. 405 f.
Dreieck, charakteristisches D. bei Leib-
niz II, 281 f. 236 f.
Dreieckszahlen II, 167.
DreiLheilung II, 64; III, 188. 396 f.;
Mathematik der drei F&Ile III, 189 f.
Drittes., Satz vom ausgeschlossenen
Dritten I, 358. 565 f.; IL 79; lU. 46.
452 f.
Druck II , 74 f. 330. 405. 489. 497 f.
503. 506. 509. 520. 545 f.; III,
217.
Drüsen II, 529 ; Drfisengewebe II, 528.
Dualismus I, 636 ; III, 230. 244 ; D. bei
Plato I. 527; IL 584; D. bei Des-
cartes lU, 2.50; D. bei Descartes und
Wolff 1 , 540. 626 ; D. bei Schopen-
hauer J, 555; dualistische Richtung
der Chemie II , 494; dualistische
Elektricit&tohypothese II, 367. 872.
Dualität der Gebilde II, 189.
Duft der Blüthen IL 549.
Dunkelheit I, 88.
Duodecimalsystem II, 137.
Durchdringung verschiedener Materien
II, 431.
Durchschneidung II, 178 f. 183 f. 189;
Durchschneidungsversuche II , 529 f.
Durchschnittswerthe H, 419 f.; III, 77.
80 f. 138. 219 A. 457 f. 475. 508 A.
528.
Durchsichtigkeit bei Aristoteles II,
284 f. ; durchsichtige Körper II, 873.
899 f.
Dynamik I, 617; II, 298. 297. 302. 813.
815 f. 328 f. 389 f. 558; III. 884.441;
chemische D. II, 469 f. 490. 493 f.
501 — 506; abstracte mathematische
und concreto physikalische D. IL
dynamische Atomistik II, 430. 435.
325 f.; 440 f. 446. 458; dynamische
Theorie der Materie bei Kant iL
481.
Dynamis bei Aristoteles IL 278 f.
Sachregister.
25
E.
Ebbe und Flutb II, 73.
Ebenbild UI, 168.
Ebene I, 494 f.; II, 145. 185. 189. 196.
810. 491; schiefe E. II, 298.
Echtheit III, 818 f. 336 f.
Edle Metalle II, 472 f.
Effect III, 281; E. einer Bewegung II,
453, vgl. Erfolg, Wirkung.
Egoismus I, 631; III. 497. 512 f. 588.
554 A.
Ehe III, 378 f. 480. 590. 598; Stotistik
der Eheschliessungen III, 5. 450.
459 f. 473.
Ei II, 541. 543 f. 562. 564. 572 f.; Eier-
stock II, 544.
Eigenart III, 418 f.
Eigenname I, 101.
Eig^nutz 8. Egoismus.
Eigenschaften III, 19; E. und Kr&fte
II, 538; dauernde Eigenschaft und
Wechsel I, 177. 186 f.; constante E.
III, 133; E. und Wirkung I, 409;
E. und Zustand 1, 473 f. ; III, 247 ; for-
male E. III, 13; psychische E. III,
484; Vererbung erworbener Eigen-
schaften II , 543 A. ; Eigenschafts-
begriff I, 119. 145 f. 183. 871.
Eigenthum lU , 537 f. 547. 575. 579 ;
Vergehen gegen das E. III, 146 f. 463.
Einbildung III, 569 A. ; £. (Imagination)
bei Spinoza I, 586; Einbildungskraft
II, 448; III, 424; Einbildungskraft
bei Kant II, 105. 113. 130.
Eindeutigkeit der arithmetischen Fun-
damentaloperationen II, 148; ein-
deutige Schlüsse I, 381 f. 390 f. ; E.
einer Function II, 203 f.
Eindringen, intensives E., nicht exten-
sives Erschöpfen IIT, 128 f.
Eindruck, subjectiver E. II, 413; E.
III, 219 f. 223 f.. vgl. Einwirkung.
Einfachheit I, 510 f. 525 f. 544. 647;
n, 112. 288 f. 325. 327. 836. 840.
388. 891. 433. 506 f. 513. 559; III,
45. 55. 162 f. 198 f. 212. 225. 243 f.
249. 262. 492. 582 f. 596; einfache
und zusammengesetzte Körper II, 479.
Einfluss, physischer E. 1.540; psychische
Einflüsse der geistigen Umgebung
III, 27 f. 34—40. 231 f. 292. 326 f.
348 f. 352. 380 f.; individueller E.
m, 382 A.
Einflusslosigkeit der Nebennmstände
I, 441.
Einfuhr III, 618.
Eingriff, verändernder E. III , 174 f.,
vgl. Experiment
Einheit I, 261. 521; II, 140. 143 f.;
III , 246 f. 595 f. ; Einheitsgleichung
I, 283 f. 292 f. 395 f.; E. des geistigen
Lebens I, 551; III, 261. 266 f.; E.
der Apperception I, 468 f.; III, 246.
266; Einheitsbedürfniss III, 199. 248
E. der Principien in Chemie und
Physik II, 490. 499; E. der Gefühls-
lage III, 265; E. des Urstoffs II, 580;
E. der Naturanschauung II, 587 ; in-
nere £. durch den psychischen Zu-
sammenhang des Seelenlebens III, 33.
48. 167. 238.
Einkommen III, 137.
Ein- und Ausscbachtelung II, 578.
Einschaltung der Copula I, 168.
Einschränkung und Determination II,
216.
Einschränkungen bei Kant II, 104.
Einseitigkeit III, 128. 412 f. 498.
Einsicht, mangelnde E. III, 514, vgl.
Intelligenz.
Einstellung II, 394; Einstellungsmetho-
den III, 185 f.
Eintheüung I, 201. 216. 566 f.; III. 117.
186. 190. 304. 479 f. 511. 560 f.;
logische E. und praktische Arbeits-
theilung III, 22 f.; E. nach Gegen-
satz II, 277. 581; III, 397; E. und
Schluss I, 312 f., vgl. Classification.
Eintheilungsgrund II, 47 f. 60 f.; III,
394. 400 f. 532.
Eintritt der Handlung I, 184 f.
Einwanderung III, 459 f.
Einwirkung III, 202 f. 218.
Einzelbegriffe I, 105 f.
Einzelerhebung III, 528.
Einzelne Erscheinung II, 359; III, 135;
das E. I. 525; der einzelne Mensch
III, 18 f. 135. 231 f. 292 f. 491 .
496 f. 508 A.; EinzelthatsachenII,d59.
Einzelurtheile I. 176. 180; E. bei Kant
I. 173.
Einzelvorstellung I, 106.
Einzelwissenschaften III, 447, vgl. Er-
fahrungswissenschaften.
Eisen und Elektricität II, 849. 367.
369 f. 373.
Eiweiss II, 477, 525. 570. 578.
26
Sachregister.
EklekticiBmus, dogmatischer E. I, 401 ;
E. III, 511 A. 519.
Elasticität II, 19. 282. 354. 378 f. 391 f.
405 f. 423. 429 f. 482. 435. 489 f.
444 f. 519. 526 f. 547. 557; elastische
Liohttheorie II , 437 A. ; elastische
Röhre des Aneroidbarometers II, 402 ;
elastische PUtten II, 403.
Eleaien I, 400. 584; III, 684.
Elektricität II, 331. 850. 862. 864 f. A.
366—873. 874. 877. 892 f. 400. 402.
405. 409 f. 418. 428 f. 432. 434 f.
454. 469. 473 f. 478 f. 483 f. 490 f.
494 f. 501 f. 507. 510. 518. 524. 526 f.
557. 588; III, 132. 517; Elektrochemie
II, 483 f. 494. 503 f.; Elektrodynamik
II, 426. 486. 449 f.; Elektromagnetis-
mus II , 348 f. 350. 859. 367 f. 426.
442. 491; elektromagnetische Feme-
Wirkung II, 376; elektromagnetische
Lichttheorie II, 850. 898. 435 f. 449;
Electrometer II, 402; elektrische
Drehwage II, 402; elektromotorische
Kraft II, 350; elektrotonischer Zu-
stand II, 872; elektrostatische Wir-
kungen II, 448. 451; Elektrolyse II,
496. 503; Elektrolyte II, 495.
Elemente der psychischen Vorgänge
III, 158; ps. Elementarphänomene
III, 160; E. des Bewusstseins III,
1 78 f. ; einfacheVorstelluDg als psycho-
logischer ElementbegrifF I, 18 f.; III,
162 f.; Associationen der £. I, 24 f.;
herrschende E. 1 , 49 f. ; natürliche
E. des Denkens I, 97 ; Gedankenele-
mente I, 93; Elementar- und Total-
verbindung 1 , 68 f. ; Determination
und Summation für E. I, 281 f.;
Elementaranalyse II, 8 f. 196-<201;
III, 196-201. 204 A.; organische
Elementaranalyse II, 475; E. der
Chemie I, 535; II, 264. 468—513;
£. der Materie II, 457 f.; vier E.
des Aristoteles II, 64. 471; E. des
Empedokles II, 288 f.; arithmetische
E. II , 140 f. 149 ; discontinuirliche
E. II , 232 f. ; Elementarorganismus
II, 559 f.
Elend III, 618.
Elimination I, 816 f. 376 f.; II, 11 f.
877, vgl. Ausscheidung etc.; E. der
Fehler III, 184. 186. 188. 469 f.; E.
der wechselnden Zeit- und Raumein-
flüsse III , 186 f. ; E. und Gradation
der Bedingungen II, 368 f. 871. 373.
529; E. singulärer Einflüsse III, 148 f.;
Eliminationsmethode III, 209 f.; £.
der Nebeneinflüsse III, 216.
Elle III, 181.
Ellipse II, 180. 182. 187 f.; elliptische
Function II, 257.
Bmanationstheorie I, 586; II, 285. 862.
Embryonalkürper II, 541 f. ; embryonaler
Charakter II, 588 f.
Emission II, 465; Emissionsspektrum
II, 899.
Empfindung II, 567 f. 579; III, 147.
158 f. 168. 180 f. 218 f. 217. 222.
245. 255. 258. 268. 268. 271 A. 272.
292. 688; reine E. I, 15. 410. 474:
III, 178. 198; Empfindungacomplexe
I, 511; E. intensive Grössen I, 518:
III, 180 f.; E. des Tast- und Muskel-
sinnes II, 403; E. und Reiz III, 178.
181 f.; Empfindungsstrecken III, 184.
186 f. ; Empfindungszuwachs III. 198:
Association der Empfindungsbestand-
theile der Vorstellungen III, 218:
Empfindungsstärken verglichen II,
412 f.
Empirismus 1 , 398 f. 408 f. 427 f. ; U,
274; III. 8. 29. 58. 159. 166; mathe-
matischer E. bei du Bois-Reymond
II , 101 A. ; empirische Gesetze II,
26f ; III, 129. 181—150. 356f. 472f.;
£. bei Mül II, 110 f.; Empiriker und
Philosoph II, 459 f.
Empirische Wahrscheinlichkeit I, 842.
442 f.
Endaufgabe der Metaphysik I, 421.
Ende aller Dinge II, 464 f.; III, 390f.;
Endlichkeit II, 82. 459 f.; endUche
Grössen II, 233. 288. 244 f. ; endliche
Femewirkungen II, 441 f.
Endlosigkeit II, 153, vgl. Unendlichkeit.
pjndzweck I, 648, vgl. Zweck.
Energie II, 424. 458. 464 f. 502. 518 A.
564; III, 223. 381. 405; E bei Ari-
stoteles I. 527; II, 278 f.; E. und
Kraft I, 614f.; II, 808 f. 828 f. 408 f.
447; III, 182 f.; EnergiegeseUe II,
458—457. 555 f.; III, 25; Energie-
gleichungen II, 328 f.; praktische E.
III, 298; kinetische, actueUe E.
(lebendige Kraft) und potentielle E.
(Spannkraft, E. der Lage) II, 309.
408. 453 f. 544 f. 556 f. 567; chemische
Energetik II, 490. 514 A.; psychische
Sachregister.
27
£. III, 275 f.; actuelle und latente
psychische E. III» 278 f.; Erhaltung
der E. I, 621 f. 646 ; U, 304. 808 f.
410 f. 426. 441. 455 f. 489 f. 494 f.
504. 555 f. 569; III, 142. 246 f.
276 f.
Englische Psychologie III, 158 f. ; eng-
lische Philosophie III, 251 ; englische
Anthropologie III, 867.
Enqu^ III, 528.
Entartung III, 419 A.; E. der Demo-
kratie m, 148 f.
EntblÖBstsein bei Aristoteles II, 275.
Entdeckungen III, 418. 444; zufällige
£. II, 347 f. ; £. unbekannter Erschei-
nungen II, 866; Entdeckung inter-
currirender Gesetze III, 149.
Entelechie bei Aristoteles I, 525 f. 584;
m, 244.
Entfernung s. Ausscheidung.
Entfernungsbestimmungen III, 204; kos-
mische E. II, 428.
Enthaltung des ürtheils III, 16.
Entlehnung und genealogische Ver-
wandtschaft III, 106.
Entropie der Welt II, 464.
Entstehung des ürtheils I, 154 f.; E.
der Welt I, 417 f. 468; E. der Raum-
anschauung I, 505 f.; E. der Vor-
stellungen III, 168. 208 ; E. der Staaten
IIL, 496 f. ; Entstehungsbedingungen
geistiger Vorgänge III, 68; E. der
Arten s. Entwicklung.
Entwicklung II, 6. 524; III, 28. 151.
269 f. 402 f. 428 f. 441 f. 479. 484.
487. 494 f. 500 f. 505. 510. 522 f.
530. 587. 541 f. 556 f. 590; E. der
Arten I, 649 f.; n, 841. 537. 589 f.;
E. des Denkens I, 9 f. ; E. des Willens
ni, 577. 599; Gedankenentwicklung
I, 34 f. 75 f. ; Entwicklungslosigkeit
m, 248; Entwicklungsgeschichte II,
516; III, 18; Entwicklungslehre 111,16;
genetische Classification II, 49. 52 f.
845. 565 f. ; E. der Erfahrungswissen-
schaften ni, 25; Periodicität der Ent-
wicklungserscheinungen II, 564; ver-
gleichende Entwicklungsgeschichte
in, 78; geistige E. III, 21 f. 66 f. 274 f.
416; E. bei Aristoteles II, 275; gene-
tische Definition II, 46; III, 519;
genetische Erklärung II, 58 f.; gene-
tisches Verständniss II, 515; III, 428 f.;
genetische Construction II, 169.
Entzündung 11,524. 587 f. 615 f. ; Lungen-
entzündung II, 586; III, 507 A.
Enumeration III, 810.
Epicykeln II, 288.
Epidemien III, 468. 465. 470.
Epigenesis II, 541 f. 568.
Epithelialgewebe III, 528. 546. 589.
Epos III, 310. 817.
Erde II, 442; III, 68; Erdkunde II, 54.
269 f. 286. 844; III, 804. 884. 379.
888 f. 418. 448 f. 478. 476, vgl. Geo-
logie, Geognosie et<:.; Kugelgestalt
der E. II, 886; Erdinneres II, 837 f.;
Erdbewegung II, 76. 81. 841. 886.
418 f.; Fortpflanzung derWärme durch
die Erdrinde II, 366; Erdmagnetis-
mus II, 870; Bildung der Erdrinde II,
552; Erdquadrant II, 422; Erdsphä-
roid II, 428 ; Erdpole II, 425 ; Aequator
II, 425; Gradmessung 11, 422.
Ereignisscharakter I, 596 f.; II, 828;
III, 167 f.; historische Ereignisse III,
20. 74. 138. 144, vgl. Geschichte;
collective Ereignisse III, 80; generelle
Bedingungen und singulare Ereignisse
ni, 142 f.
Erfahrung III, 80. 24 f. 129. 204. 244.
582 f. 683 f. ; innere E. 1, 1 1. 78. 537 f.
549 f.; III, 163. 165 f. 172. 178. 194 f.
196. 198 f. 242 f. 247 f. 291; äussere
E.' II, 279 f. 894; III, 242. 247 f. 291;
Zufälligkeit und E. I, 81; Gebiete
der E. I, 83; allgemeine Erfahrungs-
gesetze I, 574 f.; II. 26 f. 361. 457;
III, 145; allgemeine Erfahrungsbe-
griffe I, 461 f.; Reflexion über die
E. I, 508; relative ünumstösslich-
keit I, 506 ; E. und Denken I, 398 f.
560 f. 571 f. 624 f. ; 11,461 ; Erfahrungs-
wissenschaften I, 7 f. 421. 436. 468 f.
584 f. 577. 614 f.; II, 90. 861; lU,
24 f. 129. 133. 150. 248 f. 251 f. 304 f.
339 f. 631 f. ; Erfahrungs- gegenüber
Anschauungs- und Begriffswissen-
schaften II, 38. 36. 40; Naturerfah-
rung und unmittelbare Auffassung
I, 422 f.; III, 83; allgemeinere Er-
fahrungsgesetze und empirische Ge-
setze II, 26 f.; III, 129; unmittelbare
E. U, 278; objective E. II, 875; in-
dividuelle und concreto E. III, 18 f.;
allgemeine Lebenserfahrung III, 19;
E. und reine Anschauung I, 618 f.;
II, 824; E. und Axiome II, 411 f. A.;
28
Sachregister.
Erfahrungsseelenkande III, 64 A. ; E.
bei Baco II, 287 f.; E. bei Leibniz
I, 568. 586 f. ; E. bei Hume I, 589 ;
innere E. und Gaasalität I, 604.
609; III. 291; E. und Substanz I,
537 f. 626 f. ; E. und Theorie III,
512 f.
Erfindungs- und Vertragstheorien III,
293 f. 556.
Erfolg m, 177. 279 f.; E. und Folge
I, 588 f. ; ps. Anticipation I, 643 f. ;
E. und Zweckmässigkeit III, 125.
Ergänzung der Begriffe 1, 115; Wechsel-
beziehung I. 134; E. der Urtheile
I. 230; ideale E. I. 421 ; Ergänzungs-
farben II, 3r>8; E. der Untersuchungen
III, 37 f. 261 ; ergänzende Abstraction
III, 232. 277. 515.
Erhaltung, Principien der E. II, 304 f.
324; E. der Energie I, 621 f. 645;
II, 304. 308 f. 410 f. 426. 441. 455 f.
489 f. 494 f. 504. 555 f. 569 ; III, 142.
246 f. 276 f.; E. der Quantität der
Bewegung II, 804. 306 f.; E. der
lebendigen Kräfte II, 304—306.391;
E. des Totalfortschritts der Körper
II, 305; E. des Schwerpunktes II.
806 f. 390 f. ; E. der Flächen II, 308 f.
391 ; E. der Art II, 539.
Erinnerung I. 31. 425; III, 171. 201.
210 f. 287; E. und Begriff I, 46 f.;
Wiedererinnerung II, 101 f. ; III, 159.
210 f. 635 ; Wiedererinnerung beiPlato
I, 399; bei Aristoteles III, 159; Er-
innerungszellen III, 229.
Erkennen und Gefühl III. 158; Wieder-
erkennen III, 206. 210. 220. 225;
Erkennung III, 209 f., vgl. Erkennt-
nisskritik.
Erkennbarkeit I, 636 ; II, 279 f. 284.
Erkenntniss, Ursprung der E. I, 398 f. ;
Erkenntnissnormen und Erfahrung
II, 461; E. des Erkannten III, 303;
Entwicklung der wissenschaftlichen
E. III, 828.
Erkenntnisstheorie 1,2; II, 512; III, 19.
53. 249. 447. 631 f.; empirische E.
III, 159. 166. 251; Stellung der E.
zwischen Logik im engeren Sinne und
Metaphysik I, 8; Aufgaben der E. I,
411; Erkenntnisslehre II, 45.
Erkenntnisskritik I, 426 f.; III, 126;
klares und dunkles Erkennen I, 88;
»verworrene* Vorstellungen bei Leib-
niz I, 568; Erkenntnissgmnd bei
Schopenhauer I, 570 f. 593.
Erkenntnisswerth, praktischer E. 111,134.
480.
Erklärung, vgl. Interpretation I, 183.
189 f.; II, 4. 844 f. 878 f. 458. 538.
545; III, 14. 154, 212. 235 f. 24.S.
245. 247. 260 f. 269 f. 319 f. 355 f.
864. 474. 513. 518; £. und Inter^
pretation III, 56. 88; E. und Vei^
neinung 1, 216 f.; erklärende Wissen-
schaft I, 334. 615 A.; genetische E.
II, 58 f.
Erlebniss und Beobachtung III, 29;
subjective und auf aussen bezogene
Erlebnisse III, 153; ps. E. und Gegen-
stände III, 164, vgl. Erfahrung.
Erleichterung III, 221.
Erleiden III, 267, vgl. Passivität
Erlösungswerk Christi III, 49.
Ernährung II, 520. 529 f. 542. 557. 574;
III, 469; Emährungssäfte II, 587.
Ernst III, 221.
Erscheinung und Sein I, 462 f. ; DI, 82 f.;
E. bei Kant 1, 548. 554; bei Schopen-
hauer 1, 555 ; Erscheinungen bei New-
ton II, 381; E. und Gesetze III, 133;
Körperwelt eine Bewusstseinserschei-
nung III, 244.
Erschleichungen I, 516. 608.
Erschöpfung III, 288; E. des Lebens
II, 574, vgl. Tod. — Nicht extensive
E. , sondern intensives Eindringen
m, 128 f.
Erschütternde Wirkung lU, 199. 215.
Erwärmung, vgl. Wärme ; E. durch Gelb
bei Goethe III. 216.
Erwartung I, 447; E. beim Experiment
11,836; 111,191.
Erwerb III, 578.
Erzählung I, 188 f.; II, 844; III, 319 f. ;
E. und Verneinung I, 216.
Erzeugnisse, geistige, II, 580; III, 21 f.
23. 30. 95. 118 f. 140. 213 f. 282 f. 294.
302. 304 f. 340 f. 381. 546.
Erziehung lU, 428. 425 , vgl Pädago-
gik.
Essigsäure II, 485.
Ethik I, 1, 411. 646. 648 f.; III, 2. 16.
21. 41. 53. 71. 120. 124. 126 f. 152.
164 f. 219 A. 237 f. 274. 281 f. 294.
297. 307. 322. 344. 861. 367. 375 f.
896. 419. 428 f. 432 f. 442 A. 447.
459. 474. 478 f. 486 f. 504. 515 f.
Sachregister.
29
542 f. 547. 553 f. 555. 559. 564 f. 574.
578. 580 f. 584. 588, 627 f. 641 f. ;
ttttliche Forderungen I, 414 f. ; III,
244. 277 f. 377. 402. 404. 424. 544 ;
Sittlichkeit III, 31. 164. 629 f.; ethi-
sches Bedürfniss I, 455; III, 424;
E. Kants I, 407.
Ethnologie (Völkerkunde), II, 270; III,
22 f. 83. 43. 46. 63. 145. 235 f. 802.
831. 384 f. 371 f. 874. 379. 441 f.
448—455. 455 f. 462 f. 476 f. 494 f.
597.
Ethologie III, 240. 307. 369—876. 526.
629 ; E. bei MiU III, 64 A.
Etwas I, 117.
Etymologie III, 4. 59. 148 f. 359. 862 f.;
Volksetymologie I, 20, vgl. Sprache.
Evidenz I, 78. 81 f. 398 f. 406. 435 f.
568; II, 109. 277. 411; III, 28; un-
mittelbare und mittelbare E. I, 82 f.
Evolution und Epigenesis II, 541 f. 563.
Ewigkeit I, 84. 488. 641 ; £. der Mensch-
heit I, 414 f.; ewiges Sein III, 301;
£. des Lebens II, 576 f.; ünzerstör-
barkeit III, 163. 277 f. ; ünwandel-
barkeit I, 488; ün Vergänglichkeit II,
441; III, 151. 163 f. 243. 277 f.; Un-
verbrüchlichkeit I, 651; Unerschöpf-
lichkeit II, 149 f. ; Unsterblichkeit I,
405. 422; III, 43. 151. 164. 168. 368 f.;
Unendlichkeit I, 487 ; II, 82. 150 f.
459 f.; sittlich beleuchtet I, 414 f.;
III, 278; Unendlichkeit bei Spinoza
I, 528; unendlich dauernde Bewe-
gung II, 441; Unumstösslichkeit I,
506; p vollendete* und un vollendbare
UnendUchkeit II, 153. 226. 460 f.;
Unendlichkeit nicht verstellbar I, 84,
vgl. Substanz, Zeit, Gottheit.
Exacte Wahrscheinlichkeit 1,345; e. Ana-
logie I, 349 f. ; e. Definition II, 7 ;
e. Beschreibung II, 345. 362; Ezact-
heit durch Willkür bei der roathe-
matischen Wissenschaft II, 100; e.
Wissenschaften ü, 581 ; III, 8 A. 53.
57. 76. 79. 100. 111. 125. 162. 166.
230. 302. 406. 423. 502 f. 507 A.
513. 517 A. 569 A. 581 ; e. Beobach-
tung U, 334 f. 394. 403 f. 412 f. 415 f. ;
III, 93. 146 f. 164. 172. 190 f. 300 f.
474 f.; e. Methoden III, 9. 90 f. 171.
177 f. 181. 183. 186 f. 217. 226.239.
276. 813. 520. 522 A. 531.
Exantheme II, 586.
Excess der Bildung II, 564.
Excrete, pflanzliche und thierische E.
II, 525 f. 571.
Exegese III, 81, vgl. Interpretation.
Exemplification I, 814 f. 334 f. 362.
374; II, 24; III, 88. 120. 129. 582.
587.
Exhaustionsmethoden II, 152. 282.
Existenzbedingungen III, 45.
Existenzialsätze I, 179.
Experiment II, 5. 9 f. 35 f. 117. 286.
338. 884—339. 339 f. 362. 366. 872.
377. 380. 384 f. 389. 395 f. 416. 436.
494. 514 f. 520. 523 f. 525 f. 528 f.
532. 537. 560. 577 f. 584 f. 587. 589;
III, 53 f. 57. 65. 76 f. 92 f. 109. 145.
150. 166 f. 169 f. 172—178. 184 f.
190. 197 f. 199. 202 f. 207 f. 211 f.
215 f. 222 f. 283. 239. 240 A. 300 f.
316. 342. 468. 483 A.; experimentelle
Morphologie II, 519. 528 f.; experi-
mentelle Methodik II, 22; Experi-
mentum crucis II, 854. 356 f.
Explication s. Erklärung.
Explicite Function II, 208.
Exponentialfunction II, 214 f. 244. 247.
257 f.
Exstirpationsversuche II, 529.
Exsudation II, 524. 587.
Extensität, vgl. Ausdehnung.
Extensive Grössen I, 513; m, 178 f.
210; e. monoculare, Vorstellungen
III, 204; extensiver Umfang einer
Vorstellung III, 205.
Extra-Strom Faradays II, 370.
F.
Fabel III, 105.
Faden, absolut biegsamer, unausdehn-
barer F. II, 319 f. 325; elastischer
F. II, 405.
Fadenkreuz II, 398. 404.
Fähigkeit III. 19.
Fälschung III, 103. 123.
Fäulniss II, 364 A. 577 f., s. Fermen-
tation, Gährung.
Fall und Wurf I, 618 ; II, 294 f.; schnell-
ster F. II, 312; Fallgesetze II, 31.
376; III, 67; Fallversuche ü, 261.
264. 840 ; Fallgeschwindigkeit II, 356.
Fallbeschleunigung II, 425.
Falsche Folgerungen bei Bedingungs-
30
Sachregiaier.
urtheilen von bestreitbarer Triftig-
keit I, 375.
Falsche und richtige Fälle III, 189;
falsch und wahr III, 126; Gefahl des
Falschen III, 118.
Faltungen der Eeimscheibe II, 548.
FamiUe II, 564; III, 284. 870. 878 f.
448. 477 f. 480. 537 f. 589 f. 597.
605 f. 611; Familienrecht III, 478.
561.
Farbe I, 408. 495. 513. 586; II, 284 f.
399 f. 428. 445 f.; HI, 178. 200. 216 f.
221 f. 272; Farbengefühle III, 222;
Grundfarben II, 358; Farbenkreisel
II, 858; Farbenmischung II, 357 f.
360; Farbenmengungen 11,399; Er-
gänzungsfarben II, 858; Farbenzer-
streuung II, 285. 352—355. 357. 360 f.
394. 898 f.; Farbenanpassung bei
Thieren und Pflanzen II, 549 ; pflanz-
liche und thierische Farbstoffe II,
525 ; Färbungsmethoden der optischen
Morphologie II, 521.
Fatalismus I, 554; III, 81 A.
Fata morgana und Assimilation I, 19.
Favuspilz II, 585.
Feder II, 453; (Uhr) II, 414 f.
Federwage II, 405 f.
Fehler der Beobachtung I, 444; III,
191 ; F. der Messung II. 405. 418 f.;
ontologischer F. III, 246; Fehlereli-
mination III, 184. 186. 188. 469 f.;
mittlerer F. III, 185 f. 192; Fehler-
yertheilung III, 191.
Feldmessung II, 91. 417.
Feldspat II, 578.
Fermente II, 526. 572 f.; Fermentation
II, 585, B. Gährung, Fäulniss.
Feme, Wirkung in die F. I, 616 f.;
II, 80. 376. 400. 405. 430 f. 440 f.
448 f. 467; III, 262; Femewirkung
elektrischer Flüssigkeiten II, 872.
Femrohr II, 395 f. 404.
Festbräuche III, 369 A.
Feste und lose Verbindung der Atome
II, 556; fester Punkt II, 466.
Festigkeit I, 588. 628 f.; feste Körper
II, 390 f. 406. 481. 436. 489 f. 501.
514 A.
Fetischismus III, 367.
Fettsäuren II, 477.
Feuchtigkeit (Luft) II, 419.
Fiction, juristische F. III, 566 f. 585.
588. 612.
Figuren, syllogistische F. I, 307. 388.
Fütration II, 474.
Finanzyerwtütnng III, 498. 526; Finanz-
wesen III, 478; Finanzwirthschaft m,
466. 532.
Fixation III, 204.
Fixe Verbindung II, 475.
Fixsterne II, 81. 386. 511; DI, 134.
Fläche II, 204. 825; Erhaltung der
Flächen n, 808 f. 891 ; FlAchenkraft
II, 431; Prindp der kleinsten Flä-
chen II, 545; ungleiches Fläcben-
wachsthum II, 546.
Flaschensug II, 297. 319 f. 325.
Flexion I, 88. 42. 57; Suffixe der F.
I, 176 f.
Fluenten bei Newton II, 227.
FlQssigkeit, vollkommene F. I, 624; ab-
solut verschiebbare F. III, 61; fifls-
siger Körper II, 390 f. 392. 402. 405 f.
436. 439 f. 491. 498 f. 503. 505. 527 f.
560. 581; III, 512.
Fluida, unwägbare F. II, 367; Wärme-
fluidum II, 481 f.
Flussspat II, 578.
Fluth und Ebbe II, 73.
Fluthsagen III, 105 A. 449.
Fluxionsmethode bei Newton II, 225.
227 f. 244.
Fördern und hemmen III, 163.
Folge, vgl. Gmnd.
Folgen und erfolgen I, 589 f.
Folgern, s. Schluss.
Forderung (Postulat), theoretische und
praktische I, 646; transscendente F.
I, 84; sitÜiche F. I. 414 f.; DI, 244.
277 f. 377. 402. 404. 424. 544; logi-
sche F. III, 251 f. 357. 544.
Form bei Aristoteles I, 525. 527. 585;
II, 275 f. ; F. bei Baco U, 21 f. ; F. and
Stoff der Erfahrung I, 480 f. 485;
formale Wahrheit I, 82 f.; formale
Identität I. 193 f.; formale Eigen-
schaften III, 13; Formen derürtheile
I, 172 f. ; Zurückfahrang der ürtheile
auf gleiche F. I, 227. 233 f. ; Forma-
lismus der Scholastik I, 332 f.; For-
menlehre II, 89 f.; ni, 97, vgl. Mor-
phologie; Formverhältnisse III, 218;
äussere Form des Zählens II, 140.
Formeln, empirische und rationelle F.
der Chemie II, 492.
Forschung, Verfahren der wissenschaft-
lichen F. I, 429 f.
Sachregister.
31
Forstwirthschaft III, 526.
Fortpflanzung II, 539. 543. 550. 559.
565. 570 f. 572 f.; m, 618. 623;
Fortpflanzungsgefichwindigkeit der
Gravitation unbekannt II, 434 f.
465 f.
Fortechritt UI, 392 f. 403 f. 430 f. 496.
615; unendlicher F. I, 415 f.; F. und
Drehung I, 624; II, 310. 322. 854.
390.
Fragestellung II, 358. 860. 862.
Frauen III, 558.
Freiheit I, 405. 422; III, 139 f. 384.
390. 405 f. 424 f. 491. 501. 515 f. 562.
576. 578. 589. 597; F. bei Kant I,
637 ; praktische Willensfreiheit I, 80.
553. 629; kleinster Zwang II, 318 f.;
Willensfreiheit und Causalität 111,52;
freie Selbstbestimmung III, 606; freie
Pflichten III, 548; freier wirthschafb-
licher Verkehr III, 504. 509, vgl.
Liberalismus.
Friede, friedliche Entwicklung III, 497.
FroBchschenkel, Zuckung der F. II, 402.
Fahlen s. Gefahl.
Fürsorge, staatliche F. III, 529.
FQrwahrhalten I, 412.
Fürwort, hinweisendes F. I, 177 f.
Function I, 167. 234 f. 274 f. 393 f.
572; II, 8. 11. 37. 45. 62. 84. 155.
157. 192. 199-259. 866. 392. 449 f. ;
ni, 475; Functionscalcfll II, 88; Funo-
tionstheorie II, 184; implidte und ex-
plicite F. II, 208; Formen der analyti-
schen F. II, 211 f.; willkürliche F.
n, 206 f. 223; physiologische und
pathologischeFunctionsanalyse 11,528
bis 533; functionelle Anpassung II,
545. 548 f. 554; functionelle Krank-
heitstheorie II, 582 f. 586 f.
Fundamentaloperationen, arithmetische
F.; Addition I, 261 f.; II, 87 f. 97 f.
120. 132 f. 136. 144 f. 150 f. 155. 168.
211. 217. 244 f. 247 f. 321. 468; DI,
214 A.; Subtraction I, 267 f. 284.
298; II, 87 f. 98. 133. 136. 144 f.
150 f. 155. 195 f. 211. 245. 247 f.
258. 468; HI, 209 f.; Mnltiplication
I, 251 f. 265 f.; II, 76. 97 f. 123 f.
183. 136. 145 f. 150. 155. 158 f. 191,
195 f. 209. 211. 214. 216 f. 247 f.
423; Division I, 267 f. 284. 298; II,
98. 114. 138. 137. 145. 155. 158 f. 191.
211 f. 239. 242. 247 f. 258. 432.
Funke, elektrischer F. II, 367. 869 f.
479 f.
Furcht I, 413. 446 f.; III, 113; F. vor
Verstorbenen III, 48. 626.
Furchungszellen II, 546. 572 f.
e.
G&hrnng II, 561 A. 562. 573. 577 f.
585, vgl. Fäulniss, Fermentation.
Galle II, 581.
Galvanischer Strom II, 348 f. 862. 369 f.
474 f. 483 f. 502; galvanische Kette
II, 850. 484 ; Galvanometer II, 868 f.
Ganzheit (Totalitat) eines BegrüFs I,
259; ganze Zahl II, 140 f.; ganze
Functionen II, 211 f.
Gas II, 380 ; gasförmige Körper II, 74 f.
401 f. 410. 434 f. 475. 479. 483. 489.
491. 497 f. 503. 511. 527; vollkomm.
G. I. 624; II, 494; Gaswechsel II,
554 f.
Gattung II, 564. 574 ; m, 19 ; G. und
Begriff I, 101 f. ; Gattungsbegriff I,
44. 106 f. 182, 196 f. 362 f. 375 f.
493. 502; II, 13 f. 18 f. 25 f. 29.
565 ; Gattungsmerkmale und mittlere
Gattung I, 832 f. ; Gattungskritik und
individuelle Kritik III, 117; Gattungs-
name (genus proximum) U, 42 f.
Geberden I, 21; III, 214. 222 f.
Gebrochene Zahl s. Bruchzahl.
Geburtenstatistik III, 5. 450. 459 f. 475 f.
Gedächtniss I, 81; III, 160. 171. 207.
210 f. 221, vgl. Erinnerung.
Gedanke I, 59. 158; Gedankenkette I,
58; Gedankenverlauf 1 , 84f. 55f.;
Gedankenverlauf und Begriffsbildung
I , 78 f. ; Gedankenverkettung und
Gedankenverwebung I, 67 f.; Ge-
dankenentwicklung 1 , 75 f. , vgl.
Denken.
Gefässinnervation II, 548; III» 222 f.
Gefrierpunkt II, 494. 499 ; G. des Wassers
II, 426.
GefQhl III, 61. 117 f. 152 f. 160. 165.
167. 178. 180. 188. 198 f. 207. 215 f.
227 f. 237 f. 244. 247. 255. 262 f.
268. 271 f. 278 f. 282 f. 287. 295.
801 f. 379. 413. 497 f. 521 f. 533 f.
554. 556. 599. 625 f. ; G. psychisches
Eriebniss I, 11; ThätigkeitsgefÜbl
III, 265 f.; reHgiöses G. I, 553 f..
y
32
Sachregüter.
vgl. Religion; Gerechtigkeitsgeft&hl
III, 584; Freiheitsgefühl I, 80; Ge-
meinachaftageftthl III, 497 f. 598;
Gefühlsrichtung I. 80; G. und WiUe
1, 79 ; III, 17; GlücksgefÜhle III, 482 f. ;
Totalgefühl III, 265. 280; G. bei
Herbart III, 168; G. und Erkennen
III, 158; G. und Gegensätze III, 16;
Gefühlspsychologie III, 165; Gefahls-
philosophie III, 165; Einheit der Ge-
fühlslage III, 265. 278; Gefühls-
schattirungen III, 221 f.; Grade und
Qualitäten des Gefühls III, 278.
Gegensatz (grösster Unterschied), vgl.
Contrast I, 184. 187 f. 140. 142. 200 f.
228. 287; III, 168. 221. 600 A.; G.
und Negation I, 137 f. 2 19 f.; II, 62 f.;
G. und Gefühl III, 16; Eintheilung
nach G. II, 277. 581; III, 397; Ur-
Stoffe und G. II, 580.
Gegenstand, vgl. Objecto I, 11, 79.
428 f. 461 f. 588; III, 164. 168. 208.
212. 245 f.; Gegenstandsbegriff I,
118 f. 144 f. 306; Vermehrung der
Gegenstandsbegriffe I, 124 f.; secun-
däre Gegenstandsbegriffe I, 146. 180.
472 f.; Gegenstände und Vorgäntre
III, 65 f.
Gegenwart I, 150 f. 184 f. 206; III, 29;
G. und anwesender Ort bei conditio-
naler Begründung I, 209; G. und
Gesellschaftswissenschaften III, 76.
Gegenwirkung I, 622 f. ; Gleichheit von
Wirkung und Gegenwirkung II, 299 f.
824.
Gehirn I, 540. 627; II, 529; III, 153 f.
164. 172. 224. 228 f.; Gehirnfurchen
II, 546.
Gehöft III, 594.
Gehör II, 374; III, 15. 228.
Geist III, 245, vgl. Bewusstsein; G. als
Bewegungsgrund I, 627 ; G. und
Körper I, 540; III, 12. 21. 173. 181.
280. 249; geistiges Sein I. 27 f. 80.
551 f.; III, 46. 244 f.; gute Geister
1,631; Geisteswissenschaften I, 648;
II, 11. 29 f. 38 f. ; III, 1—643; Geistes-
störung III, 207; geistige Welt III,
14 f. 139 f.; das Geistige III, 16 f.
273 f. ; G. und Natur III , 46. 258 ;
Entstehungsbedingungen geistiger
Vorgänge III, 68; Naturbedingtheit
des geistigen Geschehens III, 12. 18.
40. 41—46. 55. 379 f.; geistige Er-'
Zeugnisse II, 580; III, 21 f. 23. 30.
95. 118 f. 140. 213 f. 232 f. 294. 802.
304 f. 840 f. 381. 546; psychische
Entwicklungsgeschichte des Geistes
m, 18; geistige Entwicklung in,
21 f. 66 f. 274 f. 416; Vielgestaltig-
keit der Geistesschöpfungen lll, 57;
geistige Kräfte II, 584. 580; Ul, 489A. ;
geistige Gesammtheiten lU, 21. 88 f. ;
geistiges Gesammtleben HI, 231 f.;
der Organismus eine geistige Schöp-
fung II, 580; geistige Umgebung
m , 27 f. 84—40. 231 f. 292. 326 f.
848 f. 352. 380 f.; Standpunkte der
Beurtheilung des Individuellen in
den Geisteswissenschaften III, 37 f.,
vgl. Psychologie.
Gelb m, 216.
Geld III, 5.509. 525; Geldverkehr lU,
108; Geldwirthschaft III, 894. 400 f.
Gelegenheitsursache der Evidenz I, 85;
G. der Urtheile I, 214; G. der Baum-
anschauung I, 509; G. der mathe-
matischen Begriffe II, 113: sinnliche
Bilder als G. bei Leibniz II, 102,
bei Kant II, 104 f.
Gelenkempfindung I, 513; III, 222;
Gelenkenden II, 520; Gelenkkopf II.
547.
Gemeinde III , 487. 477 f. 544 f. 592.
604 f. 611; Gemeinderecht III, 478.
Gemeininteresse III, 572 f.
Gemeinschaft 111, 39 f. 232 f. 277. 291
bis 297. 883. 433 f. 444 f. 483 f.
489 A. 491 f. 497 f. 510. 514 f. 527.
535. 543 f. 546 f. 556 f. 574. 589 f. ;
Gemeinschaftsgefühl III , 497 f. 598.
Gemeinsinn III, 588.
Gemein wirthschaft III, 510 A.
Gemenge II, 472 f. ; mechanisches G. 1, 20.
Gemüthsbewegung I, 80; III, 160 f.
222 f. 227 f.; Gemüthsleben in, 164 f.;
Gemüthslagen III, 265. 288: 6e-
müthsbedürfnisse I, 413 f. ; UT, 404 f. :
Gemüthsregungen III, 158.
Genauigkeit II, 386; III, 186. 190 f.
210, vgl. Ezactheit
Genealogie der Geisteswissenschaften
III, 10 f.; G. III. 448 f.
Genetische Auffassung, genetisches Ver-
ständniss II, 515; III, 423 f.; gene-
tisch-geschichtliche Behandlung HI,
6 f.; genetische Construction II, 169;
genetische Classification II, 49, 52 f.
X
Sachregister.
38
a4S. 665 f.; genetiflche Definition II,
46; m, 519; geMÜsobe Erklärung
n, 58f.
Generalbegriffe t. AUgemeinbegriffe.
Generaüeation 1, 181 f. 828. 370 f. 876;
II, 120. 125. 848; HI, 78. 812. 842 f.
860. 866. 420. 449. 474. 488 A. 505.
583; generalisirende Abttraction II,
12 f. 19. 180 f. 842. 375 f.; Ol, 582;
G. der Gesetze II, 27 f.
Generatio aeqmvoca II, 576 f.
Genesmtionen III, 899 A.; Generations-
kraft U, 588 f.
Generell III, 507 f. A.; generelle Bedeo-
tnng ni, 185, vgl. AUgemeinheit;
generelle und individuelle Entwick-
lung II, 539 f. ; generelle und singu-
. Iftre Krscheinmigen III, 188 ; generelle
Bedeutung und Singuläres III, 142 f. ;
genexische Maasenerscheinungen bei
Lezis m, 466 f. A.
Genitiv I, 144 f. 147 f.
Geooesenschaften III, 437. 478. 480.
492 f. 514. 545. 591. 605.
Genus III, 508 A.; Genus proximum
n, 42 f.
Geognosie II, 53 f. 337 f. 843.
Geographie II, 54. 269 f. 286. 344. 379.
388 f. 418. 448 f. 473. 476; III, 304.
334.
Geologie I, 611 ; U, 53 f. 270. 338. 552.
583; ni, 355.
Geometrie l, 498 f. 570 f. 577 f. 580;
II, 10. 13. 38. 88 f. 156. 281. 291 f.
375. 393 f. 403 f. 446. 512; HI, 268.
384. 507. 569 A. 586; geometrische
Methoden II, 166 f.; alte G. II, 190 f.;
G. bei Leibniz II, 225; G. bei Hume
I, 403 f. ; G. und Phantasie I, 646 f. ;
geometrische Versinnlichung I, 127 f.
140 f. 237 f. 260; II, 160; III, 200,
454. 475; geometrische Hülfsconstruo-
tion I, 324; II, 417 f.; geometrische
Nothwendigkeit I, 5Ö5 f.; geometri-
sebfir Ort II, 181; geometrischer
Bifferentialbegriff II, 231 f. ; geometri-
sche Methode der Staatswissenschaf-
ten HI, 483 A.
Geophysik H, 269 f. 387.
Gerade I, 141. 505. 518 f. 620. 622;
n, 112 f. 128 f. 145. 179 f. 182 f.
185. 187. 189. 194 f. 208 f. 281. 307.
403 f. 413. 421 f.; UI, 200; absolut
geradlinige Bewegung III, 61 ; gerad-
Lindau, Begister zu Wandt, Logik. 2.
linige Eräftewirkung II, 299 f. 387;
geradliniger Riohtungsgegensatz I,
581.
Gerechtigkeit III, 558 f. 630; Gerech-
tigkeitsgefühl III, 534.
Gericht, jüngstes G. lU, 49.
Germanen III, 104. 373.538; germanisch
III, 146, vgl. indogermanisch.
Geruch der Blfithcn II, 549.
Gesammtheit (Totalit&t) eines BegrüFs
1, 259; Totalbegriffe I, 264. 268 f.
288 f.; TotaWerbindung I, 68 f. 72 f.;
geistige Geeammtheiten III, 21. 38 f.
Gesammtpersönlichkeit III, 297. 611 f.
GeeammtYorstellung III, 272. 288 f.;
simultane G. und Reihe aufeinander-
folgender Vorstellungen I, 59 f. 155 f.
Gesammtschöpfungen , geistige G. m,
232 ; geistiges Gesammtlebenlll, 281f. ;
Gesammtwüle III, 556 f. 600 A.; Ge-
sammtzwecke HE, 574.
Geschichte H, 4. 11. 32. 89. 270; in,
2. 5 f. 10. 12. 14. 20 f. 34 f. 45 f.
53 f. 64. 66 f. 70 f. 84. 89 f. 100 f.
108 f. 116 f. 124 f. 134 f. 145. 234 A.
236. 288. 244. 285. 298 f. 302 f. 310.
318—853. 861. 473 f. 480 f. 483 f.
492. 498 f. 522 f. 530. 555. 559. 597.
600 A. 614 f. 627 f. 642 ; Geschichts-
schreibung III, 875; Weltgeschichte
m, 829 f. 378. 382. 446 f. ; Phüosophie
der G. UI, 21. 26. 31. 44. 49. 53.
70 f. 74. 124. 186 A. 149 f. 322 f.
376—378. 884 f. 389 f. 421 f. 441 f.
446 f. 452. 541 ; Geschichtswissen-
schaften m, 28. 30 f. 42. 49. 59.
63 f. 68 f. 72 f. 298 f. 802 f. 308—485;
geschichtliche und veigleichende Be-
handlung III, 69 f.; G. und Sodo-
logie III, 486 f. ; geschichtliche Natio-
nalökonomie UI, 504 f. ; Wirthschafls-
geschichte III, 7. 22. 88. 38. 46. 59.
66. 72 f. 75. 96. 108 f. 144. 349 f.
379. 894 f. 436. 481. 504. 528 f.; po-
Htische G. III, 7 f. 88. 59. 73 f. 92.
96 f. 108. 122. 124 f. 145. 805. 809.
320 f. 328 f. 879. 388. 523 f. 526 f.
587, vgl. Politik; G. und Mythologie
in , 58. 86. 807. 361 f. ; G. der my-
thologischen Vorstellungen m, 72 f.
307; G. der Sitte III, 72 f. 807. 629;
Culturgeschichte III , 7 f. 23 f. 33 f.
46. 59. 72 f. 74 f. 149 f. 804 f. 807.
321 f. 325 f. 852. 361. 382. 410 f.
Aufl. 8
34
Sachregister.
422 f. 489. 442. 481. 528 f.; Rechts-
gescbicbte m, 22. 83. 88. 59. 78. 75.
436. 489. 526; G. und Philologie
III. 808—307. 833 f. 336 f. ; pragma-
tische Geschichtsbetrachtung und
Interpretation III, 820 f. 347, vgl.
Sprache, historische Schule.
Geschlechtsstatistik III, 462; geschlecht-
liche Fortpflanzung s. Fortpflanzung;
GeschlechtsdifFerenz II, 575.
Geschmackssinn III, 217; Geschmacks-
urtheil vgl. Aesthetik.
Geschwindigkeit I, 518 f.; II, 38. 77.
804 f. 828. 845. 879 f. 428 f. 454.
504; III, 141; G. des Schalls II, 847f.;
G. des Lichtes und der Elektricität
II, 850; Mass der G. I, 588. 620;
II, 294 A.; virtuelle G. I, 624; II,
315 f. 889 f.
Geschwülste U, 578. 588 f.
Gesellschaft III, 26. 185. 236. 244. 285.
297. 802. 821. 883. 435. 440 f. 455 f.
482. 486. 494. 506. 508 f. 529. 537.
540. 589 f.; Gesellschaftsformen III,
495; Gesellschaften ÜI, 480. 492 f.;
Gesellscbafkslehre II, 54; III, 5. 8.
238. 380. 440 f. 458 A. 483. 489 f.
494. 527. 641; Sociologie HI, 9. 12.
28. 53. 71. 100. 186. 299. 324 f.
338. 436-447. 456. 481 f. 494 f.
589—680; Societas UI, 591; Gesell-
schaftswissenschaften III , 28. 89 f.
42. 50. 54. 72 f. 76. 78 f. 100. 108 f.
185 f. 286 f. 299. 802. 426. 485. 486
bis 630.
Gesetz II, 25 f.; III, 161. 288. 238 f.
354 f. 865 f. 377. 382—420. 472 f.
503. 517 f. 521.525. 575. 614 f.; so-
genanntes G. der grossen Zahl I, 448 ;
Identitätsgesetz I, 562 f.; Satz vom
Grunde als G. und Postulat I, 611;
Gesetze der logischen Gleichungen
I-, 281 f.; Grundgesetz I, 558, vgl.
Axiome; abstracte Regeln und Ge-
setze II, 13 f. ; Grade der Allgemein-
heit II, 251. 359 f.; empirische Ge-
setze II, 861. 365; III, 129; G. in
den Geisteswissenschaften III, 129 bis
150; G. der Associationspsychologie
III, 159. 166; Gesetzgebung ni, 577 f.
587 f. ; politische Gesetzgebung III,
2. 87. 125. 515. 532. 539; Gesetzes-
recht m, 534 f.
Gesetzmässigkeit III, 214. 234. 236.
884. 464. 508 A.; G. der Natur-
erscheinungen I, 490. 588. 591. 612.
650 f.; II, 23. 25 f. 499; lU, 143 f.,
vgl. Causalität.
Gesichtssinn, vgl. Auge I, 506 f.; IT,
874. 401; ÜI, 15. 200. 208 f. 228,
vgl. Farben etc.
Gesittung m, 322, vgl. Ethik.
Gespenst III, 127.
Gestalt m, 168.
Gesteinbildnng U, 578.
Gestirne II, 413, vgl. Astronomie, Fix-
sterne, Sonne etc.
Gewebe, organische U, 521 f. 545 f.
557. 582. 584. 586—590; III, 489;
Gewebsstoffe n, 864 A. 525. 527.
Gewerbe III, 525 f. 582; Gewerbe-
statistik III, 460. 527 f. ; G. und Mor-
taUtät m, 478 ; Gewerberecht HI, 561.
Gewicht II, 291 f. 829. 458; Gewichts-
masse II, 403. 405 f. 422; G. und
Schwere II, 406 f. ; specifisches G. U,
509; Gewichtsverhältnisse bei chemi-
8chenVerbindungenII,471f.495f.507 ;
Gewichtsabnahme in Flüssigkeiten
II, 405.
Gewissen III, 544. 547.
Gewissheit I, 174 f. 218. 224 f. 803.
845 f. 352. 855. 898. 408 f. 451 f. ;
III, 136; G. bei Leibniz II, 102 f.;
anschauliche G. II, 324; Wissen und
Glauben I, 400. 412 f. ; G. und Wahr-
scheinlichkeit I, 422 f.; sensitive G.
bei Locke I, 428; subjective und ob-
jective G. I, 470 f.
Gewitter U, 885.
Gewohnheit III, 175; G. und Causalit&t
I, 590. 606 f.; Gewöhnung II, 547 f. ;
III. 301 f.
Gift II, 581. 585; Metallgifte II, 864 A.
Gilden III, 544. 606 f.
Giroverkehr UI, 110 f.
Glanz III, 204.
Glas und Elektricität U, 866. 869.
Glaube I, 899 f. 412 f. 455; III, 35. 877;
G. an die Wirklichkeit abstracter
Ideen III, 515; G. bei Hume I, 590;
naiver G. an die objective Realität
der Sinnendinge III, 258.
Gleichartigkeit(Homogenität) derTheile
m, 211 ; G. und Causalität UI, 250 f.
258 f. 508 A.; G. der Grössen beim
Addiren I, 263; innere G. I, 505.
518. 580 (Congruenz).
Sachregister.
35
Gleicheinstellung, Methode der G. III,
185 f. 191.
Gleichförmigkeit III, 54. 148. 145; GL
der Zahlgesetze II, 182 ; gleichförmige
Bewegung III, 61; gleichförmige
Veränderlichkeit II, 158.
Gleichgewicht!, 608 f.; II, 291 f. 305.
308. 315 f. 823 A. 389 f. 892. 401.
405 f. 489 f. 505. 568 f. 582. 590,
vgl. Statik; Energiegleichgewicht IL
455. 464.
Gleichheit und Ungleichheit I, 180;
m, 168. 184 f. 188 f., 8.Vergleichnng;
numerische G. und logische Identität
II, 210 f. ; G. der virtuellen Momente
II, 296 ; G. von Wirkung und Gegen-
wirkung II, 299 f. 324; III, 517;
sociale G. III, 390. 558; G. des
Rechtsschutzes III, 558.
Gleichheitsassociation I, 25.
Gleichnisse III, 485.
Gleichung I, 192. 195 f. 226. 245. 276 f.
281 f. 816. 329 f. 349 f. 898 f.; II,
96. 155 f. 191 f. 199 f. 208 f. 491 f. ;
III, 192 f; einfache logische G. I,
292 f.; zusammengesetzte logische
G. I, 295 f.; thermische G. II, 502;
Zustandsgieichung II , 329 f. 558 ;
Kraft und Energiegleichung II, 328 f. ;
Definitionsgleichung II, 828; III, 194;
Causalgleichung II, 327 f.; Trans-
formationsgleichungen II, 329 f.
Gleichzeitigkeit I, 150 f. 206 ; III, 159.
197; G. in der Erzählung I, 184;
G. von Ursache und Wirkung 1, 598 f. ;
simultane Association I, 18 f. ; simul-
tane Apperception I, 82 f.
Gliederung des Gedankens 1 , 96 f. ;
Untergliederung des Urtheils 1, 162 f. ;
Zerlegung eines Begriffs 1 , 75 f. ;
Zerlegung einer Gesammtvorstellung
I, 59 f. 155 f. ; Zerlegung in einfachere
Urtheile I, 243 f.; Zerlegung einer
Summe I, 265; Gesetz der Zwei-
gUederung I, 34. 56. 59 f. 127. 144.
158. 167 ; Zweigliederung und Syllo-
gismus I, 71; Zweigliederung nicht
unmittelbar I, 121; sociale G. III,
73. 388. 401. 443 f. 496; wissen-
schaftliche G. und natürlicher Zu-
sammenhang des Denkens III, 241;
rhythmische 0. I, 85 f. 489 f. 519;
ra, 202. 205. 218. 268. 487.
Glücksgefühle III, 482 f.
Glacks- und Zufallsspiele III, 77.
Giahhitze II, 578 f.
Gnomon II, 167. 895.
Goldener Schnitt II, 71 f.
Goldenes Zeitalter III, 366.
Goldwerth III, 110 f.
Gothik m, 417.
Gottheit I, 405. 407. 422. 631. 634 f.
689; III, 180 f. 250. 282. 861. 429 f. A.
548. 553 f. 686; Cartesianischer Be-
weis I, 427; Gottesstaat III, 414.
Grad I, 476; III, 163; G. der Grössen
I, 283 f. ; III, 178 f. ; Gradabstufung
der Sicherheit I, 174 f.; Gradation
der Bedingungen II, 863 f. 371. 873.
529; UI. 210; Abstufung II, 476 f.
479 f. 486 f. 530; III, 178 f. 185 f.
217 f. 222. 472 f. ; gradweise Abstu-
fung II, 864 A.; 111,65; Winkelgrad
II, 405; G. der Wahrscheinlichkeit
I, 342; Grade und Qualitäten des
Werthes III, 16. 278 f. ; des GefQhls
III, 273; G. der Abhängigkeits-
beziehungen III, 146 f. ; G. der Klar-
heit III, 168; G. bei Baco II, 342;
Gradmessung der Erde II, 422.
Gramm II, 422.
Grammatik I, 92. 118 f. 144 f.; III, 4.
117. 309 f. 312. 314. 357. 440; Aussen-
Seite I, 205; Furcht der Logiker I,
211.
Gravitation I, 409. 535. 610. 684; II,
29 f. 78. 255. 264. 268. 291 f. 886.
840. 378 f. 887. 401. 406 f. 424 f.
430. 434. 437. 441 f. 448. 465. 482 f.
580. 547. 588; III, 11. 48, vgl.
Schwere.
Greisenalter II, 573.
Grenzbegriff I, 135 f. ; II, 150 f. 225 f.
457 f. 514 A.
Grenzmile III, 528.
Grenzmethode II, 236 f.
Grenznutzen III, 510. 519 f.
Griechenthum III , 423 A. ; griechische
mathematische Veranlagung II, 91;
griechische Geometrie II, 167; grie-
chische Teleologie III, 49 ; griechische
Philosophie III, 542; griechisches
Reich III, 414; griechischer Genitiv
I, 148; griechische Anschaulichkeit
I, 162 f. ; griechische Zeitart I, 185.
Grössen, discrete G. I, 185; Grössen-
lehre I, 578 f.; II, 88 f.; Grössen-
begriffe I, 135 f. 271. 403. 496 f.
36
Sachregister.
575; II, 154 f.; psychische 6. III,
178. 276 ; Grössenoperationen 1, 578 f. ;
Grössenmessnng II, 87 f. 281. 880.
384 f. 894 f. 400 f. 403-416. 504 f.;
in, 275 f. 474 ; Messung psychischer
G. m, 178—196. 230. 275 f. 284;
GrOssenwerth und WerthgijSsse III,
276.
Gnind I, 89. 150 f. 174. 205 f. 207 f. ;
G. seiner seihst I, 422. 528. 586.
594; Satz vom Ghmnde I, 817. 556.
567 f. 608 f.; H, 33. 72; lU, 290 f.
639; Satz vom Grunde als Gesetz
und Postulat 1, 611 ; Säte Toxn Grande
bei Causalit&t und Zweck I, 645 f.;
logische Regel von G. und Folge II,
528, Tgl. Abhängigkeit, Causalitftt etc.
Grundetgenthfimer III, 511.
Grundfarben II, 858.
Orundform II, 55.
Grundsatz, methodologischer G. II, 457.
Gruppen III, 496 f.; statistische Gruppen-
Verknüpfung lU, 467. 469 f.; stati-
stische Gruppenzerlegung III, 467 f.
Grnss III, 871. 373.
Gültigkeitsformen der ürtheile I, 176;
aprioristische, wahrscheinliche Gültig-
keit etc. s. Apriorismus, Wahrschein-
lichkeit etc.
Gut und böse (schlecht) lU, 16. 126.
282. 630, vgl. Ethik.
Gut, wirthschaftliches G. III, 188. 499 f.
520 f.; Güterproduction HI, 5. 503.
508 f. 514 ; Güterverkehr III, 147.
vgl. Verkehr, Wirthschaft; Güter-
. vertheilung lU, 503. 509. 512. 514;
Güterumlauf III, 508; Güterzunahme
in, 521.
H.
Haben bei Aristoteles I, 118.
Hämoglobin 11, 525;
Härte II, 481. 444 f. ; absolute H. II,
513. 514 A.; Härtungsmethode der
optischen Morphologie II, 521.
Häufigkeit, der Beobachtung UI, 159;
Häufigkeitsattribut I, 343; Häufig-
keitscoefficient I, 344 f. 440.
Häuptling m, 552. 603.
Häute der Zelle II, 561 A.
Halbimng III, 187. 195.
Hallucination I, 26.
Haloidsalze II, 484 f.
Handel III, 395. 418. 501 f. 525 f. 582;
Welthandel III, 108; Handelsrecht
ra, 561.
Handelnde Persfinlichkeiten HI, 29.
Handlung (Thätigkeit) 1, 119. 145. 148 f.
527 f. 588 f. 616. 626 f. 646 f. ; a
275; HI, 245 f.
Harmonie lU, 405. 482 f. A.; voraus-
bestimmte H. I, 479; HI, 251; uni-
verselle H. 1, 526 ; H. und Disharmonie
III, 272; harmonischer Accord ÜI,
156. 197; Gesetz von H. und Con-
flict bei A. Hain lU, 161 f.
Harz und Elektridtät II, 366.
Hauptbedingungen I, 440 f.
HauptbegnffI, 122 f. 144 f. 851 f. 270.
Hauptrichtungen s. Dimensionflo.
Hausthiere HI, 451.
Hauswirthschaft IH, 394. 400 f. 406.
525.
HautempfiAdungen I, 513; Haut- und
Wärmeregulirung H, 548.
Hass und Liebe I, 413 f.
Hazardspiel I, 441 f.
Hebel H, 297 f.; Hebelgesetz I, 624;
II, 278. 291 f. 319; Hebelwage II,
405 f.
Hebung durch Gontrast HI, 282-285.
Heükunde II, 580— 590; HI, 579.
Heilsamkeit und SchädHchkeit II, 531.
Heliocentrische Hypothese, vgl. Sonnen-
system.
Hellenismus ÜI, 4. 329.
Hemmung II, 313 f. 448. 578; UI, 244:
H. ungleichartiger Vorstellungen bei
Herbart I, 44 f.; III, 163. ^44.
Herauehebung, vgl. Abstraction.
Hermeneia III, 81, vgl. InterpretsticD.
Hermeneutik HI, 86 f., vgl. Interpreta-
tion, hermeneutische Kritik HI, 118.
122 f. 307 f.
Hemchaft IH, 497.
Herstellung HI, 202 f. 218. 228.
Herz n, 580 f. 548. 571 f.; IH, 223.
Hestia III, 862.
Heterogenes summirt I, 288.
Heterogonie der Zwecke III, 281.
Heuristische Prindpien U, 272 f. 290.
827. 446. 551 ; IH, 27—51. 55. 94.
323 f. 348 f.; heniistischer Werth
III, 134 f. 188 f. 144. 148 f. 859. 490.
493. 498.
Hierarchie und Composition der Kräftse
Sachregister.
37
U. 588; H. der Wissenschafben nach
Comte m, 486.
Hieroglyphen lU. 811 f.
Himmel IJI, 868; Himmelsmechanik
II. 340.
Hindemifls III, 515.
Hinreichender Grand I, 568 f.
Hintereinander und Zeitfolge I, 208 f.
Hinwegdenken eines Begriffs I, 271 f.
Hinweisendes Fürwort I, 177 f.
HinanfOgnng der Bedingung I» 282.
Hirn s. Gehirn; Hinunolekehi lU, 164.
Hirtenvolk III> 363.
HistoxiBche Schnle ÜI , 504 f. 580 A.
540 1;' histoTisdie Unteraudinng II,
4 11. 82. 89, ygL Geschichte ; Histo-
riker m, 298. 805. 839.f. 854. 376.
426. 429) hSstoiischer Süm III, 5;
ungeschichtlitehe Auffassung lU, 80.
82 f. 801 f. 596 f.; h. Kritik lUr 124 f.;
h. Dokumente IH, 807; h. und ver-
gleichende Behandlnng HI, 69 f.
Hoohmtsgebrftnohe HI, 371.
Hohe der Töne lU, 195 f. 217; H. und
Breite III, 218 ; höhere ps. Functionen
ni, 214. 244. 287; höhero Mathematik
ni, 214 A.
Hoflöiung I, 413. 446 f.; IH, 118. 626.
Holspflanzen, diootyle H. U, 529.
Homogene ganze Funktion H, 62; h.
Massen II, 378; absolut h. Körper
H, 298; Homogenität der Theile HI,
211, s. Gleichartigkeit.
Homolog^ und analoge Charaktere II,
566«
Horde III, 878 f. 487. 448. 477. 496. 608.
Horizontale IH, 218; Horisontalebene
des Doppelauges I, 518.
HfllfsbegrifP und Verneinung I, 221.
Hfllfsconstruction s. Constrnction.
fifUfsmittel I, 150 f. 208 f ; II, 838 f.
394—427; HI, 177. 181 f. 189 A. 214.
294.
Hfilikvorstellung, mathematische H. II,
320.
Hülfszeitwort I, 42. 145 f.
Humanismus III, 410. 549.
Humanität HI, 329. 390 f. 428 f. 594;
humane Forderungen III, 124. 479.
Humoralpathologie II, 581. 583 f.
Hungersnoth III, 465; Hunger III,
516.
Hydrat U, 477. 485; Kohlehydrat II,
526.
Hydraulik II, 519.
Hydrodynamik II, 825. 392. 440; Hydro-
statik II, 263. 293 A. 390. 392. 405.
424. 499.
Hylozoismus II, 538. 577. 579.
Hyperbel II, 180 f. 183. 187 f.
Hyperelliptische Integrale II, 257.
Hyperozyd H, 477.
Hypnose IH, 177 A.
Hypothese 1, 439; ü, 25. 66. 340 f. 360 f.
883. 387 f. 893. 410. 411 A. 418. 425 A.
427 f. 438-447. 451 f. 456 f. 458 f.
462 f. 472.: 481 f. 487. 490. 493 f.
513. 514 A. 515. 526. 528. 537. 541.
548. 553. 557 f. 572 f. 576. 578. 581.
. 583. .585. .589: III, 14. 25 f. 49.55 f.
65. 85. 91. lOO. 160 f. 194. 202 f. 222.
229. 250. 252 f. 259. 262. 271. 293 f.
306. 311 f. .315 f. 887 f.. 841. 855 f.
866. 369 A. 372. 874 f. 389.420. 464 f.
468 f. 474. 509. 511. 517. 520 f. 569A.
637. 639 ; physikalischen. 1, 324.536:f. ;
II, 282 f. 331 f. ; H. des Optimismus und
Pessimismus 1, 415 f. ; H. d^Erfahrangs-
wissenschaflen I, 421. 631; H, 166f.;
H. der Aussenwelt I, 428; Hv und
Thatsacben 1, 452 f.; II, 289 f.; hypo-
thetische Abstraction II, 37S; pro*
visorische und definitive H. I, 458 f.;
II, 288. 361 f. 372; leitende H. III,
102 f. 158; hermeneutischeH.111, 116;
Gesetz und H. UI, 132. 136. 139. 142;
unzulängliche und unreine H. ü, 447 ;
H. der Mathematik bei Mill II, 110 f.
Hypothetisches ürtheil s: Bedingung;
h. Element der Gausalges^tze II, 30 f.
hypothetisdier analytischer Beweis
II, 71 f.; h. Gesetz II, 371 f.
I.
i als Symbol II, 144 f.
latromechanik II, 265. 586. 553 f. 581.
583.
Ich I, 79. 159. 467 f. 524. 533 f. 625 f.
Ideal m, 366. 423 f. 433; Begriff als
logisches I. 1,44; ideale Mittelwerthe
II, 419 f.
Idealismus, neuerer I. I, 89.. 492. 594;
III, 243. 323 f.; absoluter I. I, 626;
L Berkeleys I, 491. 588; mathemati-
scher I. bei du Bois'Beymond U,
101 A.
38
Sachregister.
Idealstaat III, 3.
Ideen U, 273; III, 348. 351 f. 378. 515;
angeborene I. I, 400 f.; I. Piatos I,
527. 584; II, 57 f. 101. 351 f.; reli-
giöse I. I, 420, Tgl. Religion; Idee
der Gattung (Typus) bei Cuvier II,
57.
Ideenflucht I, 23; m, 207.
Iden II, 542.
Identität, Gesetz der I. I, 562 f. ; III,
290. 639; I. von Denken und Sein
I, 4. 528; I. von Vorstellung und
Gegenstand I, 424. 508; Statt L toi^
aus ist Uebereinstimmung als Ziel
zu setzen I, 6 f.; Identitätsurtheil I,
82. 85. 193 f. 196. 200 f. 226. 233 f.
241. 273 f. 290 f. 388 f. 341. 378 f.
479; III, 581; Identitätsschluss 1, 327.
829 f. 345 f. 381 f.; I. der Begriffe
I, 180 f. 141 f. 315 f.; I. und Ver-
neinung I, 222. 229. 235 f. ; I. der
logischen Gesetze mit den Gesetzen
der Objecto des Denkens I, 90. 559;
II, 26*, mathematisches Identitätsur-
theil s. Gleichung; logische I. und
numerische Gleichheit U, 210 f.; iden-
tische Punkte III, 204.
Imagination, vgl. Einbildungskraft; I.
bei Spinoza I, 586; imaginäre Ge-
bilde II, 118; imaginäre Grössen II,
183; imaginäre Zahl II, 140 f. 145 f.
198; imaginäre Argumente II, 222 f.
Imbibitionsfähigkeit II, 560.
Immanenz, metaphysische logische Ten-
denz I, 3 f. 87 f. 118 f. 407 f.; I. des
Zwecks I, 632 f. 641; UI, 49. 321.
330. 428 f. 427 f.; immanente Kritik
III, 120 f. 124 f.
Immersion II, 522.
Immunität gegen Ansteckungen II, 532.
586.
Impersonalien I, 176 f.
Impfung II, 586; III, 470 f.
Implicite Function II, 208.
Impuls I, 588; II, 294 f.
Incompressibilität des Aethers II, 436.
Inconsequenz, heilsame I. III, 52.
Indeterminismus III, 576.
Indicienbeweis II, 66; III, 587 f.
Indien III, 105 A.; indische mathema-
tische Veranlagung II, 91 ; indisches
Positionssystem II, 137 f.
Indifferenzlage III, 16; Indififerenzpunkt
III, 217.
Indirectes Beweisverfahren II, 69. 79 f. ;
indirecte Grössenmessung II, 87 f.
Individualität III, 169. 231 f. 277. 292 f.
309 f. 321. 347. 349. 380 f. ; indivi-
duelle Erfahrung III, 18; individuelle
Qualität III, 109; individuelle Erzeug-
nisse III, 214. 273 ; Individualisirung
III, 78 ; Individualisirung historischer
Ereignisse IQ, 75; einseitige indivi-
dualistische Auffassung in, 30. 82 f.
34 f. 219 A. 281 f.; Individualpsycho-
logie m, 19. 21. 39. 168—281. 292 f.
301 f. 442; Individualismus III, 323 f.
410. 424 f. 481 f. 486. 491 f. 497.
504 f. 537. 555. 562. 571. 591 A. 596 f.
601 f.; I. und Allgemeinheit I, 101.
525 f.; individuelle und generelle
Entwicklung U, 539 f.; m, 276; in-
dividuell III, 507 f. A. ; Individuum
III, 457. 474 f. 483 f. 487. 491 f. 495.
585. 537: Individualb^^ H, 60;
individueller Organismus II. 558 f.
564; individuelle Disposition II, 586;
m, 63. 226; individuelle Willkür m,
140. 142 f.
Indogermanisch 1, 152; III, 104 f. 188 f.
146. 857 f. 362 f. 369 f. 895.
Indra lü, 363.
Induction I, 69 f. 74. 77. 181. 225. 815.
821. 825 f. 328. 362. 869 f. 391 f.
438 f.; II, 1. 7. 14. 19 f. 99 f. 162 f.
166. 168. 287. 888 f. 387. 841 f. 846.
880. 418. 427. 555. 588; HI, 65. 85.
99 f. 109. 113. 121 f. 129. 202 f. 808.
310. 317. 341 f. 345 f. 855 f. 385.
464. 516 f. 522. 587 f. 648; I. und
An. I, 351 f.; I. bei Mill U, 111 f.;
III, 483 A.; chemische I. II, 470. 476.
478. 481—492. 494; Alschlich soge-
nannte «vollständige I.** I, 851 f.; II,
125. 131 f. ; Inductionsbeweis II, 66 f.
73. 75 f. ; Inductionslehre Bacons 11,
363 A.; III, 84 A.
Industrie IH, 388. 431. 502 ; industrielles
Stadium bei Spencer; III, 898; In-
dustrialismus III, 623.
Industriestaat III, 480.
Infection H, 532. 584 f.; Infections-
bakterien ü, 585*
Infinite Grössen II, 226 f., vgl. Unend-
lichkeit.
Infinitesimalmethode II, 101 A. 225 f.
316 f. 888. 458.
Infinitiv I, 146. 149.
Sachregiflter.
39
Influenz der Elektricität II, 865 A. 367.
371 f.
Inflaxus physicus I» 540.
Infusionen II, 577 f.
Infusorien II, 575.
Inhalt eines BegpifFs I, 1 10 f. 182 ; I.
und Umfang I, 279 f.
Innerer Sinn bei Kant I, 549; soge-
nannte innere Wahrnehmung III, 14.
innerration II, 548. 557; III, 222 f.
227 f.
Innigkeit, Grade der I. I, 82 f.
Insecten and Blüthengestaltnng II, 549.
Instantane Beleuchtung III, 204.
Instinct, intellectueller I. I, 824 f.; in-
stinctives Taktgefühl und Plan 11,
347; III. 57; glücklicher I. III, 68.
580; politischer I. III, 485.
Instrument s. Hülfsmittel.
Instrumentalis I, 152.
Integral I, 299; n, 245 f.
Integration II, 244 f. 254 f. 259 ; in,
214 A.; I. bei Spencer III, 486 f.
IntelUgenz III, 17 f. 158. 824 f.; I. und
Wille bei Kant I, 554 ; bei Schopen-
hauer I, 554 f. 689 f. ; I. als Welt-
schöpfer I, 640 f. ; höhere intellectuelle
Functionen III, 170. 207; intellec-
tuelle Erzeugnisse III, 41; intellec-
tuelle Werthe III, 16; Last der Lö-
sung eines intellectuellen Problems
III» 199 ; einseitiger Intellectualismus
III, 30 f. 61 f. 64. 151 f. 258. 293 f.
301. 804; naturalistischer Intellec-
tualismus III, 325; intellectualistische
Psychologie III, 151 f. 156—164. 167.
262. 292 f.
Intelligibler Raum I, 515 f.; intelli-
g^bles Vermögen I, 553.
Intensität I, 15 f. 29. 476. 480. 518;
m, 147. 161. 178 f. 217. 283 f. 520 f.;
Intensitäts&nderungen I, 518; I. und
Längenmeesung II, 406 f.; intensive
Raumgrössen II, 298; Intensitäts-
messnng II, 501; ursprüngliche In-
tensitätsmessung II, 412 f.
Intercurrirende Gesetze III, 149. 357.
Interesse I, 30; II, 385; III, 16. 117.
503. 508 f. 513.
Interferenz der Begriffe I, 136. 142.
274 f. ; I. der Gesetze III, 141 f. ; Inter-
ferenzerscheinungen in der Ündula-
tionstheorie II, 285. 850. 860. 365 f.
410. 429. 485.
Internationale Verbindungen III, 477.
Interpolation III, 365; I. der Copula
I, 168.
Interpretation, vgl. Erklärung III, 22.
56 f. 65. 81—118. 114 f. 117. 121 f. 128.
130. 192f.801.842.472A.474.484.486f.
499. 521. 559. 575. 586 f. 632. 642 f.;
psychologische I. III, 143. 152 A.
237 f. 240 f. 259. 261. 269. 289 f. 296.
866. 368. 525; philologische I. III,
307—817; historische I. lü, 81. 833.
887 f. 340—352. 383; causale I. s.
Causalität, widerspruchslose I. der
Wahrnehmungen III, 14; prodnctive
I. III, 87 f.; divinatorische L III,
116.
Intoxication II, 581 f.
Intramoleculare Strahlung II, 392.
Intuition II, 120 f.; I. bei Schopenhauer
I, 407; instinctive I. III, 57.
Inversion (ümkehrung) 1, 222. 227. 229.
239 f. 267 f. 274 f. 284. 814 f. 392.
578 ; in, 162 f. 248 f.
Inzucht II, 574.
Ionen II, 503.
Ionische Physiker II, 580.
Irrationale Grössen II, 117. 133. 139 f.
242. 258 f.
Irregulär III, 507.
Irritabüität n, 514. 588. 583.
Irrsinn I, 23.
Irrthum I, 627 f.; III, 575.
Islam III, 415.
Isokrymen II, 421.
Isolirung II, 836 f. 342 f. 378 f. 377.
523 f.; III. 163. 192 f. 222. 263. 268.
856 f. 419. 495. 518. 516; chemische
I. II, 472 f.; I. des Einfachen I, 97 f.;
I. der Empfindung I, 475; absolute
I. III, 89; willkürliche Isolation in,
216; bei der causalen Analyse II, 5;
isolirte Variabilität II, 865; isoli-
rende Abstraction II, 12 f. 18 f. 81.
180. 839. 342. 373. 375 f. 491. 493;
ni, 13. 96. 197 f. 508. 569 A. 582.
584; abstracte L III, 18; I. der Be-
dingungen III, 219. 342; isolirter
Stamm III, 444.
Isomere Verbindungen II, 512.
Isomorphe Verbindungen II, 500.
Isoperimetrische Probleme II, 812.
Isothermen II, 421.
40
Sachregister.
J.
Jahres- und Tageseiniheilung 11, 187.
886. 418 f. 415. 422.
Jahresringe II, 546.
Janus m, 862.
Jenseits III, 829> vgl. Traasscendenz.
Jod II. 478 f.
Juno III, 862.
Jupitermonde II, 286. 898.
Jurisprudenz s. Rechtswissenschaft.
Juristische Methode der Staatswissen-
Schaft m, 481 f. 490 f.
K.
Kaiserthum, mittelalterliches K. III,
589.
Kalium H, 480. 496. 508. 510; KaUum-
■ oxyd II, 496.
Kamm des Hahnes II, 550.
Kampf ums Dasein 1, 649 f. ; II, 535. 549 f.;
III, 495 f. 499 A.; K. um die Herr-
Schaft III, 497; K. um die Lebens-
kraft II, 582.
Kartographie II, 420 f.; III, 458 f.
Katastrophe III, 590; Katastrophentheo-
rie n, 552; III, 898 f.
Kategorieen HI, 221; logische K. I,
116 f. 172 f.; U, 280; III, 282; kate-
gorisches ürtheil I, 178 f. 869 f.; K.
bei Kant 1, 406. 529 A. ; K. der QrOssen-
vergleichung III, 189 ; kategorischer
analytischer Beweis II, 71 f.
Kegel II, 178. 188 ; Kegelschnitte II, 46.
54. 61. 159 f. 180. 182 f. 187 f. 417;
ezcentrische Kegelschnitte II, 881.
Keilschrift ni, 812 A.
Keim II, 562 f. ; niedere Keime II, 578 ;
Keimplasma II, 542 f. ; Keimscbeibe
II, 546; Keimung der Krankheit II,
582.
Kenntniss III, 801 f.
Kern der Zelle II, 559 f. 571. 575; Kem-
substanzen U, 525; Kemtheilung II,
542.
Kette» Gedankenkette I, 58 ; Gedanken-
verkettung und -verwebung I, 67 f. ;
Kettenschluss I, 71 f. 76. 875 f. ; II,
84; K. als psycholog^che Grundform
der Definition I, 77.
Kind III, 612; Kinderpsychologie III,
240 A. ; erste Sprach&usserungen 1, 55 ;
Benken des Kindes I, 157; Augen-
bewegungen des Kindes I, 508.
Kinematik II, 823 f., vgl. Phoronemie.
Kinetische Atomtheorie U, 484 f. 440.
444. 446. 504. 518 A.; kinetiM^e
W&rmetheorie II, 464; kinetische
Theorie der Gase and FlilBBigkBiteD
II, 491. 499. 508.
Kirche lU, 409. 485. 589. 544 f.
Klammem beim Addiren I, 266 ; K. bei
logischer Darstellung I, 275. 287 f.
Klang m, 272; Klangbewegong II, 366;
Klangfignren II, 349. 408; IQaog-
analyse II, 857. 401 f. ; III, 900. 804 A.
228.
Klarheit HI, 171. 201. 266. S86. 492;
Grade der K. III, 168: 179 f. ; Usm
und dunkles Erkennen 1, 88 ; ü, 101 f.
Klein, unendlich k. ü, 281 f. 244 f;
kleinste Action 11, 811 f.; kleinster
Zwang II, 313 f.; versehwindend
kleine Zeit II, 466; unmessbare KleiB-
heit II, 405; nnendHdi kleine Ent-
fernung n, 441 f. ; Princip der klein-
sten Flächen II, 545.
KHma II, 548; in, 44. 884. 449. 452 A.;
Klimatologie II, 270.
Klinische Beobachtung II, 582.
Knochen II, 520. 526. 546; Knoehen-
formen 11, 519 ; Knochenmark II, 587.
Knotenlinien n, 403.
König III, 552; K5nigthum m, 898.
Körper I, 503. 585. 588 ; H, 188. 191.
291 f. 439 f. 509; m, 161. 268. 483.
489 A. 569 A. ; unendliche Zeriegmig
II, 459; KörpergrOsse und -gestalt
bei Elektridtät U, 378; absolut fester
K. I, 623 f. ; absolht elastischer, star-
rer K. n, 282. 891. 489; absolat
homogener, starrer K. II, 293. 325;
eigener K. 1,467 f. 540. 551. 556 f.;
Körperfarben II, 860 ; Weltkörper als
Punkte II, 877; Körperwelt 11, 512;
m, 11; körperliche Seele I, 588; III.
151; K. und Seele in, 178. 181. 280.
249 f.; K. nnd Geist I, 540; TU, 12.
21 ; elektrische K. II, 866 f. ; K. nnd
Licht n, 373; Körperatome n, 432 f. :
K. im Eleinen II, 444; zusammen-
gesetzte und einfache K. II, 474:
Körperbau 11, 568 ; Körperverletzmig
III, 463; Staat als künstlicher K. III,
482. 489 A.; MassverhSltnine des
menschlichen Körpers IXI; 457; mitt*
Sachregister.
41
l«re Klftage HI, 458; KOrpermnskeln
n. 526f.; m. 228 f., Tgl. Motkelii,
Söiperwett eine Bewoastseiiisanchei-
ttimg m, 244; feste £., flflaoige, gas-
förmige» harte, homogene K. s. Festig-
keit u. 8. w. ; darchsichtige K. II, 378.
89^ f.; Körperschaft s. Corporation.
Kohlenoxyd U, 488.
KohloM&iire U, 475. 477. 480. 576 f.
KoUeattoff U, 475. 479. 508. 510. 556;
K. als vierwerihiges Element II, 77.
512 ; KOrperverbindnngen 11,270.477 f.
48Sf. 579.
Kohlenwasserstoffe II, 477. 479 f. 488.
Komet m, 508 A.
Komödie III, 875.
Koeitaologie I, 685 f. ; II, 88. 277. 286.
462 f.; m, If.; kosmische Entfer-
nongen II, 428; kosmologische Anti-
nomien Kants II, 460; kosmologische
Prindpen III, 486; kosmische Physik
n, 269.
Kosmopolitismus III, 322. 418.
Kosten HI, 510 f. 520.
Krämpfe II, 531.
Kraft I, 577 f. 595 f. 614 f.; H, 29.
• 298 f. 845 f. 875. 880. 890: 408. 405 f.
424 f. 480. 432 f. 440 f. 446. 504.
514 A. 520. 544 f., ^ lU, 29. 163. 194 A. ;
Parallelogramm der Kräfte I, 582;
n, 296. 809. 319 f.; psychische K. I,
625 f.; II, 584. 580; m, 221. 489 A.,
vgl. Vermögen; K. und Ursache I,
587; II, 447 f.; Kräftemass bei Leib-
nis I, 587 A.; II, 804 f.; K. bei Schel-
ling I, 594; K. bei Newton II, 299 f.;
* K. bei Galilei H, 293 f. ; K, bei d*Alem-
bert II, 815 f.; 328 A. ; K. und Eigen-
schafben II, 538; verlorene K. II, 316;
sogenannte constitutionelle K. II,
539 A; K. und Energie II, 308 f.
323 f. 408 f. 447. 458 f. 567. 614 f. ;
m, 146. 182 f. ; Kraftgleichungen II,
828; Kraftgesetze und -functionen
11, 447—453. 465 f. ; III, 146 ; Central-
krafb II, 448; Materie als Kraftträger
U, 459; Muskelkraft II, 528; Kraft-
centrum 1/527. 621; Erhaltung der
lebendigen Kräfte II, 304—806. 308 ;
todte K. bei Leibniz II, 805; leben-
■ dige (actuelle, kinetische) K. (Energie)
n, 408f. 454; Spannkraft u. s. w.
8. Energie; Kräftepaar n, 821 f.; all-
gemeisesPxincip derKräftezusammen-
Setzung U, 820 f.; III, 142; thieri-
scher Kräftewechsel 11, 553. 555. 557.
567; thiexiBoher Kräfteverbrauch II,
554.
Kraniometrie III, 449.
Krankheit n, 515. 582. 580—590; III,
135. 893 ; KraakheitsstatisÜk III, 459 f.
465. 470 f. 507 A.
Kreis II, 129. 180 f. 187 f. 217 f. 256;
ni, 200; Kreisbewegung in, 392 f.;
Kreisbewegung bei Aristoteles l, 647 ;
II, 277 ; DeEnition des Kreises II, 45 f. ;
Quadratur des Kreises II, 115; Kreis-
peripherie II, 224; Kreistheilung II,
404.
Kreisel, Farbenkreisel II, 358.
Kreislauf des Blutes II, 265. 514. 553 ;
Kreislaufsorgane II, 519; capillare
Kreislaufserscheinungen II, 524; K.
der Stoffe II, 554.
Kreuzung der Begriffe 1, 136. 280. 287.
288 f.; Kreuzungsurtheil 1, 198 f. 234.
274 f. 878 f.
Krieg III, 468; kriegerisches Stadium
bei Spencer III, 398; Kriegsgeschichte
Öl, 122. 125; Bürgerkrieg HI, 149;
Krieger^taat m, 480.
Krisen lÜ, 624 f.
Kriterien (Merkmale) der Classification
I, 882 f. ; beim Vergleichsschluss I,
368 f. ; K. der Gewissheit I, 424 f.
Kritik III, 56 f. 65. 118—129. 301. 447.
499. 632 f. 643 ; philologische K. lU,
313-318; historische K. IH, 333
bis 340. 385; Kriticismus I, 399; kri-
tische Zweifel II, 284 f. ; kritische
Methode III, 3. 25.
Krümmung, vgl. Gurve ; krumme Ober-
flache II, 224 ; krumme Linien II, 354 ;
krummliniges Coordinatensystem II,
204.
KrystaU III, 67, 270 ; Krystallisation II,
541; Kiystallographie II, 55. 100;
K. u. Licht II, 849 f. 874. 377. 400.
488; K. u. Zelle II, 560; Krystallisir-
barkeit II, 488; Krystallvergrösserung
II, 570; kiniscbe Structur U, 522.
Kühe III, 363.
Künstler III, 220 ; künstliche Züchtung
und üebertragung FF, 585; künst-
liches System II, 50; künstlicher Kör-
per, Staat III, 482.
Kugel II, 178. 881. 386. 417. 481. 440.
506; Kugeloberfläche II, 146 f.
42
Sachregister.
Kunst, III, 86. 126. 164. 222. 287. 289.
810. 814. 821. 828. 843. 864 f. 875.
886. 418. 417. 449. 538; K. des Alter-
thums in, 6; Kunst- u. Naturformen
III, 218; Kunsterzeugnisse III, 449;
logische Artefacte I, 224. 889. 841.
874. 897; Kunstwerk I, 646 f.; II,
274; III, 80. 33. 67. 116. 118 f. 126.
214. 585. 595 ; kunstgerechter Zwang
III, 174 f.; K. der Beobachtung III,
176; Kunstgeschichte III, 61 f. 72 f.
805. 807. 382 A. 436.
Kupfer und Elektricität II, 868 f. 528.
Kurbel II, 337.
L.
Labile Körper II, 890 f.
Lächerlichkeit III, 127.
Länge III, 182 f. ; unennessliohe L. der
Schdpfungsperioden II, 551 f.; L.,
Masse, Zeit II, 423—427; Längen-
und Intensitätsbemessung II, 406 f.;
Längemass II, 404.
Lage I, 504 f. 518 f. 580; II, 194 f.
210. 809. 329. 408. 453 f.; III, 804;
Liegen bei Aristoteles I, 118; Ge-
setzgebung und allgemeine L. III,
87; Lagerung der Atome U, 498.
512; Raum- und Zeitlage III, 218.
Landbau s. Ackerbau, Landwirthschaft
III, 526.
Landschaft III, 216.
Last II, 294.
Laster III, 618.
Latein, L. u. Altindisch I, 38 ; Römisch
und romanisch I, 42; lateinischer
Accusativ I, 149.
Lautgesetze III, 140 f. 146. 148 f.
Lautlehre III, 354 f. ; sprachliche Laut-
veränderungen III, 854; Lautbilder
und Lautbewegungen III, 155 ; Laut-
wandel und Lautverschiebung III,
145; Lautwandel und Bedeutungs-
wandel UI, 137 f. 809. 884 ; sporadi-
scher Lautwandel III, 141; Laut-
verschiebung III, 132. 138 f. 145.
148 f. ; Lautassociation III, 97 ; Laut-
geschichte III, 72. 96 f.; Lautgesetze
III, 140 f. 145. 148 f.
Lautnachahmutig (Onomatopo'ie) 1, 19 f.
Leben II, 538 f. 554. 568 f.; III, 66;
L. und Beseelung II, 579; geistiges
L. III, 281 f. 242 f., vgl. Bewosstaein,
Geiste verändernde Lebensbedingun-
gen II, 550. 590; Begrenzung des
Lebens II, 564. 574; Lebensgeister
II, 581; Lebenscyklen niederer Or-
ganismen II, 585 ; allgemeine Lebens-
erfahrung III, 19. 28; Lebensdauer
I, 445; mittlere Lebensdauer III,
458. 475 ; Lebensalter in, 891 A. 897.
475; Lebensalterstatistik in, 5. 462;
Lebensversicherung III, 475 ; Lebens-
regeln ni, 1 ; sittliche Lebensführung
I, 647; Lebenserscheinungen s. Bio-
logie.
Leber II, 529.
Leere Zeit I, 482. 486 f. 530; m,
211: leerer Raum I, 491. 503; n,
466.
Legende in, 864; christliche Legenden
III, 105 A,
Legirang II, 472.
Lehenswesen III, 400 f.
Lehre ni, 558 A. ; Lehrerschaft III, 592 ;
Lehrsatz I, 212 ; II, 389 ; fundamen-
tale und abgeleitete Lehrsätze II,
67. 70.
Leiche II, 517; Leichengebräuche ni,
871. 878.
Leib und Seele ni, 178, vgL Körper.
Leiden bei Aristoteles l, 118.
Leidenschaft I, 684.
Leistung s. Arbeit; Leistungsßlhigkeit
der Organe II, 520.
Leitüm'e II, 183.
Leitungen III, 224; Leitung des Schalls
II, 400; elektrisches Leitnngsver-
mögen II , 469. 494 f. ; Leiter und
Nichtleiter der £lektricität II, 436 f.
Lese bei Baco II, 22.
Leukocyten II, 587.
Liberalismus, wirthschaftlicber L. m,
504 f. 516. 580.
Licht I, 409. 515 ; II, 268. 284 f. 312.
831. 878 f. 876. 887. 892 f. 896 f.
409 f. 412 f. 422 f. 434 f. 489. 442.
448 f. 454. 465. 469. 556. 560. 564.
567 ; III, 20. 67. 188. 200 f. 263. 363.
517 ; Lichtempfindungen I, 511 ; UI,
228; Lichtbrechung II, 12 f. 849.
861. 365. 878. 377. 897. 494. 510.
521 ; Lichtbeugung II. 848. 860. 865;
conische Refraction n, 850; polari-
sirtes L. II, 349. 859. 528; Licht-
zerstreuung II, 898; Lichtäther n,
Sachregister.
43
342; Gontinaum der Lichtqoalit&ten
IQ> 179; elektromagnetische Licht-
theorie II, 350. 893. 410. 449 ; elek-
trische Lichtbogen II, 402; Licht-
beeinfiaasnng grüner Pflanzentheüe
n, 554.
Liebe nnd Hass I, 413 f. ; Liebesbedürf-
niss II, 550.
Liegen bei Aristoteles I, 118.
Lineal ü, 167. 177 f.
Lineare Darstellung I, 141; 1. Anord-
nung n, 492; 1. A. des natürlichen
Systems II, 53; 1. Gleichungen II,
158. 161 f. ; Messung der Strecken
m, 179.
Linguistik III, 353—361, Tgl. Sprache.
Linie U, 107. 183. 281. 325. 403 f. 413;
Fraunhofer*sche Linien II, 341. 398;
Liniengeometrie 1, 497 ; mechanische
Linien 11, 191 f.
Linsen II, 396 f. ; Linsenimmersion II,
522.
Literatur III, 3 f. 36. 321. 328. 343.
364 f. 367. 375. 408 A. 410 f. 538.
595; poetische L. III, 165. 364 f.
411 ; Literaturgeschichte in, 4 f. 305.
307. 328 A. 382 A. 411 A. 436. 439;
literarische Denkmäler III, 23. 30.
304. 309. 535.
Lithium II, 508. 510.
Localisation I, 13 f. 150 f.; ursprüng-
liche L. I, 411. 506 f. ; Conjuncibionen
der L. I, 206 f. ; L. bei Schopenhauer
I, 508; Localzeichen III, 271 A.;
Localseichen Lotzes 1, 507 ; compleze
Localzeichen I, 512 f.; locale Ein-
flüsse U, 586. 589.
Locativ I, 152.
Löslichkeit II, 512; chemische Lüsung
II, 472 f. 499. 503; Lösung eines
Problems DI, 199.
Logarithmus II, 215 f. 244. 247. 257.
Logik I, 648 f.; III, 117. 120. 181. 133.
237 f. 274. 542. 631 f. ; die L. eine
normative Wissenschaft I, 1; die
formale L. I, 2 ; ihr technischer und
hypothetischer Charakter I, 3; die
metaphysische oder dialektische L.
I, 3 f. 7; propädeutische Stellung
der L. I, 7 ; die wissenschaftliche L.
I, 5 f. ; ihre Stellung zu den Einzel-
wissenschaften I, 7 f. ; immanente L.
I, 3 f. 8 f.; III, 61 f.; L. als Erkennt-
nisslehre und Methodenlehre I, 9 f. ;
L. und Grammatik I, 118 f.; L. und
Mathematik I, 246 f. 260 f. , L. und
Psychologie I, 324 f. ; L. und Axiome
I, 559; logisches Denken I, 78 f.
96 f. ; logisches Denken und Phan-
tasiethätigkeit 1, 32 ; logische Normen
I, 1 f. 87; logisch - metaphysische
Tendenz I, 3 f. 87 f. 118 f. ; logische
Verbindung III, 14; logische Forde-
rungen III, 251 f. 357. 544 ; logische
Functionen III, 156 ; logische Einheit
III, 247.
Lohn III, 500. 519. 525 ; ehernes Lohn-
gesetz III, 516. 619 f. A.
Longitudinalwellen II, 435 f.
Lorbeerbaum III, 364.
Lot III, 202.
Luft II, 530. 580 ; Luftdruck II, 401 f.
419; Luftströmungen II, 341; Zu-
sammendrückbarkeit der L. II, 361 ;
Luftwiderstand II, 892.
Lungen und Wärmeregulirung II, 548 ;
Lungenentzündung 11, 586 ; III, 507 A.
Lupe IL 397.
Lust III, 198 f. 215. 217. 221. 282. 416.
520. 623.
Lymphdrüsen II, 587.
Lytische Operation I, 578 f.
Macht III, 546. 553 f. 558 f.
Männerkindbett III, 871.
Märchen IH, 103 f. 370.
Magnetismus II, 264. 348 f. 359. 867 f.
374. 387. 892 f. 400. 402. 405 f. 409.
411. 413. 424. 429. 434 f. 448 f. 484 ;
Erdmagnetismus II, 370; magneto-
elektrische Induction 11, 368 f.
Malayen III, 374.
Malerei III, 127. 411.
Mangel III, 521 ; Mangel an Sauerstoff
II, 586; M. an Interesse III, 16;
Bildungsmangel II, 564.
Mann, Grösse III, 188.
Mannigfaltigkeit I, 495 f. 517. 522 f.
576; n, 140. 142 f. 149; III, 200 f.
215, 220 f.; Mannigfaltigkeitslehre
II, 89 f. 134.
Manometer II, 405 f.
Markstrahlen U, 546.
Mars III, 868; Marsrotationen II, 898.
Maschine I, 639. 644. 646; II, 268, 298.
44
Sachregister.
302 f. 306. 311. 588. 5&8 f. 555 f.;
m, 17. 582.
Masse I, 578. 628 f.; U, 294 f. 804 f.
824 t 328 f. 375. 379 f. 406 f. 413.
423 f. 480. 448 f. 462 f. 482 f. 505 f.
560. 564; m, 456. 469 A.; homo-
gene M. II, 878; glühende M. II,
577; M., L&nge, Zeit II, 428—427;
Masse und Ausdehnung der Materie
n, 466 f.; Massensystem II, 804 f.
458. 468.
Massenerscheinungen III, 75 f. 89 f.
144. 185. 456 f. 472 f. 477. 507 f. A.
524.
Mass der Geschwindigkeit I, 583. 620;
II , 294 A. ; Massmittel lU , 181 f. ;
M. der Kräfte II, 804 f.; Maasein-
heit II, 422 f.; Schwere als Massstab
II, 407; Raummasse II, 408 f.; Zeit-
masse U, 408. 413 f. ; Gewichtsmatte
lU 403. 405 f.; ezacte Massbestim-
mungen III, 474; Masssiab II, 895;
lU, 181 f.; Measbarkeit I, 260; H,
202. 467; Messung II, 87 f. 281. 880.
884 f. 394 f. 400 f. 403—416. 504 f.;
III, 275 f. 474 ; indirecte Messung II,
416 f.; Messung psychischer Grössen
III, 178—196. 230. 275 f. 284; ab-
solutes Masssystem II, 425 f.
Materialismus I, 626; II, 583 f.; lU,
151 f. 166. 256 f. 323. 482. 489 A.;
psychologischer M. III, 48. 50; so-
cialer M. III, 45; socialer und psycho-
logischer M. III, 42 ; materialistische
Psychologie III, 151 f. 153-156. 158.
172 f. 193. 242 f. 256 f. ; materiali-
stische Geschichtsphilosophie III,
324 f. 379. 421 ; unbewusster M. I,
552 ; teleologischer M. I, 633 ; II, 534.
Materie I, 458. 528. 583. 535 f. 540.
551. 619; II, 29 f. 66. 266 f. 274.
282 f. 326 f. 375. 383. 398 f. 406 f.
409 f. 425 A. 428 f. 437 f. 438—447.
455 f. 457—468. 490. 512 f. 576 f.;
UI, 16. 25. 181. 242 f. 247. 262. 517;
M. bei Aristoteles I, 585; M. bei
Kant I, 616 f.; M. bei Newton II,
229; M. bei Descartes II, 387 f.; M.
' als Eraftreservoir II, 448.
Mathematik I, 436; II, 6 f. 82. 38. 45 f.
83 f. 375 f. 379. 395. 470. 514 A.;
III, 1. 3. 10. 13. 79. 181. 133. 806.
510. 515. 517. 581 f. 632. 685;
Mathematiker III, 481; mathemati-
sche BegniESBrerbiadongen I, 246 f.;
mathematiacbe Grundbegriffe I, 487 ;
mathematJBohe Wahrecfaeinlichkiäi I,
438; mathematiBcher Raumbegriif I,
498 f.; mathematisohe Analyse I,
849 f.; U, 61 f. 89. 94 f. 38a S66.
382 f. 888. 89L 416. 43a 482. 445;
M. und Axiome I, 559. 570. 574 f.;
II , 85. 67; xaathematäohe
Schaftstheorie III, 521 f. A,; M.
Home I, 408 f.; U, 109 f.; Logik det
M. II, 87—259 ; höhere M. UI, 214 ▲. ;
neuere M. und Erfithrung II, 122.
Masdma und Minima bei Functionen
U, 253 f. 890; Maximal- und JExd-
malprincipien II, 810 f.; Maximal-
unterschied der Begriffe I» 134;
Maxinialwerth der Lust in, 217.
Maximen, leitende M. II, 272 f.; UI,
27 f. 40. 152 A.
Medianik I, 577 £. 588. 610. 628 f.
644 f.; II, 18 f. 82. 88. 98 f. 103.
193. 268 f. 266« 278 f. 281 f. 290 £
840. 345. 873. 375 £ 881. 388. 890 f.
406 f. 424 f. 434 f. 446. 456. 460.
466. 470. 490 f. 512. 515. 518. 580.
546 f.; III, 9. U. 17. 55. 57. 60 f.
94. 131. 155. 157. 194 A. 269 f. 884.
440 f. 507. 511 f. 515. 517. S82.
569 A. ; synthetisehes System der M^
II, 300 f. ; M. bei Herbart HI, 48 1 ;
mechanische Anpassung II, 545 f.
563; mechanische Linien II, 191 f.;
mechanische Morphologie II, 519 f.;
mechanische Scheidung II, 474.
Mechanisohe Weltanschauung I, 682 f.
638 f. ; n, 273—383. 366. 409 f. ^8 f.
455 f. 515. 538 f. 581 f.; m, 53.
151 f. 242 f. 250. 482.
Mechanisirung III, 207; Mechaniifiius
der Gewohnheit III, 175.
Mechanismus der Vorstellungen III,
157. 161—164. 166. 244. 260. 29».
301.
Medicamente II, 582.
Medidn II, 580—590; III, 459; Ga-
lenische M. II, 534.
Medisch-persisehes Reich III, 414.
Medium, continnirliches M. II, 892;
aus discreten Theilen bestehendes M.
II, 398; geistiges M. HI, 34—40, vgl.
Umgebung; flflssigee M. II, 487:
Doppelmedium aus K5rper- und
Aetherpunkten II, 433.
ßacfaregisier.
45
Meer 11, 421.
Hehr I, 146.
Mehrdeutigkeit Hl, 355. 878. 449. 487;
M. der Partikel I, 151 ; M. der Aus-
drücke I, 230 f. A. ; M. der Sohlflese
I, 328. 862. 874. 384 f. 891 f. 439;
n, 24 f. 95; III, 372; M. einer Func-
tion II, 203 f. 219 f. 258; M. der
NaturencheinuDgen II, 850. ^7;
m, 42.
Mehrdimenaionale Rftnme II, 184.
Mehrfach, Methode der mehrfachen
Fälle III, 189 f.
MehrheäBBDhject I, 180 f.; Mehrheite-
urtheil I, 176. 180 f.
Mehrwerth III, 520. 620 f.
Meinung 1, 412 f. 422; Kritik der Mei-
nnngen HI, 128 f.
Melodie lU, 216 A.
Memhran II, 526 f. 559 f. 571 ; schwin-
gende M. n, 349.
Menge III, 602 f.
Menech U, 516; III, 11. 18 f. 41. 188.
144. 168. 227. 231 f. 257. 318 f.
830 f. 865 f. 868 A. 442 f. 448 f.
457 f. 475. 495. 512 f. 515. 539. 542.
548. 574 f. 598, vgl. Psychologie,
Anthropologie etc.; Menschheit III,
514. 594; Menschenkenntniss III, 169.
298. 576 ; Menschlichkeit s. Humanität.
Meridian III, 208.
Merkantilsjstem III, 501 f.
Merklichkeit III, 186; minimale M.
m, 184. 190; das Gleichmerktiche
und das Ebenmerkliche III, 198.
Merkmale II, 565 f.; III, 15. 480.
508 A. ; M. der Classification 1, 332 f. ;
Correlation der M. 11, 51 ; M. beim
Vergleichungsschlasse I, 868 f.; M.
der Yergleichung III, 91; M. der
Gewis^eit I, 424 f.; M. und Name
II, 16; M. und Werth III, 13; M.
• des Geistigen III, 16 f.; Merkmals-
karten III, 454.
Messung s. Mass.
Metaäe II, 472 H 478 f. 485. 494. 496.
508. 510 f. ; M. und Elektricität II,
849 f. 862. 868 l 872. 436 f. ; Metall-
d&mpfe II, 898 f.; MetaUgifte U,
364 A.
Metaphysik HI, 24 f. 152. 250 f. 282.
324. 829 f. 378. 405. 482. 576 f. 629.
632 A. 638; Gegenstand der M. I,
7 f. 42L 546 f.; M. der Seele I, 471;
III, 48. 248 f. ; M. und Psychologie
m, 1. 19 f. 166; M. und Natur-
Wissenschaft I, 615 f. 630 f. 650 f.;
II, 346 ; III, 83 ; metaphysische Dog-
men III, 126; logisch-metaphysische
Tendenz I, 87 f. 118 f. 407 f. ; meta-
physisches Stadium bei Comte III,
149 f. 391. 406. 481 ; M. des Aristo-
teles I, 899; m, 128 A.; M. Her-
barts I, 474 f.; lU, 243 f.; M. Kants
und Schopenhauers I, 552 f. 588.
616. 689 f.; M. Schellings I, 594;
M. Hegels I, 594.
Meteor III, 135; Meteorinfection U,
576. 578.
Meteorologie I, 61 1 ; H, 270. 835. 338.
340 f. 419; III, 52. 76. 299. 457 f.
474.
Meter II, 422.
Methoden III, 9. 51-57. 116 f. 169 f.
180 f. 238 f. 242. 305. 310 f. A. 886 f.
631 f. ; Methodenlehre (Methodologie)
I, 2. 9 f. 248 f. ; M. der Mathemathik
bei Hobbes II, 107; M. der Auf-
lösung logischer Gleichungen 1, 377 f. ;
M. der einfachsten Bedingangen II,
288 f. ; M. der Yergleichung n, 339
bis 344; IH, 54. 56 f. 64—81. 88 f.
102. 104. 109. 121 f. 125. 145. 150.
181 f. 209 f. 218 f. 223. 238 f. 300.
310. 314 f. 336. 342 f. 854 f. 362 f.
449 f. 471. 479 f. 490; dialektische
M. der Antithese III, 634 f.; onto-
logische M. HI, 635 f.; M. der im-
manenten Begriffsentwicklung III,
638 f. ; philosophiBche M. III, 640 f. ;
veigleichende psychologische und
historisch-psychologische M. III, 240.
844; philologische M. III, 362 f. 499.
507 A. ; historische M. III, 366 f. 494.
499; philologisch-historische M. III,
871 f. 375. 504; anthropologische M.
III, 368; M. der getheilten Unter-
suchung der Ursachen III, 515; Ein-
stellungs- und Abz&hlungsmethoden
III, 185 f. ; M. der Gleicheinstellung
(der mittleren Fehler) lU, 185 f.;
M. der Einstellung minimaler Unter-
schiede (der Minimal&nderungen) HI,
186; M. der Einstellung gleicher
Strecken III, 186 f.; M. der doppel-
ten Reize III, 187 A.; M. der zwei
F&lle III, 188 f. 191.; M. der Gleich-
heits- und der Uogleichheitsfälle Ol,
46
SachregiBter.
188 f. ; M. der positiven und nega-
tiven Fälle III, 188 f.; M. der drei
Fälle (M. der richtigen nnd falschen
Fälle) III, 189 f.; M. der mehrfachen
Fälle III, 189 f.; Aasdrucksmethode,
physiologisch-symptomatische M. III.
222 f. 227 f.; M. der Einwirkung
(Eindrucksmethoden) III, 202 f. 218.
223 f. 228; M. der Herstellung III,
202 f. 218. 223; Differenzmethoden
(Reactionsmethoden) III, 209 f. 212 f.
224 f.; Gradationsmethoden III, 210;
Reproductionsmethoden III, 210 f.;
Complicationsmethoden 111,211 ; phy-
siologische Hülfsmethoden (sphygmo-
graphische, pneumatographische, ple-
thysmographische M.) III, 222. 227 f. ;
M. der Verwendung III, 219 A. ; M.
der paarweisen und reihenweisen Vex^
gleichung III , 218 f. ; Eliminations-
methoden II, 363; III, 209 f.; ex-
perimentelle M. 8. Experiment ; chro-
nometrische M. III, 208; Härtungs-
methoden der optischen Morpho-
logie U, 521; Grenzmethoden II,
236 f.; M. der Staatswissenschaft
III, 571 f.; physikalische M. der
Staatswissenschaft III, 481 f.; geo-
metrische M. der Staatswissenschaft
III, 483 A. ; chemische M. der Staats-
wissenschaft III, 483 A., biologische
M. der Staatswissenschaft III, 481 f.
484 f.; juristische M. der Staats-
wissenschaft III, 481 f. 490 f. 571;
Bociologische M. der Staatswissen-
schaft III, 481 f. 494 f. 572; civili-
stische M. III, 490 f. 561 f.; publi-
cistische M. III, 493 A. 561. 564 f.;
M. der juristischen Fictionen III,
566 f. ; M. der civilistischen Analogie
III, 566. 571 f.; statistische M. der
Gruppenzerlegung und -Verknüpfung
III, 467 f.; analytische, synthetische,
deductive, inductive u. s. w. M. s.
Analyse, Synthese, Deduction, In-
duction u. s. w.
Methyl II, 508.
Miasmen II, 583.
Micelle bei Nägeli U, 560 f.
Migrationstheorie des Mythus III, 106 f.
Mikrochemische Analyse II, 561 f.
Mikrokosmos II, 555.
Mikrometer II, 398. 404 f. 415.
Mikroorganismen II, 585.
Mikrophon II, 400 f.
Mikroskop ü, 895 f. 404 f. 415. 519.
521 f. 541 f. 559 f. 584 f. 587 f.
Milieu III, 380. 411, vgl. locale Ein-
flüsse.
Milligramm, Millimeter II, 422.
Müz II, 529. 587.
Mimik I, 21 ; HI, 222 f.
Mineralogie U, 53, 343 f.
Minima, vgl. Maxima; Princip der
kleinsten Flächen II, 545.
Minimalunterschied I, 134 f. ; III, 184.
186. 190 f. 196.
Minute (Winkel) II, 405; (Zeitmass) II,
414.
Mischung der Farben II, 357 f.; M.
heterogener binocnlarer Eindrücke
III, 204; chemisches Mischungsge-
wicht n, 496; M. von Beschreibang
und Erzählung I, 187.
Missbilligung I, 218 f.
Missfallen III, 217.
Missverständniss III, 364.
Mitgliedervertretung III, 493.
Mitte, richtige M. bei Aristoteles III,
400; der mittlere Mensch III, 475;
M. einer Empfindungsstrecke III, 184.
190; mittlere Lebensdauer IH, 458;
mittlere Körperlänge III, 458 ; mitt-
lerer Fehler 10, 185 f. 192; miUlere
Abstufung III, 187.
Mittheilung s. Sprache.
Mittel I, 642 f. 646; III, 281; arith-
metisches M. II, 418 f.; Mittelur-
Sache I, 643.
MittelalterlicheWeltan8chauungIII,S13.
329. 414. 425. 484 f. ; mittelalterliches
Kaiserthum III, 539 ; mittelalterliche
Corporationen III, 544.
Mittelbare Gewissheit I, 422 f. 437;
m. Realität 1 , 629 f. ; m. Zeitmasse
1, 490; m. Zeitvergleichungen HI, 211.
Mittelbegriff I, 135 f. 305. 323. 829 f.
332 f. 361 f. 369 f. 390. 894 f.
Mitübung I, 27.
Modalität bei Kant I, 117. 174 f.
Mode III, 219 A.
Modification bei Spinoza I, 528.
Möglichkeit I, 173. 448 f. 501. 525;
n, 528; m, 159.
Molecül n, 74 f. 392. 444. 559 f. 569;
III, 270; Molecularstructur II, 377 f.
400 ; Molecularbewegung (Molecular-
mechanik) II, 329 f. 393. 456. 477.
Sacfaregirter.
47
493; m, 158 f. 164. 258; Molecolar-
physik II, 430 f. 452 f. 456: intra-
molecnlare Strahlung II, 392 ; Mole-
colarentfemtiDgen II, 450; Mole-
cularwirkungen II, 451 f. ; chemische
MolecQle II, 474. 497 f. 501 f. 512:
Molecularge wicht 11, 508 f.; Mole-
culargewichtBw&rme II, 500.
Momentane Geschwindigkeit II, 229 f. ;
m. Veränderung II, 226. 237. 240.
Momente der Geschwindigkeit (Newton)
II, 230.
Monadologie I, 408. 517. 525 f. 538.
540 f. 552. 586. 626; II, 232 f.: III,
241. 243.
Monarchie III, 393. 400. 479; oonsti-
totionelle M. III, 481 A.
Mond II. 340; Mondbewegong II, 77 f.
386. 414.
Monocoiylen II, 547 A.
Monocalare extensive VorsteUongen
m, 204.
Monogamie III, 874. 480. 590.
Monophyletische Abstammung II, 565.
Monotheismus III, 367, vgl. Gottheit
Moral, vgl. Ethik; GeseU der M. bei
Leibniz I, 639; moralische Wahr-
scheinHchkeit I, 446; Moralstatisük
in, 79 f. 144. 146 f. 351. 459 f.;
moralische Tendenzen III, 127. 137 f.
320 f. 347.
Morbidität UI, 471.
Mord lU, 552. 578.
Morgenröthe III, 363 f.; Morgenwolken
m, 368.
Morphologie 11, 56 f. 343. 517—524.
525 f. 535 f. 560 f. 565. 588.
Mortalität s. Todesfälle.
Motiv I, 80. 642 f.; ÜI, 124 f. 142.
146 f. 158. 229. 287. 273. 281. 298.
304 f. 320 f. 341 f. 371. 879 f. 882.
384 f. 395. 406 f. 416. 421. 425. 478 f.
504. 508. 512 f. 516. 518. 546. 560;
M. bei Schopenhauer I, 570 f. 689 f.:
M. der Transscendenz I, 84; logisches
M. und Noth wendigkeit I, 225: melo- '
disches M. UI, 217 A. j
Motoren II, 409.
Motorische Leitung III, 224.
MOnzusg m, 111 f. -
MultipHcation I, 251 f. 265 f.: II, 76. |
97 f. 123 f. 133. 186. 145 f. 150. 155. l
158 f. 191. 209. 211. 214. 216 f. :
247 f. 423; M. von Geraden II, 195 f.:
multiple Proportionen der Chemie
II, 471 f. 483.
Mundschleimhaut II, .S36: Anpassung
der Mundtheile II, .H9: Mundart
III, 7,
Moscarin II, 531.
Musik III, 220f.: Mosikgefchidite III, 72.
Muskeln n. 526 f.: III, 223 f.: Muskel-
kraft U, 294. .301. 44A: Muskel-
empfindungen II, 408: UI, 21.5.
271 A.: Muskelbewegung 11, 524:
III, 209. 224 f. ; Muskelspannung III,
218, 222: MuskelzeUen II, .V>1 A.:
muskuläre Beaction III, 225 A.;
Muskelsystem II, 519 f.
Mutter III, 373 f.
Mystidsmns III, 31 A. 414; mystisdier
SchOpfnngsplan II. .>85.
Mystik, unbewusste M. II, 57 f.: M. un-
voistellbarer Ideen 11, 103.
Mythologie III, 103 f. 240. 344. 361
bU 869. 369 f. 406; M. n. GcKfaidite
ni, 58. 86. 307. 861 f. : vergleicheade
M. III, 6 f. 69; mytfcologisdie Tor-
stelluBgen II, .>^0. 582: III. 2. 29.
43. 149 f. 238. 295. 809. 835. 54a
5.56. 610; Geschichte der mytho-
logischen YonteUungen III, 72 1 :^07.
Mythus 11. .551; III, 6. 89. 43. 58 f.
78. 106 f. 234 A. 23^. ^TC^f. 802. 843.
369. 37.5. 384. 449. 473. 538 1 .540.
546.
5.
! Nadiafamungeii. natärlicke N. II, 549.
< Nadibildung III. 22u: X. organischer
: Processe II. 5^5 f.
Nachfrage III. 137. 379. .>-2»>. 5'>2 A.
NäherungsmeChoden 11, 1V2; typische
Näherungswertbe UI, 22^.
Nahrung II, 5*27. 55«>. .>>4; III. l^A;
Nahmngsei weiss II, .S70.
Naive pbyiikalisefae Abstraetion II, 374;
naive Beflezion III, 1.
Name III. 362 f.
NatioBalökonomie II. II. 18. 19. Z2.
39. 45: III, 5. 7. 10. 12. 14. 21 f.
87. 4-5. 99. 109 f. IST. ^Sr^. 42«,
438 f. 4.57 f. 466. 472 A- 4C^. 4&0
bis 533. 595; prakti.«.h« N liK 4*»-
529 f.; abstracte Wirthüctaftstiieorie
III, 50=1—521. 5-22. 52r;. 52Sr f. 5^2,
vgl. Wi rtk jcha ft.
48
Bftchrcgifltcr.
Natioiuüit&t UI, 48. 46. 189.
NatiTumas I, 411. 506 f.
Natnum U, 480. 508. 510.
Natur II, 279 : III, 174 f. 502 ; natOr-
liehe Entstehung oder Satznsg? III,
3; geschlossene Naturcansalit&t II,
332 f.; III, 256 f. 259; Natummge-
bung m, 18. 84 f. 292. 848 f.; N.
und Geist ÜI, 46. 258 ; Naturbedingt-
heit UI, 28. 94 f. ; Natnrbedingtheit
des geistigen Geschehens III, 12. 18.
40—46. 55. 879 f.; N. und Kunst
UI, 218. 540 f. ; Naturkr&fte lU, 181 ;
Naturvölker UI, 331. 865 f. 371 f.
444. 449 ; Naturproduct III, 6 ; Natur-
mythus s. Mythus; N. und Cultur
III, 44 f. 58.
Naturalismus UI. 53. 824 f. 842. 884.
502. 504.
Naturalwirthschaft m, 108. 894. 400 f.
NaturgenusB I, 647 f.; Asthetisirende
Natnrbetrachtung 11, 518.
Naturgesetse II, 359 f. 375. 427; lU,
52. 138 f. 144. 159. 884 f. 482 A.
578; teleologische N. I, 640 f.; III,
130 f.; Gesetzmässigkeit der Natur-
ersdieinungen I, 490. 588. 591. 612.
650 f. ; m, 174 f.
Naturmensch, Zeitbewusstsein desNatu]>
menschen 1, 1 85 ; Naturvölker s. Natur ;
Quinftrsystem der Naturvölker II, 137;
primitives Denken I, 211. 419. 425.
508. 515. 538. 584. 681; primitive
Werkzeuge III, 58; natflrliches vor-
wissenschaftliches Denken II , 15 f.
261, Tgl. Mythus etc.
Naturrecht III, 58. 426. 482. 492 f.
496 f. 502 f. 540 f. 549 A. 553 A.
555 f. 560. 562. 570 f. 597. 600 A.
626 f. A.
Naturwissenschaft, Naturforschung I,
438. 577 f. ; ü, 260—590 ; IH, 1. 5.
8. 10 f. 17. 21 f. 26 f. 58. 78f. 82f.
94 f. 98 f. 116. 129 f. 185. 187 f.
152. 157. 178 f. 179. 197. 202. 242.
244. 246 f. 250. 252 f. 259 f. 262.
269 f. 280. 285. 297 f. 306. 319. 341 f.
345 f. 851 f. 354. 876. 879. 418 f.
426. 440. 443. 448. 450. 456 f. 461 A.
465. 472. 474. 482. 494. 515. 517.
569 A. 682; Definition der N. III, 14;
N. und psychologische Grössenmes-
sung m, 179 f. 182 f.; ältere N. I,
88 f.; Naturphilosophie I, 650; II;
272 f. 276 f. 887; m, 8A. 151.*976.
406. 418. 442. 446. 482. 485 £ 4il f. ;
Natotpfailosophie 8cfa«iTSii^ ü, 518;
lU, 485; ältere NatoTphOoK»!^ I.
899. 524 f.; H, 260 f. 273 f. 288 f.
481. 588 f. 580; N. und Natorphüo-
Sophie II, 262 f.; Causalbegriff der
N. I, 687; II, 278 f.; ID, I8er.; ge-
schlossene Naturcaosalität a. Natur;
N. und Gehteewissensdiaft I, 648;
lU, 1 f. 10 f. 24 f. 88 f. 180. 1S5 f.
145. 147. 150; ezacte N. H, 861 f.;
systematische Natnrgesefaicfale II, 42.
46. 50 f. 271 f. 588; nattkrliclies
System II, 50. 53 f. ; natarlidie Me-
thode der synthetischen Geomatria
U, 175; Naturbeschreilraiig II. 514;
Natnrgeschidite II, 874 ; ältere Natur-
geschichte II, 564; III, 450; Natni^
erklärung II, 362. 885 f. 518. 518;
m, 82 f . ; Naturbeschreibnag, Natur-
geschichte und Natnrerklftning ü,
344 f.
Naturzweck, immanenter N. I, 682 f.
Nebel, planetarische N. II, 511 ; Nebel*
ball von Kant und Laplace II, 463 f.
Nebenbegriff I, 122 f. 144. 251 f.;
Nebenordnung der Begriffe I, 122.
188 f. 142. 166 f. 182. 193. 199 f.
264. 273 f. 362 f. 365. 870. 876 f.
479, vgl. Goordination.
Nebeneinander I, 150 f. 206 f. 510 f.
Nebengedanke derBeurtheQuiig 1, 218 f.
Nebenschlflsse I, 849.
Nebenumstände der Wahrscheinlichkeit
I, 441.
Negation I, 137 f. 142 f. 178 f. 212 f.
251. 267 f. 281 f. 840 f. 566; N. bei
Spinoza I, 527 f. ; negativ prftdiciren-
des UrtheU I, 217 f. 285 f. ; n^aÜTes
Trennungsurtheil I, 221 f. 285 f.;
doppelte N. I, 228 f. 241 f. 286 f.
565; N. bei Bildung von Begriffen
und Regeln I, 372; negative Pril-
missen I, 887 f. 891 f.; ne;gative
Zahlen U, 133. 140. 258 f. ; negative
und positive FäUe III, 188 f.; nega-
tive und positive Gefähle III, 215;
negative und positive Werthe III.
16; Uebersehen negativer Instanten
III, 368 ; Umwandlung positiTor Ur-
theile in negative ürtheile I, 228 f. ;
positive und negative BlektridCÜ U,
367.
Sachregister.
49
Neigung und AbneiguDg I, 413 f.
Nenner und Zähler II, 141 f.
Nennwurzeln I, 125.
Neptunismus II» 583.
Nerven I, 26 f.; II, 517. 528 f. 532.
544. 548. 554. 587; III, 154. 160.
209. 227.
Nervengeister II, 581. 583.
Nervenphysiologie II, 530.
Netzhaut III, 228 ; Netzhautbild I, 506 ;
III, 203 f.; Netzhautempfindung I,
511.
Neue Werthe durch Zusammensetzung
III, 197; neuere Sprachen I, 184 f.
Neutrum I, 176 f.
Neuzeit III, 501.
Nichts I, 117.
Niedere Keime, lebensz&h II, 578;
niedere Organismen II, 585.
Niederschlag II, 478.
Nivellirung des Ausdrucks III, 214 f. A.
Nomaden III, 363. 400. 603.
Nomen I, 60. 125. 156. 167.
Nominaldefinition II, 41 f.
Nominalismus I, 111. 400; II, 458 f.;
mathematischer N. II, 100 f. 226.
Nominativ I, 168.
Nonius II, 404.
Nordamerika III, 149.
Normalmass II, 422; III, 520.
Normen III, 120, 602. 626 f. ; logische
N. 1. 1 f. 87. 91 ; III, 84. 126 f. 341.
542; praktische N. III, 1. 9; ethische
N. ni, 479. 542. 584; N. der Sitte
III, 537; Rechtsnormen III, 495.
533 f. 542. 575. 577 f. ; Normwissen-
schaft III, 284.
Nothwendigkeit I, 173; III, 131. 636 f.;
innere N. I, 81 ; N. gegenüber Will-
kür I, 96; N. eines Urtheils I, 225.
308; innere Begriffsnothwendigkeit
I, 408; N. und Erfahrung I, 406
505 f. ; Denknothwendigkeit des Rau-
mes I, 500. 510; Denknothwendig-
keit der Substanz I, 529 f. 585 f.;
Denknothwendigkeit der Causalität
I, 590 f. 596. 606 f. ; N. der Folgen
I, 612 A.; mechanische N. I, 632.
634. 639 f., vgl. Causalität.
Noumena bei Kant I, 407. 554.
Nucleus, Nucleolus 11, 575.
Nürnbergs Einfluss auf Hegel III, 85 A.
NuU n, 136 f. 150; N. als verschwin-
dende Grösse II, 228 f. 238 f. 245.
Lindau, Register zu Wandt, Logik. 2.
Numerale I, 119.
Nutzen II, 311 ; III, 509, 519. 565. 573.
585; N. und Schaden I, 631; III,
158; Nutzeffect II, 556; Grenznutzen
III, 610 f.
0.
Oberschenkel II, 547.
Objecte, vgl. Gegenstand I, 11. 79.
423 f. 461 f. 514 f. 538 f. 552 ; III,
168. 201. 212, 247 f. 254. 263 f.; 0.
als Ursachen I, 592 f. ; 0. und Stand-
punkt III, 236 f.; Objectivismus I,
487 f. ; grammatikalisches Object I,
60 f.; Objectcasus I, 145. 156. 167 f.;
objeotive Beziehungen I, 148 f. ; Ob-
jectivirung des Denkens I, 99; ob-
jective Erfahrung II, 375; objecüve
Werthurtheile III, 273; mangelhafte
Objectivität III, 38 f.
Occasionalismus III, 250.
Ochlokratie III, 393 A. 400.
OeffentUches Recht III, 478. 537. 550 f. ;
560 f. 588; öffentliche Pfiichten III,
548.
Oekonomie der Sprache I, 101. 104.
Oel als Immersionsflüssigkeit II, 522;
Oelkugelversuch Plateaus II, 337.
Oesterreichs Ausscheidung aus Deutsch-
land III, 124.
Oheim III, 373.
Ohr II, 394. 396. 401 f.
OnomatopoYe I, 19 f.
Ontologie Wolffs I, 501 ; Ontologismus
Spinozas I, 527 f. ; ontologische Be-
weise I, 400 f. 531; II, 389; onto-
logischer Irrthum I, 416 f. 548 ; onto-
logischer Fehler III, 246; ontologische
Erankheitstheorie II, 582. 584.
Operationen der Begaffe I, 251 f.;
Operationssymbole I, 273 f. 393 f.;
II , 154. ; Grössenoperationen I,
578 f.; chemische Operationsformel
II, 492.
Optik II , 264. 352 f. 362. 394. 396 f.
401. 404. 422 f. 429. 432. 435 f. 490 f.
512 f. 521 f. 526; optische Eigen-
schaften II, 377; optische Morpho-
logie II, 519 f. 526 f.; Durchsichtig-
keit II, 284 f. 373. 899 f.
Optimismus I, 415 f. 631 ; III, 366. 392.
549 A. ; bestmögliche Welt I, 496.
Aufl. 4
50
Sachregister.
Ordinalen II, 227 f. 252, vgl. Coordi-
naten.
Ordnung, rhythmische 0. 1, 35 f. 489 f.
519; III, 202. 205. 218. 268. 487;
zeitlich räumliche 0. 1, 480, s. Raum,
Zeit ; objective 0. der Dinge I, 514 f. ;
begriffliche 0. I, 516.
Organismus I, 638. 641. 644. 646, 650;
II, 268. 274. 400. 518 f. 521 f. 533 f.
545. 558 f. 560 f.; III, 12. 17. 21.
78. 283. 260. 285. 292. 290 f. 402.
482 f. A. 487 f. 526 f. 602 f. ; Organ-
empfindungen III, 198 f. 213. 215;
organische Chemie II, 476 f. 480. 497.
504. 524 f. ; Wachsthum der Organe
II, 545 f. ; organische Elementar-
anal jse II, 475; Organisationskraft
II, 538. 542 ; Organisation III, 445 f.
456. 477 f. 489 f. 497 f. 529. 602 bis
613 ; Personal- und Realorganisation
III, 477 f.; stoffliche Zusammen-
setzung der Organismen II, 574;
Priorität des Organischen II, 577;
der 0. eine geistige Schöpfung 11,
580.
Orient III, 6.
Orientirung durch das Auge II, 394.
Ort I. 150 f. 206 f. 478; 0. der Ver-
neinung I, 219 f. 222 f. ; Ortsadver-
bien I, 118 f.; Ortsgemeinschaft III,
234; geometrischer 0. II, 181. 430.
460; Ortsbewegungen derThiere II,
553.
Oscillation II, 410. 482, s. Schwingungen.
Osmotischer Druck II, 499. 503; os-
motische Eigenschaften II, 526 f.
Okulisten II, 541.
Oxalsäure II, 477. 480.
Oxydation II, 475. 477 f. 480. 485. 489.
525 f. 556 f. 567. 569.
P.
Paarweise Vergleichung III, 218.
Pädagogik III, 21. 37. 41. 82. 87. 298 f.
Paläontologie II, 539.
Pangene II, 542 ; Pangenesis II, 541 f.
Panlogismus I, 407 f. 528.
Pantheismus I, 517.
Pantomimik III, 222, vgl. Ausdrucks-
bewegungen.
Papiergeld III, 111.
Parabel II, 180. 183 f. 187 f.
Paradiesessage III, 105 A.
Paradoxien des unendlichen II, 1.32.
Parallaxe II, 81.
Parallelepiped II, 197.
Parallelismus I, 85; II, 195. 461: P.
von Denken und Sein I, 4. 90.479;
psychophysischer P. I, 26 f. ; III, 231.
250—259. 260. 292 ; Parallelenaxiom
II, 134; Durchschnittspunkt der
Parallelen im absolut Unendlichem
II, 151; Parallelismus Spinozas ni,
251 f. 254 A. 258.
Parallelogramm II, 170 f. ; sphärisches
P. II, 146 f.; P. der Kräfte I, 582:
II, 296. 309. 819 f.
Parallelprojection II, 184 f.
Parenchymzellen 11, 547.
Parlamentarismus III, 481 A.
Partialtfine II, 357.
Participium I, 146. 149. 169. 256.
Partikel I, 118 f. 150 f.
Partikulares ürtheil I, 173. 182. 198 f-
237. 240. 339 f.
Passives Sein der Atome I, 527; Pas-
sivität III, 267 ; Passivität im Gegen-
satz zur Spontaneität I, 80 ; II, 568 :
passive Apperception I, 30, s. Apper-
ception; Passivität der Körper II»
295 f.
Pathologie II. 515. 517. 524. 528 f.
680—590; III, 466.
Patriarchalisches Königthum III, 393.
Patruus III, 373 A.
Peptone II, 526.
Perception I, 58.
Perigenesis II, 544 A.
Periodisirung III, 391 f. 431; Zeit-
perioden und Territorien III, 145:
Perioden der Schöpfungsgeschichte
II, 551 f. ; Periodicität (Regelmässig-
keit) der Reizungserscheinungen II,
543; Periodicität der Entwicklongs-
erscheinungen II , 564. 571 ; rhyth-
mische Periode I, 36; periodische
Function II, 217 f. 257 ; periodische
Bewegung 11, 413.
Peripatetiker II, 534.
Peripherie II, 224 ; peripherische Sinnes-
erregung III, 194.
Permanenzprincip I, 579; II, 135. 139 f.
148 f. 151 f. 235. 257 f.
Permeable Wand II, 499.
Perpetuum mobile II, 411.
Persische Geschichte III, 338.
Sachregister.
51
Person III, 537 ; Persönlichkeit III, 29,
32 f, 49. 63. 74 f. 125. 142 f. 161 f.
323 f. 326 f. 899 A. 408. 410 f. 416.
428. 481 f. 508 A. 592. 599 f. ; Ge-
sammtperson III» 297. 611 f.; Ver-
brechen gegen die P. III, 146 f. 463 ;
Personalorganisationen III, 477 f.
608 f. ; juristische P. III, 568 f. ; Per-
sonalstatistik UI, 458 f. 527 f. 608 f.
Perspectivische Projection II, 184.
Pessimismus I, 415 f. 682 ; III, 366.
Pflanzen (Botanik) I, 649; II, 516; III,
12. 67. 133 ; Pflanzengeographie II,
270; Pflanzenphysiologie II, 271.
518. 520. 522. 524 f. 544. 556 f.;
III, 440; Pflanzenmorphologie II,
343 ; Pflanzenkultur II, 586 ; P. und
Thier II, 566 f.; P. als chemische
Werkstatte II, 555.
Pflicht III , 433 f. 543 f. 546 f. 557 f.
630.
Ph&nomena I, 407.
Phantasie I, 425; III, 43. 59. 272 f.
287. 290. 862. 364 f. 386. 413 ; wiU-
kfirliche Pbantasiethätigkeit 1 , 32 ;
willkürliche PhantasieschOpfungen
III, 390 ; P. in der Erzählung I, 185 ;
phantastische Gonception I, 455;
phantastische Deutung I, 646 f.
Philologie III, 4 f. 14. 21. 23. 31. 66.
68. 74. 84. 86 f. 100. 115 f. 187—143.
237 f. 240 f. 298. 303—818. 333 f.
336 f. 449. 642; philologische Gon-
jectnr III, 103. 115; philologische
Methode III, 362 f. 499. 507 A. ; philo-
logisch-historische Methode III, 371 f.
375. 504.
Philosophie I, 534 f. ; II, 35. 83 ; III, 3.
5. 9. 24. 27. 116. 126 f. 257 f. 306.
343. 365. 375. 416 f. 434. 437 f. 440.
447. 488. 502. 539 f. 631—643; P.
und Psychologie III, 19 f.; 151 f.;
Gef&hlsphilosophie III, 165; philo-
sophische Würdigung eines histori-
schen Gegenstandes III, 69; P. der
Geschichte III, 21. 26. 31. 44. 49.
53. 70 f. 74. 124. 136 A. 149 f. 322 f.
376-378. 384 f. 389 f. 421 f. 441 f.
446 f. 452. 541 ; P. der Einzelwissen-
schaften III, 25.
Phlogiston U, 471.
Phoronomie I, 578. 580 f. 619 f.; II,
302. 828 f. 875; phoronomischer
Differentialbegriff 11, 227 f.
Phosphor II, 478. 485.
Photometrie II, 412 f.
Phrenologie III, 575 A. ; P. Galls III,
171 A.
Phrygische Tonleiter II, 360.
Physik I, 515. 647; II, 4. 10 f. 33. 38.
73 f. 77 f. 83. 205. 252. 266 f. 309.
314. 826 f. 334. 838. 847—468. 470.
482. 488. 490 f.; III, 9. 20. 55. 68.
78. 84. 94. 117. 122. 128 A. 147.
171. 173. 175 f. 179. 182. 184 f. 200.
209 f. 226. 244 f. 260. 269. 275. 277.
298 f. 312. 342. 354 f. 379. 395.
402. 405. 443. 449. 455. 461 A.
473 f. 481 f. 486. 489 f. 511. 515.
517. 532. 569 A. ; physische Chemie
II, 470 ; physische Causalgesetze II,
29; P. und Axiome I, 559; experi-
mentelle und mathematische P. II,
267; kosmische P. II, 269 f.; mecha-
nische P. II, 278 f.
Physikotheologie I, 631.
Physiokraten III, 502 f.
Physiologie I, 644; II, 265. 271. 314.
327. 402. 514 f. 534 f. 544. 556 f.
583 f. 589 f.; III, 11 f. 21. 67. 84.
94 f. 98. 138. 154 f. 160. 171 A.
172 f. 192 f. 201. 222 f. 244. 249.
255 f. 269. 292. 399 A. 439 f. 473.
487 f. 495. 579. 605 ; physiologische
und physikalische Analyse der Wahr-
nehmungen II, 396 f. ; physiologisches
Experiment II, 523 f. ; physiologische
Physik II, 526—528; chemische P.
II, 524—526. 553 f ; physiologische
und pathologische Functionsanalyse
II, 528 — 588; physiologische Erregung
I, 26; falsche Annahmen der P. I,
88; physiologische Psychologie III,
280; physiologischer Nativismus I,
506 f.
Pietät III, 538.
Pilze II, 532. 585 f.; Pilzsporen II,
576 A. ; Spaltpilze II, 532. 585 f.
Plan III, 31 ; P. und Zufall II, 347 f.;
III, 169 f. 174 f.; P. der Schöpfung
II, 535.
Planeten 11, 337; Planetensystem I,
447. 641; II, 376. 386. 577; III, 139.
141; planetarische Nebel II, 511.
Plastidula 11, 544 A.
Plethysmographische Methode III, 227 f.
Plurales Urtheil bei Sigwart I, 181.
Plutokratie III, 480 A.
52
Sachregister.
Pneumatiker II, 581.
Pnenmatographiscfae Methode III, 226.
Pocken III, 470 f.
Poesie und bildende Kunst III, 220.
222; P. und Malerei III, 127; poesie-
Tolle Symbole III, 538; poetische
Literatur III, 165. 364 f. 411; Ge-
schichte der poetischen Formen III,
72; Poetik III, 3. 120 f. 126.
Polare II, 176; Polarinkop II, 400 f.:
Polarisation II, 285. 349 f. 359. 393.
396. 399 f. 429. 435 f. 560 ; magne-
tische Drehung der Polarisations-
ebene II, 349; Polarisationsinstru-
mente II, 522 f.
Politie m, 393. 400.
Politik III, 2 f. 19. 54. 64. 71. 120. 122.
125 f. 145. 148 f. 298. 392 f. 403 A.
417 f. 422. 424 f. 431. 434. 439. 442.
455 f. 460 f. A. 477 f. 497. 515. 531.
544. 628 f.; Wirthschaftapolitik III,
503. 529. 531; P. bei Hobbes II, 107;
politische Geschichte III, 7 f. 38. 59.
73 f. 92. 96 f. 108. 122. 124 f. 149.
305. 309. 320 f. 328.879. 888. 523 f.
526. 537.
Polizei III, 459. 462. 478. 564.
Polygamie III, 480.
Polymere Verbindungen II, 570. 573.
Polynesien III, 43.
Polyphyletische Abstammung II, 565.
Polytheismus III, 867.
Ponderabüität II, 401 f. 475, vgl. Ge-
wicht, Schwere II, 291 f. 829. 406 f.
453.
Populationistik III, 459.
Positionssystem II, 136 f.
Positive und negative Begriffe I, 137 f.
564; p. und negative Werthe III, 16 :
p. und negative ürtheile I, 173 f.
212 f. 563 f. ; p. und negative Ge-
fühle III, 215; p. und negative Zah-
len II, 140. 143 ; Umwandlung posi-
tiver ürtheile in negative ürtheile
I, 228 f.; p. und negative Elektrici-
tät II , 867 ; p. und negative Fälle
III, 188 f.; positives Recht III, 542.
553.
Positivismus I, 408; U, 345; III, 149.
391. 406.
Postulate an das Denken 1 , 84 f. ; II,
457 f. 462 f.; P. der AllgemeingOltig-
keit I, 98 f.; Axiome als P. I, 561.
.563; Axiome und P. III, 512; Zweck
als Postulat I, 646; logiache P. IH.
251 f. 357. 544; ethische P. I. 414 f..
III, 244. 277 f. 377 f. 402. 404. 424.
544; P. der Unendlichkeit II, 151 f.:
praktische P. III, 505.
Potential II, 37; Potentialfunction bei
Green II , 449 f. ; P. bei Gauss II.
449 f.
Potentielle Energie I, 621 f.
Potenxen II, 84. 148. 423.
Potenzirung II, 97 f., 155. 247.
Pr&cipitation der Bechtss&ise III. 583.
Prädaion III, 500; mangelhafte P. der
Sprache II, 45; Pr&cisionsmasa der
Beobachtung III, 190 f.
PrÄdicat I. 60 f. 82. 122. 156 f. 161 f.
168 f.; III, 246; pr&dicative Wurzeln
I, 125; P- und Negation I, 220. 223.
272; Pr&dicatsformen des Urtheils
I, 174 f. 183 f. 878 f.; prädicative
Verknüpfung I, 272 f.
Prftempirismus I, 508 f.
Pr&misse I, 305; Stellung der P. 1.
308 f. 337 f. 374. 378 f. ; negative F.
I, 387 f. 895:
Pr&position I, 42. 118 f. 145. 149 f.
208.
Prärogative Instanzen bei Baco II, 842.
Präsensform in der Logik I, 163 f;
das Präsens hat allgemeinen Charak-
ter I, 185 f.
PräsUbilirte Harmonie 1, 479; III, 251.
PragmatischeGeschichtsbetrachtunglll
320 f ; p. Interpretation III, 347.
Praktischer Freiheitsbegriff I, 80;
praktische Forderungen I, 646 f.; p.
Charakter der ersten Naturwissen-
schaft II, 263; praktische Disciplin
ni, 21; praktißche Wichtigkeit ein-
zelner Wissenschaften III, 23; prak-
tische Wissenschaft III, 535; prak-
tischeNationalökonomielll. 460. 5291 . :
praktische Tendenzen III, 501. 527;
praktische Forderungen III, 505:
praktische Lebensauffassung III. 276.
297 f. 428; Praxis lU, 297 f.
Preis III , 187. 500. 509. 519. 522 A.
525; Preisschwankungen III, 99. 109 t.
Priester III. 533 f. 552; Priesteraristo-
kratie III, 480 A.
Primfactoren II, 125.
Primitives Denken I, 185. 211.
Primzahlen II, 82. 84.
Principien III, 25. 142. 180; P. alsür
Sachregister.
53
Sachen I, 584 f.; kosmologische P.
III, 486.
Priorit&t des Organischen II, 577.
Prisma II, 285. 852—855. 857. 860 f.
398 f.
Privatdelict III, 551 f.; Privatrecht lü,
490 f. 551. 560 f. 564 f. 570 f. 585.
588; Privatrecht der ROmer III, 4.
587; Privatverbande lü, 492 f.; Pri-
vatvertrag III, 492 f.
Privatwirthschaft III, 501. 503. 509 f.
514 f. 528.
Problem bei Euklid II, 69; Problem-
lösung und Lust III, 199; problema-
tische ürtheile I, 224 f. 487; bei
Kant I, 174 f.; problematische Be-
stimmung I, 244. 839. 350. 856 f.
865 f. 373 f. 381. 489.
Product II, 191, vgl. Multiplication;
P. von Grossen I, 271; prodnctive
Interpretation III, 87 f. 90; prodnc-
tive Synthese II , 8 f. ; Productions-
kraft II, 573; Gaterproduction III,
5. 503. 508 f. 514; Waarenprodnction
m, 99. 111.
Progressus, unendlicher P. II, 461.
Projidrung des Objects 1, 427 ; III, 162 f. ;
projectivistische Geometrie II, 88.
175 f.; Projection II, 179. 184 f.
Proletariat III, 480 A.
Promiscuim III, 373 f.
Pronomina I, 42. 169. 176 f.; P. und
Verneinung I, 188.
Proportion nnd Analogie I, 848 f.;
mittlere Proportionale II, 191,; mul-
tiple Proportionen der Chemie II,
471 f. 483. 488. 495 f. 506; Propor-
tionalität von Bewegungs- und Krafb-
Snderung II, 299 f. ; Proportionalität
der centralen Sinneserregung und
Empfindung III, 198 f.
Propyl II, 508.
Protisten II, 566 f.
Protoplasma II, 561. 565. 569 f. 578.
575. 577 f.; Protoplasmabewegung
II, 524.
Protoioen II, 575. 585. 589.
Provisorische Hypothese I, 458 f.; II,
288. 361 f. 372.
Proxeesrecht III, 561.
Prüfung der ürtheile I, 226 f. 241 f.;
P. der Folgerungen I. 391 f.
Pseudosphärische Oberfläche I, 494 f.
Psyche, psychisches Leben, Zusammen-
hang, Einheit der inneren Erlebnisse
I, 11. 80 f.; III, 88. 48; höhere
psychische Function en III, 2 1 4 ; psychi-
sche Anlage, Leben und Beseelung
II, 579; psychische Kräfte u. dergl.
s. Geist, Psychologie.
Psychiatrie III, 800.
Psychologie II, 2. 68. 882. 895; lU,
87. 4L 50. 63. 60 f. 92 f. 101. 122.
138. 147. 150. 151—808. 874 f. 878.
883. 447. 457 A. 462. 473. 484. 497 f.
504 f. 521. 574 f. 598 f. 629 f. 641;
experimentelle P. III, 172 f., vgl.
Experiment; Individualpsychologie
und aUgemeine P. III, 19. 21; In-
dividualpsychologie III, 19. 21. 89.
168-231. 292 f. 301 f. 442; allge-
meine P. III, 19. 21. 169; Völker-
psychologie m, 21 f. 89. 92 f. 107 f.
169 f. 214. 219. 281—241. 295 f. 302.
881 f. 865 f. 371. 374 f. 388. 442 f.
446. 448. 455. 468. 495. 498. 525.
611. 629; Thierpsychologie I, 649 f.;
III , 92. 169. 240 A. 494 f. ; Kinder-
psychologie Iir, 240 A. ; Aufgabe der
P. I, 1. 11. 436. 628; II, 4; Ul, 254;
P. keine reine Geisteswissenschaft
III, 14. 249 ; P. Grundlage der Geistes-
wissenschaften I, 648; III, 1. 9. 19.
21. 39. 55. 60. 248. 297. 306. 443;
psychologische Analyse s. Analyse;
psychologische Abstractionen s. Ab-
straction; psychologische An. und
Abstraction I, 468 f.; III, 57—64;
psycliologische nicht psychische Ana-
lyse III, 95 f.; psychologischer Vor-
gang der Begriffsentwicklung I, 43 f. ;
psychologischer Vorgang beim Schluss
I, 67 f. 805 f. ; psychologische Grund-
formen für Definition, fortschreitende
Gedankenentwicklung, Classification
und Beweisführung I, 77 f. ; psycho-
logische Reflexion fiber das Bewusst-
sein I, 15 f.; psychologische Atom-
hypothese der Empfindungen 1, 15 f.;
psychologische und logische Denk*
gesetze I, 90 f.; psychologische Vor-
aussetzungen zu Urtheilen, anschau-
licher Anlass I, 179. 214; psycholo-
gischer Vorgang beim Mulüpliciren
I, 255; Zeitbewnsstsein in der Er
Zählung 1 , 184 f. ; psychologische
Hypothesen I, 537 f. ; Zustand der P.
I, 611; psychologischer Kraftbegriff
54
Sachregister.
1, 625 f. ; psychologische Entwicklung
des Zweck* nndCausalbegriffs 1, 642 f. ;
psychologische Untersuchung der Zeit
1 , 484 f. ; des Raumes 1 , 505 f. ; P.
und Axiome I, 559 f. ; P. der Wahr-
scheinlichkeit I, 446 f. ; P. und Logik
I, 324 f.; P. und Philosophie III. 19 f.;
P. und MeUphysik III, 248 f. ; P. der
Sprache III, 455; allgemeine psycho-
logische Erwägungen III , 149 f. ;
materialistische P. III, 151 f. 153
bis 156. 158. 172 f. 193. 242 f. 256 f.;
intellectualistische P. III, 151 f. 156
bis 164. 167. 262. 292 f.; volunta-
ristische P. III. 152 f. 164—168. 298;
Gefühlspsychologie III. 165 ; Assoda-
tionspsychologie III, 48. 157 f. 164.
166. 212 f.; P. des Vorstellungs-
meclianismus III, 157. 161—164. 166,
vgl. Vorstellungen; deutsche und
englische P. III, 158 f. ; populäre P.
III, 19 f.; rationale P. I, 532 f.;
Specialgebiete der P. III, 21; Cha-
rakterologie III, 64. 169. 253. 800.
369 A. 448. 453 f.; vergleichende P.
III, 240 A.; psychologische Intei'pre-
tation III, 143. 152 A. 237 f. 240 f.
259. 261. 269. 289 f. 296. 866. 368.
525; SeelenvermOgen (VermOgens-
psychologie) III, 47 f. 61. 93. 157 f.
162. 164. 166. 221. 241. 260. 262.
299; Triebe I, 79.428; II, 550. 568:
III, 19. 163. 235. 237 f. 265. 267.
301. 495. 497 f. 520. 537. 556, 572.
577 A. 597 f. 604; Gefühl und Wol-
len III, 17, vgl. Gefühl. Wille, äusserer
und innerer Sinn III , 14 f. ; psycho-
logische Entwicklungsgeschichte des
Geistes III, 18; Unmittelbarkeit der
psychologischen Erfahrung III, 28;
psychische Causalität II, 29 f. 332;
III. 57. 142. 177. vgl. Causalität;
Geisteswissenschaft als System der
Interpretation der sogenannten in-
neren Wahrnehmung III, 14; psycho-
logische Auffassung des historischen
Geschehens III , 2 ; Organismus als
geistige Schöpfung II, 580; geistige
Schöpfungen III, 21 f. 23. 30. 95.
118 f. 140. 213 f. 232 f. 294. 302.
304 f. 340 f. 381. 390. 546; Entwick-
lung als psychologisches Problem II,
550 f. ; Empfindungsstärken verglichen
II, 412 f., vgl. Empfindungen.
Psychometrie III, 458 f.
Psychophysisches I, 514: III. 21. 76 f.
96 f. 122 f. 138. 145 f. 153 f. 172 f.
176 f. 192 f. 204. 209. 222 f. 227-231.
249 f. 270. 278 f. 292 f. 899 A. 407.
421. 457 A. 459 f. 520 f. 526. 610:
psychophysische Causalität III, 177.
249 f. 256 f. ; psychopbysischer Pa-
rallelismns 1, 26 f.: III, 231. 250—259.
260. 292.
Publicistische Methode III, 493 A. 561.
563 A. 585.
Puls III, 222. 227.
Punkt I, 497. 504. 517 f. 526. 544: U,
13. 107. 109. 112. 128. 179 f. 185.
187 f. 196 f. 229. 282. 345. 378. 433.
440 f. 443. 514 A.; III, 198. 217;
arithmetischer P. II, 140; Vegetations-
punkte II, 546; Abstraction des pfav-
eikalischen Eraftpunktes II, 460. 513;
identische Punkte III, 204; ausge.
zeichnete Punkte s. ausgezeichnet:
punktuelle Atome II, 444 f.; Zeit-
punkt III, 827. 382 A.; fester P. II,
466 ; Punkte auf Empfindungsstrecken
III, 186 f. 191 f.: Weltkörper als
Punkte II, 377; Kraftpunkte, vgl.
Atomistik.
Pyrochemie II, 503.
Pyrrha III, 364.
Q-
Quadrat II, 115 f. 167; Quadratur des
Kreises II, 115; Quadratzahl II, 191:
Quadratriz II, 178.
Qualität I, 15. 29; bei Kant I, 117:
bei Aristoteles I, 118: significatio
qualitatis I. 164; qualitative Analyse
II. 471 f.; III, 200 f.; qualitative und
quantitative Analyse I, 350 f.; Q. und
Quantität 1, 259 f.; primäre undsecuo*
däre Qualitäten bei Locke 1, 403. 428:
qualitativ eund quantitative Constanz
der Materie II. 383; qualitative und
quantitative Untersuchung II, 351 f
362 f. 371 f. 506 f.; Abstraction von
Qualitätsunterschieden II, 456: qua-
litative Reizversuche II, 530; qn^Ji-
tative und quantitativeReproductions-
methode III, 210 f.; Gefühlsqualitftt
und Gefühlsgrad III, 273; qualitative
und quantitative Aufgaben des Vor-
Sachregister.
55
stellangsproblems III, 207 f. 212 f.;
Qualitäten und Qrade des Werths
III, 16. 278; qualitative Einheiten
•der inneren Erfahrung III, 196 f-;
Q. und Intensit&tsgrade III, 178 f.;
Q. und Intensität einfachster psychi-
scher Zustände III, 147 ; qualitativer
Charakter der psychologischen Ge-
setze III, 146.
Quantität I, 475 f.; bei Kant I, 117,
178; II, 104; bei Aristoteles I. 118;
Quantificationssymbol I, 234 f. 292.
398 f.; Quantification der Begriffe
I, 285 f. ; quantitative Analyse II,
471 f. 483; III, 201 ; quantitative Ver-
bindungsverhältnisse II, 488. 496 f.
507 ; Q. der Bewegung II, 304. 306 f.
387; quantitative Functionsverände-
rong II , 529 f. ; quantitativer Cha-
rakter der Kraft- und Energiegesetze
III, 146, vgl sonst Qualität.
Quarz II, 578.
Quaternäre Verbindungen II, 484 f.
Quaternionen II, 147 f. 197 f.
Quecksilber II, 348; Quecksilberbaro-
meter II, 402
Quellenkritik III, 74. 117. 122 f.
Quellung, thermische Q. II, 528.
Quinärsystem II, 137.
Quotient, vgl. Division.
B.
Badicale, chemische R. II, 485. 494.
508 f.
Radicirung II, 98. 144 f. 155. 247. 258.
Räderwerk der Uhr II, 414 f.
Randwinkel II, 422.
Rangordnung der Merkmale I, 365.
Rasse UI, 327. 382 A. 438. 443. 450.
477. 496.
Rationalismus I, 4. 89. 898 f. 549. 567 f.
585 f. 608; DI, 31. 164 f. 293. 556.
596. 636 f. 642; causa und ratio I,
567; rationale Psychologie I, 532 f.
rationale Zahl II, 140.
Raum 1 , 476. 480. 490 f. ; II , 130 f.
193. 280 f. 375. 459 f.; III, 61. 130 f.
139. 156 f. 178 f. 186 f. 197 f. 204 f.
211. 218. 387. 472 f. 475 f.; objec-
tiver R. 1, 515 f.; R. bei Hume I,
403 f.; R. bei Kant I, 406; II, 104 f.
166; R. bei Locke I, 428; räumliche
Verbindung I, 868; Constanz der
Raumeigenschaften III, 183; Raum-
erfallung II, 428 f.; Raummasse II,
403 f.; R. bei Newton II, 380; R.
bei Descartes II, 387; R. und
Zeit als Fluenten II, 227 f.; Raum-
beziehung 1, 150 f. 206 f. 575; Raum-
anschauung I, 485; III, 247; Raum-
gebilde I, 494. 504. 594 f. ; Definition
des Raumes II, 119; endlicher oder
unendlicher R. II, 462 f. ; Raumsinn
III, 211; Raumdimensionen s. Dimen-
sionen.
Reaction, Gleichheit v. Action und R.
II, 299 f. 324; chemische R. II, 524:
Reactionsfähigkeit II, 512; gesetz-
massige R. III, 175; Reactions-
methode III, 209 f. . 212 f. 224 f.:
einfache Reactionszeit III, 209.
Reagentien II. 473 f. 477.
Realbegriffe I, 437.
Realdefinition II, 41 f.
Realen bei Herbart I, 474 f. 526. 540.
Reale Wissenschaft I, 436; III, 13.
Realismus I, 400. 594; absoluter R. I,
626; mathematischer R. II, 100 f.
126. 225 f. 458 f.
Realität, vgl. Wirklichkeit; mittelbare
und unmittelbare R. 1 , 548 f. ; ob-
jective R. der Anschauungsformen I,
516; reale Identität I, 193 f.; R. der
Erfahrung I, 542; II, 283 f.; R. all-
gemeiner Begriffe 1, 400 ; R. abstracter
Ideen III, 515; R. der Sinnendinge
III, 258.
Realorganisationen III, 477 f. G08 f.
Realstotistik UI, 458. 460. 472 A. 527.
608 f.
Recht III, 39. 288. 293. 297. 378 f.
445 f. 478 f. 480. 490 f. 524. 526.
533 f. 598. 611. 629 f.; Rechtsspre-
chung II, 66. 78. 80; Rechtsordnung
I, 646 f.; III, 129. 321. 498. 563. 584:
Rechtsbegriffe III, 478; Rechtsan-
schauungen III. 66. 438. 479. 551 f.
580 f.; Rechtswissenschaft II, 7. 19.
35. 37. 39. 45; III. 4 f. 9 f. 12. 14.
21 f. 31. 33. 37. 298. 306. 314. 426.
437 f. 445 f. 478. 492. 495. 502. 504.
533—588. 629. 641; vergleichende
Rechtswissenschaft III, 6. 33; Rechts-
geschichte III, 22. 33. 38. 59. 73. 75.
436. 439. 526; Rechtsphilosophie III,
539 f. 570 f.; Rechtsstaat III, 480:
56
Sachregister.
Rechtsgeschäft III, 575 ; Rechtsschatz
UI, 558; Privatrecht III, 4. 490 f.
587. 551. 560 f. 564 f. 570 f. 585.
588; öffentUcfaes R. III, 478. 537.
550 f. 560 f. 588 ; Rechtsnormen III,
495. 583 f. 542. 57r>. 577 f. ; histori-
sche Rechtsschule III, 504, vgl. histo-
rische Schale; juristische Methode
der Staatswissenschaften III, 481 f.
490 f. 571; Staatsrecht III, 478 f.
561. 571; Strafrecht UI, 479. 561.
564. 574 A., vgl. Strafe; Processrecht
m, 561; Handelsrecht III, 561;
Richteramt UI, 534 f. 548 f. ; R. und
Pflichten III , 546 f. ; rOmisches R.
III, 4. 536 f. 562 f. 567. 673. 585.
588. 591 A.
Reciprocität im Dedmalsystem II, 138 f.
Reconstruction II, 55. 58 f.
Redekunst III, 2 f. 126. 310. 317. 375.
Reduction II, 475. 480. 567. 579; R.
auf Schwere II , 407 f. ; logische R.
der Kategorie, vgl. Verschiebung.
Reflexion I, 508; II, 436; III, 15. 27.
157 f. 164. 175. 246. 301; R. des
Lichtes II, 312; der Elektricit&t II,
350; des Schalles II;, 365 f. 400; R.
von Licht und Wftrme II, 349. 365 f.;
Reflezmechanismen II, 548; ps. R. I,
539; III. 385.
Reformation III, 124. 399 A. 409.
Reformen, sociale R. III, 45.
Regel und Specialfall I, 310; Regeln
III, 133. 140. 145. 148. 357. 449. 480.
508 A. 517; Conventionelle R. III,
120 f.; Regel de tri I. 349 f.; II, 158;
R. der Einfachheit I, 647; Entwick-
lung allgemeiner Regeln I, 362. 372;
abstracto R. und Gesetze II , 13 f. ;
R. der Kritik der Meinungen III,
128 f.; regelmässige Beziehung II,
361; III, 134 f. 141. 472. 475. 501.
524; r. B.* der Aufeinanderfolge III,
159; bei Hume I, 590; Regelmässig-
keit II, 377. 543 f.; III, 133 f. 189 f.
159. 389. 394. 473. 617.
Regeneration II, 524 f. 572 f.
Regenmenge II, 419.
Registrirung, astronomische R. III, 208 ;
physiologische R. III, 222 f. 227 f.
Regressive Gausalerklärung III, 280 f.
Regulär III, 507 f. A., vgl. Regel.
Reibung II, 366 f. 414 f.; reibungslos
bewegliche iilüssigkeit II, 440.
Reichthum III, 501.
Reifung II, 544. 572. 574 f.
Reihe, arithmetische R. II, 120: wech-
selnde Reihenfolge II, 217: Reihen-
folge s. Stellung; Reihenentwicklung
II, 125; Reihenbildung bei Herbsrt
I, 510 f.; III, 168; reihenweise Ver-
gleichung III, 218.
Reindarstellung edler Metalle II, 473.
Reinigung des Organischen II, 577.
Reiz m, 209. 230. 284. 379; R. und
Empfindung IH, 173. 181 f.; Reiz-
zuwachs III, 192 f. ; Reizschwelle und
Reizhöhe III, 458; qualitative Reiz-
versuche ü, 530; ReizungserKbei-
nungen II, 543 f. 557. 571 f.
Reizbarkeit II, 583; R. der Pflanzen
II, 544.
Relationen IH, 408. 410 f. 435. 616 f.
620 f., vgl. Beziehungen ; Relations-
princip 1, 122. 127 f. 817 f. 572 f.;
Relationsprincip bei Kant I, 174 f.:
Relationsform der ürtheile I, 174 f.
182 f. 198 f.; Relationsform uud
Verneinung I, 217; R. und Schluss
I, 318 f.
Relativität, Gesetz der R. bei A. Bain
III , 161 A. ; R. der Bewegung I,
581, 619; U, 324; R. der Atome II,
444; R. der Energiegesetze II, 468;
relativer Reizzuwachs III , 192 f. ;
relative und absolute Vergleichuog
III, 196; relative Beharrlichkeit III,
249.
Relativpronomina I, 169.
ReUgion I, 407. 417. 419 f. 488. 553 f.
634; II. 436; III, 31, 97 f. 124. 150.
164. 282. 293. 304. 829. 835. 361.
366 f. 377. 408 A. 410. 415. 418.
423 A. 429 f. A. 484. 448. 454. 533.
544 f. 594. 598. 611; Religions-
Statistik III, 462, vgl. Gottheit,
Monotheismus u. s. w.
Renaissance UI, 5 f. 828. 893 A. 410 f.
417.
Repräsentation s. Stellvertretung.
Reproductionskraft II, 638; Reproduc-
tion der Vorstellungen III, 164. 168:
Reproductionsmethode III, 210; re*
productive Synthese II, 8.
Repulsivkraft I, 616 f.; II, 434. 499.
Resistenz s. Widerstand.
Resonatoren II, 357. 401.
Respiration s. Athmung.
Sachregiitor.
57
Rest bei Eneigienmirandlaiig II, 4oo f.
Reraltante III» 269. 274. 408 f. 482 f.
616 f
BeTolaiion IH. 571; fnuuUtaiache R.
III, 124. 323. 327 f. A.
Rhetorik III. 2 f. 126. 310. 317. 875.
Rheumatismos II, 586.
RhythmuB I, 35 f. 489 f. 519; III, 202.
205. 218. 268. 487.
Richteramt ID. 534 f. 543 f.
Richtige und falsche Fälle III, 189.
RichtDDg I, 150 f. 478; R. des Be
wuastseins I, 30. 80 f.; R. beim
Schliessen I, 330 f. ; RichtiuagRgegen-
satz I, 139; Richtaogsftndenuig II,
234 f. 251 f.; R. der Zeit I, 486 f.
504 f. 513. 518 f.; RichtoDgen des
Baumes s. Dimension; R. des elek-
trischen Stromes II, 370; R. des
Zihlens II, 140: Richtungsverschie-
denheit der Zahlen II, 145 f.
Ringsjrstem des Satnm II, 337.
Ritteraristokratie III. 480 A.
Rom III, 534 A.; römisches Reich III,
414; römisches Recht III, 4. 536 f.
562 f. 567. 573. 585. 588. 591 A.
Roman III, 169. 375.
Romantik III, 417.
Rotation I, 580 A. 622. 624; II. 178.
310. 321 f. 337. 354. 390. 423 f.
Rubidium II, 508. 510.
Rudimentäre Organe II, 566.
Rückenmark II, 529. 531.
Rückläufigkeit s. Umkehrung.
Rückschritt III, 392.
Rückständige Piiychologie III, 19 f.
Ruhe II, 228 f. 299. 307. 408. 505. 527.
S.
Sacrales und weltliches Recht III, 533 f.
Säugethier bei Guvier II, 56.
Säule, Yolta^sche S. II, 368.
Säure und Basis II, 483 f. 503.
Saft der Zellen II, 520; Ernährougs-
Säfte II, 587; Gardinalsäfte II, 582;
Saftströmun^ II, 529.
Sage III, 59. 103 f. 335 f. 348. 361.
370. 449 f.
Saiten (Schwingungsknoten) 11, 349;
Saitenlängen der phrygischen Ton-
leiter II, 360
Salpetersäure II, 477.
SaU II, 503.
Samenstanb II. 549.
Sammlung von Beobachtungen III. 78.
184 f. 310. 385. 465. 483 A.; S. über-
einstimmender Erscheinungen 11,839.
341. 364 f. A. ; III, 315.
Sanduhr II, 414.
Sanskrit I, 151 f. 185.
Saturn II. 337.
Satzung III. 540; S. oder natürliche
Entstehung III, 3.
Sauerstoff II, 475. 477 f. 484 f. 488.
496 f. 553. 569; III, 269.
Schädlichkeit 11, 573; S. und Heil-
samkeit II, 531.
Schätzung II. 394 f. 401 f. 414; III,
205. 465 f.
SchaU I, 409. 515; II, 347 f. 365 f.
373 f. 392. 394. 400 f. 412 f. 422.
429. 439. 442. 448 f; III, 67. 183.
211. 268; Schallreflezion und -leitung
II, 400.
Scharfsinn, analytischer S. und Beob-
achtungstalent II, 356.
Schatten II, 414; farbig umsäumte S.
II, 348; Schattenprojection II, 54.
184 f.
Schauspieler III, 63.
Scheidemittel II, 474.
Schein und Wesen 1 , 89. 462 f. 475 :
S. und Wirklichkeit 1 , 425 f. 528 ;
S. bei Schopenhauer I, 655; sinn-
licher S. II, 273 f. 286.
Schematisirung III, 212. 221. 327. 382.
426. 431. 480. 484. 487. 521. 52r).
541. 574 f. A.
Scheukang III, 578.
Schichtungen epithelialer Gewebe II,
546.
Schicksale der Völker III. 46.
Schiedsrichterthum III, 562. 567.
Schiefe Lage II, 187.
Schilderung III, 220 f.
Schlaf II, 544. 571.
Schlecht in. 126.
Schleim II, 581.
Schluss I. 226; einfacher S. I, 76;
Kettenschluss I, 71 f. 76; S. und
Urtheil I, 86; III, 155. 207; unbe-
wusster S. I, 88; apodiktischer Cha-
rakter 1 , 225 f. ; Structur 1 , 306 f. :
Grundgesetz für den S. I, 314 f.
372 f. ; Werth I, 319 f. ; Schlusskette
I, 327. 362. 374 f. ; einfache Schluss-
58
Sachregister.
formen I, 327 f.; ps. Vorgang beim 8.
I, 69 f. 76 f.; Entwicklung des
Schliessens I, 303 f.
Schmelzwärme II, 501. 512.
Schmuck und Zuchtwahl II, 550.
Schmerz II, 530; III, 199. 215.
Schnitt, goldener S. II, 71 f.
Schnittpunkte, gesuchte S. für Curven
II, 159 f.
Schönheit III, 16. 118 f. 126. 282, s.
Aesthetik.
Schöpfung I, 641. 647; II, 463. 535.
551 f.; geistige S. II, 580; IH, 21 f.
.30. 95. 118 f. 140. 213 f. 232. 294.
302. 304 f. 340 f. 381. 546; will-
kürliche S. III, 49; Yielgestaltigkeit
der geistigen Schöpfungen III, 57;
schöpferische Synthese III, 267—281.
296. 408. 412. 598. 617; Phantasie-
schöpfung III, 390; Absichten des
Schöpfers III, 130 f. 429 A.; alt-
babylonische Schöpfungssage III,
105 A.
Scholastik I, 111. 116. 164 f. 172 f.
212 f. 227. 237 f. 305. 332 f. 400.
405. 600 f.; III, 5. 35 A. 128. 299.
Schraube, Mikrometerschraube II, 404.
Schrift II, 492; III, 311 f.; Schrift-
zeichen I, 21. 45. .58 f. 74; Gestalt
der Schriftzüge III, 66. 128; Schrift-
centren III. 229.
Schullogik 8. Scholastik.
Schutzpockenimpfung II, 586 ; III, 470 f.
Schutzzoll III, 472 A.
Schwankungen III, 475. 528; S. bei
der Beobachtung II, 28. 415. 418 f.:
III, 184.
Schwedische Fockenstatistik III, 470.
Schwefel II, 487 f.
Schweiz III, 149.
Schwelle, Unterschiedsschwelle III, 186.
191 f.; S. der Gefühle III. 217; S.
des BewusRtseins III, 283.
Schwere I, 409. 535. 610. 634; II, 29 f.
78. 255. 264. 268. 291 f. 336. 340.
373 f. 375 f. 387. 401. 406 f. 424 f.
430. 434. 437. 441 f. 448. 465. 482 f.
530. 547. 583; III, 11. 48; 8. und
Wachsthum II, 530. 547 ; S. und Ge-
wicht n, 406 f.: Schwerpunkt II,
196 f. 291 f. 306—308. 310. 390 f.
465.
Schwierigkeit III, 510.
Schwingungen II , 402 f. 410 ; Saiten-
und Schwingungsknoten II, 349:
Schwingungsgesetze II, 366; Schall-
schwingungen II, 392. 394; Trans-
versalschwingungen II, 393; Schwin-
gungsrichtungen II, 399; Schwin-
gungsverhältnisse m, 156; Longi-
tudinalwellen II, 435 f.
Sechseck, vollständiges II, 190.
Secularveränderungen 11, 886.
Secundäre Gegenstandsbegriffe I, 146:
secundäre Gliederung I, 158.
Secunde U, 405 (Zeiteinheit) II, 407.
422 f.
Seele I. 471. 551; II, 533; DI, 241
bis 250. 292 f. 596; Leib und 8.
I, 540; III. 12. 21. 173. 181. 230.
249 f., vgl. P«yche, Psychologie,
Geist etc. ; S. bei Herbart I, 510 f. :
III, 243 f.; körperliche S. I, 538;
III, 151; Seelen vermögen III, 47 f.
61. 93. 157 f. 162. 164. 166. 221.
241. 260. 262. 299; Wesen der S.
III, 152 A.
Sehen I, 506 f.; III, 203 f.; stereosko-
pisches S. I, 516: III. 203 f.; Seh-
centren III. 155. 228; WetUtreit der
Sehfelder ni, 204; vgl. Optik etc.
Sehr I, 146.
Sein I, 162 f. 462 f.; ÜI, 301. 687:
S. und Denken I. 3 f. 87 f.; das
Seiende(ens) I, 117; S. bei den
Eleaten I, 584; Seinsgrund I, 570:
inneres S. III, 246; S. und Sollen
III, 515.
Selbständigkeit (räumlich) I. 465 f.
467 f. 521.
Selbstbekenntniss III, 169.
Selbstbeobachtung III. 29. 169 f. 175.
199. 212 f. 215 f. 222. 226 f. 264.
266. 300 f.
Selbstbestimmung I, 553.
Selbstbewusstsein I. 159 f. 467 f. ; HI.
246.
Selbstentäusserung des Historikers III,
32 f.
Selbsterlöschen II, 295.
Selbstinteresse s. Egoismus.
Selbstlosigkeit DI. 428.
Selbstmord III, 459.
Selbstorganisation III, 491 f. 500 A.
.529. 603 f.
Selbstregulirung II. 554 f. 580. 582.
590. 610; S. der Interessen III, 504.
516. 563. 597. 610.
Sachregister.
59
Selbflttäuechungen III, 170.
Selbstthätigkeit s. Spontaneit&t.
Selbstverständliclikeit III, 178, vgl.
Evidenz.
Selbstzersetzong II, 569.
Seltenheit III. 510 f. 519 f.
Semiten III, 105 A. 533 A. ; semitische
Sprachen I, 184 f.
Senkrechte III, 202.
Sensible Leitung III, 224; Sensibilität
II, 514. 538.
Sensorielle Reaction III, 225 A.
Sentimentalität III, 165.
Sexagesimalsystem II, 137.
Sezoalzellen II, 541. 543. 572; sexuelle
Verbindung II, 565. 573 f. ; sexuelle
Fortpflanzung II, 572 f.
Sicherheit III, 184; unfehlbare S. der
Naturgesetze III, 159; sociale S.
III, 537. 552; Grade der S. I, 174 f.
224 f.
Siedepunkt II, 494. 501. 512.
Silberwährung III, 111.
Silidum II, 510.
Simultane Association III, 213: s. Ver-
bindung III, 206.
Singulärer Charakter II, 6; III, 52 f.
67. 73. 89. 123 f. 168 f. 237. 299 f.
308 f. 337 f. 340. 346. 354. 360. 365.
616. 622. 626; s. Zusammenhang
III, 135 f. 524; singulare und gene-
relle Erscheinungen UI, 138; singu-
lare Thatsachen II, 132; III, 396.
507 f. A. 514; singulare Ereignisse
und generelle Bedingungen III, 142 f. ;
Elimination singulärer Einflüsse III,
143 f.
Sinn, äusserer und innerer S. I, 549;
III. 14.
Sinnenfälligkeit I, 186.
Sinnesorgane III, 153 f. 227.
Sinnestäuschung I, 424 f.
Sinneswahmehmung I, 29. 1-59 f. 423 f.;
II, 334. 394; III. 13 f. 29. 138. 153 f.
201. 205. 214. 227. 229. 255. 259.
262. 271 ; Sinnesempfindung, Sinnes-
reiz U.S.W. S.Empfindung. Reiz u. s.w.
Sinnlichkeit und intellectuelle Leistun-
gen III, 151.
Sippe III, 552.
Sitte III, 3. 6. 21. 35 f. 39. 43. 60.
103 f. 238. 296 f. 301 f. 309. 835.
343. 869—376. 384. 434. 4.S8. 448 f.
454. 484. 505. 524. 526. 533 f. 539 f.
546. 556. 584. 595. 598 f. 610. 629 f.;
Geschichte der S. III, 72 f. 307. 629 :
Sittlichkeit III, 31. 164. 629 f., vgl.
Ethik.
Skelet II, 519 f.
Skepsis I, 899 f. 423. 549. 634; II,
846; III, 642; skeptischer Empiris-
mus lU, 53; S. und Schluss I, 319 f.:
antike S. I. 584.
Socialismus III, 520; socialer Atomis-
mus III, 487. 491 f.
Sociologie III, 9. 12. 23. 53. 71. 100.
136. 299. 324 f. 333. 436—447. 456.
481 f. 494 f. 589-630.
Solidarpathologie II, 581. 583 f.
Sollen III, 515. 578 f. 626 f.
Sommer und Verbrechen III, 146 f.
Sonne III, 364; Sonnensystem I, 447.
641. 644 f. ; II, 286. 288. 442. 463 f.
555; Eigenbewegung des Sonnen-
systems II, 81; Sonnenspectrum s.
Spectrum; Sonnenuhr II, 395. 414;
Sonnenlicht s. Licht ; Sonnenstrahlen
II, 285. 353 f. 360, vgL Astrono-
mie.
Sophisten III, 2. 4. 418. 492. 553 A.
Spaltung II, 525. 570 f. 588; Spalt-
pilze II, 532. 585 f.
Spannkraft (potentielle Energie, E. der
Lage) II, 453 f., vgl. Energie.
Spannung II, 545 f. 561 A.; III, 133.
163; elektrische S. II, 583; ge-
spannte Feder II, 453; Spannungs-
empfindungen III, 222.
Sparen der Kräfte IT, 311 f.
Sparta III, 534 f. A.
Specialisirung , vgl. Exemplificirung ;
specielle Gausalgesetze II, 28 f.
Species II, 564 f. ; logische S. I, 251.
Specification II, 18 f. 843.
Specifische Qualität III, 197; s. Em-
pfindung III, 198.
Speculation III, 161 f. 301. 384; S.
und Erfahrung I, 410 f.; II, 274 f.
386. 388; III, 515.
Speichel II, 536.
Spektra chemischer Elemente II, 511;
Spektrum II, 341. 355. 357 f. 860.
398 f. ; Spektralanalyse II, 511 ; Spek-
troskop II. 396. 398 f. 511.
Spermatozoen II, 898. 541.
Spermazelle II, 562. 572.
Sphäre III, 327. 382 A.; sphärische
Oberfläche I, 494; IT, 417.
60
Sachreg^ter.
Sphygmographische Methode III, 227,
vgl. Puls.
Spiel Glacks- und Zufallsspiel III, 77 ;
Spielraum der Schwankungen III,
79; Spielarten III, 443.
Spiraltheone II, 56; Spirale II, 178.
181; III, 183.
Spiritualismus III, 53. 249.
Spongiöse Substanz II, 547.
Spontaneität I, 12 f. 78 f.; S. des
Denkens I, 627 f.; spontane Be-
•wegung II, 559.
Sporadischer Lautwandel III, 141.
Sporn und Kamm des Hahnes II, 550.
Sprache III, 21. 35 f. 89. 60. 66. 138.
140. 214. 282 f. 236 f. 289. 298.
295 f. 302. 804. 809. 335. 348 f.
353—361. 361 f. 365 f. 369 f. 375.
383 f. 448 f. 451. 454 f. 473. 484.
505. 524. 533 f. 538. 540 f. 546.
556. 595. 598 f. 609 f. ; Volksetymo-
logie I, 20; Sprachbewegungen I, 21 ;
Agglutination I, 36 f. ; Flexion I, 88.
42. 57. 147; Bedeutungswandel I,
39 f. 74. 112; II, 17; III, 137. 354.
360 f. 864 f. 370 ; Laut- und Bedeu-
tungswandel III, 137 f. 309. 384;
Lautform und Bedeutungsinhalt des
Wortes III , 71 f. ; Wortstellung I,
42; Synonyma I, 45. 131. 195; Syn-
tax I, 60 f.; m, 97. 141. 854 f. 358 f.;
Verschlingung I, 64; Conjunctionen
und Association I, 66 ; Conjunctionen
und Gedankenkette I, 72; S. und
Begriffsbildung I, 49 f. 74 f. ; S. und
Urtheil I, 55 f. 91 ; Sprachlaut und
Schriftbild I, 21. 45. 52 f. 74; zu-
fällige Abweichungen der S. I, 81 ;
Grammatik I, 92. 118 f. 144 f.; III,
4. 117. 309 f. 312. 814. 357. 440;
Worte als Hülfsmittel des Denkens
I, 98 f. ; Eigennamen I, 101 ; Oeko-
nomie der S. I, 101. 104; logische
unterschiede unter übereinstimmen-
der Bezeichnung I, 109. 112; Par-
tikel I, 118 f. 150 f.; Wurzeln I, 125;
5. und logische Kategorien I, 118 f.:
relative Stabilität der Verbaltheorie
I, 178; Worte I, 246; Verneinung I,
137 f. 142 f. 173 f. 212 f. 251. 267 f.
281 f. 340 f.; sprachliche Besonder-
heiten I, 148 f.; S. und Determina-
tion I, 144 f. 206 f.; Neutrum I.
176 f.; Zeitbestimmung des Prädi-
cats I, 184 f. ; AUgemeinheit I, 197 :
Benennung und Merkmal II, 16 f.:
Worterklärung II, 41 f.; mangel-
. hafte Präcision der S. II, 45; glfick-
lieber Instinct in der S. II, 516;
Entstehung der S. III. 3: Sprach-
geschichte III, 7. 59. 69 f. 90. 95 f.
307. 309. 364; Phüologie UI, 4 f.
14. 21. 23. 31. 66. 68. 74. 84. 86 f.
100. 115 f. 137—148. 237 f. 240 f.
298. 803—318. 338 f. 336 f. 449.
642 ; vergleichende Sprachwissen-
schaft III, 92. 95. 104; Laut- und
Begiiffsgeschichte III, 72; S. und
Seelenleben III, 272; Sprachcentren
III, 229; dialektische Färbung IH,
309; tropischer Wort^ebrauch III,
309; Lautassociation III, 97; Laut-,
Bedeutungs- und Formvergleicbung
III, 95 f.; Bedeutungsentwicklung
III, 90; metaphorische Ausdrftcke
III, 107; Lautgesetze lU, 140 f. 145.
148 f.; Lautiehre UI, 354 f.; Laat-
veränderungen III, 354; Lautbilder
und Lautbewegungen III, 155; Laut-
wandel III. 145. 148 f. 354; Laut-
wandel und Lautverschiebung III,
145; sporadischer Lautwandel III,
141 ; Lautverschiebung III, 132. 188 f.
145. 148 f.; Lantgeschichte III, 72.
96 f.; Etymologie III, 4. 59. 148 f.
359. 362 f. ; Aufbau der Wortformen
III, 141; Namengebung der Gefühle
III, 220 f. ; S. und Schriftweise zur
Quellenkntik III, 123; Acoent IIL
149; stammverwandte Sprachen III,
148 f. 862 ; semitische Sprachen I,
184 f.; indogermanisch I, 152; III,
104 f. 138 f. 146. 857 f. 362 f. 369 f. 395 ;
Latein und Altindisch I, 35 ; ROmisch
und Romanisch I, 42; lateinischer
Genitiv I, 144 f. 147 f.; Locativ I,
152; Accnsativ I, 149; neuere Spra-
chen I, 184 f.; Linguistik III, 358
bis 361; Hfllfszeitwort I, 42. 145 f.;
hinweisendes Fürwort I, 177 f. ; Lite-
ratur III , 3 f. 86. 821. 328. 348.
364 f. 367. 375. 403 A. 410 f. 588.
595, vgL Logik, Psychologie.
Sprichwörter III, 375.
Spruchweisheit III, 1.
Sprungweiser Uebergang III, 472 f.
Staat III. 3 f. 24. 26. 66. 288. 293.
297. 383. 390 f. 424. 435. 437. 448.
Sachregister.
61
477 f. 482. 484 f. 490 f. 500 A. 508 A.
514. 537. 540 f. 543 f. 568 f. 589 f.
602 f. ; Stadtestaat, VolksBtaat IIIp 4 ;
Thierstaat III, 494 f.; Staatslehre
III, 2 f. 7. 24. 487. 440. 488. 491 f.
502. 506; PoUtik III, 2 f. 19. 54. 64.
71. 120. 122. 125 f. 145. 148 f. 298.
392 f. 408 A. 417 f. 422. 424 f. 431.
434. 439. 442. 455 f. 460 f. A. 477 f.
497. 515. 531. 544. 628; Staatswis-
senschaft III, 5. 9. 306. 438 A. 442.
445 f. 456. 460. 477—499, 504. 527.
529 f.; StaaUrecht III, 478 f. 561.
571; Staatswirthschaft III, 478;
Staatsphilosophie III, 485.
Stab, schwingender S. II, 415.
Stabilität bei Laplace I, 644 f.; Sta-
bilitätsprincip II, 464. 552 A. 557 f.
569.
Stadien bei Comte III, 149 f.
Stadtwirthschaft III , 394. 400 f. 406.
525.
Städtearistokratie III, 480 A.
Städtestaat III, 4.
Stärke (Intensität) der Empfindung III,
178 f. 183. 217.
Stahl and Elektricität II, 367.
Stamm, Stammesgemeinschaft II, 574 ;
III, 233 f. 444. 477. 496. 552 f. 589 f. ;
stammverwandte Sprachen III, 148 f.
362.
Starambeg^iffe bei Kant I, 406.
Stand, Stände III, 496.
Standpunkt und Object III, 286 f.
Starrer Körper I, 581 A.; II, 282. 293.
325. 391. 436. 439 f.; III, 61. 512.
Starrkrämpfe II, 531.
Statik II, 261. ^68 f. 291 f. 315 f. 828.
389 f. 403. 407. 434. 444 ; III, 441 f.
569 A. ; statisch-elektrische Induction
II, 366. 872 f. ; chemische S. II, 469 f.
489 f. 493 f. 495—501 ; 8. und Mechanik
der Vorstellungen III, 161 ; statische
Momente I, 624.
Statistik I, 445; II, 29 f. 54. 341; III,
.5, 38. 76—81. 89 f. 98 f. 109 f. 136.
143 f. 148. 184 f. 212. 219 A. 830.
350 f. 444 A. 450. 456 f. 483 A. 506.
522 f. 608 f.
Status nascendi (Chemie) II, 478.
480.
Steigerung der Function 11, 530; S.
durch Contrast III, 282 f.; Steige-
rungsformen I, 146.
Stellung der Prämisse I, 308 f. 337 f.;
S. des Mittelbegriffs I, 371 f.; S. der
Sätze I, 184; S. der Verneinung I,
219 f. 222 f. ; S. der Attribute I, 255;
8. bei der Summe I, 265; S. im
Identitätsurtheil I, 200 f. ; S. im Ab-
hängigkeitsurtheil I. 205 f.
Stellvertretende Vorstellungen 11,5 14 A. ;
Stellvertretung II, 572; Stellvertre-
tung der herrschenden Vorstellung
im Begriff I, 33 f. 46 f. 111 f.
Stengel, durchschnittener S. II, 529.
Sterbefälle, Statistik der S. III, 5.
Stereometrie II, 513.
Stereoskop III, 203 f.
Stemdurchgang III, 208; Stemzeit II,
415; Sternkunde s. Astronomie.
Stetigkeit I, 465 f. 486. 504 f. 513. 522.
526. 539. 617; II, 91. 142 f. 200 f.
432. 458; III, 75. 179 f. 201. 246.
265. 361. 472 f.; S. bei Leibniz II,
232 f. ; stetig veränderliche Function
n, 224 f.
Stickstoff II, 488. 511 f.
Stiftung III, 568. 614 A.
Stilformen III, 417.
Stillstand II, 564. 572 f.
Stöchiometrie II, 472. 491 f. 506.
Störungen H, 574. 582. 584. 589 f.; III,
228 f. 243 f. 277. 579; anatomische
S. II, 532; astroDomischeS.il, 551:
S. der Realen l, 526; Ausgleichung
der S. II, 548. 582. 584. 589 f.
Stoiker II, 534; III, 4.
Stoff I, 480 f. 525. 527 ; II, 275 f. 468 f. ;
S. bei Aristoteles I, 633; chemische
Stoffbewegung II, 469; Stofftheorie
der Vererbung II, 542 f. ; Kreislauf der
Stoffe II, 554; Stoffwechsel II, 364 A.
520. 530. 555. 562. 567 f. 572. 586;
SUtik des Stoffwechsels II, 554. 556.
Stoss I, 616; II, 273. 276. 279. 289.
294 f. 305 f. 312. 431 f. 434 f. 440.
442. 448. 452. 458. 533; III, 512.
Strafe ül, 551 f. 555. 575 f.; Straf-
delict III, 551 f.; Strafgesetz III,
462. 466. 578 f. ; Strafrecht III, 479.
561. 664. 574 A.
StrahlenbüBchel II, 177. 185 f.
Strahlende Energie bei Ostwald II,
410 A.
Strahlung, intramoleculare S. II, 392:
Wärmestrahlung II, 465.
Strategie III, 125.
l
62
Sachregister.
Streben III, 167. 262. 265; S. bei Leib-
niz I, 408. 526 f.; 8. bei Herbart
III, 163 f.; S. und Widerstreben III.
282.
Strecke, zurückgelegte und zurückzu-
legende S. I, 150 f. 206 f.; zeitiich-
räumlicbe S. III, 179 ; Einpfindungs-
strecke III, 184. 186 f.
Sti-eit III, 496; S. der Meinungen III,
128.
Structurchemie II, 486 f. 494. 512 f.;
mechanische Structurformen 11, 547;
Structur- u. Wachsthumsyerh<nisse
II, 567.
Strychnin II, 531.
Stufenfolge der Gewissheit I, 403 f. ;
S. dunkler und klarer Vorstellungen
III, 48, vgl. Abstufung.
Sturm und Drang III, 417.
Subaltemation I, 238 f.
Subconträres Verhältniss I, 288 f.
Subject — Object 1, 583 ; Subjectivität u.
Objecte I, 79 f. 428 f. 552; II, 283 f.;
III, 254 f. 268; S. III, 245 f. 258. 263 f. ;
grammatikalisches S. I, 60 f. 82. 122.
125. 156 f. 161 f. 167 f. 258; III, 246;
unbestimmtes S. I, 273; Subjectivis-
mus I, 482; Subjectformen der Ur-
theile I, 174 f.; Princip der sub-
jectiven Beurtheilung III, 27 — 34.
34 f. 47. 49. 62. 323. 848 f. 374 f.
381 ; subjective Gemüthsbedürfnisse
I, 413 f.; III, 404 f.
Sublimation II, 472. 474.
Subordination I, 102.
Substanz I, 118. 460. 463 f. 475. 481.
517. 524 f. ; II, 29. 875. 412 A. 428.
466. 513; III, 164. 242 f. 2-50. 258.
259 f. 293 f.; 8. und Causalität I,
614 f.; II, 280 f. 324. 383. 394; III,
25 f. ; substantielle Causalität II, 328;
III, 260; Substanzverdichtung II, 510;
Erfahrung und S. I, 537 f. 626 ; S.
und Denken I, 627; S. bei Spinoza
I, 173. 408. 586. 634 f. ; S. bei Locke
I, 402 f. ; S. bei Hume I. 403- 409 ;
III, 633 f. 636 f. ; S. bei Kant I, 406.
Substantivum s. Gegenstandsbegriff.
Substitution III, 581 ; S. der Umfangs.
Verhältnisse für Inhaltsbeziehungen
I. 279 f. 290. 397 ; Princip der S.
I, 315 f.; Substitutionsgesetz I, 578;
Substitutionsschluss I, 329 f. 345; S.
der Bedingungen I, 209 f.; IT, 383 f.;
chemische S. II, 478. 4S5 f.; S. in
der mathematischen Symbolik II, 37.
Substrat der Erscheinung III, 145; S.
der Bewegung II, 410.
Subsumtion I, 102. 128. 131 f. 140. 160.
165 f. 172 f. 180 f. 190 f. 229 f. 233 f.
241 f. 249 f. (A). 273 f. 280 f. 290 f.
306 f. 378 f.; II, 20 f. 70. 251. 277-
493; lU, 67. 86 f. 131. 134. 147. 157.
159 f. 212. 503. 519. 566 f. 681 f.; Sub-
sumtionsschluss I, 327 f. 331 f. 348 f.
367 f. 374 f. 382 f.; lU, 88; classifi-
cirender Subsumtionsschluss I, 366;
subsumirender Bedingungaschluss I,
354. 360 f.; 11, 33 f.; Subsamtions-
technik I, 102. 128. 140. 160. 165 f.
172 f. 192 f. 298.
Subtraction 1. 267 f. 284. 298: U, 87 f.
98. 133. 136. 144 f. 150 f. 155. 211.
245. 247 f. 258. 468; III, 209 f.: S.
von Geraden II, 195 f.
Succession III, 251 ; unmittelbare S. bei
ps. Grössenvergleichong HI, 183 f. :
successive Behandlnngsweiae der ps.
Analyse III, 62 f. ; successiye Verbin-
dung III, 206; successive Association
I, 22 f. 59; III, 210 f.; successive
Apperception I, 55 f.; successive Ab-
straction III, 513.
Sühne HI, 550. 552. 555.
Suggestion III, 177 A.
Summation II, 244 f. ; S. der Begriffe
I, 251. 261 f. 274. 281 f.; logische S.
I, 389; Summe vgl. Addition; S. der
Impulse II, 294; S. kleiner Wirkungen
in langer Zeit 11, 551 f.
Sumpfgas II, 486. 488.
Syllogismus II, 20 f. 34 f.; S. und active
Apperception I, 71 : Grundform I, 76.
Symbol I, 297 f. ; Symbolik I, 140 f.
237 f. 246 f. 265 A. 378 f. 393 f. 523;
II, 190 f.; III, 361 f. 370 f.; exacte
Symbolik der Mathematik II, 7 ; alge-
braische Symbolik I, 84. 249; II, 36.
73 f. 95. 154. 190 f. 202; III, 582:
chemische Symbolik II, 491 f.
Symmetrie I, 142; II, 386; 8. der Ope-
rationszeichen I, 274 f.
Sympathie III, 554.
Symptomatik III, 226 f. 388. 484 f.;
Symptomatologie II, 583 f. ; physio-
logisch-symptomatische Methode III,
222 f.; symptomatische Bedeutung
III, 278. 280. 435.
Sachregister.
63
Syntax I. 60 f.; III, 97. 141. 354 f. 358 f.
Sjnthese U, 1 f. 18. 338. 339. 342 f.
346. 352. 857—359. 359 f. 578; HI,
63. 197. 200. 202 f. 288. 305 f. 332 f.
337. 412. 467. 581. 638 f.; gynthe-
tische Deduction II, 33 f. 879—383;
synthetischer Deductionsbeweis II,
70 f ; mathematische S. II, 94. 97 f. ;
chemische S. I, 512; II, 470. 476.
478-481. 489. 491 f. 525; III, 269.
. 285; stufenweise 8. II, 479 f. 487.
494. 200; Vorstellangssynthese I, 33.
37 f. 74; synthetischer Subsumtions-
schluss 1 , 835 f. ; synthetische Ur-
theile 1, 170 f.; synthetische Urtheile
a priori II, 105; synthetischer Cha-
rakter des Denkens I, 809. 324 f. 328.
493; schöpferische S. III. 267—281.
296. 408. 412. 598. 617.
System I, 192. 196 f.; lU, 8. 13. 25.
480. 483 A. 488 ; systematische Wissen-
schaft I, 334; II. 343 f. 515. 583; III,
22. 436. 518. 526 f. ; systematische
Darstellung II, 1 f. 12. 19. 89 f. 564 f. ;
Massensystem II, 304 f.; S. von Kör-
pern n, 310. 317; S. der Wissen-
schaften lU, 443. 447. 486 ; Systemati-
simng des Rechts III, 535 f. 581 ;
physiokratisches S. III, 502'; Decimal-
system II, 136 f.
T.
Tabellen s. Kartographie.
Tauschung 1, 424 f. 627 f. ; T. des Augen-
masses I, 511. 514. 516.
Tages- und Jahreseintheilung U, 137.
886. 413 f. 415. 422.
Takt III, 216; Taktfolge I, 486. 489 f ;
intellectueller T. I, 324 f.; Taktirung
III, 202; Taktirung der Apperception
I, 35 f. ; instinctives Taktgefühl und
Plan II, 847.
Taktik III, 125.
Tangente und Cotangente II, 218 f.;
T. und Curve II, 224. 231 f. 242.
250.253; Tangentengebilde II, 188 f.;
tangentiale Geschwindigkeit III, 141.
Tastsinn I. 428. 510; II, 374. 401. 403.
Tausch III, 509. 519. 525. 595. 621 f.
Tautologie I, 170 f. 232; III, 499; T.
der Zeitaxiome I, 438 ; tautologische
Urtheile I, 566.
Technik II, 521; III, 86 f. 116 f. 297 f.
888. 431. 449. 619; T. und Wissen-
schaft II, 476, vgl. Maschine, Hülfs-
mittel; Subsumtionstechnik s. Sub-
sumtion.
Teleologie I, 88 f. 585 f. 631 f.; II, 265.
274 f. 279. 803-314. 520. 533 f. 537 f.
563; III, 47 f. 62. 83. 130 f. 320.
329 f. 409. 421 f. 452 A. 519; teleo-
logischer Einfluss der Naturumgebung
III, 42. 44 f.
Telephon II. 400 f.
Teleskop II, 395 f.
Temperament III, 420 A. 454.
Temperatur II. 75. 205 f. 330. 337 f.
841. 864 A. 402. 410. 415. 419 f. 424 A.
426. 464. 469. 473. 475. 488 f. 497 f.
500. 502 f. 509 f.; III, 217. 228.
826.
Temporalbeziehung I. 150 f. 206 f.;
Tempusunterschiede I, 184 f.
Tendenzen, zeitige T. III, 382. 403 A.;
moralische T. III, 127. 317 f. 320 f.
347; erbauliche T. III, 424; prak-
tische T. III, 501 ; Tendenz nach Ge-
sichtsbildern II, 401 f. 403.
Terminologie III, 489 A. ; wissenschaft-
liche T. II, 17.
Territorien III, 146; T. und Perioden
III, 145.
Tetraeder H, 512.
Tetratomie s. Viertheilung.
Textkriük HI, 117.
Thatigkeit I, 119. 145 f. 148 f. 583 f.
626 f.; II, 311 f.; III, 19. 245 f.; thä-
tiges Principl, 527 f.; III. 151, vgl.
Actualitat, Handlung, Apperception;
Thun bei Aristoteles I, 118; III, 151 ;
Thätigkeitegefühl III, 265 f.
Thatsachen und Hypothesen I, 452 f. ;
II, 289 f.; Zusammenhang logisch
selbständiger T. III, 133; juristischer
Thatenbeweis III, 587 f.; unmittel-
bare Thatsächlichkeit III, 28.
Thaubildung II, 364 A.
Theilbarkeit I, 259 f.; II, 142 f. 459 f.;
theilweise Deckung 1, 136. 198f.;Thei-
lung, vgl. Division ; Theilung von Fi-
guren II, 1 70 f. ; Theilung einer Strecke
III, 188. 218; Theilinhalte des Be-
wusstseins III, 60 f.
Theologie III, 368. 423. 632 f. A. 636;
T. bei Berkeley I, 588 ; theologischer
Grenzbegriflf I, 635. 640 f., vgl. Gott-
64
Sachregister.
heit ; theologisches Stadium hei Oomte
111, 149 f. 391. 406. 481.
Theorem II, 34. 40 f. 69 f.; III, 181.
133: T. und Aufgaben II, 172 f.; T.
bei Galilei II, 882.
Theorie I, 192; III, 298. 501; theore-
tische Welterkenntnias und GemUths-
bedürfnisse I, 413 f.; T. und Erfah-
rung III, 512 f. ; theoretische Postulate
I, 646; T. und Hypothesen 1,459 f.;
theoretische Nationalökonomie, vgl.
Nationalökonomie.
Thermische Erscheinungen II, 878 f.
409 f. 469. 489, vgl Warme, Tempe-
ratur ; thermoelektrische Erscheinun-
gen II, 874.
Thermochemie n, 489 f. 494. 501 f. 556.
569.
Thermodynamik II, 502.
Thermogalvanometer II, 402.
Thermometer II, 75 A. 402.
Thetische Operationen I, 578 f.
Thier II, 576; III, 18. 67. 235; T. und
Pflanze II, 566 f.; III, 12; Thier-
Psychologie I, 649 f.; III, 92. 169.
240. 494 f. ; Thiergeographie II, 270 ;
Thierphysiologie (animalische Phy-
siologie) II, 271.518. 524 f.; Thier-
versuch II, 589; III, 228, vgl. Vivi-
section; Thierstaat III, 494 f.; III,
440; thierischer Ursprung des gal-
vanischen Stromes II, 862.
Thunar III, 363 f.
Tiefenvorstellung I, 513. 516; 11, 394;
III, 203 f.
Tod II, 517. 564. 568. 574; III, 43. 135.
277. 507 A. ; Statistik der Todesfälle
in, 450. 459 f. 465. 468 f. 475 f.
Todtschlag III, 463.
Ton I, 403; II, 423; III, 156. 163. 178.
197. 200 f. 204 A. 211. 221. 228. 272;
Tonreihe 1,511; Tonhöhe III, 195 f.
217; phrygische Tonleiter II, 360.
Topographie III, 454. 469.
Totalität des Universums II, 457. 459
bis 468; T. eines Begriffis I, 259;
Totalbegriffe I, 264. 268 f. 288 f. ;
Totalgefühl III, 265. 280; Totalver-
bindung I, 68 f. 72 f. ; T. einer unend-
lichen Grösse II, 152; Totalfortschritt
bei Leibniz II, 305.
Toxikologie II, 531.
Tracht III, 451. 454.
Träger, unbekannter T. vgl. Substanz.
Trägheit I, 578. 588. 600. 610. 620 ;
II, 294 f. 299 f. 309. 887. 411 A. 423.
III. 25. 132. 142. 517.
Tragödie III, 199.
Transfinite Grössen II, 152 f. 226. 460 f.
467.
Transformation der Naturki^fte 11,408 f.
504; Transformationen der Urtheüe
I, 226 f.; T. von Begriffen II, 37 f. ;
Transformationsgleichungen 11,329 f. ;
T. der Energieformen II, 454 f. ; T.
andersartiger Eindrflcke in Gesichta-
eindrficke II, 401 f.
Translatorische Wirkung s. Fortschritt.
Translocation I, 580 A.
Transscendens I, 84. 400 f. 417. 422.
492. 494. 526. 554. 630. 640 f.; II,
15 f. 57; III, 49. 247. 251. 261. 329 f.
851 f. 877 f. 384. 409. 414. 428 f.
429 f. 638 f. ; T. bei Kant 1, 636 ; trans-
scendentalesSchema 1,529 ; Transscen-
dentalphilosophie III, 638 f.; trans-
scendentale Aesthetik Kants II, 104 f.;
transscendentale Bedingungen bei
Kant II, 130; transscendente Function
II, 192. 213 f. 256 f. ; transscendente
Curve II, 200 f.; transscendente Kritik
III, 119 f. 126.
Transversale am Massstab 11,404 ; TranB-
versalschwingungen II, 393. 435 f.
Traum III, 43. 369 A.
Trennung I, 264 f. 368 f. ; T. von Ich
und Gegenständen I, 470 f.; ver-
neinendes Trennungsurtheil I, 221 f.
235 f. 272.
Triangulum characteristicum (Leibnis)
II, 231 f. 286 f.
TrichinosiB II, 585.
Trichotomie s. Dreitheilung.
Trieb I, 79. 428; II, 568; lü, 19. 235.
237 f. 265. 267. 301. 495. 497 f. 520.
537. 556. 572. 577 A. 597 f. 604; T.
bei Herbart III, 168 ; Triebäusserungen
niederster Organismen 11, 550.
Triftigkeit einer Analogie 1, 847; T. der
ürtheile I, 375.
Trigonometrie 11, 217 f. ; II, 417; trigo-
nometrische Function II, 256 f.
Trügerische Erfahrungserkenntniss I,
401.
Tuberculose II, 586.
Typhus II, 585.
Typus II, 55 f. 565 f.; ÜI, 133. 157.
160 f. 168 f. 172. 235 f. 259. 323 A.
Sachre^ter.
65
411. 457 f. 528 f. 597; chemische
Typen II, 486 f.; typische N&herungs-
werihe III, 226 ; typische Charaktere
in, 64; typischer Krankheitsverlauf
II, 582 f.
Tyrannis III, 398. 400.
U.
üebereinstiminung 1, 214 f. 346 f. 372 f.;
U, 342. 363 f. A.; III, 65. 118. 163.
289 f. 266. 838. 362 f. 371 f. 471.
490. 493; Uebereinstimmungsschluss
1, 363; U. der Wahrnehmungen 1, 425.
434 f . ; U. als Vemunftspostulat I,
420 f.. vgl. Identität.
üeberendlichkeit U, 152 f. 226. 460 f.
467.
Uebergang der Begriffe I, 185 f. 146 ;
Uebergangsformen II, 568; üeber-
gangsform des erzählenden zum er-
klärenden ürtheil I, 185 f.; ü. der
Energieformen II, 454 f. 464; Ueber-
gangsepochen III, 4; Uebergangs-
richtungen III, 179.
üeberlegung (Reflexion) I, 508; II, 436;
m, 15. 27. 157 f. 164. 175. 246. 301.
üeberlieferuDg lU, 75.
Ueberordnung und Unterordnung 1, 102.
128. 181 f. 140 f. 160. 165 f. 172 f.
180 f. 190 f. 193. 196 f. 273 f.; II.
251; mathematische U. II, 258, vgl.
Subsumtion.
Ueberreste, historische U. III, 834 f.
üeberschätzen III, 186 f.
Ueberschwemmungen III, 893.
Uebersetzung III, 86 f.
Uebersichtlichkeit der Erklärung 1, 190.
Uebersinnliche Welt III, 48 ; Uebersinn-
lichkeit, vgl. Transscendenz.
üebervemünftige, das U. (Leibniz) II,
463.
Ueberzeugimg I, 225. 412; moralische
ü. I, 406.
Uebung III, 228. 287 f. 301 ; unmittel-
bare ü. und Mitflbung I, 27; U. und
NichtÜbung II, 548.
Uhr II, 395. 414 f.
Umdenken der eigenen Persönlichkeit
UI, 63 f. 298.
Umfang des Bewusstseins III, 205; U.
einer Vorstellung III, 205; U. der
Aufmerksamkeit III, 205; U. eines
Lindau, Register zu Wandt, Logik. 2,
Begri£f8 I, 110 f. 181 f.; U. eines Ur-
theüs I, 22 f. 279 f.
Umformungen des logischen Denkens
I, 479 f.
Umgebung, geistige U. III, 27 f. 34
bis 40. 231 f. 292. 326 f. 348 f. 352.
880 f.
Umkehrbarkeit I, 222 f. ; II, 216. 243 f. ;
Umkehrung der Urtheile I, 227. 229.
239 f. 274 f. 314 f. 578; inverse Ope-
ration I. 267 f. 284. 392.
Umlauf der Güter III, 508; Waaren-
umlauf III, 520.
Umstände und Bedingungen einer Er-
scheinung II, 837. 350 f. 363; Varia-
tion der U. II, 386 f. 852. 863 ; III,
78. 203. 216. 222 f. 225 f. 468.
Umstellbarkeit I, 258 f. 265 f. 882.
Umwandlung s. Transformation ; U. der
Urtheüe I, 226 f.
Umwelt III, 880 f.
Unbefangenheit III, 20. 171. 216. 222.
885.
Unbegreiflichkeit I, 595.
Unbegrenztheit, vgl. Unendlichkeit III,
890; unbegrenzt grosse (kleine) Zahl
II, 138 f.
Unbekannte Grösse II. 156 f.
Unbeschränktheit s. Freiheit, Unend-
lichkeit.
Unbestimmtheit, vgl. Mehrdeutigkeit;
U. der Schlüsse 1, 384 f. ; unbestimmte
Begriffsverhältnisse I, 137 f. 217 f.;
unbestimmte Urtheile I, 176 f.
Unbewusste Schlüsse 1, 88 ; unbewusster
Wille I, 556. 616; III, 579 A.; das
U. III, 576 f.
Undulationstheorie I, 586 ; II, 285. 348.
350. 362. 892 f. 429. 435 f. 448 f.
Undurchdringlichkeit I, 403. 527. 588.
617. 634; II, 489. 442. 444 f.; IH,
262.
Unendlichkeit 1, 487 ; II, 82. 150 f. 459 f. ;
sittiich beleuchtet I, 414 f.; UI, 278;
U. bei Spinoza I, 528; unendliche
Reihe der psychischen Bedingungen
I, 80; U. nicht vorstellbar I, 84;
unendliche Uitheile 1, 173; unendlich
dauernde Bewegung II, 441; relative
Unendlichkeiten II, 285; III, 220;
ein-, zwei-, dreifache U. II, 462—468;
vollendete und unvoUendbare U. 11,
158. 226. 460 f.
Unerforschbarkeit des Zufalls I, 451.
Anfl. 5
L
66
Sachregister.
ünerkennbarkeit I, 418. 421.
ünerschöpflichkeit der Zahlbegriffe II,
149 f.
Unerwartetes Ereigniss II, 336.
Unfallstatistik Ul, 462.
Ungenaue Wahrnehmung III, 153 f. 158.
164.
Ungeschichtliche Auffassung III, 30. 32f.
301 f. 596 f.
Ungewissheit I, 437 f.
Ungleichheit der Menschen III, 513.
Unhistorisch s. ungeschichtlich.
Uniformität III, 540.
Unitarische Elektridt&ts- Hypothese
Franklins II, 367; ps. Unitarismus
ni, 48.
Universalgeschichte (Welig.) III, 329 f.
878. 382. 446 f. ; Universalsprache III,
540; Universalrecht III, 540; Univer-
salismus III, 828.
Universellerer, vergleichender Stand-
punkt III, 7.
Universum II, 457. 459-468.
Unlust III, 198 f. 215. 217. 221. 282.
416. 520. 623.
Unmittelbarkeit des Subjects I, 539.
549 f. 629 f.; III, 28; unmittelbare
geistige Wirltlichkeit III, 248; un-
mittelbare Auffassung und Natur-
erfahrung I, 422 f.; III, 83; unmittel-
bare Gegenwart III, 29; unmittelbare
Wahrnehmung III, 179 ; unmittelbare
Zeitvergleichung III, 211.
Unrecht III, 549 f. 575.
Unsicherheit des Gedächtnisses III, 171.
Unsterblichkeit 1, 405. 422; III. 43. 151.
164. 168. 368 f.
Unstetigkeit II, 200 f.
Untergliederung der Urtheile I, 162 f.
Unterordnung, vgl. Ueberordnung und
Subsumtion.
Unterricht III, 301. 478; Unterrichts-
Pädagogik III, 21 ; Unterrichtsstatistik
III, 460.
Unterschätzen III, 186 f.
Unterscheidung I, 202 f. 214 f. 232 f.
264 f. 314 f. 339. 343 f. 372 f. 563 f.
566; II, 63. 342. 364 f. A.; III, 15.
186. 195. 239 f. 481 ; örtliche U.
1, 478; Unterscheidungsschluss 1, 363.
366 f.
Unterschied II, 363 f. A. (bei Mill) ; III,
65. 188 f. 471. 490; grQsst- u. kleinst-
möglicher U. I, 134 f.; minimaler U.
III, 184. 186. 190 f. 196; Unterschiedfl-
schwelle m, 186. 191 f. 45a
Untersuchung und Voruntersuchung II,
351 f.
Unterurtheile I, 205 f.
Untheilbarkeit I, 525 f.; II, 282 f. 444;
U. des Denkens und Wollens I, 555.
Unumstösslichkeit der Erfahrung 1, 506.
UnveränderUchkeit III, 243. 246; U. der
Materie II, 266; unveränd. QuaHtft-
ten der Vorstellungen nach Herbart
ni, 163 f. ; U. der Substanz II. 324 ;
U. der Stoffelemente II. 472, vgl.
Unwandelbarkeit.
Unverbrüchlichkeit der Weltordnun^
I, 651.
Unver^glichkeitn,441 ; in, 151. 163f.
243. 277 f., vgl. Ewigkeit.
Unvergleichlichkeit I, 139 f.; U. der
Begriffe I, 189 f.
Unvollkommenheit III, 158.
UnWahrscheinlichkeit I, 345.
Unwandelbarkeit der Denkgesetee I,
448; U. der klaren Idee II. 102, vgL
Unvei^nderlichkeit
Unzerstörbarkeit lU, 277 f.; U. der Vor-
stellungen nach Herbart ITI, 163.
Unzweideutigkeit I, 381.
Uratome IL 509 f.
Urbläschen bei Oken II, 559 A.
Urgeschichte m. 872 f.
Urkunden III, 334. 340, vgl. Documente.
Urorganismufi II, 566. 568.
Ursache I, 583 f.; HI, 160. 513 f.. vgl.
Causalität; U. und Sache I, 587 f.
596 f. ; Gelegenheitsursache I. 85; U.
und logischer Grund I. 88 f. 207 f.
567 f.; Weltursache I, 417 f.; Ursach-
losigkeit und Zufall HI, 143: U. bei
Newton II. 380.
Ursprung der Raumanschauung 1, 505 f.:
Ursprünglichkeit des Lebens H, 576.
Urstoff II, 580: chemischer ü. H, 507 f.
Urtheil I, 55 f. 59 f. 93. 127; HL 155.
207. 210. 225; Urtheilsformen und
Kategorien I. 406; Gesetze der Ur-
theilsbildung I, 272 f.; ü. und Ver-
gleichung I, 86; U. und Denken I.
96 ; analytisches und synthetisches U.
I, 170 f.; Entstehung des Urtheils I,
154 f. ; Bestandtheile des Urtheils I,
161 f.; zusammengesetztes U. 1, 167 f.;
Formen der Urtheile L 172 f.; Iden-
titätsurtheUe I, 82. 85. 198 f. 196.
Sachregister.
67
200 f. 226. 233 f. 241. 273 f. 290 f.
333 f. 341. 378 f. 479; Transforma-
tionen der Urtheile 1, 226 f. ; ürtheils-
kraft bei Kant I, 636 f.; ürtheils-
enthaltong IIT, 16 ; Urtheilsarten III,
187 f. ; Werthurtheile III, 273 f.
ütilitarismua III, 558 A. 555. 571; üti-
Htas III, 565. 573.
Utopie III, 514, vgl. Idealstaat.
T.
Vaccination HI, 470 f.
Yalenzhypothese, chemische V. II, 487 f.
494. 501. 511 f.
Valuta III, 111.
Variabilit&t, vgl. Veränderlichkeit III,
521 ; isolirte V. II, 365 ; unbegrenzte
V. II, 549 f.
Variable, complexe V. II, 219 f.; varia-
bler Fehler (Abweichung) III, 186.
192; logische V. II, 47 f. A. 60 f.,
vgl. veränderliche Grösse.
Variation (Varürung) II, 568 ; III, 197 f. ;
V. bei Lagrange II, 255 f. 312; V.
der Beziehungen II, 163 f.; V. der
Elemente II, 5; V. der Umstände
II. 836 f. 352. 363; lU, 78. 203.
216. 222 f. 225 f. 468; V. der Be-
dingungen m, 202 f. 208. 212. 216 f.
222. 224 f. 240 A. 342. 471 f.; quan-
titative V. der Ursachen II, 365, 371;
V. der qualitativen und quantitativen
Bedingungen II, 358, vgl. Verände-
rung.
Varietät bei Darwin U, 565.
Vater III, 373 f.
Vegetationsbedingungen II, 586 ; Vege-
tationspunkte II, 546.
Venusphasen II, 286. 398.
Veränderlichkeit, vgl. Variabilität I,
476; ps. fesselnder Charakter der V.
I, 185; veränderlicher Charakter der
Prädicate I, 161 f.; veränderliche
Grösse s. Variable II, 156 f. ; III, 183.
476. 513; stetig veränderliche Grösse
III, 180.
Veränderung vgl. Variation I, 504. 518.
531. 596; II, 311 f.; abnehmende V.
II, 573; stetige V. II, 201 f. ; III, 472;
momentane V. II, 226; begleitende
V. bei Mill II, 364 A.; qualitative
V. II, 274; quantitative Functions-
Veränderung 11, 529 f. ; verändernder
Eingriff III, 174 f., vgl. Experiment.
Verallgemeinerung, Trieb zur V. bei
Mill I, 606; V. empirischer Gesetze
II, 26 f. 361.
Veranlassung s. Anlass.
Veranschaulichung II, 320. 322. 338,
vgl. Anschaulichkeit
Verantwortlichkeit I, 563; III, 576.
Verbände III, 480. 538. 544. 601.
Verbalbegriff I, 37 f. 118 f. 125. 145 f.
167. 176 f. 184 f.; Verbalnomina I,
146.
Verbaltheorie I, 178.
Verbindung, vgl. Synthese, V. III, 163;
V. und Zersetzung II, 558. 556. 567.
569; chemische V. s. Chemie; chemi-
sches Verbindungsgewicht II, 495;
Verbindungsschluss I, 362. 368 f.;
II, 24. 26; V. von Vorstellungen I,
13; UI, 206 f.; Verbindungsformen
I, 479; der Begriffe I, 121 f.; der
Worte I, 147; V. von Begriffen I,
154 f. 264 f. ; Verbindungsgesetz I,
578; organische V. II, 567; logische
V. III, 14.
Verbrechen III, 302. 579 ; Statistik der
V.(Criminalstatistik) UI, 5. 144. 146 f.
460. 462 f. 475 ; V. und Beruf KI,
473; Verbrecher III, 574 f. A.
Verbrennung II, 899. 471. 475. 489.
501 f. 527. 553. 556. 569.
Verdampfung II, 505.
Verdauung II, 525 f. 536. 554.
Verdeutlichung vgl. Deutlichkeit.
Verdichtung der Vorstellungen I, 40 f. ;
V. der Begriffe III, 583.
Verdoppelung einer Empfindung III,
187 A.
Verdunkeln III, 163.
Verein III, 437. 477 f. 480. 546. 568.
Vereinbarkeit der Urtheile I, 227 f.
Vereinfachung UI, 218. 300. 536. 566,
vgl. Einfachheit.
Vererbung II, 535. 540 f. 549. 551. 557.
563. 565. 588; HI, 574 A.
Verfassung lU, 526. 537. 564. 603 f.,
vgl. Politik ; Verfassungsgeschichte
UI, 72 f. 75; Verfassungsrecht lU,
537. 573. 579 f.
Verfeinerung der Messungen II, 404 f.
415 f.
Verfügbarkeit UI, 279 f.; verfügbar^
Association III, 207.
68
Sachregister.
Vergangenheit I, 150 f. 184 f. 206;
III, 29. 523 f.; geistige V. I, 30. 80.
Vergehen II, 274. 217, vgl. Delict
Vergleichen I, 13. 86. 126; V. der Be-
griffe I, 127 f. 165 f. 193; Verglei-
changsBchluss I, 362 f.; II, 14 f. 19 f.
21. 24; Vergleichung II, 5 f. 406.
412 f.; III, 275 f. 431 f. 458. 475.
508 A.; Methode der Vergleichung
II, 339—344; III, 54. 56 f. 64—81.
88 f. 102. 104. 109. 121 f. 125. 145.
150. 181 f. 209 f. 218 f. 223. 238 f.
300. 310. 314 f. 336. 342 f. 354 f.
362 f. 449 f. 471. 479 f. 490; indivi-
duelle Vergleichong III, 523 f.; in-
dividuelle und generische Verglei-
chung II, 842; III, 65 f. 101 f. 122.
239. 800. 810. 314. 844 f. 354 f. 365.
450 f. 463. 479 f. 498; generische
Vergleichung lU, 145. 317 f. 340. 524;
vergleichende Wissenschaften II, 53 f.
339. 566; III, 6 f. 91 f.; vergleichende
Beobachtung II, 334. 339—344. 365 A.
525; III, 185 f.; paarweise und reihen-
weise Verbindung III, 218: Kat. der
Grösdenvergleichung III, 189.
Vergrösserung des Erystalls II, 570.
Verharren der Wirkung I, 600 f.
Verhältniss und Beziehung 1 , 122 f. ;
V. der Begriffe I, 127 f.
Verification I, 459 ; II, 334. 352. 385 f.
481. 526. 528. 588 f.; III, 317. 356.
385. 483. 503. 522; verificirender Be-
dingungsschluss I, 354 f.
Verkehr III, 371. 478. 593 f.; freier V.
III, 504. 509. 515; Verkehrswesen
III, 526; Verkehrsrecht III, 478. 561;
wirthschaftlicher V. III, 39. 45 f.
110 f. 137 f. 147. 379. 438 f. 457.
484. 500 f. 595.
Verkettung der Gedanken I, 67 f.
Verknüpfung, pradicative V. I, 272 f. ;
GruppenverknOpfung III, 467. 469 f.
Verkürzung des Denkens I, 156 f.; V.
durch Erwärmung II, 528.
Verletzung des Rechts III, 575.
Vermehrung II, 542 f. 562. 564. 570.
573.
Vermögenstheorie I, 79; III, 47 f. 61.
93. 157 f. 162. 164. 166. 221. 241.
260. 262. 299 ; wirthschaftliches Ver-
mögen III, 500; Vermögensrecht m,
561 f. 568; Vermögensstatistik III,
402.
Vermnthung I, 343. 412 f. 422. 454.
Verneinung I, 137 f. 142 f. 173 f. 212 f.
251. 267 f. 281 f. 340 f. 566 , vgl.
Negation.
Vernunft III, 482 A. 496 ; V. bei Kant
I, 637; Vernunftspostalat der Ueber-
einstimmnng I, 420 f.
Verschiebung der Vorstellungen 1, 40 f . ;
verschiebbare Verbindung II, 325.
439; kategoriale V. I, 123 f. 157.
162. 185. 188 f. 193. 306. 472.
Verschiedenheit der Vorstellungsele-
mente I, 25; V. und Identität I,
130; V. und Trennung I, 221 f.
Verschlingung des Gredankens I, 64.
Verschmelzung II, 572; III, 155. 163.
204 A. 288; associative V. I, 13 f.
509. 512; intensive und extensive V.
der Empfindungen I, 16 f.
Verschwendung III, 514.
Verschwindende Grössen II, 233 f. 242.
Verstärkung der Schalles II, 400; V.
durch Wiederholung III, 280; Gon-
trastverstärkung III, 282—285. 416.
Verstand III, 160. 221. 272 f. 287. 290.
324 f.; V. und Wille I, 79; Ver-
standesform I, 468 ; V. und Sinnlich-
keit I, 43; Verstehen III, 81. 98.
113; Verstehen und Erklären III, 86,
vgl. Interpretation.
Vertheilung der Güter III, 503; räum-
liche V. I, 480; Fehlervertheilung
III, 191; V. der Arbeit III, 511.
Verticale III, 218.
Vertrag III, 491 f. 496. 536. 537. 540.
552. 563; Vertragstheorie III, 293.
485. 492 f. 540. 556. 570 f. 597.
600 A.
Vervielfältigung s. Multiplication.
Vervollkommnung II, 577.
Verwaltung ET, 125. 532. 537. 564.
611; Verwaltungslehre III, 460; Ver-
waltungsrecht III, 478. 537. 561. 573.
579 f.
Verwandlung der Energieformen II,
454 f. 464. 490 ; Verwandlungsf&hig-
keit der Stoffe II, 471.
Verwandtschaft ps. Erscheinungen III,
239: V. der Denkinhalte I, 106 f.;
stammverwandte Sprachen III, 148 f. ;
Stammesverwandtschaft, vgl. Stamm.
Verwebung der Gedanken I, 69 f.
Verwechselung III, 210.
Verwendung III, 219 A.
Sachregister.
69
Verwirklichung ursprünglicher Bedin-
gungen I, 509.
Vesta III, 862.
Vibrograph II, 402.
Viehzucht III, 525.
Vieldeutigkeit s. Mehrdeutigkeit.
Vielheit der Richtungen I, 518; Ver-
vielfältigung 8. Multiplication.
Viereck II, 175 f.
Vierseit II, 175 f.
Viertheilung II, 64.
Vierwerthigkeit II, 77. 512.
Vigesimalsystem II, 137.
Visirpunkte II, 404.
Visitenkarten III, 219 A.
VitaHemus I, 638 f.; II, 265. 515. 533 f.
536. 538. 581 f.; Vitalkräfte I, 650.
Vivisection II, 528 f. 532.
Vocale III, 357.
Volk III, 283 f. 437. 445 f. 448 f. 477.
508 A. 597. 601; Volkswirthschaft
III, 24. 394. 400 f. 525. 601. 611.
628; Volkswirthschaftslebre III, 437.
445 f. 478 f. 484. 499—583; Völker-
recht III, 477. 545. 561. 573; Völker-
geschichte und Universalgeschichte
III , 329 f. ; Völkerkunde s. Ethno-
logie; Völkerpsychologie s. Psycho-
logie: Volkscharaktere III, 46. 235;
Volkslieder III. 375 ; Volksstaat III, 4;
Volkswohlstand III, 502; Völkerwan-
derung III, 305. 444; Volksetymo-
logie I, 20.
Vollendung I, 184 f.; vollendete und
unvoUendbare Unendlichkeit II, 153.
226. 460 f.
Vollkommenheit I, 647; II, 277. 386;
III, 158; V. des Typus II, 55 f.; V.
in der Mechanik I, 624.
Volta-elektrische Induction II, 368 f.;
Volta*sche Säule II, 368. 483 f.
Volum II, 74 f. 410. 497 f. 506.
Voluntarismus III, 152 A. ; voluntari-
stische Psychologie s. Psychologie.
Vorausnähme I, 643 f.
Voraussage III, 52.
Vorbengungsmassregeln III, 470 f.
Vorgänge I, 177 f. ; III, 12 f. 201. 213 f. ;
V. und Sachen I, 596. 602; Vorgang
und Sein III, 268.
Vorsehung III, 324 A. 429 A.
Vorsicht III, 16.
Vorstellen I, 527; V. und Denken I,
59; V. bei Leibniz I, 408. 526; III,
48; V. und Objecte 1, 11. 79. 423 f.;
Vorstellungen III, 17 f. 20. 61. 152 A.
153. 157 f. 164 f. 197. 200. 201—214.
215. 220. 222 f. 228. 235. 237 f.
244 f. 247. 255. 260. 262 f. 271 f.
279 f. 293. 295. 379. 599; Vorstel-
lungen keine substantiellen Wesen I,
12. 24; Zerfliessen der Vorstellung
1, 41 ; Vorstellung und Begriff 1, 105f.;
angeborene Vorstellungen I, 400 f.
463 f.; II, 101 f., vgl. Apriorismus;
Vorstellung anderer Räume I, 500;
Vorstellung der Veränderung I, 531 ;
einfache Vorstellung als psycholo-
gisches Element I, 13 f.; Verschie-
bung und Verdichtung I, 40 f. ; Vor-
stellungsverbindungen 1, 13; 111,206 f.,
vgl. Association ; stellvertretende Vor-
stellung I, 47 f. ; Vorstellungsmecha-
nismus III, 157. 161—164; Vorstel-
lungsverlauf III, 207 f.
Vortheü III, 510.
Voruntersuchung III, 74.
Vorurtheile III, 576 f.
Vulkanismus II, .583.
W.
Waaren III, 520. 620 f. ; Waarencircu-
lation III, 520; Waarenverkehr III,
5. 109 f. ; Waarenproduction III, 99.
111.
Wachen II, 544. 571 f.
Wachsthum II, 542 f. 564. 569 f. 577 f.
588; III, 138; unbegrenztes W. als
Unendlichkeitserzeuger II, 153; W.
und Gleichung II, 158 f. 203; Wachs-
thumsbedingungen II , 519 f. 522 f.
530. 546. 561 ; Wachsthumsgesch win-
digkeit n, 523. 546; Wachsthums-
trieb II, 538; Wachsthums- und
Structurverhältnisse II, 567; W. und
Assimüation II, 559. 561. 568; W.
der ps. Energie III, 276 f. 403. 405 ;
W. der Güter III, 511.
Wägung II, 401 f. 475.
Währungsmittel III, 110 f.
Wärme I, 403. 409. 515; II, 268. 329 f.
349. 366. 373 f. 377. 387. 392. 402.
409 f. 424. 434. 439. 445. 452. 454 f.
464 f. 469. 473 f. 477 f. 488 f. 494.
499 f. 501 f. 506. 510. 518. 524.
526 f. 554. 556 f. 567; III, 20. 67.
70
Sachregister.
216; mechanische Wärmeiheorie II,
78 f. 434. 494. 498. 503; Warme-
iönung II, 502; Wärmefluidum II,
431 f. ; Wärmeregulirang der Haut
'• and Lungen II, 548; thierische
Wärmebildung II, 553.
Wage II, 395. 401. 405 f. 413. 429 f.
482; Dreh wage Coulombs II, 371.
Wahl I, 30. 48. 68; III, 210. 225 f.
577 A. 600 A.
Wahlverwandtschaft (attractio electiva)
II, 482 f. 543.
Wahnsinn I, 23.
Wahr, Gefühl des Wahren und Fal-
schen III, 118; wahr und falsch III,
126.
Wahrheit, reale und formale W. I,
82 f. ; erschlossene W. I, 225. 422 f. ;
objective W. I, 426 f.
Wahrnehmung I, 29. 159 f. 423 f. ; III,
13 f. 29. 138. 153 f. 201. 205. 214.
227. 229. 255. 259. 262. 271 ; W. und
Denken I, 411; II, 280 f.; W. und
Hypothesen I, 452 ; W. und Glauben
I, 414. 550 f.; innere W. III, 198;
innere W. unzuverlässig III, 172;
ungenaue W. III, 153 f. 158. 164;
zufällige W. III, 169 f. 216. 233;
unmittelbare W. III, 179; Grenzen
der W. II, 415 f.
Wahrscheinlichkeit I, 224 f. 303. 355.
431 f.; II, 420. 457; III, 77. 79. 112.
185. 188. 191. 202. 339. 372 f. 407.
469 f. 475; WahrscheinUchkeits-
Schlüsse I, 328. 339 f. 342 f. 873 f.
432; II, 24 A.; Wahrscheinlichkeits-
quotient I, 345; W. bei Hume I,
404; qualitative und quantitative
W. I, 437 f. ; apriorische W. I, 440 f. ;
empirische W. I, 442 f. ; moralische
W. I, 446; W. beim Inductions-
beweise II, 66.
Wandelbarkeit s. Zufall.
Wanderungen der Völker III, 305. 395.
444 ; W. der farblosen Blutzellen II,
587, vgl. Migrationstheorie.
Wann und Wenn I, 207; Wann bei
Aristoteles I, 118.
Warum, das W. der Erscheinungen II,
336. 362.
Wasser II, 422. 426, 475. 477 f. 486.
488. 496 f. 528. 560 ; III, 269 ; Wasser-
stoff n, 475. 478 f. 484. 496 f.
508 f. 511. 556; III, 269; Wasser-
Stoff als Mass der Afßnitätsgrösse
II, 77 ; Wasserkraft II, 409 ; Wasser-
uhr II, 414; Wasserwellen U, 435;
Wasserzersetzung II, 402.
Wechsel II, 94. 96; IH, 163 f. 239,
vgl. Veränderung, Variation; W. und
Beharren I, 530 f.; Wechselbestim-
mung I, 274 f. ; II, 8 ; HI, 381 ; der
Begriffe I, 136 f. 142. 356. 382;
Wechselwirkung n, 26 f. 448; UI,
35 f. 229 f. 231 f. 250. 252. 259.
270 f. 282. 292 f. 321. 352. 368. 380.
395. 410. 419. 446. 448. 455. 504.
529. 547. 598 f. 602. 617 ; Wechael-
vnrkung des inneren Lebens I, 80;
der Atome H, 441 f. 451 ; IH, 163 ;
der Vorstellungen III, 157. 161 f.;
der Gesetze III, 141 f. ; elektrischer
Ströme II, 450 ; chemische Wechsel-
wirkung n, 473. 493. 505 ; Wechsel-
wirkung im Organismus II, 548.
562 f. 587 ; Wechselwirkung zwischen
Natur und Cultur III, 44 ; psychische
Wechselwirkung III, 154; geschicht-
liche Wechselwirkung III, 104;
psychophysische Wechselwirkung III.
173 ; Wechselwirkung psychischer
Grössen III, 178; Wechselbeziehun-
gen III, 21 ; Wechselverhältniss der
Disciplinen III , 22 f. ; Wechselwir^
kung der Centralkräfte I, 622 f.;
Wechselbegiiffe III. 232; Wechsel-
beziehung zwischen Körper und Seele
III, 181. 242 f. ; der Begriffe I, 115.
134. 140. 142 ; der Gefühle zu Be-
dingungen und Zuständen III, 199;
Energiewechsel II, 331. 564.
Weib, Grösse III, 133.
Weg der Kraft ü, 316.
Weiche Massen der Zellbildung II, 560.
Weihnachtsfest III, 369 A.
Weisheit, Spruchweisheit III, 1.
Weissagungen III, 390.
Wellenbewegung II, 285. 348. 350.
374. 376. 514 A. 544 A. Wellenlänge
II, 423.
Weltursache I, 417 f.; Weltzweck I,
422 ; bestmögliche W. I, 496 ; Welt-
Ordnung I, 640 f. 650 f.; III, 252.
277 f. ; Weltsystem Newtons U, 381 f. ;
des Copemikus II, 386; geistige W.
ni, 14 ; Weltgeschichte III, 332, vgL
Universalgeschichte, Weltwirthschaft
III, 625; Weltuntergang und Welt-
Sachregister.
71
Bchöpfong II, 463; Weltanschauung
III, 641 f. ; weltliches und sakrales
Recht ni, 558 f.
Wendepunkte IT, 224.
Werbung der Thiere II, 550.
Werden IT, 274. 277 ; W. bei Heraklit
l, 584.
Werk der Wissenschaft III, 214 ; Kunst-
werk s. Kunst; Werkzeuge II, 335;
TU, 208; primitive Werkzeuge III,
58, vgl. Hülfsmittel.
Werth III, 151. 427 f. 500. 509 f. 519 f.
525. 680; geistiger W. der Associa-
tionen 1, 28 ; logischer W. d. Schlusses
I, 390 f. ; objectiver W. der Wahr-
scheinlichkeit 1 , 445 f. ; Werthbeur-
theilung TII, 115 ; subjeetive und ob-
jectiye Merkmale für Werthbestim-
mungen ITI, 13; Werthbestimmung
III, 16 f. 138. 206 f. 214 f. Ä. 273 f.
419; wirthschaftliche Werthschwan-
kungen III, 110 f.; approximative
Werthe III, 188; Werthkritik III,
118 f. 122. 124 f. 273 f.; Gesetzes-
werth III, 148 f. ; Werthzunahme III,
276 f. 521 ; Entstehung neuer Werthe
durch Zusammensetzung ITT, 197.
272 f.
Wesen I, 546 f. ; W. und Schein I, 89 ;
W. und Begriff I, 94. 98; ünaus-
drückbarkeit des Wesens IT, 43 f.;
wesentliche Bedingung II, 363.
Wespen m, 240 A.
Wetterkunde s. Meteorologie.
Wettstreit und Kampf ums Dasein II,
550; W, der Sehfelder ni, 204;
W. der Interessen III, 497.
Wichtigkeit in der Erzählung I, 184 ;
W. in der Beschreibung I, 186-
Widerspruch, Satz des Widerspruchs
I, 316. 318. 564 f.; III, 290. 639;
Gefühl des Widerspruchs III, 118;
Widerspruchslosigkeit T, 480; IT,
326. 382. 468 f.; III, 14. 82. 251 f.
262. 518. 586; der Wahrnehmung
I, 516.
Widerstand IT, 295. 325, vgl. Reibung ;
Widerstandsföhigkeit II, 588 f. 548 ;
Widerstandsempfindung I, 428.
Widerstreben TII, 282.
Wie, das W. der Erscheinungen II,
836. 362.
Wiedererinnerung II, 101 f. ; III, 159.
210 f. 685 ; W. bei Plato I, 399.
Wiedererkennung I, 19; III, 206. 210.
220. 225.
Wiederemeuerung s. Renaissance.
Wiederholung III, 201. 217. 280; W.
auf höherer Stufe TII, 487.
Wille I, 588. 604. 616. 618. 625 f. 640.
646 f.; II, 538. 568; III. 20. 152 f.
158. 164—168. 207. 220. 288 f. 247.
262 f. 272 f. 293. 297. 302. 416.
482 A. 512. 543 f. 556 f. 574 f. 586.
599 f. 611 f. 628 f.; W. bei Herbart
III, 168 ; W. und Association T, 23 ;
III, 207; W. und Apperception I,
468; Willensregung ps. Erlebniss
I, 11; W. und Gefühl I, 79; II, 17;
W. und Wahl I, 80. 48. 68 ; W. und
Aufmerksamkeit III, 226; W. und
Verstand I, 79; W. und Freiheits-
gefühl I, 80. 553 ; W. bei Schopen-
hauer 1 , 555. 639 f. ; Willenshand-
lungen ITT, 168. 197. 207. 265. 271 f.
280 ; der Thiere II, 550 f. ; Willens-
acte III, 61; Willensvorgänge III,
160. 210. 223 f.; Wülenslage III,
278; Willensmotive ITI, 210; trans-
scendenter W. I, 680; Willensbethä-
tigung III, 16 f.
Wülkür III. 201 f. 600 A. ; individuelle
W. III, 140. 142 f.; zumilige For-
mulirung der Causalgesetze II, 29 f. ;
willkfirliche Sonderung der geistigen
und Natureinflüsse III, 41 ; willkür-
liche Geistesacte III, 171; willkür-
liche Wiederholung III, 174; W.
macht exact IT, 100; willkürliche
Schöpfung III, 491; willkürliche
Function II, 206 f. 223 ; W. bei Con.
struction und Experiment II, 86.
Wimperbewegung II, 524.
Wind, Drehungsgesetz der Winde II,
340 f.
Winkel II, 281. 403 f. 418. 417. 421 f.;
III, 182 f.; Winkelgrad II, 405;
Winkelgeschwindigkeit der Erd-
drehung II, 76.
Winter und Verbrechen III, 146 f.;
Winterlandschaft gelb TU, 216.
Wirbelthiere und Wirbellose III, 12;
Brustwirbel III, 133. 144; Wirbel-
bewegung II, 437; Wirbelfaden II,
438; Wirbelatome II, 440 f. ; reibungs-
lose W. II 513.
Wirklichkeit I, 154 f. 525; III, 13. 263 f.
271; Schein und W. I, 425; W. der
72
Sachregister.
Erfahrung II, 283 f. ; W. abstracter
Ideen HI, 515,
Wirksamkeit I. 527 f. 544 f. 619 f.
Wirkung I. 409. 583; Gleichheit von
W. u. Gegenwirkung II, 299 f. 324;
Correspondenz von W. und Gegen-
wirkung II, 868 ; Wirkungssphäre II,
432 f. 446. 459 ; Materie nur in Wir-
kungen II, 282. 445. 459 ; Wirkungs-
föhigkeit II, 309. 412 A. 457; III,
275 f.
Wirthschaft IH, 26. 145. 350. 388.
445 f. 499 f. 518. 525 ; wirthschaft-
licher Zustand I, 646 f. ; wirthschaft-
licher Verkehr III, 39. 45 f. 137 f.
147. 379. 438 f. 457. 484. 500 f. 595;
Wirthschaftspolitik III, 503. 529. 531.
628 f.; Wirthschaftslehre III. 5. 7.
10. 12. 14. 21 f. 37. 45. 99. 109 f.
137. 298. 426. 438 f. 457 f. 466. 472 A.
496. 499—533. 595; Wirthschafta-
geschichte III, 7. 22. 33. 38. 46. 59.
66. 72 f. 75. 96. 108 f. 144. 349 f.
379 f. 394 f. 436. 481. 504. 523 f.;
ökonomischer Materialismus III, 325.
379, vgl. Nationalökonomie, Wirth-
schaftsformen III, 525; Staatswirth-
schaft III. 478.
Wissen und Glauben I, 400. 412 f. ;
wissentliche Einflüsse III, 191.
Wissenschaft III, 413. 417 ; wissenschaft-
liche Aufgaben I, 534 f.; II, 346;
wissenschaftliche Begriffsbildung I,
40 f., 74 f. 95 ; wissenschaftliches Werk
III, 214. 237; wissenschaftliches Nach-
denken III, 1; erklärende und syste-
matische W. III, 22; Geschichts- und
Gesellschaftswissenschaft II, 23; Wis-
senschaftslehre III, 641 f.
Wo bei Aristoteles I, 118.
Wohlgefallen III, 217 f.
Wohlstand III, 472 A. 502.
Wohnungen III, 469. 528.
Wolken IIL 153. 363.
Worte, Wortlehre Jll, 641 f. ; Wort-
erklärung II, 41 f. ; W. und Musik
III, 220 f. ; Aufbau der Wortfoimen
III. 141 ; Geschichte der Wortbedeu-
tungen III, 354. 360 f. ; Wortbildungen
III, 353. 358 f.. vgl. Sprache.
Wucherung II. 573. 587.
Wunder III, 339 ; das Wunderbare im
Drama III. 127.
Wurf I, 610 f. 618.
Wurzeln, vgl. Radirung, Nenn- und
Deutewurzeln I, 125; W. des Satses
vom Grunde I, 569 f. ; aprachlicbe W.
III, 359; Pflanzenwurzeln und Emäh-
rungsflüssigkeiten II, 530.
Z.
Zähigkeit des Lebens niederer Keime
II, 578; Zähflüssigkeit II, 545. 561.
Zahl I, 135 f. 403. 504 f. 521 f. 575.
579 f. ; II, 44. 125. 135 f. 198. 375.
467 f.; III, 180 f.; diskrete Z. II, 91.
189; complexe Z.1, 141. 576; II, 197 f.:
Zahlentheorie IL 88 f.; Zahlarten
und Zahlensysteme ü, 140 f.; Zähler
und Nenner 11, 141 f.; Z. und Logik
I, 260 f.; grosse Z. L 443; Z. nnd
Zeit IL 141; Zahlonsymbolik L647:
Z. als Ausgang zum Däferentialbegfriff
II, 225.
Zahnschmerz IIL 199. 215.
Zeichensystem der Chemie 11. 491 f.,
vgl. Symbolik; Zeichen der Begriffe
I, 246 f.
Zeigerwage II, 405.
Zeit (vgl. Dauer) I, 476. 480. 481 f. 518 :
II, 38. 130. 280 f. 408; IIL 61. 130.
139. 155. 163. 178 L 186 f. 197 f.
204 f. 218. 224 f. 386 f. 472 f. 475 f. ;
Z. bei Kant I, 406- 529 f. ; IL 104 f.
141; Zeitanschauung I, 435; Zeitr
bestimmung II, 394 f. ; des Prftdicats
L 184 f. ; Ewigkeit L 84; Zeitadver-
bien I, 118 f. ; Zeitbeziehung L 150 f.
206 f. ; Zeitstufe L 184 f. ; subjectives
Zeitmass I. 185; II, 394 f.; Zeitmaase
II, 403 ; Z., Länge, Masse IL 428--427
Zeitart L 184 f. ; Zeitpunkt L 184 f.
IIL 327. 382 A.; Zeitlosigkeit L 488
Zeitwort L 118 f. 125. 145 f.; Z. end-
lich oder unendlich IL 462 f. ; Zeit-
sinn III. 205. 211; Zeitmessung 11,
413—416; IIL 182. 208. 224 f.; Stem-
zeit II, 415; Z. beim Energiewechsel
IL 331 ; Z. bei Newton II, 380; che-
mische Zeitberücksichtigung II, 490.
504 f. ; Zeitcharakter (Cultur) IIL 86 ;
Z. und Raum als Fluenten IL 227 f.:
Zeitpunkt bei Herbart 11, 228.
Zellen H, 517. 520 f. 545 f. 559 f. 570.
584. 587 f. ; IH, 269. 605 ; Zellhäute
IL 561 A.; Zellentheilungen IL 561 f.
Sachregister.
73
571 f. ; in, 269 ; Zellenwucherung IT,
578.
Z«n m, 362.
Zerfliessen der Vorstellungen I, 41. 57.
Zergliederung, vgl. Analyse.
Zerlegung I, 173 f.; III, 122. 200; Zer-
legnngsgesetz I, 578; Z. einer Ge-
sammtvorstellung I, 59 f.; 155 f.;
Z. in einfachere Ürtheile I, 243 f. ;
Z. einer Summe I, 265; Z. einer Er-
scheinung II, 3 f. 347—356. 857 f.,
vgl. Analyse; Z. eines Allgemein-
begriffs II, 19 ; chemischer Zerlegungs-
process II, 468 f. 472 f. ; Z. der Wärme
und £iektricit&t II, 473; Z. geometri-
scher Figuren U, 168; Z. eines Be-
griffs bei synthetischer Deduction II,
35 ; bei analytischer Deduction II, 36f.;
Gruppenzerlegung III, 467 f.
Zersetzung des Wassers II, 402; che-
mische Z. II, 468 f. 478. 488 f. 493 f.
496. 502 f. 526. 553. 567. 569. 573.
577. 579.
Zerstreuung der Farben II, 285. 352
bis 355. 357; des Lichts II, 398.
Zeugenbeweis II, 66.
Zeugung n, 539. 543. 562. 569 f. ; Ur-
zeugung II, 576 f.
Zeus m, 362. 864.
Ziffemsystem II, 135 f.
Zink II, 528.
Zinsfuss III, HO f.
Zollschranken III, 111.
Zoologie II ; 55 f. 63. 843 f . ; m , 3.
443. 448. 495 f.; Zootomie n, 348 f.
Zopfzeit m, 417.
Zorn m, 268.
Zuchtwahl II, 549 f. ; künstliche Züch-
tung II, 585.
Zuckung des Froschschenkels II, 402.
Zünfte m, 544. 606 f.
Zufall I, 449 f.; III, 52. 105. 301. 307.
466. 469 f. 588 f.; Wandelbarkeit der
Erfahrung I, 81. 608; Zufallsspiele
I, 441 f.; III, 77; zufölüges Bild zur
SteU Vertretung I, 46 f.; Zufälligkeit
der Kategorien I, 116 f.; bei Kant
I, 178 f. 501; n, 106; zufällige Auf-
findung I, 158 ; der Wahl der nega-
tiven Seite I, 841 ; zufällige Schran-
ken der Erfahrung I, 492; Zufällig-
keit bei Aristoteles I, 173. 585. 633;
II, 277; Z. und Planetensystem I,
447 ; Z. der äusseren Sinneseindrücke
1, 592 ; zufällige Eigenschaften 1, 619 ;
Z. als Weltschüpfer I, 640 f. ; Z. und
Plan (Entdeckungen) U, 347 f. 353.
360. 372; III, 169 f. 174 f.; Z. beim
Mikroskopiren II, 521; Z. in der pa-
thologischen Beobachtung U, 532;
Z. (Willkür) der Benennung II, 29;
Z. bei Construction und Experiment
II, 36. 190. 885; scheinbare Zufällig-
keit beim Beweise II, 70 f. ; Mathe-
matik dem Z. entrückt II, 100;
tastende Zufälligkeit bei Euklid II,
118. 131; bei Oersted, Faraday II,
348 f. ; Z. der äusseren Zahlenent-
wicklung II, 139; Z. des Kunstgrifib
der Quaternionen II, 148; Zufällig-
keit der alten Geometrie II, 175.
178 f. ; Ausschliessung des Zufalls II,
206. 280. 549; Z. im Functionen-
calcül II, 258; zufällige üeberein-
stimmnng II, 386; III, 266; Z. und
Willkür II, 448 ; Z. und ürsachlosig-
keit in, 148; Z. und unbekannte
Ursachen III, 472; zufällige Einwir-
kungen III, 287; zufällige Einwir-
kungen auf die geschichtliche Ent-
wicklung der Wissenschaften II, 11;
Zufälligkeit des Individuellen III,
86 f.; der Tagesmeinungen III, 53;
der Ueberlieferung III, 75; der Vor-
stellungsinhalte III, 266; zufällige
Wahrnehmung III, 169 f. 216; zuÄl-
lige Associationen III, 214; zufällige
Störungen III, 248; zufällige Ver-
bindung III, 280; zuAUige Beobach-
tung m, 299 f.; zufällige Rolle des
räumlichen Factors III, 395; zufäl-
lige Gasuistik III, 536.
ZufQgung s. Addition.
Zug und Druck II, 545. 547.
Zugehörigkeit und Aehnlichkeit I, 374.
Zugleichsein s. Gleichzeitigkeit.
Zukunft I, 150 f. 184 f. 206. 342. 447 f. ;
III, 150.
Zunahme der Masse II, 564; der Be-
völkerung III, 511; Güterzunahme
III, 521; Werthzunahme III, 276 f.
521.
Zurechnungsfähigkeit III, 549. 576. 612.
Zureichender Grund I, 568 f. 586. 612 A.
Zurückführung auf gleiche Form I, 227.
233 f.
Zusammendrückbarkeit II, 390 f. 444 ;
Z. der Luft (Boyle) II, 861; Z. des
Sachregister.
Aethers II, 436; Aether incompres-
sibel II, 486 ; nicht zassmmendrilck-
bare Flüssigkeit II, 438.
Zosammenfassang III« 205.
ZusammenfQgung, vgl. Synthese.
Zosammengeböngkeit yon Objecten im
Begriff II. 26.
Zusammenhang I, 368 f. 534; HL 247.
595 f.; Z. der inneren Zustände I.
80. 484 f. 551 ; Z. der Dinge I, 478 f.
571. 611; II, 374 f.; Z. der Erfah-
rungeo II, 26. 327. 339. 393. 428.
461; III, 22; Z. der Begriffe I. 95 f.;
Z. der Vorgänge und Eigenschaften
1 . 368 ; widerspruchsloser Z. 1 . 90.
434 f. 452 f. 613; III, 82. 247. 251 f. ;
begrifflicher und anschaulicher Z. IL
279. 428 f.; Z. des Phys. und Ps. III.
41 ; allgemeingültige Zusammenhänge
III, 129; regelmässige Znsammen-
hänge III, 134. 136; singulärer Z.
III, 135 f.
Zusammenklang III, 156. 197.
Zusammensein, Regeln des Zs. I, 368;
Z. und Substanz I, 409.
Zusammensetzung III, 482; Z. einer
Erscheinung II, 359, vgl. Synthese;
chemische Z. II . 470 f. ; Z. erzengt
neue Werthe III. 197; zusammen-
gesetzte und einfache EOrper II, 374 ;
Z. der Kräftewirkungen II, 296. 816;
Z. der Bewegung I, 582 f.; II, 301.
320 f.; zusammengesetzte Ürtheile I,
167 f. 204 f. ; Bildung zusammenge-
setzter Ürtheile I, 244 f.
Zusammenstellung von Farben III, 217 f.
Zustand I, 119. 145. 161 f. 176 f. 183 f.;
III, 464 f. 472. 474 f. ; Zustandsgiei-
chungen II, 329 f. 558; sociale Zu
stände III, 522 f. 526 ; Zustände und
geschichtliche Begebenheiten III, 7,
75 f. 92. 436 f.; Z. und Entwicklung
III, 23.
Zustimmung anderer 1 . 425 ; Z. aller
Sinne I, 428.
Zuwachs, unendlich kleiner Z. II, 234 f.:
Z. bei Lagrange II, 240 f.; Z. an
Geschwindigkeit II, 294 f.; Reizzu-
wachs ni. 192 f.; EmpfindungBZQ-
wachs m, 193.
Zwang, m, 405 f. 479. 548. 578; Z. der
Gegenstände I, 470; kleinster Z. II.
313 f.; kunstgerechter Z. III, 174 f.
Zweck I, 88 f. 150 f. 574. 681 f.; H,
274. 279. 808 f.; 520. 583 f.; IH, 47
bis 51. 119. 175. 177. 206 f. 245.
280 f. 294. 298. 300. 305. 310. 317 f.
320 f. 376 f. 390 f. 404 f. 421—435.
479 f. 487. 489 f. 499. 526. 546. 557 f.
584 f. 589 f. 600 f. 630; Heterogonie
der Zwecke III, 281; Mannigfaltig-
keit der Zwecke III , 598. 606 f. :
coUective und individuelle Zweck-
thätigkeit III, 557; Zweckursache I.
208 f. 682 f. 643. 646 f.; II. 550 f.:
III, 17. 421 ; Z. bei Aristoteles I. 527.
585. 632 f. ; Z. bei Kant I, 635 f. ; Z.
bei Leibniz L 635; Z. bei Spinoza I,
634 f. ; Z. bei Descartes I. 634 ; Z. bei
Schopenhauer I, 639 f.; Z. als Ur-
sache I, 649 f.; II, 537; III, 51; Z.
als umgekehrte Gausalbeziehung I,
642; II, 280. 307. 310 f. 520. 585.
537; in, 17; ZwecknOtoigkeit III.
558 f. 580. 588; Zweckmässigkeit der
Organismen II, 585 f. 587 f. 568. 580 ;
111,229 ;Zweckmä8sigkeitBerwägunf^en
III, 81. 124 f. 219 A.; zweckmässige
Anpassung II, 549; Zwecksetzang
III, 16 f.
Zwei Fälle, Methode der z. F. III, 188 f.
191.
Zweifeln, 284 f.; m, 16. 117 f. 267 f.,
vgl. Gewissheit etc.
Zweigliederung, Gesetz der Z. I, 34.
56. 59 f. 127. 144. 158. 167; Z. und
Syllogismus I, 71; Z. nicht unmittel-
bar I, 121; Zweitheilung II, 62 f.:
dualistische Richtung der Chemie II.
494.
Zwischenempfindungen III, 190.
Zwischenräume , leere Z. II . 398. 432.
444. 466.
Zwittergeschlechtliche Pflanzen und
Thiere II, 574.
Zwölftafelgesetz III, 578.
v^
Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
Kraepelin, Dr. E., Die Abschafiimg des
Oi^MO f lYI A MM AQ ^>D Vorschlag zur Reform der heutigen Straf:
1 rechtspflege. 8\ 1880. geh. M. 2 —
Lehmann, Dr. A., Aberglaube und Zau-
berei von den ältesten Zeiten an bis
•|1I A\fk CTA0*ATlWfl.l*1^ Deutsche, autorisirte Ausgabe von
^ 1 Dr. Petersen. Mit 75 in den
Text gedruckten Abbildungen, gr. 8^ 1898. geh. M. 12.— ; in Lein-
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Lippert, J., Die Geschichte der Familie.
8». 1884. geh. M. 6.—
Lippert, J., Kulturgeschichte der Mensch-
heit in ihrem organischen Aufbau.
Zwei Bände, gr. 8*. 1886—1887. geh. ä M. 10.—; in Halbfranz gebunden
& M. 12.50.
Beichesberg, d^n:, Die Statistik und die
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Die seelischen Erscheinungen vom Standpunkte der 'Physiologie und der
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Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart.
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Lichte der FhilosopMe. vori«.«ngen
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Wundt, Prof. Dr. W., Ethik. ^tJ?"*T'*'^
^ ^ der Thatsachen und
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1892. geh. M. 15 —
Wundt Prof. Dr. W,, Logik. fneJJntenmchmig
^ ^ ^ der Fnncipien der
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gr. 8». 1893—1895. geh. M. 48.—
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M. 13.-
U. Band. Methodenlehre. 2. Abtheilnng. Logik der Geisteswissen-
schaften. Zweite, umgearbeitete Auflage, gr. 8^ 1895.
geh. M. 15.—
Ziegler, Prof. Dr. H. E., Die Naturwissen-
schaft md^esodal^mokratische
nrilAni*1A ^^^ Verhältniss dargelegt auf Grund der Werke von
AllvVXAw. Dai-^^ ^^d ßebel. Zugleich ein Beitrag zur wissen-
Bcbafilichen Kritik der Theorien der derzeitigen Socialdemokratie. 8^.
1884. geh. M. 4.—
Drude der Union Deutsch. Yarla«89M.Ilidi«ft tn Stutt^wt ^ i^ a^
i
AÜG l 7 19*3
r
/ ^